Mami Bestseller 54 – Familienroman - Gisela Reutling - E-Book

Mami Bestseller 54 – Familienroman E-Book

Gisela Reutling

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Beschreibung

Große Schriftstellerinnen wie Patricia Vandenberg, Gisela Reutling, Isabell Rohde, Susanne Svanberg und viele mehr erzählen in ergreifenden Romanen von rührenden Kinderschicksalen, von Mutterliebe und der Sehnsucht nach unbeschwertem Kinderglück, von sinnvollen Werten, die das Verhältnis zwischen den Generationen, den Charakter der Familie prägen und gefühlvoll gestalten. Mami ist beliebt wie nie! Unsere Originalreihe hat nach über einem halben Jahrhundert nun bereits mehr als 2.800 neue, exklusive Romane veröffentlicht. Eine sympathische Familie lebt vor, wie schön das Leben sein kann, wie man mit den kleinen und großen Sorgen des Alltags souverän umgehen, wie man Probleme meistern, wie man existentiellen Nöten tief empfundene Heiterkeit und Herzenswärme entgegensetzen kann. Mami ist als Familienroman-Reihe erfolgreich wie keine andere! Ariane Cordalis verlor zum zweiten Mal ein Kind!" In fettgedruckten Buchstaben stand es auf der Titelseite einer Boulevardzeitung. Ein Bild war dabei, das sie in einer ihrer letzten Rollen in der Großen Oper in Paris zeigte. Ohne Beschwerden sang Ariane Cordalis am Freitag noch für das Holländische Fernsehen in Amsterdam. Einen Tag später mußte sie in eine Klinik eingeliefert werden. Die attraktive Sängerin hatte schon vor zwei Jahren eine Fehlgeburt, ihr Mann David war in dieser schweren Stunde bei seiner Frau. Zu unserem Reporter sagte er: Es war ein schwerer Schock für Ariane. Trotzdem geben wir die Hoffnung nicht auf. Die Zeitung, die schon mehrere Tage alt war, flatterte zu Boden, als hätten die schmalen Hände nicht die Kraft, sie länger zu halten. Mit geschlossenen Augen lehnte Ariane sich in die Kissen zurück, ihr Mund war herb zusammengepreßt. Es klang gut: Ihr Mann war in dieser schweren Stunde bei seiner Frau. Die Wirklichkeit war leider anders. David war nur einige Minuten bei ihr gewesen, er hatte etwas gemurmelt wie "Es tut mir leid" und "Du wirst darüber hinwegkommen", und dann hatte er sich mit dem Hinweis von ihr verabschiedet, daß er mit Stan Dooley verhandeln müsse, dem Filmproduzenten, der allein ihretwegen aus den Staaten herübergekommen sei. "Du weißt ja, was dabei für dich auf dem Spiel steht", waren seine letzten Worte gewesen, und er hatte vielsagend gelächelt. Sie hatte ihm nur stumm nachgeblickt, und, so erschöpft, ja vernichtet sie sich auch fühlte, in diesem Moment hatte sich etwas in ihr geregt, das von Haß nicht weit entfernt war. Drei Tage war sie in der Klinik geblieben, die Briefe und Telegramme mit den Wünschen zur baldigen Genesung füllten einen Wäschekorb, die Blumen, die für sie abgegeben wurden, hatte sie in anderen Zimmern verteilen lassen. Sie wollte sie nicht einmal sehen.

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Mami Bestseller – 54 –

In meinen Armen geborgen

Ich bin deine Mami und hab' dich lieb, Martina!

Gisela Reutling

Ariane Cordalis verlor zum zweiten Mal ein Kind!«

In fettgedruckten Buchstaben stand es auf der Titelseite einer Boulevardzeitung. Ein Bild war dabei, das sie in einer ihrer letzten Rollen in der Großen Oper in Paris zeigte. Darunter im Text:

Ohne Beschwerden sang Ariane Cordalis am Freitag noch für das Holländische Fernsehen in Amsterdam. Einen Tag später mußte sie in eine Klinik eingeliefert werden. Die attraktive Sängerin hatte schon vor zwei Jahren eine Fehlgeburt, ihr Mann David war in dieser schweren Stunde bei seiner Frau. Zu unserem Reporter sagte er: Es war ein schwerer Schock für Ariane. Trotzdem geben wir die Hoffnung nicht auf.

Die Zeitung, die schon mehrere Tage alt war, flatterte zu Boden, als hätten die schmalen Hände nicht die Kraft, sie länger zu halten. Mit geschlossenen Augen lehnte Ariane sich in die Kissen zurück, ihr Mund war herb zusammengepreßt. Es klang gut: Ihr Mann war in dieser schweren Stunde bei seiner Frau. Die Wirklichkeit war leider anders.

David war nur einige Minuten bei ihr gewesen, er hatte etwas gemurmelt wie »Es tut mir leid« und »Du wirst darüber hinwegkommen«, und dann hatte er sich mit dem Hinweis von ihr verabschiedet, daß er mit Stan Dooley verhandeln müsse, dem Filmproduzenten, der allein ihretwegen aus den Staaten herübergekommen sei.

»Du weißt ja, was dabei für dich auf dem Spiel steht«, waren seine letzten Worte gewesen, und er hatte vielsagend gelächelt.

Sie hatte ihm nur stumm nachgeblickt, und, so erschöpft, ja vernichtet sie sich auch fühlte, in diesem Moment hatte sich etwas in ihr geregt, das von Haß nicht weit entfernt war.

Drei Tage war sie in der Klinik geblieben, die Briefe und Telegramme mit den Wünschen zur baldigen Genesung füllten einen Wäschekorb, die Blumen, die für sie abgegeben wurden, hatte sie in anderen Zimmern verteilen lassen. Sie wollte sie nicht einmal sehen. Blumen für eine begrabene Hoffnung…

Gestern war sie in ihre Münchener Wohnung zurückgekehrt, betreut von Frau Martensen, ihrer Sekretärin und von Terese, ihrer persönlichen Bediensteten seit Jahren, die sie auch auf allen Reisen begleitete. David würde erst heute zurückkommen, zum Abendessen, hatte er gesagt.

»Legen Sie mir das apricotfarbene Wollkleid heraus, Terese, und sorgen Sie dafür, daß das Feuer im Kamin brennt«, sagte Ariane.

Die Fünfzigjährige mit dem gutmütigen, vollwangigen Gesicht sah sie besorgt an. »Sie wollen doch nicht etwa schon aufstehen?«

»Doch, wenigstens für ein paar Stunden. Und sagen Sie der Köchin, sie möchte ein warmes Abendessen für Herrn Cordalis vorbereiten.«

Ariane sprach von ihrem Mann stets als von Herrn Cordalis, es fiel schon niemandem mehr auf. Sie ließ sich beim Ankleiden helfen, und als sie fertig war, ging sie ein wenig in der Wohnung hin und her. Es war eine sehr große, sehr schöne Wohnung, mit wertvollem Inventar eingerichtet und im obersten Stock eines Hochhauses gelegen. Von der Terrasse aus sah man an klaren Tagen deutlich die Berge.

Sie hatten noch eine Wohnung in Paris und ein Haus in der Nähe von Garmisch. Dieses Haus liebte sie, es war nach ihren eigenen Wünschen entstanden, leider hatte sie kaum Gelegenheit, dort zu sein. Sie hatte gehofft, daß es anders werden würde, wenn ihr Baby erst da wäre. Im Sommer sollte es zur Welt kommen…

Gott, nur nicht darüber nachdenken, was hätte sein können.

Sie zupfte hier eine Decke zurecht, legte dort ein Kissen anders. Ein heimlicher Beobachter hätte sie für eine Frau halten können, die voller Ungeduld die Heimkehr ihres Mannes erwartete. Aber sie wollte nur ihre Hände beschäftigen, als könnte ihr das helfen, ihren Gedanken zu entfliehen.

Dann stand sie am Flügel und blätterte in den Noten, die dort lagen. Aber nach kurzer Zeit schob sie sie lustlos zurück. Ein Gefühl der Schwäche überkam sie, sie ließ sich auf den Klavierschemel sinken. Die Musik war bisher ihr Leben gewesen, weil David es wollte, jetzt hatte sie fast einen Widerwillen gegen alles, was damit zusammenhing. Ihr war, als könnte sie nie mehr einen Ton singen und als wollte sie es auch nicht.

»Meine Liebe, ich bin entzückt, dich schon wieder am Flügel zu sehen!« sagte hinter ihr eine wohlbekannte Stimme.

Langsam drehte Ariane sich um. Ihr Mann war hereingekommen, ohne daß sie es gehört hatte, der dicke Teppich verschluckte seine Schritte. Sie sah ihn an wie einen Fremden, die hohe, überschlanke Gestalt, elegant gekleidet wie immer, das hagere Gesicht mit den hellen scharfblickenden Augen hinter den Brillengläsern, das schon ein wenig schütter werdende Haar.

»Guten Abend«, sagte sie spröde.

Er beugte sich über sie und küßte sie flüchtig auf die Wange. »Nun, wie geht es dir? Ein bißchen blaß bist du noch, aber das wird sich bald ändern, so zäh wie du bist!« Ein Lächeln voller Genugtuung glitt um seinen schmallippigen Mund. »Dooley hat den Vertrag schon diktiert, du brauchst nur noch zu unterschreiben. Durch die Hauptrolle in diesem Musikfilm wirst du dir nun auch Amerika erobern, wie du dir Europa schon seit Jahren erobert hast!«

Ariane hatte sich erhoben. »Wir wollen jetzt essen, Terese hat den Tisch schon gedeckt«, sagte sie, und immer noch war dieses Gläserne, Spröde in ihrer Stimme.

Während des Essens redeten sie nicht viel und nur über belanglose Dinge. David Cordalis war, was man ihm nicht ansah, ein Mann, der gern gut aß, und er widmete sich mit Behagen der vorzüglichen Fleischpastete, die Terese zubereitet hatte. Ariane nahm nur wenig von den Speisen.

Später saßen sie sich gegenüber in den breiten Sesseln vor dem offenen Kamin, in dem die Flammen loderten. David hatte einen Burgunderwein eingeschenkt, er leuchtete tiefrot in den feingeschliffenen Gläsern. Es war sehr still, nur das leise Knistern des Feuers war zu hören.

David beobachtete schon eine ganze Weile seine Frau, die heute so schweigsam war. Es gab keinen Zug in ihrem Gesicht, den er nicht kannte. Es war ein apartes, ein schönes Gesicht, von einer harmonischen, fast strengen Ebenmäßigkeit, die Augen dunkel unter hochgeschwungenen Brauen, das Haar dunkel, fast schwarz, kurz geschnitten und ganz glatt. Ihre Stirn war hoch und schmal, an den Schläfen war die Haut weiß und durchsichtig. Und der ganze schmale Kopf war so edel wie ihre Füße, ihre Beine und ihre Hände.

Mein Geschöpf, dachte David Cordalis nicht ohne Stolz, und er betrachtete sie wie ein Sammler, der etwas besonders Wertvolles und Seltenes für sich erworben hat.

Wenn sie in Amerika Erfolg hatte, und daran zweifelte er keinen Augenblick, dann würde er noch höhere Gagen für ihre Auftritte verlangen können. »Den Vertrag schickt Dooley mir in den nächsten Tagen zu«, sagte er in die Stille hinein, »und auch das Rollenbuch bekommst du dann. Wir können im Mai

mit den Proben beginnen, es trifft sich gut.«

Ariane starrte immer noch ins Feuer. Es traf sich gut, ja, daß sie wegen Schwangerschaft nicht ein paar Monate pausieren mußte. Ihre Lippen verkrampften sich. Ohne sich zu besinnen, sagte sie: »Das Rollenbuch interessiert mich nicht, weil ich den Vertrag nicht unterschreiben werde.«

David Cordalis stutzte, dann entgegnete er nur nachsichtig: »Aber Ariane…!« Er dehnte den Namen, es klang, wie man ein unartiges Kind zur Vernunft mahnt.

Sie hob den Kopf und wandte ihm mit einer langsamen Bewegung ihr Gesicht zu. Es war nahezu ausdruckslos, aber in ihren Augen lag etwas, das den Mann irritierte. Er runzelte die Brauen.

»Die Rolle ist gut, du hast einige Lieder darin zu singen, die zu deinen erfolgreichsten gehören, und wenn ich dir die Summe erst nenne, die ich als Honorar für dich mit Dooley ausgehandelt habe, dazu dreißig Prozent von den Einspielergebnissen – dreißig Prozent!« betonte er, doch bevor er weitersprechen konnte, streckte Ariane abwehrend beide Hände aus.

»Gib dir keine Mühe, David, ich will es nicht wissen. Ich habe genug von allem, übergenug.«

David rückte an seiner Brille, sein Blick wurde stechend. »Was soll das denn heißen, auf einmal! Du mußt es mir schon näher erklären, wenn ich überhaupt auf deine merkwürdigen Äußerungen eingehen soll.«

»Ist es wirklich so schwer zu verstehen? Ich bin müde, ich will meine Ruhe haben. Ich bin keine Maschine, die man immer wieder anwerfen kann, damit sie auf Hochtouren läuft. Du kannst alle Termine für die nächste Zeit streichen. Ich singe nicht mehr, vorläufig jedenfalls nicht.«

Sekundenlang herrschte Schweigen, dann sagte David Cordalis mit einem schmalen, hintergründigen Lächeln: »Komisch, ich weiß natürlich, daß alle großen Stars ihre Launen haben, und insbesondere die Sängerinnen unter ihnen, aber dich habe ich immer für die große Ausnahme gehalten. Wie ich sehe, habe ich mich geirrt.«

Gleichgültig hob Ariane die Schultern. »Du kannst es für eine Laune halten, das ist deine Sache. Aber du müßtest mich eigentlich besser kennen. Ich rede nie etwas nur so daher. Es ist mein voller Ernst, daß ich mich für unbestimmte Zeit aus dem Berufsleben zurückziehen werde. Ich weiß, das kommt überraschend für dich, aber je eher wir darüber sprechen, um so besser.«

David Cordalis saß wie erstarrt. Es war absurd, wahnsinnig, aber sie schien tatsächlich auf ihrem Standpunkt beharren zu wollen. Sie mußte vollkommen durcheinander sein. Das Schlimme war nur, daß sie gar nicht den Eindruck machte, sondern nur auf eine neue Art fremd, kühl und unnahbar wirkte, als habe sie eine Mauer um sich aufgerichtet.

Er griff zur Flasche und schenkte sich von dem Burgunderwein nach, dann nahm er eine Zigarette aus dem Päckchen und ließ das Feuerzeug aufschnappen.

»Du bist noch sehr angegriffen, meine Liebe, körperlich und seelisch«, sagte er mit erzwungener Ruhe. »In einem solchen Zustand sieht man leicht alles schwarz und steigert sich in ein gewisses Selbstmitleid hinein. Du kannst meinetwegen einen längeren Urlaub machen, bis Mai sind es noch zweieinhalb Monate, das müßte reichen.« Er steckte das Feuerzeug in die Westentasche, warf einen flüchtigen Blick auf das Kaminfeuer, wo gerade ein Holzscheit prasselnd und funkenstiebend in sich zusammenfiel, und fuhr dann fort: »Aber ich weiß nicht, ob es das richtige wäre, Ariane. Erinnerst du dich, wie es damals war, als du deine erste Fehlgeburt hattest? Danach wolltest du arbeiten, nichts als arbeiten, nur so könntest du vergessen, sagtest du. Und jetzt…«

»Jetzt habe ich eine zweite Fehlgeburt gehabt, ja!« Ihr schlanker Körper hatte sich gespannt, ihre Augen brannten. »Und warum ist es soweit gekommen, daß ich auch dieses Kind verlieren mußte? Weil du mich von einem Termin zum anderen gejagt hast, obwohl der Arzt mir zur Schonung riet. Die Königin der Nacht in der Zauberflöte hätte auch die Bergerac singen können, aber nein, du bestandest darauf, daß ich diese anstrengende Partie sang, und das ist nur ein Beispiel unter anderen.«

Die künstliche Starre war zerbrochen, sie hatte mit steigender Erregung gesprochen, ihre Brust hob und senkte sich unter raschen Atemzügen. Sie fühlte, daß ihre Stirn feucht geworden war, angewidert wischte sie mit der Hand darüber hin. Wie schwach sie doch noch war, wie sehr sie dies alles anstrengte, und doch mußte es einmal gesagt werden.

»Bist du fertig?« fragte David Cordalis kalt. »Dann höre mich jetzt einmal an, meine Liebe. Du stehst mit deinen achtundzwanzig Jahren auf der Erfolgsleiter ganz oben, und daß es so ist, hast du nur mir zu verdanken. Ich habe dich gemanagt, weil ich eine ganze Menge von diesem Metier verstehe, ich habe die Preise für dich in die Höhe getrieben, so daß du jetzt zu den bestbezahlten Sängerinnen Europas und bald der Welt gehörst.«

»Du bist dabei nicht leer ausgegangen…«

Er beachtete ihren Einwurf nicht, sondern fuhr fort: »Und du wagst es, mir Vorwürfe zu machen? Ich bin enttäuscht, Ariane. Ich war nie der Meinung, daß wir unbedingt ein Kind haben sollten, weil ich auf dem Standpunkt stehe, daß eine Künstlerin deines Formats ihre ganze Erfüllung in ihrem Beruf finden kann.«

»Und die Ehe?« fragte Ariane bitter. »Was soll, nach deiner Meinung, die Ehe für eine Künstlerin meines Formats bedeuten?«

David Cordalis beugte sich vor, um seine Zigarette im Aschenbecher auszudrücken. »Als dein Mann«, entgegnete er gelassen, »kann ich dir alles fernhalten, was dich stören könnte, auch aufdringliche Verehrer, auch neugierige Reporter, kurz alle diese unangenehmen Begleiterscheinungen, die der Preis der Berühmtheit sind. Darüber waren wir uns einig, als wir vor sieben Jahren heirateten, nicht wahr.«

»Ja.« Ariane sah ihren Mann mit einer eigenartigen Nachdenklichkeit an. Er war zwanzig Jahre älter als sie, und er hatte immer weitgehend über ihr Tun und Handeln bestimmt. Sie hatte es geschehen lassen, jung und ehrgeizig wie sie war. Jetzt erkannte sie, wie wenig sie im Grunde mit David Cordalis verband. Der Beruf und nochmals der Beruf, ja, und ein gelegentliches Aufflammen der Sinne, man war schließlich Mann und Frau, aber weiter nichts. »Von Liebe war zwischen uns nicht die Rede«, sagte sie, und ihre Stimme klang gepreßt. Es schien nicht dieselbe Stimme zu sein, welche die großen Opernhäuser mit ihrem herrlichen, strahlenden Sopran erfüllte.

David Cordalis lächelte überlegen. »Wir haben immer gewußt, was wir aneinander hatten, Ariane.«

Sie senkte die Lider. Das waren Worte, die das Herz nicht wärmen konnten. Ein Schauer überlief sie, tiefer verkroch sie sich in dem breiten Sessel. Sie fror von innen her.

Der Mann sah es, er sah auch die durchsichtigen, blätterzarten Lider, die Schatten unter ihren Augen.

»Du bist müde«, sagte er sanft, »leg dich hin, wir können ein anderes Mal weiterreden, wenn du alles wieder mit klaren Augen ansiehst.«

Aber Ariane rührte sich nicht. Nur ihre Finger bewegte sie ein wenig. Schlafen, ja, und nicht mehr aufwachen müssen…

Sie erschrak. Hatte sie das wirklich gedacht, war sie schon soweit? Ach nein! Sie wollte ja leben – nur anders…

»Gib mich frei«, sagte sie leise, »bitte, David, laß mich meiner Wege gehen!«

*

Es war ein schönes, im bayrischen Stil erbautes Haus, und es lag idyllisch an einem südlichen Berghang, von der romantischen Bergkulisse umgeben. Eine wilde Wiese zog sich den Hang hinunter zum Tal, in dem, wie aus einer Spielzeugschachtel aufgestellt, der Ort lag.

Als Ariane ankam, lag an vereinzelten Stellen noch etwas Schnee, aber er war dünn und brüchig geworden. Schüchtern kamen die ersten Schneeglöckchen hervor, Vorboten des nahenden Frühlings. Der Garten sah aus, als müßte viel daran getan werden, es hatte sich ja auch nie jemand darum gekümmert.

»Ich werde Beete anpflanzen und viele bunten Blumen darauf setzen«, sagte Ariane zu Terese, die mit ihr gekommen war und bleiben würde.

»Verstehen Sie denn etwas davon?« fragte Terese verwundert.

»Wir hatten früher zu Hause einen Garten, in dem ich meinem Vater manchmal geholfen habe. Ich werd’s halt versuchen.« Sie lachte ein wenig und bückte sich nach einem herabgefallenen Zweiglein, um es beiseite zu werfen.

Dieses kleine Lachen freute Terese. Sie hatte es nicht mehr gehört, seit Ariane die Fehlgeburt hatte, und vorher hatte sie eigentlich auch nur selten gelacht. Freilich, die Huldigungen des Publikums hatte sie immer mit strahlendem Gesicht und lachendem Mund entgegengenommen, aber das war etwas anderes gewesen, es gehörte zu ihrem Beruf.

Wie lange wird sie es aushalten, fragte sich Terese, ohne glanzvolle Premieren, ohne jubelnden, nicht endenwollenden Applaus. Nicht mehr Ariane Cordalis, sondern Ariane Holt – sie hatte ihren Mädchennamen wieder angenommen. Als ob man auf diese Weise die letzten Jahre auslöschen könnte! Nun, man mußte es abwarten…

Im Anfang mußte sich Ariane noch schonen, aber die Ruhe und die herbwürzige Luft waren eine gute Medizin für ihren geschwächten Körper, und mit der fortschreitenden Genesung kehrte auch die Freude am Leben zurück. Es war eine stille, mehr innerliche Freude. Sie erlebte das Erwachen der Natur, jeder Baum, der zu grünen begann, jeder Strauch, dessen Blütenknospen aufsprangen, konnte sie entzücken. Wann hatte sie zuletzt einen solchen Frühling gesehen? Ihr war, als fände sie endlich zu sich selbst zurück.

In ihrem Haus fühlte sie sich geborgen, es hüllte sie ein wie ein warmer Mantel. Keine Hotelzimmer mehr, keine Kulissen und zugige Garderoben, in denen es nach Schminke und Staub roch. Nur wer seit vielen Jahren nicht mehr seßhaft war, konnte ermessen, was es bedeutete, ein Heim zu haben, in dem man bleiben konnte.

Ariane verließ das Haus nur selten, aber an diesem Morgen holte sie doch ihren Wagen aus der Garage, um in den Ort zu fahren. Sie hatte einen Weg vor, der nicht zu den angenehmsten gehörte: sie mußte zum Zahnarzt.

Dr. Ralph Rütting war jünger, als sie erwartet hatte, und er sah so gut aus, daß man ihn für einen Filmstar halten konnte. Sein Gesicht war gebräunt, das blonde Haar wirkte sehr hell dagegen, und die stahlblauen Augen übten eine seltsame Faszination aus. Wenn er lächelte, zeigte er zwei Reihen ebenmäßiger weißer Zähne, und er lächelte sehr liebenswürdig und interessiert, als sie ihm gegenüberstand.

Wahrscheinlich, dachte Ariane mit leiser Ironie, lächelt er jede Frau so an, die nicht gerade alt und häßlich ist. Er mußte große Chancen bei der Damenwelt haben.

Zum Glück war es nur eine Kleinigkeit, die ihr Zahnweh verursacht hatte, und die Behandlung war nach wenigen Minuten beendet.

»Sie wohnen am Anemonenweg, Frau Holt«, sagte Dr. Rütting, während er eine kurze Eintragung auf der Karteikarte machte, die ihm die Sprechstundenhilfe mit Namen und Adresse der Patientin vorgelegt hatte. »Eine sehr schöne Lage, ich fahre manchmal dort vorbei, wenn ich vom Skifahren komme. Wohnen Sie schon lange hier?«

»Noch nicht sehr lange«, antwortete sie distanziert. Sie gab ihm ein kaum merkbares, unpersönliches Lächeln, als sie sich von ihm verabschiedete, und im Hinausgehen spürte sie seinen Blick. Ariane machte noch einige Besorgungen, bei denen der Vormittag schneller verging. Sie beschloß, im Ort eine Kleinigkeit zu essen, und fand bald ein sehr nettes, bäuerlich eingerichtetes Restaurant, aus dem es appetitanregend duftete.

Es gab frische Forellen. Ariane bestellte sich leichten, herben Weißwein dazu. Sie wartete noch auf das Essen, als die Tür sich auftat und ein hochgewachsener blonder Mann eintrat. Dr. Rütting…

Er sah sie sofort und steuerte auf ihren Tisch zu. »Was für eine reizende Überraschung!« sagte er in seiner gewandten, liebenswürdigen Art. »Gestatten Sie, daß ich bei Ihnen Platz nehme?«

»Bitte.« Er sah im sportlichen Sacko und den schmalgeschnittenen Hosen nicht weniger gut aus als im weißen Arztkittel. Aber sicher wußte er das auch. Alle schönen Männer waren eitel, diese Erfahrung hatte Ariane in ihrem Beruf gemacht.

»Essen Sie öfter hier?« fragte Dr. Rütting, während er ihr gegenüber Platz nahm.

»Nein, es ist das erste Mal. Es ergab sich nur so, weil ich einige Einkäufe zu machen hatte und mich dabei verspätet habe.«