Mami 1942 – Familienroman - Gisela Reutling - E-Book

Mami 1942 – Familienroman E-Book

Gisela Reutling

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Beschreibung

Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Buchstäblich ein Qualitätssiegel der besonderen Art, denn diese wirklich einzigartige Romanreihe ist generell der Maßstab und einer der wichtigsten Wegbereiter für den modernen Familienroman geworden. Weit über 2.600 erschienene Mami-Romane zeugen von der Popularität dieser Reihe. Es begann alles mit einer Orange, deren Hülle aus dünnem Papier sich Anita zufälligerweise anschaute. San Rocco, Italien, stand darauf. Versunken strich Anita das Papier glatt. Ihre Mutter stammte aus San Rocco. Ihre zärtliche, schöne Mutter, die so früh gestorben war. Wie oft hatte diese ihrem kleinen Mädchen von dem sonnigen Land ihrer Kindheit erzählt, von dem weißen, säulengeschmückten Elternhaus zwischen Zypressen und Camelienbäumen. Die Mama, ihre Mamina, tat das in ihrer Sprache, die das Kind Anita spielend von ihr erlernte. Klang sie doch melodisch wie Musik aus ihrem Mund! Und war ihr Name nicht schon Musik: Julietta. "Warum fahren wir nicht einmal zu dem weißen Haus, Mamina?" hatte sie gefragt. Da war die Mutter still geworden. Sie hatte an ihr vorbeigesehen in unbestimmte Fernen. "Die Türen würden uns verschlossen bleiben", war es leise und traurig über ihre Lippen gekommen. "Sogar meine Briefe sind ungeöffnet zurückgegangen." Das Kind konnte das noch nicht verstehen. Aber es wagte auch nicht weiter zu fragen, weil es schon merkte, daß dann immer ein Schatten über das geliebte Gesicht fiel. Anita war zehn Jahre, als eine schwere Krankheit die Mutter dahingerafft hatte. In ihrem großen Schmerz war San Rocco doch der Ort ihrer einsamen Kinderträume geblieben.

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Mami – 1942–

Hab' mich lieb, kleiner Mann

Das Schicksal Sebastians rührt zu Herzen

Gisela Reutling

Es begann alles mit einer Orange, deren Hülle aus dünnem Papier sich Anita zufälligerweise anschaute. San Rocco, Italien, stand darauf. Versunken strich Anita das Papier glatt. Ihre Mutter stammte aus San Rocco. Ihre zärtliche, schöne Mutter, die so früh gestorben war. Wie oft hatte diese ihrem kleinen Mädchen von dem sonnigen Land ihrer Kindheit erzählt, von dem weißen, säulengeschmückten Elternhaus zwischen Zypressen und Camelienbäumen. Die Mama, ihre Mamina, tat das in ihrer Sprache, die das Kind Anita spielend von ihr erlernte. Klang sie doch melodisch wie Musik aus ihrem Mund! Und war ihr Name nicht schon Musik: Julietta.

»Warum fahren wir nicht einmal zu dem weißen Haus, Mamina?« hatte sie gefragt.

Da war die Mutter still geworden. Sie hatte an ihr vorbeigesehen in unbestimmte Fernen. »Die Türen würden uns verschlossen bleiben«, war es leise und traurig über ihre Lippen gekommen. »Sogar meine Briefe sind ungeöffnet zurückgegangen.«

Das Kind konnte das noch nicht verstehen. Aber es wagte auch nicht weiter zu fragen, weil es schon merkte, daß dann immer ein Schatten über das geliebte Gesicht fiel.

Anita war zehn Jahre, als eine schwere Krankheit die Mutter dahingerafft hatte. In ihrem großen Schmerz war San Rocco doch der Ort ihrer einsamen Kinderträume geblieben.

Bis sie aufhörte, ein Kind zu sein und der Vater ihr in einer stillen Stunde von jenen Dingen erzählte.

Als Student war er einst mit ein paar Freunden zu einer Italienreise aufgebrochen. In San Rocco war Thomas Henschel geblieben, er hatte die anderen weiterziehen lassen. Denn dort war es gewesen, daß er ein Mädchen gesehen hatte, das ihm in seiner Schönheit und Anmut unvergleichbar erschien. Er lernte sie kennen, und auch sie verliebte sich in ihn. Und das war mehr als Verliebtheit, auf beiden Seiten. Es war, als wären sie von Anbeginn füreinander bestimmt.

Doch Juliettas Mutter, die Witwe Casal, der das Landgut gehörte, hatte andere, ehrgeizige Pläne. Sie setzte alles in Bewegung, um die Heirat ihrer einzigen Tochter mit dem Fremden, dem ›hergelaufenen Studenten‹ zu verhindern. Davonscheren sollte er sich!

Julietta war stolz und mutig. »Die Madonna schützt die Liebenden«, sagte sie. »Alles wird gut werden.«

Als die Mutter in ihrer Unbeugsamkeit sie schließlich vor die Entscheidung stellte, gab sie Heimat und Elternhaus auf und folgte dem geliebten Mann. Sie hoffte, daß die Zeit alle Wunden heilen würde und mochten auch Jahre um Jahre darüber vergehen.

Aber nicht genug Zeit war Julietta geblieben:

Eigentlich sollte sie doch einmal nach San Rocco fahren, ging es Anita durch den Sinn, während sie mit Bedacht die Orange zerteilte. Nicht, daß sie der harten alten Frau begegnen wollte, die ihre Großmutter war. Das gewiß nicht. Aber sie wollte die Wege gehen, die ihre Mutter einst gegangen war. Sie würde sich nicht allein dabei fühlen. Das Mädchen, das Julietta geheißen hatte, würde in ihren Vorstellungen lebendig werden und um sie sein.

Dieser Gedanke setzte sich in Anita fest, nahm mehr und mehr Gestalt an. Ganz warm wurde ihr dabei.

Die Ferien standen vor der Tür. Im August schloß Dr. Rösener seine Praxis, bei dem sie seit zwei Jahren Sprechstundenhilfe war. Sie hatte noch keine besonderen Pläne dafür gemacht. Rainer, ihr Freund, mußte arbeiten. Das Staatsexamen rückte näher, mit dem er sein Ingenieurstudium abschließen wollte. Da war an Urlaub nicht zu denken.

Der Vater würde freilich Augen machen, wenn sie ihm von ihrem Vorhaben erzählte. Aber vielleicht würde er sie verstehen. Sie hatten sich doch immer gut verstanden. Auch in den Jahren, in denen sie allein gewesen waren. Vier lange Jahre, bis er wieder geheiratet hatte. Sie, die Vierzehnjährige, brachte es nicht fertig, zu der neuen Frau Mama oder Mutti zu sagen.

»Sag einfach Marianne zu mir«, hatte diese ihr vorgeschlagen. »So, als wäre ich eine ältere Freundin von dir.«

Und so wurde ihr Verhältnis dann allmählich auch. Dazu trug bei, daß ihr Vater, der viel zu ernst und zu ruhig für seine Jahre geworden war, sich mit Marianne wieder dem Leben zuwandte, auch wieder lachen und froh sein konnte. Sie lebten in Eintracht und Harmonie zusammen in dem hübschen Reihenhaus. Was blieb ihnen noch zu wünschen übrig!

An diesem Abend, es war ein Mittwoch und sie hatte ihren freien Nachmittag gehabt, sagte Anita es ihrem Vater, daß sie nach San Rocco fahren wollte.

»Was willst du denn in San Rocco?« fragte er stirnrunzelnd, und es war, als käme ihm das Wort nur schwer über die Zunge.

»Den Spuren von Maminas Kindheit folgen«, erklärte Anita. »Sehen, wo sie gespielt hat, wo sie in die Schule gegangen ist.«

»Wozu soll das gut sein?« hielt ihr der Vater etwas schroff entgegen. »Deine Großmutter wird dich nicht mit offenen Armen aufnehmen.«

»So weit denke ich gar nicht, Papa. Sie mag meine Großmutter sein, aber ich kann sie nicht als solche betrachten. Für mich ist sie eine Fremde und wird eine Fremde bleiben, weil sie Mamina mit unbegreiflicher Härte von sich gestoßen hat. Ich werde mich ihr bestimmt nicht zeigen.«

Grübelnd sah Thomas Henschel seine Tochter an. Die haselnußbraunen Locken, das herzförmige Gesicht mit der kleinen geraden Nase und dem vollen, schöngeschwungenen Mund. »Aber du siehst deiner Mutter sehr ähnlich«, brachte es hervor. Nur die helleren Augen, die hatte sie von ihm.

Anita hob die Schultern. »Wem sollte das auffallen, nach drei-, vierundzwanzig Jahren«, widersprach sie. »Niemand wird sich mehr an die alte Geschichte erinnern.«

»Wenn du dich da nicht täuschst«, meinte der Vater. Es legte sich ihm sichtlich schwer auf die Seele, daß da etwas aufgerührt werden sollte, über das der Mantel des Vergessens gebreitet worden war.

Könnte er es ihr nur ausreden! Aber er kannte seine Anita. Sie hatte ihren eigenen Kopf.

Marianne Henschel, die bis dahin schweigend der Unterhaltung gefolgt war, sprang ihrer Stieftochter bei.

»Ich würde mir darüber nicht zu viele Gedanken machen, Thomas«, sagte sie. »Wenn Anita sich die Heimat ihrer Mutter nun einmal als Urlaubsziel auserkoren hat, dann laß sie doch. Als Urlauberin wird sie eine von vielen sein. Wer schert sich schon um die Vergangenheit in dieser schnellebigen Zeit.«

Der Mann verzog den Mund ein wenig. »Halten kann ich sie sowieso nicht.«

Anita sprang auf und setzte sich auf die Sessellehne ihres Vaters.

»Ich werde mir vorstellen, Papi, wie du als junger Mensch dort gegangen bist und dich in meine schöne Mama verliebt hast. Ich kann gar nicht wie sie aussehen, denn ich bin nur ein Mädchen wie hunderttausend andere«, behauptete sie schmeichelnd.

Auch ihr Freund hatte allerhand Einwände, wenn auch natürlich aus anderen Gründen.

»Italien! Im August!« rief er aus. »Wenn sie wie in einer Sardinenbüchse am Strand liegen. Schrecklich.«

»San Rocco liegt nicht am Meer, sondern im Hinterland«, berichtigte sie ihn und trank von dem Mineralwasser, das er auf den Tisch gebracht hatte. Die darauf liegenden Bücher hatte er beiseite geschoben. Viel Platz war nicht gerade in seiner Einzimmerwohnung.

»Um so schlimmer«, befand er auf ihre Worte hin. »Da wird die Hitze überhaupt nicht auszuhalten sein.«

Anita lachte ihn aus. »Du willst es mir ja nur verleiden, weil du daheim hocken bleiben und büffeln mußt!«

»Kein bißchen Mitleid hat dieses kaltherzige Weib mit mir«, grollte Rainer Kampen. »Hab’ ich nicht genug um die Ohren, daß ich mir auch noch Sorgen um dich machen muß?«

»Sorgen?« Anita beugte sich etwas vor auf ihrem Stuhl. »Was mußt du dir um mich denn für Sorgen machen?«

»Na ja, wenn du wochenlang allein verreisen willst. Was kann da alles passieren.«

»Du schwingst hier Reden wie aus dem vorigen Jahrhundert, mein Lieber«, sagte Anita überlegen. »Ich kann sehr gut selber auf mich aufpassen.«

»Könntest du nicht deine Freundin Iris mitnehmen?« beharrte der junge Mann dennoch.

Anitas Gesicht verdüsterte sich. »Iris kann Benjamin nicht allein lassen, auch nicht bei der Oma. Er hat zuviel Angst. Außerdem kann ich auch die beste Freundin nicht bei diesem Vorhaben brauchen.«

»Ich finde das überhaupt reichlich sentimental, was du vorhast«, erklärte Rainer Kampen nüchtern. »Nur weil deine Mutter von da herstammt, damit machst du sie doch nicht wieder lebendig.«

»Das verstehst du nicht«, sagte Anita kurz.

Sie ging in das Reisebüro, wo es eine Hotelvermittlung in aller Herren Länder gab. Der Computer zeigte, daß es in San Rocco nur ein einziges Hotel gab und dieses war belegt. Eine einfache Pension war noch im Angebot, Zimmer mit Frühstück zu günstigem Preis. Dort war ein Zimmer zu haben.

»Dann nehme ich das«, entschied Anita.

So war es abgemacht.

Am letzten Tag in der Praxis mußte Anita sich Mühe geben, hundertprozentig konzentriert wie immer zu sein. Mit halbem Gedanken saß sie schon im Zug nach Süden.

»Ich glaube, wir haben den Urlaub alle nötig«, sagte ihr Chef, Dr. Rösener. »Wo soll es denn hingehen, Anita?« erkundigte er sich freundlich.

Sie nannte ihm ihr Ziel. Daraufhin wiegte er den Kopf. Italien, nun ja. Er zog mit seiner Familie den kühleren Norden vor, wo er mit den Kindern fischen gehen konnte und das Meerwasser zum Schwimmen nicht lauwarm wie in einer Badewanne war.

Anita lächelte nur zustimmend. Er wußte ja nicht, daß es für sie eine besondere Reise sein sollte.

*

Sie mußte mehrmals umsteigen, zuletzt in ein Züglein mit nur drei Wagen, das eingleisig dahinrollte, an mehreren Dörfern anhielt, um Fahrgäste ein- und aussteigen zu lassen. Es mochten Arbeiter von den sich weit dahinziehenden Orangenplantagen sein, die nach Hause fuhren. Auch bäuerlich gekleidete Frauen waren darunter, welche die Fremde neugierig musterten.

Anita blickte zum Fenster hinaus. Die niedrigen, weiß oder blaßrosa getünchten Häuser sahen aus, wie wenn sie als Dekoration für ein Theaterstück aufgestellt worden wären. Verstreut, gab es aber auch villenartige Häuser in dieser fruchtbaren Landschaft. Sie verbargen sich mehr oder weniger hinter Mauern oder hohen schmiedeeisernen Gittertoren.

Endlich: San Rocco. Der Bahnbeamte, der auf dem kleinen Bahnhof seine Kelle schwenkte, rief es mit rollendem R aus: SAN RROCCO, SAN RROCCO!

Herzklopfend griff Anita nach Koffer und Reisetasche und stieg damit die hohen Wagentritte hinunter. Die wenigen anderen Aussteigenden verteilten sich rasch. Nach einem schrillen Pfeifton seitens des Bahnbeamten ruckelte das Züglein weiter. Dieser, mit der roten Kappe auf dem Kopf, wandte sich an die junge Frau, die unschlüssig stand mit ihrem Gepäck.

»Werden Sie nicht abgeholt?« warf er hin.

»Nein. Und ein Taxi gibt es wohl hier nicht?«

»Damit können wir leider nicht dienen. Wo wollen Sie denn hin?«

»Zur Pension Alma. Ist das sehr weit?«

Statt einer Antwort rief der Bahnbeamte plötzlich mit Donnerstimme: »He, Luigi, hol dein Auto, hier gibt’s eine Fahrt für dich!«

Das galt einem jungen Mann, der auf der Straße dahinschlenderte. Dieser warf seinen Zigarettenstummel weg und setzte sich in Bewegung.

»Er wird Sie hinbringen, Signorina«, sagte der Beamte. »Luigi verdient sich gern ein paar Lire zusätzlich.«

»Vielen Dank, das ist sehr freundlich«, nickte Anita ihm zu.

Zwei Minuten später war der junge Mann da, mit einem Wagen, der schon bessere Tage gesehen hatte.

»La Montagna?« fragte er beflissen, als er ihr das Gepäck abnahm. Denn nichts anderes nahm er an, als daß die flott gekleidete hübsche Dame in diesem Hotel absteigen wollte, auch wenn dessen Gäste meistens mit eigenem Wagen anreisten.

Anita stellte es richtig, und er sauste los. Der Ort zog sich weiter hin, als sie angenommen hatte. Neuerbaute, unpersönlich wirkende Häuser säumten die Straße. Vor einem dieser hielt ihr Fahrer an. PENSION ALMA, stand auf einem Schild neben der Tür. Für den Schein, den sie dem jungen Mann gab, trug er ihr auch noch das Gepäck hinein.

Sie war etwas enttäuscht. Die Zimmer waren eng und wenig komfortabel, in der Dusche konnte man sich kaum umdrehen. Man wollte wohl soviel wie möglich herausholen. Auch war der Empfang unpersönlich wie das Haus, von höflicher Sachlichkeit bestimmt.

»Wie lange werden Sie bleiben, Signora Henschel?«

»Das kann ich noch nicht genau sagen. Vorerst eine Woche«, antwortete Anita zurückhaltend.

Sie richtete sich ein, so gut es eben ging. Dann setzte sie sich auf das schmale Bett und stützte den Kopf in die Hände. Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, hierher zu fahren. Eine Sentimentalität, wie Rainer es genannt hatte. Romantische Träume, wie sie ihr sonst fremd waren, seit sie erwachsen war.

Auch hier würde sich in langen Jahren viel verändert haben. Wie sollte sie da noch Spuren finden von dem Kind, dem Mädchen Julietta Casal?

Nachdem sie sich etwas frischgemacht hatte, erkundigte sie sich bei der Pensionswirtin nach einem Gasthaus, hatte sie doch während der langen Reise kaum etwas zu sich genommen. Die Wirtin wies es ihr am Ende der Straße.

Auch hier war alles neu und ohne besondere Note. Ziemlich verloren fühlte sich Anita an ihrem Ecktisch. Es waren nur Männer da, die laut und gestikulierend redeten. Sie debattierten über die politische Lage. Ein Thema, das wohl überall an der Tagesordnung war, wo Männer sich zusammenfanden.

Zurück in der Pension, legte sie sich bald nieder. Doch sie fand nicht, wie erhofft, schnell in den Schlaf. Zu viele Bilder bedrängten sie. Später hörte sie noch die Stimmen heimkehrender Gäste…

Es wohnten hauptsächlich Vertreter hier, wie sie beim lieblos servierten Frühstück am nächsten Morgen bei sich feststellte. Sie hatten Musterkoffer bei sich und machten über Mobiltelefon ihre Treffen beim nächsten Kunden aus. Dann war da noch ein junges Pärchen, das verliebt turtelte und keinen Blick für seine Umgebung hatte.

In leichter Bekleidung und mit flachen Sandaletten an den Füßen zog Anita dann aus, um ein anderes, ein schöneres San Rocco zu entdecken. Sie mußte lange die öde, staubige Straße entlanglaufen, hupende Autos an sich vorbeirasen lassen, bis sie es im Ortskern fand.

Ja, hier herrschte italienisches Flair!

Ein bunter Markt, der die herrlichsten Früchte feilbot, eine Kirche, alte, doch gepflegte Häuser, blumengeschmückt die verschnörkelten Balkone, Straßencafés mit kleinen runden Tischen unter Sonnenschirmen – leuchtende Farbenpracht überall unter einem azurblauen Himmel!

Endlich überkam Anita die Freude, die sie erwartet und bisher nicht gefunden hatte. Entzückt nahm sie das bunte Leben und Treiben in sich auf. Lachen und Zurufe waren um sie, über das Kopfsteinpflaster der umliegenden Gassen rumpelten Eselskarren.

Ein kleiner Hund sprang an ihr hoch, fuhr mit der rosigen Zunge blitzgeschwind über ihre Hand.

»Caro – Caro!« rief ihn eine helle Stimme zurück. Sie gehörte einem jungen Mädchen, das rasch auf Anita zutrat und sich bei ihr entschuldigte.

»Es ist nichts passiert«, antwortete Anita freundlich. »So ein hübsches Hündchen, das wollte mich nur begrüßen.« Und sie streichelte ihm über das glänzende braune Fell.

Die Fremde lächelte ihr zu. Tierliebe schuf rasch Sympathie.

Im Weitergehen freute sich Anita, daß sie die italienische Sprache immer noch so gut beherrschte. Man vergaß doch nicht, was man als Kind gelernt hatte. Auch hatte sie immer wieder Bücher im Original gelesen.

Irgendwo setzte sie sich dann in einem Café unter einen der bunten Sonnenschirme, um ein Erfrischungsgetränk zu sich zu nehmen. Als sie gerade den Strohhalm hineintauchte und die Eiswürfel gegeneinander klirren ließ, sah sie, aufblickend, das Mädchen mit dem Hündchen wieder. Sie hatte ihn jetzt an der Leine, aber ›Caro‹ hatte Anita entdeckt und strebte auf sie zu.

»Zutraulich ist er ja immer, aber zu Ihnen scheint er sich besonders hingezogen zu fühlen«, lachte seine Besitzerin. »Darf ich mich zu Ihnen setzen? Ich wollte auch gerade etwas trinken.«