Magic Girls – Das Geheimnis des Amuletts - Marliese Arold - E-Book
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Magic Girls – Das Geheimnis des Amuletts E-Book

Marliese Arold

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Beschreibung

Ein lustiges und spannendes Abenteuer für Mädchen und Jungs ab 11 Jahren
Das Kinderbuch der Bestsellerautorin Marliese Arold begeistert junge Hexenfans und ist das ideale Geschenk für alle Leserinnen, die magische Geschichten lieben.  

  • Lesevergnügen mit Gefall-Garantie: Perfekte Unterhaltung für Teenager
  • Zauberhafte Abenteuer voller Humor und Fantasie: Zwei Hexenmädchen in der Menschenwelt – kann das gutgehen?
  • Originelle Gestaltung: Skurrile Einfälle, witzige Zaubersprüche und magische Rezepte
  • Viele Zusatz-Infos: Mit ausführlichem Hexenglossar


Zum Buch:
Hexenmädchen Elena versteht die Welt nicht mehr. Weil ihr Vater angeblich verbotene Zauber angewandt hat, wird er zur Strafe in einen Leguan verwandelt. Schrecklich! Doch Elenas Familie erhält die Chance, ihre verlorene Ehre wiederherzustellen: durch einen Aufenthalt im Hexil.
Hexil bedeutet, dass die ganze Familie in die Menschenwelt verbannt wird. Und Elena muss sogar in eine Menschenschule gehen! Mit echten Menschenmädchen! Wie soll sie es bloß schaffen, als Junghexe nicht aufzufallen?
Und tatsächlich schöpfen Elenas Mitschülerinnen Nele und Jana schon bald Verdacht, dass mit der Neuen etwas nicht stimmt ...

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Vollständige eBook-Ausgabe der Hardcoverausgabe

© 2020 arsEdition GmbH, Friedrichstraße 9, D-80801 München

Alle Rechte vorbehalten

Text: Marliese Arold

Umschlaggestaltung und Innenvignetten: Grafisches Atelier arsEdition, unter Verwendung von Illustrationen von lena_nikolaeva, Gene Volkov, KikaruD88, Kseniya Parkhimchyk/Shutterstock

Satz: Alena Rolinski

ISBN eBook 978-3-8458-4041-3

ISBN Printausgabe 978-3-8458-3949-3

www.arsedition.de

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

INHALT

Cover

Titel

Impressum

Urteil

Teil eins

Schwarzmagie ist aller Laster Anfang

Wem das Zaubern soll gedeihn, der muss bei guter Laune sein

Frisch gehext, ist halb gewonnen!

Wer einmal hext, dem traut man nicht …

Je voller der Mond, desto stärker der Zauber!

Lieber heute Zauberei als morgen ödes Einerlei!

Wer anderen eine Falle stellt, wird selbst verhext!

Guter Zauber hat Stil

Wenn der Zauberspruch nichts taugt, wird er durch die Wiederholung nicht besser!

Teil zwei

Übung macht den Hexenmeister

Wer zuerst hext, ist im Vorteil!

Doppelt gehext funktioniert besser - oder hebt sich auf!

Jeder Zauber sei gut überlegt!

Kleine Zaubereien erhalten die Freundschaft

Glück unterliegt keinem Zauberspruch!

Erst denken, dann zaubern!

Im Krieg und in der Liebe ist fauler Zauber erlaubt!

Ein gelungener Trick macht noch keinen guten Zauberer!

Mancher Zauberer ist anders, als er scheint

Glossar

URTEIL

SIR LEON ANTONIO BREDOV

wird wegen unzähliger Verstöße gegen das

GROSSE ZAUBEREIGESETZBUCH

(unter anderem wegen seiner Mitgliedschaft bei den

SCHWARZEN ZAUBERKUTTEN)

mit dem Fluch belegt, seine natürliche Gestalt abzugeben und fortan auf unbefristete Zeit sein Leben als GRÜNER LEGUAN (IGUANA IGUANA) zu verbringen. Seine Familie wird enteignet und der Adelstitel allen Mitgliedern aberkannt. Sowohl die Immobilien als auch das Vermögen gehen in den Besitz des GRÜNEN ZAUBEREIVERBANDES über. Bredovs Familie erhält von diesem Verband eine ausreichende Summe, um damit ihren Lebensunterhalt ohne Luxus zu bestreiten.

Keinem Mitglied von Bredovs Familie ist es erlaubt, Zaubereiwissenschaften zu studieren, ein Vermögen zu erben oder ein öffentliches Amt auszuüben, bis die Ehre der Bredovs wiederhergestellt und damit der Fluch aufgehoben ist.

Gezeichnet am 29. März, Anno Nostradami 505

Oberster Richter der Grünen und Grauen Zauberer

Schwarzmagie ist aller Laster Anfang

»Elena, hast du Papa endlich gefüttert?«, ertönte eine Stimme von oben.

»Noch nicht, aber ich mach’s gleich«, antwortete Elena Bredov mit einem Anflug von schlechtem Gewissen.

Ihre Mutter erschien im Treppenhaus. Jolanda Bredov sah bleich und abgekämpft aus, wie so oft in der letzten Zeit. Wahrscheinlich hatte sie wieder Migräne.

»Soll Papa verhungern?«, fragte Elenas Mutter vorwurfsvoll. »Du hast mir versprochen, dass du dich diese Woche um sein Futter kümmerst!«

»Ich gehe sofort in den Garten«, sagte Elena und seufzte.

Es regnete noch immer ganz scheußlich. Sie hasste es, wenn ihr der Regen in den Kragen tropfte, während sie Löwenzahnblätter abschnitt. Aber das war nicht das Einzige, was Elena hasste. Sie hasste auch diesen Hügel, auf dem ihre Familie wohnen musste, seit ihr Vater rechtskräftig verurteilt worden war. Miranda, Elenas beste – und inzwischen einzige – Freundin, nannte den Hügel Outsider-Hill, denn hier lebten lauter Leute, denen, genau wie Elenas Familie, Ehre und Ansehen durch die Zauberrichter entzogen worden waren. In dieser Wohngegend gab es nur Wetter der Kategorie drei, das bedeutete achtzehn Stunden Nieselregen pro Tag, und in den regenfreien Stunden zeigte sich höchst selten die Sonne.

Elena öffnete die Terrassentür, die wieder einmal klemmte, weil sich durch die Nässe das Holz verzogen hatte. Die Pflanzen im Garten wucherten üppig, was Elena auf die Anwesenheit ihrer Großmutter zurückführte. Großmutter Mona hatte einen grünen Daumen, sie konnte mit den Pflanzen reden, und die Löwenzahnblätter, die Elena für Papa pflückte, erreichten nicht selten die Länge ihres Unterarms. Nicht, dass Oma das beabsichtigt hätte. Wäre es nach ihr gegangen, wären die Löwenzahnblätter klein und gallenbitter, um Papa möglichst den Appetit zu verderben.

Zwischen Papa und Oma Mona herrschte nämlich Feindschaft, solange Elena denken konnte. Monas Herzenswunsch war es gewesen, dass ihre Tochter Theobaldus Magnus geheiratet hätte, einen Zauberer aus angesehener Familie, deren Stammbaum mindestens fünf Jahrhunderte zurückreichte und die eine Reihe von berühmten Zauberern hervorgebracht hatte. Der Hochzeitstermin zwischen Theobaldus und Jolanda hatte schon festgestanden, aber dann war dieser zwielichtige Leon dahergekommen und hatte Jolandas Herz im Sturm erobert. Die Hochzeit zwischen Theobaldus und Jolanda war kurzfristig geplatzt und Mona hatte alle Gäste wieder ausladen müssen.

Jolanda hatte gedroht, mit Leon durchzubrennen, falls Mona ihr nicht erlaubte, die Liebe ihres Lebens zu heiraten. Als Mona herausfand, dass ihre Tochter bereits von Leon schwanger war, hatte sie zähneknirschend der Hochzeit zugestimmt, aber sie hatte Leon nie verziehen, dass Jolanda seinetwegen ihrem Verlobten Theobaldus den Laufpass gegeben hatte.

Das Gras glänzte vor Nässe und das Rauschen des Regens klang beruhigend. Elena huschte in den Garten und suchte Schutz vor der Nässe unter dem Apfelbaum, aber der Schutz war nur eine Illusion, denn natürlich tropfte es auch hier. Als Elena genügend Löwenzahnblätter gesammelt hatte, war ihr Kleid feucht und die Haare klebten ihr in der Stirn.

»Mistwetter!«

Auf dem knorrigen Birnbaum gegenüber hatte sich ein Rabe niedergelassen, der Elena aus schwarzen Augen ansah. Ein Spion? Und wenn! Elena streckte ihm die Zunge heraus.

»Ich find’s echt unmöglich, was ihr mit Papa gemacht habt! Das ist meine Meinung dazu!«

Der Rabe sah nicht sonderlich beeindruckt aus. Er fing an, sein Gefieder zu putzen, und als Elena zum Haus ging, krächzte er ihr hinterher.

Elena betrat das Wohnzimmer, in dem das Terrarium stand. Der Leguan starrte apathisch durch die Glasscheibe. Elena hob den Deckel hoch und ließ die Löwenzahnblätter in die Futterschale fallen, in der sich noch ein paar Apfelstückchen und eine halbe Paprikaschote befanden.

»Es tut mir so leid, Papa.« Elena streichelte die raue Haut des Leguans. »Ich weiß, dass du unschuldig bist! Es ist so ungerecht, was passiert ist. Jetzt müssen wir hier wohnen, auf diesem verregneten Hügel, alle deuten mit den Fingern auf uns und ich habe fast alle meine Freunde verloren. Mama hat dauernd Kopfschmerzen, weil sie von den Zeitungen keine Aufträge mehr bekommt, Daphne nervt wie immer … Aber ach! Am schlimmsten hat es dich getroffen, Papa!«

Der Leguan regte sich nicht. Ob Papa überhaupt verstehen konnte, was sie zu ihm sagte? Konnte er als Leguan noch denken und fühlen wie vor der Verwandlung oder war er ganz und gar Tier geworden? Elena schluckte.

Sie strich mit dem Zeigefinger über seinen Rücken, ganz sanft. »Iss, Papa«, murmelte sie. »Das sind saftige Löwenzahnblätter. Ich habe sie extra für dich gepflückt, obwohl es draußen noch immer regnet.«

Wieder zeigte der Leguan keinerlei Reaktion. Elena seufzte. Ihre Brust schnürte sich zusammen. Vor ein paar Monaten hatte sie alles mit ihrem Vater besprechen können, er hatte ihr bei den Hausaufgaben geholfen und ihr versprochen, sie bald in die Geheimnisse der höheren Zauberei einzuweihen. Und jetzt? Jetzt lag er stundenlang reglos in diesem Glaskasten und starrte stumm vor sich hin. Nur manchmal, wenn er gut drauf war und draußen die Sonne schien, schob er sich dichter an die Glasscheibe und nickte heftig mit dem Kopf. Elena nickte dann zurück, und so kam eine Art Unterhaltung zustande – auch wenn Elena nie verstand, worüber sie eigentlich redeten.

Es war so traurig!

Elena schloss den Deckel des Terrariums und ging ins Bad, um sich die Hände zu waschen.

Die Wasserspülung der Toilette war kaputt und der Kunststoffkasten an der Wand rauschte genauso wie der Regen draußen. Das Bad besaß kein Fenster, die Fliesen hatten die Farbe eines Kanaldeckels – schwarzgrau.

Elena betrachtete sich im Spiegel: rote Locken, blassgrüne, wache Augen, eine kleine Nase und unzählige Sommersprossen, die immer noch deutlich zu sehen waren, obwohl es hier doch kaum Sonne gab. Sah so die Tochter eines Verbrechers aus? Eines Hexers, der sich auf die falsche Seite der Magie geschlagen hatte?

»Nein, so was macht Papa nicht«, murmelte Elena und schüttelte den Kopf. Alles musste ein riesiger Irrtum sein!

Gerade als sie wieder ins Wohnzimmer zurückging, klatschte etwas gegen die große Fensterscheibe. Elena zuckte erschrocken zusammen. Dann öffnete sie vorsichtig die Terrassentür.

Eine weiße Taube hockte etwas benommen auf dem Fußabstreifer und ließ die Flügel hängen. Elena sah noch, wie in der Luft ein großer grauer Raubvogel davonschoss. In den roten Augen der Taube stand deutlich die Angst.

»Du Arme«, sagte Elena und bückte sich, um die Taube in die Hand zu nehmen und nachzusehen, ob sie verletzt war.

Doch da schüttelte sich die Taube, ihre Umrisse verschwammen, die Federn zerflossen zu einem wirbelnden Ball. Gleich darauf erschien vor Elena ein etwa gleichaltriges Mädchen.

»Miranda!«

»Wegen des Habichts hätte ich mir fast das Genick gebrochen!«, stieß Miranda Leuwen aus und rieb sich den Nacken. »Er hat mich auf dem letzten Stück verfolgt. Es hätte nicht viel gefehlt und er hätte mich erwischt. – Verdammte Outsider! Wenn hier auch Kannibalen leben, dann besuche ich dich nie mehr!«

»Vielleicht war es ja ein echter Habicht«, meinte Elena und schaute zum wolkenverhangenen Himmel, aber der Vogel war nicht mehr zu sehen. Dann wandte sie sich wieder ihrer Freundin zu. »Warum bist du denn als Taube hergeflogen?«

»Ich wollte üben«, antwortete Miranda. »Wir hatten nämlich gestern zum ersten Mal Metamorphose.«

Elena seufzte. Metamorphose. Die Verwandlung in ein Tier. Das war höhere Zauberei, von der sie ausgeschlossen war.

»Jetzt sei doch nicht gleich neidisch«, sagte Miranda. »Es ist total schwer. Und du siehst ja, was fast passiert wäre.« Sie verzog das Gesicht. »Wahrscheinlich habe ich morgen einen schrecklichen Muskelkater vom Fliegen.«

»Ich bin aber neidisch«, meinte Elena. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie schlimm es für mich ist, dass ich bei Metamorphose nicht mitmachen darf. Und bei vielen anderen Fächern auch nicht. Und ich verabscheue dieses Haus, diese miese Wohngegend und überhaupt alles, was sich verändert hat, seit Papa …« Sie beendete den Satz nicht.

Miranda legte tröstend den Arm um Elena. »Ich kann dich wirklich gut verstehen. Und ich würde dir so gerne helfen, glaub mir.«

Die beiden Mädchen betraten das Wohnzimmer und Elena schloss die Terrassentür. Miranda trat gleich auf das Terrarium zu und pochte mit ihrem Fingerknöchel an die Scheibe. »Hallo, Herr Bredov, ich bin’s, Miranda. Wie geht’s Ihnen?«

Aber der Leguan hatte nur Interesse für seine Löwenzahnblätter.

»Ach, lass doch«, sagte Elena müde. »Es hat keinen Sinn, Papa versteht sowieso kein Wort.«

»Das kann man nicht wissen«, widersprach Miranda. »Als Taube kann ich zwar fliegen, aber ich bin trotzdem noch Miranda und ich fühle wie Miranda. Warum soll es bei deinem Vater nicht ähnlich sein?«

»Weil er sonst reagieren würde«, sagte Elena. »Er hätte schon längst eine Möglichkeit gefunden, wie er sich verständlich machen kann. Wir hätten eine Art Geheimsprache entwickeln können, beispielsweise den linken Vorderfuß heben bedeutet A, zweimal tippen B, oder so. Papa war immer sehr erfinderisch.«

Miranda strich mit ihren Fingern an der Glasscheibe entlang. »Es war natürlich ein sehr starker Zauber, den die Richter über deinen Vater verhängt haben«, überlegte sie laut. »Und natürlich wollten die Richter verhindern, dass ihr euch irgendwie austauschen könnt und dein Vater dir vielleicht seine Geheimnisse anvertraut. Hm … Deswegen könnte er tatsächlich ein Leguan sein, durch und durch.«

Elena hatte einen Kloß im Hals. Genau zu demselben Schluss war sie auch schon gekommen, aber es fiel ihr trotzdem schwer, daran zu glauben. Etwas von ihrem Vater musste doch noch in diesem Leguan stecken, und irgendwie müsste es möglich sein, zu diesem Kern vorzudringen …

»Quäl dich nicht so, Elena«, sagte Miranda leise und streichelte Elenas Arm. »Du musst eben abwarten. Eines Tages wird sich dein Vater zurückverwandeln …«

»Das kann Jahrzehnte dauern!«

»Trotzdem. Es bringt nichts, wenn du verzweifelst. Und du musst dir immer wieder sagen, dass du keine Schuld hast. Du kannst nun mal nichts an seinem Zustand ändern.«

»Niemand ist schuld«, murmelte Elena. »Papa auch nicht. Das ist alles ein großer Irrtum. Jemand hat Lügen über ihn verbreitet, die Richter haben ihm geglaubt und meinen Vater und uns bestraft! Das ist so ungerecht!«

Miranda ließ sich in einen Sessel fallen und ließ die Beine über die Lehne baumeln. »Glaubst du denn, dass dein Vater wirklich unschuldig ist?«, fragte sie dann in vertraulichem Tonfall.

»Natürlich glaube ich das!«, empörte sich Elena. »Mein Vater hat bestimmt nie etwas mit den Schwarzen Zauberkutten zu tun gehabt, dafür würde ich meine Hand ins Feuer legen!«

Die Schwarzen Zauberkutten waren eine Geheimgesellschaft, die schon seit mehr als einem Jahrhundert verboten war. Es hieß, ihre Mitglieder beschäftigten sich mit schwarzer Magie und würden sogar Ausflüge in die Menschenwelt unternehmen, um dort kleine Kinder zu stehlen, die sie für ihre verbotenen Zauberrituale benötigten.

Es war unvorstellbar für Elena, dass ihr Vater so etwas tun würde.

»Und das geheimnisvolle Amulett?« Mirandas Stimme war noch leiser geworden.

Das Amulett! Es gab Elena einen Stich, als sie sich daran erinnerte, wie sie das geheimnisvolle Schmuckstück gefunden hatten.

Papa war gerade drei Tage lang ein Leguan gewesen und Elena und Miranda hatten zusammen das Terrarium gesäubert. Miranda hatte eine große Mülltüte aufgehalten und Elena hatte den sandigen Inhalt der Bodenschale hineinkippen wollen. Da war den beiden Mädchen ein blitzender Gegenstand aufgefallen. Elena fischte ihn mit spitzen Fingern aus den Abfällen heraus und säuberte ihn unter fließendem Wasser. Es war eine silberne Kette mit einem geheimnisvollen Anhänger. Elena hatte das Amulett noch nie zuvor gesehen. Es gab nur eine Möglichkeit, woher es stammen konnte: Elenas Vater hatte es verschluckt, um es vor den Richtern zu verstecken, dann war er verhext worden, und nun war das Amulett auf natürliche Weise wieder zum Vorschein gekommen.

Elena und Miranda hatten geschworen, niemandem etwas von ihrem Fund zu erzählen. Elena versteckte das Amulett in ihrem Zimmer unter ihrem Bett, und zwar hinter der Fußbodenleiste. Dahinter befand sich nämlich ein Hohlraum. Dort war das Amulett erst einmal sicher …

»Es muss einen Grund haben, dass die Richter das Amulett nicht sehen sollten«, sagte Miranda. »Bestimmt hat es starke Zauberkräfte …«

Elena nickte und zog die Schultern hoch. Sie fröstelte plötzlich. Oft genug hatten sie und Miranda von zauberkräftigen Gegenständen gehört, die zu verbotener Magie fähig waren. Ob das Amulett vielleicht dazugehörte? Wieder stiegen Zweifel in Elena hoch.

Nein, Papa, dachte sie inbrünstig und ballte die Fäuste. Du bist unschuldig, das weiß ich genau! Und selbst wenn du dir so ein Amulett besorgt hast, dann hat es bestimmt einen wichtigen Grund …

Miranda stützte den Kopf in die Hände. »Wir müssten uns das Amulett noch einmal genau ansehen. Wenn ich das Muster abzeichne, könnte ich im Schularchiv nachsehen, ob ich etwas darüber finde.«

Elena setzte gerade zu einer Antwort an, als plötzlich ein Knall ertönte. Mitten im Wohnzimmer bildete sich eine violette Lichtsäule und es erschien eine elegante Frauengestalt – Elenas Großmutter Mona. Sie trug ein violettes Kostüm mit einem weiten Faltenrock, hochhackige lila Pumps und natürlich wieder einen ihrer unvermeidlichen Strohhüte. Diesmal war er mit lauter Pflaumen dekoriert, dazwischen steckten drei schillernde Pfauenfedern.

»Hallöchen!« Mona lächelte. Ihr Lippenstift hatte genau denselben Farbton wie ihr Kostüm. »Ich hoffe, ich habe euch beide nicht erschreckt!«

»Doch, ein bisschen«, gab Elena zu. Hoffentlich hatte ihre Großmutter nicht mitbekommen, worüber sie und Miranda gerade geredet hatten!

»Das tut mir leid«, sagte Mona und lockerte ihre lila Stola. Die goldenen Kreolen an ihren Ohren blinkten. »Aber ich hatte keine Geduld, an der Haustür zu klingeln. – Wo steckt deine Mutter, Elena? Ich habe nämlich Neuigkeiten.«

»Ich glaube, Mama hat sich etwas hingelegt«, sagte Elena. »Sie hatte wieder Kopfschmerzen.«

»Kopfschmerzen, papperlapapp!« Mona fuchtelte mit ihren Händen herum, und Elena sah, dass auch ihre Fingernägel im passenden Violett-Ton lackiert waren. »Sie lässt sich einfach hängen, seit dieses … äh … unerfreuliche Ereignis eingetreten ist. Aber das wird sich jetzt ändern.« Sie ging bis zur Treppe und flötete: »Jolanda! Ich bin’s, Mona. Es gibt Neuigkeiten, du wirst staunen!«

Sie wartete keine Antwort ab, sondern schnippte mit den Fingern, und schon lag Elenas Mutter mit ihrer getigerten Schlafdecke auf dem Wohnzimmersofa, zwei grüne Kompressen auf den Augen.

Jolanda stöhnte. »Mutter, kannst du mich nicht einmal in Ruhe lassen, wenn ich im Bett liege?« Sie richtete sich mühsam auf und nahm die Kompressen ab. Elena fand, dass ihre Mutter krank aussah. Sie war bleich und das dunkelbraune Haar wirkte fettig und kraftlos.

»Aber Kindchen!« Mona hockte sich ans Kopfende.

Elena fiel wieder einmal auf, wie grundverschieden ihre Mutter und ihre Großmutter waren. Mona sprühte vor Temperament, sie war hochgewachsen und schlank und legte großen Wert auf ihr Äußeres. Wo immer sie auftauchte, war sie eine auffallende Erscheinung.

Jolanda dagegen war mittelgroß und mollig, sie trug einen schlichten Pagenschnitt und schminkte sich nur zu besonderen Anlässen. In der letzten Zeit lief sie zu Hause fast ständig im Jogginganzug herum. Dabei joggte sie nie, denn jede Art von Sport war in ihren Augen der pure Horror. Mona dagegen absolvierte regelmäßig ihre Workouts, immer vormittags von zehn bis elf Uhr.

»Jolanda, du sollst als Erste die frohe Nachricht erfahren! Wir haben die Chance, unseren guten Ruf wiederherzustellen, den wir durch diesen … äh …«, Großmutters verächtlicher Blick wanderte zu dem Terrarium, »…  Taugenichts leider verloren haben.«

»Leon«, sagte Jolanda. »Nenn ihn nicht immer Taugenichts, Mutter. Er heißt Leon.«

»Er heißt Nichtsnutz. Er heißt Versager. Er heißt Null«, entgegnete Mona und ließ sich dabei jedes Schimpfwort auf der Zunge zergehen. »Er hat dich doch nur geheiratet, um auf unsere Kosten zu leben, wann begreifst du das denn endlich?«

»Ach, Mutter!«, stöhnte Jolanda. »Das stimmt gar nicht. Hör auf damit.«

»Jedenfalls war ich vorhin im Landeszauberamt«, fuhr Mona fort. »Und es ist mir gelungen, mit dem Oberamtszaubermeister zu sprechen. Es wird dringend eine Familie gesucht, die ins HEXIL geht, um die Informationen über Homo sapiens sapiens zu aktualisieren. Du kennst doch bestimmt dieses Buch ›Vom Umgang mit Menschen‹ von Adrian Freitag Zwigge. Das ist ein Standardwerk über die Menschen, aber einige Teile davon sind inzwischen etwas veraltet und müssten auf den neuesten Stand gebracht werden. Wer könnte das besser als wir? Wir sind eine Familie, wir werden uns unauffällig verhalten, du bist noch dazu Journalistin und weißt, wie man die Leute aushorcht …«

Jolanda sah ihre Mutter ungläubig an. »Ins HEXIL? Das ist nicht dein Ernst, Mutter!«

Jetzt schaltete sich Elena ein. »HEXIL – was ist das?«

Mona wandte den Kopf und lächelte ihrer Enkelin zu. »HEXIL nennt man einen längeren Aufenthalt in der Menschenwelt.«

Elena schnappte nach Luft. Ein Aufenthalt in der Menschenwelt. Das war fast so unvorstellbar wie eine Reise zum Mars. Elena wusste, dass neben ihrer eigenen Welt eine Parallelwelt existierte, in der die Menschen lebten. Nur eine dünne, aber sehr starke Grenze trennte die beiden Welten voneinander.

»Du brauchst nicht so erschrocken zu gucken«, sagte Mona zu Elena. »In der Menschenwelt ist manches so ähnlich wie bei uns. Etwas primitiver natürlich. Aber es ist interessant, wie die Menschen versuchen, mit ihrer Technik unsere Magie nachzuahmen. Das sind nette, aber natürlich nur unvollkommene Versuche. Dieser Aufenthalt in der Menschenwelt wird für dich sehr lehrreich sein, Elena, du wirst diese Erfahrung nicht bereuen.«

Elena setzte zu einem Widerspruch an, aber ihre Großmutter ließ sie nicht ausreden. »Einige unserer Wissenschaftler sind überzeugt, dass Menschen und Hexen früher gemeinsame Vorfahren hatten, aber natürlich befindet sich der Homo sapiens magus auf einer viel höheren Entwicklungsstufe als ein gewöhnlicher Mensch. Trotzdem verfügen die Menschen über eine gewisse Intelligenz, obwohl ihr magisches Talent völlig verkümmert ist.«

»Ich habe aber keine Lust, ins HEXIL zu gehen«, platzte Elena heraus. »Was sollen wir in der Menschenwelt? Hier auf dem Hügel ist es schon schlimm genug …«

»Ja, das sehe ich genauso«, meinte Jolanda und rieb sich beide Schläfen. »Die im Landeszauberamt sollen sich eine andere Familie suchen. Wir gehen nicht ins HEXIL.«

»Aber Jolanda, du begreifst wieder einmal überhaupt nichts!« Mona stand auf, stöckelte im Zimmer umher und fächelte sich mit ihrer Stola Luft zu.

»Denkst du nie an die Zukunft deiner Kinder? Was soll aus Daphne, Elena und Rufus werden, wenn ihnen die Universität verschlossen bleibt und sie auch keine Beamte werden dürfen? Sollen sie etwa als Schabernack-Zauberer umherziehen und sich öffentlich zum Affen machen? Sollen sie ihr Leben lang arm bleiben und ewig für die Untat deines nichtsnutzigen Ehemanns büßen müssen? Ich hätte dich für klüger gehalten, Jolanda! Dieses HEXIL wird unsere Ehre wiederherstellen, und wenn wir in vielleicht fünf Jahren zurückkehren, werden wir gesellschaftlich aufrücken. Man wird uns wieder auf der Straße grüßen. Und, was am wichtigsten ist, deine Kinder werden ein ganz normales Hexenleben führen können. – Ich hätte wenigstens etwas mehr Begeisterung von dir erwartet, Jolanda, wenn du dich schon nicht bedankst. Es ist nicht selbstverständlich, dass ich euch – beziehungsweise uns – diese Möglichkeit verschafft habe, ich musste ganz gehörig mit dem Oberamtszaubermeister flirten.« Sie schob ihren Oberkörper nach vorne, legte den Kopf schief und klimperte heftig mit den auberginefarbenen Wimpern.

Elena fand, dass ihre Großmutter ziemlich selbstzufrieden aussah. Sie betonte immer, dass sie eine große Wirkung auf Männer hatte – trotz ihres reifen Alters.

Jolanda seufzte. »Danke, Mutter«, sagte sie höflich. Ihre Stimme klang gequält. »Ich weiß, dass du viel für uns tust.«

Mona lächelte.

»Aber fünf Jahre«, rief Elena empört. »Ich werde achtzehn sein, wenn wir zurückkehren. Und in der Menschenwelt kennen wir niemanden!«

»Kennen wir etwa jemanden hier auf diesem Hügel?«, fauchte die Großmutter sie an. »Sei nicht dumm, Elena. Wir wohnen jetzt schon über drei Monate hier und wir haben noch keine einzige Einladung von unseren Nachbarn erhalten. Worüber ich wirklich froh bin! Denn wer will schon etwas mit denen zu tun haben!«

Elena musste ihr recht geben. Hier auf dem Hügel wohnten tatsächlich merkwürdige Leute. Der Nachbar zur Linken saß Tag und Nacht als Uhu im Fenster und beobachtete mit scharfem Blick alles, was in seiner Umgebung vor sich ging. Elena hatte keine Ahnung, ob außer ihm noch jemand im Haus wohnte oder ob er allein lebte.

Die Nachbarn zur Rechten waren Eheleute im mittleren Alter, und sie verbrachten den größten Teil des Tages damit, als Schlangen verknotet im Fliederbaum hinter der Gartenpforte zu lauern. Als Elena einmal zu Fuß von der Schule nach Hause gegangen war – denn ihr gebrauchter Hexenbesen hatte an diesem Tag den Geist aufgegeben –, hatte die männliche Schlange den Kopf über die Gartenmauer gestreckt und gesäuselt:

»Magst du mal zu uns reinkommen, Kleine?«

Seither nahm Elena immer die andere Straßenseite, wenn sie an dem Haus vorbeigehen musste. Sie wusste nicht, warum die Nachbarn auf diesem Hügel leben mussten und welches Verbrechen sie begangen hatten. Sicher war nur eines: Hier lebten keine normalen Hexen, sondern lauter Leute, die gegen Regeln und Gesetze verstoßen hatten.

Nein, der Outsider-Hill war wirklich kein Ort, dem Elena nachtrauern würde!

Trotzdem – fünf Jahre im HEXIL zu leben! Mit diesem Gedanken wollte sich Elena nicht anfreunden. Sie hatte sich nie besonders für die Menschen interessiert, obwohl sie im Geschichtsunterricht manchmal über sie sprachen. Sicher waren die Menschen langweilig und fantasielos, ungehobelt und ohne Kultur. Wie konnte man ohne Zauberei zurechtkommen? Was lernten die Menschen denn in der Schule? Das musste doch tödlich langweilig sein! Und die geheimnisvolle Technik, um die die Menschen so viel Aufhebens machten, bestand bestimmt hauptsächlich aus einem Gewirr von Kabeln, über das man stolperte, bevor man ins Bett ging, das einen wahrscheinlich nicht einmal in den Schlaf wiegen konnte.

Am unvorstellbarsten aber war es für Elena, dass sie die ganze Zeit von Miranda getrennt sein sollte. Fünf Jahre lang! Das war ja nicht zum Aushalten, allein schon der Gedanke daran!

»Ich weiß, was du gerade denkst«, sagte Miranda und lächelte Elena an. »Das ist lieb von dir, aber ich finde, du solltest dir den Vorschlag deiner Großmutter durch den Kopf gehen lassen. Es wäre nämlich wirklich eine Chance für euch, aus diesem Schlamassel hier rauszukommen.«

»Danke, Miranda«, sagte Mona. »Ich sehe, du hast begriffen, worum es geht.«

»Fünf Jahre sind allerdings schon eine sehr lange Zeit«, meinte Miranda. »Darf man zwischendrin mal die Welten wechseln? Besuche machen? Darf man telefonieren und Post austauschen?«

»Sicher wird das möglich sein«, entgegnete Mona. »Der Oberamtszaubermeister wollte mir die HEXIL-Unterlagen baldmöglichst zukommen lassen, und darin steht alles, was wir wissen müssen.«

»Das heißt also tatsächlich, dass man im HEXIL nicht völlig abgeschnitten von der Hexenwelt ist«, sagte Miranda nachdenklich.

»Garantiert nicht«, bekräftigte Mona.

Miranda sah Elena an. »Du weißt, dass ich mich brennend für Menschen interessiere. Es muss doch wahnsinnig spannend sein, in einer Gesellschaft zu leben, die ganz ohne Magie zurechtkommt! Wie machen die Menschen zum Beispiel Licht? Wie verständigen sie sich ohne Kommunikationskugel? Wie wissen sie, wenn sie dringend gebraucht werden – ohne den Gedankennotruf?«

Elena zuckte die Achseln. War das wirklich so wichtig? Miranda übertrieb es. Menschenkunde war ihr größtes Hobby. Sie besaß sogar ein Märchenbuch der Gebrüder Grimm, das aus der Menschenwelt stammte. Miranda hatte es vor einem halben Jahr auf einem Flohmarkt ergattern können.

»Könnte ich nicht ins HEXIL mitkommen?« Miranda sah Mona bittend an. »Ich müsste natürlich erst meine Eltern fragen, ob sie einverstanden sind. Aber es wäre für mich eine einmalige Chance. Mein Wunsch ist es, später als Diplomatin zu arbeiten. Ich weiß, das ist alles noch Zukunftsmusik, aber vielleicht kann ich eines Tages einmal zwischen den Menschen und den Hexen vermitteln.«

»Das ist allerdings ein kühner Wunsch«, sagte Mona und ihr Gesicht wurde dabei ernst. »Die Menschen haben den Hexen in der Vergangenheit sehr großes Unrecht zugefügt, und seither wurden alle diplomatischen Beziehungen abgebrochen. Die Grenze zwischen den Welten wurde immer mehr verstärkt.«

»Darf ich ins HEXIL mitkommen?«, wiederholte Miranda flehend. »Ach bitte! Elena wird sich nicht so einsam fühlen, und wir könnten uns gegenseitig dabei unterstützen, Informationen über die Menschen zu sammeln.«

»Wir wissen ja noch gar nicht, ob wir tatsächlich gehen«, schaltete sich jetzt Jolanda ein, die die ganze Zeit geschwiegen hatte. »Ich gebe zu, Mutter, dein Vorschlag hört sich nicht schlecht an, aber so einen Entschluss kann man nicht übers Knie brechen. Außerdem muss ich Daphne und Rufus fragen, was sie davon halten – denn ohne meine Kinder gehe ich auf keinen Fall!«

Elena konnte sich schon vorstellen, dass ihre Schwester Daphne überhaupt nicht begeistert sein würde. Sie war fünfzehn und hatte seit Kurzem einen Freund. Daphne und die Jungs – das war ohnehin ein Kapitel für sich.

Seit ihrem zwölften Geburtstag war Daphne fast ständig in irgendjemanden verliebt und sorgte dadurch für jede Menge Chaos. Es lag nicht nur an ihren wechselnden Gefühlen oder an ihrem Herzschmerz. War eine Hexe verliebt, dann geriet ihre Magie außer Kontrolle. Zaubersprüche funktionierten nicht mehr oder ihre Wirkung war ungleich stärker als sonst. Gedanken oder Wünsche konnten Vasen zerschmettern oder Dinge zu Boden fallen lassen.

Selbst während des Schlafs riefen die Sehnsüchte einer verliebten Hexe zuweilen merkwürdige Lichterscheinungen hervor, beispielsweise tanzten manchmal auf den Bettpfosten geheimnisvolle blaue Flämmchen, Elmsfeuer genannt. Oder es erschienen sogar geisterhafte Gestalten.

Elena erinnerte sich noch genau daran, dass eines Nachts drei Zwerge, die in graue Kutten gehüllt waren, vor ihrem Bett gestanden hatten. Sie hatten dämlich vor sich hin gekichert und Elena war von ihrem Kichern wach geworden. Natürlich hatte sie sich fürchterlich erschrocken, aber dann waren die Zwerge mit einem gedämpften Knall zerplatzt und hatten im Zimmer einen Geruch nach wilden Rosen hinterlassen. Da hatte Elena gewusst, dass sie es mit Amormagie zu tun hatte – Gedankengestalten eines verliebten Hirns. Solche Gedankengestalten waren meist harmlos, konnten aber für Familienmitglieder sehr lästig werden. Papa hatte es geschafft, Daphnes magische Auswüchse einigermaßen einzudämmen, sodass der Alltag weitgehend reibungslos ablief. Aber jetzt war Papa ja leider ein Leguan …

Wenn eine Hexe verliebt ist:

dann verliert sie die Kontrolle über ihre Zauberkraft. Ein Zauber kann schwächer oder stärker ausfallen.dann entstehen während des Schlafs oft seltsame Lichterscheinungen über dem Bett, beispielsweise blaue Flämmchen.dann kommt es manchmal sogar zu Geistererscheinungen (sogenannte Amormagie). Diese Geister sind meist harmlos und zerplatzen wie Seifenblasen, aber andere Leute können dadurch erschreckt werden.

»Es wird Daphne guttun, wenn sie Abstand zu diesem Gregor bekommt«, sagte Großmutter Mona und ließ sich wieder auf der Sofalehne nieder. »Gregor ist genauso zwielichtig wie unser Le-gu-on im Terrarium. Es reicht, wenn eine aus der Familie einen Tunichtgut geheiratet hat. Deine Tochter muss nicht denselben Fehler machen wie du.«

Le-gu-on! Elena schüttelte den Kopf. Großmutter Mona fand immer neue Variationen, um Papas Vornamen zu verunstalten.

»Wer ist Gregor?«, fragte Jolanda verständnislos. Anscheinend war sie die Einzige, die nicht mitbekommen hatte, mit wem sich Daphne in der letzten Zeit immer traf.

»Ich spreche von Gregor van Luren«, klärte Mona sie auf. »Steinreiche Familie, aber lauter Schwachköpfe. Isidor van Luren, Gregors Großvater, war beispielsweise ein Anhänger der Purpur-Bewegung, und man munkelt, er habe Kontakte mit Vampiren gepflegt, bevor er vor dreißig Jahren verschwunden ist. Fabienne van Luren, eine weitläufige Cousine und nicht ganz richtig im Kopf, hat Drillinge zur Welt gebracht. Zwei davon waren ganz normale hübsche Hexenmädchen, aber das dritte Kind soll ein Werwolf gewesen sein, den Fabienne gleich nach der Geburt in einen reißenden Fluss geworfen hat …«

»Das ist jetzt Tratsch, Mutter!« Empört stand Jolanda auf. »Daphne ist sehr vernünftig für ihr Alter, und es ist mir lieber, sie trifft sich mit Gregor van Luren und seiner Clique, anstatt zur Einzelgängerin oder Außenseiterin zu werden … wie … wie …« Sie fuchtelte mit den Händen und brach mitten im Satz ab.

Wie ich, dachte Elena und hatte einen Kloß im Hals. Es stimmt. Daphne war schon immer viel beliebter als ich, und sie ist es noch immer – selbst jetzt, nach dem Unglück …

Nach wie vor wurde Daphne zu Partys eingeladen, und Elena hatte das Gefühl, dass die Jungs von dem dunklen Familiengeheimnis, das Daphne umgab, gerade erst angezogen wurden.

Elena hatte schon oft darüber nachgegrübelt, warum das bei ihr nicht funktionierte. Sie wollte zwar nicht unbedingt, dass die Jungs ihr nachliefen, aber ein bisschen mehr Respekt und Achtung hätten sie ihr schon entgegenbringen können. So aber war Elena die Zielscheibe von Spott und dummen Streichen. Nach Papas Verurteilung war es richtig schlimm geworden, und hätte Miranda ihr nicht treu zur Seite gestanden, wäre Elena manchmal schon verzweifelt.

Wenn ich ins HEXIL ginge, wäre ich wenigstens meine blöde Klasse los, schoss es Elena durch den Kopf. Die anderen könnten mich nicht mehr hänseln – und wenn ich in fünf Jahren zurückkehre, haben sie längst alles vergessen. Und wenn Miranda tatsächlich mitkommen würde …

»Glaubt mir, ein HEXIL ist wirklich das Beste für uns alle«, unterbrach Mona Elenas Gedankengänge. »Auch für dich, Jolanda, denn du wirst im HEXIL endlich wieder einer vernünftigen Arbeit nachgehen können! Hier bekommst du ja als Journalistin keine Aufträge mehr, weil dein Name mit Schmutz be…«

»Ja, ich hab’s begriffen«, sagte Jolanda heftig. »Du brauchst mir nicht bei jeder Gelegenheit unseren sozialen Abstieg unter die Nase zu reiben. Ich weiß, was mit uns passiert ist, ich bin ja nicht dumm.«

Elena staunte, weil ihre Mutter es sonst fast nie wagte, Großmutter zu widersprechen.

»Nicht dumm, aber verblendet.« Mona musste das letzte Wort haben. »Ich verstehe nicht, Jolanda, wie du diesen Vaga-bunden überhaupt heiraten konntest – und ich fürchte gar, du liebst ihn noch immer, obwohl er inzwischen so ein hässliches Ding ist! Ich kann es mir nicht anders erklären, als dass er dich heimlich verhext haben muss – und zwar gründlich. Wahrscheinlich hat er dich mit einem gemeinen Treuefessel-Zauber belegt, damit du in deinem Leben keinen anderen Mann mehr ansiehst. Jede andere Frau in deiner Situation hätte nämlich längst die Augen nach einem passenden Liebhaber offen gehalten, aber du …«

»Dieses Thema müssen wir jetzt nicht vor den Kindern ausdiskutieren«, sagte Jolanda mit einem Seitenblick auf Elena und Miranda. »Wirklich nicht. – Na gut, Mutter, du hast mich überzeugt. Ich werde mit Daphne sprechen. Bei Rufus mache ich mir keine Sorgen, er ist schließlich erst vier, und das HEXIL wird für ihn nichts anderes sein als eine lange Reise.«

»Das wird es für uns alle sein«, murmelte Mona. »Eine lange, aufregende Reise …«

Wem das Zaubern soll gedeihn, der muss bei guter Laune sein

Wie Elena erwartet hatte, machte Daphne einen Riesenaufstand, als sie am Abend von den Plänen erfuhr.

»Ich werde unter keinen Umständen ins HEXIL mitgehen«, erklärte sie und ihre Augen funkelten. Eines war grün, das andere blau. »Auf gar keinen Fall! Ich habe keine Lust darauf, mit Gregor eine Fernbeziehung zu führen. Und fünf Jahre – ihr seid ja wahnsinnig! Bis ich zurückkomme, bin ich alt und grau!«

»Du übertreibst«, sagte Mona gelassen. Sie schnippte mit den Fingern, und schon hielt sie einen ihrer geliebten Zigarillos in der Hand. Der Rauch stieg kräuselnd in die Höhe und verbreitete einen aromatischen Duft nach Minze. »Und ein bisschen Abstand zu Gregor würde dir guttun.«

»Ich hasse es, wie du uns immer alle rumkommandierst«, fauchte Daphne sie an. »Du benimmst dich arrogant und tust immer so, als hättest du hier das Sagen.«

»Und du benimmst dich gar nicht«, entgegnete Mona. Der Rauch bildete ein Quadrat, dann einen Würfel. Sie blickte ihm nach, wie er zur Decke stieg und sich dort schlangenlinienartig auflöste.

»Ich finde es ungeheuerlich, dass du von mir verlangst, all meine Freunde von einem Tag auf den anderen im Stich zu lassen«, sagte Daphne.

»Von einem Tag auf den anderen – davon ist gar nicht die Rede«, stellte Mona richtig. »Wir haben vier Wochen, um alle Vorbereitungen zu treffen. Das ist genügend Zeit, um zu entscheiden, was wir mitnehmen wollen. Wir können ohne Stress den Umzug organisieren und du kannst dich in aller Ruhe von deinen Freunden verabschieden.« Sie blies einen neuen Würfel in die Luft, dem zwei weitere folgten. Die Würfel türmten sich übereinander wie Bauklötze. Der Turm trieb diesmal waagerecht durchs Wohnzimmer in Richtung Terrarium. Der Leguan drehte seinen Kopf und folgte dem Rauchgebilde mit Blicken.

»Ich bin sicher, dass dein Gregor …«, so, wie Mona den Namen aussprach, klang es, als würde sie von etwas besonders Widerwärtigem reden, »… sogar eine Abschiedsparty für dich geben wird.«

»Das würde dir so passen, Großmutter!« Daphne stampfte mit dem Fuß auf. »Und jetzt hör endlich mit diesen albernen Spielereien auf. Außerdem ist Rauchen ungesund.«

»Diese Zigarillos sind völlig unschädlich«, widersprach Mona. »Der Tabak besteht aus persischer Pfefferminze, japanischer Heilquitte, zerstampftem brasilianischem Thymian und einem Hauch argentinischer Aloe vera. Ein Import aus der Menschenwelt. Ziemlich teuer wegen des Zolls, aber bald werde ich sie mir ja vor Ort kaufen können. Diese Zigarillos sind einfach ausgezeichnet.«

»Ich werde nicht mitgehen«, wiederholte Daphne.

»Im HEXIL wird es uns an nichts mangeln, wir werden eine wohlhabende Familie sein«, redete Mona ungerührt weiter. »Ich bin sicher, Jolanda wird dein Taschengeld nicht nur verdoppeln, sondern verzehnfachen, und du wirst endlich deine Freunde nicht mehr anpumpen müssen.«

Daphne wechselte die Farbe. »Woher weißt du, dass ich sie angepumpt habe?«, fragte sie verblüfft.

»Schätzchen, deiner Großmutter entgeht nichts«, sagte Mona, und der Rauch bildete nun die Umrisse von Münzen und Geldscheinen. »Deine Mutter ist in dieser Hinsicht zwar völlig blind, aber glaubst du, ich habe deine neuen Klamotten nicht gesehen? Und auch nicht, wie oft du in den letzten Wochen deine Frisur geändert hast? Ab heute brauchst du auch nicht mehr deinen neuen Besen aus Erlenholz mit Rasta-Reisig in der leeren Regentonne zu verstecken. Ich weiß längst Bescheid.«

»Woher hast du den Besen?«, entfuhr es Elena. Sie hatte sich schon in Grund und Boden geschämt, wenn sie mit ihrem eigenen Besen in der Schule ankam und jemand sie dabei beobachtete. Den alten Besen empfand sie selbst als die härteste Strafe – ausgenommen natürlich, dass Papa nun ein Leguan war.

»Gekauft, woher sonst?«, antwortete Daphne schnippisch und zupfte an ihrem kurzen, weißblonden Haar. »Dieses alte Ding war wirklich eine Zumutung. Ich habe fünfundzwanzig Minuten bis zur Schule gebraucht. Fünfundzwanzig Minuten! Da kann ich gleich zu Fuß gehen!«

Elena brauchte mit ihrem Besen einundzwanzig Minuten, an guten Tagen mit Rückenwind hatte sie es schon in achtzehn Minuten geschafft. Aber bergauf tat sich ihr Besen schwer. Elenas Rekord für den Heimweg lag bei dreiunddreißig Minuten. Sie öffnete gerade den Mund, um Daphne zu fragen, was sie mit dem alten Besen gemacht hatte, als es im Kamin ratterte und knackte. Dann fiel ein großes Paket auf die Feuerstelle.

»Immer diese billigen Kurierdienste«, schimpfte Mona, die sofort neben dem Kamin war und das Paket aus der Asche fischte. »Wenn jetzt ein Feuer gebrannt hätte …« Sie beendete den Satz nicht, sondern begann, das Paket zu öffnen.

Elena war neugierig, was sich darin befand. Gespannt sah sie zu, wie ihre Großmutter mit ihrem violett lackierten Fingernagel das Packband aufschlitzte und den Deckel der Schachtel aufklappte.

»Ah … das ging aber schnell!« Mona zog ein dickes Buch heraus. »Das ist das Fachbuch über die Spezies Homo sapiens sapiens, mit der wir es demnächst zu tun haben.« Das Buch schwebte in Richtung Elena. »Du kannst dich schon ein bisschen einlesen, wenn es dich interessiert. Ich habe es hauptsächlich für Jolanda bestellt, denn auf diese Grundlagen wird sie sich stützen, bevor sie mit ihren eigenen Forschungen beginnt.«

Elena fing den Band auf und las den Titel: »Vom Umgang mit Menschen« von Adrian Freitag Zwigge. Das Buch hatte 444 Seiten und war schon ziemlich vergilbt und abgegriffen.

Auszug aus dem Buch »Vom Umgang mit Menschen« 

von Adrian Freitag Zwigge:

Die Menschenfrau

Bei den Menschen (Homo sapiens sapiens) ist eindeutig der Mann dominant – im Gegensatz zu den Hexen und Zauberern (Homo sapiens magus), bei denen Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Die Menschenfrau ordnet in der Regel ihre Wünsche denen ihres Ehemanns unter und kümmert sich um Kinder und Küche. Ihre wahre Berufung ist es, hinter dem Herd zu stehen und sich für ihre Familie aufzuopfern. Beim Kochen findet sie Erfüllung und Zufriedenheit, und nichts ist beglückender, als ihrem erschöpften Gatten bei dessen Heimkehr erst einmal Ruhe zu gönnen und ihm dann ein Glas kaltes Bier zu bringen.

Die Menschenfrau sorgt sich um reine Wäsche und muss – da ihr magische Kräfte fehlen – allerlei Mittel und Tricks ersinnen, um das Weiß zur Perfektion und die Farben zum Strahlen zu bringen. Flecken, die sie nicht beseitigen kann, bereiten ihr schlaflose Nächte und geben ihr das Gefühl, eine schlechte Hausfrau zu sein. Für ihre Kinder hält sie immer ein Stück Schokolade oder einen Becher Milchpudding bereit – ein Mittel, das bei Menschen gegen kleinere Verletzungen, schlechte Laune oder mittelmäßige Schulleistungen hilft.

Die Menschenfrau sorgt in ihrem Heim für gute Laune und Fröhlichkeit, während der Mann seinen Geschäften nachgeht und sich in seiner Freizeit körperlich ertüchtigt, um stark genug zu sein, damit er seine Frau und seine Kinder vor Feinden beschützen kann (denn auch dem Menschenmann fehlen natürlich magische Kräfte). Er ist es, der das Geld verdient, aber es ist selbstverständlich, dass er seiner