Mama mag keine Spaghetti - Tessa Hennig - E-Book

Mama mag keine Spaghetti E-Book

Tessa Hennig

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Beschreibung

Hannas Alptraum heißt Katrin, ist zwanzig Jahre jünger und die neue Freundin ihres Mannes. Ausgerechnet zur Hochzeit der gemeinsamen Tochter Julia will er sie mitbringen. Gut, dass die italienische Familie des Bräutigams Familienchaos gewöhnt ist. Schwiegermamma Gina versucht, Hanna mit einer Portion Spaghetti aufzumuntern. Aber nicht einmal das hilft. Gina versteht die Welt nicht mehr. Doch so schnell lässt man sich in Italien keine Hochzeit vermiesen – von der deutschen Verwandtschaft schon gar nicht!

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Das Buch

Wie schnell die Kinder erwachsen werden! Hanna kann kaum glauben, dass ihre Tochter Julia bald heiraten wird – noch dazu ­einen Italiener. Wehmütig denkt sie an die Jahre zurück, als Julia noch klein war. Eigentlich hatte Hanna gehofft, nach Julias Auszug mehr Zeit mit ihrem Mann Michael verbringen zu können. Doch der hat sich in eine Jüngere verguckt und ist aus dem gemeinsamen Haus ausgezogen. Statt silberner Hochzeit mit Michael steht Hanna nun die Trauung ihrer Tochter im toskanischen Massa ­Marittima bevor. Dort erwarten sie nicht nur Julias Schwieger­eltern, sondern auch Michael und seine Neue, Katrin: brünett, hübsch und höchstens Mitte dreißig. Als Hanna ihrerseits mit dem italienischen Weinhändler Franco flirtet, ist Michael jedoch alles andere als begeistert. Und schon nimmt das Gefühlschaos seinen Lauf, denn einen Tag vor der Trauung hat Tochter Julia allen Grund, an der Treue ihres Verlobten zu zweifeln, und auch Schwiegermutter Gina macht eine unliebsame Entdeckung. Die Hochzeit droht zum Desaster zu werden – und plötzlich ist Mamas Rat wieder gefragt. Doch den hat Hanna gerade selbst mehr als nötig …

Die Autorin

Tessa Hennig schreibt seit vielen Jahren erfolgreich große TV-Unterhaltung. Mit Mutti steigt aus gelang ihr auf Anhieb ein Bestseller. Wenn sie vom Schreiben und ihrem Wohnort München eine Auszeit benötigt, reist sie auf der Suche nach neuen Stoffen und Abenteuern gern in den Süden.

Von Tessa Hennig sind in unserem Hause bereits erschienen:

Mutti steigt aus

Elli gibt den Löffel ab

Emma verduftet

Lisa geht zum Teufel

Tessa Hennig

Mama mag keine Spaghetti

Roman

List Taschenbuch

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Originalausgabe im List Taschenbuch

List ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin.

1. Auflage Mai 2014

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2014

Umschlaggestaltung: bürosüd° GmbH, München

Titelabbildung: © Gerhard Glück

ISBN 978-3-8437-0717-6

Alle Rechte vorbehalten.

Unbefugte Nutzung wie etwa Vervielfältigung,

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können zivil- oder strafrechtlich

verfolgt werden.

E-Book: LVD GmbH, Berlin

Kapitel 1

»Wenn Sie hier bitte unterzeichnen würden«, sagte Hanna feierlich und deutete routiniert auf ein leeres Feld am Ende des Hypothekenvertrags, den das junge Paar gegenüber in einer Mischung aus Erleichterung, Vorfreude und Stolz ­fi­­xierte, bevor sich die beiden einen liebevollen Blick à la »Magst du zuerst, oder soll ich?« zuwarfen. Total süß! Junge Eheleute, vor allem, wenn sie noch frisch verliebt waren, nahmen Rücksicht aufeinander und machten sich Gedanken über den anderen. Genau so, wie es in einer guten Ehe sein sollte. Hanna hoffte inständig, dass das Glück der beiden länger halten würde als ihr eigenes, weil sie der junge Mann zunehmend irritierte. Es war die Art, wie er seiner frisch Angetrauten ermutigend zunickte – einen Tick zu selbstgefällig, wie Hanna fand. Die ohnehin auf ihr »Schätzle« stolze junge Schwäbin wuchs gleich noch um ein paar Zentimeter. Sie unterschrieb eifrig und mit Hingabe. Prompt er­innerte Hanna sich daran, wie lange es gedauert hatte, bis sie den Familiennamen ihres Mannes einigermaßen leserlich draufgehabt hatte. Aus einer Schuhmacher eine Behrend zu machen, war unterschriftstechnisch sicherlich anspruchsvoller, als wenn eine gebürtige Specht nun auf Hecht umsteigen musste. Dem Schulschriftcharakter und den lieblichen Rundungen der zwei »Hs« nach zu urteilen, die der Name Heike Hecht nun mal mit sich brachte, hatte sich das junge Ding bestimmt zur Lebensaufgabe gemacht, ihren frisch An­getrauten zeit ihres Lebens mit Nestwärme und Schupf­nu­deln zu umsorgen. Es sprach Bände, dass sie jede Menge Platz für ihn ließ und es noch nicht einmal wagte, über die Linien des Unterschriftkästchens hinauszuschreiben. Ganz im Gegensatz zu ihrem Mann. Wie locker und lässig er diese Formalie doch erledigte – nahezu heldenhaft. Er wusste sicher ganz genau, wessen Einkommen sie diese Hypothek zu verdanken hatten. Steffens dominantes »S« und sein ziemlich flottes »Doppel-F«, das rücksichtslos bis zur kleingedruckten Rücktrittsklausel emporschoss, machten Hanna nun vollends klar, wer künftig am Herd stehen und die geplanten drei Kinder umsorgen würde. Das Doppel-F jedenfalls nicht. Dass Männer seiner Art immer in die Rücktrittsklausel hineinschrieben, musste eine tiefere Bedeutung haben.

»Herzlichen Glückwunsch«, sagte Hanna in der Hoffnung, sich in Steffen Hecht zu täuschen. Wie will man sonst Kraft aus seinem Beruf schöpfen, der letztlich ja darin bestand, der Zukunft ihrer Kunden ein Zuhause zu geben?

»Ich kann’s noch gar nicht glauben«, schmachtete die junge Frau, die ihr Gefieder gegen Schuppen eingetauscht und hoffentlich nicht den Fehler gemacht hatte, mit dem Falschen in den Hafen der Ehe geflattert zu sein.

»Ist das Ihre Tochter?«, fragte Doppel-F mindestens so schwungvoll, wie er unterschrieb.

Ganz schön dreist, aber entschuldbar, wenn einem von der Pinnwand ein frisch verliebtes Pärchen zulächelte, das de facto nicht zu übersehen war: Julia und ihr Italo-Lover Lorenzo.

Mehr als ein Nicken war trotzdem nicht drin.

»Sie ist bildhübsch«, kommentierte Steffen Hecht.

»Ja, das finde ich auch«, sagte seine Frau.

»Meine Julia! Sie wird auch bald heiraten«, sprudelte es ungewollt aus Hanna heraus.

»Wie schön. Sie freuen sich bestimmt riesig«, mutmaßte die junge Schwäbin.

Und wie! Wie konnte man sich nicht freuen, wenn die einzige Tochter sich einen partyfreudigen Spaghetti schnappte, seinetwegen die Zelte zu Hause abbrach – nebst Stu­dium, um fortan in Florenz an der Seite eines windigen Italieners zu leben? Prompt meldete sich Hannas Magen und signalisierte aufsteigende Übelkeit. Die Hechts musste sie so schnell wie möglich loswerden.

»Also, wenn Sie noch Fragen haben«, sagte sie, stand auf und reichte den beiden die Hand. »Sie können mich jederzeit anrufen.« Die übliche Ergänzung: »… oder auf einen Kaffee vorbeikommen, wenn Sie mal in der Nähe sind«, ersparte sie sich in diesem Fall.

Freundliches Nicken, Handtasche vom Stuhl nehmen, noch mal Blicke wechseln … »Alles Gute!« Kurz und schmerz­los. Moment! Doppel-F sah nicht zu ihr, sondern erneut auf das Bild von Julia. Schwein! Doch so sind sie nun mal, allen voran ihr Mann – womit Hanna gedanklich wieder bei dem Thema war, das ihr seit Wochen nicht nur Mattigkeit und Trübsal bescherte, sondern auch noch dafür sorgte, dass sie in jedem zweiten männlichen Kunden einen potentiellen Ehebrecher sah. Warum nur hatte sie das Schicksal dazu verdonnert, Michael auf dieser italienischen Hochzeit begegnen zu müssen?

Hände schütteln. Erlösung! Hanna schloss die Tür hinter sich und ließ sich kraftlos auf ihren Bürostuhl plumpsen. Passend zu den mittlerweile dumpf in ihrer Magenwand ­pochenden Depressionskontraktionen fing es auch noch an zu regnen. Im Nu war die Stadt in ein diffus graues Tuch gehüllt, das die regennasse Scheibe konturlos machte. »In Italien scheint jetzt bestimmt die Sonne. Ich gönn es dir ja, mein Kleines«, säuselte sie in Richtung Bild, bevor sie es von der Pinnwand befreite, an sich nahm und mit ihrem ­Zeigefinger begann, über das lange Haar ihrer Tochter zu streichen.

Auch wenn Julia mittlerweile schon ein halbes Jahr in Florenz lebte, verging kein Tag, an dem sie nicht weitere Unterschiede zu Deutschland entdeckte. Warum nur waren die meisten Fensterläden der vor ihr liegenden steinernen Häuserschlucht geschlossen? In einer belebten Straße wie der Via dei Neri, die sich nur wenige Gehminuten von der Ponte Vecchio befand, gab es doch immer etwas zu sehen. Seien es knutschende Touristenpärchen, die sich in diese Seitenstraße verirrt hatten, oder Einheimische, die vor der Eisdiele unter ihrem Fenster festgewachsen schienen und nicht aufhörten, über die Politik im Land zu lamentieren – von Ehe­dramen mal ganz abgesehen, die bevorzugt auf dem Gehsteig nach dem Verlassen des Hauses ausgetragen wurden oder kurz bevor man in den Wagen stieg. Das Leben spielte sich draußen ab, mitten auf den schmalen Geh­wegen, doch niemand schien sich dafür zu interessieren. Kein einziger notorischer Fenstergucker mit Kissen unterm Arm, wie es sie in jeder deutschen Kleinstadt gab. Sie war der Einzige und somit verdächtig, da sie einer der am Gehsteig festgewachsenen älteren Herren immer wieder neugierig beäugte. Der seit ungefähr fünf Minuten direkt unter ihrem Fenster im totalen Halteverbot parkende Wagen interessierte ihn aber anscheinend mehr: ein alter Fiat 500, aber top in Schuss und untypisch für diese Stadt, so blitzeblank, dass sein roter Lack wie neu glänzte. Gerne hätte Julia mehr von diesem schnuckeligen Oldtimer erspäht, doch ihr Blickwinkel machte das unmöglich. Sie liebte dieses Modell. Italien pur, aber leider nur noch schwer zu bekommen – noch dazu als Cabrio mit Faltdach! Was soll’s, dafür hatte sie einen Italiener, der mit Sicherheit noch nicht unter der lackierten Haube eingerostet war. Julia konnte es nicht erwarten, Lorenzo auf seiner Vespa nach Hause tuckern zu sehen. Er wusste noch nicht, dass sie heute die Zusage der italienischen Sprachschule erhalten hatte. Goodbye Lehramt Deutschland. Sie würde hier auch ohne Staatsexamen gut verdienen und wäre bei ihm, ihrem Lorenzo, doch von dem gab es weit und breit immer noch keine Spur. Dafür schossen zwei andere Vespas mit ohrenbetäubendem Lärm vorbei. Julia entschloss sich dazu, nun doch drinnen auf ihn zu warten, ging einen Schritt zurück, um das Fenster zu schließen, und stieß dabei mit dem Rücken gegen etwas Weiches. Da stand jemand hinter ihr. Julia erschrak nur für einen kurzen Moment. Sofort hatte sie den Duft seines Parfüms erkannt. Lorenzo hätte es sich also sparen können, ihr eine Hand über die ­Augen zu legen. Die andere Hand, die sich um ihre Hüfte schlang und an ihrem Bauch entlangfuhr, hingegen nicht. Julia liebte es, wenn er diese Stelle streichelte.

»Lorenzo … Tu das nie wieder, wenn ich am Fenster stehe«, log sie. Denn genau dieses Verrückte und Unberechenbare an ihm war einer der Gründe, weshalb sie sich in ihn verliebt hatte.

»Ich halt dich doch. Ganz fest«, hauchte er ihr ins Ohr, bevor er sie nun näher an sich heranzog.

»Wie bist du hergekommen? Ich war die ganze Zeit am Fenster.«

»Ich hab im Büro die Augen geschlossen und mir gewünscht, bei dir zu sein … Und hier bin ich«, erklärte er augenzwinkernd. Jetzt wollte Julia es aber genau wissen, wand sich aus seinen Armen, um ihn direkt anzusehen.

»Jetzt mal im Ernst. Wo ist die Vespa? Die hätte ich doch gehört.«

»Verkauft«, erwiderte er lapidar.

»Was? Warum das denn?«, fragte Julia fassungslos, weil sie wusste, wie sehr er an ihr hing.

»Mit der Vespa von hier zu meinen Eltern … Und dann das ganze Gepäck. Ich hatte keine Lust, mit dem Zug zu fahren.«

Julia musterte ihn. Dieses verschmitzte Lächeln kannte sie. Blitzartig setzte sich das Puzzle in ihrem Kopf zu einem unfassbar romantischen Ganzen zusammen. Es war noch keine zwei Wochen her, als sie in seinem Beisein einem Cinquecento wehmütig am Piazza della Repubblica hinterhergesehen hatte.

»Du hast … nein … das glaub ich nicht«, sagte sie, auch wenn sie sich angesichts seines strahlenden Lächelns immer sicherer wurde.

»Ich konnte nicht widerstehen«, erwiderte er und zog einen Schlüsselbund aus seiner Jackentasche, den er ihr baumelnd vor die Nase hielt. Sie schnappte ihn sich und ging zur Tür.

»Jetzt gleich?«, fragte Lorenzo.

»Nicht, dass die Carabinieri den Kleinen noch abschleppen.«

Auch wenn Lorenzo sich einen leidenschaftlichen Kuss verdient hatte und der Bellini wegen der guten Job-Neuigkeiten bereits kalt gestellt war, für mehr als einen flüchtigen Kuss reichte es nicht. Eine Spritztour mit diesem Wagen ging nun mal vor!

Es gab Momente, in denen wünschte sich Hanna, in Japan zu leben, und das nicht, weil ihr die japanische Mentalität sonderlich nahe war. Großstädte wie Tokio waren zu voll und zu hektisch, Fisch war nicht ihr Ding, und Kirschblüten gab es auch in München. Doch seitdem sie von diesen neuartigen, absolut schalldichten Klokabinen in einer Zeitschrift gelesen hatte, erschien ihr Japan in einem ganz anderen Licht. Sogar Musik lief darin, um sicherzustellen, dass man sich in einer Oase des Friedens entspannen konnte. Wäre sie jetzt dort, hätte ihre Kollegin sicher nicht mitbekommen, dass sie immer noch schluchzte.

»Hanna?« Das war Susannes Stimme.

Wie peinlich. Vermutlich wusste schon die halbe Abteilung, wo sie sich aufhielt, um sich wenigstens für fünf Minuten so richtig auszuheulen. Dabei hatte Susanne sie erst ein Mal dabei auf der Damentoilette erwischt. Der Trick, mit dem sie sich als Erstklässlerin immer erfolgreich vor dem Schulsport hatte drücken können, wollte im Büro einfach nicht klappen.

»Die Winklers sind schon da. Die haben noch einen Termin beim Notar. Kommst du?«, hallte es ohne vorwurfs­vollen Unterton in den Raum. Susanne wusste über ihre »schwierige Phase«, wie sie es nannte, Bescheid.

»Zwei Minuten«, rief Hanna – genug Zeit, um sich mit dem seidenweichen und nach Kamille duftenden Toilettenpapier die Nase zu putzen und die Heulschlieren zu beseitigen. Keine Schritte, kein Türknarren. Susanne musste also noch auf sie warten, sogar ziemlich lang, weil aus den »zwei Minuten« mindestens zehn geworden waren. Ihre Kollegin stand tatsächlich bei den Waschbecken. Sie wirkte nun doch etwas ungeduldig.

»Tut mir leid«, sagte Hanna.

Susanne nickte nur mitfühlend und fuhr in einer fürsorglichen Geste über Hannas Arm. »Scheißzeit. Aber du packst das!«

Hanna nahm das Kleenex, das ihr Susanne reichte, dankbar an. »Heute hätten wir unsere silberne Hochzeit gefeiert«, sagte sie bitter, darum bemüht, nicht schon wieder loszuheulen.

»Ach, Silber, die paar Jahre … Das zählt doch eh nicht … Ich kenne niemanden, der das groß feiert … Wenn’s jetzt die goldene wäre …«

»Dann hätte unsere Ehe fünfzig Jahre gehalten!«, begehrte Hanna auf, bevor sie sich tapfer den Rest verlaufener Wimperntusche vor dem Spiegel aus dem Gesicht wischte. »Außerdem hatten wir schon gebucht. Zwei Wochen Gran Canaria. Im besten Hotel … Und ich hab noch nicht mal eine Reiserücktrittsversicherung.« Sie schluchzte auf.

Susanne hielt ihr das nächste Kleenex hin. »Hanna. Es sind erst zwei Wochen. Glaub mir. Du fühlst dich mit jedem Tag, der vergeht, besser.«

»Ich fühl mich jeden Tag beschissener. Du hast ja wenigstens noch Anja und Tobias …«

Susannes noch nicht auszugsreife Kinder waren unschlagbare Argumente.

Susanne nickte. »Vielleicht solltest du die Vollzeitstelle doch annehmen. Arbeit lenkt ab«, schlug sie vor.

So ganz unrecht hatte sie damit nicht, vor allem, wenn Hanna daran dachte, dass sich Michael dreißig Jahre lang erfolgreich damit abgelenkt hatte, während es ihre Aufgabe gewesen war, sich um den Haushalt und die Kinder zu kümmern.

»Ich pack das einfach nicht mehr«, gestand Hanna. »Jeden Tag Leute, die eine Familie gründen wollen, die sich verliebt ansehen, Pläne schmieden …«

»Wir können ja den Job tauschen«, schlug Susanne vor. Sie war für die »Rückabwicklung« des Familienglücks zuständig: geplatzte Hypotheken nach Trennungen, Neuvergabe an einen Partner, der den anderen auszahlte, und natürlich die Zwangsversteigerungen. Sie wäre dann wenigstens unter Gleichgesinnten. »Ich mein das ernst«, betonte Susanne, weil Hanna sie immer noch ungläubig ansah.

»Du bist echt süß, aber … da spielt doch der Vorstand nie im Leben mit.«

»Überleg’s dir. Mehr als anbieten kann ich es dir nicht.«

Hanna nickte, holte tief Luft und betrachtete ihr Spiegelbild. Weiß wie die Wand, oder lag das jetzt nur an der zu dunklen Haartönung, die sie sich gestern aus lauter Frust und auf Susannes Anraten, um sich »etwas Gutes zu tun«, auf die Haare geschmiert hatte? Dunkelblond erzeugte ungute Kontraste. Zum Nachschminken war jetzt keine Zeit mehr. Die Winklers! Sie musste das nächste Nest finanzieren, auch wenn nach aktueller Scheidungsstatistik die Laufzeit der Hypothek vermutlich länger war als die gemeinsame Zeit im neuen Heim.

Michael konnte kaum glauben, wie schwierig es war, Fotos von Julia als Kind zu finden, auf denen sie nicht gerade irgendetwas in sich hineinstopfte oder eine Cola in der Hand hielt. Vor allem die Bilder ihrer ersten Italienreise glichen einer Fressorgie. Das war ihm damals gar nicht aufgefallen, auch nicht, als er sich letztes Jahr die Mühe gemacht hatte, alle Familiendias zu digitalisieren und die Fotos in eine Bildverwaltung einzupflegen, die einem die Möglichkeit gab, sich in Chronologie auf Zeitreisen bis in die eigene Kindheit zu begeben. Es war schön, alles nach Jahren geordnet auf dem Rechner zu haben oder das eine oder andere Bild nachzubearbeiten. Das gab ihm das gute Gefühl, sein Leben im Griff zu haben. Schon wieder eines dieser Fressalien-Fotos: die fünfjährige Julia im Kampf mit einer Riesenportion Spaghetti, die sie so gierig ansah, als hätte sie wochenlang nichts zu essen bekommen. Ihr Gesicht war komplett verschmiert. Michael musste herzhaft lachen.

»Was ist? Warum lachst du?«, rief Katrin aus dem Badezimmer, in dem sie sich nach der Arbeit für ein Wellnessbad zurückgezogen hatte. Das konnte Michaels bisheriger Erfahrung nach über eine Stunde dauern. Zeit genug, um die letzten Fotos für die Hochzeits-DVD, eine Diashow mit Musik aus allen Lebensetappen seiner Tochter, als Geschenk zusammenzustellen.

»Ach, die Kinderbilder …«, rief er.

Michael scrollte weiter durch seinen Bestand. Mit jedem Mausklick flogen die Jahre nur so an ihm vorbei. Auf einem Schnappschuss, den Hanna von ihm gemacht hatte, hielt er einen Reiseführer in der Hand und las darin. Das war das letzte Jahr ohne Lesebrille, die schon bei der nächsten Bilderserie auf seiner Nase saß. Michael lehnte sich zurück und erinnerte sich daran, wie er seine Weitsichtigkeit festgestellt hatte. Schnell bewegte er sich mit der Maus zum entsprechenden Ordner: das Essen bei den Friedmanns. Ausgerechnet deren Wellensittich hatte ihm klargemacht, dass er eine Brille brauchte. Wenn man als Kind selbst so ein Federvieh gehabt hatte und einen gewissen Abstand vom »Landeplatz«, sprich dem eigenen ausgestreckten Zeigefinger, gewohnt war, fiel es auf, wenn diese Distanz auf einmal nicht mehr reichte, um »Hansilein« scharf zu sehen. Herbert Friedmanns lakonische Bemerkung hatte Michael sofort wieder im Ohr. »Also, ich hör schon die Totenglocken läuten«, hatte er gesagt, nachdem Michael sich gar nicht mehr hatte beruhigen wollen. Mittlerweile lag er bei zwei Diop­trien. »Degenerative Alterserscheinungen«, wie der Augenarzt sie ihm als völlig unbedenklich und normal versicherte, quasi eine Art »grauer Star«, wenn man es genau nähme. Toll! »Grauer Star light« also. Michael lehnte sich zurück und erinnerte sich, wie er sich an jenem Tag mit einem Schlag alt gefühlt hatte. Mit fünfundvierzig! Dabei war das doch noch gar nicht »alt«. Michael seufzte, was so laut gewesen sein musste, dass Katrin es wohl gehört hatte.

»Schatz. Was ist?«, rief sie ihm in beunruhigtem Tonfall zu.

»Nichts … Nur Erinnerungen … die alten Fotos.«

»Ich weiß, warum ich nie welche mache. Schau lieber nach vorn. Dann hast du mehr Lebensfreude und Energie«, erklärte sie. Das stimmte, aber andererseits … Machten sie einem nicht zu dem, der man war? Schnell bewegte er sich weiter durch die »Timeline« seines Lebens. Hier der junge Mann, der eben seinen Führerschein bestanden hatte, dann Schulfotos vom Baggersee. Michael stellte anerkennend fest, wie durchtrainiert er einmal gewesen war. Und diese Alexa, die neben ihm auf der Decke lag. Wie hatte sie ihm den Kopf verdreht. Sofort folgte er der Spur dieser wohligen Erinnerung und klickte sich hinein in die Zeit der Unbeschwertheit, in der man noch das Gefühl hatte, die ganze Welt würde nur darauf warten, spielerisch erobert zu werden. Alexas Kleid, das sie auf dem Abschlussball trug, war tief ausgeschnitten. Das Gefühl ihrer Nähe, der Geruch ­ihrer Haut … auf einen Schlag so präsent. Der erste Körperkontakt beim Blues nach der Tanzstunde, ihre weichen Brüste an seinem Oberkörper … Michael gab sich diesem Gedanken so intensiv hin, dass er eine Erektion bekam. Sie rang ihm ein Schmunzeln ab, das jedoch sofort einfror, als er versuchte zu rekonstruieren, wann er das letzte Mal außerhalb der Bettkante spontan eine gehabt hatte. Während der Studienzeit auf jeden Fall, zum Beispiel bei langweiligen Vorlesungen. Er hatte seinen Blick dann viel lieber durch die Reihen bildhübscher Kommilitoninnen schweifen lassen. Vielleicht nach den ersten Berufsjahren in der Steuerkanzlei? Nein. Viel später. Auf alle Fälle aber vor Einsetzen der Weitsichtigkeit. Nur wann genau? Beides, der Wegfall von spontanen Erektionen und schwindende Sehkraft, war eher ein schleichender Prozess gewesen. An einen »Hansi-Effekt«, der ihm nachlassende Vitalität und einen sinkenden Testosteronspiegel vor Augen geführt hätte, konnte er sich jedenfalls nicht erinnern. Die Ehe, schoss ihm durch den Kopf. Eingespielte sexuelle Rituale, die den Lustmotor zum Erliegen brachten? Jein, nicht nur. Die Zeit, in der Hanna mit Julia schwanger gewesen war? Etwa die traumatische Erfahrung im Kreißsaal, in dem er die schwierige Geburt hatte mit ansehen müssen? Das hatte seiner Frau eines Geheimnisses beraubt und ihren Tempel der Lust entweiht – es hatte Monate gedauert, bis er wieder in der Lage gewesen war, sie auch nur anzufassen. Statt Sex zu haben, hatte er nächtelang wach gelegen, weil der kleine Schreihals keine Ruhe geben wollte. In der Zeit hatte er sein erstes graues Haar entdeckt. Vitalitätskiller! Altmacher! Oder lag das eher an seinem Job, der immer mehr Zeit und Energie verschlungen hatte? Stress, Stress und noch mal Stress! Kein Sport mehr! Schlagartig öffneten sich alle möglichen Ventile seines biologischen Speicherchips und spuckten, auch ohne sich durch die »Timeline« zu bewegen, eine wahre Flut an Ereignissen und Bildern aus, die seinen Puls beschleunigten und ein seltsames Unwohlsein in ihm hervorriefen. War­um nur diese Panik? Michael starrte wieder auf den jungen Mann, der er einmal gewesen war, um daran Halt zu finden.

»Bringst du mir ein frisches Handtuch?«, tönte es aus dem Badezimmer, bevor ein gurgelndes Soggeräusch verriet, dass Katrin ihre Wellnessrunde beendet hatte.

»Wo sind die? Im Schlafzimmer oben oder im Schrank im Flur?«

»Das weißt du immer noch nicht?«

»Du hast mir noch keinen Lageplan von deiner Wohnung gegeben«, witzelte er.

»Flur!«, hallte es zurück.

Und dort wurde er fündig. Katrin lugte aus dem Bad und lächelte ihn an, als er sie mit dem kuschelig weichen Badetuch erreichte.

»Wir brauchen eine größere Badewanne«, stellte sie verschmitzt fest, bevor er sie mit dem Badetuch umhüllte und an sich zog. Wie gut sie duftete. Wie gut sich ihr Körper anfühlte, der sich an seinen schmiegte. Und wie schön waren ihre Augen, die ihn so ansahen, als wollten sie ihn jeden Tag ein Stück mehr ergründen. Er sah sie an und genoss das Gefühl, das er aus der Tanzschule kannte. Es war gerade genau wie bei Alexa damals, nur dass Katrin viel hübscher war und ihre Küsse viel besser schmeckten.

Er war ja so süß! Julia kam es so vor, als würde ihr Herz ­immer noch mit seinem Zwei-Zylinder-Viertakt-Motor im Gleichklang schlagen. Auch die anderen Gäste des Restaurants im Univiertel, in das sie nach der Spritztour eingekehrt waren, warfen immer wieder einen Blick auf den knallroten Wagen.

»Hey, ich bin auch noch da«, beschwerte sich Lorenzo prompt.

Julia nickte eine Spur wehmütig. Am liebsten wäre sie mit dem »Kleinen«, wie Lorenzo ihn inzwischen auch nannte, die ganze Nacht durch Florenz gefahren. Sie konnte es immer noch nicht fassen, diesen Wagen zu haben und darüber hinaus noch einen so tollen Ehemann in spe, der ihr sprichwörtlich jeden Wunsch von den Augen ablas.

»Der Wagen … Er ist so schön … Ich … Du bist …« Julia war so gerührt, dass es ihr auf der Suche nach einem passenden Superlativ glatt die Sprache verschlug.

Lorenzo half da gerne aus: »Großartig?«

»Und ziemlich verrückt …«, ergänzte sie wahrheitsgemäß.

Lorenzo zuckte nur mit den Schultern und hob das Glas.

»Können wir jetzt endlich auf deine Stelle anstoßen?«

Der Prosecco hatte schon aufgehört zu perlen.

»Wann fängst du an?«, wollte er wissen.

»Gleich nach den Schulferien.«

»Was hat deine Mutter dazu gesagt? Sie ist sicher sehr stolz auf dich«, sagte Lorenzo.

Dass er ausgerechnet nach Mama fragte, überraschte Julia, klammerte er doch sonst das Thema gerne aus.

»Ich hab sie noch nicht angerufen«, gestand sie.

»Warum? Ihr telefoniert doch sonst so oft.«

»Ich bin noch nicht dazu gekommen«, erklärte sie und hoffte, dass er nicht weiter nachhaken würde.

Doch er tat es, indem er sie eindringlich ansah.

»Wenn ich anrufe, um ihr von dem neuen Job zu erzählen, dann muss ich auch … die Sache mit Papa … Du weißt schon …«

»Porco dio!«, stieß Lorenzo ungläubig aus. »Du hast es ihr noch nicht gesagt?«

Julia schüttelte nur betreten den Kopf.

»Julia. Die Hochzeit ist am Sonntag. Du kannst sie doch nicht ins offene Messer laufen lassen«, entrüstete er sich. So viel Anteilnahme, wenn es um ihre Mutter ging, kannte ­Julia ganz und gar nicht an ihm.

»Ich schwöre dir. Wenn sie das weiß … Sie kommt nicht …«

»Julia!«

»Mensch. Du weißt doch … ich musste Papa versprechen, dass ich meinen Mund halte«, rechtfertigte sie sich, wofür sie sich schämte, weil sie gerade versuchte, sich aus der Verantwortung zu stehlen.

Prompt legte Lorenzo seinen Finger in die Wunde. »Wenn ich mich recht daran erinnere, hast du dich gestern deswegen noch ganz schön mies gefühlt.«

»Mein Vater hat nicht ganz unrecht. Sie würde es sich nie verzeihen, wenn sie deswegen unsere Hochzeit verpasst.«

»Das tut sie auch, wenn sie nach ihrer Anreise der Schlag trifft.«

»Du dramatisierst!«

»Meine Mutter würde der Schlag treffen.«

»Die ist ja auch Italienerin.«

»Seit wann stört dich das?«

»Seit wann interessierst du dich dafür, ob meine Mutter der Schlag trifft?«, gab sie ihm Kontra.

Lorenzo schnaubte eingeschnappt. Na bravo! Der erste Streit in der Öffentlichkeit, und sofort hatte man dankbares Publikum, das mit gespitzten Ohren und fiesen Seitenblicken nur darauf wartete, dass es zum temperamentvollen Eklat kam. Und der stand kurz bevor, als Lorenzo ihr auch noch demonstrativ das Handy hinhielt.

»Bitte ruf sie an. Jetzt gleich.«

»Vom Handy? Das ist doch viel zu teuer«, hielt sie ihm entgegen.

»Das ist mein Firmenhandy. Wir haben eine Europa-Flatrate. Jetzt mach schon!«

»Ich denke überhaupt nicht daran …«

»Wenn du es nicht tust, dann tu ich es.«

»Das wagst du nicht.«

Und ob! Julia musste mit ansehen, wie er resolut im ­Adressbuch nach der Nummer ihrer Mutter suchte. Am meisten ärgerte sie sich darüber, dass Lorenzo auch noch recht hatte. Sie konnte ihre Mutter nicht auflaufen lassen.

»Nun gib schon her!«, sagte Julia und nahm ihm das Handy aus der Hand.

»Es ist richtig so, mi amor«, sagte er so sanft und überzeugend, dass es sich auf einmal richtig anfühlte, ihre Mutter anzurufen. Der Krampf in ihren Eingeweiden in Gedanken an das bevorstehende Telefonat eher weniger.

Normalerweise ging Hanna nach der Arbeit das kurze Stück von ihrer Garage zum Haus, ohne auf den Weg zu achten. Zu voll war der Kopf mit Überlegungen, was sie für ihren Mann oder Julia kochen würde, ob sie noch Lust hatte, den Wäscheberg wegzubügeln oder zu putzen. Das alles fehlte. Es gab auch keinen Grund mehr, nach Hause zu hetzen. Dort war sie allein … Also warum sich beeilen? Die Schritte wurden prompt langsamer, bis sie ganz stehen blieb und auf ihren Traum starrte, der in zwei Jahren abbezahlt sein würde. Genau dafür hatten sie jahrelang gearbeitet. Wenigstens der sündhaft teure weiße Aluzaun hatte die letzten Jahre schadlos überdauert. Er strahlte im Gegensatz zu ihrem Eheglück noch genauso weiß wie am ersten Tag. Hanna fragte sich nicht zum ersten Mal, ob sie das Haus verkaufen sollten. Michael hatte ihr bereits angeboten, sie auszube­zahlen – ein Fall für Susanne also. Aber das alles aufgeben? Ihren schönen Garten, dessen Duft sie so intensiv wahrnahm? Die neben dem Haus gepflanzten Blumenbeete, deren Farbenspiel ihr jeden Tag Freude bereitete? Die Grillecke mit dem gemauerten Backsteinofen, an dem sie so oft an lauen Sommerabenden mit Freunden zusammengesessen hatten? Ihre Broschüren sahen so aus wie das, was vor ihr lag. Daraus waren Träume gemacht – die sie verkaufte. Geplatzt! Also doch ausziehen? Wenn nur nicht so viele Erinnerungen an jedem Strauch kleben würden, an jedem Stück Erde, den ihr Blick streifte. Wer würde sich künftig um die Blumen auf dem »Massengrab« an ihrem Zaun kümmern, wie Julia es immer genannt hatte? Ihre zehn verstorbenen Goldhamster hatten dort die letzte Ruhestätte gefunden. Lucky, der Kater des Nachbarn, hatte diese Stelle als seinen Lieblingsplatz in der Sonne auserkoren, obwohl er oder vielleicht gerade weil er einen der Hamster auf dem Gewissen hatte. Trotzdem hing sie an dem schwarzweißen Kater, den sie ab und an mit frischer Milch versorgte. Das Telefon riss Hanna abrupt aus ihren Gedanken. Vermutlich Susanne, die ihr wie jeden Abend Mut zusprechen oder sie überreden wollte, etwas mit ihr zu unternehmen. Nach dem Spurt in Straßenschuhen über das empfindliche Ahornparkett – ein weiteres Indiz dafür, dass sich ihr Leben im Moment im absoluten Ausnahmezustand befand – war es aber Julia, die sie überschwänglich begrüßte.

»Hallo, Mama!«

»Wie geht’s? Was machst du gerade?«, fragte Hanna ihre Tochter.

»Stell dir vor, Lorenzo hat uns einen Cinquecento gekauft. Der Wagen ist traumhaft.«

»Ist der nicht ein bisschen klein?«, überlegte Hanna laut, weil sie dabei sofort an das Thema ›Familienplanung‹ dachte.

»Nein! Der ist richtig, richtig klein. Baujahr siebenundachtzig. Wir passen gerade so rein.«

Hanna erinnerte sich daran, dass Julia schon nach ihrem Führerschein damit geliebäugelt hatte, sich so ein Gefährt anzuschaffen. Lorenzo musste das mitbekommen haben. Der Junge war mit allen Wassern gewaschen.

»Und den Job hab ich auch«, fuhr Julia fort. »Die Schule ist ganz in der Nähe unserer neuen Wohnung.«

»Großartig. Ich freu mich sehr für dich«, sagte Hanna, auch wenn es im Moment weniger Freude, sondern eher die Erleichterung darüber war, dass Julias »Abenteuer Italien« zumindest beruflich nicht im Fiasko enden würde wie ursprünglich erwartet.

»Wann kommst du?«, wollte Julia wissen.

»Morgen. Mit dem ersten Zug.«

»Schon morgen?« Hanna hörte eindeutig Widerwillen, wenn nicht sogar Panik aus Julias Tonlage heraus.

»Wenn dir das nicht recht ist … Ich dachte, lieber etwas früher, damit ich Lorenzos Eltern in Ruhe kennenlernen kann.«

»Mama. Wir sind morgen den ganzen Tag in Siena unterwegs. Die Einkäufe für die Hochzeit …« Julia klang zunehmend gestresst.

Was hatte das nun zu bedeuten? Frühe Anreise unerwünscht?

»Dann komm ich eben abends. Wenn euch das lieber ist«, schlug Hanna vor.

»Aber ich kann dich doch nicht am Bahnhof stehen lassen«, wandte Julia ein. Hielt sie ihre Mutter neuerdings für ein Kleinkind, das nicht allein in der Welt zurechtkam? Irgendetwas stimmte da nicht.

»Ich nehm ein Taxi«, schlug Hanna resolut vor.

»Na gut … Übrigens, du kannst auch bei Lorenzos Eltern schlafen. Das ist doch sowieso viel besser als ein Hotel«, schlug Julia vor.

»Auf keinen Fall. Ich möchte ihnen nicht zur Last fallen«, erwiderte Hanna, was nicht ganz der Wahrheit entsprach, denn nie im Leben würde sie bei wildfremden Leuten übernachten, noch dazu bei einer italienischen Familie, die mit Sicherheit total chaotisch war. Da musste man sich ja nur die Wegstrecke, die der Apfel vom Baum gefallen war, zurück zum Ast ausrechnen. »Außerdem kann ich die Buchung nicht mehr rückgängig machen.«

»Mama … Ich glaub, Papa ist im gleichen Hotel«, gestand Julia nun kleinlaut.

Daher wehte also der Wind. Hatte Michael ihr etwa gesteckt, dass sie ihrer Mutter den Hotelaufenthalt ausreden sollte? Stornieren kam nicht in Frage, schließlich konnte sie nichts dafür, dass es in diesem Kaff nur ein vernünftiges Hotel gab, das so kurzfristig noch etwas frei hatte.

»Wir haben fünfundzwanzig Jahre unter einem Dach gelebt. Ich glaub, die Nacht wird er überstehen«, sagte sie mit Nachdruck.

»Lorenzos Eltern würden sich aber auch freuen«, drängte Julia weiter.

»Wir sollten uns erst mal kennenlernen, bevor ich gleich dort übernachte.«

Funkstille! So schlimm konnte es doch nicht sein, wenn sie Lorenzos Eltern peu à peu kennenlernen wollte. Immer noch Funkstille! Das kannte sie schon von Julia. Zuletzt hatte sie es erlebt, als sie versucht hatte, ihrer Mutter klar­zumachen, dass sie zu Lorenzo nach Florenz ziehen würde, um fortan in einer Einzimmerwohnung mit ihm zu hausen.

»Julia. Was ist los? Was soll das ganze Theater?«

»Mama …«, setzte Julia an.

»Jetzt mach schon«, hörte sie Lorenzo aus dem Hintergrund sagen, und wenn sie ihre Italienischkenntnisse nicht täuschten, sogar mit Nachdruck.

»Mama. Papa ist nicht allein …«, brach es schließlich aus Julia heraus.

»Stell dir vor. Das weiß ich …«, erwiderte Hanna, doch noch bevor sie den Satz zu Ende brachte, fiel ihr wie Schuppen von den Augen, dass Julia mit »allein« etwas anderes meinte. Funkstille! Nur diesmal auf der anderen Seite der Leitung.

»Mama?«

Noch nicht einmal die Hochzeit seiner Tochter war ihm heilig. Michael brachte tatsächlich seine neue Flamme mit. Respektlos. Schamlos. Unwürdig! Hanna hatte für einen Moment an diese Möglichkeit gedacht, sie aber angesichts ihrer langjährigen Ehe an der Seite eines Mannes, der sie immer fair behandelt hatte, sofort als Unmöglichkeit verworfen.

»Ich hab versucht, Papa das auszureden, aber … Mama. Bist du noch dran?«

»Ja.« Mehr brachte Hanna nicht mehr heraus. Und dann wurde ihr klar, warum Julia vorhin versucht hatte, sie möglichst lange von der Hochzeit fernzuhalten.

»Julia … ich weiß nicht, ob ich das kann«, sagte sie schließlich mehr zu sich.

»Ich find das ja auch nicht toll, aber Papa ist vermutlich so ein Feigling, dass er sich nicht traut, alleine zu kommen«, sagte Julia wenig überzeugend.

»Das glaubst du doch selbst nicht. Prahlen will er, weiter nichts … mit dieser Galionsfigur.«

»Katrin ist, glaub ich, ganz nett …«, deutete Julia an.

»Ach, ihr kennt euch schon.« Das wurde ja immer besser. Gemeinsame Sache also.

»Wir haben nur kurz gechattet … per Video … Katrin möchte mich auch kennenlernen, und Papa ist das, glaub ich, sehr wichtig.«

Auch noch einleuchtende Argumente, selbst wenn sie gestottert waren. Hanna wurde augenblicklich schlecht.

»Jetzt mach es mir doch nicht so schwer«, sagte Julia.

Hanna brachte kein Wort heraus.

»Du kommst doch?«, fragte ihre Tochter zaghaft.

Im Bruchteil einer Sekunde schlug Hannas Niedergeschlagenheit in pure Wut um. Die Hochzeit ihrer Tochter sausen lassen, nur weil Michael anscheinend völlig den Verstand verloren hatte? Mit Sicherheit nicht.

»Natürlich, mein Schatz«, sagte sie, obwohl sie sich für einen kurzen Moment überlegt hatte, die Hochzeit tatsächlich sausen zu lassen. Diesen Triumph würde sie Michael aber nicht gönnen.

»Dann bis morgen. Es wird bestimmt schön«, versprach sie, bevor sie sich verabschiedete. Und nach dem Klick kamen die Schockwellen, eine Mischung aus Wut und Verzweiflung über die Zwangslage, in die sie diese Hochzeit brachte. Die Wut überwog.

Kapitel 2

Zu Hannas großem Erstaunen war der Zug ab München so gut wie leer. Ein Abteil für sich allein zu haben, war Luxus pur. Wer fuhr schon zwischen den Pfingst- und den Sommerferien nach Italien? Auch die Autobahn und die Landstraßen, die teilweise von der Zugstrecke aus zu sehen waren, schienen wie ausgestorben. Hanna genoss es, für eine Weile entspannt aus dem Fenster zu blicken, auf das saftige Grün der vorbeiziehenden Wiesen und auf die Bergwelt Südtirols. Die Landschaft hatte etwas Beruhigendes. Schönes lenkte einen ab, soweit man von Ablenkung sprechen konnte, wenn sich die Gedanken gerade mal eine Minute lang nicht um die bevorstehende Hochzeit drehten. Um das endlich abzustellen, kramte Hanna ihren E-Book-Reader aus der Handtasche. Beim Lesen musste man sich konzen­trieren, und endlich hatte sie mal Zeit dazu. So gesehen hatte es auch seine Vorteile, wenn man allein verreiste und kein Ehemann mehr mit dabei war. Das war ein äußerst schwacher Trost, aber ausreichend Motivation, um sich mit dem Bücherbestand auf ihrem Lesegerät zu beschäf­tigen. Über die Hälfte aller im Laufe der Zeit erworbenen Bücher hatte sie noch nicht einmal geöffnet. Die anderen waren bis auf wenige Ausnahmen nur angelesen. Hanna überlegte, wann sie sich das letzte Mal in Ruhe und ohne Zeitdruck hatte auf ein Buch einlassen können, ohne dass ihr irgendein Termin oder private Verpflichtungen im Nacken gesessen hatten. Da Hanna sich nur noch vage an den Inhalt der bereits angelesenen Bücher erinnern konnte, schloss sie die Augen und tippte auf irgendeines der Buchcover auf dem Display. Der Zufall sollte entscheiden. Ihr Finger erwischte dabei ausgerechnet Alessandro Manzonis Meisterwerk – passende Lektüre im Vorfeld von Julias Hochzeit. Glücklicherweise war das Buch auf Italienisch. Es würde sie fordern und war die ideale Gelegenheit, sich wieder in die Sprache einzufinden. Das Unterfangen stellte sich aber schnell als äußerst ermüdend heraus. Es sorgte für Tiefschlaf bis Verona. Geweckt wurde sie, als die Abteiltür mit einem ratternden Geräusch geöffnet wurde. Ein älteres Ehepaar stand vor ihr.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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