Magonia - M. D. Headley - E-Book

Magonia E-Book

M. D. Headley

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Beschreibung

Seit sie klein ist, leidet die 16-jährige Aza an einer seltsamen Lungenkrankheit, die ihr ein normales Leben unmöglich macht. Als sie eines Tages ein Schiff hoch in den Wolken erspäht, schiebt sie das Phänomen auf ihre akute Atemnot. Bis jemand auf dem Schiff ihren Namen ruft ...

Nur ein Mensch glaubt ihr diese Geschichte: ihr bester Freund Jason, der immer für sie da war, den sie vielleicht sogar liebt. Aber gerade als sie versucht, sich über die neuen tiefen Gefühle zu Jason klarzuwerden, überstürzen sich die Ereignisse. Aza meint zu ersticken – und findet sich plötzlich in Magonia wieder, dem Reich über den Wolken. Dort ist sie das erste Mal in ihrem Leben nicht mehr krank, sondern stark und magisch begabt. In dem heraufziehenden Kampf zwischen Magonia und Azas alter Heimat, der Erde, liegt das Schicksal aller mit einem Mal in Azas Händen …

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Das Buch

Seit sie klein ist, leidet Aza an einer seltsamen Lungenkrankheit, die ihr ein normales Leben unmöglich macht. Als sie eines Tages ein Schiff hoch oben in den Wolken erspäht, schiebt sie das Phänomen auf ihre akute Atemnot. Bis jemand auf dem Schiff ihren Namen ruft ...

Nur ein Mensch glaubt ihr diese Geschichte: ihr bester Freund Jason, der immer für sie da war, den sie vielleicht sogar liebt. Aber gerade als sie versucht, sich über die neuen aufregenden Gefühle zu Jason klarzuwerden, überstürzen sich die Ereignisse. Aza meint zu ersticken – und kommt in Magonia wieder zu Bewusstsein, dem Reich über den Wolken. Das erste Mal in ihrem Leben kann sie richtig atmen, sie fühlt sich stark wie nie zuvor und: Sie ist magisch begabt. In dem heraufziehenden Kampf zwischen Magonia und Azas alter Heimat, der Erde, liegt das Schicksal aller plötzlich in Azas Händen …

Die Autorin

Maria Dahvana Headley wuchs in Idaho auf einer Ranch auf. Das Schreiben ist ihr Beruf; sie hat sich bereits als Drehbuchautorin und Journalistin einen Namen gemacht, ihre wahre Leidenschaft aber gehört den fantastischen Geschichten. Und dem Sammeln von historischen Sternatlanten aus dem 18. Jahrhundert. Die Autorin lebt in Brooklyn.

Maria Dahvana Headley

MAGONIA

Roman

Aus dem Amerikanischen von Julia Walther

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Die Originalausgabe erscheint unter dem Titel Magoniabei HarperCollins Children’s Books, New YorkCopyright © 2015 by Maria Dahvana HeadleyCopyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabeby Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbHNeumarkter Str. 28, 81673 MünchenRedaktion: Babette MockZitatnachweis: Die Übersetzung der im Text zitierten Gedichtverse bezieht sich auf E. E. Cummings, Like a perhaps hand: Poems. Gedichte, Übersetzung und Nachwort von Lars Vollert, München: C. H. Beck textura 2013 (zitiert mit freundlicher Genehmigung des C. H. Beck-Verlags) Umschlaggestaltung: t.mutzenbach design, München, unter Verwendung eines Motivs von © Craig Shields und Alyson Klapthor und Shutterstock/pixelparticle/Klagyivik ViktorSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN: 978-3-641-16173-6V002

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Prolog

Ich atme ein. Ich atme aus. Der Himmel ist voller Wolken. Ein Seil wird von oben herabgelassen, aus dem Himmel zur Erde hinunter. Ein Frauengesicht blickt mich an, und rings um uns herum Hunderte und Aberhunderte von Vögeln. Der Schwarm fließt wie Wasser, wogt hinauf in die Luft, schwarz und golden und rot, und alles ist gefahrlos und kalt, strahlend erhellt durch Sterne und Mond.

Ich bin winzig im Vergleich, und ich befinde mich nicht unten am Boden.

Ich weiß, jeder träumt mal davon zu fliegen, aber das hier ist kein Traum vom Fliegen. Es ist ein Traum vom Schweben, und der Ozean, der mich trägt, besteht nicht aus Wasser, sondern aus Wind.

Ich nenne es Traum, aber es fühlt sich echter an als mein Leben.

2

Aza

Nichts davon ist real, Aza Ray Boyle, es ist nicht real.

Das murmele ich immer wieder vor mich hin.

Das ist eine ganz neue und echt üble Sache. Eine Sache, die mit meinem Gehirn zu tun hat.

Meine Mom mustert mich über den Küchentisch hinweg, zerzaust ihren blond-grauen Pferdeschwanz und runzelt die Stirn.

»Bist du sicher, dass es dir gut geht? Du klingst nicht so. Denk an das letzte Mal, als du halluziniert hast. Da hattest du Fieber.«

Sobald sie einen ansieht, ist man geliefert. Meiner Mutter kann man nichts vorspielen. Sie hat den ganzen Tag in ihrem Labor verbracht. Sie ist nämlich Immunologin, und die meisten Abende arbeitet sie bis spät mit ihren Mäusen.

Heute ist sie relativ früh zurück, schon um halb zwölf. Ihre Experimente sind in letzter Zeit miserabel gelaufen, und sie hat keine Geduld mehr für das, was sie als »Unfug« bezeichnet. In diesem Fall meine Behauptung, es würde mir gut gehen und ich müsse nicht zum Arzt.

»Greta«, sage ich. »Mir geht’s so gut wie immer.«

»Greta«, sagt sie. »Wir haben ausgemacht, dass du mich nicht so nennst, Aza Ray.«

»Du musst auch nicht ›Tochter‹ zu mir sagen«, erwidere ich. »Du darfst mich bei meinem Namen nennen.«

Sie geht nicht einmal darauf ein, sondern fängt an, Medikamente zu dosieren, dann steckt sie mir ein Fieberthermometer in den Mund.

»Von mir aus, Tochter«, sagt sie und lächelt mich an, als hätte ich es nicht anders verdient. Das Lächeln meiner Mom ist gleichzeitig liebevoll und wütend. Welcher Anteil überwiegt, hängt von der jeweiligen Situation ab.

Sprich, ihr was vorzuspielen kann ich vergessen.

»Du hast fast 40 Grad Fieber«, verkündet sie. »Da hast du dein Luftschiff.«

Ich habe immer irgendwie Fieber. Daran bin ich gewöhnt. Entweder klamm oder glühend. Egal. Meine Mom legt mir eine Decke um die Schultern. So schnell ich kann, schüttele ich sie wieder ab. (Todesvorahnungsdecke? Nein danke.) Stattdessen ziehe ich meine spezielle Kapuzenjacke an. Dem Reißverschluss ist es verboten, mich mit seinem Geräusch an einen Leichensack zu erinnern.

»Jetzt leg mal eine Verschnaufpause ein, Aza«, meint meine Mom.

Ich werfe ihr einen bösen Blick zu. »Verschnaufpause? Ist das dein Ernst?«

»Mach mal Pause mit Ausflippen. Das hilft nämlich überhaupt nicht. Und, hier, nimm eine Tablette.« Noch während sie das sagt, habe ich die Tablette bereits im Mund, und ich schwöre, ich bin offenbar konditioniert wie ein Hund, denn sie bringt mich zum Schlucken, bevor ich es überhaupt merke. In der anderen Hand hält sie ein Glas Wasser bereit, also spüle ich, zack, die Tablette runter.

So ist Greta. Sie ist echt schnell. Was für einen Sinn hat es da, Widerstand zu leisten?

Außerdem scheinen die Tabletten zu helfen.

Als ich zwei war, hieß es, mit viel Glück würde ich es bis zum sechsten Lebensjahr schaffen. Als ich sechs war, hieß es, mit viel Glück würde ich zehn werden. Als ich zehn war, haben sich die Ärzte sehr gewundert, also haben sie sechzehn gesagt.

Und nun kommt die Sechzehn rasend schnell auf uns zu.

Wenn ich in die Notaufnahme muss, gibt es in meiner Familie inzwischen einen genauen Plan für die Dinge, über die wir nur ungern sprechen. Deshalb haben wir alles aufgeschrieben, nur für den Fall. Meine Mom glaubt, dass es dadurch irgendwie weniger problematisch wird, dieses besorgniserregende Thema Sterben.

Ich habe zum Beispiel eine schriftliche Entschuldigung von ihr dafür, dass ihr damals, als ich fünf war, einmal die Hand ausgerutscht ist und ich mich nach Luft schnappend kurzfristig ins Koma gekeucht habe. Ich verzeihe solche Dinge schnell. Sie sind nicht der Rede wert. Aber Mom besteht darauf, dass ich das Papier trotzdem bei mir trage, falls ich ins Krankenhaus muss.

Meine Mom wiederum hat eine schriftliche Entschuldigung von mir für die komplette Bandbreite meines gnadenlosen Sarkasmus. Eli hat eine mit der Überschrift ExtremeBiestigkeit, Beanspruchung aller elterlicher Aufmerksamkeit durch ewiges Todkranksein, ohne tatsächlich zu sterben und eine Variante des Klassikers: Diebstahl von Kleidung.

Die an meinen Dad folgt eher so dem Motto Liste derDinge, Für Die Ich Mich Nicht Sonderlich Interessiert Habe.

Meine Mom hat seit einigen Jahren neben ihrer normalen Tätigkeit noch ein Nebenprojekt am Laufen. Sie arbeitet daran, eine Maus zu züchten, eine Art Supermaus, der eingeatmete Umweltgifte nichts anhaben können. Das Ganze basiert auf einer echten Labormaus aus Chicago mit einer Atemwegsfehlbildung. Der Plan ist, dass die neue Mäuseart durch eine Mutation ihre Nasenlöcher verschließen und ihren Sauerstoffbedarf drosseln kann, zumindest zeitweise, und außerdem gegen verschiedene Seuchen resistent ist.

Die Maus soll ein Schritt in der Medikamentenentwicklung sein. Sie soll Pharmafirmen bei der Herstellung eines Medikaments für Menschen helfen, die bei normaler Luft nicht sonderlich gut atmen können. Menschen wie ich, logischerweise. Aber es gibt auch noch andere Anwendungsbereiche, weshalb zumindest einige Leute bereit waren, die Forschung zu finanzieren. Sollte zum Beispiel jemand eine Bombe mit Nervengas zünden, dann müsste diese Maus in der Lage sein, etwa eine Stunde lang relativ ruhig zu bleiben, was dem Gas Zeit geben würde, sich aufzulösen. Anfangs versuchte meine Mom noch, einen Scherz über Kriegsmäuse zu machen. Haselmaus, Feldmaus, Kriegsmaus.

Ging in die Hose.

Meine Mom unterstützt eigentlich gar nichts, was mit Krieg zu tun hat. Sie wollte nie militärische Anwendungen durch ihre Forschung unterstützen. Aber, klar, wenn man Menschen mit so einem Kriegsmäusemedikament schützen kann (Zivilisten, Kinder, Lehrer, alle, die in einem Kriegsgebiet festsitzen und einem chemischen Angriff ausgeliefert sind), bedeutet das natürlich gleichzeitig, dass sich die angreifenden Soldaten potenziell gegen das Gift immun machen können, das sie in die zivile Luft pumpen.

Was heißen soll, dass meine Mom den ganzen Tag in heftigem Widerstreit mit sich selbst liegt. Sie wollte lediglich irgendeine Art von Asthmamedikament entwickeln, das sich für das gesamte Spektrum der Lungenerkrankungen einsetzen lassen würde: Emphysem, Asthma, Azaray. Stattdessen steckt sie nun mitten in der Züchtung von Kriegsmäusen fest.

Eli, die ebenfalls am Tisch sitzt, kürzt mit einer Schere, die sie vorher eigenhändig am Messerschleifer geschärft hat, ihre Haare um drei Millimeter. Sie ist höchst präzise. Ich weiß nicht, wie sie das macht, aber als sie fertig ist, hängt der Vorhang ihrer Haare wie ein glattes blondes Blatt Papier herunter – die Spitzen in einer perfekt geraden Linie.

Wir sehen uns kein bisschen ähnlich. Meine Haare sind schwarz und kraus, und meine Augen sind zwar auch blau, aber dunkelblau, mit goldenen und roten Sprenkeln, die direkt unter der Oberfläche herumschwimmen. Elis haben die Farbe eines blassen Himmels. Wenn das hier ein Märchen wäre, wäre sie ganz automatisch die gute Schwester und ich die böse.

»Punkt eins«, zählt Eli auf, ohne meiner Überlegenheit als ältere Schwester irgendwie Beachtung zu schenken. »Du hast Donner gehört. Wir haben es alle donnern gehört. Ich hatte zu dem Zeitpunkt gerade Mathe. Punkt zwei. Du hast Wolken gesehen. Die wir ebenfalls alle gesehen haben. Es hat gestürmt. Punkt drei. Du hast dir eingebildet, ein Schiff zu sehen, weil du Fieber hast und unter den Nebenwirkungen deiner Tabletten leidest.«

»Es kann überhaupt nicht sein, dass der Sturm mit dir geredet hat«, schließt sie. »Und es gab auch keinen Lautsprecher, der deinen Namen gebrüllt hat. Nur damit du’s weißt.«

Möglicherweise bin ich in Mr. Grimms Unterricht ein bisschen ausgetickt. Möglicherweise kam es zu einer Szene. Möglicherweise bin ich dafür bekannt, viel Theater zu machen. Möglicherweise ist Eli dagegen für ihre besonnene, entspannte Art bekannt. Obwohl sie mit vierzehn jedes Recht dazu hätte, vor lauter Wut und dem, was man einst Körpersäfte nannte, rumzuspinnen.

Aber nein. Eli ist immer ausgeglichen. Als sie letztes Jahr ihre Periode bekam, meinte sie bloß: Aha, na gut. Dann ging sie in ihrem Gymnastikanzug direkt zum Ballettunterricht, als wäre überhaupt nichts dabei.

Ich wiederum habe meine Periode nie bekommen, was ich, um ehrlich zu sein, gar nicht so schlimm finde. Schiebt das Elend ruhig noch ein bisschen auf, sage ich immer. Es liegt daran, dass ich zu dünn bin und es auch nicht schaffe zuzunehmen.

Klarstellung: Mit »zu dünn« meine ich nicht dünn à la Sexy Goth Girl, das nur Blümchenkleid und Lippenstift braucht, um sich in das Mädchen-Das-Insgeheim-Immer-Schon-Hübsch-War-Wir-Haben-Es-Nur-Nie-Bemerkt zu verwandeln. Ich meine: lebende Tote. Leichenblasse Haut, und manchmal, wenn ich huste, ist das einfach nur widerlich. Wollte ich bloß erwähnt haben.

Ich bin mir selbst nicht sicher, was genau heute passiert ist. Mein Dad musste kommen und mich aus dem Rektorat abholen, nachdem ich im Klassenzimmer irgendwas von Freiheit und Selbstbestimmung und Jalousien gebrüllt hatte. Mr. Grimm sah mich bloß an und meinte, ich wisse ja, wo ich hingehen müsse. Krankenzimmer oder Rektorat. Ich wechsele hin und wieder ab.

Mein Dad kam und sah mich mitfühlend an, obwohl wir beide ausgeschimpft wurden. Man versucht krampfhaft, mich nicht als Freak zu behandeln, sondern so wie alle anderen auch. Also ohne besondere Regeln.

Abgesehen von dem Besonderen, was ohnehin gilt.

Zum Beispiel wurde ein sogenanntes Buddy-System eingerichtet, was bedeutet, dass angeblich immer irgendjemand ein Auge auf mich hat, wenn ich durch die Schulflure gehe, falls ich plötzlich nach Luft schnappend zusammenbrechen sollte. Ich habe kein besonderes Vertrauen in diese Sicherheitsmaßnahme. Keine Ahnung, wer heute eigentlich Aza-Dienst hatte.

Den Strafpredigt-Modus hingegen kenne ich inzwischen ziemlich gut.

Schulleiter: »Ms. Ray, Sie müssten doch eigentlich wissen, dass Sie den Unterricht nicht stören sollen.«

»Definieren Sie ›wissen‹«, würde ich gerne sagen.

Denn manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich Dinge tue, von denen ich weiß, dass ich sie eigentlich lassen sollte, was mich aber nicht davon abhält. In meinem Gehirn geht es ordentlich rund, ich kann mich dem kaum entziehen. Ich muss mich täglich aufs Neue zwingen, es zu ignorieren, wenn ich mich auf etwas konzentrieren will.

In der achten Klasse war ich mal nicht ganz so wachsam, und eine Stunde später hatte ich meine Ausgabe von Früchte des Zorns in einen Zirkus aus einhundertvierunddreißig Origamitieren verwandelt, darunter Strauße und Elefanten, Waggons mit richtigen Rädern dran, Akrobaten.

In der dritten Klasse gab es eine schlimme Phase, in der es mir kaum gelang, das Aquarium in Frieden zu lassen. Ich war mir so was von sicher, dass mich die Fische anglotzten. Dasselbe dann wieder in der Sechsten, als wir einen Kanarienvogel im Klassenzimmer hatten. Der hat damals wirklich mit mir geredet, ich schwör’s. Nicht mit Worten. Er saß einfach auf seiner Stange, starrte mich an und sang unglaublich laut, so laut, dass man ihn in einen anderen Raum bringen musste, weil er alle störte.

Vögel. Mit denen habe ich nichts als Schwierigkeiten gehabt. Ich gehöre zu denen, die von Federvieh grundsätzlich im Sturzflug angegriffen werden, weshalb ich im Freien immer Hüte trage. Aber zurück zum Büro des Schulleiters.

Aza: »Ich habe am Himmel etwas Seltsames gesehen.«

Azas Vater: »Ich möchte mich für meine Tochter entschuldigen. Ihre Medikamente –«

Aza (der die Halluzination-Implikation nicht gefällt): »Nein, Sie haben recht. Mir war einfach langweilig. Deshalb habe ich mir das ausgedacht. Vergessen Sie’s.«

Schulleiter (mit strengem Blick, da unsicher, ob man sich über ihn lustig macht): »Schluss jetzt, Ms. Ray. Langsam reicht es mit Ihren Späßen.«

Späßen klingt aus seinem Mund wie ein Schimpfwort.

Sobald wir aus dem Rektorat rauskamen, drückte ich mir die Nase am Treppenhausfenster platt auf der Suche nach dem, was auch immer ich zuvor gesehen hatte. Aber, nein, da war nichts. Es war weg.

Jetzt wirkt mein Dad ziemlich erschöpft. Er hat gekocht. Heute Abend irgendeine Art Nudelauflauf mit Verzweiflungssauce. Inklusive Erdnussbutter. Er schwört, das sei echt Thai, aber in der Thai-Küche gibt es keine Makkaroni. Und auch kein Rauchfleisch. Ich bin mir ziemlich sicher, dass da Rauchfleisch drin ist.

»Irgendwas hat sie gesehen«, sagt er zu meiner Mom.

Die wiederum sieht meinen Dad streng an, der regelmäßig in Schwierigkeiten gerät, weil er Dinge glaubt, die der Logik widersprechen. Er ist ein leidenschaftlicher Fantast. Meine Mom und Eli sind bei uns zu Hause die Realisten. Schließlich zuckt mein Dad mit den Schultern und wendet sich wieder dem Herd zu.

»Sie hat sich etwas eingebildet«, korrigiert ihn meine Mutter. »Nicht gesehen.«

»Sie hat eben eine blühende Fantasie.« Eli kichert über diese bescheuerte Formulierung, die man, seit ich denken kann, im Zusammenhang mit mir verwendet.

»Ist doch auch egal«, sage ich. »Es ist vorbei. Lasst es gut sein.«

Vorhin war ich schon wieder draußen und habe zum Himmel hinaufgestarrt – in dessen blauer Schwärze ein Scheibchen Mond hängt –, aber dort ist absolut nichts Ungewöhnliches zu erkennen. Er ist einfach nur er selbst, der Himmel, einschließlich Polarstern.

Ich mag den Himmel. Er besitzt für mich eine Vernunft, die dem Leben abgeht. Hinaufzuschauen ist gar nicht so doof, wie man das in Anbetracht des Sterbendes-Mädchen-blickt-in-den-Himmel-Szenarios erwarten könnte. Für mich hat der Himmel nichts mit Gott und dem Paradies zu tun. Für mich besteht er aus einem Haufen Gase und ferner Echos von Dingen, die mal gebrannt haben.

Der Polarstern trägt auch den Namen Cynosaura, nach einer Nymphe. Der Stella Polaris ist ein »Schiffsstern«, weil er der Navigation dient. In einigen alten Überlieferungen (eine Runde Applaus für die vielen seltsamen und erstaunlichen Philosophen des siebzehnten Jahrhunderts – in diesem Fall Jacques Gaffarel, und, nein, ich kann nicht erklären, wie ich auf ihn gestoßen bin, außer dass ich irgendwann in den Tiefen der Bibliothek ein Kreisdiagramm des Himmels entdeckt habe, dessen Sterne aussahen wie sich fortpflanzende Fruchtfliegen in einer Petrischale, und ich sofort total gefesselt war) bilden die Muster der Sterne Buchstaben. Himmlische Alphabete. Schriften, die sich verändern, wenn sich die Erde bewegt. Wenn man den Himmel auf diese Weise betrachtet, gleicht er einem gigantischen sich wandelnden Gedicht oder vielleicht einem Brief, zuerst von einem Autor verfasst und dann, wenn sich die Erde dreht, von einem anderen kommentiert. Also starre ich unverwandt hinauf, bis ich es eines Tages lesen kann.

Als ich noch klein war, habe ich mal versucht, mich nachts rauszuschleichen, um die Sterne anschauen zu können. Zu meinem Plan gehörten Schlafzimmerfenster und Regenrinne, nur eben hoch statt runter. Meine Mom erwischte mich, als ich gerade meine Bettdecke auf die Dachschindeln schleppte, doch dann gab sie nach und nahm mich morgens um vier mit hinauf, inklusive kompletter Notfall-Atemausrüstung. Gemeinsam sahen wir in den Himmel hinauf, eingewickelt in meine Decke, mit Thermoskanne, Taschenlampe und einem Buch über Sternbilder. Wir saßen einfach schweigend da, und ab und zu zeigte meine Mom mir eine der Konstellationen und erklärte ihre Bedeutung.

Wenn ich mich also über meine Eltern beklage, dann nur vor diesem Hintergrund. Sie gehören zu der Sorte Eltern, wie sie sich andere Kinder wünschen. Zum Beispiel hatten sie kein Problem damit, eine Lampe mit durchlöchertem Schirm aufzustellen, mit der die gesamte Milchstraße an meine Zimmerdecke projiziert wird, wenn ich das Licht einschalte.

Allein die Vorstellung, wir könnten all die Sterne wieder sehen, die wir nicht mehr erkennen. Wenn alle Lichter gelöscht würden, überall auf der ganzen Welt, wäre der Himmel nichts als ein wahnsinniges Leuchten, so wie meine Lampe ihn darstellt.

Ich kann nicht anhand der Sterne navigieren, aber ich habe mal von jemandem gelesen, der es auf einem kleinen selbst gebauten Floß mit dem gesamten Ozean aufgenommen hat, von Südamerika bis Polynesien. Das Kon-Tiki nannte sich sein Floß. Er war ein norwegischer Entdecker namens Thor.

Irgendwie wünsche ich mir, ich hieße auch Thor. Das klingt so kriegerisch. Aber nein. Aza. Benannt nach was? Nach niemandem.

Anfangs hieß ich noch nicht mal Aza Ray. Den Namen gaben sie mir, nachdem die Atembeschwerden anfingen. Davor hieß ich Heyward. (Heyward war ein Großonkel. Eli ist ebenfalls nach einem Großonkel benannt. Keine Ahnung, was mit meinen Eltern los ist. Hätten sie uns nicht nach unseren Tanten nennen können?)

Auf offiziellen Dokumenten bin ich immer noch Heyward, aber, psst, nicht weitersagen.

Mom: »An jenem Tag, als wir dachten, wir verlieren dich, wussten wir plötzlich, dass du Aza heißt. Aza, nach dem gesamten Spektrum von A bis Z. Es war perfekt.«

Dad: »Der Name war plötzlich einfach da. Das war ganz seltsam spirituell. Wir haben uns gedacht, was sollen wir dagegen schon tun?«