Deine Liebe will ich nie verlieren - Gisela Reutling - E-Book

Deine Liebe will ich nie verlieren E-Book

Gisela Reutling

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Beschreibung

Große Schriftstellerinnen wie Patricia Vandenberg, Gisela Reutling, Isabell Rohde, Susanne Svanberg und viele mehr erzählen in ergreifenden Romanen von rührenden Kinderschicksalen, von Mutterliebe und der Sehnsucht nach unbeschwertem Kinderglück, von sinnvollen Werten, die das Verhältnis zwischen den Generationen, den Charakter der Familie prägen und gefühlvoll gestalten. Mami ist als Familienroman-Reihe erfolgreich wie keine andere! Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Langsam, mit aufmerksam spähenden Augen, fuhren der Drehbuchautor Rainer Laudien und der Regisseur Martin Gebert durch das romantische Tal, das eingebettet war in dunkle Wälder. Ein kristallklarer Bergbach am Weg sprang munter über glattgeschliffene Steine, außer seinem Rauschen und Plätschern war kein Laut hier zu hören. Durch die heruntergekurbelten Fenster drang ein würziger Duft von Tannen, von Heu und Kräuterpflanzen – ein Sommerduft, wie ihn die beiden Großstadtmenschen lange nicht mehr geatmet hatten. Ja, dieses Stück unberührter Schwarzwaldlandschaft könnte der richtige Platz für jene Szenen sein, in der die Hauptdarstellerin des Films in die Einsamkeit floh. Es fehlte nur noch das stille Haus, abseits gelegen, wie von Geheimnis umwittert. Nach einem längeren Schweigen stoppte Martin Gebert den Wagen. »Könnte es das nicht sein?« fragte er unvermittelt und deutete auf ein kleines Haus, das sich an den Hang schmiegte. Rosen rankten üppig blühend an seinen Mauern empor, daß man unwillkürlich an das Märchen vom Dornröschen erinnert wurde, das hinter einer solchen Hecke schlief. »Nicht schlecht«, bemerkte Rainer Laudien Sekunden später. »Aber wirkt es nicht zu anheimelnd für die dramatische Szene, die sich darin abspielen soll?« »Finde ich nicht«, widersprach ihm sein Begleiter. »Die Aufnahmen sind ja erst im Herbst. Dann sind die Rosen verblüht, und der Wald wird einen düsteren Hintergrund abgeben, unter einem wolkenverhangenen Himmel. Unser Kameramann wird schon die richtigen Einstellungen finden.« »Hmm«, machte Rainer nachdenklich. »Wer mag darin wohnen?«

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Mami Bestseller – 74 –

Deine Liebe will ich nie verlieren

... und ich werde endlich ein guter Vater sein

Gisela Reutling

Langsam, mit aufmerksam spähenden Augen, fuhren der Drehbuchautor Rainer Laudien und der Regisseur Martin Gebert durch das romantische Tal, das eingebettet war in dunkle Wälder. Ein kristallklarer Bergbach am Weg sprang munter über glattgeschliffene Steine, außer seinem Rauschen und Plätschern war kein Laut hier zu hören. Durch die heruntergekurbelten Fenster drang ein würziger Duft von Tannen, von Heu und Kräuterpflanzen – ein Sommerduft, wie ihn die beiden Großstadtmenschen lange nicht mehr geatmet hatten.

Ja, dieses Stück unberührter Schwarzwaldlandschaft könnte der richtige Platz für jene Szenen sein, in der die Hauptdarstellerin des Films in die Einsamkeit floh. Es fehlte nur noch das stille Haus, abseits gelegen, wie von Geheimnis umwittert.

Nach einem längeren Schweigen stoppte Martin Gebert den Wagen. »Könnte es das nicht sein?« fragte er unvermittelt und deutete auf ein kleines Haus, das sich an den Hang schmiegte. Rosen rankten üppig blühend an seinen Mauern empor, daß man unwillkürlich an das Märchen vom Dornröschen erinnert wurde, das hinter einer solchen Hecke schlief.

»Nicht schlecht«, bemerkte Rainer Laudien Sekunden später. »Aber wirkt es nicht zu anheimelnd für die dramatische Szene, die sich darin abspielen soll?«

»Finde ich nicht«, widersprach ihm sein Begleiter. »Die Aufnahmen sind ja erst im Herbst. Dann sind die Rosen verblüht, und der Wald wird einen düsteren Hintergrund abgeben, unter einem wolkenverhangenen Himmel. Unser Kameramann wird schon die richtigen Einstellungen finden.«

»Hmm«, machte Rainer nachdenklich. »Wer mag darin wohnen?«

»Das wird sich feststellen lassen. Fragen wir erst mal im nächsten Gasthof nach, da können wir dann auch gleich essen. Mir knurrt nämlich schon der Magen.«

Sie fuhren weiter. Schon bald tat das Tal sich auf, die hohen Tannen wichen zurück und gaben den Blick frei auf vereinzelt liegende Bauernhöfe, die wie gemalt in diese schöne Landschaft paßten. Kühe grasten an den Hängen, weiter oben weidete eine Schafherde. »Hier sollte man leben«, sagte Rainer in beinahe schwärmerischem Ton. Der Regisseur streifte ihn mit einem kurzen, belustigten Blick.

»Du würdest bald genug davon haben«, versetzte er in trockenem Ton. »Bleib du lieber in deinem geliebten München.«

Der Ort, den sie bald darauf erreichten, besaß eine sehenswerte Barockkirche. Alte und neue Häuser fügten sich harmonisch zusammen, farbenprächtiger Blumenschmuck leuchtete von hölzernen Balkonen. Ein in der Sonne funkelndes Wirtshausschild wies aus, daß sich hier der »Bären« befand.

»Na, dann wollen wir mal«, sagte Gebert und parkte den Wagen im Schatten einer Linde.

In der Gaststube war es angenehm kühl. Ein junges rotwangiges Mädchen bediente sie.

»Ich weiß schon, welches Haus sie meinen«, antwortete sie eifrig auf eine diesbezügliche Frage. »Da wohnt der Lehrer Rütting mit seiner Tochter drin. Ab und zu kommt er auch zum Essen hierher, aber heute wohl nicht. Sonst wären sie schon da.«

»Danke für die Auskunft.« Rainer gab dem Mädchen ein nettes Lächeln. Das Rot in ihren Wangen vertiefte sich. Einen Mann wie diesen sah man in der Gegend selten.

»Bitte. Und das Bier bring’ ich sofort!« rief sie, und da lief sie schon.

»Du verwirrst sogar die kleinen Mädchen vom Lande«, schmunzelte Martin Gebert, ihr nachsehend. »Wenn sie erst wüßte, wer du bist! Sicher hat sie deinen letzten Film gesehen und drei Taschentücher dabei verbraucht.«

Rainer verzog das Gesicht ein wenig. »Erinner mich nicht an meinen letzten Film. Diese zuckersüße Liebesgeschichte. Es wundert mich nur, daß es trotzdem ein Publikumserfolg war.«

»Du hast schon bessere Drehbücher geschrieben, das stimmt«, gab Martin Gebert zu. »Dieses zum Beispiel, ›Zwielicht‹, daraus machen wir was. Die Hauptrolle ist mit der Varady gut besetzt, denke ich.«

Sie fachsimpelten auch während der Mahlzeit. Die Bedienung machte sich in der Nähe zu schaffen, sie spitzte die Ohren. Da war von Dialogen und Szeneneinstellungen die Rede. Das fand sie höchst interessant, zu gern hätte sie Näheres gewußt.

Später, beim Kassieren, faßte sie sich ein Herz. »Die Herren sind wohl vom Film?« fragte sie mit neugierig glänzenden Augen.

»Nur hinter den Kulissen, liebe Frau«, warf Gebert ein, während er den Betrag und ein gutes Trinkgeld dazu auf den Tisch legte.

Die Frau nickte und bedankte sich. Leider war die Auskunft wenig erschöpfend, aber sie wagte nicht weiter zu fragen. Sie hätte wetten mögen, daß der andere, der Große, Blonde, der so umwerfend gut aussah, ein Filmschauspieler wäre. Als sie gingen, folgte ihnen ihr Blick. Sie stiegen in einen rassigen Sportwagen mit Münchener Nummer. Leise seufzte das Mädchen auf. Das war wie ein Duft der großen weiten Welt, der sie gestreift hatte.

Was die wohl vom Lehrer Rütting wollten?

*

Rainer Laudien mußte sich etwas bücken, weil die Eingangstür zu niedrig war für seine Länge. Gebert, der ältere, ging ihm voran. Sie folgten dem Hausherrn ins Wohnzimmer, wo ihnen Platz angeboten wurde. Der Raum war schlicht, aber geschmackvoll eingerichtet. Wenige alte Möbel, Bücher an den Wänden, viel dunkles Holz, ein grüner Kachelofen. Die Besucher sahen mit einem Blick, daß es zu ihren Vorstellungen paßte.

»Soso, einen Film wollen Sie hier drehen«, begann Bernhard Rütting, denn das hatten ihm die beiden Herren soeben draußen erklärt. »Aber wieso haben Sie da gerade auf mein Haus ein Auge geworfen? Es ist nichts so Besonderes daran.«

»Für uns schon, Herr Rütting«, erklärte Gebert. »Sehen Sie, man macht sich ein Bild von dem Ort, an dem sich dieses und jenes ereignen könnte, und plötzlich sieht man ihn vor sich. So ging es uns heute mittag, als wir hier entlangfuhren.«

»Die Aufnahmen sind erst für Anfang November geplant«, fügte Rainer hinzu. »Wir brauchen eine düstere Atmosphäre, möglichst mit Sturm und jagenden Wolken.«

Der Hausherr rückte an seiner Brille. Er war ein mittelgroßer Mann mit einem schmalen, durchgeistigten Gesicht. Vom Filmen verstand er nichts, seine Welt waren die Bücher und die Musik. Nicht, daß er weltfremd gewesen wäre, o nein, das nicht. Es hätte schlecht gepaßt zu einem Gymnasiallehrer, der eine Klasse mit manchmal recht schwierigen und ungebärdigen Heranwachsenden leitete. Aber diese Sache kam ihm doch zu überraschend und auch abwegig vor. Andererseits wollte er auch nicht unhöflich sein und die ungebetenen Besucher kurzerhand abweisen.

»Tja, meine Herren, ich weiß nicht recht, was ich dazu sagen soll«, gab er endlich mit einem halben Lächeln zurück. »Solche Filmaufnahmen bringen doch zweifellos einen großen Umtrieb mit sich, und wir schätzen hier unsere Ruhe über alles.«

»Es wäre ja nur für etwa eine Woche«, sagte Gebert. »In dieser Zeit können sie im Hotel wohnen, auf unsere Kosten natürlich. Wir werden uns auch nicht umsonst in Ihrem Haus mit Kabeln und Scheinwerfern breitmachen. Das ist in unserem Budget enthalten«, schloß er mit überlegener Miene.

Bernhard Rüttings Abwehr verstärkte sich. Sie traten sehr selbstsicher auf, diese Herren vom Film. Er hatte nicht die mindeste Lust, in einem Hotel zu wohnen, währenddessen sich hier fremde Leute tummelten. »Ich werde mit meiner Tochter darüber sprechen und Ihnen dann Bescheid geben«, äußerte er zurückhaltend und erhob sich zum Zeichen, daß er die Unterredung als beendet betrachtete. »Lassen Sie mir Ihre Adresse da.«

In diesem Moment fuhr draußen ein Auto vor. Eine helle Mädchenstimme rief: »Vielen Dank, Claus, daß du mich mitgenommen hast!«

»Ist das vielleicht Ihre Tochter?« fragte Gebert hoffnungsvoll, während er sich nur zögernd erhob. Es paßte ihm gar nicht ins Konzept, daß es nicht sofort zu einer klaren Entscheidung kommen sollte.

Bernhard Rütting nickte verdutzt. Er hatte mit Sandras Rückkehr erst am Abend gerechnet.

Die Tür tat sich auf, ein großes, schlankes, auffallend gutgewachsenes Mädchen trat ein. Es trug ein schlichtes helles Sommerkleid, das viel von der goldbraun getönten Haut freiließ. Kastanienfarbenes Haar fiel ihm locker und leichtgelockt bis auf die Schultern. Wie es so da stand, mit einem leichten, staunenden Lächeln, bot es ein Bild von Anmut, Gesundheit und Frische.

»Ich hatte dich noch nicht erwartet«, sagte der Vater.

»Christel mußte weg«, erklärte Sandra beiläufig, »und zufällig fuhr Claus in diese Richtung.« Sie ließ sich die beiden Besucher vorstellen, ihr Vater gab einige erklärende Worte dazu.

»Aus München kommen Sie, ja, das habe ich schon am Nummernschild gesehen. Und vom Film…«, sie lachte ein wenig, »wieso haben Sie sich dann gerade zu uns verirrt?«

Wieso hat sich ein so schönes Mädchen hierher verirrt, fragte sich Rainer Laudien im selben Moment. Das Gesicht war feingeschnitten, ungeschminkt, die Haut zart und glatt. Mit einem Kennerblick sah Rainer sie an, und er wurde neugierig auf Sandra Rütting.

Jetzt war er es, der redete. Schließlich war es sein Buch, seine Idee, die hier zu einem Teil verwirklicht werden sollte.

»Die Frau – sie wird übrigens von Iris Varady dargestellt – ist geflohen vor ihrer verbotenen Liebe«, erklärte er lebhaft. »Ihr junger Liebhaber findet sie hier, es kommt zu einer dramatischen Auseinandersetzung…«

»Die wie endet?« fragte Sandra interessiert.

»Sie gehen zusammen fort«, antwortete Rainer. »Es scheint ihr Schicksal zu sein, daß sie nicht voneinander loskommen.«

»Also gibt es ein Happyend«, lächelte Sandra.

»Nicht ganz«, betonte Rainer. »Der Film heißt Zwielicht. Das Ende bleibt offen.«

Sandra wandte sich an ihren Vater, der mit ausdrucksloser Miene zugehört hatte. »Was meinst du dazu, Vati? Ich finde, dazu sollten wir nicht Nein sagen. Stell dir vor, unser geliebtes altes Haus auf der Leinwand! Werden sie dieses Zimmer so lassen?« fragte sie angeregt den Regisseur.

»In etwa«, antwortete Gebert vorsichtig. Höflich fügte er hinzu: »Wir wären Ihnen sehr verbunden, wenn wir uns noch ein wenig im Haus umsehen dürften.«

»Natürlich dürfen Sie das.« Bereitwillig ging Sandra voraus. Ihr Vater blieb zurück. Er fühlte sich überrumpelt, unbehaglich. Er verstand es nicht, daß seine Tochter anscheinend ganz angetan war.

Sandra öffnete einige Türen und ließ die Herren einen Blick hineinwerfen. Das Innere des Hauses war weit geräumiger als man es seinem Äußeren nach vermutete. Alles war blitzsauber und ordentlich. Nur in ihrem Zimmer oben, das ein größeres Fenster zum Garten hin hatte, lagen Zeichenblätter verstreut, standen Malutensilien im bunten Durcheinander auf dem großen Tisch.

»Oh, was ist das?« entfuhr es Rainer überrascht. »Darf man nähertreten und sich das ansehen?«

Sandra zuckte die Achseln. »Bitte. Das sind Illustrationen für Kinder- und Jugendbücher.«

»Die machen Sie?« Rainer beugte sich über die phantasievollen, mit sicherem Strich ausgeführten Zeichnungen. »Aber das ist ja reizend! Wo haben Sie das gelernt?«

»Ich habe ein paar Semester Kunstgeschichte in München studiert und mich mit Malerei beschäftigt«, erklärte Sandra.

»In München?« Sie standen jetzt nahe beieinander am Tisch, ihre Blicke trafen sich. »Dann müssen Sie wieder einmal nach München kommen.«

»Ja, vielleicht.« Sandra hatte es nur so dahingesagt. Aber Rainer ließ ihre Blicke nicht so schnell los. Dunkel, zwingend haftete sein Blick in ihren braunen Augen, das Lächeln um seinen Mund verblaßte, verlor sich.

Auch auf Sandras Lippen erlosch das kleine Lächeln. Etwas wie Staunen kam in ihre Augen, etwas wie Erschrecken auch. Dann senkte sie die Lider und blickte hilflos zur Seite.

Martin Gebert räusperte sich. Rainer drehte sich nach ihm um. »Wer hätte das gedacht, daß wir hier eine Künstlerin finden würden«, sagte er in leichtem Ton. »Eine Kollegin, gewissermaßen, nur aus einer anderen Branche.«

Sie glaubten sich ihrem Ziel schon nahe, als der Hausherr abwehrte: »Ich möchte es mir doch noch überlegen. Bis zum Herbst ist noch viel Zeit.«

Gebert unterdrückte einen ungeduldigen Seufzer.

»Wir planen immer lange im voraus, Herr Rütting«, entgegnete er möglichst sachlich. »Wenn Sie uns Ihre Zustimmung nicht geben wollen, müßten wir uns nach einem anderen Objekt umsehen. Genügt es nicht, wenn wir Ihnen Bedenkzeit bis morgen geben? Wir kämen dann wieder vorbei.« Er nannte auch noch die Summe, die dafür gezahlt werden würde. Es war nicht wenig.

Als die Herren gegangen waren, saßen Vater und Tochter zusammen. »Sie sollen sich doch ein anderes Haus suchen«, sagte Rütting unwillig. »Wir brauchen das Geld nicht.«

»Warum nicht?« erwiderte Sandra, die einen praktischen Sinn hatte. »Du könntest dir die teure Stereo-Anlage dafür kaufen. Die Ausgabe hast du doch bisher immer gescheut. Was meinst du, wie anders deine Konzertplatten damit klingen werden! Wir hätten den ganzen Winter über unsere Freude daran.«

»Und wo soll ich die Schulhefte korrigieren, wenn sie mich aus meinem Haus vertreiben?« grollte der Vater. »Ich werde nichts mehr wiederfinden, sie werden alles in Unordnung bringen.«

Sandra lächelte ihm beruhigend zu. Manchmal war er wirklich sehr umständlich, ihr guter Vati. »Das laß mich nur machen. Ich werde schon dafür sorgen, daß du ein ruhiges Plätzchen hast und deine Sachen beisammen sind.«

Am nächsten Tag gab Bernhard Rütting seine Einwilligung.

»Ich glaube, das haben wir Ihnen zu verdanken«, sagte Rainer Laudien zu Sandra. Er stand mit ihr vor der Tür, sie hatten sich draußen umgesehen, während Gebert noch etwas mit dem Hausherrn besprach. Jetzt nahm er Sandras Hand und zog sie an die Lippen. »Im Herbst werden wir uns wiedersehen, Frau Rütting. Ich freue mich schon darauf.«

Sandra war eine leise Röte in die Wangen gestiegen, ihr Herz klopfte rascher. »Werden Sie denn auch bei den Filmaufnahmen sein?« fragte sie verwirrt. »Ich dachte, die Aufnahmen wären nur Sache des Regisseurs, der Schauspieler und der Kameraleute.«

Grundsätzlich stimmte das. Aber Rainer war entschlossen, diese Mädchenfrau wiederzusehen. Sie war etwas Besonderes.

»Manchmal muß an einem Dialog noch etwas geändert werden«, gab er zurück. »Gerade diese Szenen sind wichtig für den Ablauf des Films. Da will ich als Autor dabei sein.«

Martin Gebert kam eilig heraus. »Alles klar, Rainer, wir können fahren!«

Sandra ging mit nachdenklich gesenktem Kopf ins Haus zurück. Ein leichtes, wie verzaubertes Lächeln lag um ihren Mund. Er freute sich darauf, sie wiederzusehen… Ob das nur so dahingesagt war? Aber wie er sie gestern nur angesehen hatte! Wenn sie daran dachte, wurde ihr seltsam beklommen ums Herz. Als hätte sie etwas gestreift, dem sie nicht ausweichen konnte…

*

Etwa vierzehn Tage später brachte ihr der Postbote ein Päckchen, das seinen Absender trug. In freudiger Verwirrung öffnete es Sandra. Er hatte sie also nicht vergessen! Dann hielt sie einen Roman von ihm in den Händen, der vor einigen Jahren bei einem bekannten Verlag eine hohe Auflage erreicht hatte. Später war der Stoff auch verfilmt worden.

Eine Karte lag dem Buch bei, nur vier Worte standen darauf: Ich denke an Sie, und darunter, in großzügig geschwungenen Buchstaben seine Unterschrift.

Auch Sandra dachte oft an Rainer Laudien. Nicht nur, als sie mit Spannung den Roman las, war er ihr nahe. Ob sie Hausarbeit verrichtete, ob sie über ihren Zeichnungen saß – immer wieder konnte es geschehen, daß unvermittelt sein markantes, ausdrucksvolles Gesicht vor ihrem geistigen Auge erschien, sie erinnerte sich an sein Lächeln, seinen Blick, an jedes Wort, das sie zusammen gesprochen hatten. Sie begann die Wochen und schließlich, als die Blätter fielen, die Tage zu zählen, die bis zu ihrem Wiedersehen noch vergehen mußten. Manchmal fragte sie sich, wie es nur geschehen konnte, daß ihr ein Mensch, ein Mann, nach zwei kurzen Bewegungen so wichtig war. Sie war vierundzwanzig Jahre alt, also kein blutjunges Mädchen mehr, das sich schwärmerisch Hals über Kopf in einen gutaussehenden Mann verliebte. Sie erschrak aber auch ein wenig vor der Stärke dieses Gefühls, denn es war ihr klar, daß er aus einer Welt kam, die nicht die ihre war.

»Du bist verändert, Sandra«, beklagte sich Wolfgang Bronner einmal in dieser Zeit. »Warum bist du jetzt oft so geistesabwesend? Es kommt vor, daß du durch mich hindurchsiehst, als existiere ich überhaupt nicht für dich.«

»Das bildest du dir doch nur ein, Wolfgang«, wich sie aus.

Wolfgang war so alt wie sie, ein hübscher, stattlicher junger Mann. Sein Vater besaß ein Baugeschäft, das er einmal übernehmen sollte. Es gab manches Mädchen in der Umgebung, das ihn nur zu gern für sich gewonnen hätte, aber er hatte nur Augen für Sandra, und er wollte sie heiraten. Obwohl Sandra ihn aufrichtig gern hatte, wußte sie jetzt mehr denn je, daß ihre herzliche Zuneigung für eine lebenslange Bindung nicht ausreichte. Sie kannte kein Herzklopfen in seiner Nähe, keine süße Verwirrung.

Mit ihrem Vater hatte Sandra einmal andeutungsweise darüber gesprochen. Ihm wäre es schon recht gewesen, wenn sie in diese grundsolide, alteingesessene Familie eingeheiratet hätte. In seiner bedächtigen Weise hatte er erwidert: »Es sind nicht immer die besten Ehen, die aus himmelhochjauchzender Liebe geschlossen werden, mein Kind. Die kann verfliegen im Alltag des Zusammenlebens, weil beide mit zu hohen Erwartungen hineingegangen sind. Es gibt noch andere Gefühlswerte, die eine gute Basis für eine Ehe sind.«

Möglicherweise hatte er recht. Aber wenn man jung war, wollte man an die große Liebe glauben – auch wenn sie vielleicht nur ein Traum blieb.

Alle Fragen, alle Zweifel wurden wie von einer Woge davongetragen, als Rainer Laudien endlich vor ihr stand. Er kam allein an einem Vormittag, ihr Vater war noch in der Schule.

»Die anderen kommen erst morgen«, erklärte Rainer. »Ich konnte es nicht mehr erwarten. Ich wollte dich auch zuerst für mich allein haben.« Er duzte sie, und es kam Sandra nicht einmal sonderbar vor. Auch sie hatte ihn geduzt, in ihren Gedanken, ihren Träumen.

»Komm herein«, sagte sie und sie schloß die Tür hinter ihm.

Im Zimmer, wo der Kachelofen eine behagliche Wärme verbreitete, nahm er ihr Gesicht in seine beiden Hände und betrachtete es. »Sandra… Was hast du nur mit mir gemacht, daß ich Tag und Nacht an dich denken mußte, Sandra?«

Sie hielt ganz still. Noch nie hatte ein Mann, hatte auch nur irgend jemand ihren Namen so weich und so zärtlich ausgesprochen. Ein großes, nie gekanntes Glücksgefühl erfüllte sie. Ihre Augen waren groß zu ihm aufgeschlagen. Was er darin las, entzückte den Mann. »Wie schön du bist«, flüsterte er. »Ich liebe dich.«

»Ich liebe dich auch«, sprach Sandra leise. Sie schloß die Augen, als seine Lippen sich auf ihren Mund legten. Sie küßten sich, und es schien eine kleine, glückselige Ewigkeit vergangen zu sein, als sie sich endlich voneinander lösten. Stumm und aufgewühlt sahen sie sich an. »Liebe«, sagte Sandra endlich mit einer Stimme, die ihr fremd vorkam. »Wir sprechen von Liebe, und wir kennen uns kaum. Wir wissen noch so wenig voneinander. Kann Liebe so schnell über zwei Menschen kommen?«

Rainer lächelte. »Schnell? Sie ist in mehr als einem Vierteljahr gewachsen, sie hat ihre Zeit gehabt. Mir scheint, ich weiß alles von dir. Was für mich allein wichtig ist, lese ich in deinem Gesicht, in deinen Augen. Überdies werden wir in den nächsten Tagen so oft wie möglich zusammensein. Das muß sich einfach einrichten lassen.«