Mami 320 – Familienroman - Diverse Autoren - E-Book

Mami 320 – Familienroman E-Book

Diverse Autoren

5,0

Beschreibung

Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Buchstäblich ein Qualitätssiegel der besonderen Art, denn diese wirklich einzigartige Romanreihe ist generell der Maßstab und einer der wichtigsten Wegbereiter für den modernen Familienroman geworden. Weit über 2.600 erschienene Mami-Romane zeugen von der Popularität dieser Reihe. Keine Leseprobe vorhanden.

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Inhalt

Wir zwei sind noch zu haben

Paulas Flug ins Glück

Zwei starke Typen

Hat Mami nur das Brüderchen lieb?

Unverstanden und allein

Mami – 2–

5er Box

Diverse Autoren

Papis Freundin wird vergrault

Roman von Eva Maria Horn

Liselotte Betram war froh, den Aufenthaltsraum für sich allein zu haben. Sie ließ sich auf die Bank fallen, drückte den Rücken gegen die Wand und warf die Hände vor ihr tränenüberströmtes Gesicht. Sie konnte überhaupt nicht mehr aufhören zu weinen.

»Was ist denn mit dir los?« Liselotte zuckte bei der Stimme zusammen, ließ ihre Hände sinken und starrte auf den Mann, den sie am allerwenigsten zu sehen wünschte.

»Ich dachte, ich wäre allein«, stammelte sie. »Ich hab’ dich gar nicht gesehen, euch nicht gesehen«, verbesserte sie sich, als sie Rose Lohmann neben Harro entdeckte

»Hat dich die ›Kaiserin‹ fertig gemacht?« wollte er wissen und zauberte so etwas wie Mitgefühl in seine Stimme. Einen Moment erhaschte Liselotte einen Blick von Rose. Ganz deutlich spürte Liselotte die boshafte Freude der anderen. Liselotte und Rose Lohmann waren zwar Kolleginnen, aber Rose war von Neid wie zerfressen, sie war Liselottes schärfste Rivalin. Sie hatte ihr auch die Freundschaft mit Harro Kunz nicht gegönnt, der jetzt nahe neben ihr saß, den Arm um ihre Taille gelegt. Liselotte und Harro waren befreundet gewesen, von ihrer Seite war es nie mehr gewesen, aber dann war Harro zu Rose übergewechselt. Nicht etwa, wie Rose annahm, weil sie attraktiver und begehrenswerter als Liselotte war, Harro war geblendet von dem goldenen Hintergrund Roses. Roses Vater war ein reicher, einflußreicher Mann. Mit einem solchen Schwiegervater war seine Karriere gesichert, mit Geld erreichte man alles.

»Was wollte die Terhove denn von dir?« Rose hoffte inbrünstig, daß die Leiterin der staatlichen Ballettschule ihrer Lieblingsschülerin einen derben Nasenstüber verpaßt hatte. »Ich hab’ den Ballettmeister auch hineingehen sehen. Was hast du Musterschülerin denn nur verbrochen, daß du dir den Zorn deiner Gönner zugezogen hast?«

Liselotte hatte das Gefühl, sie müßte explodieren vor Glück, sie hatte ja nicht aus Kummer geweint! Es war so unbeschreiblich wunderbar, ein solch unerhofftes Glück, sie hatte einfach weinen müssen. Aber trotzdem überhörte sie nicht den boshaften Unterton in Roses Stimme.

Sie drehte ihr Gesicht Harro zu, noch hingen die Tränen wie Perlen an ihren langen Wimpern. Sie brauchte sie nicht tuschen wie Rose, sie waren von Natur aus lang und dicht und dunkel. Die Natur hatte es mit Liselotte überhaupt sehr gut gemeint.

»Ich kann es noch gar nicht glauben, Harro«, ihre Stimme zitterte. Sie mußte es einfach jemandem erzählen, sie platzte sonst. »Ich soll den Puck tanzen.« Ihre grünen Augen, die noch immer blank von Tränen waren, leuchteten. Sie war wunderschön, das stachelte Roses Wut noch mehr an. Ihr hatte es für einen Moment die Sprache verschlagen.

»Und darum heulst du?« Harro Kunz schüttelte verständnislos den Kopf. »Weißt du denn nicht, was diese Chance für ein Ballettmädchen bedeutet, für jemand, der noch nicht einmal ausgelernt hat?«

»Natürlich weiß ich das. Darum bin ich ja auch total durchgedreht vor Freude. Ich dachte, ich träume, als Frau Isolde es mir sagte.« Sie hätte gern noch hinzugefügt, daß der Ballettmeister neben der »Kaiserin« gesessen und ein Gesicht wie ein Weihnachtsmann gemacht hatte. »Nicht einmal im Traum habe ich an ein solches Glück gedacht.«

Sie wünschte sich so sehnsüchtig, daß Harro sich mit ihr freute, aber mit Rose an seiner Seite wagte er das wohl nicht. Ihr Gesicht war entstellt von Neid und Eifersucht. Die Lippen hielt sie fest zusammengepreßt, vielleicht aus Angst, daß sich der Neid in Worten entladen könnte.

»Da muß man gratulieren«, raffte sich Harro endlich zu einer Antwort auf. Auf keinen Fall wollte er es mit Liselotte verderben. Mit dieser Aufführung im großen Haus, die schon seit Wochen ausverkauft war, würde aus Liselotte Bertram, dem unbekannten Ballettmädchen, ein Star werden, davon war Harro überzeugt. So dumm konnte er doch gar nicht sein, um Liselotte nicht gebührend zu beglückwünschen. Wenn sie erst einmal die oberste Sprosse der Erfolgsleiter erreicht hatte, konnte sie allerhand für ihn tun.

Liselotte war nun einmal die Beste. Das müßte eigentlich auch Rose anerkennen. Sie konnte nicht nur tanzen, sie besaß auch den Charme, die Austrahlung, sie verkörperte im Tanz die Figur, die sie darstellte. Ja, sie war die geborene Tänzerin, voll Ausdruckskraft, voll Harmonie, einfach vollkommen. Er hätte diese Gedanken gern in Worte gefaßt. Aber das wagte er einfach nicht. Noch war Liselotte kein Star und er von Roses Gunst abhängig. Rose war nun einmal reich und hatte das Geld locker sitzen,er brauchte nicht einmal darum zu bitten. Sie drängte es ihm förmlich auf.

»Dann wirst du uns ja bald nicht mehr kennen«, spöttelte Rose, die endlich ihrer Stimme wieder trauen konnte.

»So ein Unsinn«, widersprach Liselotte energisch. »Ich weiß doch selbst, wieviel ich noch zu lernen habe. Die ›Kaiserin‹ wird schon dafür sorgen, daß ich auf dem Teppich bleibe.«

Plötzlich hatte Liselotte das Gefühl, in dem Zimmer ersticken zu müssen. Dabei war die Balettschule mehr ihr Zuhause, als die winzige Wohnung, die sie mit ihrer Freundin Hannelore teilte. Liselottes Welt war das Tanzen. Schon als Kind hatte sie gewußt, daß sie Tänzerin werden wollte. Der Weg bis hierher war schwer genug gewesen.

Daß die beiden ihre Freude nicht teilten, spürte sie, und sie war traurig darüber. Aber sie mußte einfach mit einem Menschen sprechen, der mit ihr jubelte, mit ihr außer sich geriet.

Liselotte sprang auf und strich das Haar zurück. Um diese Haarfarbe beneidete sie jeder. Nur die Natur konnte eine solche Farbe hervorbringen. Es besaß einen warmen Goldton, hatte die Farbe einer alten Goldmünze, manchmal schimmerte es kastanienfarben, wenn die Sonne es traf.

»Ich muß telefonieren«, erklärte sie hastig. »Ich muß in einer halben Stunde im Theater sein. Zur Probe. Ich kann mir nicht vorstellen,daß ich überhaupt tanzen kann, meine Beine wackeln wie Pudding«, lachte sie übermütig, sie wollte sich die Freude nicht verderben lassen. »Ich muß es unbedingt Hannelore erzählen.«

»Der kleinen Verkäuferin, bei der du wohnst?« spöttelte Rose boshaft. Rose konnte sich einfach nicht beherrschen. Es war gut, daß nur Harro sie hörte, vermutlich hätten die anderen über ihren Neid gelacht.

Liselotte nickte freundlich. »Ja, sie ist Verkäuferin in der Kinderabteilung im Kaufhaus deines Vaters, Rose. Es gefällt ihr dort sehr gut. Ich glaube, man ist auch sehr mit ihr zufrieden. Ich jedenfalls kann mir keine bessere Freundin wünschen.«

Wenn ich hier nicht schnellstens verschwinde, dachte Liselotte in Panik, dann erzähle ich dieser eifersüchtigen Person etwas ganz anderes. Bildet sich ein, tanzen zu können, nur weil sie einen reichen Vater hat. Natürlich wußte Liselotte, wieviel Roses Vater für die Ballettschule tat.

Sie nickte den beiden flüchtig zu und lief aus dem Zimmer. Die Tür fiel laut ins Schloß.

Die plötzliche Stille zerrte an Harros Nerven, er hatte Angst, Rose verärgert zu haben. Wodurch, das wußte er allerdings nicht. Er drehte sich nervös, versuchte ein Lächeln. Roses Stimme klang wie das Zischen einer zum Biß bereiten Schlange.

»Das ist die hinterlistigste Person, der ich je begegnet bin. So eine falsche, hintertriebene Schlange. Sie kann nicht besser tanzen als ich, und doch wird sie uns ständig als Vorbild vorgehalten. Ich wollte, sie würde sich den Hals brechen«, brach es wütend aus ihr heraus.

*

Liselotte hatte die beiden bereits vergessen, als sie die Treppe der Ballettschule hinunter rannte. Ein Blick zur großen Uhr, die neben der Tänzerin aus Kupfer stand, überzeugte Liselotte davon, daß nicht mehr viel Zeit blieb. Sie konnte nur hoffen, daß Hannelore nicht erst gesucht werden mußte, sondern sofort am Telefon war.

DieVerkehrsampel wechselte von grün auf rot, aber das beachtete Liselotte leider nicht. Sie sah nur das Telefonhäuschen, zum Glück war es leer. Und in Gedanken formte sie schon die Worte, die sie Hannelore sagen mußte. Sie hörte sogar Hannelores Glücksschrei, Hannelore konnte so herrlich ihre Freude zeigen. Hannelore konnte mit ihr lachen und weinen, so eine Freundin gab es nur einmal auf der Welt.

Das mißtönende Quietschen eines Autos holte Liselotte in die Wirklichkeit zurück. Aber da war es schon zu spät. Sie spürte einen Schlag am Arm, stolperte, fiel und landete direkt vor den Rädern eines Autos.

Einen winzigen Moment mußte sie wohl das Bewußtsein verloren haben. Als sie die Augen wieder aufschlug, sah sie ein entsetztes, von Angst verzerrtes Männergesicht dicht über sich gebeugt. Er öffnete den Mund, sagte wohl etwas, aber das Dröhnen und Brausen in ihren Ohren war stärker als seine Stimme.

»Alles in Ordnung«,flüsterte sie und war erleichtert, daß ihre Stimme ihr gehorchte. »Entschuldigen Sie bitte, ich bin wohl direkt in Ihr Auto hineingerannt.«

Schweiß stand auf seiner Stirn, Liselotte bemerkte es schuldbewußt. »Entschuldigen Sie bittte«, flüsterte sie noch einmal und versuchte aufzustehen. Aber ein stechender Schmerz, der ihr für den Moment den Atem nahm, fuhr ihr durch ihr Bein, vom Fuß bis zur Hüfte hinauf.

»Darf ich helfen«? fragte der Mann und wartete ihre Antwort gar nicht ab. Er faßte sie mit kräftigem Griff und hob sie hoch, als wäre sie eine Feder. »Haben Sie sich verletzt?«

Erst jetzt sah Liselotte die Neugierigen, die auf dem Bordstein standen und zu ihnen hinüberstarrten. Panik erfaßte sie. Vermutlich holte man schon die Polizei. Nur das nicht.

»Ich bringe Sie zum Arzt«, erklärte Roland Rodermann energisch. Er hatte vergessen, daß er auf dem Weg zu einem wichtigen Termin war. Nur das Mädchen war jetzt wichtig.

»Nein, wirklich nicht nötig«, stammelte sie und verzog den Mund zu einem Lächeln. Das Lächeln schnitt in sein Herz. Er wäre diesem Persönchen gern in einer anderen Situation begegnet.

»Hören Sie, natürlich müssen Sie zum Arzt. Sie haben nicht nur einen Schock, offensichtlich ist auch mit Ihrem Bein etwas nicht in Ordnung.«

Er las das Entsetzen in ihren Augen. Sie schüttelte heftig den Kopf, daß die rotbraunen Locken nur so flogen.

»Es ist alles in Ordnung, glauben Sie es mir bitte.«

»Soll Ihr Wagen hier Wurzeln schlagen?« fuhr ein Autofahrer Rodermann an. »Oder wollen Sie vielleicht die Güte haben weiterzufahren? Ich habe nicht so viel Zeit wie Sie.«

Rodermann zuckte zusammen, verzog nervös sein Gesicht.

»Kann ich wirklich nichts für Sie tun?« fragte er drängend. Sie beachtete ihn nicht einmal. Sie fieberte darauf, allein zu sein. Sie mußte auf dem schnellsten Weg in die Schule zurück.

»Nein. Alles in Ordnung. Fahren Sie doch endlich.« Das fehlte, daß plötzlich die Polizei auftauchte.

»Gut, aber gern lasse ich Sie nicht allein. Hier, nehmen Sie meine Visitenkarte. Sollte etwas sein, dann rufen Sie mich an, Fräulein...«

»Bitte, fahren Sie endlich«, rief sie, schon langsam der Hysterie nahe. Seine Karte steckte sie achtlos in die Tasche ihrer Strickjacke. »Ich bitte noch einmal um Entschuldigung.«

*

Liselotte hätte später nicht zu sagen gewußt, wie sie über die Straße gekommen war, sie schaffte es sogar, die Treppe hinaufzuhumpeln, dabei war der Schmerz in ihrem linken Fuß so stark, daß sie fürchtete, den Verstand zu verlieren.

Harro und Rose saßen noch immer im Aufenthaltsraum. Als Liselotte ins Zimmer wankte, sprang Harro auf, auch sein Gesicht wechselte die Farbe. Er war sehr abergläubisch, und Roses Worte hämmerten plötzlich in seinen Ohren.

»Ich wollte, sie würde sich den Hals brechen.«

Liselotte ließ sich auf die Bank fallen und schloß die Augen.

»Werde um Himmels willen nicht ohnmächtig«, beschwor Harro sie. Er stand schon neben ihr. »Was ist denn passiert, Lilo?«

Sie war kalkweiß, die dunklen Wimpern warfen Halbmonde über ihre Wangen. Sogar jetzt dachte er: wie schön sie ist. Sie braucht gar nicht tanzen. Sie braucht nur auf der Bühne stehen, mit diesem Gesicht, mit ihrer Figur muß sie jedes Publikum erobern.

»Ich bin in ein Auto hineingestolpert.« Liselotte versuchte ein Lachen. Doch es gelang ihr nicht. Das Gesicht war von Schmerzen verzerrt. »Aber ich kann laufen, es ist bestimmt nichts passiert«, flüsterte sie verzweifelt. »Es darf nichts passiert sein. Nicht wahr, Harro, wenn ich etwas gebrochen hätte, könnte ich doch nicht auftreten?«

Längst stand Rose neben ihnen, die Augen erwartungsvoll auf Liselotte gerichtet.

»Welcher Fuß tut denn weh?« wollte sie wissen und versuchte, Mitleid in ihre Stimme zu legen.

»Dieser«, Liselotte schob das Hosenbein hoch.

»Außer Schmutz ist nichts zu sehen«, murmelte Harro, der längst auf dem Boden kniete und das Bein vorsichtig in die Hand nahm. Als er den Fuß berührte, schrie Liselotte auf. »Sehen kann man nichts«, sagte er noch einmal. »Ich hoffe, du hast dir die Adresse von dem Mann geben lassen. In jedem Fall ist es natürlich bestens, man stößt mit einem Mercedes zusammen. Die Fahrer sind meistens gut betucht«, frotzelte er.

»Ich sagte dir doch«, Liselottes Stimme klang erschöpft, »die Schuld habe ich ganz allein. Ich kann ganz froh sein, wenn er mich nicht zur Rechenschaft zieht.«

»Quatsch. Du kannst doch einfach behaupten, daß er zu schnell gefahren oder bei Gelb losgedonnert ist. Das kann niemand beweisen. Hast du dir wenigstens die Automarke gemerkt oder aber zum mindesten die Autonummer?«

»Nein. Hör endlich auf, darin herumzurühren«, rief sie heftig. »Er war so anständig, er hat mir sogar seine Visitenkarte in die Hand gedrückt. Aber ich glaube, ich habe sie nicht einmal eingesteckt. Ich, ich ganz allein habe Schuld, begreife das doch endlich. Sag mir lieber, was ich mit diesem verdammten Fuß machen soll.«

Rose schob Harro energisch zur Seite. Mit einer Freundlichkeit in der Stimme, die falsch wie sie selbst war, erklärte sie: »Du hast Schmerzen, liebe Lilo, also ist mit dem Fuß etwas nicht in Ordnung. Aber das kann nur ein Arzt feststellen.«

Die Anteilnahme Roses trieben Liselotte die Tränen in die Augen. Soviel Mitgefühl hätte sie ihr gar nicht zugetraut.

»Rose hat recht«, Harro erhob sich und verzog den Mund zu einem tröstlichen Grinsen. »Wir bringen dich zum Arzt. Den Kopf reißt er dir schon nicht ab. Komm.«

*

Liselotte war geröngt worden und saß jetzt total erschöpft im Sprechzimmer. Die Geräusche der Station dröhnten in ihren Ohren wie das Rauschen von Wellen. Das Rauschen schwoll an und verebbte.

Sie zuckte zusammen, als eine Tür geöffnet und schwungvoll wieder geschlossen wurde.

Der junge Arzt, der sie in Empfang genommen hatte, kam ins Zimmer, hielt Röntgenaufnahmen in der Hand und lächelte ihr beruhigend zu. »Der Professor kommt sofort.« Er musterte sie bewundernd. Aber diese Blicke registrierte Liselotte gar nicht mehr, die war sie gewohnt. »Ich sehe, eine Schwester hat Ihnen etwas zu trinken gebracht.«

»Sagen Sie mir lieber, was mit meinem Fuß ist«, begehrte Liselotte auf. Er lachte. Daß er ein hübscher junger Mann war, der offensichtlich beeindruckt von ihr war, bemerkte sie nicht einmal.

»Haben Sie einen Augenblick Geduld«, tröstete er sie. »Wenn Sie später nach Hause gebracht werden müssen, übernehme ich diese Aufgabe gern. Ich habe in einer halben Stunde dienstfrei, ich stehe vollkommen zu Ihrer Verfügung.«

Eine Antwort wurde ihr erspart. Ein älterer Herr im flatternden weißen Kittel betrat das Zimmer, der junge Arzt zog sich sofort zurück, nicht ohne Liselotte aufmunternd zuzublinzeln.

Ihr wurde nur flüchtig eine Hand gereicht, die ganze Aufmerksamkeit des Professors galt der Röntgenaufnahme, die der junge Arzt jetzt an die Wand geheftet hatte.

Liselotte war jetzt hellwach, alle Sinne waren gespannt, sie wagte kaum zu atmen.

»Da haben wir ja noch einmal Glück gehabt«, hörte sie den Professor murmeln.

»Gott sei Dank. Gott sei Dank«, stieß Liselotte erleichert aus und wäre um ein Haar in Tränen ausgebrochen. »Gott sei Dank«, murmelte sie noch einmal.

Er drehte sich um, nickte ihr zu. Seine Brille war ein wenig verrutscht, mit einer ungeduldigen Bewegung rückte er sie zurecht.

»Ja, Sie hatten einen guten Schutzengel an der Seite«, lächelte er sparsam. »Sie haben den Mittelfußknochen gebrochen...«

Sie unterbrach ihn entsetzt, die grünen Augen weit aufgerissen vor Bestürzung.

»Aber Sie sagten doch, ich hätte Glück gehabt, Sie sagten doch...«

Der Professor liebte es gar nicht, unterbrochen zu werden, er konnte dann sehr ungehalten werden. Aber diesem großäugigen Wesen, das wirklich bezaubernd war, konnte man nur mit Nachsicht begegnen. Trotzdem klang seine Stimme streng und belehrend:

»Natürlich haben Sie großes Glück gehabt. Der Mittelknochen ist gebrochen, aber die beiden Knochen stehen so eng voreinander, daß wir auf eine Operation verzichten können. Sie werden drei bis vier Tage eine Gipsschiene bekommen, später einen recht bequemen Gipsschuh und...«

Tränen stürzten aus ihren Augen. Ihr Mund zitterte wie der eines Kindes. Sie sah jetzt nicht älter als seine kleine Tochter aus, wenn sie einfach ein Nein nicht akzeptieren konnte.

»Herr Professor, das ist unmöglich. Wirklich. Ich kann unmöglich in Gipsschuhen tanzen. Bitte, helfen Sie mir. Es muß doch eine Möglichkeit geben...« Ihre Stimme erstarb, er sah, daß sie sich verzweifelt auf die Lippen biß.

Er setzte sich auf die Kante seines Schreibtisches und sah auf das verzweifelte Wesen hinunter. Ein väterliches Gefühl überkam ihn.

»Ich bin Tänzerin«, glaubte sie, ihm sagen zu müssen, mit einer verzweifelten Dringlichkeit in der Stimme. »Ich soll den Puck tanzen. Sie müssen doch von der Aufführung gehört haben.« Ihre Stimme klang zittrig, drängend. »Die ganze Stadt spricht davon. Die Tänzerin, die den Puck tanzen sollte, ist krank geworden, und ich habe das unvorstellbare Glück, einspringen zu dürfen. Ich kann doch nicht... ich meine, mein Fuß kann mir doch nicht einen so gemeinen Streich spielen.«

Jetzt weinte sie wirklich. Er hatte schon oft Menschen so weinen sehen, lautlos, von Kummer erstarrt. Aber die meisten Patienten hatten mehr Grund gehabt als dieses hübsche Kind.

»Jetzt hören Sie mir einmal gut zu.« Sie haßte diesen belehrenden Ton. So hatte ihr Onkel mit ihr gesprochen, bei dem sie leben mußte, nachdem ihre Eltern gestorben waren. »Ich betone noch einmal mit aller Entschiedenheit: Sie haben großes Glück gehabt. Wenn wir operieren müßten, würde die Geschichte viel länger dauern. Sie werden sich in Geduld fassen müssen, davon geht die Welt nicht unter. Sie sind noch jung, es wird für Sie immer wieder Chancen geben, das heißt, wenn Sie die Sache mit Verstand angehen.«

Die Tränen versiegten, Entsetzen verkrampfte das junge Gesicht.

»Wollen Sie damit andeuten, daß ich vielleicht nie wieder tanzen kann?« Bei der ungeheuerlichen Vorstellung versagte Liselottes Stimme beinahe.

»Wenn Sie nicht vorsichtig sind, wenn Sie unsere Anordnungen nicht befolgen, kann diese kleine Verletzung allerdings große Folgen haben. Drei bis vier Tage müssen Sie absolute Ruhe einhalten. Das beste wird sein, Sie bleiben hier bei uns. Sie brauchen deswegen nicht ein Gesicht zu machen, als wäre ein Aufenthalt in unserer Klinik eine Strafe. Später, wenn Sie den Spezialschuh haben, müssen Sie natürlich noch immer vorsichtig sein. Aber die Schuhe sehen recht passabel aus.«

Er sah verstohlen auf seine Uhr, er hatte sich bei diesem Mädchen schon viel zu lange aufgehalten.

»Bleiben Sie sitzen, man wird Sie gleich holen. Nein, nein laufen ist jetzt erst einmal verboten. Haben Sie jemanden, den Sie benachrichtigen müssen?« Er gab sich schon selbst die Antwort, er war schon an der Tür. »Aber das erledigen Sie am besten mit der Schwester, die Sie sofort in den Gipsraum fährt.«

Das konnte nicht Wirklichkeit sein. Das war ganz bestimmt ein Alptraum. Sie würde in ihrem Bett liegen, Hannelore würde kommen und sie ausschelten, weil sie noch immer träumte.

*

Hannelore Schmidt saß im Schneidersitz auf dem lustig bunten Teppich, den sie in einem Anflug von Leichtsinn gekauft hatte. Sie beobachtete mit Mitleid in den blauen Augen Liselotte, die durch das Zimmer humpelte. Das Staubtuch hielt sie in der Hand, als wäre es eine Zitrone, die ausgepreßt werden mußte.

Hannelore hütete sich, ihr Mitleid zu zeigen.

»So geht das nicht weiter mit dir«, behauptete Hannelore energisch. »Deine Gedanken drehen sich im Kreis, sie gondeln nur um einen Punkt herum. Um dein Tanzen. Als ob Tanzen alles wäre.«

»Für mich schon«, fuhr Liselotte die Freundin wütend an. »Wenn ich nicht mehr tanzen kann, dann will ich auch nicht mehr leben.«

»Versündige dich nicht«, wies Hannelore sie streng zurecht, als wäre sie alt und weise und viel, viel älter als Liselotte. Dabei trennten sie nur zwei Tage. »Ich sage dir, nichts kommt von ungefähr. Auch dieser Unfall hat sein Gutes. Sieh mich ruhig an, als wolltest du mich erwürgen. Jawohl. Du kennst ja nur deine Ausbildung, nur den Weg von der Ballettschule bis nach Hause und von zu Hause bis zur Schule. Eine kleine, eingeengte Welt. Du hast einfach den Blick für alles andere verloren. DieWelt ist herrlich bunt, herrlich aufregend. Sag mir, wann bist du zum letzten Mal in Muße am Fluß entlang gegangen? Wann hast du nur einfach dagesessen und einer Biene zugeschaut oder einem Vogel? Schon eine Ewigkeit nicht mehr. Auch Besessenheit kann eine Krankheit sein, zu eifriger Ehrgeiz ist ungesund, man vergißt darüber, daß man jung ist. Jawohl.«

»Deine Strafpredigt hat mir gerade noch gefehlt, Hannelore.«

»Ich will dir doch nur helfen, Lilo. Ich habe auch schon ein Konzept. Du hast doch immer sehr gut mit Kindern umgehen können. Ich weiß, daß du dir früher Geld mit Kinderhüten verdient hast. Ich will dir nämlich einen Vorschlag machen. Du weißt, daß meine Schwester Leiterin eines Kinderheims auf Langeooge ist.«

»Ja«, murrte Liselotte ungeduldig.

Hannelore ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Ich habe gestern mit ihr telefoniert. Sie kennt dich und du kennst sie. Im Kinderheim werden immer Hände, Ohren und mitfühlende Seelen gebraucht. Sie war ganz begeistert, als ich ihr sagte, daß du kommen kannst.«

»Ins Kinderheim?« Liselotte glaubte ihren Ohren nicht trauen zu können. Hannelore nickte

energisch.

»Ja, da braucht man dich. Du bekommst sogar einen kleinen Lohn, nichts überwältigendes, aber ein wenig ist es doch. Das Wichtigste aber ist, daß du keine Zeit mehr zum Grübeln hast. Du wirst dort gebraucht. Es gibt Kinder, die doppelte Zuneigung brauchen. Du kannst ihnen helfen. Na, was sagst du jetzt?«

Liselotte schwieg überwältigt. Im ersten Impuls wollte sie heftig nein sagen. Sie starrte auf den blitzblanken Parkettboden, auf den die Sonne ihr Licht warf. Sie hörte den Lärm der Straße, der durch das geöffnete Fenster drang. Und sie spürte die Enge der Wohnung wie ein Gefängnis. Wie hatte Hannelore das nur erraten können?

Schuldbewußt musterte sie das vertraute Gesicht der Freundin. Die schmale Nase, die sich keck nach oben reckte, verlieh Hannelores Gesicht immer etwas Lustiges. Wenn man Hannelore ansah, mußte man schon fröhlich werden.

»Du bist wie eine Dampfmaschine, du überrollst mich einfach. Aber ich sage ja, aus ganzem Herzen ja. Laß uns nur bald fahren. Du hast recht, ich kriege einen richtigen Budenkoller. Ich kann mich selbst nicht mehr leiden. Weißt du eigentlich, daß Rose den Puck tanzen darf? Ich bin froh, daß ich endlich darüber sprechen kann. Sie hat mich beim Tanzmeister entschuldigt, und man bat sie sofort, für mich einzuspringen. Harro war gestern hier und hat es mir erzählt. Er platzte vor Stolz.«

»Diesen Harro mag ich nicht. Er ist mir von Herzen unsympathisch. Ich war froh, als er dir nicht mehr nachstellte. Vergiß die Aufführung, ich weiß, Lilo, du besitzt Sportgeist. Du freust dich auch über den Erfolg, den andere haben. Außerdem weißt du, was du kannst. Du wirst bald wieder über die Bühne wirbeln und alle Herzen erobern. Ich fand es toll, daß der Tanzmeister kam und dich besuchte. Wirklich toll fand ich das. Er sprach zu dir wie ein väterlicher Freund. Von solchen Männern müßte es mehr geben.

So, und jetzt nimm den weisen Rat deiner weisen Freundin an. Mach für den Moment einen Strich unter das Thema Tanzen. Konzentriere dich auf das Morgen. Wir fahren nämlich schon morgen, ich habe alles arangiert.«

»Über meinen Kopf hinweg«, versuchte Liselotte, die Entrüstete zu spielen. Aber sie sprang auf, ein wenig mühsam humpelte sie zu Hannelore und legte ihren Kopf an Hannelores Stirn.

»Wenn ich dich nicht hätte, du weise Person.«

*

Harro Kunzes Stimmung konnte gar nicht schlechter sein. Er hockte mißmutig, voll Selbstmitleid, in seiner Studentenbude. Die war keineswegs dazu angetan, seine Stimmung zu heben.

Er starrte über die Bilder, die in protzigen goldenen Rahmen hingen. Schinken nannte er sie. Bilder, die jedes Auge beleidigten. Sein Schrank quietschte jammervoll, wenn man ihn öffnete, und ließ sich nicht einmal schließen. Der Teppich war von all den Menschen, die hierin schon gehaust hatten, durchgetreten. Wirklich ein abscheuliches Zimmer, und für diese Bruchbude war sie viel zu teuer.

Harro starrte aus demFenster, aber man sah nur ein winziges Stückchen Himmel. Grau waren die Dächer, grau und unansehnlich waren auch die Hinterhöfe. Man konnte es der Sonne nicht übel nehmen, daß sie nicht hinuntersah.

Wie widerlich die »Kaiserin« heute morgen gewesen war. Auch der Tanzmeister hatte seinen Ärger wie Gift verspritzt. Nur Rose war ohne ätzende Bemerkung davongekommen. Dabei wußten alle, daß in Roses Tanz der Ärger seinen Ursprung hatte.

Harro hatte die Bemerkung des Ballettmeisters noch im Ohr. Der Satz war zwar nicht für ihn bestimmt gewesen, aber er hatte sich bei Harro eingebrannt.

»Ein seelenloser Tanz! Perfekt in der Ausführung, aber ohne Ausstrahlung. Ein Jammer, daß die kleine Bertram ausgefallen ist. Sie hätte das Publikum begeistert.«

Rose hatte die Kritik natürlich gespürt, aber sie sollte froh sein, daß man sie ihr nicht an den Kopf warf, wie man es bei ihm, bei Harro Kunz heute gemacht hatte.

»Ein wenig mehr Temperament«, hatte der Tanzlehrer ihn abgekanzelt. »Oder wollen Sie mitten im Takt ein Schläfchen halten? Wenn sie sich nicht mehr zusammennehmen, sollten Sie Ihren Platz einem Tänzer überlassen, der mehr in den Füßen hat als Sie.«

Nun, man hatte nicht nur an ihm seinen Mund gewetzt, die anderen hatten auch genug abbekommen.

Nur Rose nicht. Und warum nicht? Weil ihr Vater eine offene Börse und ein offenes Ohr für die Nöte der Ballettschule hatte.

Ja, wenn hinter ihm ein reicher Vater oder ein reicher Schwiegervater stehen würde, dann würde man ihn auch mit Samthandschuhen anfassen. Wenigstens würde man ihn nicht wie einen dummen Jungen behandeln.

Daß er wirklich kein überragendes Talent besaß und gerade in der letzten Zeit nicht sein Bestes gab, wollte Harro sich nicht eingestehen.

War das ein Leben, was er führte? Vier Tage hatte er auf das Mittagessen verzichtet. Und warum? Nur, um Rose nach der Vorstellung einen Blumenstrauß zu überreichen. Sie hatte seine Veilchen achtlos zur Seite gelegt. Der Strauß war ihr offensichtlich zu mickrig gewesen.

Jetzt saß Rose in ihrem wunderschönen Zimmer in ihrer wunderschönen Villa, ließ sich verwöhnen und war für ihn nicht mehr zu sprechen. Sie war böse mit der ganzenWelt, und an Harro Kunz ließ sie ihre Wut aus. Mit Liselotte Bertram war das Leben einfacher gewesen. Er hatte Liselotte nur einmal besucht, einmal ist genug, hatte Rose energisch erklärt.

Wenn ich doch Geld hätte, dachte Harro verzweifelt. Das verdammte Geld. Wenn ich Rose doch den Ring kaufen könnte, den sie so schön fand. Rose besaß mehr Ringe als er Hemden, aber sie konnte nicht genug Schmuck besitzen.

Er malte sich aus, wie er ihr in dem herrlichen Kaminzimmer gegenübersaß, in der Hand hielt er ein Sektglas, und nachlässig würde er in die Tasche greifen, das Kästchen herausnehmen und es ihr geben.

»Für dich. Ist nur eine Kleinigkeit.«

Er war so in seinen Traum vertieft, daß er wirklich in die Tasche faßte. Erst nach einer Weile bemerkte er, daß er eine steife Karte in der Hand hielt. Er starrte darauf, begriff aber anfangs noch nicht.

Roland Rodermann, Architekt, Blumenstr. 14

Wie kam die Karte in seine Tasche?

Endlich dämmerte es Harro. Er holte zischend Luft und biß sich vor Aufregung auf die Lippe.

Liselotte war die Karte aus der Tasche gefallen. Automatisch, ohne nachzudenken, hatte er sie aufgehoben und in seine Tasche gesteckt.

Harro war sehr abergläubisch. Er glaubte auch, daß Rose Liselotte den Unfall an den Hals gewünscht hatte. Und diese Karte, jetzt in dem Augenblick, wo er unglücklich war, ja viel mehr noch! Des Lebens überdrüssig war er!

Da fiel die Karte in seine Hand. Als hätte die göttliche Vorsehung sie hineingelegt.

Architekt Rodermann.

Es gab nur einen Architekten Rodermann in dieser Stadt. Er war ein reicher, ein bekannter, ja ein berühmter Mann. Die schönsten Bauten dieser Stadt hatte er erstellt.

Und dieser Mann hatte Liselotte angefahren.

Daß er ihren Namen nicht wußte, hatte Liselotte ihm versichert. Sehr erleichtert sogar.

Er starrte vor sich hin. Wie lange er saß und grübelte, hätte er später nicht zu sagen gewußt. Aber endlich sprang er auf und fuhr mit allen zehn Fingern durch sein Haar, das dringend geschnitten werden mußte.

Er wußte, was zu tun war. Es hatte eine Zeit gegeben, da war Harro überzeugt gewesen, das Zeug zu einem guten Schauspieler zu haben. Jetzt konnte er ja seine Begabung zeigen.

Er riß den Schrank auf, beinahe hätte er die Tür, die nur lose in den Angeln hing, abgerissen.

In fliegender Eile kleidete er sich um. Wenn alles gutging, dann konnte er sich in der nächsten Zeit ein anständiges Mittagessen leisten, und wenn es sehr gut ging, dann saß auch noch ein neuer Anzug dran und vielleicht Roses Ring.

Leider war der einzige Spiegel im Zimmer trübe und blind. Vielleicht bekam er sogar so viel Geld, daß er sich ein anderes Zimmer leisten konnte!

Seine Ansprüche schraubten sich immer höher, während er die Treppe hinunterlief. Im Hausflur war es dämmrig, wie immer roch es nach Essensdünsten. Rose war nur einmal bei ihm gewesen und hatte anschließend behauptet, sie hätte die Sachen, die sie trug, fortgeworfen. Der Geruch ist ja nicht wieder herauszukriegen. Bei dir riecht es nach armen Leuten.«

Wütend und gekränkt war er gewesen. Aber recht hatte sie.

Die Straßenbahn zu benutzen, wagte er nicht. Er mußte sein Geld zusammenhalten, es war wenig genug.

Wenn alles glückte, wenn das Schicksal ihm gut gesonnen war, dann konnte er sich für den Rückweg sogar ein Taxi nehmen.

Natürlich lag die Blumenstraße in dem vornehmsten Viertel der Stadt. Ganz in der Nähe wohnte auch Rose. Aber an Rose wollte er jetzt nicht denken. Er mußte seinen Verstand zusammennehmen und sich ganz auf seine Rolle konzentrieren.

Beinahe zu schnell hatte er die Nr. 14 erreicht. Sein Herz klopfte, daß es schmerzte. Er blieb vor dem schmiedeeisernen Gitter stehen, daß das Grundstück einfriedete. Er sah über den Rasen, der aussah wie ein grüner Teppich, zum Haus hinüber.

Es war ein wunderschönes Haus, es ging etwas Heiteres, Behagliches von ihm aus. Es war so ganz anders, als das vornehme, ja protzige Haus, in dem Rose lebte. Das Dach war weit hinuntergezogen und schützte die Terrasse. Weiße Möbel standen darauf,die bunten Kissen waren wie lustige Farbtupfer. Er sah über die Fenster, die bis zum Boden reichten, auf die Haustür. Und einen Moment hatte er Angst vor seinem eigenen Mut. Etwas in seinem Inneren riet ihm, das Vorhaben aufzugeben. Was würde Liselotte mit ihm machen, wenn sie davon erfuhr? Und vielleicht warf ihn der Mann hinaus, vielleicht benachrichtigte er sogar die Polizei oder wandte sich an die Ballettschule.

Es wurde ihm glühend heiß. Eine Stimme ließ Harro zusammenzucken.

»Was wünschen Sie bitte?«

Am liebsten hätte er Fersengeld gegeben, so erschrak er. Gewaltsam nahm er sich zusammen. Du kannst nicht verlieren, nur gewinnen, sagte er sich.

Er beugte seinen Kopf zu der Sprechanlage hinunter. Der Schweiß stand auf seiner Stirn.

»Ich bin Harro Kunz und möchte gern Herrn Roland Rodermann sprechen,«

»In welcher Angelegenheit bitte.«

»In einer privaten.«

Stille. Und dann öffnete sich wie von Geisterhand das Tor. Der Weg war frei.

*

Roland saß schon eine Weile hinter seinem Schreibtisch. Er war mit Papieren so überladen, daß man kaum das glänzende Holz sehen konnte.

Aber Roland arbeitete nicht. Die Stille des Haues ging ihm auf die Nerven. Wenn das nicht lächerlich war! Es war noch gar nicht lange her, da hatte er sich über den Lärm beschwert, den seine beiden Kinder machten. »Das ist doch nicht möglich«, hatte er gestöhnt, »daß zwei

Kinder solch einen Radau machen.«

Jetzt hatte er Ruhe und könnte arbeiten. Verflixt, sie fehlten ihm so sehr. Ob es keine gute Idee gewesen war, sie ins Kinderheim zu schicken? Er hatte das Weinen seiner »Großen« noch im Ohr, herzzerreißend hatte sie geschluchzt und sich an ihn geklammert. Und Bettina hatte mit beiden Beinen auf den Boden gestampft und behauptet: »Du schiebst uns ab. Du willst uns nicht, darum müssen wir in das dämliche Kinderheim. Nur weil du uns nicht lieb hast. Du bist ein ganz gemeiner Vater.«

Er hatte beide nicht beruhigen können. Sie hatten ihm weder einen Kuß noch die Hand gegeben, als er sich am Bahnhof von ihnen verabschieden mußte.

Ich rufe heute abend an. Bestimmt haben sie sich beruhigt, und bestimmt ist ihnen jetzt klar, daß ich nur ihr Bestes will.

Er starrte auf die Zeichnung, die vor ihm lag, aber er sah sie nicht. Sie brauchten eine Mutter, dachte er müde und strich mit einer fahrigen Bewegung sein braunes Haar zurück. Aber ich kann doch nicht nur heiraten, damit meine Kinder eine Mutter haben. Das kann nun wirklich niemand von mir verlangen. Ich müßte ja den Verstand verloren haben. Er selber würde nie im Leben wieder lieben können, sein Vertrauen war ein für allemal dahin. Nie mehr konnte er einer Frau trauen. Nie mehr.

Ganz plötzlich dachte er an das Mädchen mit den grünen Augen. Er hatte die Episode beinahe vergessen gehabt. Warum dachte er jetzt an sie? Wie schutzbedürftig, wie rührend in ihrer Hilflosigkeit sie gewesen war. Und wie energisch sie sich weigerte, Hilfe von ihm anzunehmen. Er spürte sogar jetzt das seltsame Ziehen an seinem Herzen, das er auch damals empfunden hatte. Schade, daß er ihren Namen nicht wußte.

Er rief sich energisch zur Ordnung. Unsinn. Gut, daß er ihn nicht wußte, wofür sollte das gut sein?

Es klopfte. »Herein«, rief er gereizt.

Die Haushälterin kam ins Zimmer. »Ich habe einen Herrn Kunz ins Haus gelassen. Er möchte Sie sprechen, Herr Rodermann, in einer privaten Angelegenheit. Soll ich ihm sagen, daß Sie nicht zu sprechen sind?«

Er hätte nicht zu sagen gewußt, warum, aber Frau Busch ging ihm ganz einfach auf die Nerven. Immer.

»Warum haben Sie ihn denn überhaupt hineingelassen«? wollte er gereizt wissen. War es nicht eigentlich ihre Schuld, daß er die Kinder fortgeschickt hatte? Ihre ständigen Klagen waren sicher der Grundstein gewesen. Und natürlich der Gesundheitszustand seiner beiden. Er kam einfach aus seinem Schuldgefühl nicht heraus. Die Sehnsucht quälte ihn.

»Schicken Sie ihn schon hinein, wenn er sowieso im Haus ist.« Er sollte sich nach einer anderen Haushälterin umsehen. Sie kam mit den Kindern nicht zurecht. Es mußte doch irgendwo eine mütterliche Frau zu finden sein, die gern in seinem Haus lebte.

Als Harro ins Zimmer geführt wurde, stand Roland langsam auf. Er war für seine Höflichkeit bekannt und ließ sie auch jetzt nicht außer acht, aber er war ganz sicher, dem jungen Mann noch nie begegnet zu sein.

»Guten Tag«, grüßte er zurückhaltend. Groß, in Harros Augen furchteinflößend stand er da, jeder Zoll der reiche, bekannte Rodermann. Harro mußte sich einen gewaltigen Ruck geben, um Haltung zu bewahren.

Roland Rodermann bildete sich immer rasch ein Urteil, und dieser junge Mann gefiel ihm nicht. Natürlich ließ er sich nichts anmerken, sondern lächelte nur sparsam.

»Sie kennen mich nicht«, sagte Harro schnell und räusperte sich. Die Verlegenheit brauchte er nicht spielen, er war verlegen, unsicher, darum wirkte er so echt. Es war die jugendliche Gehemmtheit, die Rodermann für ihn einnahm. »Ich heiße Harro Kunz, ich bin der Verlobte von Fräulein Bertrams.«

Rodermann schob die dichten Brauen zusammen, runzelte die Stirn. »Verzeihen Sie, aber auch der Name sagt mir nichts. Müßte ich die Dame kennen? Setzen Sie sich bitte.«

»Aber Sie haben meine Verlobte doch angefahren?« Harros Gesicht zuckte nervös. »Sie haben ihr Ihre Visitenkarte gegeben.«

»Ich kannte ihren Namen nicht.« Rodermanns Interesse war erwacht. Er hatte diesen jungen Mann darauf aufmerksam machen wollen, daß seine Zeit begrenzt war und er sich bitte kurz fassen sollte. Jetzt setzte er sich hinter seinen Schreibtisch, legte die Fingerspitzen gegeneinander und lächelte verbindlich.

»Ich bin froh, daß Sie gekommen sind.« Er hatte eine warme, sympathische Stimme, und Harros Angst wich ein wenig. »Ich habe manchmal an den Unfall gedacht. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu versichern, wie sehr ich ihn bedauere. Ich wäre beruhigt gewesen, wenn sie sich hätte zum Arzt bringen lassen. Aber sie weigerte sich entschieden. Wie geht es Ihrer Verlobten? Ich hoffe, sie wurde nicht verletzt.«

Harro sah sich gehetzt im Zimmer um. Den Mann ansehen konnte er nicht. Mit einem Blick umfing er den Raum, der Behagen und Ruhe verströmte. Es war ein vornehm eingerichtetes Zimmer, es hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem protzigen Arbeitszimmer von Roses Vater.

Nur jetzt nichts falsch machen!

»Das sieht Liselotte ähnlich«, lächelte er gewollt schüchtern. »Sie haßt es, wenn sie jemandem Mühe macht. Wir konnten uns nach dem Unfall vor Aufmerksamkeiten von fremden Leuten gar nicht retten«, lächelte er treuherzig, als wunderte er sich darüber. »Einige beteuerten, daß Sie viel zu schnell gefahren wären, andere behaupteten sogar, daß Sie furchtbar nach Alkohol gerochen hätten.« Er sah, wie der Mund des Mannes sich zu einem herrischen Strich verzog, und beeilte sich zu versichern: »Ich weiß, daß das alles nicht stimmt, so sind die Menschen eben, überall wittern sie Sensationen. Liselotte ist richtig wütend geworden. Aber es geht ihr gar nicht gut.«

Sein Ärger verflog so rasch, wie er gekommen war.

»Hat sie etwas... ich meine, ist sie verletzt?«

Heimlich atmete Harro auf, er hatte schon Angst gehabt, falsche Worte gewählt zu haben.

Er nickte, senkte den Kopf und atmete schwer. Er spielte den unglücklichen Mann vollkommen.

»Ja, Sie müssen wissen, daß Liselotte Tänzerin ist. Sie hat sich den Mittelfußknochen gebrochen, brauchte nicht operiert zu werden, aber sie ist ganz verzweifelt. Der Arzt rät ihr zu einer Spezialbehandlung, die sie in einem Kurhaus bekommen könnte. Aber wir sind nur sehr gering versichert.«

Er brauchte die Aufregung nicht spielen. Er war aufgeregt. Er tupfte sich mit dem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. »Ich bin nicht gern gekommen«, beteuerte er. »Aber das Tanzen ist Liselottes Leben. Sie ist verrückt vor Angst, daß sie nie wieder tanzen kann. Und deshalb wollen wir natürlich alles versuchen.«

Rodermann war voll konzentriert. Er, der in den letzten Jahren mißtrauisch geworden war, glaubte dem jungen Mann jedes Wort. Er hatte vergessen, daß wichtige Arbeit auf ihn wartete.

»Wie steht es mit der Versicherung der Schule?« wollte er wissen. Er drehte seinen silbernen Drehbleistift in der Hand, Harro spürte ganz genau, daß er schon halb gewonnen hatte.

Er verzog gequält das Gesicht. »Es gibt sie natürlich. Aber Liselotte hat unerlaubt die Schule verlassen. Es gibt sehr strenge Bestimmungen bei uns. Unsere Lehrer sind der Meinung, daß Disziplin für Tänzer äußerst notwendig ist.« Roland lächelte über die Bemerkung und meinte liebenswürdig:

»Sicherlich nicht nur für Tänzer.«

Schweigen breitete sich aus. Harro mußte sich zwingen, ruhig sitzen zu bleiben. Er hatte das Gefühl, keinen trockenen Faden mehr am Körper zu haben.

Der Mann machte es ihm nicht leicht, er schwieg und musterte ihn mit undurchdringlichem Gesicht.

Harro gab sich einen gewaltsamen Ruck.

»Wir wissen uns keinen Rat mehr.« Er sprach erschöpft, leise, hielt den Kopf dabei gesenkt. Roland Rodermann sah genau, daß dieser junge Mann und auch das grünäugige Mädchen mit jedem Pfennig rechnen mußten. Sein Hemd war sauber, aber am Kragen verschlissen, das Haar sah aus, als hätte er es selbst geschnitten, ein längst vergessener Strom von Mitleid floß über Roland Rodermanns Herz.

»Da mögen die Leute reden, was sie wollen, Lilo sagt, daß sie an dem Unfall völlig unschuldig sind.« Auf der Straße hatte Harro sich noch vorgenommen gehabt, den Mann behutsam zu erpressen. Aber dieser Mann ließ sich nicht einschüchtern, das spürte er genau. »Liselotte ist so verzweifelt, sie fiebert darauf, eine wirksame Behandlung zu bekommen. Nicht nur Massagen und Bäder, wie der Arzt sie ihr verschrieben hat. In einem Sanatorium hat sie ganz bestimmt schnellere und größere Heilungschancen. Wir dachten uns, vielleicht können Sie helfen.«

Der letzte Satz klang rührend jung. Dieser junge Mann kam zwar als Bittsteller, aber ihn hatte die Verzweiflung, das Mitleid mit seiner Verlobten hergetrieben.

»Natürlich helfe ich.« Harro wagte noch nicht, an sein Glück zu glauben. »Ich stelle Ihnen einen Scheck aus. Selbstverständlich fühle ich mich unschuldig, sie ist mir wirklich ins Auto gelaufen. Hätten Sie versucht, mich zu erpressen, wären Sie hinausgeworfen worden.« Harro glaubte ihm aufs Wort, der Mann brauchte seinen Mund gar nicht so gefährlich zu verziehen. Er öffnete die Schreibtischlade und holte eine Mappe heraus. Harro konnte die Summe nicht sehen, die eingesetzt wurde. Der Scheck wurde in einen Umschlag gesteckt. Er streckte ihn Harro über den Schreibtisch entgegen.

»Ich denke, das ist ausreichend für eine Kur. Ich wünsche Ihrer Verlobten gute Besserung. Sollten Sie durch den Unfall in Bedrängnis kommen und noch einmal Hilfe brauchen, dann wenden Sie sich an mich.«

Harros Gesicht brannte vor Aufregung. Der Briefumschlag zitterte in seiner Hand.

»Sie sind sehr gütig«, stammelte er. Jetzt nichts wie raus hier, dachte er. »Ich hätte kaum mit Ihrer Hilfe gerechnet. Aber ich wollte es wenigstens versucht haben.«

Roland Rodermann erhob sich, und natürlich beeilte sich auch Harro, auf die Füße zu kommen.

»Ich danke Ihnen sehr. Sehr«, stammelte er und reichte dem Mann seine verschwitzte Hand.

»Lassen Sie mich wissen, wie es Ihrer Verlobten geht«, bat Roland freundlich und geleitete den Besucher zur Tür.

»Für gewöhnlich bin ich um diese Zeit in meinem Brüo. Sie können selbstverständlich auch meiner Sekretärin eine Nachricht hinterlassen.«

Ein freundliches Lächeln, und Harro war verabschiedet. Er hastete durch das Haus, lief über den Teppich und hatte für die Schönheit links und rechts nicht einen Blick. Die Haushälterin, die in der Diele stand, hätte er beinahe umgerannt.

Sehr nachdenklich ging Roland an seinen Platz zurück. Er fühlte sich grundlos deprimiert. Ja, grundlos, herrschte er sich an. Er sah über die Papiere auf seinem Schreibtisch hinweg, und es war ihm, als erlebte er die Szene noch einmal. Er sah das grünäugige Mädchen auf der Straße liegen, er sah ihr junges bezauberndes Gesicht. Er sah das Entsetzen, die Angst in ihren Augen, als erlebte er das Schreckliche jetzt, in diesem Augenblick.

Und er spürte auch jetzt den Zauber, der sie umgab. Ja, ein anderes Wort fand er für ihre Ausstrahlung nicht. Jetzt, in diesem Augenblick gestand er sich ein, daß er oft, viel zu oft an das Mädchen gedacht hatte. Hatte er nicht sogar den Wunsch verspürt, sie wiederzusehen? Nicht nur, weil er wissen wollte, ob sie nicht zu Schaden gekommen war.

Nun, jetzt konnte er die Sache abhaken, er hatte ihr helfen können. Er hatte es gern getan. Verlobt war sie also.

Eigentlich paßte dieser junge Mann nicht recht zu ihr!

Roland Rodermann verspottete sich selbst, als er mit seinen Gedanken so weit gekommen war.Energisch griff er zu den Unterlagen, aber es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren.

*

Lieselotte fühlte sich jämmerlich. Sie hatte Hannelore mit dem Kutschwagen zum Schiff gebracht. Regungslos saß sie auf der unbequemen Bank der Kutsche und starrte auf das Schiff, das zielstrebig die Fahrrinne ansteuerte. Von Hannelore war längst nichts mehr zu sehen.

Das zottelige Ponny stand geduldig mit gesenktem Kopf und wartete auf das Zeichen, daß es seine Arbeit wieder aufnehmen durfte.

Tränen strömten über Liselottes Gesicht, sie merkte es nicht einmal. Das Schiff war nur noch ein weißer Strich in dem unendlichen Blau. Heute schimmerte das Wasser so blau wie der Himmel, auf dem kein Wölkchen zu sehen war.

»Hast du auch Heimweh?« fragte ein mitleidiges Stimmchen. Liselotte zuckte zusammen, sie hatte Mühe, in die Wirklichkeit zurückzukommen.

Das kleine Mädchen hatte die blonden Haare zu Zöpfen geflochten, die lustig vom Kopf abstanden. Die blauen Augen waren voll Mitleid auf Liselotte gerichtet.

»Bist du nicht Bettina?« Als die Kleine trotzig nickte, rief Liselotte erschreckt:

»Hast du nicht Hausarrest? Du bist doch vorgestern ausgerissen, stimmt es?«

Das kleine Gesicht verschloß sich. Blaß war sie. Die lustige Stupsnase wollte nicht recht in das unglückliche Gesichtchen passen.

»Wolltest du schon wieder ausreißen?« Liselotte wagte kaum es laut zu fragen. Die Kleine zog hörbar die Nase hoch, hustete und nickte dann.

»Weil ich doch so ein Heimweh habe«, flüsterte sie endlich und ließ das Köpfchen sinken. »Meine Schwester hat auch Heimweh, aber sie ist trotzdem nicht so traurig wie ich.«

»Komm, steig’ auf«, bat Liselotte, die für den Augenblick ihren eigenen Kummer vergessen hatte. »Weißt du, Bettina, eigentlich ist Heimweh etwas Tröstliches. Man hat Heimweh nach Menschen, die man lieb hat, nach denen man Heimweh haben kann. Das ist nun aber ein verschobener Satz geworden«, lächelte sie in das aufmerksam aufhorchende Gesichtchen hinunter.

Das Pony zockelte langsam über den Sandweg, rechts und links breiteten sich Wiesen aus, Schafe grasten vor dem großen Deich, und ihr Blöken mischte sich unter das Kreischen der Möwen, die dicht über ihre Köpfe flogen.

Die Kleine saß neben Liselotte und ließ keinen Blick von ihr. »Ich hab’ dich kommen sehen. Mit der netten Hannelore, aber du hast Susanne und mich nicht gesehen, weil wir in unserem Zimmer bleiben mußten. Das hat uns nichts ausgemacht, ich meine, es hat uns nichts ausgemacht, daß wir Hausarrest hatten.«

»Haben«, berichtigte Liselotte freundlich.

»Auch egal. Wir wollen uns nämlich so schlecht benehmen, daß die Leiterin gar nicht anders kann, als uns nach Hause zu schicken«, erklärte die Kleine mit blitzenden Augen. »Wir haben uns auch schon Streiche überlegt, die wir den Lehrerinnen spielen können. Wie blöde, daß in einem Kinderheim, in dem Kinder sind, die gesund werden müssen, Lehrerinnen sind.«

»Gar nicht blöde«, widersprach Liselotte freundlich. Sie hielt die Zügel lose in der Hand. Am liebsten hätte sie ihren Arm um das traurige kleine Persönchen gelegt, aber das wagte sie nicht. Manchmal konnte man Kinder mit Zärtlichkeit erschrecken. »Ich habe mir erzählen lassen, daß es hier Kinder gibt, die Monate auf der Insel bleiben müssen. Was sollten die wohl machen, wenn sie keinen Unterricht hätten?«

»Wir bleiben jedenfalls nicht so lange«, behauptete Bettina kriegerisch und reckte angriffslustig ihren Kopf. »Wir hauen ab, bestimmt. Das heißt«, sie ließ das Köpfchen hängen und kämpfte offensichtlich mit den Tränen. »Zuhause will man uns gar nicht. Das kannst du glauben, daß die Busch eine Schlange ist. Wenn wir wieder zu Hause sind, ekeln wir sie raus.«

Liselotte schluckte. Sie kam sich sehr hilflos vor und zermarterte ihren Kopf nach einer klugen Antwort. Die ersten Häuser des Ortes kamen schon in Sicht. Die roten Mauern wirkten dominierend in der endlosen Weite des verdorrten Grases.

Zum Glück erwartete Bettina keine Antwort. Sie drückte sich ein wenig näher an Liselotte heran.

»Die Busch ist unsere Haushälterin. Aber sie meint, sie hat alles zu sagen. Das kannst du glauben,daß das nicht stimmt. Mein Vater hat nämlich alles zu sagen. Aber mein Vater muß furchtbar viel arbeiten, weil er für andere Leute Häuser bauen muß. Aber er baut sie nur auf dem Papier. Er muß auch ständig zu den Bauten und hat überhaupt keine Zeit. Und wenn er nach Hause kommt, dann will er seine Ruhe haben. Als Mami noch lebte, hat sie sich immer zu ihm ins Arbeitszimmer gesetzt, und dann haben sie Kaffee getrunken, manchmal auch Wein. Ich weiß das nicht mehr, aber Susanne kann sich noch daran erinnern. Ich bin ja auch erst fünf Jahre, und Susanne ist schon sieben.

Aber willst du glauben, daß die Busch ihn in Ruhe läßt, wenn er kommt? Nee, tut sie nicht. Sie überfällt ihn sofort mit ihrer Jammerei. Das haben die Kinder gemacht und das nicht. Und frech sind sie und widerspenstig. Und gegessen haben sie nicht und werden immer dünner.

Dieser bösen Hexe haben wir es zu verdanken, daß Papa sich bereit erklärte, uns in das Kinderheim zu stopfen. Er hat von der ewigen Meckerei natürlich die Nase voll. Wir hatten nämlich Scharlach, Susanne und ich. Papa war, als wir aus dem Krankenhaus kamen, mehr zu Hause als früher, aber er war immer ganz furchtbar nervös und ständig wurde er zum Telefon gerufen. Papa ist natürlich ganz froh, daß er uns los ist und seine Ruhe hat.«

Das Pony blieb stehen und riß das dürre Gras aus, das am Weg stand. Liselotte war froh über die Unterbrechung.

»Daß dein Vater froh ist, daß ihr weg seid, das glaube ich nicht. Wenn er wenig Zeit hat, weil er viel arbeiten muß, ist es traurig, aber nicht nur für ihn, auch für euch, aber vermutlich empfindet er das noch schrecklicher als ihr. Weißt du, Bettina, wenn man erwachsen ist, dann hat man Verantwortung, dann hat man Pflichten, und die wenigsten Menschen können das tun, was sie so gern wollen. Ganz bestimmt wäre euer Vater lieber bei euch. Und er hat Angst um eure Gesundheit, er muß natürlich glauben, was die Person,die auf euch achten soll, erzählt. Bestimmt hat er genauso viel Heimweh nach euch wie ihr nach ihn. Weißt du, was ich mir denken kann? Wenn man Kinder zu Hause hat und wenig Zeit für sie hat, dann geht man mit einem ständig schlechtem Gewissen spazieren. Er liebt euch natürlich mehr als seine Arbeit. Aber wenn er seinen Beruf vernachlässigt, verdient er weniger Geld. Und das Geld muß er für euch verdienen. Kapiert, oder habe ich mich unklar ausgedrückt?«

Liselotte lachte so lieb dabei, daß Bettina den Mund zu einem Grinsen verzog.

»Meinst du, ich bin blöde?«

»Los jetzt, Brauner«, Liselotte klopfte leicht mit dem Zügel auf den breiten Rücken des Ponys. »Du bekommst zu Hause Köstlicheres, laß das Gras stehen, die Schafe wollen auch noch fressen.«

Braunchen setzte sich bereitwillig wieder in Trab. Da er den Stall zu riechen glaubte, trippelte er sogar recht flott über den Weg.

»Aber jetzt mußt du mir sagen, warum du geweint hast? Ich sag’s keinem, daß ich das gesehen habe. Nur Susanne. Vor Susanne habe ich nämlich keine Geheimnisse. Warst du traurig, weil deine Freundin weggefahren ist?« Die Kleine musterte aufmerksam Liselottes Gesicht. »Schade, daß die Hannelore nicht unsere Leiterin ist, die ist viel netter als ihre Schwester.«

Liselotte raffte sich zu einem Lachen auf. Die Kleine war goldig und tat ihrem angeschlagenem Gemüt richtig gut. Es hatte überhaupt keinen Sinn, Trübsal zu blasen, damit wurde nichts erreicht und es wurde nichts besser. In Zukunft wollte sie den Tag mit frischem Mut angehen und die schreckliche Traurigkeit bekämpfen.

»Hannelore war hier in Ferien, du kleines Schaf. Aber Frau Schmidt, eure Leiterin, hat die Verantwortung für euch alle. Sie hat dafür zu sorgen, daß ihr euch wohlfühlt und gesund werdet. Hannelore hat mit euch gespielt und herumgealbert, und wenn sie keine Lust mehr hatte, dann hat sie sich in den Liegestuhl geworfen oder ist spazierengegangen.«

»Und du bist neben ihr hergehumpelt. Bist du traurig, weil du ein Humpelbein hast?«

»Ja. Und das ist sehr dumm und sehr undankbar von mir, Bettina. Ich bin nämlich wie ein blinder Esel in ein Auto hineingerannt. Ich hatte mehr Glück als Verstand, ich habe mir nur den Mittelfußknochen gebrochen. Es hätte ja viel schlimmer sein können. Aber ich bekam gerade eine so tolle Chance. Ich will nämlich Tänzerin werden, Bettina. Aber ich habe noch längst nicht ausgelernt. Das wird noch lange dauern, bis ich mich Tänzerin nennen kann. Ich war total durchgedreht vor Freude, als man mir sagte, daß ich für eine richtige Tänzerin einspringen sollte. Und dann hatte ich nichts Besseres zu tun, als in ein Auto hineinzurennen.«

»Der Mann im Auto hätte ja besser aufpassen können. So ein Dummer.«

»Da liegst du ganz falsch.« Liselotte schüttelte heftig den Kopf. Sie mußte dabei auch wohl die Zügel gezerrt haben, denn das Pony blieb mitten auf dem Weg stehen. Es war auch durch Zurufe, durch Zungenschnalzen, durch das zarte Klopfen der Zügel einfach nicht zu bewegen weiterzugehen.

»Laß es doch einfach stehen«, riet Bettina. »In das olle Kinderheim kommen wir noch früh genug. Es wird Brauni bald langweilig werden. Warum liege ich falsch? Ich liege ja überhaupt nicht, ich sitze.«

»Das ist so eine Redensart, ich wollte sagen, daß dieser Mann ein besonders freundlicher Mann war. Er hätte allen Grund gehabt, wütend auf mich zu sein. Wahrscheinlich habe ich ihn furchtbar aufgehalten. Männer, die einen so tollen Wagen fahren, haben es meistens eilig. Aber er wollte mich sogar unbedingt zum Arzt bringen.«

»Das wolltest du nicht.« Bettina nickte verständnisvoll. »Dahin gehe ich auch nicht gerne. Aber ich finde es gut, daß du hier bist.« Das Gesichtchen verzog sich verlegen, mit dem Handrücken strich sie über ihre Nase. »Wenn wir schon hierbleiben müssen, ist es schöner, wenn du da bist. Bleibst du lange?«

Es gab einen Ruck. Mit einem energischen Satz machte sich Brauni wieder auf den Weg. Er stampfte dabei mit seinen Hufen auf den Boden, als müßte er jedem Schritt Nachdruck verleihen.

»So ein Quatsch macht er immer.« Bettina schüttelte den Kopf, daß ein Zopf Liselottes Wangen streifte. »Noch schlimmer ist es, wenn beide Ponys den Wagen ziehen. Alle haben nur gelacht, als die Ponys einmal abgehauen sind, dabei hatten sie eine Kanne Milch auf dem Wagen, die ist natürlich umgekippt. Frau Schmidt sagte, die Ponys sind richtige Kobolde. Aber wenn wir Kinder Blödsinn machen, dann lacht sie nicht.«

Brauni hatte es eilig. Er hatte den gepflasterten Hof unter den Hufen, immer schneller lief er, sein Stall lockte. Er war auch nicht zu bewegen stehenzubleiben, was interessierte ihn die Leiterin des Kinderheimes? Er wollte zu seiner Gefährtin. Es blieb Frau Schmidt nichts anderes übrig, als der Kutsche nachzulaufen.

»Ich werde einfach nicht mit Brauni fertig«, rief Liselotte mit hochrotem Gesicht. »Er gehorcht mir nicht.«

»Mach’ dir nichts draus. Mir gehorchen einige Kinder auch nicht. Wenn ich gewußt hätte, daß Bettina bei dir ist, wäre ich nicht vor Angst ganz durcheinandergewesen. Du wußtest natürlich nicht, daß sie noch Hausarrest hat. Aber Bettina wußte es.«

»Bitte, sei nicht böse«, bat Liselotte. Beate Schmidt war längst nicht so streng, wie sie tat, und Liselottes Bitten hatte sie schon früher nicht widerstehen können. »Bettina mag deine Schwester besonders gern.«

Beate nickte noch immer mit strengem Gesicht. »Geh’ jetzt ins Haus, Bettina«, befahl sie freundlicher. »Sag deiner Schwester, daß die Strafe aufgehoben ist.«

Bettina zögerte, sprang vom Bock, blieb auf dem holprigen Pflaster stehen und sah nur Liselotte an.

»Du bist doch gleich da, wenn ich mit meiner Schwester wieder runterkomme?«

»Natürlich. Ich löse mich ganz sicher nicht in Luft auf«, lachte Liselotte. Beide sahen dem Kind nach, das es plötzlich eilig hatte, ins Haus zu kommen.

»Ich habe eine große Bitte, Lilo.« Beate nestelte an ihrem Knoten, der sich aufzulösen begann. Sie hatte mehr Angst um das Kind, das ihr anvertraut war, gehabt, als sie ausdrücken konnte. »Die beiden Rodermanns sind besonders schwierige Kinder. Ich hatte so gehofft, sie würden sich einfügen. Aber sie isolieren sich selbst, nehmen an keinem Spiel teil, unsere Kinderschwestern sind am Ende mit ihrem Latein. Ich habe aber das Gefühl, du hast den Schlüssel zum Herzen dieses Trotzkopfes gefunden. Und wenn du Bettina gewonnen hast, hüpft auch Susanne auf deine Seite. Meinst du, es wird dir nicht zu viel, Liselotte? Der Vater der beiden ist überbesorgt, er hat auch gestern abend angerufen. Vielleicht war es nicht richtig von mir, aber ich habe die Kinder nicht ans Telefon gerufen. Ich meine, wenn sie die Stimme des Vaters hören, wird es noch schlimmer mit ihnen.«

Das Mitleid stand deutlich in Liselottes Gesicht geschrieben. »Die beiden sind einsam, Beate. Sie haben keine Mutter und nur einen viel beschäftigten Vater. Sie fühlen sich abgeschoben. Wie kann man da fröhlich sein wie andere Kinder, die sich geliebt fühlen? Wer kann das besser verstehen als ich. Natürlich kümmere ich mich um die beiden, gern sogar. Sie sind nicht wirklich boshaft und trotzig, sie sind nur einfach traurig.«

Beates Lächeln ließ ihr Gesicht sehr jung erscheinen. »Sie haben ja in dir einen guten Fürsprecher gefunden, meine Liebe. Ich wollte dir noch sagen, daß ich ganz begeistert war, als Hannelore mich bat, dich ins Kinderheim einzuladen. Ich muß es dir rasch sagen, sonst vergesse ich es wieder. Du bist für uns eine Bereicherung. Da kommen die beiden. So rasch sind sie noch nie meiner Bitte nachgekommen«, setzte sie spöttisch hinzu. Liselotte hatte nicht vergessen, daß sich Beates weiches Herz hinter einer rauhen Schale verbarg. Komplimente waren eine Seltenheit bei ihr.

Liselotte hätte sich gern bedankt oder ihr gezeigt, wie sehr sie sich über die Worte freute, aber Beate war jetzt wieder ganz die Leiterin des Kinderheimes.

»Da seid ihr ja«, lächelte sie den Mädchen entgegen. »Liselotte bat mich, euren Hausarrest aufzuheben. Verdient habt ihr es nicht. Liselotte, laß dich nicht von den beiden ärgern. So, jetzt seid ihr vielleicht so freundlich und helft Liselotte, Brauni zu versorgen.«

Sie nickte den Dreien zu und ging rasch davon. Bettina sah der hochgewachsenen Erzieherin nach und streckte die Zunge heraus.

Liselotte war klug genug, keine Bemerkung zu machen, sie tat, als hätte sie es nicht gesehen.

Susanne kniff die braunen Augen zusammen und musterte Liselotte gründlich.

»Du bist wirklich Tänzerin, oder hat Bettina mal wieder gesponnen? Das kann sie nämlich meisterhaft.«

»Hätte ich dich doch nur nicht geholt«, wütete Bettina. Ganz offensichtlich war sie die Temperamentvollere von ihnen. Mit den braunen Haaren und den braunen Augen wirkte Susannes Gesicht weich und ein wenig verträumt. Seltsam war es, aber Liselotte hatte das dumpfe Gefühl, einem ähnlichen Gesicht schon einmal begegnet zu sein.

»Ich will Tänzerin werden, aber ich finde, das ist jetzt überhaupt nicht wichtig. Wir sollten uns wirklich besser um das arme Pony kümmern, das schabt mit seinen Hufen noch die Steine platt.«

»Los, Liselotte«, bestimmte Bettina. »Du schirrst ihn ab. Ich reib ihn trocken. Der arme Kerl hat sich ganz schön plagen müssen, als er uns beide ziehen mußte.«

Susanne funkelte die Schwester böse an. »Glaub ja nicht, daß ich dir das vergesse, du gemeine Kröte. Einfach abzuhauen, ohne mir was zu sagen. Meinst du, das wäre lustig gewesen, als die Schmidt mich löcherte, wo du bist?«

»Sag bloß, du hast Angst um mich gehabt?«

»Quatsch. So ein Unkraut, wie du bist, verdirbt nicht.«

Liselotte lachte amüsiert. »Hört auf. Es heißt zwar, was sich liebt, das neckt sich, aber das könnt ihr später aushandeln.«

Sie humpelte auf die Stalltür zu und öffnete sie. Das Zetern des Ponys, das in seiner Box stand, schallte mißtönend über den Hof.

»He, Brauni, spiel nicht verrückt!« Susanne gelang es zu Liselottes Staunen, das aufgeregte Pony zu bändigen, es senkte sogar willig den Kopf, als sie ihm das Halfter abstreifte.

»Du bist aber tüchtig«, staunte Liselotte. »Das machst du wohl nicht zum ersten Mal.«

»Natürlich nicht.« Susanne strahlte vor Stolz. Die braunen Augen bekamen einen ganz besonderen Glanz. Sie strich dem Pony über den Rücken, aber sie sah Liselotte dabei an. »Ich reite schon jahrelang«, prahlte sie. »Als ich so alt war wie Bettina, hatte ich längst Reitstunden. Aber Bettina ist eine Bangbüchse. Sie hat Angst vor Pferden, nur weil sie einmal vom Pferd gefallen ist. Dabei hat Papa ihr gesagt, daß das Fallen zum Reiten gehört. Du reitest bestimmt auch, oder?«

Bettina hatte sich ein Büschel Stroh geholt und rieb damit über die zotteligen Beine des Tieres, sehr behutsam machte sie das.

»Nein, ich reite nicht.«Liselotte sprach mit den beiden, als wären sie erwachsen wie sie selbst. »Ich hatte leider keine Eltern, die mir solche Wünsche erfüllen konnten.«

»Sind sie tot?« wollte Bettina wissen. Sie hatte die blauen Augen weit aufgerissen. »Sie sind beide tot? Schon als du ein Kind warst?«

»Ja. Es sieht aber gar nicht so aus, als hätte Bettina Angst vor Pferden, sie hockt ja beinahe unter dem dicken Ponybauch.«

»Sie hat Angst, wenn sie auf dem Rücken eines Pferdes sitzt. Auf so ein winziges Geschöpf setzt sich sogar meine ängstliche Schwester. Wenn sie runterfällt, landet sie ja bald auf dem Boden.«

»Du bist einfach gemein«, schnaubte Bettina. »Du willst dich nur bei Liselotte lieb Kind machen. Darum bist du so ekelig zu mir.«

Die beiden Mädchen brachten das Pony in den Stall, Liselotte konnte ihnen kaum folgen, so eilig hatte Brauni es.

»Grauchen, hörst du auf, an die Stalltür zu schlagen?« rügte Bettina das aufgeregte Tier. »Brauni kommt ja schon. Himmel, muß die Liebe groß sein. Es sind Geschwister, Liselotte. Sie vertragen sich ganz toll. Wenn einer allein im Stall bleiben muß, macht der andere Theater.«

Sie öffnete dieTür zu der großen Box, drückte Grauchens Kopf zurück und ließ Brauni hinein.

Augenzwinkernd meinte Liselotte: »Vielleicht könntet ihr euch daran ein Beispiel nehmen.«

Susanne stutzte, lachte dann. »Vielleicht«, sagte sie nur. Sie holte Heu für die Tiere, Bettina schüttete den Wassertrog voll.

»Ihr seid wirklich sehr tüchtig«, lobte Liselotte sie. »Von euch kann man noch lernen.«

»Kannst du.« Unter Bescheidenheit schien Bettina nicht zu leiden. »Du mußt einfach viel mit uns zusammensein, dann klappt das schon.«