MAGNETSTURM - T. H. Isaak - E-Book

MAGNETSTURM E-Book

T. H. Isaak

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Beschreibung

Über dem Schwarzen Meer verunglückt ein griechisches Regierungsflugzeug. Vizeverteidigungsminister Kranidakis kommt dabei ums Leben. Nikos Pavlides von der Kriminalpolizei Thessaloniki wird von der Athener Staatsanwaltschaft mit der kriminalistischen Untersuchung des Flugzeugunglücks betraut. Im Verteidigungsministerium trifft er auf eine Wand des Schweigens. Bald wird klar: Nur Moskau kann weiterhelfen. Gemeinsam mit dem russischen Staatsrat Michail Lefterjewitsch Korodin macht sich Pavlides an die Aufklärung der tödlichen Havarie. Die Spur führt in hohe griechische Regierungskreise. Wird die Wahrheit jemals zu Tage kommen?

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Ähnliche


T. H. Isaak

MAGNETSTURM

Kriminalroman

Ein Pavlides-/Livanou-Politthriller

Copyright: © 2020 Telemachos Hatziisaak

www.hatziisaak.ch

www.konterkult.ch

Lektorat: Leandra Pesavento

Umschlag & Satz: Erik Kinting – www.buchlektorat.net

Coverbild: ghoststone (depositphotos.com)

Verlag und Druck:

tredition GmbH

Halenreie 40-44

22359 Hamburg

978-3-347-10207-1 (Paperback)

978-3-347-10208-8 (Hardcover)

978-3-347-10209-5 (e-Book)

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten zu lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.d-nb.de abrufbar.

"Es hat keinen Sinn, dem Spiegel die Schuld zu geben, wenn das Gesicht entstellt ist."

Nikolai Wassiljewitsch Gogol (1809-1852)

Inhalt

ATHEN

Startklar

Inspektion

Befragung

Aris Asimoglou

Rapport

Staatsinteressen

Daphne’s

Gate

MOSKAU

Korodin

Gespräche

Im Yar

Heimatfront

Videokonferenz

Heiliger Tichon von Sagonsk

Restaurant Praga

Puzzleteile

NAFPLIO

Tauchstation

Imperium

Magnetsturm

Kalliope

Leuchtturm

Abschliessen

Epilog

ANHANG

DANK

ATHEN

Startklar

Auf dem Display steht DIMOS YDT.

YDT für Ypourgío Dimósias Táxis, Ministerium für öffentliche Ordnung.

DIMOS für Dimitris Papadopoulos.

Enge Freundschaft verbindet sie. Gemeinsames Jura-Studium an der Aristotelischen Universität. Frühe 1980-er Jahre. Aufbruchstimmung. Papandreous Sozialisten an der Macht. Melina Mercouri als widerspenstige Kultusministerin. Harry Klynn veräppelt eine ganze Nation. Nikos Galis hievt Aris Thessaloniki auf den Basketballolymp.

Nach dem Studium trennen sich ihre Wege. Pavlides in die Armee, danach zur Kriminalpolizei von Thessaloniki. Papadopoulos fürs Nachdiplomstudium an die Sorbonne, danach als Regierungsbeamter nach Athen.

Papadopoulos ist vor zwei Jahren vom neuen Regierungschef zum Vorsteher des YDT ernannt worden. Minister Dimos Papadopoulos. Er ist am Zenit seiner Karriere angelangt. Danach kann er nur noch Premierminister werden. Oder abstürzen.

Nikos Pavlides schaut auf die Uhr. Einundzwanzig Uhr zwanzig. Jetzt das Telefon nicht abzunehmen wäre töricht. Papadopoulos würde es auf seinem Handy versuchen. Zudem gibt es meist einen triftigen Grund für den Herrn Minister ihn anzurufen. Seinen alten Kumpel, den frischgebackenen Direktor der Kriminalpolizei von Thessaloniki. Mal hören, was er will.

«Embrós», meldet sich Pavlides, bemüht, seine Stimme nicht allzu genervt klingen zu lassen. Schliesslich ist er seit acht Uhr morgens im Präsidium und nach zahlreichen mehr oder weniger wichtigen Sitzungen müde genug, um den Abend mit Penelope ruhig ausklingen zu lassen. Was Kleines essen bei Takis’ Taverne um die Ecke. Etwas Fernsehen. Die Nachrichten. Das restliche TV-Programm kann man sich schenken. Dann schlafen.

«Wir stecken tief in der Scheisse», sagt Papadopoulos.

«Und das nicht erst seit gestern, ich weiss», erwidert Pavlides ungerührt. Eine kleine Anspielung auf die beim Volk unbeliebte Koalitionsregierung von Konservativen und Sozialisten, die seit drei Jahren das Land regiert. Papadopoulos, Mitglied der sozialistischen PASOK, ist einer ihrer Exponenten.

«Kranidakis ist tot.»

«Kranidakis?»

«Der Vizeminister für Verteidigung. Nassios Kranidakis.»

In Papadopoulos’ Stimme schwingt ehrliche Bestürzung mit. Er, der oft mit ironischen, ja manchmal zynischen Sprüchen im privaten Kreis wie auch in der Öffentlichkeit zu glänzen weiss, klingt tatsächlich besorgt. Seltsam.

Nassios Kranidakis. Ein Kreter. Mitglied der PASOK, Parteikollege von Dimos. Ein schlauer Kerl, ein alter Hase in der Politik. Geht auf die sechzig zu. Langjähriges Fraktionsmitglied mit Sitz im Verteidigungsausschuss des Parlaments. Nach den letzten Wahlen, die die konservative Nea Dimokratia knapp gewonnen hat, ohne jedoch alleine regieren zu können, profiliert sich Kranidakis auf Seiten der PASOK in den Koalitionsverhandlungen als ausgesprochener Pragmatiker. Er hat ein konziliantes Wesen. Ungewöhnlich für einen griechischen Abgeordneten. Und er ist dossierfest. Vorteilhaft für eine Berufung in die Regierung. Es kommt zum Stühlerücken bei der PASOK. Kranidakis wird für seine Arbeit belohnt und vom konservativen Regierungschef mit dem Amt des Vizeministers für Verteidigung betraut. Sein Vorgesetzter: Aris Asimoglou. Ein Konservativer. So bestückt man in einer Koalitionsregierung die Schlüsselministerien. Alles schön durchmischt. Keine einseitigen Machtballungen.

«Mein Beileid.»

Für Pavlides kommt die Neuigkeit, wie offensichtlich auch für Papadopoulos, überraschend. Von einer Krankheit des Vizeministers ist der Öffentlichkeit nichts bekannt.

«Und woran ist er denn gestorben? Er war ja nicht so alt.»

«Ein Unfall. Es ist …, verflucht nochmal …»

Lange Pause.

Nun fehlen Papadopoulos tatsächlich auch noch die Worte. Pavlides stutzt, fühlt sich genötigt, die Konversation aufrecht zu erhalten.

«Weiss man schon, was passiert ist?»

Langsam erschleicht ihn das Gefühl, dass Papadopoulos nicht einfach einen guten Freund anruft, um ihn höflichkeitshalber zeitnah über den Hinschied des Vizeverteidigungsministers zu informieren. Kranidakis ist Pavlides ja schliesslich nicht persönlich bekannt. Hat Papadopoulos’ Anruf womöglich etwas mit meiner Position als Direktor der Kriminalpolizei von Thessaloniki zu tun?

Sogleich verwirft er diese These jedoch wieder, als er vernimmt, dass Kranidakis mit dem Flugzeug verunfallt ist. Dafür ist das Büro für Flugunfalluntersuchungen zuständig.

«Vor etwa zwanzig Minuten hat mich die Nachricht erreicht, dass er in einer unserer Regierungsmaschinen abgestürzt ist.»

«Tragisch, aber …»

«… Also, nicht wirklich abgestürzt. Der Pilot konnte die Maschine kurz vor dem Aufprall noch abfangen. Anscheinend gab es eine Havarie auf zehntausend Metern. Nach ersten Erkenntnissen fiel die Energieversorgung aus, und das Flugzeug stürzte mehrere Kilometer in die Tiefe.» Papadopoulos Stimme klingt nun wieder gefasster.

«Und der Pilot konnte trotzdem sicher landen?»

«Ja, Gott sei Dank. Genau deswegen rufe ich dich an.»

Also doch. Sicherstellung des Flugzeuges, der Leiche, des Gepäcks. Befragungen der Mitreisenden und so weiter. Routine. Den Rest machen die Leute von der Flugunfalluntersuchung. Ich muss Manpower bereitstellen. Nun komm schon zur Sache, Dimos. «Auf dem Flughafen Thessaloniki, nehme ich an.»

«Nein, Alexandroupolis.»

Alexandroupolis, also. Dreihundert Kilometer. Vier Stunden mit dem Auto. Der diensthabende Beamte wird sich freuen.

«Ich weiss noch nichts Genaueres, Nikos. Das Büro für Flugunfälle ist eingeschaltet und hält mich auf dem Laufenden. Angeblich gibt es mehrere Tote in der Kabine. Ich habe die Staatsanwaltschaft unverzüglich in Kenntnis gesetzt. Traianos wird noch heute Nacht nach Alexandroupolis fliegen.»

Der unermüdliche Miltiades Traianos. Athener Staatsanwaltslegende. Ein alter Bekannter. Dürfte mittlerweile gegen die siebzig gehen.

«Ich will, dass du in deiner Funktion als Direktor der Kriminalpolizei von Thessaloniki die polizeilichen Ermittlungen persönlich in die Hand nimmst und koordinierst. Das hier ist Chefsache, Nikos! Ich vertraue nur dir! Pack deine Kaderleute und mach dich auf den Weg! … Und halt mich auf dem Laufenden!»

Aufgehängt. Na, toll. Durchatmen. VIAP-Pastille in den Mund schieben. Penelope anrufen.

«Hör mal, Liebes, es wird heute nichts mit einem gemütlichen Abend. Ruf bitte den Piloten-Pikettdienst an und richte ihm aus, dass er die Maschine volltanken und für einen Flug nach Alexandroupolis bereithalten soll. In einer Stunde fliegen wir los. Du kommst mit!»

Penelope Livanou. Pavlides’ Ehefrau. Vor einem Jahr war Hochzeit. Sie ist leitende Beamtin im Innendienst der Polizei, betreut die Rechtsabteilung und ist Liaison Offizierin des Nationalen Informationsdienst EYP. Eine unverzichtbare Stütze für Pavlides. Privat, wie auch im Dienst.

Dann Telefonrally. Spurensicherung, Morddezernat, Gerichtsmediziner. Spätestens um Viertel nach zehn haben sich alle am Flughafen von Thessaloniki einzufinden. Ein sportlicher Zeitplan. Im abgesperrten Sektor ist der Polizeihubschrauber, eine Bo-105 stationiert. Startklar.

Inspektion

Der Pilot fliegt die ganze Strecke mit eingeschaltetem Nachtvisier. Pavlides döst im Helikopter vor sich hin. Ihm ist bewusst, dass es eine lange Nacht werden könnte. Tieffrequente, brummende Maschinengeräusche machen ihn schläfrig. Eine wohlige Lethargie. Jorgos Kapsis, der Gerichtsmediziner, schaut die ganze Zeit zum Fenster hinaus auf die Küstenlinie, derer entlang der Hubschrauber, auf einer Höhe von dreitausend Fuss, fliegt. Eine nicht enden wollende, funkelnde Lichterkette. Christos Arambatzis von der Spurensicherung und Prokopis Patsis von der Mordkommission starren stumm vor sich auf den Boden. Auf die vibrierenden, rutschfesten Stahlbodenplatten. Wären wohl beide lieber zuhause. Oder zumindest nicht in der Luft. Livanou – ihr Handy in der Hand – hört Musik über Kopfhörer und lehnt ihren Kopf an Pavlides’ Schulter. Kurz vor Mitternacht setzen die Kufen der Bo-105 auf dem Vorfeld des Provinz-Flughafens Alexandroupolis-Demokritos auf.

Der Polizeichef Fotis Charalambidis persönlich, feinsäuberlich herausgeputzt als würde er auf einen Offiziersball gehen, empfängt Pavlides und sein Team. Begleitet wird er von einer ganzen Heerschar an uniformierten und zivilen Beamten. Dagegen sieht die kleine Delegation des Bürgermeisters von Alexandroupolis geradezu bescheiden aus.

«Wir sind bestürzt über den Vorfall, Herr Direktor», wendet sich Charalambidis an Pavlides. Herr Direktor. Offensichtlich liegt ihm viel an formeller Korrektheit. Pavlides versucht sich derweil zu orientieren. Das Flugfeld ist durch die Scheinwerfer taghell erleuchtet. Links vor ihm, in einer Distanz von etwa fünfzig Metern, steht das Flughafenterminal. Auf dessen Aussichtsterrasse blitzen die Fotoapparate. Die Medien haben also bereits Wind von der Sache bekommen. Die Presseleute richten ihre Kameras und Teleobjektive auf das Objekt ihrer Begierde, das Regierungsflugzeug, das in etwa zweihundert Metern Entfernung am anderen Ende des Vorfeldes steht. Abgesperrt und umstellt von einem Dutzend Mann der Einsatzpolizei. Es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, dass die Polizei in der Provinz verhältnismässig gut vertreten ist, während man sich in den Ballungszentren permanent mit Personalproblemen rumschlagen muss.

«Sie möchten wohl unverzüglich mit der Zeugenbefragung beginnen, Herr Direktor», stellt Charalambidis beflissen fest.

Pavlides winkt ab.

«Nicht im Geringsten. Zeigen Sie uns zunächst das Flugzeug. Ich will erst mal einen Blick auf den Tatort werfen.»

«Bitte entschuldigen Sie: Tatort?» hakt Charalambidis irritiert nach.

«Ist jemand im Flugzeug ums Leben gekommen? Ein aussergewöhnlicher Todesfall?»

«Ja, aber …»

«Dann ist das Flugzeug defmitionsgemäss ein Tatort. Páme.»

Gefolgt von einer Menschentraube aus Sicherheitsund Verwaltungsbeamten machen sie sich auf den Weg. Voraus schreiten Pavlides, Charalambidis und der Bürgermeister Lambakis, ein sympathischer Mittfünfziger im Anzug, mit feiner Metallrahmenbrille, Glatze und Vollbart. Begründer einer regionalen Bürgerbewegung, die in dieser Stadt die Geschäfte führt.

«Das Flugzeug, eine Maschine des französischen Herstellers Dassault, landete um 21.08 Uhr auf dem Flughafen. Der Pilot hatte kurz vor Eintritt in den griechischen Luftraum einen Notruf abgesetzt. Die Feuerwehr stand bereit für den Fall, dass das Fahrwerk nicht hätte ausgefahren werden können. Ihr Einsatz war schliesslich – Gott sei Dank – dann doch nicht nötig», referiert Charalambidis auf dem Weg zum Flugzeug. «Unsere Leute waren sofort zur Stelle. Gemeinsam mit den Feuerwehrleuten öffneten sie die Flugzeugtüre. Es bot sich ein schreckliches Bild.»

Stumm und fassungslos schüttelt der Bürgermeister den Kopf.

«Wie viele Personen waren an Bord?» will Pavlides wissen.

«Acht. Sechs haben nicht überlebt. Die anderen zwei haben wir sofort in die unfallchirurgische Abteilung der Universitätsklinik überführt. Einen von ihnen mit schweren Verletzungen.»

«Den Piloten und wen noch?»

«Einen Sicherheitsbeamten, der zur ministerialen Leibwache gehört. Es war wohl sein Glück, dass er angeschnallt war. Trotzdem hat’s ihn übel erwischt. Hat einen schweren Schock erlitten. Und mehrere Verletzungen. Knochenbrüche und so.»

«Und die anderen? Alle tot?»

«Alle tot. Eine junge Frau atmete noch, als die Rettungssanitäter kurz nach uns hier ankamen. Aber auch für sie kam jede Hilfe zu spät. Sie starb noch auf dem Weg ins Krankenhaus.»

Pavlides stutzt. «Eine junge Frau?»

Charalambidis druckst etwas herum.

«Die Tochter des Vizeministers, wie sich mittlerweile herausgestellt hat.»

Wieso hat der auf einem Dienstflug seine Tochter mit dabei? Eigenartig. Eine Regierungsmaschine ist doch kein Ferienflieger!

Und noch etwas hat Pavlides aufhorchen lassen: «Das Flugzeug flog ausserhalb des griechischen Luftraums?»

«Ja, es überquerte die bulgarisch-griechische Grenze auf der Höhe von Svilengrad.»

«Der Vizeminister war auf dem Rückflug von einer Dienstreise nach Bulgarien?»

«Nein, nein! Der Vizeminister war unterwegs nach Moskau. Irgendwo über der bulgarischen Schwarzmeerküste ereignete sich dann dieser schreckliche Vorfall.»

«Und der Pilot flog die ganze Strecke hierher zurück?»

«Richtig.»

«Wieso denn das? Hätte er nicht vor Ort irgendwo landen können? Was weiss ich, in Varna oder Burgas zum Beispiel. Es gibt doch Flugplätze an der bulgarischen Küste, nicht?» wundert sich Pavlides.

Achselzucken bei Charalambidis. «Das müssen Sie ihn schon selber fragen, Herr Direktor.»

Das Innere des Flugzeuges lässt Pavlides erschaudern. Was mag hier passiert sein? Ein riesiges Durcheinander. Als hätte ein homerischer Zyklop schwallartig in die Kabine gekotzt. Glassplitter, Bücher, Zeitungen, Schreibmaterial, Notebooks, oder was von solchen übrig ist, Taschen, offene Gepäckstücke, Kleider, zerbrochenes Geschirr, Esswaren, Getränke, allerlei Kleinkram. Alles liegt wirr durcheinander verstreut in der Kabine herum. Zerborstene Holzdekors, verbeulte Innenverkleidungen. Und überall Blut, Spuren schmieriger Flüssigkeiten, Halbverdautes. Der Geruch von frischem Blut vermengt sich mit dem säuerlichen Gestank von Erbrochenem. Ekelerregend.

«Haben Sie Fotos vom Innern gemacht?» fragt Pavlides Charalambidis.

Dieser bejaht. Einer der Männer, der als erster vor Ort war, hat zahlreiche Aufnahmen mit seinem Handy gemacht. Auch Filmsequenzen. Sogar während den Reanimationsversuchen der Rettungssanitäter.

Nicht gerade konform mit den Standard Operation Procedures und den Weisungen des Persönlichkeitsschutzes, aber in diesem Fall sinnvoll.

Jetzt heisst es Material sicherstellen. Alles. Sofort. Pavlides geht in sein berüchtigtes Befehlsstakkato über. Polizeifotograf?

Er ist zugegen. Der Mann dort hinten in zivil mit der Reportertasche.

An Charalambidis gewandt: «Sind Ihre Kripo-Leute da?»

«Ihnen zu Diensten, Herr Direktor. Drei Beamte der Kriminalpolizei, darunter auch der Teamleiter, Leventoglou.»

«Wo sind die Leichen?»

«Alle im Universitätskrankenhaus. Zur Obduktion.»

Na, ja. Gerade ideal ist das nicht. Pavlides hätte die Situation gerne so angetroffen, wie sie sich den Beamten im ersten Moment präsentiert hatte. Was soil’s. Wahrscheinlich dachten die, dass noch jemand zu retten wäre. Gut gemeint, massig gut ausgeführt. Pavlides wendet sich an Jorgos Kapsis, Übername «der Schlächter». Dieser steht auf der Flugzeugtreppe und schaut kopfschüttelnd ins Innere der Kabine. Der Gerichtsmediziner ist Dozent und leitender Arzt des Institutes für Rechtsmedizin an der Aristotelischen Universität. «Jorgos, du wirst die Autopsien leiten. Schau dir die Handybilder und Filmchen des Polizeibeamten an. Und schick mir Kopien davon!» Der Schlächter nickt kommentarlos. Offensichtlich hat auch er noch nie so etwas gesehen.

Pavlides richtet seine Worte wieder an Charalambidis: «Christos Arambatzis ist von der Spurensicherung. Er wird die Leitung der Untersuchungen vor Ort übernehmen. Ihr Fotograf und Ihr Spurenteam sind ihm ab sofort unterstellt.»

Charalambidis scheint erleichtert zu sein, dass die Delegation aus Thessaloniki nun das Heft entschlossen in die Hand nimmt. Bei Zwischenfällen, in denen prominente Bürger zu Schaden kommen, kann man als Chef der polizeilichen Behörde in der Provinz eigentlich nur verlieren. Schnell heisst es: Unfähig. In solchen Situationen gibt man die Verantwortung besser ab.

«Wollen Sie jetzt ins Krankenhaus fahren?» fragt Charalambidis devot.

«Nein», antwortet Pavlides dezidiert. «Wir warten hier auf den Staatsanwalt. Fragen Sie mal den Tower, wann er ankommt. Und geben Sie der Pathologie Bescheid, man solle die Leichen nicht antasten!» Damit steigt er wieder aus dem Flugzeug. «Ach ja, und besorgen Sie Polizeischutz für die beiden Verletzten.»

Man kann ja nie wissen.

Es ist halb eins, als die Maschine des Staatsanwalts landet. Das Flugzeug hält in unmittelbarer Nähe zur Unglücksmaschine. Die Türe geht auf und Miltiades Traianos eilt die Treppe runter. Hinter ihm weitere sechs Personen. Traianos’ Sekretärin, zwei junge Untersuchungsrichter, ein Sicherheitsbeamter und zwei Männer der Flugunfall-Untersuchungsbehörde. Das übliche Aufgebot für solche Fälle. Als Traianos Pavlides erblickt, kommt er sofort auf ihn zu.

«Pavlides! Schön Sie zu sehen. Eine Sauerei?»

«Sehen Sie selbst, Herr Staatsanwalt.»

Pavlides legt seinen Arm um dessen Schulter. Das Männchen ist, so scheint es, seit ihrer letzten Begegnung etwas geschrumpft. Sein Gang aber ist noch immer fest und entschlossen. Der Blick hinter den flaschenbodendicken Brillengläsern unruhig. Suchend. Wie ein elektronisches Kameraauge. Er mag vielleicht schon um die siebzig Jahre alt sein, aber er steht immer noch – unermüdlich – dem Staate Griechenlands zu Diensten. Ein integrer Mann. Das erste Mal begegneten sie sich vor dreizehn Jahren beim Anschlag auf die VERGINA STAR im Hafen von Thessaloniki. Traianos leitete die Untersuchungen auf Staatsebene. Er mag ergraut sein, aber sein Geist ist hellwach. Selbst zu dieser fortgeschrittenen Tageszeit.

Traianos äussert sich, die Hochsprache gebrauchend, schockiert über den ihm gebotenen Anblick. Der gewaltsame Unfalltod des Vizeministers Kranidakis macht ihm sichtlich zu schaffen.

«Ich kann es kaum fassen», meint er mit leiser, gepresster Stimme, als er sich, mitten im Chaos stehend, umsieht. «Nassios war ein herzensguter Mensch. Umsichtig, klug, unbestechlich. Ein Politiker mit Prinzipien.

Ein PASOK-Mann der alten Garde, aber ein Realist, der sich immer zum Wohle seiner Heimat eingesetzt hat.» Er macht eine Pause. «Können wir die Leichen sehen?»

«Ja, im Universitätsklinikum.»

Traianos blickt verwundert auf.

«Im Originalzustand. Die Autopsie hat noch nicht stattgefunden», präzisiert Pavlides.

«Gut. Ich nehme an, Sie haben die kriminaltechnischen Untersuchungen hier vor Ort angeordnet.»

«Selbstverständlich.»

«Entáxi. Dann lassen Sie uns ins Krankenhaus fahren. Hier können wir ohnehin nichts mehr tun. Die Beamten vom Flugunfall-Büro, einer meiner beiden Untersuchungsrichter und Ihre Spezialisten sollen mit den Untersuchungen zur Sicherstellung des Beweismaterials beginnen. Ich möchte nun gerne Nassios’ Leiche sehen. Und hernach den Überlebenden etwas Mut zusprechen. Páme, gehen wir!»

Befragung

Kurz nach acht Uhr morgens sitzen Traianos, Pavlides und Livanou am Frühstückstisch im Hotel Nefeli, unweit des Universitätskrankenhauses an der Verbindungsstrasse zwischen Komotini und Alexandroupolis. Das Hotel ist ein komfortabel eingerichtetes Haus mit bequemen Betten, auf die sie sich um drei Uhr morgens ausgelaugt gestürzt haben. Staatsanwalt Traianos wollte nach dem nächtlichen Besuch der aufgebahrten Leichen und der kurzen Stippvisite bei den Verletzten nicht mehr in die Stadt hineinfahren, sondern sich in der Nähe ein Zimmer suchen. Um frühmorgens gleich wieder die Arbeit aufnehmen zu können. Eine erste Befragung des Piloten steht an. Um zehn Uhr wird Verteidigungsminister Aris Asimoglou aus Athen erwartet. Und um zwölf Uhr ist eine Pressekonferenz anberaumt, zu der zahlreiche Medienvertreter aus dem In- und Ausland erwartet werden. Nicht hier, sondern im luxuriösen ‚Astir Egnatia’, mitten in der Stadt. Für Asimoglou muss das Ambiente repräsentativ sein.

Die Stimmung ist gedrückt, was einerseits am Schlafmanko liegt, andererseits an den tragischen Umständen, die es aufzuklären gilt. Livanou hat sich am Frühstücksbuffet bedient und setzt sich neben Pavlides. Den Blutzucker hat sie sich schon im Zimmer gemessen und zwölf Einheiten Insulin gespritzt. Das Frühstück ist ihre wichtigste Mahlzeit. Man sieht’s: Zwei Croissants, Butter, Orangen- und Sauerkirschen-marmelade, griechisches Joghurt mit Fruchtsalat, Walnüssen und Honig. Dagegen fällt Pavlides’ Frühstück mager aus: Zwei trockene Koulourákia und ein starker Kaffee, métrios. Dazu eine Sourotí. Anregendes, erdig-metallisch schmeckendes Mineralwasser.

Staatsanwalt Traianos schaut verwundert auf Livanous Teller.

«Diabetes», meint diese beiläufig und nimmt einen Schluck Kaffee. Dieser allerdings ist ungesüsst. So hat sie ihn am liebsten. «Typ 1. Insulinpflichtig. Habe schon gespritzt.»

«Oh», meint Staatsanwalt Traianos, «ich bin auch Diabetiker. Alterszucker, allerdings. Ein Erbstück. Im Vergleich zum Aufwand, den Sie betreiben müssen, ist meine Zuckerkrankheit jedoch kaum der Rede wert. Ich schlucke für meinen Zucker zwei Tabletten pro Tag, und damit hat es sich. Wie viele Male spritzen Sie Insulin, wenn ich das fragen darf?»

«Vier Mal. Aber es ist nur halb so schlimm. Man gewöhnt sich daran.»

«Ich bewundere Sie. Mit welcher Leichtigkeit Sie Ihr Los tragen. Mein Arzt hat mir gesagt, dass jeder Altersdiabetiker im Schnitt vierzehn Jahre nach der Diagnosestellung spritzen muss. Anfangs graute mir vor dieser Vorstellung. Aber ich bin inzwischen so alt, dass ich nunmehr glaube, dass ich das Zeitige segnen werde, noch bevor es so weit kommt.»

«Womit wir beim Thema Tod angelangt sind», mischt sich Pavlides ein, im Bemühen das Gespräch in andere Bahnen zu lenken. Er weiss nur zu gut, dass Livanou es leid ist, dauernd über ihre Krankheit sprechen zu müssen. Besonders zu Tisch. Sie lebt mit ihrem Diabetes und fertig. Zudem gilt es jetzt einige wichtige Absprachen zu treffen. «Werden Sie bei der Autopsie von Kranidakis dabei sein?»

«Nein. Ich hoffe Sie verstehen, dass ich mir das nicht antun kann. Aber natürlich haben Sie recht. Jemand von meinem Team wird dabei sein müssen, und zwar ist das Spiropoulos, mein Adjutant. Ein tüchtiger, junger Untersuchungsrichter. Er soll Ihrem Herrn Patsis zur Seite stehen. Das Programm ist gedrängt. Wir beide müssen Asimoglou zu Verfügung stehen.» Schluck Kaffee. «Wenn er um zehn Uhr am Flughafen ankommt, wird er um halb elf im Krankenhaus sein. Dann will er natürlich die Hand des Piloten schütteln und seine mitgebrachten Pressevertreter diese Tat fotografieren lassen. Erfahrungsgemäss braucht es etwas Zeit, bis er mit einem Bild soweit zufrieden ist, dass es veröffentlicht werden darf.» Traianos nimmt einen Löffel Müsli. «Sie schütteln jetzt vielleicht den Kopf, Herr Pavlides. Aber glauben Sie mir: Ich kenne den Herrn Verteidigungsminister. Sie werden schon sehen.»

Das Krankenhaus ist auf dem neuesten Stand. Die modernste Universitätsklinik im ganzen Land. Chirurgischorthopädische Klinik. Intermediate-Care-Abteilung. Ein Zwischending. Nicht ganz Intensivstation, nicht ganz Bettenstation. Maximal eine Stunde, meint der zuständige Oberarzt, als sich Pavlides und Traianos mit Gefolge erkundigen, ob eine erste Befragung des Piloten möglich sei. Er steht unter Schock und hat starke Beruhigungsmittel bekommen. Den Leibwächter werden sie heute nicht befragen können. Er wird gerade operiert. Unterschenkelfraktur und irgendwelche Gesichtsschädelfrakturen. Man hat sich für ein gleichzeitiges Vorgehen entschieden, der Kieferchirurg und der Orthopäde.

«Guten Morgen, Herr Marangos, können Sie sich an mich erinnern?» fragt Traianos und beugt sich, in einen weissen Einwegkittel gehüllt, über das Bett des Piloten.

Dieser sieht alles andere als gut aus. Kleine Pupillen, hohler Blick, wächserne Hautfarbe, ungekämmte Haare, verkrusteter Speichel am Mundwinkel. Aber immerhin keine Spur von Anspannung oder Verkrampfung. Ruhig liegt er da. Doch wohl kaum friedlich, denn in seinem Gehirn scheint es zu rattern. Ganz der pflichtbewusste Kapitän. Keine Schwäche zeigen. Er will die Frage des Staatsanwaltes beantworten, aber er kann es einfach nicht. Nein, zu diesem Gesicht hat er keine Assoziationen. Wie denn auch? Schon dutzende Köpfe haben sich im Verlaufe der letzten zehn Stunden über ihn gebeugt. Ihm Fragen gestellt. Tut’s hier weh? Oder da? Schauen Sie mal auf die Decke, ich prüfe jetzt Ihren Pupillenreflex. Ja, so ist’s gut. Versuchen Sie, etwas zu schlafen. Hier, nehmen Sie diese Tablette.

«Nein? Keine Erinnerung? Ich bin Staatsanwalt Miltiades Traianos und der Herr neben mir heisst Nikos Pavlides. Er ist Direktor der Kriminalpolizei von Thessaloniki. Wir wollen Ihnen einige Fragen stellen. Fühlen Sie sich im Stande, diese zu beantworten?»

Das macht er ganz geschickt, der Staatsanwalt. Natürlich ist jeder Militärpilot davon überzeugt, jederzeit imstande zu sein, eine Aufgabe, die von ihm verlangt wird, zu lösen. Einen Befehl auszuführen. Wie erwartet nickt Marangos.

«Können Sie uns erzählen, was genau gestern passiert ist? Und wieso Sie nun hier liegen?»

Eine erste offene Frage, die darauf abzielt, die Orientierung des Patienten zu überprüfen. Oder des Zeugen. Je nach Standpunkt. Falls Marangos nun irgendetwas Unzusammenhängendes von sich geben sollte ohne jeglichen Bezug zur fraglichen Situation, kann man die Übung gleich abbrechen. Und warten, bis die Wirkung der Medikamente nachgelassen hat. In der Hoffnung, es seien nur die Pillen, die sein Gedächtnis getrübt haben.

«Wir waren auf dem Flug nach Moskau», fängt der Pilot an zu erzählen. Leise, bedächtig, aber dennoch geistig präsent, wie es scheint. Die Ereignisse tauchen allmählich vor seinem geistigen Auge auf.

«Der Autopilot war eingeschaltet. Flughöhe dreiunddreissig tausend Fuss. Das sind etwa elftausend Meter. Es war bereits dunkel. Vor der bulgarischen Schwarzmeerküste. Zirka 20 Meilen östlich von Varna.»

«Gut, gut, erzählen Sie weiter!» Traianos blickt, seine freudige Anspannung kaum verhüllend, zu Pavlides auf, der neben ihm steht. Kurze Sätze zwar, aber im Zusammenhang mit der Sache stehend.

Marangos öffnet und schliesst ein paar Male schmatzend den Mund. Livanou bemerkt dies und tritt näher an ihn heran. Sie nimmt die Schnabeltasse zur Hand, die auf dem Nachttisch steht, und führt sie an seinen Mund. Er richtet sich langsam auf.

«Ihr Mund ist trocken. Hier, bitte, trinken Sie.»

Der Pilot nimmt ein paar kleine Schlucke, legt sich vorsichtig wieder hin und nickt dankend. Dann spricht er weiter.

«Plötzlich Totalausfall der Instrumente. Komplette Dunkelheit. Die Maschine bockt. Wie ein Bulle beim Rodeo. Pitch Oscillations. Ein denkbar ungünstiger Moment für solche Kapriolen. Mein Copilot war soeben aufgestanden, um auszutreten.» Konsterniert schüttelt er den Kopf und seufzt. «Dann plötzlich: Die Elektronik setzt wieder ein. Ich weiss auch nicht warum und wie. Plötzlich ist alles wieder da. Ich erkundige mich über die Bordfunkanlage, ob in der Kabine alles in Ordnung sei, erhalte aber keine Antwort. Ich will aufstehen, um nach dem Rechten zu schauen, als erneut alles dunkel wird. Wie bei einem Blitzschlag! Erneut Totalausfall …»

«Blitzschlag?», hakt Pavlides nach, «wurde Ihre Maschine denn von einem Blitz getroffen?»

«Nein», antwortet Marangos, «woher denn? Das Wetter war perfekt. Einige Quellwolken, aber keine Gewitterfront weit und breit.»

«Und dann?» will Traianos wissen.

«Spirale. Zwischendurch ein elektrisches Aufzucken einiger Instrumente. Und wieder tot. Schreie in der Kabine. Poltern. Die Maschine geht in einen Parabelflug über. G-Kräfte, Ziehen. Meine Arme und Beine waren bleischwer. Ich hatte Mühe meinen Kopf gerade zu halten. Drückte wie ein Besessener meinen Hals zusammen. Nahm dazu meinen Kopf zwischen die Schultern. Versuchte die Maschine zu stabilisieren. Vielleicht war ich zwischendurch auch mal bewusstlos. Ich erinnere mich nicht mehr. Jedenfalls kam mir die Zeit, in der ich darum kämpfte, das Flugzeug zu stabilisieren, wie eine Ewigkeit vor.»

Pause. Nachdenken.

«Dann kam der Moment, wo ich dachte, es sei aus. Alle Instrumente blieben stumm. Was auch immer ich an Notfallprozeduren vollführte, sie blieben alle wirkungslos. Es war schrecklich. Nicht aufhören, Sakis, sagte ich mir. Nicht aufhören! Denk an deine Familie! Tu etwas! Und plötzlich, als ob mich der Herr erhört hätte, flackerte es auf der Konsole und die Elektronik war wieder da. Die Turbinen auch. Schub! Sie spüren das, wie beim Anfahren mit dem Auto. Auch die Hydraulik. Alles wieder da! Ein Wunder! Mein Blick fiel auf das Altimeter, die vertikale Geschwindigkeit und den künstlichen Horizont. Und da wusste ich sofort, was ich zu tun hatte …»

«Sie haben wahrlich eine bravouröse Handlung vollführt, Herr Marangos», sagt Traianos und tätschelt, emotional bewegt von diesen Schilderungen, den Vorderarm des Piloten. Dieser schweigt jetzt. Atmet langsam.

«Wissen Sie, wieso das Flugzeug so verrückt gespielt hat?» will Pavlides wissen.

«Keinen blassen Schimmer. So etwas ist mir in meiner ganzen fliegerischen Karriere noch nie passiert. Nicht mit der Phantom, nicht mit der Mirage und auch nicht mit der Falcon.»

Ein erfahrener Pilot offenbar, der mit fast allen Modellen der Luftwaffe geflogen zu sein scheint.

«Und dann? Was geschah danach?»

«Etwa zweitausend Fuss über dem Wasser konnte ich die Kiste abfangen.» Er schüttelt abermals den Kopf. Greift selbständig nach dem Becher. Nimmt noch einen Schluck.

«Zuerst musste ich mich orientieren. Ich bemerkte, dass ich einen Kurs nach Süd-Südost flog. Ein paar Sekunden später ging dann plötzlich die Tür zur Kabine auf und der Sicherheitsoffizier schaute ins Cockpit herein. Sie wissen schon, Kranidakis’ Leibwächter. Blass und mit schmerzverzerrtem Gesicht. ‚Flieg nach Hause’, sagte er, flieg einfach nach Hause!’ Dann schloss er die Tür.»

Betroffenheit.

«Und das taten Sie dann auch.»

Achselzucken.

«Herr Marangos. Mich interessiert, wieso Sie nicht einfach auf dem nächstgelegenen Flugplatz gelandet sind?» Diese Frage beschäftigt Pavlides schon seit er das Innere des havarierten Flugzeugs erblickt hat.

«Ich weiss es nicht … Ich wollte gerade die Mayday-Meldung absetzen, als mir der Sicherheitsoffizier sagte, ich solle nach Hause fliegen. Sein Anblick … Also gab ich eine Pan-Pan-Meldung durch.»

«Pan-Pan?» fragt Pavlides.

«Konkrete, aber nicht akute Gefahr für Maschine und Passagiere. Damit fordert man im Luftverkehr eine bevorzugte Behandlung ein.»

«Ich verstehe. Und danach?»

«Ich stieg auf etwa viertausend Fuss und blieb auf dieser Höhe, um relativ schnell eine Notlandung einleiten zu können. Nahm Kurs zurück auf Griechenland. Ich hatte keine Ahnung, was in der Kabine vor sich ging. Dieser Mann sagte mir, ich solle nach Hause fliegen. Und genau das tat ich. In diesem Moment dachte ich, Krankdakis wünsche es so. Er habe seinen Leibwächter beauftragt, mir zu sagen, was zu tun sei. Nach einer Viertelstunde kam der Leibwächter erneut ins Cockpit herein. Er sah komplett fertig aus. Atmete schwer. Ich glaube, er hatte versucht jemanden wiederzubeleben. ‚Er ist tot’, sagte er nur, ‚tot, tot, tot.’ Erst jetzt begriff ich … Wissen Sie, mit der Technik fertig zu werden ist eines. Aber wenn Menschen zu Schaden kommen …»

Marangos macht eine Pause und starrt an die Decke. Totenstille im Krankenzimmer. Dann fährt er fort. Angestrengt.