Mami 1950 – Familienroman - Gisela Reutling - E-Book

Mami 1950 – Familienroman E-Book

Gisela Reutling

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Beschreibung

Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Buchstäblich ein Qualitätssiegel der besonderen Art, denn diese wirklich einzigartige Romanreihe ist generell der Maßstab und einer der wichtigsten Wegbereiter für den modernen Familienroman geworden. Weit über 2.600 erschienene Mami-Romane zeugen von der Popularität dieser Reihe.

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Mami – 1950–

Wir haben einen großen Bruder

Sie hatten von Stefan nichts gewusst

Gisela Reutling

Die halbe Nacht lag Beate wach, grübelte, stellte sich hundert Fragen, ohne doch eine Antwort darauf zu finden.Wie sollte sie ihn begrüßen, wenn es denn wirklich zu einem Treffen kam?

Wie einen Fremden, der er ja war?

Einfach Hallo sagen, wie es ein Achtzehnjähriger gut fände?

Ihr war heiß vor innerer Bedrängnis.

Sie warf die Decke zurück, tappte auf bloßen Füßen zum Fenster und sah in die Dunkelheit hinaus. Der Himmel war schwarz und ohne Sterne. Im Garten bewegten sich die Blätter der Bäume im Wind. Es war wie ein Raunen, ein Wispern in der Stille.

Aber Antwort gaben sie nicht.

Hinter ihr bewegte sich ihr Mann in seinem Bett. Beate hielt den Atem an. Sie wollte nicht, daß er aufwachte.

Da kam seine schlaftrunkene Stimme: »Was ist – warum stehst du da am Fenster?«

»Es ist nichts«, sagte Beate rasch und leise. »Schlaf weiter.«

Rolf drehte sich auf die andere Seite. »Du warst den ganzen Tag schon so unruhig«, murmelte er noch und zog die leichte Decke hoch.

Sie verharrte unbeweglich, bis seine ruhigen Atemzüge ihr zeigten, daß er wieder eingeschlafen war.

In den anderen Zimmern schliefen die Kinder, Silke und Lukas, jedes hatte ein Zimmer für sich. Sie wußten nichts von den Nöten ihrer Mutter. So wenig, wie Rolf etwas davon wissen durfte. Beate legte sich wieder nieder. Den verhängnisvollen Brief hatte sie in ihrer Nachttischschublade versteckt. War es nicht, als sende er Signale aus?

Hinter geschlossenen Lidern sah sie die Worte vor sich, die auf dem Blatt mit einer jungen, noch unfertigen Schrift geschrieben standen. Ohne Anrede. Er mochte lange überlegt haben, wie er sie anreden sollte und schließlich darauf verzichtet haben.

Mir ist der Brief vom Jugendamt ausgehändigt worden. Ich möchte Dich kennenlernen. Wenn Du es auch willst, rufe mich über mein Handy an.

Es folgte die Nummer, darunter sein Name: Stefan.

Vielleicht, dachte Beate, während ihre Gedanken nun doch verschwammen, ja, vielleicht würde sie ihn anrufen, irgendwann, wenn sie sich über manches klargeworden war...

Als um halb sieben der Wecker schrillte, kam sie wie von weither aus einem bleiernen, dumpfen Schlaf. Der Kopf war ihr schwer, sie schüttelte ihn, als sie sich aufsetzte, fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht.

»Du hast wohl schlecht geschlafen, Beate«, sagte Rolf, sich unter seiner Decke dehnend. Sekunden später sprang er auf und ging als erster ins Bad.

Der geschäftige Alltag begann.

Beate weckte die Kinder. Ihre ›Große‹ – Silke war dreizehn – fand immer schlecht aus dem Bett. Lukas dagegen spazierte umher und verkündete, daß er heute wohl keine Lust haben würde, in den Kindergarten zu gehen.

»Meinste, ich hätte Lust, in die Schule zu gehen und eine blöde Englischarbeit zu schreiben?« murrte seine Schwester und verschränkte die Arme unter dem Kopf.

Aber als sie endlich, frisch gewaschen und gekämmt, alle um den gedeckten Frühstückstisch saßen, hob sich die Stimmung, nicht zuletzt dank dem munteren Zureden der Mutter.

»Seht nur, wie schön die Sonne scheint! Da geht Anne sicherlich mit euch auf den Waldspielplatz, Lukas, und ihr werdet eine Menge Spaß haben.«

»Na ja«, machte das rundwangige Bürschlein gedehnt, »vielleicht überleg’ ich mir’s doch.«

»Du wirst sowieso nicht gefragt, mein Sohn«, sagte Rolf Sailer amüsiert. Wenig später verfrachtete er ihn in sein Auto, um ihn am Kindergarten abzuliefern, bevor er zu seinem Büro im Finanzamt fuhr.

»Packst du mir das Geburtstagsgeschenk für Patricia noch hübsch ein, Mama?« bat Silke, als sie ihre Schultasche schulterte. »Um halb drei bin ich eingeladen.«

»Mach’ ich«, nickte ihre Mutter. »Und toi-toi-toi für die Englischarbeit.«

»Hm, wird schon hinhauen«, sagte das Mädchen lässig. Noch ein »tschüs«, und Beate sah ihrer Tochter nach, wie sie auf langen, noch ein bißchen staksigen Beinen in hellblauen Jeans davoneilte, um zwei Ecken weiter eine Mitschülerin an der Bushaltestelle zu treffen.

Es waren die Vormittagsstunden, in denen Ruhe in die Wohnung einkehrte und Beate sich ihrer Hausarbeit widmen konnte. Heute war Markttag, sie mußte auch einkaufen gehen. Sie wollte sich aufschreiben, was sie alles brauchte, damit sie nichts vergaß.

Seit gestern irrten ihre Gedanken doch umher, ließen sich nur mühsam zurückdrängen.

Und als sie am Tisch saß, einen Zettel vor sich, den Bleifstift in der Hand, überfiel es sie wieder.

Ob der Junge wirklich auf einen Anruf wartete? Ach, schon kein Junge mehr, ein Mann war er geworden. Und mit welchen Gefühlen dachte ein junger Mann an eine Mutter, die er nie zu Gesicht bekommen hatte?

Sie hatte ihr Kind einmal gesehen. Ein paar Stunden nach der Geburt war die Hebamme mit dem Baby an ihr Bett gekommen, aber als sie den Kopf wegdrehte, um zu weinen, trug die Hebamme es schnell davon.

Danach wurde ihr Sohn zur Adoption freigegeben.

Sein Erzeuger war ein Achtzehnjähriger aus dem Jugendheim. Schlimmer hätte es kaum kommen können.

Der Vater regelte alles. Termine beim Jugendamt, der Adoptionsstelle, dem Arzt, dem Notar und der Schule. Walter Krüger war ein harter, strenger Mann mit Grundsätzen. Seine blasse, stille Frau duckte sich vor ihm, und auch sie, das Kind, das Mädchen, das sie damals gewesen war.

Beate, vor sich hinstarrend am Tisch, konnte sich die Szenen von damals noch heute abrufen. Sie saß vor riesigen Schreibtischen, wurde von Erwachsenen vor die Tür geschickt, dazugeholt, wenn es um die Unterschrift ging. Zettel über Zettel lagen vor ihr, Einverständniserklärungen, Abtretungsurkunden. Beate unterschrieb sie alle und wagte nicht, etwas zu sagen.

Dabei hatte sie sich alles ganz anders vorgestellt.

Sie dachte, ihre Großmutter mütterlicherseits, die ihr herzlich zugetan war, könnte auf das Kind aufpassen, sie weiter zur Schule gehen, um das Abitur zu machen und dann einen Beruf zu erlernen. Irgendwie würde sie es schaffen. Im Krankenhaus nahm sie sich jeden Tag vor, ihren Vater anzusprechen. Aber jedes Mal, wenn er ging, hatte sie nichts gesagt.

Sie hatte den Zeitpunkt verpaßt.

Acht Wochen nach der Geburt leistete sie die letzte Unterschrift. Danach war das Thema tabu. Sie ging wieder in die Schule. Alle taten, als wäre nichts gewesen. Da war sie achtzehn. Sie hatte das Leben noch vor sich.

Aber ein andauernder Schmerz blieb. Sie flüchtete sich damit zu ihrer Großmutter. Hedwig Lobwitz war eine einfache Frau, doch sie hatte Herz und Verstand, sie fühlte mit ihr.

»Was wird sein«, klagte ihr Beate, »wenn der Junge groß sein wird und erfahren muß, daß seine leibliche Mutter ihn fortgegeben hat? Wird er es nicht als einen Makel empfinden, der an ihm haftet, weil er in mir, die ihn geboren hat, einen schlechten Menschen sehen wird?«

»Schreib auf, wie alles gewesen ist«, schlug ihr die Großmutter nach längerem Überlegen vor. »Hinterlege den Brief beim Jugendamt, bis zu seiner Großjährigkeit. So Gott will, wird er einsehen, daß du nicht aus Schlechtigkeit gehandelt hast.«

Das hatte sie getan. Heimlich natürlich, die Eltern durften es nicht wissen. Ein klein wenig hatte es ihr Herz erleichtert.

Nach dem Schulabschluß machte sie eine Ausbildung zur Bürokauffrau. Sie bekam eine Anstellung im Sekretariat einer Großfirma. Durch eine Kollegin, Lisa Matthes, mit der sie auch privat gelegentlich zusammenkam, lernte sie Rolf Sailer kennen. Er war ein Cousin von Lisa, sieben Jahre älter als sie, Beate. Er verliebte sich in sie. Es schien ihm zu gefallen, daß sie eher scheu und zurückhaltend blieb. Obwohl doch eine kleine zaghafte Freude in ihr war, wenn er sie mit seinen braunen Augen voller Wärme und mit einer gewissen Nachdenklichkeit ansah.

»Du bist so anders als die jungen Frauen von heute es sonst sind«, sagte er einmal. »Nicht von so schneidigem Selbstbewußtsein. Du rührst etwas an, das Beschützerinstinkte in einem Mann weckt.«

Sie war gern mit ihm zusammen. Manche Stunden ihrer Freizeit verbrachten sie miteinander. Rolf war ruhig und ernsthaft und sehr korrekt, aber er konnte auch loslassen und ganz fröhlich sein. Das sprang dann auf sie über, sie fühlte sich unbeschwert und so jung, wie man es mit dreiundzwanzig Jahren eigentlich sein sollte.

Als Rolf von Heirat sprach, senkte es sich ihr schwer auf die Seele, daß sie nicht seine Frau werden konnte, ohne ihm vorher das Geheimnis ihres Lebens zu offenbaren.

Sie zögerte es immer wieder hinaus. So wie sie damals gezögert hatte, sich dem Vater entgegenzustellen.

Und wieder hatte sie den richtigen Zeitpunkt verpaßt...

Mußte sie jetzt dafür büßen?

Beate stand vom Tisch auf, ging unruhig auf und ab.

Ja, sie hatten geheiratet. Rolf war glücklich. Sie war es auch, weil sie verdrängt hatte, was einmal gewesen war. Dies war ein neues Leben. Das andere gehörte einer Vergangenheit an, die sie vergessen wollte. Eigentlich war es besser so, daß sie Rolf nicht damit belastet hatte. Jedenfalls redete sie sich das ein.

Als sie Silke zur Welt gebracht hatte, schwanden die letzten Schatten. Nun hatte sie ein Kind, das ihr gehören durfte, dem sie alle Liebe geben durfte. Das einen Papa hatte, der stolz war auf sein Töchterchen.

Schöne Jahre, gute Jahre, in einem harmonischen Gleichmaß. Dann noch ein Nachkömmling, eigentlich nicht geplant, aber freudig angenommen. Ein Sohn, Lukas, und nicht mehr wegzudenken aus ihrer aller Leben.

Beate biß sich auf die Lippen.

Dieser andere Sohn, der Stefan hieß, er gehörte nicht zu ihrem Leben. Er hatte seine Eltern, deren Namen sie nicht wußte, bei ihnen war er aufgewachsen, irgendwo in dieser großen, weitverzweigten Stadt.

Warum hatte er an sie geschrieben? Warum mußte diese schreckliche Unruhe nun über ihre Tage und Nächte kommen, weil etwas emporgerissen worden war, das sie tief, tief in sich begraben hatte?

Wenn sie nun einfach nicht darauf reagierte!

Damit wäre Bedrohliches von zwei Familien abgewendet, denn auch die Adoptiveltern würden einer Kontaktaufnahme mit Sicherheit ablehnend gegenüberstehen. Wer mochte wissen, was sie von ihr hielten.

Es gab einen Ruck in Beates Innern, als sie zu diesem Entschluß gekommen war. Der Junge würde, wenn keine Reaktion von ihrer Seite kam, den Brief vom Jugendamt in einer hinteren Schublade ablegen und ihn allmählich vergessen. In diesem Alter stürmte ein junger Mann doch ins Leben hinein und warf ab, was ihn nur unnötig beschwerte.

Damit wandte sich Beate nun endlich wieder ihren hausfraulichen Pflichten zu. Alles sollte so weitergehen wie es war. Darüber wollte sie ihre Hände beschützend halten.

*

»Nö, ich fand ihn ziemlich blöd«, sagte Silke auf die Frage ihrer Mutter, ob ihr der Film denn gefallen hätte. »Das waren alles durchgeknallte Typen.«

Beate kannte die Ausdrucksweise ihrer Teenager-Tochter schon. »Du wolltest ihn ja unbedingt sehen«, hielt sie ihr entgegen.

»Ja, weil alle reinrennen.« Das Mädchen zuckte die Achseln. »Möchte nur mal wissen, wieso der mehrere Preise gekriegt hat. Die Hella hat auch wieder angegeben. In Florida, wo ein Teil der Handlung spielte, wäre sie früher schon mit ihren Eltern gewesen.«

»Wenn sie es sagt, mag es schon stimmen«, meinte ihre Mutter.

»Pah, glaub’ ich nicht. So wenig wie ich ihr die Villa mit Swimmingpool glaube, die ihnen gehört haben soll, als ihr Vater noch gelebt hat.«

»Man weiß es nicht.« Beate mischte den Salat für das Abendessen weiter. »Sonst versteht ihr euch doch ganz gut.«

»Na ja... Besser gefällt mir noch ihre Schwester. Die find’ ich super. Nur schade, daß sie so selten da ist.«

»Das ist eine erwachsene Frau, und sie hat ihren Beruf.«

»Und was für einen!« Silke nahm sich einen Apfel aus der Obstschale und biß herzhaft hinein. »Fliegt um die Welt. Das könnte mir auch gefallen. Vielleicht werd’ ich auch mal Stewardeß. Ist doch ein Traumberuf.«

»Meinst du?« zweifelte ihre Mutter. »Ich weiß nicht, ob das so traumhaft ist, auf Langstreckenflügen die Gäste zu bedienen und dann vom Zielort nicht mehr als das Hotel zu sehen.«

»Aber die Piloten sehen so toll aus in ihren Uniformen«, schwärmte Silke und betrachtete ihren Apfel.

»Ja, wenn das ein Argument für dich ist«, sagte Beate erheitert.

Da mußte das Töchterchen auch lachen. »Vielleicht, unter anderem, Mama«, sagte sie keck und hüpfte vom Schemel, auf dem sie sich niedergelassen hatte. »Wo sind eigentlich unsere Männer?« erkundigte sie sich.

»Der Papa räumt etwas in der Garage auf, Lukas wollte ihm dabei helfen.«

»Der wird ihm ja eine große Hilfe sein«, spottete seine Schwester und verzog sich in ihr Zimmer.

Während Beate eine Aufschnittplatte richtete, mußte sie an die Nachbarn denken, die unter ihnen im Parterre des Dreifamilienhauses wohnten. Da war die verwitwete Frau Hauser mit ihrer Tochter Hella, die ungefähr im gleichen Alter wie Silke war. Die beiden Mädchen waren am Nachmittag zusammen im Kino gewesen. Es gab noch eine andere Tochter, eben die Stewardeß. Sie wohnten seit zwei, drei Jahren hier, aber da Frau Hauser eine recht zurückhaltende Dame war, wußte man nicht viel voneinander.

Vielleicht hatten sie wirklich andere Tage gesehen, nicht immer in einem Mietshaus gewohnt. Was Hella gelegentlich entschlüpfte, mochte nicht nur Angeberei sein, wie Silke das meinte.

Aber was ging sie das schon an! Man hielt freundliche, wenn auch distanzierte Nachbarschaft, was Beate nur recht sein konnte, die von größerer Vertraulichkeit sowieso nichts hielt. Die Mädchen – sie gingen nicht auf dasselbe Gymnasium – tauschten gelegentlich ihre Schulerlebnisse aus, unternahmen wohl auch einmal etwas miteinander, so wie heute. Ansonsten hatte Silke ihre Schulfreundinnen, und da war auch das Brüderchen, das energisch seine Rechte der großen Schwester gegenüber geltend machte.

»Morgen gehst du aber mit mir ins Freibad, ja«, wandte sich der Vierjährige beim Abendessen an sie.

»Morgen geht’s nicht«, antwortete Silke kurz und bündig.

»Heute ging’s nicht, morgen geht’s nicht, wann geht’s denn mal?« fragte der Kleine aufsässig.

»Wenn das Wetter schön bleibt«, mischte sich die Mutter begütigend ein, »dann fährt der Papa am Wochenende mit uns zum Waldsee. Dann kannst du uns deine Schwimmkünste zeigen, Lukas.«

»Und Ende des Monats werden wir auf der Insel Rügen sein und uns jeden Tag am Wasser tummeln«, sagte der Vater.

»Wenn es nur schon soweit wäre«, stöhnte Silke. Noch drei Wochen bis zu den Schulferien!

»Fahren wir dann auch ganz oft mit dem Schiff?« rief das Söhnchen, rasch abgelenkt. Das würde man sehen. Auf alle Fälle sollte es ein schöner Urlaub werden, und Pläne dafür zu machen, gehörte zur Vorfreude.

Darüber verging das Abendessen. Beate begann die Teller zusammenzustellen, als Silke plötzlich etwas einfiel.

»Vorhin, als ich mit Hella kam, ist unten immer einer ’rumgekurvt und hat auf das Haus geguckt«, sagte sie.

»Was heißt das, ›einer ist rumgekurvt‹?« fragte ihr Vater stirnrunzelnd. »Drücke dich bitte präziser aus.«

»Ja, mit einem Fahrrad«, erklärte Silke. »Sah aus, als suchte er etwas.«

Beate hielt mitten in der Bewegung inne. Ihr Herz tat ein paar raschere Schläge. In diesem Moment wollte ihr Söhnchen wissen: »Was war’n das für ein Typ?«

»Och, nicht übel«, mußte Silke zugeben. »Ein paar Jahre älter als wir. Nie gesehen in unserer Gegend.«

Damit stand sie auf. Das Thema war für sie erledigt.

»Vielleicht habt ihr Mädchen einen heimlichen Verehrer«, warf der Vater hin, was Lukas sofort aufhorchen ließ.

»Dann hätte der aber doch was gesagt«, folgerte er schlau.

»Ph«, machte Silke nur und ging hinaus. Eine Sekunde später erdröhnten die Töne ihrer Lieblingsband aus ihrem Zimmer. Aber sie drehte die Lautstärke schon zurück, bevor der Protest kam.

*

Da war es nun wieder, das große Zittern und Bangen, das Beate überfiel. Sie war fast sicher, daß der junge Mensch vor dem Haus Stefan gewesen war. Er kannte nun ihre Adresse. Er hatte wochenlang vergeblich auf ein Zeichen von ihr gewartet. Lag ihm doch soviel

daran, daß es ihn hergetrieben hatte?

Das Wochenende nahte. Beate ließ ihre Lieben den geplanten Sonntagsausflug allein unternehmen, schützte Kopfschmerzen vor.

Das war etwas ganz Neues. Drei Augenpaare sahen sie besorgt an.