Magie des Konflikts - Reinhard K. Sprenger - E-Book

Magie des Konflikts E-Book

Reinhard K. Sprenger

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Beschreibung

Der Konflikt ist die Lösung - für Zusammenhalt, Innovation, Erfolg

Konflikte. Jeder hat sie, niemand will sie. Deshalb wollen wir sie schon im Vorfeld verhindern oder möglichst schnell lösen. Genau das ist falsch, sagt Reinhard Sprenger, der als Managementberater und Autor seit Jahrzehnten Themen gegen den Strich bürstet, Kontroversen entfacht und in diesem Buch einen revolutionär neuen Konfliktbegriff entwickelt. In Konflikte gehen wir nur in Erwartung einer gemeinsamen Zukunft, sei es als Paar, unter Freunden, mit unseren Kindern oder am Arbeitsplatz. Der Konflikt sollte keinesfalls gemieden werden, denn er belebt, schafft Zusammenhalt und ermöglicht Fortschritt und Erfolg. Weil uns das tiefe Verständnis für Konflikte fehlt, haben wir nie gelernt, wie wir angemessen im Konfliktfall agieren, was zu tun ist und was zu lassen (z.B. alten Ärger präsentieren). Dieses Buch führt Schritt um Schritt in die Magie des Konflikts und leitet an zum Umdenken: Die Lösung des Konflikts zu tauschen gegen den Konflikt als Lösung.

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Über das Buch:

Konflikte. Jeder hat sie, niemand will sie. Deshalb wollen wir sie schon im Vorfeld verhindern oder möglichst schnell lösen. Genau das ist falsch, sagt Reinhard Sprenger, der als Managementberater und Autor seit Jahrzehnten Themen gegen den Strich bürstet, Kontroversen entfacht und in diesem Buch einen revolutionär neuen Konfliktbegriff entwickelt. In Konflikte gehen wir nur in Erwartung einer gemeinsamen Zukunft, sei es als Paar, unter Freunden, mit unseren Kindern oder am Arbeitsplatz. Der Konflikt sollte keinesfalls gemieden werden, denn er belebt, schafft Zusammenhalt und ermöglicht Fortschritt und Erfolg. Weil uns das tiefe Verständnis für Konflikte fehlt, haben wir nie gelernt, wie wir angemessen im Konfliktfall agieren, was zu tun ist und was zu lassen (z. B. alten Ärger präsentieren). Dieses Buch führt Schritt um Schritt in die Magie des Konflikts und leitet an zum Umdenken: Die Lösung des Konflikts zu tauschen gegen den Konflikt als Lösung.

Über den Autor:

REINHARD K. SPRENGER, geboren 1953 in Essen, hat in Bochum Geschichte, Philosophie, Psychologie, Betriebswirtschaft und Sport studiert. Als Deutschlands profiliertester Managementberater und einer der wichtigsten Vordenker der Wirtschaft berät Reinhard K. Sprenger alle wichtigen Dax-100-Unternehmen. Seine Bücher wurden allesamt zu Bestsellern, sind in viele Sprachen übersetzt und haben die Wirklichkeit in den Unternehmen in 30 Jahren von Grund auf verändert. Zuletzt sind von ihm bei DVA erschienen »Das anständige Unternehmen« (2015) und »Radikal digital« (2018).

Reinhard K. Sprenger

Magie des Konflikts

Warum ihn jeder braucht und wie er uns weiterbringt

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Copyright © 2020 by Deutsche Verlags-Anstalt, Münchenin der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Covergestaltung: Büro Jorge Schmidt, München

Zeichnung: Peter Palm, Berlin

Typografie und Satz: DVA/Andrea Mogwitz

E-Book Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-641-25536-7

V004

www.dva.de

Für Wolfgang Hildesheimer, dessen gedankliche und sprachliche Pluralität mich einst anstiftete. Heute hätte er einem Buch möglicherweise diese Trigger-Warnung vorangestellt:

Inhalt

Vorwort

Teil 1 Klärungen

Konflikte sind Motoren des Lebens

Konflikte vitalisieren Unternehmen

Die Normalität des Konflikts

Individualisierung und kulturelle Unterschiede als Konfliktverstärker

Das »Was« und »Wie« des Konflikts

Es gibt nicht nur eine Vernunft

Alles Denken beginnt mit Konflikten

Das Gemeinsame im Trennenden finden

Zum Konflikt gehören zwei

Gemeinsame Zukunft oder flüchtige Begegnung?

Wann Sie in einen Konflikt einsteigen sollten. Und wann nicht.

Teil 2 Mehrdeutigkeiten

Konflikte entscheiden (I): Schwarz oder weiß?

Konflikte entscheiden (II): Denken Sie Grau!

Konflikte entscheiden (III): Kompromisse

Ambiguitätstoleranz – wie mit Mehrdeutigkeit umgehen?

Tolerieren

Balancieren

»UND« als Metakompetenz

Teil 3 Psycho-soziale Konflikte

Konflikt als Erwartungsdifferenz

Konfliktdämonisierung

Erwartungen und Unterscheidungen

Platons Kugelwesen

Wie der Verstand funktioniert und die Natur sich durchsetzt

Rechthaben

Luxus-Rechthaben: Wenn Sie kein Problem haben

Das Gewinner-Verlierer-Modell

Wahrheit behaupten heißt, einen Konflikt haben

Gefühl als Kalkül

Der Beginn des Konflikts: Unterscheiden und Abwerten

Dreierlei Erwartungen

Erwartungen – festhalten, fallenlassen oder verhandeln?

Fremde Erwartungen

Erwartungen und Enttäuschungen

Beziehung dominiert die Sache

Was sind Sie sich eigen-wert?

Der Kampf um Anerkennung

Spiele um Aufmerksamkeit

Selbstbegegnung

Carl Gustav Jung: Schatten – Eine Übung

Zulassen macht gelassen

Ich sah dich und erkannte mich

Ihr Weg in die Vollständigkeit – Lost and Found

Enneagramm – Die 9 Gesichter des Selbst

Das Ziel des Konflikts

Perspektivwechsel: Both sides now

Both sides now

Die ultimative Konfliktlösung

Konfliktgespräche führen (I): Der richtige Zeitpunkt

Konfliktgespräche führen (II): Rabattmarken fortwerfen

Konfliktgespräche führen (III): Klarheit und Klärung

Konfliktgespräche führen (IV): Die sieben Klärungen

Teil 4 Systemisch-soziale Konflikte

Menschen handeln immer sinnvoll

Ohne Vorteil kein Konflikt

Individualisierung struktureller Konflikte

Der Fall Thomas D. – Eine Übung

Unternehmen als Widerspruchsverarbeiter

Rollenkonflikte

Personalisierung struktureller Entscheidungen

Widerspruchsvernichtung – Sieg als Niederlage

Teil 5 Führung

Widerspruch einführen

Der blinde Fleck der Hierarchie

Was zählt? Ihr Verhalten im Konfliktfall!

Gute Störung: Mobilisierung

Konflikte im digitalen Zeitalter

Germany’s next Superboss: der Konfliktkünstler

Urteilskraft – die Metakompetenz der Zukunft

Zum Schluss: Wie gelingt das Gemeinsame?

Anhang

Ambivalenzen des Sozialen

Literaturverzeichnis

»Das ist er! riefen die beiden Frauen mit einer Stimme und ergriffen den Zauderer. Für eine von ihnen hatte er sich bereits entschieden und nannte sie daher ›Die Lösung‹. Seitdem verfolgte ihn die andere und bedrohte ihn (…). Sie hieß folglich ›Das Problem‹. Aber Lösung und Problem gehörten zusammen wie Auge und Apfel, sie sollten einunddieselbe Frau für ihn sein. (Problem) forderte, daß er Lösung verlasse und sie wähle. Das hätte er tun können, denn Problem war für sich betrachtet anziehend genug. Aber wäre dann Lösung nicht zum Problem geworden? Wie sie beide vereinigen und er durch beide hindurch der Vereinigungsfaktor?«

Botho Strauß

»Den Satz des Widerspruchs zu vernichten ist vielleicht die höchste Aufgabe der höheren Logik.«

Novalis

»Deine Zauber binden wieder / was der Mode Schwert geteilt«

Friedrich Schiller,»An die Freude«(Urtext)

Vorwort

»Magie des Konflikts« – seit Jahren gebe ich ein öffentliches Seminar mit diesem Titel. Oft wurde ich gefragt, wo man den Inhalt nachlesen könne. Nun, hier! Es schien mir dringlich, meine Praxiserfahrungen und Gedanken rund um Konflikte niederzuschreiben. Dies vor dem Hintergrund gesamtgesellschaftlicher Beunruhigung. Die allgemeine Gereiztheit nimmt zu, zivilisierende Filter brechen weg, der Zeitgeist verändert sich – oft Zeit minus Geist.

War im Kalten Krieg die Welt noch klar in Gut und Böse geteilt, so verlaufen die politischen und gesellschaftlichen Konfliktlinien jetzt kreuz und quer durch die westlichen Gesellschaften. Die Frontstellungen haben sich nach innen verlagert und formen dort neue Konfliktmärkte. Auf diesen Märkten handeln wir auch unsere eigenen Konflikte, im Privaten wie im Beruflichen. Das gesellschaftliche Klima umgibt uns und bildet den Hintergrund dafür, wie wir mit unserem Partner, mit Freunden, mit unseren Kindern in Konflikten handeln. Und natürlich prägt es uns besonders am Arbeitsplatz. Zwar sind die Spannungen einer hysterischen Öffentlichkeit in den Unternehmen noch kaum angekommen, aber das könnte sich rasch ändern, wenn wir nicht lernen, Konflikt anders zu begreifen. Dieses Buch macht jedenfalls nicht selbst den Wind, für den sein Autor die Segel setzt.

Im Hintergrund steht die Frage: Wie schaffen wir Zusammenhalt? Wie schaffen wir ein »Wir« – in der Gesellschaft, als Familie, im Unternehmen? Die Antwort dieses Buches lautet:

Der Konflikt ist die Lösung.

Ja, ich weiß, das klingt rätselhaft, aber doch auch verheißungsvoll, nicht wahr? Es geht mir dabei um nicht weniger, als Ihre Wahrnehmung des Konflikts fundamental zu verändern. Auch Ihre Selbstwahrnehmung im Konfliktfall. Egal, ob es um Auseinandersetzungen im Privaten oder am Arbeitsplatz geht – überall gilt es, die tiefgreifenden Vorurteile zu Konflikten zu prüfen, die uns gefangen halten. Vor allem jene Einseitigkeiten, die in Konflikten etwas Negatives, ja Niederziehendes sehen. Denn der Konflikt ist immer schon da – und wird weiterhin da sein. Als System, als Struktur, als Hohlform. Er wartet geradezu darauf, dass wir ihn mit Inhalten füllen. Diese könnten unterschiedlicher kaum sein: Werte, Ehekrach, Ziele, Wettbewerb, Kindererziehung, Familienfehden, Entscheidungen, Fremdgehen, Verhandlungen, Fußballspiele, Meinungsverschiedenheiten, Elternabende, Work-Life-Balance – suchen Sie sich etwas aus.

Dabei wird Konflikt zumeist missverstanden. Es wird nicht gesehen, dass der Konflikt verbindet, was getrennt wurde, vereint, was sich zu sondern drohte. Wie der Zirkustrick von der zersägten Dame: Der Zauberer hat die Illusion der Trennung erzeugt, die Dame war nie wirklich zersägt. Für einen kurzen Augenblick haben wir es geglaubt. Das ist das Magische am Konflikt: In nahezu allen Erscheinungsformen scheint er zu spalten – und fügt doch zusammen, was ich im weiteren Verlauf des Buches zeigen werde. Er ist Teil von jener Kraft, die (manchmal) das Böse will und doch das Gute schafft. Jedenfalls scheint es mir an der Zeit, die Lösung des Konflikts einzutauschen gegen den Konflikt als Lösung.

Halten Sie das für ein Sprachspiel? Für Übertreibung? Provokation? Wenn Ihnen das »Ja, aber …« auf den Lippen liegt oder Sie gerade aktuell unter einem Konflikt leiden, bitte ich um etwas Geduld. Ich will Ihre Skepsis keineswegs vom Tisch wischen. Schon aus eigener Erfahrung nicht. Aber geben Sie mir eine Chance, Konflikt neu zu beschreiben und zu bewerten – als ein Unterwegssein in einer unablässig schwankenden Wirklichkeit. Weil Leben heißt: Widersprüche verwalten – in der Gesellschaft, im Unternehmen, in privaten Beziehungen und in sich selbst.

Um Sie für die Magie des Konflikts zu gewinnen, beginne ich mit einigen grundsätzlichen Aussagen zum Konflikt. Dafür knipse ich verschiedene Lampen an, die den Konflikt in ein neues Licht tauchen. Wie Sie den Konflikt anschauen – das ist entscheidend dafür, wie Sie mit ihm umgehen. Ich hoffe jedenfalls, dass Sie die eine oder andere Beleuchtung er-leuchtet. Danach widme ich mich der Grundbedingung von Konflikten: der Tatsache, dass alles sein Gegenteil in sich trägt, alles einen Pluspol und einen Minuspol hat: die Mehrdeutigkeit der Wirklichkeit, Gegensatz, Ambivalenz – Worte für konfliktäre Uneindeutigkeit. Und damit für Realität. Drittens zeige ich, was mit uns passiert, wenn der Minuspol abgespalten wird: innere Verödung. Und was passiert, wenn wir diese Abspaltung nach außen tragen: psycho-soziale Konflikte. Aber auch, im positiven Fall, wenn wir als Individuen den Weg in die Souveränität gehen. Im vierten Teil schildere ich den Konflikt als Ordnungsprinzip von Organisationen. Ich zeige, dass der Konflikt nicht nur Individuen vitalisiert, sondern auch Unternehmen. Und was passiert, wenn das verkannt wird: systemisch-soziale Konflikte. Im fünften und letzten Teil ziehe ich Konsequenzen für Führungskräfte, den Lückenbüßern der Organisation. Gerade für sie gilt: Der Konsens darf nicht auf Kosten der Zukunft des Unternehmens gehen, der Konflikt nicht auf Kosten der Einheit.

Hinweise, die das Gesagte ergänzen, finden Sie optisch hervorgehoben. Beide Textteile sollen Ihnen Lust machen, mit frischen Augen auf eine Kraft zu schauen, die ertragen werden muss, aber zugleich der Motor unserer Zukunft ist. Letztlich geht es mir darum, Ihnen zu helfen, leichter mit Konflikten umzugehen. Und mit sich selbst.

Mit sich selbst? Ja, gerade Konflikte am Arbeitsplatz bleiben selten dort – wir nehmen sie mit in unsere Familien, Partnerschaften und Freundeskreise. Deshalb sage ich nicht ohne pathetischen Unterton: Ob Ihr Leben gelingt, entscheidet sich im Konflikt! Ob Sie gesund bleiben, entscheidet sich im Konflikt! Ob Sie als Manager erfolgreich sind oder eben nicht, entscheidet sich im Konflikt!

Steile Thesen, mögen Sie denken. Aber was, wenn es stimmt? Beginnen wir mit einigen Klärungen.

_Teil 1

Klärungen

Konflikte. Jeder hat sie. Niemand will sie. Deshalb wollen die meisten Menschen sie möglichst weiträumig umfahren. Und wenn das nicht geht, hinter sich bringen. Oder gar lösen. Verständlich. Ist aber etwa so wahrscheinlich wie die Deutsche Meisterschaft für meinen heimatlichen Fußballklub Rot-Weiss-Essen. Mehr noch: schädlich. Wie das?

Gesamtgesellschaftlich hält sich das Vorurteil, dass nur das harmonische Einverständnis der Menschen Zusammenhalt bietet. Konflikt gilt als das Gegenteil von Harmonie und Zusammenhalt, als die Negation des Miteinanders. Man will ihm aus dem Weg gehen oder ihn aus dem Weg schaffen. Das verkennt die magische Doppelwertigkeit von Konflikten.

Natürlich sind Konflikte lästig. Im Grunde will niemand etwas mit Konflikten zu tun haben. Im Extremfall zerstören sie sogar: Eltern-Kind-Beziehungen, Freundschaften und Ehen. Sie zermürben Unternehmen und spalten Nationen. Betrachtet man einige Meter Ratgeberliteratur, dann springt folglich das Vermeiden ins Auge: »Konfliktfrei leben« heißt es da, »Wie man Konflikte löst« und »Konflikte positiv bewältigen«. Diese Titel bezeichnen den Kulturkonsens, die allgemein verpflichtende Lebensweise.

Aber, Hand aufs Herz, ist ein Leben ohne Konflikt wirklich wünschenswert?

Beobachten Sie sich selbst! Sie werden von Konflikten wahrscheinlich ebenso abgestoßen wie angezogen. Man spricht von »dunklen Wolken«, die aufziehen. Aber auch vom »reinigenden Gewitter«, das alles blitzsauber wischt. Manchmal ist der Konflikt ja nicht nur die Lösung, sondern geradezu Erlösung.

Und auch das werden Sie kennen: Wer keine Konflikte hat, ist langweilig. Interessante Geschichten in der Literatur wie im wahren Leben basieren fast immer auf Konflikten. Spannungsverhältnisse sind nicht nur belastend, sondern machen das Leben eben auch – spannend. Eine Zauberwirkung: Lassen Sie den zerstreutesten Zeitgenossen seinen Weg suchen, und er wird unfehlbar wie eine Kompassnadel von einem Konflikt angezogen.

Manche lassen sich von Konflikten geradezu »verhexen«. Oft glaubt man die Menschen kaum wiederzuerkennen, wenn man sie in Konflikten erlebt. Diese Energie! Vergleichen Sie mal zwei Menschen, die heiraten, und zwei, die sich scheiden lassen. Die Frau, die »Keinen Tag länger!« ruft – sie ist nicht dieselbe, die einst das Ja-Wort hauchte. Und der Mann, der »Auf immer und ewig!« beteuerte, ist vielleicht sich selbst ein Fremder geworden. Das sind nicht zwei Menschen, das sind vier. Magisch.

Konflikte sind vor allem dann magisch anziehend, wenn andere ihn haben. Es gibt nicht wenige Menschen, die zwar behaupten, selbst keine Konflikte zu haben, jedoch von zahllosen Konflikten in ihrem Umfeld berichten. Das mag Realitätsausblendung sein. Richtig daran ist: Von den meisten Konflikten sind Sie nicht direkt betroffen. Sie werden Ihnen medial vermittelt. Bequem sitzen Sie in Ihrem Sessel, bekommen die Konflikte mundgerecht serviert, mit Sicherheitsabstand.

Die meiste Zeit also beobachten Sie Konflikte. Sie beobachten, wie andere Menschen andere Menschen beobachten, sie beurteilen und entsprechend handeln. Zeitungen leben davon und Fernsehnachrichten. Ein kurzer Krieg macht bekanntlich bessere Schlagzeilen als ein langer Frieden. Und nichts begeistert den Fernsehzuschauer mehr als die Revolution in einem fernen Land. Ohne Konflikte wären ganze gesellschaftliche Subsysteme gegenstandslos. Das Rechtssystem zum Beispiel, oder die Wehrtechnik. Ebenso: Wahlkämpfe, Demonstrationen, wissenschaftliche Dispute, ja sogar Sportereignisse blieben ohne Resonanz, fehlte ihnen das Hexenkesselige. Opern, Theaterstücke, ein Überangebot an Gegenständen, die Menschen sich ausgedacht haben, um sich gegenseitig zu massakrieren, in den Museen einige Quadratkilometer gemalte Konflikte, die beim Betrachter Schrecken und Mitleid auslösen. Die Marter des heiligen Sebastian, die Verspottung Christi, Perseus kämpft mit der Medusa, der heilige Julian wird enthauptet, Seeschlachten, Gemetzel ohne Ende. Auch die Filmindustrie ist ständig damit befasst, scheußlich-schöne Schrecken hervorzubringen, damit wir unser archaisches Notverhalten nicht vergessen. Wie Platons Höhlenbewohner sind wir gefangen in einem Kino, das uns täglich mit Auseinandersetzungen, Empörungsanlässen und breaking news in Bann schlägt. Und wir werden nicht gefangen gehalten, sondern binden uns selbst, weil wir diese Konflikte als Unterhaltung lieben.

Ich habe daher nur mühevoll der Versuchung widerstanden, alle Bereiche des Lebens als Modifikationen von Konflikt aufzufassen. Auch Vergnügungen und spielerische Lebensaspekte stehen ja, wie gesagt, keineswegs in Opposition dazu. In Konflikten tritt jedenfalls das Grundgewebe unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens exemplarisch zutage. Durch sie und in ihnen erfahren wir mehr über uns und unsere soziale Wirklichkeit.

Wenn wir auf Unternehmen schauen, erkennen wir auch dort den Magnetismus des Konflikts. Einerseits: Konflikte stören Prozesse, Energie wird »innen« gebunden. Wenn Energie nach innen geht, kann sie nicht nach außen gehen, zum Kunden. Zudem machen Konflikte Kollegen zu Gegnern, die dann weiter so tun, als seien sie Kollegen. Produktiv ist das nicht. Und immer kommen Konflikte ungelegen: Man hat Bahnbrechendes vor und zack! – plötzlich hängt der Abteilungssegen schief, weil irgendeine Rüpelvariante eines Kollegen sich nicht im Griff hat. Studien zeigen, dass Manager bis zu 18 Prozent ihrer Arbeitszeit für das Moderieren von Konflikten aufwenden.

Andererseits: Die Attraktion von Konflikten ist auch im Unternehmen riesig. Wenn Sie in einer Organisation ab einer gewissen Größe arbeiten, kennen Sie den Klatsch und Tratsch über Streit zwischen einzelnen Personen, zwischen Abteilungen, zwischen ganzen Organisationsbereichen, die überhaupt nicht »miteinander können« oder gar »zerstritten« sind. Wer gegen wen? Wer hat gewonnen? Wer verloren? Konflikte haben in Unternehmen oft die Qualität von Showspektakeln vor vollem Haus. Der ansonsten routinierte Arbeitsalltag nimmt Fahrt auf. Das hat Tradition: Seit Jahrtausenden versuchen die Menschen der Wiederkehr des Alltäglichen zu entfliehen, egal wohin. Das kann Fest, Abenteuer und Kino sein, das kann eben auch Zwist, Streit und Konflikt sein. Konflikt lässt den Adrenalinspiegel steigen – und alle Lebenszweifel treten in den Hintergrund. Vermutlich werden Sie mir zustimmen: Einen Teil Ihres Gesamteinkommens verdanken Sie dem Unterhaltungswert Ihres Unternehmens. Der wäre dann vergnügungssteuerpflichtig …

Konflikte ziehen also an und stoßen ab. Wer nur die abstoßende Wirkung fühlt, billigt zwar die übliche Dämonisierung, schadet sich aber selbst, weil er etwas ganz Zentrales übersieht: die lebensspendendeFunktion von Konflikten.

Konflikte sind Motoren des Lebens

»Konflikt!« Ein scharfer Anlaut, zwei kurzen Silben, ein noch schärferer Ablaut – das bleibt nicht im Hintergrund. Das ist eckig, drängt zur Bewegung, ist anstößig und stößt an. Dieses Belebende können wir entdecken, wenn wir auf Konflikte schauen, die uns selbst betreffen. Alles, was wir können, all unsere Talente verdanken wir Grenzsituationen: Widerständen und Problemen. Sie fordern uns heraus, lassen uns wachsen, entwickeln neue Sichtweisen und Fähigkeiten.

Wenn gesellschaftliche Lebensqualität darin besteht, jeder einzelnen Person zur bestmöglichen Verwirklichung ihrer individuellen Fähigkeiten zu verhelfen, dann war das historisch noch immer mit häufig erbitterten Konflikten verbunden. Das Negative ist also das eigentlich Positive. Jeder Segler weiß, dass Gegenwinde viel häufiger sind als achterliche Winde. Der kundige Segler weiß sie zu nutzen … genau wie jener, der auf dem Titelkupfer der Schrift abgebildet ist, mit der Francis Bacon 1620 den Konflikt als Fortschrittsmotor der Neuzeit einbürgerte: »Viele werden ratlos umherirren, und die Erkenntnis wird groß sein.«

Ich übertreibe also nur wenig, wenn ich Sie bitte, »Hurra, ein Konflikt!« zu rufen. Da geht was voran.

Das Leben beginnt, wenn die Komfortzone endet.

Im Kindesalter geht es los. Identität zum Beispiel gibt es nur durch Konflikt. Als Abgrenzung gegenüber den Eltern. Dadurch wird Kraft freigesetzt, Kraft, die wir zum Wachsen brauchen. Wenn ein Kind sich nicht an den Eltern reiben kann, entwickelt es keine Ich-Stärke. Dann lernt es nicht, eigene Bedürfnisse durchzusetzen. Wenn nach der Shell-Jugendstudie 2019 mehr als 90 Prozent aller Jugendlichen ein gutes oder sehr gutes Verhältnis zu ihren Eltern haben, ist das keineswegs nur begrüßenswert. Ohne Konflikt werden diese Kinder die Welt nicht für sich erobern können.

Auch Beziehungen entscheiden sich an der Peripherie, also im Konfliktfall – so wie Architektur sich nicht über die ruhigen Flächen definiert, sondern an den Rändern, Kanten und Übergängen. Konflikte wirken stabilisierend auch auf Liebesordnungen. Wer in seiner Beziehung nie einen Konflikt hatte und diesen bewältigen musste, der bleibt anfällig für Erschütterungen. Auch »Traumpaare« erweisen sich nicht in den dahinplätschernden Regelabläufen, sondern in der virtuosen Kontroverse. Die entgiftende Wirkung des Ehekrachs – Erlösung von der halbbewusst quälenden Unausgetragenheit. Dann weiß man: Wir sind da gemeinsam durchgegangen und konnten uns anschließend wieder in die Augen sehen. Dann hat der Konflikt seinen Zauber wirken lassen.

Der Konflikt gibt uns also Gelegenheit, heranzureifen und uns zu stärken. Deshalb gilt: An die Ränder gehen, Konflikte verstehen und vernünftig handhaben, ist das A und O eines gelingenden Lebens.

Konflikte vitalisieren Unternehmen

Konflikt als Katalysator für Entwicklung und Wachstum – das gilt in besonderem Maß auch für Unternehmen. So wie nach einem geheimnisvollen Gesetz fast jedes Gebrechen eine besondere Begabung als Gegengewicht hat, so stimulieren Konflikte Veränderungen. Sie wirken wie Warnblinkleuchten: Es muss etwas geschehen! Das ist besonders wichtig für die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens: Nur der Konflikt löst von den Fesseln vergangener Erfolge. Auch insofern ist der Konflikt die Lösung – zum ersten Mal verstand ich das Wort in seiner wahren Bedeutung (im Sinne von »Loslösung«), als ich diesen Satz schrieb.

Nehmen Sie die Zusammenarbeit im Unternehmen: Sie wird durch Konflikte klüger, gehaltvoller. Konflikte zeigen die Vielschichtigkeit von Sachverhalten auf, die sonst unbemerkt blieben. Wenn Sie den anderen in seiner Weltsicht »besuchen«, wirklich interessiert sind. Mehr noch: Im Konflikt finden Sie heraus, was der andere wirklich will. Niemals werden Sie mehr über jemanden erfahren und über das, was ihm wichtig ist, als wenn er dafür in den Konflikt geht!

Insofern sind Konflikte produktiv im besten Sinne: Sie sind für das Unternehmen, was der Regen für die Felder ist: das Lebenselixier einer agilen, zukunftsfähigen Arbeitsgemeinschaft. Jede Innovation, jeder Fortschritt ist aus einem Konflikt hervorgegangen. Denken Sie nur an Galileo Galilei, dessen wegweisende Forschungen zur Kosmologie und Astronomie ihm einen Dauerkonflikt mit der katholischen Kirche einbrachten, was schließlich sogar in einem Prozess gegen ihn gipfelte. Er blieb am Leben, aber andere – wie beispielsweise Giordano Bruno – kostete diese Auseinandersetzung das Leben. Auch Darwins Evolutionslehre ist Ergebnis und zugleich Teil des Konflikts mit der Kirche, die Gott als alleinigen Schöpfer allen Lebens sah. Immerhin wurde Darwin im 19. Jahrhundert bloß noch in erbitterte Streitgespräche verwickelt, aber nicht mehr verbrannt.

Als ein Beispiel für eine Erfindung aus der jüngeren Zeit seien hier die Post-it-Haftnotizen genannt, die der 3M-Mitarbeiter Art Fry gegen den Widerstand des Managements weiterentwickelte und, obwohl ihm wiederholt Forschungsbudgets verweigert wurden, zu einer der »wichtigsten Erfindungen des 20. Jahrhunderts« (Fortune) machte.

Der Konflikt geht also allem Neubeginn voraus. Wenn Sie genau hinhören, rauscht im Konflikt der Zauberwind der Zukunft.

Eine solche Perspektive revolutioniert unsere Vorstellungswelt von unternehmerischer Kooperation. Wenn wir das Versprechen ernst nehmen, das der Konflikt gibt, dann ist die Norm im Unternehmen nicht mehr die Eintracht, die gleichbedeutend ist mit Stillstand, sondern der Konflikt, der bewegt und das Potenzial von Veränderung und Erneuerung in sich trägt. Hat man den Konflikt erst einmal als Weltbeweger erfasst, resultiert daraus geradezu die Pflicht zum Konflikt. Er ist ein Zauber gegen alles, was stillzustehen droht, ein Therapeut der Paralyse. Wir sollten daher dem Konflikt vertrauen. Uns mit ihm anfreunden. Ihn sogar genießen, wenn wir ihn aus einem bestimmten Blickwinkel anschauen.

Wer an dieser Stelle die Stirn runzelt, schaue sich die erfolgsgelähmte Schweizer Medtech-Branche an, die deutsche Automobilindustrie, den zwischen Handelskrieg und Klimarettungseuphorie eingeklemmten Maschinenbau oder auch Großbritannien angesichts des Brexit-Dramas. Werfen Sie auch einen Blick auf die Harmoniezirkel deutscher Aufsichtsräte. Die Spitzen der deutschen Wirtschaft sind meist männlich, akademisch, westdeutsch, um die 50 Jahre alt und eng miteinander verbandelt. »Kartell der Klone« nannte das die Wirtschaftswoche im Oktober 2019. Sperrige Typen werden ausgemendelt. Dabei geht es nicht nur um Geld und Macht – die Monokultur im Management soll vorrangig Konflikt vermeiden. Die Bereitschaft des speaking up, des offenen Stellungs- und Oppositionsbeziehens, ist kaum entwickelt. Man kennt sich, respektiert sich, sucht jemanden, der »passt«. Wie in der Spätphase des antiken Roms bürgert man nicht aufgrund von Bildung und Leistung ein, sondern aufgrund nachgewiesener Loyalität. Dieses Phänomen nennt die Organisationspsychologie »homo-soziale Reproduktion«. Ein anderes Wort dafür ist »Inzest«. Das Ergebnis: programmierter Konsens durch Schweigen. Konflikt vermeiden aber heißt die Zukunft vermeiden.

Deshalb, auch auf die Gefahr hin, hier Anstößiges zu formulieren: Wenn Sie wirklich Energie im Unternehmen freisetzen wollen, dann dürfen Sie Konflikte nicht zudecken, sondern müssen sie aufdecken. Mehr noch: Anfachen. Dann können Sie die Komplizenschaft von Konflikt und Unternehmensentwicklung nutzen. Wenn sich hingegen alle einig sind, wartet der Tod des Unternehmens:

Einigkeit macht starr.

Der magische Doppelcharakter des Konflikts kommt in dieser Formulierung gut zum Ausdruck. Konflikt ist lästig und listig, stört und hilft gleichzeitig, ist unvermeidbar und unterhaltsam, ärgert und erfrischt, schreckt ab wie ein Minenfeld, zieht an wie ein Magnet. Die Lust auf Veränderung sitzt ebenso tief wie die Furcht davor. Die Urangst vor dem Verlassenwerden hält sich die Waage mit dem bösen Vergnügen an der Zerstörung. Konflikt ist also zunächst weder gut noch schlecht. Er ist.

Auch wenn man den Doppelcharakter des Konflikts grundsätzlich anerkennt – überwiegt nun das Störende oder das Helfende? »Well, it depends!«, würde der kluge Manager sagen. Aber unter den Vorzeichen sich rapide verändernder Unternehmensumwelten sollte die chancenreiche Seite betont werden. Konflikt hilft.

Meine Erfahrung als Referent und Berater belegt jedoch nahezu täglich das Gegenteil. Man bucht gerne einen Vortrag, der den internen Status Quo bestätigt. Kritisches Infragestellen ist selten erwünscht; man wolle »die Leute« nicht irritieren. Im Grunde erklärt man damit die eigenen Mitarbeiter für blöd. Wichtiger noch: Man immunisiert sich gegen Entwicklung. Und das sollte in Unternehmen doch bei Strafe verboten sein! Nicht der Konsens, sondern der Dissens beweist die Vernunft einer Diskussion. Diese Diskussion muss uns Gründe abverlangen, warum wir es anders sehen.

Der Konflikt als sozialer Kitt des Unternehmens – das ist noch kaum verstanden worden. Dass aufrichtig und zivilisiert streiten ein Bindemittel ist. Ein Zeichen gegenseitiger Anerkennung. Man streitet sich ja nur mit demjenigen, den man als ebenbürtig und gleichwertig anerkennt (in früheren Zeiten hätte man »satisfaktionsfähig« gesagt). Der Soziologe Georg Simmel beschrieb schon 1908 den konstruktiven Streit als Chance, das Miteinander auszuhalten, ohne fliehen oder den anderen beseitigen zu müssen. Das wird selten zugestanden. Derart viel wird unter den berühmten Teppich gekehrt, dass man kaum noch darauf laufen kann. Vor allem auch in Familienunternehmen hält man sich gerne wechselseitig die Hand vor Augen. Amerikaner kennen das schöne Sprachbild walking on eggshells.

> siehe Kasten: Konflikte in Familienunternehmen

Aus all dem folgt: Es ist einerlei, ob Sie viele oder wenige Konflikte in Ihrem Leben haben. Es kommt darauf an, was Sie daraus machen. Wenn Sie Konflikt als Chance sehen. Deshalb geht es mir darum, Konflikt im Unternehmen zu aristokratisieren. »What’s so funny about peace, love and understanding?«, fragt der formidable Nick Lowe in seinem besten Song. Und John Lennon hätte ihm verschmitzt geantwortet: »Give war a chance!«

Die Normalität des Konflikts

Die meisten Menschen haben für ihr Leben das innere Bild eines möglichst langen, ruhigen Flusses, in dem Turbulenzen die Ausnahme sind. Dem Konflikt kommt in dieser Vorstellung der Charakter des Besonderen zu. Er ist eine Stromschnelle, die – um im Bild zu bleiben – möglichst zu umschiffen ist. Danach fließt das Wasser wieder ruhig und harmonisch. Ein trügerisches Bild. Vielmehr gilt:

Konflikte sind die Regel, Harmonie die Ausnahme.

Diese Aussage mag Sie irritieren, vielleicht aber auch befreien. Befreien von einem Missverständnis: Harmonie bedeutet nicht »Gleichklang«, sondern »Zusammenklang«. Letzteres funktioniert nur bei »Gegenstimmen«. Harmonie ist also der kluge Umgang mit Gegenstimmen. Befreien müssen wir uns aber vor allem von der Erwartung, das Leben müsse irgendwie konfliktfrei fließen. Laufen wir nicht alle täglich mit Konflikten herum? Mit inneren zumeist? Mit Entscheidungen, die zwar fällig sind, aber noch nicht gefällt? Mit dem Zwiespalt in uns, dass wir vielleicht weder Fleisch essen noch den Wäschetrockner nutzen, sogar bei schlechtem Wetter das Fahrrad nehmen – dann aber doch seufzend in das Flugzeug nach Marokko steigen und damit unsere Ökobilanz versauen? Mit äußeren Konflikten als alltägliche Begleiterscheinungen menschlichen Miteinanders? Mit Meinungsverschiedenheiten, Streit und Unfrieden in unserem sozialen Konvoi: Nachbarn, Freunden, Bekannten? Verwandten vor allem: »Wir sind verwandt / mit dem Messer in der Hand«, singt Annett Louisan. Und Streit mit Verwandten schmerzt mehr als Ehekrach – von Eltern und Geschwistern kann man sich nicht scheiden lassen.

Ebenso im Geschäftsleben: Jede Verhandlung ist im Grunde konfliktär. Denken Sie an Tarifverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. Denken Sie an Verhandlungen mit Lieferanten. Denken Sie an Zielvereinbarungen im Unternehmen. Auch in Projekten und Teams ist Konfliktfreiheit wirklichkeitsfremd. Denken Sie an Revierstreitigkeiten nach Fusionen: Die neue Zusammengehörigkeit provoziert das not invented here. Genau so ist es bei Umstrukturierungen, und die passieren ja eigentlich ständig. Im Grunde ist jede Veränderung mit Spannung verbunden – weil sie alle jene zum Gegner hat, die aus dem Status Quo ihre Vorteile ziehen.

Das Bild vom ruhigen Fluss führt also in die Irre. Das Gegenteil ist richtig: Konflikt ist das Normale. Mehr noch: Das Konfliktpotenzial zwischen Menschen ist so riesig, dass man sich eher wundern sollte, warum wir uns nicht ständig in den Haaren liegen. Aus dieser Perspektive fällt es direkt viel leichter, in einen Konflikt einzusteigen, oder?

Konflikt als Regelfall – Gründe dafür gibt es viele. Diese beiden hier sind fundamental:

Individualität ist Differenz. Subjektivität ist Dissens.

Menschen werden immer individueller, haben unterschiedliche Ziele und Absichten. Etliche davon passen nicht zueinander. Das ist die Differenz. Der Dissens erklärt sich so: Jenseits der Subjektivität gibt es für uns als Gattungswesen nichts zu holen. Alles Verstehen ist gebunden an Vorwissen und Vorannahmen des Beobachters. Es ist also eine Kreisbewegung, die nur das wahrnimmt, was sie schon kennt und erwartet, aber im Regelfall mit dem Selbstverständnis des Beobachteten (Aussage, Text, Verhalten) nicht übereinstimmt. Im Jargon der Philosophen ist das der »hermeneutische Zirkel«: Objektivität ist nicht menschenmöglich, wir kommen aus unserer wahrnehmenden und bewertenden Befangenheit nicht heraus. Wir müssen uns also zu unserer unvermeidbaren Subjektivität bekennen. Alles andere wäre naiver Realismus.

Differenz und Dissens – beide Aspekte tragen dazu bei, dass der Konflikt allgegenwärtig ist.

Individualisierung und kulturelle Unterschiede als Konfliktverstärker

»Konflikt ist Freiheit, weil durch ihn allein die Vielfalt (…) menschlicher Interessen und Wünsche in einer Welt notorischer Ungewissheit angemessen Ausdruck finden kann.« Prophetische Worte des Soziologen Ralf Dahrendorf aus dem Jahr 1967. Seitdem ist die Welt noch vielfältiger geworden. Unter anderem als Folge der Globalisierung, der ständigen Grenzüberschreitung. Diese hat die Konfliktpotenziale geradezu explodieren lassen. Verschiedene Kulturen, Traditionen, Religionen stoßen aufeinander. Aber auch innerhalb gleicher Kulturkreise: Überall zu beobachten ist die Tendenz zur Singularität, zum Nuancieren, zum Betonen der Unterschiede. Diese Logik des Besonderen kassiert jeden Anspruch auf Verallgemeinerung. Sie brandmarkt das Ein- und Unterordnen unter ein Gemeinschaftsdenken als anachronistisch.

Mit Konsequenzen für die Unternehmen: Das menschliche Ökosystem, das wir früher »Belegschaft« oder »Personal« nannten, existiert nicht mehr. Jedenfalls nicht mehr als homogene Einheit. Es ist auch hier das uralte Anderssein des Anderen, das uns in seinen modernen Auffächerungen erschüttert. So feiern wir in Hochglanzbroschüren eine »Diversität«, die uns jedoch vielfach das Leben erschwert: Der andere ist so »anders«, so gar nicht so wie ich, manchmal unerträglich anders. Wie soll es da konfliktfrei zugehen? Die doppelte Paradoxie wird zumeist übersehen: 1. Unterschiede sind das Einzige, was alle gemeinsam haben. 2. Anderssein wird zum Konformismus.

> siehe Kasten: Diversität

Die sich verschärfenden Konflikte werden konkret am Arbeitsplatz. Auch da verlieren soziale Konventionen ihre Verbindlichkeit; die persönlichen Lebenswelten driften immer stärker auseinander. Gerade die jüngeren Generationen, um die auf den Personalmärkten heiß gekämpft wird, sind mit ihren Lebensentwürfen kaum bereit, sich dem vorgeformten Unternehmensmodell zu unterwerfen. Junge Menschen wollen nicht mehr katalogisiert werden. Sie wollen in ihrer Merkmalhaftigkeit anerkannt werden. Sie fragen nach Flexibilitäten, an die frühere Generationen nicht zu denken wagten und die zur traditionellen Form der Organisation in oft massiver Spannung stehen. Nicht selten haben es junge, federnde, extrem gut ausgebildete Wissensarbeiter mit Chefs zu tun, die von der Sache schlicht keine Ahnung (mehr) haben. Die jedoch auf ihre Positionsautorität pochen und sagen, wo es langgeht. Man muss kein Psychologe sein, um sich die Folgen dieser Schieflage vorzustellen.

Das »Was« und »Wie« des Konflikts

Wie gelingt es, unter diesen schwierigen Bedingungen Zusammenhalt zu sichern? Wie mit Konflikt umgehen? Ich kann die Konsequenz der folgenden Antwort für Ihr reales Konfliktverhalten nicht hoch genug veranschlagen: Was immer Sie tun, es ist zunächst und zutiefst abhängig davon, welchen »Begriff« Sie vom Konflikt haben. Die Auffassung vom Konflikt bestimmt die Handhabung. Das »Was« bestimmt das »Wie«. Und für die meisten Menschen trägt Konflikt eine Vorentscheidung in sich: Sie sehen ihn (1) als Ausnahme und bewerten ihn (2) negativ. Das ist kellertief in unser soziales Gefüge eingesenkt.

Analog dazu denken die meisten Konfliktratgeber über ihren Begriff von Konflikt gar nicht nach. Sie setzen ihn einfach voraus. Für sie ist von vorneherein klar, was ein Konflikt ist und dass er weggeschafft werden muss. Falsch! Sagt dieses Buch. Denn vor dem Hintergrund einer solchen Auffassung konzentriert man sich nur noch auf das »Wie«. Man greift zu Tricks und Methoden – die alle nicht funktionieren. Eben weil man Konflikt missversteht. Es ist ein Grundirrtum zu glauben, ein Konflikt resultiere aus einem Fehlverhalten und sei deshalb korrigierbar. Diese Denkweise ist dafür verantwortlich, dass sowohl Wirtschaft wie Politik angesichts vieler neuer Konflikte lediglich gute Absichten bieten, sonst aber nur Ratlosigkeit. Mehr noch: Entschiedenes Wollen und der Glaube an die Erziehbarkeit der Welt erzeugen die Konflikte, die sie wähnen lösen zu können.

Begreifen Sie Konflikt hingegen als die eigentliche menschliche Lebensform, die sich selbst ständig erneuert, also als Daueraufgabe, die aus einem Normalverhalten resultiert, dann sieht das »Wie« ganz anders aus. Dann bewegt sich Ihre Welt. Dann wird Entwicklung und Fortschritt möglich. Dann können Sie Konflikt nutzen.

Deshalb biete ich Ihnen keine »Werkzeuge« zu einer vermeintlichen Konflikt-»Lösung« an. »Werkzeug« unterstellt, dass etwas zu reparieren ist. Das ist falsch. Es geht um ein anderes Begreifen des Konflikts und um einen selbstsicheren Umgang mit ihm, was ich im Verlauf dieses Buches entfalten will.

Es gibt nicht nur eine Vernunft

Haben Sie schon einmal erlebt, dass trotz intensiven Austauschs der Argumente keine Einigung zu erzielen war? Oder Sie sich nicht einmal auf das Thema Ihrer Auseinandersetzung einigen konnten? Dass Sie dauernd aneinander vorbeiredeten? Ich will Sie auf einen Aspekt aufmerksam machen, der in seiner Bedeutung für Konflikte, ja für das Miteinander in allen sozialen Zonen dieses Planeten noch gar nicht richtig begriffen wurde.

Wir, und damit meine ich die Mehrheit der Leser dieser Zeilen, sind aufgewachsen in einem gesellschaftlichen Klima, das VERNUNFT sehr groß schrieb. Die zudem überzeugt ist, dass es im Grunde nur eine Vernunft gäbe. Das Hintergrundprogramm, gleichsam die Software dafür, hat der imperiale deutsche Philosoph Jürgen Habermas in den 1960ern geschrieben. Dieses Programm geht davon aus, dass wir alle eine gemeinsame Sachlichkeit beanspruchen, innerhalb derer Argumente und Gründe gelten. Dabei kommt es idealerweise zu einer »herrschaftsfreien« Situation. In der kann jeder alles sagen und nur die Argumente liegen im »Wider-Streit«. Letztlich gibt der »zwanglose Zwang« des besseren Arguments den Ausschlag. Dem unterwerfen sich dann alle – »vernünftigerweise«. Unter Umständen braucht es dafür einen Schiedsrichter, wie bei einem Fußballspiel: Er sagt nicht, was richtig oder wahr ist – er sagt, was gilt.

Diese Sichtweise ist gleichsam die unhinterfragte Rationalität von »Konflikte lösen«, »Konfliktfrei führen« und »Vereinbarungen treffen«, manchmal sogar von »Konflikten vorbeugen«. Also des Paradigmas, dass Konflikte negativ und irgendwie aus der Welt zu schaffen sind. Bezeichnenderweise kommen Konflikte in den Habermas-Texten kaum vor.

Nun haben wir seit vielen Jahren (nicht nur in Unternehmen) eine Situation, die wir »Globalisierung« nennen. Es kommen und arbeiten Menschen zusammen aus den unterschiedlichsten Kulturen, mit den unterschiedlichsten Prägungen und Moralvorstellungen. Diese Menschen beziehen sich nicht auf einen gemeinsamen Erfahrungshintergrund, sondern auf je unterschiedliche. Deshalb teilen sie auch nicht eine gemeinsame Ordnung, innerhalb derer Konflikte gelöst werden können. Der Konflikt entsteht vielmehr zwischen den Ordnungen. Es prallen auch nicht Geltungsansprüche aufeinander (»Mein Argument wiegt schwerer als deins!«), sondern Erfahrungsansprüche (»Dein Argument kenne ich gar nicht, es ist für mich keins!«). In den jeweiligen kulturgeprägten Erfahrungswelten nämlich gibt es Dinge, über die man nicht streiten kann. Weil sie nicht »widerstreiten«, sondern, viel grundsätzlicher, der jeweiligen Vernunft »widersprechen«. Etwa, wenn jemand dogmatisch die Familienehre hochhält. Tradition! Wahrheit! Natur! Mohammed! Oder »America first!« (wie ohnehin viele Amerikaner meinen, sie hätten qua Geburt eine privilegierte Nähe zur Wahrheit). Ebenso die »finanzielle Vernunft!« – und nicht anerkennt, dass in der Wirtschaft etwas anderes als rational gilt als in der Wissenschaft, wieder anders im Rechtssystem oder in der Politik.

So verschärft die Globalisierung soziale Konflikte, die in international aufgestellten Unternehmen oft kulturelle Konflikte sind. Manche scheinen kaum überbrückbar, weil die Menschen völlig anders »ticken«. Sie halten ihr Verhalten für ganz und gar »selbstverständlich« und zeigen im Konfliktfall keinerlei Bewusstsein für Mitverantwortung. Nehmen Sie als Beispiel nur das Thema »Vereinbarungen halten« – weltweit gibt es im Grunde darüber keinerlei Moralkonsens. Asiaten sehen das völlig anders als Europäer. Selbst innerhalb Europas: Tschechen haben davon eine ganz andere Auffassung als Deutsche und diese wieder eine andere als Franzosen. Oder das Gleichgewicht von Geben und Nehmen als sozialen Basiskonsens – dafür haben gewisse Kulturen kein Gefühl.

Will heißen: Solange man über eine Vernunft, über einen gemeinsamen Maßstab verfügt, kann man sich einigen. Sobald aber der Maßstab wechselt, ist eine Einigung nicht mehr möglich; diese Konflikte kann man nicht argumentativ beilegen. Wenn der jeweils andere sagt »Ihr Menschenbild interessiert mich nicht!«, ist das Gespräch vorbei. Dann stellt sich die Frage, ob beide überhaupt zusammenarbeiten sollten. Die Explosionskraft dieser Schlussfolgerung (auf den Weltmaßstab hochgerechnet) kann sich jeder selbst ausmalen. Deshalb sollten Sie sich gelegentlich daran erinnern, dass nicht zusammenpassen muss, was einfach nicht zusammengehört!

Darf ich Sie um erhöhte Aufmerksamkeit bitten? Der destruktive Umgang mit Konflikt resultiert aus der insgeheimen Übereinkunft, dass es nur eine Rationalität gibt! Die eigene. Wenn ich nur einen Grund nennen müsste, warum Konflikte eskalieren, dann genau deshalb. Darum: Anerkennen Sie, dass Rationalität keine absolute Größe ist. Dass es mehrerlei Vernunft gibt. Dass es auch (scheinbar) »unvernünftige« Ordnungen gibt, die erfahrungsgesättigt sind und deshalb Geltung beanspruchen dürfen. Dass man jedoch die Spielräume nutzen sollte, die jede noch so rigide Dogmatik zulässt. Wie der Volksmund sagt: »Etwas geht immer.« Dass es zum Beispiel unterschiedliche Interpretationen von »Natur« gibt, dass es Felder gibt, auf denen sich »ökologische« und »wirtschaftliche« Logik nicht widersprechen. Dass man einen soliden Selbstzweifel an der Einzigrichtigkeit seiner Erkenntnisfähigkeit nie verlieren sollte.

Alles Denken beginnt mit Konflikten

Konflikte sind jedoch noch viel tiefer in unsere Existenz eingewoben. Sie beginnen schon auf der Ebene unserer Sprache, die um die Idee des Verstehens herum gebaut ist: Am Anfang war das Wort, gleich danach kam das Missverständnis. Weil jeder Mensch nun mal ein Unikat ist, weil er anders ist, andere Erfahrungen gemacht hat, auf andere Weise erfolgreich geworden ist, andere Interessen hat. Es ist das unentrinnbare Nicht-Verstehen, das den Konflikt provoziert. Denn was wir erkennen, was überhaupt erkennbar ist, ist eine Differenz.

> siehe Kasten: Verstehen ist unwahrscheinlich

Daher, erstens: Alle Kommunikation ist das Mitteilen einer Differenz. Wenn das Kommunizierte keinen Unterschied machte, würden wir es gar nicht wahrnehmen. Interessant wird es, wenn wir die Differenz im bereichernden Sinne bemerken: »Hm, das ist ja ein ganz neuer Aspekt!« oder »So habe ich es noch nie betrachtet.«

Zweitens: Voraussetzung aller Mit-Teilung ist die Teilung. Diese erst macht Kommunikation möglich. Ohne Teilung, ohne Differenz, ohne persönliche, räumliche, zeitliche Distanz braucht es keine Kommunikation. Entferntsein ist ihre Grundbedingung. Wenn wir dieses Entferntsein voneinander »überbrücken«, dann wird Zusammenhang gestiftet, gleichzeitig wird aber auch diese Distanz bestätigt.

Drittens also schafft Kommunikation Nähe unter vorausgesetzter Distanz. Was im Falle des Verliebtseins verwirrt; doch auch dann sollte man Erotik nicht mit Rhetorik verwechseln.

Viertens: Kommunikation kann auch zum Widerspruch einladen. Das Lernen, das viel beschworene Lernen – was ist das anderes als die berühmte »kognitive Dissonanz«? Etwa: Sie wissen etwas beziehungsweise glauben etwas zu wissen, und dann werden Sie konfrontiert mit einer »dissonanten Information«. Wenn diese Sie nicht überzeugt, können Sie sie ignorieren oder deren Überprüfung aufschieben. Wenn sie Ihnen einleuchtet, nennen Sie es »Erkenntnis«.

Alle Erkenntnis ist also eine Verlustgeschichte. Insofern immer Kritik – Kritik am Bisherigen. Das hat uns der Philosoph Hans-Georg Gadamer gezeigt: Denken ist der Verlust von Gewissheit. Um eine Erfahrung reicher sein, heißt: um eine Gewissheit ärmer.

Und da man nichts verlieren kann, ohne etwas anderes zu gewinnen, gilt:

Konflikt ist nicht das Ende des Denkens, sondern dessen Anfang.

Somit ist der Konflikt ein geiststimulierendes Geschehen, das uns den äußeren Schein der Dinge durchdringen lässt und die tieferliegenden Ordnungen freilegt. Konflikt ist gleichsam ein Vehikel; es eröffnet den Durchgang zwischen Bekanntem und Unbekanntem, zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Zivilisation und Wildnis. Auch darin ist der Konflikt magisch.

Aus dieser Perspektive ergibt sich: Konfliktfreiheit ist nicht nur unwahrscheinlich, sondern gar kein erstrebenswertes Ideal. Wie kann man nur, frage ich Sie, noch zur Seite gesprochen, auf die Idee kommen, ein konfliktfreies Leben sei prima? Alles Denken bliebe Andenken. Ein Königreich für einen frischen, kontroversen Gedanken!

Das Gemeinsame im Trennenden finden

Konflikt kommt vom lateinischen Verb »con-fligere«, das »kämpfen«, »aneinandergeraten«, »zusammenstoßen«, sogar »zusammenschlagen« heißt, aber auch »zusammenbringen«, »vereinigen«. Ich möchte Sie hinweisen auf das »con«, das »zusammen« – die Sprache denkt wieder einmal für uns. Man muss irgendwas miteinander zu tun haben, um einen Konflikt zu haben. Hat man nichts miteinander zu tun, hat man auch keinen Konflikt. In einem übertragenen Sinne binden Konflikte also aneinander. Das ist nicht so trivial, wie es zunächst scheint. Aus zwei Gründen. Erstens:

Man muss etwas Gemeinsames haben, um etwas als trennend zu erleben.

Was immer das Gemeinsame sei: ein Raum, eine gemeinsame Zeit, auch die Übereinstimmung, dass man ein Problem hat und ein gemeinsames Interesse, es aus dem Weg zu räumen. Ein Konflikt muss auch nicht unbedingt auf eine Vereinbarung hinauslaufen – häufig reicht das Ziel, einander besser verstehen zu wollen. Und das heißt keineswegs, einverstanden zu sein!

Dieses Gemeinsame ist in einem positiven Sinne bezugsfähig. Es könnte eine gute Basis sein für den konstruktiven Umgang mit einem Konflikt. Sich zunächst auf einen Minimalkonsens zu einigen: »Ja, wir haben etwas Gemeinsames, nämlich dieses …« Manchmal ist das »nur« die Liebe zur Sache, im besten und schwierigsten Fall ist es Liebe. Und Liebe ist die natürlichste Form der Magie.

Der Konflikt umfasst also immer gleichzeitig beides: sowohl Dissens als auch Konsens! Sie bedingen und ergänzen einander. Das klingt zunächst ungewohnt, ja kontraintuitiv. Es lohnt sich vielleicht für Sie, anlässlich eines aktuellen Konflikts einen Augenblick darüber nachzudenken: »Was ist das Gemeinsame, das uns trennt?« Wenn es gut geht, dann trennt der Streit nicht, sondern macht das Gemeinsame erst bewusst.

Zweitens: Auf einer anderen Ebene zeigt sich eine weitere Paradoxie: Uneinigkeit kann eine echte Quelle von Frieden und freundlichem Umgang miteinander sein. Umgekehrt kann Übereinstimmung Konflikt oder sogar Krieg bedeuten. Wie das? Nun, wenn zwei Parteien miteinander streiten, dann setzt das – wie gerade gezeigt –Übereinstimmung auf einer anderen Ebene voraus. Etwa über den Wert von etwas, um das man konkurriert. Ein begehrtes Objekt etwa oder ein gemeinsames Ziel, das nur einer der beiden Kontrahenten erreichen kann. Allerdings macht die Übereinstimmung über den Wert von, sagen wir: Marktanteilen, die Kontrahenten nicht unbedingt zu Freunden. Uneinigkeit über diesen Wert hätte sich vertragen. Man hätte einfach Verschiedenes gewollt. Beispiel: Wer nur Hering isst, dem ist egal, ob die Thunfischbestände dezimiert werden. Die Konkurrenz – und damit der Konflikt – beginnt erst, wenn der Heringesser auch Thunfisch mag. Oder: Ein Unternehmen kann von den Mitarbeitern leidenschaftlich unterstützt werden, weil sie stolz sind auf die Firmenzugehörigkeit und eine langjährige Erfolgsgeschichte – obwohl sie sich über Strategien oder Personalentscheidungen nicht einigen können. Also: Gemeinsames macht Trennendes überhaupt erst kenntlich – und umgekehrt.

> siehe Kasten: Sündenböcke

Zum Konflikt gehören zwei

Erst war Adam. Dann Eva. Mit ihr begann der Konflikt. Aber auch die Möglichkeit, zu denken, zu erkennen, Neues zu erfahren. Und es war nicht mehr langweilig, wenngleich beide aus dem Paradies vertrieben wurden.

Auf die Öffnung der paradiesischen Langeweile können Sie unterschiedlich reagieren. Sie können sich vor dem Konflikt wegducken, dann haben Sie Ihre Ruhe. Aber Sie werden von Ihrer Umwelt als schwach und wenig belastbar angesehen. Sie können nachgeben, dann hält man Sie für einen guten »Teamplayer«; Ihre Bedürfnisse bleiben jedoch auf der Strecke. Sie können den Konflikt austragen, dann gelten Sie als willens- und durchsetzungsstark; aber Sie haben anstrengende Zeiten. Wie mein damals 12-jähriger Sohn sagte: »Manchmal ist es einfach cool, sich aufzuregen.« Oder Sie können den Konflikt auf kluge Weise ansprechen, wenn Sie selbst betroffen sind. Oder moderieren, sollten Sie nicht selbst oder nur indirekt involviert sein.

Das sind nur einige Optionen. Grundsätzlich haben Sie eine viel prinzipiellere Wahl; die Entscheidung liegt bei Ihnen:

Sie sind nicht gezwungen, einen Konflikt zu haben.

Zum Konflikt gehören zwei. Einer der handelt, und einer der reagiert. Jene strenge Frage auf den ersten Seiten der Bibel: »Kain, wo ist dein Bruder Abel?« – sie ist mit den einfachen Worten des 2015 verstorbenen Motörhead-Sängers Lemmy Kilmister zu beantworten: »Ich bin verantwortlich für das, was ich tue. Ich muss mich hinter nichts verstecken. Der Teufel hat mich zu nichts gezwungen. Was immer ich tat, ich tat es selbst.« Extremsituationen einmal ausgenommen, kann Ihnen also niemand einen Konflikt aufzwingen. Sie haben die Freiheit, gar nicht erst einzusteigen. Oder die Freiheit auszusteigen, indem Sie das Gemeinsame verlassen, aufkündigen. Wie hoch der Preis dafür ist, das kann nur jeder selbst für sich beantworten. Die einen verharren im Konflikt bis zur Selbstaufgabe, wollen mit dem Kopf durch die Wand. Der Pferdehändler Michael Kohlhaas in Heinrich von Kleists gleichnamiger Erzählung zum Beispiel, der sich für den Tod entschied, weil ihm in der Sache Unrecht geschah. Andere fragen sich, ob es nicht doch etwas Wichtigeres gibt, als die ohnehin kurze Lebenszeit mit Streitereien zu vergeuden. Lohnt sich die Anstrengung überhaupt? Ihr Motto: »Unrat lässt man vorbeischwimmen.« Aber vielleicht ist der Konflikt ja auch »time well wasted«. Denken Sie an den Unterhaltungswert. Kann man vorher nicht wissen. Ein Preis ist ohnehin fällig – so oder so.

Dieses Element, dass Sie zu einem Konflikt »Ja« sagen müssen, um ihn zu haben, wird von den meisten Menschen übersehen. Sie ignorieren, dass sie an etwas Gemeinsamem festhalten und sich nicht davon trennen. Wird es dennoch gesehen, negieren sie diesen Eigenanteil. Sie erleben sich als Opfer; als passiver Empfänger eines Übergriffs. Der Konflikt scheint ihnen aufgezwungen: »Aus heiterem Himmel! Ich kann gar nichts dazu!«. Wenn Sie aber im Menschen ein Freiheitswesen sehen, dann verstehen Sie vielleicht, dass ich beharrlich bleibe: Sie sind kein Konfliktopfer! Sie haben sich als Konfliktpartner zur Verfügung gestellt. Dafür haben Sie gute Gründe. Das Motiv dafür liegt im Gemeinsamen. Dieses Gemeinsame sollten Sie auf jeden Fall für sich klären, gegebenenfalls auch ansprechen und sichern. Das verschiebt den Fokus von der Trennung auf das Verbindende. Also: Denken Sie zurück an Ihren letzten größeren Konflikt. Was war das Gemeinsame, zu dem beide Konfliktpartner »Ja« gesagt haben?

Ironischerweise laden auch diese Aussagen wieder zu mannigfaltigem Widerspruch ein. Weiter unten können Sie zum Beispiel lesen, dass zum Konflikt nicht immer zwei gehören – manchmal reicht einer völlig aus. Sie selbst.

Gemeinsame Zukunft oder flüchtige Begegnung?

Sie sitzen im Zug. Ihnen gegenüber: der andere. Der quasselt unaufhörlich – im Ruheabteil. Am nächsten Tag telefoniert ein anderer lauthals und für jeden hörbar die intimsten Familiengeschichten durch den Waggon. Am übernächsten Tag hat wieder ein anderer die Musik so laut aufgedreht, dass ihm die Trommelfelle platzen müssten – es platzt aber nur Ihnen etwas: der Kragen. Am Tag danach hackt der So-und-so-vielte-andere lauter und lauter auf seinen Laptop ein, als müsse er den Rechner bestrafen. Und an den Tagen danach stopft ein weiterer anderer knoblauchdünstendes Kebab in sich hinein, schlürft Dosenbier, zieht die Schuhe aus und den Schnodder hoch.

Warum aber, so frage ich Sie, gibt es so viele Konflikte im Zug? Weil man weiß, dass das Zusammensein nur von kurzer Dauer ist. Dann wird man rücksichtslos. Falls Sie nicht Zug fahren: Wer je nach einer Theatervorstellung seine Garderobe erringen musste, weiß, wovon ich spreche.

Sollten Sie schon ein paar Jahrzehnte auf dieser Erde zugebracht haben, dann teilen Sie meine Erfahrung: Alles präsentiert sich im Angesicht der Zukunft, die man erwartet. Jeder Mensch, jede Beziehung, jedes Unternehmen. Deshalb nehmen Menschen Kredite auf oder investieren. Manche heiraten sogar. Auch Sie handeln in der Erwartung einer wahrscheinlichen zukünftigen Gegenwart: Gehen Sie davon aus, dass Sie sich wiedersehen werden? Wie lange wird Ihr gemeinsamer Weg mit einem anderen Menschen noch sein? Ist es ein Weg mit aufsteigender Lebenslinie? Absteigender? Werden Sie die Spätfolgen Ihres Handelns spüren? Sollten Sie Führungskraft sein: Bereiten Sie mit Ihren Entscheidungen eine gemeinsame Zukunft vor? Oder nur Ihre eigene? Dies sind Fragen, mit denen Sie von Ihren Mitarbeitern beurteilt werden.

Sobald es an der Erwartung einer gemeinsamen Zukunft fehlt, verliert man wechselseitig das Interesse aneinander. Dann schwindet das Gefühl des Gemeinsame-Sache-Machens, es bildet sich keine »gefühlte« Solidargemeinschaft. Denken Sie an die vielen Ehekonflikte im mittleren Alter: Die Kinder sind aus dem Haus, man wird kaum mehr gebraucht, über der Partnerschaft weht spürbar ein Abendhauch. Das hat diese Konsequenz:

In Konflikte gehen Sie nur in Erwartung einer gemeinsamen Zukunft.

Ein O-Ton aus der Paartherapie: »Unsere Beziehung ist schon länger tot.« – »Wann etwa ist sie denn gestorben?« – »Etwa in dem Moment, wo wir aufgehört haben, uns zu streiten.« Zu irgendeinem Zeitpunkt kippt häufig der heiße Konflikt in ein kaltes Anschweigen, das oft schlimmer ist als die lautstarken Angriffe, die es ausgelöst haben. Warum? Weil man keine gemeinsame Zukunft mehr sieht. Weil die Hoffnung erloschen ist. Dann investiert man nicht mehr in den Konflikt, sondern meidet die offene Auseinandersetzung. Heimlich beschäftigt man sich mit alternativen Lebensszenarien, bereitet den Exit vor. Es ist eben kein Zeichen von Stabilität, keinen Konflikt zu haben! Im Gegenteil: Es ist ein Alarmzeichen.

Das prägt auch das »Wie«, das prägt auch den Umgang mit Konflikt. Der ist weniger der einen oder anderen individuellen Fähigkeit zu danken. Sondern schlicht der Erwartung, dass man einen Weg miteinander vor sich hat. Insbesondere dann, wenn eine wirklich langfristig angelegte Kooperationsbeziehung auf dem Spiel steht, gilt es, Konflikte so auszutragen, dass die Verbindung auf Dauer keinen Schaden nimmt. Die Griechen, schreibt Platon, »kämpfen untereinander als solche, die sich wieder vertragen wollen«. Sie waren Gegner