Wenn einer plötzlich Vater ist... - Karina Kaiser - E-Book

Wenn einer plötzlich Vater ist... E-Book

Karina Kaiser

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Beschreibung

Große Schriftstellerinnen wie Patricia Vandenberg, Gisela Reutling, Isabell Rohde, Susanne Svanberg und viele mehr erzählen in ergreifenden Romanen von rührenden Kinderschicksalen, von Mutterliebe und der Sehnsucht nach unbeschwertem Kinderglück, von sinnvollen Werten, die das Verhältnis zwischen den Generationen, den Charakter der Familie prägen und gefühlvoll gestalten. Mami ist als Familienroman-Reihe erfolgreich wie keine andere! Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! »Hörst du die Musik, Christian?« fragte Claudia, als sie an einem Frühjahrstag mit ihrem Freund auf der Suche nach Maiglöckchen durch den Wald streifte. Christian schüttelte den Kopf. »Ich höre nichts«, meinte er. »Die Musik kommt aus dem Schloß! Laß uns einmal nachschauen!« bat Claudia. »Meinetwegen. Aber ich sage dir, da ist keine Musik!« versicherte Christian noch einmal mit Nachdruck. Die Kinder liefen zu einer hohen Steinmauer, die den Schloßpark umgab. Sie kletterten auf die ausladenden Äste einer Weide. Von dort aus schwangen sie sich auf die Mauer. »Wie schön«, flüsterte Claudia entzückt. Das weiße Schloß spiegelte sich in einem See, auf dem ein Schwanenpaar seine Runden zog. Plötzlich war auch wieder der leise Klang einer Flöte zu hören. Claudia mußte unwillkürlich lächeln. Sie fühlte sich wie verzaubert.

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Leseprobe: Geheimnisse

Greta van de Jong verließ das Seniorenheim und trat auf die Straße. Es war ein sonniger Septembernachmittag, im nahen Park spielten Kinder. Das Laub der Linden, die am Ufer des Ententeichs wuchsen, färbte sich allmählich bunt. Ein vertrockneter Samenstand segelte wie eine verirrte Erinnerung an den Sommer an ihr vorbei und landete lautlos im Rinnstein. Lichtreflexe sprenkelten das Teichwasser golden. Eine junge Frau saß auf einer Bank und las. Erbeerrosa funkelte das Licht in einem ihrer Ohrringe. »Erbeereis«, murmelte Greta. Noch immer lieferten sich die Gedanken in ihrem Kopf eine Schlacht und wirbelten wild durcheinander. Was war nur los mit der Realität eines ganz normalen Dienstags im September? Eben noch war ihre Welt im Einklang gewesen, sozusagen rund gelaufen wie der Motor eines gut gepflegten Oldtimers. Und jetzt hatte sie das absonderliche Gefühl, von einem übelgelaunten Magier in einen riesigen Staubsauger gezogen worden zu sein, wo alles und jeder in einem irren Kreisel aus Verwirrung und Verrücktheit herumgewirbelt wurde, sozusagen eine Endlosschleife des Wahnsinns. Per war nicht Per. Es gab keine Henni, die er im Heim besucht hatte. Mit wem aber hatte sie, Greta, die letzten Nachmittage im Heim verbracht, mit Einbildungen, Illusionen, Spiegelbildern ihrer Phantasie? Sie lehnte es ab, das auch nur in Erwägung zu ziehen. Sie war so klar im Kopf wie immer und die Bürofrau im Heim eine Lügnerin. Nur so ergab das Ganze ein Bild, auch wenn es scheinbar sinnlos war. Doch wie hatte ihr literarischer Lieblingsdetektiv Sherlock Holmes es immer ausgedrückt?

Mami Bestseller – 37 –

Wenn einer plötzlich Vater ist...

Marius fängt ein völlig neues Leben an

Karina Kaiser

»Hörst du die Musik, Christian?« fragte Claudia, als sie an einem Frühjahrstag mit ihrem Freund auf der Suche nach Maiglöckchen durch den Wald streifte.

Christian schüttelte den Kopf. »Ich höre nichts«, meinte er.

»Die Musik kommt aus dem Schloß! Laß uns einmal nachschauen!« bat Claudia.

»Meinetwegen. Aber ich sage dir, da ist keine Musik!« versicherte Christian noch einmal mit Nachdruck.

Die Kinder liefen zu einer hohen Steinmauer, die den Schloßpark umgab. Sie kletterten auf die ausladenden Äste einer Weide. Von dort aus schwangen sie sich auf die Mauer.

»Wie schön«, flüsterte Claudia entzückt. Das weiße Schloß spiegelte sich in einem See, auf dem ein Schwanenpaar seine Runden zog. Plötzlich war auch wieder der leise Klang einer Flöte zu hören. Claudia mußte unwillkürlich lächeln. Sie fühlte sich wie verzaubert.

»Ich kann niemanden sehen. Woher die Musik wohl kommen mag«, wunderte sich Christian.

Als Claudia keine Antwort gab, sprang er von der Mauer in den Schloßpark. »Komm doch auch!« forderte er Claudia auf.

Sie besann sich einen kurzen Augenblick, dann tat sie es ihm nach. Von der Musik war nichts mehr zu hören. Es war unglaublich still. Das dichte Laubwerk uralter Bäume ließ die Frühjahrssonne nur an einigen Stellen durchdringen.

»Laß uns lieber wieder zurückgehen, Christian«, meinte Claudia.

Der Junge schüttelte stumm den Kopf. Auch ihm war die ganze Sache nicht geheuer. Zurückgehen kam für ihn trotzdem nicht in Frage. Er ergriff Claudias Hand, und die Kinder gingen ein paar Schritte auf das Schloß zu.

Plötzlich trat hinter dem dicken Stamm einer Eiche ein Junge hervor. Er hielt eine Flöte in seiner rechten Hand.

Claudia wußte, daß er nicht zum Schloß gehörte. Die Gräfin und der Graf, die das Schloß bewohnten, hatten keine Kinder. Außer Zweifel stand für Claudia jedoch, daß dieser Junge ein Prinz war und aus fürstlichem, wenn nicht gar königlichem Hause stammte. Sein schmales, feingeschnittenes Gesicht war von einer Fülle hellblonder Locken umgeben. Am schönsten fand Claudia jedoch seine großen, strahlenden blauen Augen.

»Was machst du denn hier?« fragte Christian herausfordernd.

Der Junge lächelte. »Ich besuche meine Tante und meinen Onkel.«

»Hm«, Christian blickte auf die Flöte in der Hand des anderen Jungen. »Hast du vorhin damit gespielt?«

»Ja.«

»Ich habe dich gehört«, fiel Claudia rasch ein. Ihre Wangen röteten sich. »Es war sehr schön«, fügte sie hinzu.

»Wenn du möchtest, spiele ich das Lied noch einmal. Es ist von Franz Schubert«, entgegnete der Junge.

»O ja! Bitte, sei so nett, und spiele es noch einmal!« bat Claudia begeistert.

Der Junge setzte die Flöte an seinen Mund. Sein Gesicht war sehr ernst und sehr schön. Claudia lauschte entzückt. »Sogar die Schwäne hören dir zu«, meinte sie, als der letzte Ton verklungen war.

Die Kinder sahen zu den Schwänen hinüber, die aus dem See gekommen waren und sich auf dem Rasen in der Sonne niedergelassen hatten.

In diesem Moment ertönte das Gekrächz einer Krähe. »Die fand das bestimmt gar nicht schön«, mutmaßte Christian. Er ärgerte sich, weil er fand, daß Claudia etwas zuviel Getue um den anderen Jungen machte. »Krähen verstehen nichts von Musik. Sonst würden sie nicht immer so häßlich krächzen«, entgegnete Claudia.

In diesem Augenblick erschien auf der anderen Seite des Sees eine weißgekleidete Frau. »Benedikt!« rief sie.

Der blonde Junge lächelte Claudia zu. »Ich muß jetzt gehen«, sagte er bedauernd.

»Spielst du morgen wieder auf der Flöte?« fragte Claudia rasch.

Er schüttelte den Kopf. »Nein, wir fahren heute abend schon wieder nach Hause.«

»Benedikt! Wo bleibst du denn?« rief die Frau vom anderen Ufer des Sees.

»Ich muß jetzt gehen. Auf Wiedersehen«, sagte Benedikt und rannte fort.

»Ein alberner Fatzke!« meinte Christian, als der andere Junge ihn nicht mehr hören konnte.

»Er ist kein Fatzke! Ich finde ihn sehr nett!« widersprach Claudia.

Christian steckte seine Hände in die Taschen seiner Jeans. »Wenn du ihn lieber hast als mich, dann gehe doch zu ihm!« stieß er hervor.

Claudia war beleidigt. Ohne sich um Christian zu kümmern, lief sie zur Mauer zurück. Sie fand jedoch keinen Baum, von dem aus sie auf die Mauer klettern konnte.

Christian war ihr langsam gefolgt.

»Wie sollen wir jetzt über die Mauer kommen?« fragte Claudia.

»Du mußt dich auf meine Schultern stellen. Und wenn du oben bist, hilfst du mir, damit ich auch hinaufklettern kann«, schlug Christian vor.

Claudia stieg auf die Schultern ihres Freundes. »Beeil dich!« stieß Christian keuchend hervor. Obwohl Claudia sehr schmal und zierlich war, schwankte er unter ihrem Gewicht.

Nach einer ganzen Weile gelang es Claudia, die Mauer zu erklimmen. Ohne es zu bemerken, riß sie dabei ein großes Dreiangel in ihr rotes Röckchen.

»Jetzt kommst du an die Reihe!« rief sie Christian zu. Sie beugte sich, so weit es ging, nach vorne und streckte ihm ihre Hand entgegen. Als Christian sie ergriff und sich daran festhalten wollte, zog er Claudia wieder von der Mauer herunter. Sie fiel auf das weiche Moos.

»Hast du dir weh getan?« fragte Christian ganz erschrocken.

»Nein!« Claudia strich sich mit ihren Händen die hellbraunen Haare aus dem Gesicht.

»Wie sollen wir jetzt wieder nach Hause kommen?« meinte Christian beklommen.

»Wir können doch einfach durch das Tor gehen!« schlug Claudia vor.

»Ja! Vielleicht ist es offen!« stimmte Christian zu.

Die Kinder rannten quer durch den Park auf das hohe schmiedeeiserne Tor zu. Es war nicht verschlossen und quietschte, als sie es öffneten.

Claudia lächelte ihrem Freund

zu, und Christian gab das Lächeln zurück. Sie kamen sich vor wie Verschwörer.

»Jetzt haben wir aber gar keine Maiglöckchen. Du wolltest sie doch deinem Vater mitbringen«, erinnerte Christian.

»Ich pflücke morgen für Papa Maiglöckchen. Jetzt muß ich nach Hause gehen. Die Kirchenglocken haben schon geläutet«, antwortete Claudia.

»Ich hole dich morgen zur Schule ab«, meinte Christian.

»Ja! Ich warte auf dich!« rief Claudia, und dann rannte sie los, so daß ihr rotes Röckchen und ihre Haare flogen.

Christian blickte ihr nach, bis er sie nicht mehr sehen konnte.

*

»Claudia, wie siehst du nur wieder aus? Habe ich dir nicht gesagt, daß du auf deine Kleidung aufpassen sollst?« schimpfte Matthias mit seiner kleinen Tochter.

Claudia sah bittend zu ihm auf. »Es tut mir leid, Papa. Ich habe gar nicht gemerkt, daß ich meinen Rock zerrissen habe. Sei mir nicht böse«, bat sie.

»Das sagst du immer! Beeil dich jetzt ein bißchen. Wasch dich und iß dein Abendbrot, damit du ins Bett kommst«, erwiderte Mathias ungeduldig.

»Gehst du heute abend wieder weg, Papa? Bleibst du nicht bei mir?« fragte Claudia erschrocken. Sie wollte nicht weinen. Aber sie konnte doch nicht verhindern, daß sich ihre Augen mit Tränen füllten.

»Bitte, Claudia, fang jetzt bitte nicht an zu weinen! Ich kann doch nicht jeden Abend bei dir zu Hause sitzen! Wir haben doch schon so oft darüber gesprochen, Claudia! Als Schriftsteller bin ich ohnehin gezwungen, den ganzen Tag lang zu Hause zu arbeiten. Ich muß wenigstens abends einmal herauskommen und andere Menschen treffen!« rief Mathias.

»Das verstehe ich ja, Papa«, antwortete Claudia mit leiser Stimme. Sie blickte zu Boden und wischte sich mit rascher Bewegung eine Träne fort, die ihr über die Wange kullerte.

Mathias seufzte innerlich auf. »Nun geh schon ins Badezimmer, und wasch dich«, mahnte er.

Claudia zögerte. »Papa..., Papa, hast du mich denn wenigstens ein klitzekleines bißchen lieb?« fragte sie mit tränenerstickter Stimme.

Mathias schluckte. Wie oft hatte er sich diese Frage gestellt. Wenn er ganz ehrlich war, mußte er sie verneinen. Er konnte nicht vergessen, daß Claudia die Schuld am Tod seiner über alles geliebten Frau trug. Isabella hatte die Geburt ihrer kleinen Tochter mit dem Leben bezahlen müssen. So oft Mathias Claudia ansah, mußte er daran denken. Denn obwohl schon sieben Jahre vergangen waren, seit Isabell auf dem Kleinen Dorffriedhof begraben worden war, empfand Mathias beim Gedanken an sie noch den gleichen Schmerz wie am Tag ihres Todes.

»Natürlich habe ich dich lieb, Claudia«, antwortete Mathias wider besseres Wissen.

Claudia blickte zu ihm auf. Sie lächelte unter Tränen. »Ich habe niemanden auf der ganzen Welt lieber als dich, Papa«, gestand sie.

Mathias spürte, wie so oft, ein Gefühl von Schuld in sich aufsteigen. Er wußte, daß er seinem Kind unrecht tat, wenn er ihm den Tod seiner Frau anlastete. Ebensogut wußte er, wie sehr sich Claudia nach seiner freundlichen, gleichbleibenden, schützenden Liebe sehnte. Er konnte sie ihr aber nicht geben.

Dazu kam noch, daß er wegen Claudia gezwungen war, ein Leben zu führen, das seiner Natur widersprach. Er empfand seine Tochter manchmal wie eine Fessel, die ihn daran hinderte, Reisen zu unternehmen, um fremde Menschen und Länder kennenzulernen.

Mathias war davon überzeugt, daß er ganz andere, erfolgreiche Bücher schreiben könnte, wenn er nur endlich die Möglichkeit bekäme, der Enge des Ortes zu entfliehen, in dem er mit Claudia lebte. Aber wo sollte er dann Claudia lassen? Er hatte keine Verwandten, wo er sie unterbringen konnte. Und an eine Unterbringung in einer fremden Familie war nicht zu denken. Das kostete sehr viel Geld. Mathias’ Einkommen als Schriftsteller war jedoch so gering, daß er und Claudia gerade das Nötigste zum Leben hatten.

Claudia war inzwischen ins Badezimmer gegangen und hatte sich gewaschen. Als sie im langen Nachthemd beim Abendessen saß, fragte sie ihren Vater: »Papa, haben Krähen bei Vollmond wirklich so große Flügel, daß sie ein Kind damit ersticken können?«

»Wer hat dir denn diesen Unsinn erzählt, Claudia?« fragte Mathias.

»Christian«, antwortete die Kleine.

»Höre nicht auf ihn, Claudia. Er will dir nur Angst machen«, erwiderte Mathias und erhob sich von seinem Stuhl.

»Gehst du schon, Papa?« rief Claudia erschrocken.

»Ja, Claudia. Du ißt jetzt dein Brot auf und gehst dann zu Bett. Ich kann mich doch auf dich verlassen?« erkundigte sich Mathias mit eindringlicher Stimme.

Claudia nickte. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Sie wußte, daß sie wieder ganz entsetzliche Ängste ausstehen würde. Schon jetzt mußte sie ja an die Krähe denken!

Mathias hauchte ihr einen Kuß auf die Stirn. »Schlafe schön, Claudia.«

»Kommst du auch wirklich nicht so spät wieder, Papa?« wollte Claudia wissen.

»Aber nein. Außerdem brauchst du mich doch auch gar nicht, wenn du schläfst, Claudia«, meinte Mathias und ging zur Tür.

»Papa!« rief Claudia.

»Ja? Was ist?« Zwischen Mathias’ Augenbrauen entstand eine steile Falte.

Claudia ließ ihren Kopf sinken. »Nichts«, brachte sie mit flüsternder Stimme hervor.

Mathias verließ mit raschem Schritt die Wohnung. Als Claudia die Tür hinter ihm zuschlagen hörte, begann sie verzweifelt zu weinen. Sie sprang auf und lief zum Fenster. Von dort aus sah sie durch einen Tränenschleier hindurch, wie ihr Vater den Vorgarten des Hauses durchquerte und in seinen alten Wagen stieg. Im gleichen Augenblick, als er davonfuhr, ging das Licht der Straßenlaterne vor dem Haus an.

So schnell sie konnte, lief Claudia in ihr Schlafzimmer und verkroch sich in ihrem Bett. Sie zog die Bettdecke über ihren Kopf und schloß sogar noch die Augen. Ihr Herz klopfte, als wolle es zerspringen.

Ihr fiel auf einmal der blonde Junge ein, dem sie und Christian im Schloßpark begegnet waren. »Benedikt«, flüsterte Claudia. Der Name erinnerte sie an die Sonne und leuchtende Blumen. »Benedikt«, sagte sie noch einmal mit sehr leiser Stimme und kam vorsichtig unter ihrer Bettdecke hervor.

Sie rief sich den Klang der Flöte in Erinnerung. Plötzlich mischte sich jedoch das Gekrächz einer Krähe in die lieblichen Töne. Claudias Herz geriet wieder ins Stocken. Sie lauschte. Im hellen Mondlicht kamen ihr die vertrauten Gegenstände in ihrem Zimmer unwirklich und gefährlich vor.

Sie sprang aus dem Bett und lief, so schnell sie konnte, in das Zimmer ihres Vaters. Dort verkroch sie sich sofort wieder unter der Bettdecke und weinte sich in den Schlaf.

Als sie ein paar Stunden geschlafen hatte, meinte sie plötzlich Stimmen zu hören. Eine gehörte ihrem Vater. Da bestand kein Zweifel. Die andere hatte Claudia noch nie vernommen.

Claudia bewegte sich nicht unter ihrer Bettdecke. Plötzlich wurde die Decke fortgerissen. Im Schein des Mondlichtes sah Claudia, wie ihr Vater sich über sie neigte. Hinter ihm stand hoch aufgerichtet eine Frau.

»Was machst du denn in meinem Bett? Das geht jetzt aber wirklich zu weit, Claudia! Geh sofort in dein Zimmer!« herrschte Mathias seine kleine Tochter an.

»Papa…«

»Ich habe dich gebeten, in dein Zimmer zu gehen!« unterbrach Mathias sie zornig.

Claudia war über den harten Klang seiner Stimme so erschrocken, daß sie kein Wort zu erwidern wagte. Sie lief zu ihrem Bett. Lange Zeit konnte sie nicht wieder einschlafen. Sie hörte, wie Türen klappten, sie vernahm die Stimmen ihres Vaters und der fremden Frau, horchte auf das leise Lachen der Frau, bevor plötzlich alles ruhig blieb.

Als Claudia am nächsten Morgen erwachte, schien die helle Sonne auf ihr Gesicht.

Claudia erhob sich sofort und kleidete sich an. Gleich würde Christian läuten, um sie zur Schule abzuholen. Sie wollte ihn nicht warten lassen.

Aus dem Zimmer ihres Vaters hörte Claudia Schreibmaschinengeklapper dringen. Sie trat ein. Als Mathias sie bemerkte, hörte er sofort auf zu arbeiten.

»Bist du mir noch böse wegen heute nacht, Papa?« fragte Claudia. Sie mußte an die fremde Frau denken. Aus Furcht, wieder den Zorn ihres Vaters hervorzurufen, wagte Claudia jedoch nicht, sie zu erwähnen.

Zu ihrer Überraschung hob ihr Vater sie auf seinen Schoß. »Nein, ich bin dir nicht böse, Claudia«, versicherte er und betrachtete sie mit großer Aufmerksamkeit.

Dabei fiel ihm auf, daß Claudia ihrer verstorbenen Mutter immer ähnlicher wurde. Die feinen Linien ihres rosigen Kindergesichts ließen bereits vermuten, daß sie einmal so schön werden würde, wie Isabell gewesen war. Außerdem besaß Claudia die gleichen goldfarbenen Augen und die gleiche hohe Stirn wie Isabell. Wie bei ihrer Mutter fielen ihre braunen Haare in weichen, fließenden Wellen herab.

Mathias wandte seinen Kopf zur Seite. Für Sekunden spiegelte sein Gesicht heftigen Schmerz wider. Alle Frauen der Welt konnten ihm nicht helfen, Isabell zu vergessen.

»Bist du traurig, Papa?« fragte Claudia mit leiser Stimme.

Mathias wandte sich ihr wieder zu. »Nein, Claudia. Ich habe nur sehr lange über etwas nachgedacht. Darüber möchte ich jetzt mit dir sprechen«, antwortete er.

Claudia blickte ihn erwartungsvoll an.

»Claudia, du weißt doch, daß ich viele Monate an einem Buch geschrieben habe, nicht wahr?« begann Mathias.

Claudia nickte.

»Heute früh habe ich jetzt mit dem Verleger telefoniert. Ich wollte wissen, ob das Buch angenommen ist«, fuhr Mathias fort.

»Sie haben es doch genommen, nicht wahr, Papa?« brachte Claudia atemlos hervor.

»Nein, Claudia. Mein Buch wird nicht erscheinen«, berichtete Mathias.

Claudia warf einen Blick auf die Schreibmaschine. »Schreibst du jetzt ein neues Buch?« wollte sie wissen.

»Nein, Claudia. Das ist ein Brief an meinen Verleger.«

»Das tut mir so leid, Papa«, versicherte Claudia. Und obwohl sie spürte, daß ihr Vater es nicht gern hatte, wenn sie ihn umarmte, umschlang sie seinen Hals und drückte ihre Wange gegen seine.