Manhattan Heartbeat - Amelia Blackwood - E-Book

Manhattan Heartbeat E-Book

Amelia Blackwood

5,0

Beschreibung

Rockstar Nick Hamilton ist der begehrteste Junggeselle, den die Musikindustrie derzeit zu bieten hat. Er lässt keine Chance ungenutzt und lebt strikt nach dem Motto "Sex, Drugs and Rock 'n' Roll". Doch seit längerem schon hat er die Nase von dem ganzen Zirkus voll. Eines Morgens steht Rose, das Zimmermädchen, vor seiner Hotelsuite. Er ist fasziniert, denn weder lässt sie sich von seiner Art einschüchtern noch hat ihn jemals ein Mädchen derart interessiert. Rose Armand, angehende Anwältin, verdient sich ihren Lebensunterhalt in einem Hotel. Sie hat ihr Leben bis ins letzte Detail geplant. Ihr Ziel ist es, Partnerin in einer der größten Anwaltskanzleien der Stadt zu werden. Sie arbeitet hart und steht kurz vor dem Abschluss, als Nick Hamilton ihren Weg kreuzt. Dieses Aufeinandertreffen wirft alles über den Haufen.

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Manhattan Heartbeat

Amelia Blackwood

© Sieben Verlag 2016, 64823 Groß-Umstadt© Covergestaltung Andrea Gunschera

ISBN Taschenbuch: 9783864436345ISBN eBook-mobi: 9783864436352ISBN eBook-epub: 9783864436369

www.sieben-verlag.de

Für alle, die an die wahre Liebe glauben …Omnia Vincit Amor

Funny how the heart can be deceivingMore than just a couple timesWhy do we fall in love so easy?Even when it's not rightWhere there is desireThere is gonna be a flameWhere there is a flameSomeone's bound to get burnedBut just because it burnsDoesn't mean you're gonna dieYou've gotta get up and try, and try, and try(Pink / Try)[1]

Prolog

März 2015

Rose saß in der U-Bahn Richtung Financial District. Wenn sie an den heutigen Tag dachte, zog sich ihr der Magen zusammen. Teils in freudiger Erwartung, teils aus Angst, den Anforderungen nicht gewachsen zu sein. Dennoch hatte sie alles Recht, aufgeregt zu sein. Schließlich hatte sie viele Jahre darauf hingearbeitet und auch große Opfer bringen müssen, um dieses Ziel zu erreichen.

Das Stechen in ihrer Brust erinnerte sie nur zu gut an die glücklichste und zugleich schwerste Zeit ihres Lebens. Tief in Gedanken verließ sie die U-Bahn und stieg die Treppe hoch an die Oberfläche. Ihre Füße trugen sie von allein zur Kanzlei, wo sie arbeitete.

Ein Werbeplakat stach ihr ins Auge, das gestern ganz sicher noch nicht da gehangen hatte. Ihr Herz begann, sich bei diesem Anblick schmerzhaft zusammenzuziehen. Nick lachte ihr daraus entgegen. Sein neues Album war gerade erschienen.

Sie wandte sich energisch ab. Mit jedem Schritt, den sie in die Richtung der Kanzlei machte, reiste sie weiter in die Vergangenheit zurück.

INTRO

Zwei Jahre vorher im Madison Square Garden

Nick

Nick ließ den letzten Akkord ausklingen und genoss den Applaus und die begeisterten Zurufe der Fans. Er war verschwitzt und beinahe high. Er lebte seinen Traum in allen Facetten. Es war nicht immer leicht, dennoch hatte er diesen Schritt nie bereut.

Manchmal vermisste er das ruhige Leben von früher. Doch jede Medaille hatte bekanntlich zwei Seiten. Die Musik war seine große Liebe und niemals würde er diese Leidenschaft für irgendjemanden oder irgendwas aufgeben.

Ein Nebeneffekt seines Erfolgs war die schier endlose Auswahl an willigen Frauen. Eine schöner als die andere. Für heute hatte er in der ersten Reihe der Zuschauer schon zwei potenzielle Kandidatinnen entdeckt. Sein Bodyguard würde dafür sorgen, dass die beiden auf der kleinen privaten Party waren, die in seinem Hotel stattfinden würde. Presse, einflussreiche Leute aus Musik- und TV-Branche reihten sich ins Who is Who der Gästeliste der After-Show-Party. Ein Mädel an jedem Arm war obligatorisch.

Nick musste zugeben, er liebte diese Veranstaltungen. Dort konnte er sich einfach gehen lassen und Gas geben. Er brauchte das, um den Adrenalinflash auf ein normales Niveau runterzubringen.

„Zugabe!“, brüllte das Volk zu seinen Füßen. Es war schon die dritte, die sie forderten und weil er innerlich vibrierte und vor Energie strotzte, spielte er seinen ersten Nummer-eins-Hit Feeling Free an. Der Drummer und der Bassist stiegen ein.

Driving down the streetOn the seat, my guitar by my sideHope and dreamsShining bright

Er hatte den Song schon so oft gesungen, dass er ihm wie von selbst über die Lippen kam. Er ließ sich tragen und genoss die Euphorie, die ihn erfüllte.

Stunden später fand er sich nach der bombastischen Party in seiner Hotelsuite wieder. Die beiden Groupies, die er bereits während des Konzerts ausgemacht hatte, waren bei ihm. Um sich und die zwei etwas lockerer zu machen, hatte er sich noch etwas Kokain besorgt.

Die Girls waren echt der Hammer. Erst hatten sie es ihm besorgt und nun machten sie miteinander weiter. Scheiße, war das geil!

Er beugte sich zum kleinen Tisch und zog sich eine Linie Koks rauf. Vielleicht lag es aber auch am Schnee, dass er diese Szene genoss wie der Osterhase das Eierfärben. Er griff rüber und holte seine Gitarre. Neben Sex war das seine große Liebe. Er konnte nicht ohne das eine und auch nicht ohne das andere. Sex und Musik waren für ihn untrennbar verbunden. Es war schon oft vorgekommen, dass er nach einer solchen Nacht die Idee zu einem Hit gehabt hatte.

Auf der Party war es ihm irgendwann zu öde geworden, weshalb er die beiden Schnecken eingeladen hatte, mit ihm eine private Feier zu veranstalten. Das bedurfte keiner großen Überredungskunst. Sie waren kichernd und mit den Hüften wiegend hinter ihm her gestöckelt. Er legte sich auf die Seite, um ein paar Stichworte zu notieren, aus denen er später einen Songtext machen würde.

Eigentlich war das Ganze eher ein Armutszeugnis. Aber für wen? Für ihn, weil er sich nicht binden wollte? Oder für die Mädels, die sich auf Kommando abschleppen ließen?

Auch egal, ihm schwirrte der Kopf vom Alk und Koks und eigentlich war er jetzt auch müde. Eine der beiden quiekte gerade orgastisch, was ihn daran erinnerte, dass er auch erst zwei Mal gekommen war. Immer wenn er die beiden Substanzen, gepaart mit dem Post-Concert-Glücksgefühl, kombinierte, bekam er am Ende eine Scheißlaune und er bereute fast, die Mädels mit auf sein Zimmer genommen zu haben.

„Hey! Wer von euch bläst mir schnell einen vor dem Schlafengehen?“

Natürlich sprangen beide bereitwillig auf.

Eine kniete sich vor ihm auf den Boden und nahm ihn in den Mund. O ja, es hatte schon was, wenn eine Frau ihren Würgereflex gut unter Kontrolle hatte. Aber das war auch das Einzige, was diese hier unter Kontrolle hatte. Deshalb schob er sie von sich und winkte stattdessen die andere heran. Wenn Mann schon die Auswahl hatte …

Aber auch hier fehlte ihm das gewisse Etwas. Wahrscheinlich lag es daran, dass er einfach zu high und zu besoffen war, um sich zu entspannen. Das war dann wohl der Zeitpunkt, Barry zu rufen. Er schnappte sich sein Handy und rief seinen Bodyguard an. Währenddessen nuckelte die Tussi immer noch an ihm herum.

„Hör auf. Du bringst es nicht. Schnappt euch die Bademäntel aus dem Klo und verschwindet. Für heute habe ich die Schnauze voll von Laien. Ach ja, eure Handys bitte. Ich will keine Fotos von diesem Intermezzo im Netz haben.“

Die Damen schnappten im Kanon empört nach Luft, doch er hielt unbeeindruckt die Hände hin. Sie gaben ihm ihre Smartphones und zogen sich hastig an. Tatsächlich fand er auf beiden Mobiltelefonen diverse Aufnahmen dieser Nacht. Er löschte alle und gab den zwei Frauen ihr Eigentum zurück.

Das Klopfen an der Tür war der Schlusspfiff. Er nahm beide an den Armen, führte sie aus dem Zimmer und übergab sie seinem Leibwächter, damit der sie nach Hause brachte. So lief es mehrmals die Woche. Immer das Gleiche und langsam ödete ihn das an. Da musste es doch noch mehr geben. Du hast nur noch nicht die Richtige gefunden, flüsterte die Stimme seines Vaters in seinem Kopf. Ein weiser Spruch, den sein alter Herr immer wieder auf den Tisch zu legen pflegte. Gerade er sollte wissen, dass es bei Nick nie gut ging, wenn er Liebe in sein Herz ließ.

Er ging zurück ins Schlafzimmer und ließ sich aufs Bett fallen, wo ihn umgehend der Schlaf einholte.

Nur eine gefühlte Minute später hörte er, wie jemand die Suite betrat. Himmel, wer wagte es, ihn so früh zu stören? Hatte er seine Wünsche nicht klar und deutlich mitgeteilt? Sein verkaterter Kopf schmerzte und sein Gehirn drehte kurz Pirouetten. Er zog sich eine Jeans an, ging ins Wohnzimmer und traute seinen Augen kaum. Vor ihm stand eine Erleuchtung.

Die Begegnung

Rose

Als Rose an diesem Morgen aufstand, hätte sie es nie für möglich gehalten, dass sie jemandem begegnen würde, der ihr ganzes Leben über den Haufen werfen könnte. Sie stieg unter die Dusche und versuchte, die hartnäckigen Schlafreste zu vertreiben.

Sie hatte wie immer die Frühschicht im Hotel, wo sie als Zimmermädchen arbeitete. Abends ging sie zur Law School, um den Abendkursen in Rechtswissenschaften zu folgen. Sobald sie ihr Studium abgeschlossen und das Anwaltspatent im Sack hatte, würde sie die Hoteluniform gegen ein elegantes Kostüm und schöne Schuhe eintauschen. Jetzt brauchte sie den Job, um über die Runden zu kommen. Noch zwei Semester und danach noch die bar examination, dann war es so weit. Ihr Onkel hatte ihr bereits eine Stelle zugesichert. Unter der Voraussetzung, dass sie den JD mit Bestnoten abschloss und das würde ihr auch gelingen. Danach musste sie unbedingt noch den Doctor of Juridical Science machen. Schließlich hatte sie das benötigte vierjährige Bachelorstudium in zwei Jahren durchgezogen und besuchte jetzt das zweite Jahr auf der Law School.

Sie ging in die Küche der WG, in der sie zusammen mit ihrer Freundin Doro wohnte. Das Mobiliar war ein Mix aus billig, Schrott und Antiquität und nichts passte zusammen. Sie besaßen keine zwei gleichen Stühle, keine zusammenpassenden Teller, Tassen oder Besteck. Aber genau das machte den Charme und die Gemütlichkeit der Altbauwohnung aus.

Doro lag wie üblich noch in den Federn. Als Tattooartist arbeitete sie immer bis spätabends. Sie kamen oft zur gleichen Zeit nach Hause. Während Rose zu lernen begann, ging Doro meistens kurze Zeit später aus und schlug sich die Nacht um die Ohren.

Rose eilte zur nächsten U-Bahn-Station, um so schnell wie möglich zum Times Square zu kommen. Sie war wie immer knapp dran, denn durch das lange Lernen schaffte sie es beim besten Willen nicht früher aus den Federn.

Sie rannte beinahe über den Times Square und bog in die 43. Straße, von dort um die Ecke und direkt zum Lieferanteneingang des Hotels, in dem sie arbeitete.

Rose hatte sich schon als Kind in den Big Apple verliebt. Damals hatten sie ihre Eltern öfter zu Ausflügen hierher gebracht. Die Wolkenkratzer mit den engen Häuserschluchten hatten sie ehrfürchtig nach oben blicken lassen. Sie hatte davon geträumt, als Prinzessin in einem Penthouse über der Stadt zu leben. Als kleines Mädchen war sie sicher gewesen, dass man ganz oben auf dem Dach des Empire State Buildings den Himmel berühren konnte. Es war einer dieser Besuche gewesen, als sie verkündete, dass sie, wenn sie groß war, hier leben würde.

Diesen Plan hatte sie bereits erfolgreich umgesetzt und die weiteren würden folgen. Sie fühlte sich in diesem Schmelztiegel wohl wie ein Fisch im Wasser. Diese Stadt lebte vierundzwanzig Stunden, sieben Tage die Woche. Ein ständiges Vibrieren schien die Luft zu erfüllen. Dieses Fieber hatte sie bereits im Kindesalter erfasst und nie mehr losgelassen. Ja, sie liebte Manhattan und nichts brachte sie dazu, New York zu verlassen.

In der Personalumkleide zog sie ihre mausgraue Arbeitskleidung an. Die anderen waren bestimmt schon bei der Teambesprechung, wie üblich. Ihr unangenehmer Chef hatte bestimmt wieder eine doofe Strafe für sie auf Lager.

Sie betrat den Raum, in dem die Pläne für die Stockwerkeinteilung hingen und das Team sich austauschen konnte. Der Morgenrapport war natürlich schon in vollem Gange und Rose hörte gerade noch, dass ein Mädchen sich krankgemeldet hatte und nun das Suitenstockwerk neu eingeteilt werden musste. Im Gegensatz zu Rose rissen sich die anderen immer um den Dienst ganz oben. Die Trinkgelder waren in der Regel gut, und wenn man Glück hatte, traf man einen VIP. Doch für Rose waren die Bewohner der Kotzbrockenetage, wie sie das Stockwerk insgeheim nannte, verwöhnte, arrogante Idioten, die vergessen hatten, dass auch Hotelpersonal Menschenwürde besaß. Auch wenn sie hart für jeden Dollar arbeiten mussten.

„Rose, du kommst wie immer zu spät, deshalb drehst du heute eine Extraschicht. Erst erledigst du deine Etage, wie geplant. Danach gehst du hoch ins oberste Stockwerk. Dort lebt zurzeit nur ein Gast. Er hat es nicht gern, wenn man ihn zu früh behelligt. Die Suite muss jedoch unbedingt bis 13:00 Uhr aufgeräumt sein. Das ist seine Bedingung“, erklärte ihr Chef ohne jeden Tadel in der Stimme, was jedoch seine übliche Masche war.

Sie konnte sich ein Stöhnen kaum verkneifen und versuchte, die neidischen Blicke ihrer Kolleginnen und den zweideutigen ihres Chefs zu ignorieren. Um den Schein der Selbstsicherheit zu wahren, richtete sie die unvorteilhafte Uniform und die hässliche Haube. Das Teil musste aus den Anfängen des vorigen Jahrhunderts stammen.

Sie holte ihren Materialwagen, fuhr mit dem Lastenaufzug hoch ins 33. Stockwerk und machte sich an die Arbeit. Ihre Vorgesetzten ärgerten sich zwar über ihr chronisches Zuspätkommen, doch sie waren mit ihrer Arbeit zufrieden. Sie war gründlich, schnell und zuvorkommend zu den Gästen. Das war vermutlich auch der Grund, weshalb sie bei Schichtende immer mit überdurchschnittlich viel Trinkgeld nach Hause ging. Sie war froh um jeden extra Dollar, denn sie konnte und wollte ihren Eltern nicht auf der Tasche liegen. Die hatten nämlich genug andere Sorgen.

Nach drei Stunden fuhr sie mit dem Fahrstuhl wieder ins Kellergeschoss, um dort ihren Wagen aufzufüllen. Bettwäsche, Frottiertücher, Handseife, Shampoo, Duschgel, Conditioner, Bodylotion, Kosmetiktücher und so weiter.

Sie hatte sich angewöhnt, nicht zu viel über ihre Arbeit hier nachzudenken. Andernfalls hätte sie schon lange die Flucht ergriffen. Jemand, der nicht hier oder in einem anderen Hotel arbeitete, konnte sich nicht im Geringsten vorstellen, in welchem Zustand die Gäste oft die Zimmer hinterließen. Mehr als einmal pro Schicht traf sie auf ein regelrechtes Schlachtfeld.

Als sie in der Suitenetage aus dem Lift stieg und den Wagen vor sich hin schob, machte sich die inzwischen bekannte Unruhe in ihr breit, die sie immer erfasste, wenn sie hier oben Dienst hatte. Sie fand es gruselig, zu ruhig und zu künstlich.

Wie in einem Bestattungsinstitut.

Vor der doppelflügeligen Tür, die zu einer der beiden Suiten führte, holte sie noch einmal tief Luft. Sie klopfte an und rief: „Housekeeping!“

Sie wartete einen Augenblick, ehe sie die Schlüsselkarte hervorholte und in das Lesegerät steckte. Niemand antwortete, deshalb schob sie die Karte in den Schlitz und entriegelte die Tür. Bevor sie jedoch eintrat, klopfte sie ein weiteres Mal und meldete sich noch einmal an. Das war das Protokoll des Hauses. Wieder kam keine Antwort. Sie schob die Tür ganz auf und fixierte sie mit dem Stopper.

Die Suite umfasste ein großes Wohnzimmer, zwei Schlafzimmer, ein Badezimmer mit WC und eine Dusche mit Toilette. Auf der Terrasse stand ein Jacuzzi. Man musste dazu erwähnen, dass die beiden Suiten die einzigen Unterkünfte in diesem Hotel waren, die über einen Balkon verfügten.

Das Wohnzimmer war so groß, dass ihre Wohnung wahrscheinlich locker hineingepasst hätte. Normalerweise wirkte die Suite mit ihrer kitschig-eleganten Einrichtung distinguiert. Doch als sie sich des aktuellen Zustands des Zimmers bewusst wurde, erschrak sie. Es herrschte eine heillose Unordnung. Überall lagen Kleidungsstücke herum. Sogar auf dem Kronleuchter hing etwas. War das etwa ein BH? Und lag da vor dem überdimensionalen Flachbildfernseher noch ein weiterer Büstenhalter? Gläser und mehrere leere Flaschen waren über den ganzen Boden verteilt. Irgendwer hatte anscheinend mit Popcorn und Chips um sich geworfen.

Sie sträubte sich, einen Blick ins Bad oder gar ins Schlafzimmer zu werfen. Schließlich überwand sie sich und ging zum Badezimmer, um hineinzusehen und ihre schlimmsten Befürchtungen wurden bestätigt. Jemand hatte sich vor der Toilette übergeben. Na großartig. Was für ein Tier hauste hier, um Gottes willen?

„Habe ich gesagt, dass du hereinkommen kannst?“ Die Stimme hinter ihr war heiser und klang verkatert, was allem Anschein nach kein Wunder war. Dennoch traf sie das Timbre bis ins Mark und schickte Schauder über ihren Rücken.

Sie drehte sich um und zuckte zusammen. Der Mann, der vor ihr stand, war groß, muskulös und seine blauen Augen schienen sie zu verbrennen. Seine blonden Haare standen in alle Richtungen und umrahmten ein ihr wohlbekanntes, männliches Gesicht: markante Wangenknochen, gerade Nase, wohlgeformte, nicht zu volle Lippen, welche mit einem Piercing verziert waren und ein arrogant gerecktes Kinn. Sein Oberkörper war nackt und er trug eine Halskette, an der ein Haifischzahn hing. Seine gebräunte Haut schien samtig und lud ein, sie zu berühren. Sie musste trocken schlucken. Überall in der Stadt hingen Plakate mit diesem Gesicht und auch der Stimme begegnete man auf allen Radiostationen. Und das im Halbstundentakt. Himmel, der Typ war in natura noch heißer als auf den nachbearbeiteten Fotos.

Er trug eine abgetragene Jeans und war barfuß. Er musste gerade aufgestanden sein. Verdammt, sie hatte Nick Hamilton, den wahrscheinlich begehrtesten Junggesellen der Musikszene, aus den Federn geholt. Er galt als Rebell und eine Frau, die nicht bei drei auf einem Baum war, lief Gefahr, sein nächstes Abenteuer für eine Nacht zu werden.

Konzentrier dich, Rose.

Sie senkte demütig den Blick und zwang ihr Herz zur Ruhe, damit sie nicht atemlos klang. „Es tut mir leid, Mr. Hamilton. Aber ich habe zweimal angeklopft und mich angemeldet. Als Sie nicht geantwortet haben, ging ich davon aus, dass Sie nicht … ähm … anwesend sind.“ Stammelte sie etwa? Das passierte ihr sonst doch nie.

„Wenn du schon mal da bist, kannst du dich genauso gut an die Arbeit machen. Aber nicht zu laut bitte. Ich habe Kopfschmerzen.“ Abwinkend drehte er sich um, ging davon und würdigte sie keines Blickes mehr.

Wo sollte sie nur anfangen? Sie beschloss, dass es wohl am besten war, zuerst die Schweinerei im Badezimmer zu beseitigen. So schrubbte sie den Boden, die Toilette, Badewanne, Waschbecken und füllte am Ende die Vorräte wieder auf. Alles war besser, als über Hamilton und sein Sixpack nachzudenken.

Danach ging sie zur Dusche und wiederholte die ganze Prozedur noch einmal. Glücklicherweise war hier alles in normalem Gebrauchszustand.

Weiter ging es mit der Unordnung im Salon. Mit dem Besenstiel holte sie den BH vom Kronleuchter und sammelte die restliche Damenunterwäsche zusammen. Etwas unschlüssig, was sie damit anstellen sollte, ging sie damit zu ihm.

„Entschuldigen Sie bitte, Mr. Hamilton, aber was soll ich mit den Dessous machen?“

Er sah sie genervt an und legte die Gitarre beiseite, auf der er gerade gespielt hatte. „Du kannst sie haben, wenn du willst. Aber Moment, die werden dir nicht passen. Unten zu klein, oben zu groß. Oder hast du vor, dir die Titten machen zu lassen?“ Empört schnappte sie nach Luft. Was glaubte der eingebildete Affe eigentlich, wer er war? Sie griff demonstrativ zum Mülleimer, schmiss die Textilien hinein und ging mit gestrafften Schultern wieder ihrer Arbeit nach.

Als sie fertig war, sammelte sie die schmutzige Bett- und Badwäsche auf und lud sie auf ihren Wagen.

„Ich bin jetzt fertig, Mr. Hamilton. Nachher wird jemand bei Ihnen vorbeischauen, um die Minibar wieder aufzufüllen und frische Gläser zu bringen.“ Sie wandte sich um und wollte gerade gehen, als sie hörte, wie er aufstand und zu ihr kam.

„Einen Moment noch.“

Was denn noch? Der Typ machte sie nervös, und zwar in jeder Hinsicht. Normalerweise ließ sie sich nicht so einfach einschüchtern.

„Ich mache zuerst einen Kontrollgang, bevor ich dich hier entlasse.“

Was zum Teufel?

Er winkte sie zu sich, damit sie ihm folgte. Er fing im Bad an, lief alles mit dem Finger nach, schaute unter die WC-Brille und kontrollierte sogar die Abläufe der beiden Waschbecken. In der Dusche verfuhr er nach dem gleichen Muster.

„Hier hast du ein Haar übersehen“, sagte er und zeigte auf ein klitzekleines Haar in einer Fuge der Dusche.

Innerlich kochend holte sie Putzlappen und Reinigungsmittel und beseitigte diese Unregelmäßigkeit vor seinen Augen. Danach kam das Wohnzimmer an die Reihe.

„Auf dem Fernseher hat’s noch einen Fingerabdruck. Siehst du? Genau hier.“

Rose konnte nicht anders und so warf sie ihm einen giftigen Blick zu, während sie energisch den Fleck auf dem Bildschirm wegputzte. Der Mistkerl tat das mit Absicht, so viel war klar. Sie hätte schwören können, dass er verschmitzt grinste.

Er nickte herablassend und ging weiter ins Schlafzimmer, in dem er schlief. Dort keuchte er theatralisch auf.

„O mein Gott! Das geht aber gar nicht. Du hast einen Damenslip übersehen.“

Rose wusste ganz genau, dass das niemals der Fall sein konnte. Tatsächlich erkannte sie das Unterhöschen, das sie im Wohnzimmer vom Boden gepflückt und vor seinen Augen mit der anderen Unterwäsche in den Müll geworfen hatte. Er musste es in einem unbeobachteten Moment wieder herausgenommen haben, nur um sie zu schikanieren.

„Warum tun Sie das, Mr. Hamilton?“, rutschte es ihr heraus. Ihre Wangen glühten. Vor Scham oder vor Ärger wusste sie in dem Moment nicht.

Er zuckte nur mit den Schultern und entgegnete: „Weil ich es will?“

„Sie sind arrogant und ein Mistkerl. Woher nehmen Sie das Recht, andere Menschen von oben herab zu behandeln?“

„Weil ich es kann und es Spaß macht.“ Er lächelte affektiert.

Bevor sie noch mehr sagte und es sie am Ende den Job kostete, warf sie die Hände nach oben, drehte sich um und ging davon. Am liebsten hätte sie ihm eine geknallt.

„Dann bis morgen, Zimmermädchen!“, rief er ihr lachend hinterher.

„Gott bewahre!“, entgegnete sie laut genug, dass er es hörte, und schlug die Tür krachend zu.

Was für ein eingebildetes Arschloch! Okay, dieses Arschloch war leider unglaublich sexy und anziehend. Sie schüttelte sich bei dem Gedanken und schickte ein Stoßgebet gen Himmel, dass ihre Kollegin, die eigentlich hier oben eingeteilt war, am nächsten Tag wieder zur Arbeit kam. Wenn sie nochmals hier aufkreuzte, würde einer von ihnen einen dauerhaften Schaden erleiden.

Im Keller gab sie den Wagen ab und zog sich um. In der U-Bahn nach Hause schaffte sie es selbst mit den größten Bemühungen nicht, Nick Hamilton aus dem Kopf zu bekommen. Sie regte sich immer noch über ihn auf. Aber gleichzeitig breitete sich Wärme in diversen Körperpartien aus, in denen sie sie nicht unbedingt haben wollte. Zumindest nicht, wenn dieser Mistkerl dabei eine Rolle spielte.

Sie war noch immer völlig durch den Wind, als sie nach einem Zwischenstopp in ihrer Wohnung die Stufen zur Universität hochstieg. Sie wollte die Zeit bis zu den Vorlesungen nutzen, um in der Bibliothek zu lernen. Doch als sie über den verschiedenen Wälzern saß und sich auf das Vertragsrecht konzentrieren sollte, kam ihr immer wieder Nick Hamilton in die Quere. Der Typ nervte sogar, wenn er nicht anwesend war. Sie schlug die Bücher zu, packte ihre Siebensachen zusammen und fluchte laut: „Dann eben nicht!“ Prompt erntete sie empörte Zischlaute wegen der Ruhestörung. Sie stapfte wütend über sich selbst zur Cafeteria und holte sich einen Latte macchiato. Was war denn nur los heute? Sie war sonst doch nicht so labil und aufbrausend.

Auch der Vorlesung des Dozenten konnte sie nicht folgen. Aber daran trug der Professor eine Mitschuld. Er präsentierte den Stoff langweilig und wenig fesselnd. Nur noch zwei Semester. Dieser Satz wurde anscheinend zu ihrem persönlichen Mantra. Sie wollte den JD so schnell wie möglich in der Tasche haben. Am besten gestern als morgen.

Nick

Nick stand am Geländer der Terrasse seiner Hotelsuite. Am Horizont tanzten die letzten Strahlen der bereits untergegangenen Sonne und färbten den Himmel rosa und violett.

Unter ihm flammten die Lichter der Stadt auf und hin und wieder, oder sollte er besser sagen im Dreißigsekundentakt, waren die Sirenen von Polizei, Feuerwehr oder Krankenwagen zu hören. Das war die Hymne der Stadt: The New York Anthem. Der Kater war überstanden und seine schlechte Laune hatte seinem Verstand Platz gemacht.

Er warf einen Blick auf die Uhr. Er sollte sich langsam fertig machen, denn in einer halben Stunde wurde er abgeholt. Er musste an diesem Abend noch zu einem Fernsehinterview bei NBC. Obwohl die Studios nicht weit entfernt am Rockefeller Plaza waren, ließ ihn sein Management nicht zu Fuß hingehen, was die günstigere und schnellere Variante gewesen wäre. Alles nur zu seiner Sicherheit. Großartig.

Langsam, aber sicher wurde ihm dieser Zirkus zu viel. Nicht das Rockstar-Dasein, aber das Drumherum. Er fühlte sich zunehmend mehr bevormundet und das schmeckte ihm ganz und gar nicht. Seit zehn Wochen lebte er nur aus dem Koffer und schlief bestenfalls zwei Nächte hintereinander im gleichen Bett. Hier in New York blieb er, Gott sei Dank, einmal zwei volle Wochen. Er hatte mehrere wichtige Termine hintereinander und das Management hatte sich dazu breitschlagen lassen, ihm ein paar zusätzliche Ruhetage zu geben.

Er dachte an die letzte Nacht. Die zwei Groupies waren ganz nett gewesen, doch er hatte die Schnauze voll von solchen Intermezzi. Diese Frauen waren leere, seelenlose Hüllen. Nichts, woran man sich am Tag danach noch groß erinnerte. Eine gewisse Zeit hatten solche Abenteuer schon seinen Reiz gehabt, doch irgendwann hatte er gemerkt, dass er etwas Grundlegendes verpasste.

Er hatte die beiden nach der Lakengymnastik wie üblich aus der Suite komplimentiert. Sprich, sein Bodyguard hatte sie aus dem Hotel geführt. Im Bademantel des Hotels … armselig. Er spürte, dass er an einer imaginären Kreuzung stand. Er musste sich langsam entscheiden, wie es mit ihm und seiner Karriere weitergehen sollte.

Nick hätte es eigentlich besser wissen sollen. Er bekam immer eine Scheißlaune nach solchen Aktionen, denn sie zeigten ihm deutlich, was ihm fehlte. All das Geld, der Erfolg und der Glamour täuschten nicht über die Tatsache hinweg, dass er einsam war.

Er dachte an das Zimmermädchen und sein Verhalten ihr gegenüber. Er war ein richtiger Arsch gewesen und sie hatte ihn zu Recht in die Schranken verwiesen. Er würde das wiedergutmachen, egal wie.

Verdammt, jetzt bekam er auch noch Heimweh. Er vermisste das Weingut seiner Eltern im Sonoma Tal in Kalifornien. Er war dort als Sohn von Weinbauern aufgewachsen und hatte das Handwerk von seinem Vater von der Pike auf gelernt. Doch mit achtzehn hatte er die Flucht ergriffen. Er wollte die Welt sehen und Superstar werden. Er war naiv genug gewesen, zu denken, dass das Leben seiner Eltern langweilig und wenig wert war. Er wurde eines Besseren belehrt. Damals war die Liebe zur Musik stärker gewesen als seine Wurzeln. Sie war sein Ein und Alles, das Einzige, was ihn nach dem Drama seiner Jugend noch glücklich gemacht hatte. Sie hatte ihn durch die schwere Zeit begleitet. Noch heute schmerzten ihn seine Knöchel, wenn er daran dachte. Er hatte Scheiße fabriziert. Jugendliche Dummheit, kombiniert mit akutem Kontrollverlust, hatten beinahe ein Menschenleben gefordert. Aber das war lange her und er hatte sich ein neues Leben aufgebaut. Seine Gitarre und die Musik waren die einzigen Konstanten. Es gab nichts, was er mehr liebte.

Er löste sich vom schönen Panorama, das die inzwischen nächtliche Stadt bot und stieg im Schnelldurchlauf unter die Dusche. Den Dreitagebart ließ er stehen, doch die Haare stylte er in dem für ihn typischen Out-of-Bed-Look. Er zog seine Dieseljeans an und komplettierte sein Outfit mit schwarzem Muskelshirt und breitem Lederarmband.

Das Training der letzten Monate zahlte sich aus. Was man nicht alles für gute Verkaufszahlen und Werbeaufträge tat. Er fühlte sich auf einmal wie eine männliche Nutte.

Eines war sicher, er war froh, wenn diese Promo-Tour für sein drittes Studioalbum zu Ende war. Er griff nach seinen roten Converse All Stars, und während er sie schnürte, dachte er wieder an das Zimmermädchen. Sie war hübsch, mit wachen, intelligenten Augen. Er war so ein Arschloch gewesen, als er sie als hässlich bezeichnet hatte. Dabei war ihre Figur perfekt, soweit er es hatte beurteilen können. Die Uniform war dabei etwas hinderlich gewesen. Ihre dunklen Haare hatten einen leichten Kastanienton und in den klaren grünen Augen hätte jeder Mann versinken können. Im Gegensatz zu ihren Haaren war die Haut hell wie Sahne, und soweit er es hatte erkennen können, makellos. Sie war der Typ Frau, der ohne auffälliges Make-up und im Schlafanzug noch schön war.

Verwirrt über seine Gedankengänge schob er das Bild des Zimmermädchens beiseite. Dafür war jetzt keine Zeit.

Als er seine Gitarre in den Koffer legte, klingelte das Telefon. Das musste die Rezeption sein. „Ja?“

„Mr. Hamilton, Ihr Wagen ist da“, säuselte die Rezeptionistin in den Hörer.

Ach, wie ihm dieses Theater zuwider war. Es fehlte nicht mehr viel und er durfte sich nicht mal mehr den Hintern selbst abwischen.

Rose, sie hieß Rose. Plötzlich fiel ihm der Name, den das Zimmermädchen auf einem Schild trug, wieder ein. Ja, sie war definitiv eine edle Blume und der Name mehr als treffend. Und sie hatte auch spitze Dornen. Das gefiel ihm.

Er verließ die Suite. Vor der Tür stand bereits Barry, der Bodyguard. Als ob ihm jemand auf dem Weg zur Lobby nach dem Leben trachten würde. Im Übrigen, wie konnte ein Leibwächter Barry heißen? Wie lange kannte er Barry nun schon? Auf jeden Fall stand Barry ihm näher als seine eigene Familie.

Am Rockefeller Center musste sich der Fahrer durch die bereits wartende Meute von Fans kämpfen und als Nick ausstieg, wurde er fast taub von dem Gekreische. Aber das gehörte zur Jobbeschreibung und es freute ihn, dass er mit seinen Songs den Leuten eine gute Zeit bescherte. Der schöne Nebeneffekt war der Saldo auf seinem Bankkonto. Er winkte kurz, weil es sich so gehörte, und eilte dann ins Gebäude.

Er wurde zur Maske gebracht und gleichzeitig in den Plan der Aufnahmen eingeweiht. Alles Standard, nichts Außergewöhnliches. Erst die Ankündigung, dann die Begrüßung, danach das Interview mit den üblichen lästigen Fragen und dann seinen derzeitigen Hit spielen … und tschüss.

Nach fünfzehn Minuten war das Interview zu Ende und er spielte die ersten Akkorde von Tears Of The Stars. Er versuchte, die Anwesenden zu ignorieren. Vor allem die weiblichen, die scheinbar vergessen hatten, sich anzuziehen und ihn am liebsten bei nächster Gelegenheit ins Bett zerren würden. Das war eine der Schattenseiten des Showbiz. Er liebte die euphorischen Fans. Aber auf die stalkerischen Groupies hätte er gern verzichtet.

Er hatte mit Barry bereits besprochen, dass er durch die Hintertür verschwinden wollte. Der Wagen sollte da auf ihn warten und ihn umgehend ins Hotel bringen. Er brauchte Ruhe. Der nächste Tag würde anstrengend genug werden und er hatte die Nacht zuvor schon zu wenig geschlafen. Es erwarteten ihn Aufnahmen für einen Werbespot.

Er hatte erstaunlicherweise weder Lust auf Party noch auf Saufund Koksgelage und schon gar nicht auf leicht zu habende Frauen. Ruhe, das war tatsächlich das, was er sich jetzt wünschte. Zeit, um sich und seine Lage einmal gründlich zu überdenken.

Dr. Jekyll

Rose

Rose rannte wie üblich von der U-Bahn-Station zum Hotel. Doch dieses Mal kam sie zu spät, weil sie das erste Mal in ihrem Leben verschlafen hatte.

Sie hatte die halbe Nacht gelernt und danach kein Auge zugetan, weil Nick Hamilton noch immer durch ihr Gehirn gegeistert war. Sie musste kurz vor Morgengrauen eingeschlafen sein und hatte den Wecker schlichtweg nicht gehört. Erst als Doro ins Zimmer gekommen war und sich darüber beklagt hatte, dass Rose doch bitte diesen Lärm abschalten sollte, war sie aufgewacht.

Nur mit Glück war sie nicht viel mehr zu spät gekommen als normal. Noch während sie den Teamraum betrat, knöpfte sie die Uniform zu und band sich die Haare zusammen. Sie erntete den üblichen tadelnden Blick ihres Vorgesetzten George, bevor er fortfuhr.

Am Ende der Besprechung nahm er sie zur Seite und führte sie in eine Ecke des Zimmers, wo sie ungestört waren.

„Hast du mir etwas mitzuteilen?“, ergriff ihr Chef das Wort.

Rose wusste nicht, was diese Frage zu bedeuten hatte. Doch dann wurde ihr ganz elend. Hatte sich Hamilton über sie beschwert? Würde sie ihren Job verlieren? War sie mit ihrem kleinen Ausraster zu weit gegangen? Sie brauchte diese Stelle, und zwar dringend.

„Ich weiß nicht, was du meinst“, begann sie vorsichtig. Ihr Chef musterte sie einen Moment eindeutig zweideutig und steigerte damit ihr Unbehagen noch mehr.

„Es geht um Mr. Hamilton, dessen Suite du gestern aufgeräumt hast.“

Also doch. Dieser verwöhnte Kerl hatte sie angeschwärzt. Alte Petze! Doch bevor sie etwas zu ihrer Verteidigung anbringen konnte, redete George weiter.

„Mr. Hamilton möchte ausdrücklich, dass nur noch du seine Suite machst. Er will kein anderes Zimmermädchen mehr auf seinem Stockwerk sehen.“

„Wie bitte?“ Rose fühlte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich.

„Wir werden ihm natürlich diesen Wunsch erfüllen. Für die Zeit seines Aufenthalts wird jemand anderes deine übliche Etage übernehmen. Und es gibt noch eine weitere Änderung. Er möchte, dass die Suite vor 10:00 Uhr gemacht wird.“

Rose fehlten die Worte. Wollte der Typ sie mit dieser Aktion bestrafen? Na, dem würde sie was husten.

„Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass privater Kontakt zu unseren Gästen nicht gern gesehen wird“, erinnerte sie der Boss unnötigerweise und jetzt wusste sie auch, woher der Wind wehte. Der Boss hatte wohl das Gefühl, sie hätte mit diesem gestörten Rockstar etwas am Laufen.

„Keine Bange. Ich kenne die Regeln.“ Sie verdrängte den Gedanken, dass Hamilton trotz seiner Affektiertheit ultrasexy und ihr sogar im Traum begegnet war.

Mit weichen Knien holte sie ihren Materialwagen und fuhr mit dem Fahrstuhl nach ganz oben. Sie wollte diesem arroganten Trottel nicht begegnen, der ihrem Körper so seltsame Reaktionen entlockte. Sie dachte immer wieder an die Hitze, die sie gestern bei jedem noch so kleinen Gedanken an ihn erfüllt hatte.

Wie von ihr erwartet wurde, klopfte sie an und rief „Housekeeping!“. Doch noch ehe sie die Schlüsselkarte zücken konnte, wurde die Tür von innen aufgemacht. Nick Hamilton machte dezent Platz und ließ sie eintreten. Sie versuchte sich an einem Pokerface und hoffte, dass es saß.

An diesem Morgen war er anständig angezogen und wirkte, als wäre er schon seit mindestens einer Stunde wach. Im Gegensatz zu ihr selbst. Verbarg sich hinter dieser attraktiven Fassade vielleicht ein Dr. Jekyll und Mr. Hyde? Wäre sie in einem Comic, würde nun ein dickes rotes Fragezeichen über ihrem Kopf schweben.

„Mr. Hamilton, Sie haben den Wunsch geäußert, dass ich für den Rest Ihres Aufenthalts allein für Sie und Ihre Suite zuständig bin. Darf ich fragen weshalb?“ Die Worte waren ohne ihr Wollen herausgerutscht und jetzt war es zu spät.

Er schloss die Tür und ging an ihr vorbei ins Wohnzimmer.

„Erst einmal, guten Morgen, Rose.“ Er lächelte und sah dabei wie Aphrodites Sohn persönlich aus. Ein Wolf im Schafspelz höchstwahrscheinlich. Das war gar nicht von Vorteil. Der Kerl schaffte es, sie in der ersten Minute bereits wieder in Verlegenheit zu bringen und sie fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss.

„Ich wollte dich haben, weil ich mit dir zufrieden war“, redete er weiter.

„Moment“, fiel sie ihm ins Wort. „Das stimmt doch gar nicht. Sie haben jede Menge Punkte gefunden, die Sie bemängelt haben.“

„Zuerst möchte ich, dass du mich Nick nennst. Das macht so manches einfacher. Und was die gestrige Kritik angeht, da glaube ich, dass ich dir eine Entschuldigung schuldig bin, Rose. Ich habe mich wie ein Arschloch aufgeführt.“

Rose glaubte, sich verhört zu haben und es stand zu befürchten, dass ihr die Kinnlade runterklappte. Sie hätte es einfacher gehabt, den Typen nicht anzuschmachten, wenn er sich weiterhin als Volltrottel ausgegeben hätte. Aber so? Das wurde übel für sie.

„Sie haben mir immer noch nicht gesagt, weshalb Sie, außer dass Sie allem Anschein nach wider Erwarten zufrieden mit mir waren, ausgerechnet mich hier haben wollen.“ Mann, was für ein Satzaufbau. Sie versuchte ihrer Stimme Festigkeit zu verleihen, doch sie zweifelte am Erfolg ihrer Bemühungen.

„Nun, wie gesagt, möchte ich, dass du mich Nick nennst …“

„Auf keinen Fall!“, unterbrach sie ihn ein weiteres Mal.

„Wie dem auch sei“, nahm er lächelnd den Faden wieder auf. „Ich wollte dich, weil du nicht so bist wie die anderen.“

Was sollte sie denn mit dieser Aussage anfangen? Sie hob fragend eine Augenbraue. Der Typ litt ganz offensichtlich an einer Persönlichkeitsstörung.

„Du willst es wirklich genau wissen. Nun denn. Die anderen Frauen, Zimmermädchen oder was auch immer sie sind, wollen nur eins: mir an die Wäsche und sich einen Augenblick in meinem Erfolg sonnen. Doch du hast mehr als deutlich gezeigt, was du von mir hältst und das hat mich schwer beeindruckt.“

Aus Verlegenheit schaute sie sich um und bemerkte, dass die Suite, soweit sie sehen konnte, tipptopp in Ordnung war. War sie heute Morgen in einem Paralleluniversum aufgewacht? Irgendwie war alles nicht so, wie es in ihren Augen sein sollte. Dieser Mann verursachte ihr Kopfschmerzen. Das war das Einzige, was sie mit Sicherheit sagen konnte.

„Wenn Sie mich nun entschuldigen würden, Mr. Hamilton, ich werde mich jetzt an die Arbeit machen.“ Sie drehte sich um und ging zur Tür, vor der ihr Wagen stand, um alles zu holen, was sie zum Saubermachen brauchte. Ablenkung, Konzentration, nur nicht den Kerl ansabb… gaffen.

Sie musste sich unbedingt beruhigen. Hamilton brachte sie mehr aus der Fassung, als ihr lieb war. Er war ihr erst zweimal begegnet und schon entwickelte er sich zu einer nicht zu unterschätzenden Komplikation in ihrem sonst so geregelten Leben. Zu ihrem Leidwesen war an diesem Tag die Suite tatsächlich vollkommen in Ordnung, weshalb sie viel zu wenig zu tun hatte.

„Mr. Hamilton?“, rief sie leise auf der Suche nach ihm. Schließlich fand sie ihn auf dem Balkon.

Er saß auf einem Stuhl, die Gitarre auf dem Schoß und die Augen geschlossen. Er wirkte entspannt und brachte damit ihr Herz zum Schwingen. Seine langen, schlanken Finger liebkosten die Saiten der Gitarre und entlockten dem Instrument eine süße, aber schwermütige Melodie. Rose lehnte sich an den Rahmen der Terrassenschiebetür, lauschte und sog den Anblick ein wie eine Ertrinkende.

„Gefällt sie dir?“, fragte er unvermittelt in entrücktem Tonfall, ohne sich zu ihr umzudrehen.

„Wie bitte?“ Rose wusste, dass sie stammelte, aber etwas anderes war nicht möglich in diesem magischen Moment.

„Die Melodie. Ich habe sie gerade komponiert. Du bist meine Muse, Rose.“

„Ich … ja, sie ist schön, aber …“ Ihr fehlten die Worte. Sie spürte, dass in diesem Augenblick eine unauslöschliche Verbindung gelegt wurde und sie war nicht sicher, ob sie das wollte. Nein, sie wusste genau, dass sie nicht in diese Sache hineingezogen werden wollte. „Ich muss jetzt gehen, Mr. Hamilton.“

Sie drehte sich um und stolperte regelrecht Richtung Ausgang. Der Mann verwirrte und erschütterte sie bis in ihre Grundfesten. Sie wagte es erst tief durchzuatmen, als sich die Türen des Lastenaufzugs geschlossen hatten und sich die Kabine nach unten bewegte. Gestern war er ein Monster gewesen und heute so sanft wie ein Gentleman aus vergangenen Zeiten. Eben doch Jekyll und Hyde.

Nick

Er starrte die Tür an, durch die Zimmermädchen Rose gerade wie ein Wirbelwind verschwunden war. Sie war buchstäblich vor ihm geflohen. Was hatte sie so erschreckt? Er war sich keiner Schuld bewusst.

Er war nicht gut in Sachen Frau. Musste er auch nicht, denn die weiblichen Wesen folgten ihm wie Motten dem Licht. Er hatte sich bisher nie um die Gunst einer Lady bemühen müssen. Doch Rose bereitete ihm Kopfzerbrechen. Dass sie gestern auf ihn wütend gewesen war, verstand er vollkommen. Doch weshalb sie nun die Beine unter die Arme genommen hatte, war ihm ein Rätsel.

Das Telefon klingelte und er erwachte aus seiner Grübelei.

„Ihr Fahrer erwartet Sie, Mr. Hamilton.“

„Ich bin gleich unten.“ Oh, Mist! Er hatte mal wieder die Zeit und den anstehenden Termin für die Werbeaufnahmen vergessen. Eine Kleiderladenkette hatte ihn für eine Werbekampagne unter Vertrag genommen. Solche Jobs waren lukrativ und vor allem in relativ kurzer Zeit erledigt. Er schnappte sich seine Jacke und schlüpfte in seine All Stars, ohne sie zu binden.

Am Set war er mit dem Kopf nicht richtig bei der Sache. Vielleicht hätte er sich nach dem Interview bei NBC doch noch ins Nachtleben stürzen sollen. Aber er musste zugeben, dass das Leben auf der Überholspur nicht mehr so reizvoll war wie am Anfang seiner Musikkarriere. Vor vier oder fünf Jahren war er nicht zu bremsen gewesen, hatte sich die Nächte um die Ohren geschlagen und die Chicks gleich reihenweise abgeschleppt. Dieses Leben war ihm so viel aufregender erschienen als das Dasein auf dem Weingut, wo er aufgewachsen war und mitgearbeitet hatte.

Jetzt wusste er es besser. Er hatte schon vor einem guten Jahr die Schnauze voll gehabt. Dann hatte jedoch die Einsamkeit umso mehr zugeschlagen. Wenn man viele Menschen um sich hatte, hieß das noch lange nicht, dass man nicht allein war. Er hatte schon länger den Verdacht, dass er etwas ändern musste.

Er vermisste ernsthafte Gespräche mit jemandem, der an seiner Meinung ehrlich interessiert war. Er wollte, dass ihm auch mal jemand die Leviten las, wenn er über das Ziel hinausschoss. Nicht wie all diese Schleimer, die alles toll fanden, was er tat, nur um seine Gunst zu bekommen. Zum Kotzen.

Als endlich alles im Kasten war, musste er so schnell wie möglich zurück zum Hotel und seine Gitarre packen, denn der nächste Termin stand bereits in einer Stunde an. Er fühlte sich wie so oft in den letzten Monaten ausgelaugt und müde. Sein ganzer Körper schmerzte. Daher kam auch der gesteigerte Koks-Verbrauch. Oder verhielt es sich umgekehrt?

„Weißt du schon, wen du zur Roof Top-Party morgen Abend mitnimmst?“, fragte seine Agentin, die neben ihm auf dem Rücksitz des Wagens saß.

Tja, das war wohl das Problem des Tages, was? Er wusste es nicht. Er würde am liebsten allein oder besser gar nicht gehen. Solche Anlässe waren immer anstrengend. Er musste jemanden mimen, der er nicht war und auch nicht mehr sein wollte. Das war ihm seit Ewigkeiten klar, aber um ehrlich zu sein, so richtig bewusst geworden war ihm das erst, seit Rose ihm einen Spiegel vorgehalten hatte.

„Ich werde allein hinkommen. Nach dem Termin bei NBC habe ich privat noch etwas vor und werde direkt von da zur Party gehen.“ Er wusste, dass seine Agentin nicht glücklich darüber sein würde. Sie wollte, dass er das Image des Frauenhelden aufrechterhielt. Sie fand, dass das gut für den Absatz war. Dabei war er ursprünglich gar nicht so gestrickt. Er hatte lediglich das Spiel mitgespielt und sich selbst darin verloren. Das war ihm inzwischen klar geworden. Anfangs war das Womanizer-Image gut gewesen und er hatte es in vollen Zügen genossen. Doch mit der Zeit bekam er das Gefühl, diesen Schuhen entwachsen zu sein. Es war Zeit für eine Veränderung.

„Du solltest aber ein Mädchen an deiner Seite haben. Nick Hamilton hat immer eine Frau zur Hand.“ Sie verstand einfach nicht, dass das nicht er war, nicht mehr, eigentlich nie gewesen war.

„Hör zu, ich bin diese leeren Hüllen, die sich darum reißen, an meiner Seite zu sein, satt. Man kann mit ihnen kein anständiges Gespräch führen und sie denken, dass es für sie eine Art Sprungbrett ist. Ausnahmslos jede nimmt an, dass sie zur nächsten Generation von It-Girls gehört oder gar entdeckt wird von der Filmoder Modebranche. Ich will das nicht mehr, akzeptier das. Ich gehe allein oder gar nicht. Verstanden?“

Sie machte ein saures Gesicht, schwieg aber zu diesem Thema. „Und was ist das für ein privater Termin, von dem du vorher gesprochen hast?“

Nick verdrehte die Augen, und zwar so, dass die Agentin es auch sah. Sie war eine nette, aber getriebene Person und im Großen und Ganzen war er froh, dass er sie hatte. Aber manchmal war er genervt. Er wollte etwas von seinem Leben zurück. Nick, der Mann und nicht Nick, das Produkt der Medien.

„Wie bereits gesagt ist es privat. Also geht es dich nichts an, Stacy. Sorry, aber ich brauche etwas Raum. Ich werde danach am späteren Abend schön brav auf der Party aufkreuzen und mich von der besten Seite zeigen. Du kannst dich darauf verlassen.“ Er hatte diesen Privattermin schon vor Wochen per E-Mail arrangiert. An diesem Abend würde er sich einen lange gehegten Traum erfüllen und er wusste, dass es der richtige Zeitpunkt dafür war.

„Du weißt, dass NBC erwartet, dass du nach der heutigen Show auch zu dieser Party erscheinst. Sie sind die Sponsoren dieses Events, vergiss das nicht.“

Als ob man ihn daran erinnern müsste. Er musste erst als Gast bei der Talkshow antraben und danach wurde seine Anwesenheit bei der Party erwartet. NBC feierte Geburtstag oder so etwas und sie wollten unter anderem ihn als Special-Act. Er würde wieder seinen aktuellen Hit darbieten, was wohl der angenehmste Moment des Tages war.

Der Wagen hielt am Hotel und er eilte nach oben in seine Bleibe. Er zog ein schwarzes Hemd an. Die Dieseljeans behielt er an, ebenso die Converse All Stars. Er packte noch schnell ein Jackett und seine Gitarre und verließ das Hotel auf gleichem Weg, wie er es betreten hatte.

Stacy wartete am Wagen, und als er unten ankam, stiegen sie gemeinsam ein, um zu NBC zu fahren. Die Talkshow war unspektakulär und Nick zeigte sich humorvoll und interessiert. Im Nachhinein sollte er sich kaum mehr daran erinnern. Im Anschluss nahm er allein ein Taxi und ließ sich zur 14. Straße bringen. Er stieg aus und war sich bewusst, dass er mit dieser symbolischen Tat einen Strich unter die Zeit des alten Nick Hamilton setzte. Er machte einen Schritt in die Zukunft über die imaginäre Schwelle.

Engel?

Rose

Seit Stunden brütete Rose über ihren Büchern und lernte. Wider Erwarten konnte sie sich sogar auf den Stoff konzentrieren, ohne dass ihr Kopfkino verrückt spielte.

Als sie einen ihrer dicken Schinken zuklappte und sich kurz streckte, weil ihr Nacken rebellierte, stürmte Doro in ihr Zimmer.

„Rose!“, rief sie in voller Aufregung und versetzte Rose damit in Alarmbereitschaft. „Los, hol dein kleines Schwarzes und die High Heels aus dem Schrank, leg Schminke auf und mach deine Haare. In einer halben Stunde gehen wir feiern.“

Noch bevor Rose auch nur irgendwie reagieren konnte, war Doro bereits wieder verschwunden. Was um alles in der Welt war nur los? Doro war ein Wildfang, das war nichts Neues, aber derart überdreht hatte Rose sie selten bis gar nicht erlebt.

Sie stand auf und räumte ihre Sachen weg, denn sie hatte für heute mehr als genug gelernt. Plötzlich flog wieder die Tür auf.

„Was denn? Du bist ja noch nicht mal umgezogen. Na los, hopp hopp, beeil dich!“ Doro riss den Kleiderschrank von Rose auf und tauchte buchstäblich in die magere Ausstattung hinein. Kurze Zeit später kam sie mit dem einzigen schwarzen Kleid wieder zum Vorschein, das Rose besaß. Die Rückenpartie war frei und es reichte ihr bis knapp oberhalb des Knies. Es war schlicht, weshalb Rose es vor einem Jahr gekauft, jedoch nie getragen hatte. Es hatte bisher keine Gelegenheit gegeben, es anzuziehen.

„Doro, willst du mir nicht erst sagen, was dieser Aufstand soll? Was für eine Party findet denn überhaupt statt und wo?“

Doro ließ ihre Hände sinken und starrte sie an, als wäre sie ein Oger oder so etwas. „Wir sind zur NBC-Jubiläumsparty eingeladen. Also, eigentlich bin ich eingeladen und darf jemanden mitnehmen. Das ist doch so richtig genial!“, sagte sie völlig außer Rand und Band. „Da war heute dieser Kunde bei mir im Studio und hat sich ein Tattoo stechen lassen. Als kleines Trinkgeld hat er mir diese Einladung gegeben.“ Doro hatte Rose die Einladung in die Hand gedrückt und sich auf die Suche nach Schuhen gemacht, die Rose zum schwarzen Kleid anzuziehen hatte.

Rose sah sich die Karte an und fand, dass sie gar keine Lust hatte, auf eine Schickimicki-Veranstaltung dieser Art zu gehen. Sie war müde und der Tag war lang gewesen.

„Was war das für ein Kunde, der an solche Einladungen kommt? Findest du das nicht eigenartig?“

Doro hielt mitten in ihrer Suche inne und verschränkte ihre tätowierten Arme vor der Brust. „Ich darf dir das aus Diskretionsgründen nicht sagen. Aber glaub mir, es hat alles seine Richtigkeit. Ich warne dich, Rose Armand, du springst mir hier nicht ab. Verstanden?“, sagte sie drohend mit erhobenem Zeigefinger. „Los, raus aus dem Trainingsanzug, ab ins Bad, frisch machen, zivilisieren und dann das Kleid anziehen. Du hast zehn Minuten und keine Sekunde mehr.“

Na gut, sie schien keine andere Wahl zu haben. Rose ging ins Bad, sprang kurz unter die Dusche, steckte sich danach die Haare hoch und legte ein dezentes 2-Minuten-Make-up auf. Danach schlüpfte sie in das hautenge Kleid von Unbekannt und zog die roten Christian Louboutins an, die sie in einem Secondhandladen erstanden hatte. Diese Schuhe waren wahrscheinlich ihr wertvollster Besitz. Wenn sie ehrlich war, fand sie die ganze Geschichte plötzlich ziemlich aufregend. Das würde sie jedoch niemals laut zugeben.

Doro war inzwischen auch umgezogen und wartete bereits nervös zappelnd im Flur auf sie. Sie trug ein dunkelblaues Cocktailkleid mit perlenbesetzter Korsage. Ihre langen roten Haare hatte sie zu einem lockeren Zopf geflochten. Obwohl das Kleid Doros massenhafte Tattoos kaum verdeckte, sah sie sehr elegant aus und Rose beneidete sie insgeheim dafür.

Als es an der Tür klingelte, zuckte Rose zusammen und Doro rief erfreut: „Das Taxi ist da!“

In der Nähe der Rockefeller Plaza stiegen sie aus und gingen zum Eingang des Hochhauses, auf dessen Dachterrasse der Event bereits in vollem Gange war. Der Wachmann bedachte sie mit prüfendem Blick, doch als Doro die Einladung zückte, trat er ohne Weiteres zur Seite.

Am Fahrstuhl erwartete sie ein weiterer Security-Typ und fuhr mit ihnen hoch aufs Dach.

Rose wurde mit jedem Meter nervöser und sie machte sich Sorgen, dass ihr Deo versagen könnte. So banal diese Sorge auch sein mochte. Auch Doro schien es so zu gehen, denn sie griff unauffällig nach Roses Hand. Es war, als betraten sie eine komplett fremde Welt.

Der Gong des Fahrstuhls kündete die Ankunft an und die Türen glitten zur Seite. Rose und Doro traten ins Freie. All der Prunk war überwältigend. Überall standen Stehtische mit schwarzen Tischtüchern. Kerzen tauchten alles in magisch anmutendes Licht. Über ihren Köpfen war ein Netz aus LEDs gespannt worden und Rose hatte das Gefühl, in einen Sternenhimmel zu schauen, als sie den Kopf hob.

Ein DJ sorgte für Musik und auf der kleinen Tanzfläche drängten sich bereits viele Partygäste. Am Rand waren durch strategisches Anordnen von Loungemöbeln und Pflanzentöpfen Nischen geschaffen worden, welche für etwas Privatsphäre sorgten.

Doro zog sie zur Bar und bestellte für sie beide Champagner. Die Getränke und die Häppchen waren gratis.

„Ist das toll hier“, flüsterte Doro ihr zu, während sie miteinander anstießen.

„Ladys and Gentlemen“, klang es aus den Lautsprechern. „Ich möchte Sie alle recht herzlich zu diesem gemütlichen Zusammensein willkommen heißen. Es bereitet mir Freude, den heutigen Ehrengast und Special-Act ankündigen zu dürfen.“ Der Sprecher machte eine dramatische Pause. „Darf ich um Applaus für Nick Hamilton bitten? Er wird seine neue Single speziell für Sie, liebe Anwesende, performen.“

Die Ansage verstummte und Rose wurde schlecht. Musste sie diesem Kerl denn überall über den Weg laufen? Man könnte meinen, die Stadt wäre groß genug, um einander aus dem Weg gehen zu können. Doro hatte sich inzwischen unter die anderen Gäste gemischt und Rose fühlte sich auf einmal fehl am Platz.

Sie zog sich hinter die letzte Nische in die Dunkelheit zurück. Dort lehnte sie sich an die Brüstung und blickte hinunter auf die beleuchtete Straße. Yellow Cabs bahnten sich wie kleine Matchboxautos ihren Weg durch den Stadtverkehr. Dann ließ sie ihren Blick über die Hochhäuser der Stadt und den nahe gelegenen Central Park schweifen. Sie liebte New York oder noch genauer Manhattan. Ihre Eltern wohnten drüben in New Jersey, wo sie auch geboren worden war.

So sehr sich Rose auch mit der Aussicht und den erzwungenen Gedanken abzulenken versuchte, so drangen Nick Hamiltons Gesang und die Akkorde seiner Gitarre zu ihr herüber. Er war ein toller Sänger und seine Stücke hatten sicher ihren Reiz. Wenn sie ihn nicht als absoluten Kotzbrocken kennengelernt hätte, würde sie ihm, wie alle anderen Frauen hier auf dem Dach, zu Füßen liegen. Aber nicht so, obwohl er sich beim letzten Treffen mehr als anständig erwiesen hatte. Zu ihrem eigenen Entsetzen fühlte sie sich auf eine Weise zu ihm hingezogen, die ihr ganz und gar nicht in den Kram passte. Die sie sogar ängstigte. Sie war ein notorischer Kontrollfreak und Nick Hamilton vermittelte ihr das Gefühl, jede Kontrolle zu verlieren, wenn sie zu lange in seiner Nähe blieb.

Sie wurde durch seine Stimme getragen, ob sie es nun wollte oder nicht. Der Schmerz in der Melodie war tief und hätte ihr eigener sein können. Sie spürte, dass sie sich ungewollt mit ihm verbunden fühlte. Wie war das passiert? Wann war das passiert?

Sein Gesang schien sie zu streicheln und zu trösten. Der Drang, die Augen zu schließen und der Musik zu lauschen, war stärker als ihr Fluchtreflex.

Du bist meine Muse, Rose, hörte sie seine Worte wieder. Wenn sie ehrlich war, fühlte sie sich doch etwas geschmeichelt. Dennoch war sie sich sicher, dass schon viele Frauen diesen Satz aus seinem Mund gehört hatten.

Sie bemerkte nur am Rande, wie er die letzte Note ausklingen ließ und Applaus losbrach. Zeit für sie, zu gehen. Sie wollte nicht das Risiko eingehen, ihm zu begegnen. Nicht hier, denn das war sein Terrain. Hier wäre sie ihm schutzlos ausgeliefert.

Rose ging nach vorn, wo sie sich nach Doro umsah. Sie wollte ihr sagen, dass sie nach Hause fuhr. Als sie sie nicht gleich fand, zog sie sich wiederum hinter die letzte Nische zurück. Was nun? Sie konnte doch nicht die ganze Nacht hier hinten stehen bleiben?

Nick

Er war froh, dass er diese Sache hinter sich gebracht hatte und sobald es die Etikette erlaubte, würde er sich verdünnisieren. Er sprach noch ein letztes Mal mit dem Gastherrn, der NBC vertrat, und bedankte sich für die Einladung und die Möglichkeit für diesen Auftritt.

Im Augenwinkel sah er eine Gestalt schnell an ihm vorbeihuschen und er drehte sich im Reflex um. Er erhaschte einen Blick auf den Rücken einer Schönheit. Das schwarze Kleid war im Rücken tief ausgeschnitten und verhüllte hauteng herrlich weibliche Kurven. Die Hochsteckfrisur entblößte einen eleganten Hals, der zum Naschen einlud. Was zum Teufel dachte er hier? Er hatte sich doch fest vorgenommen, nicht mehr solchen Mist vom Stapel zu lassen. Das Brennen auf seiner Brust erinnerte ihn daran, dass er sein Leben ändern wollte.

Die Frau kam ihm irgendwie bekannt vor. War sie eine seiner früheren flüchtigen Abenteuer? Hoffentlich nicht.

Er beobachtete sie, wie sie durch die anwesenden Gästegruppen ging, als wäre sie auf der Suche nach jemandem. Dann verlor er sie aus den Augen.

Verdammt, wo war sie hin? Er verabschiedete sich auf möglichst höfliche Weise von seinem Gastgeber und machte sich auf die Suche nach der schönen Fremden. Er musste herausfinden, wer sie war.

Schließlich fand er sie abseits des ganzen Geschehens hinter den Nischen, am Rand der Dachterrasse. Sie stand mit dem Rücken zu ihm. Was er von ihr sah, nahm ihn gefangen. Das dunkle Haar, die Haut, die die Farbe von Elfenbein hatte, die schlanken Beine und der kleine, graziöse Körperbau. Er machte einen Schritt auf sie zu und in dem Moment drehte sie sich um. Ihr Blick begegnete seinem und sie wirkte auf einmal gehetzt. Nun wusste er auch, woher er sie kannte. Er hätte nicht gedacht, sie auf einer Veranstaltung wie dieser zu treffen und in dieser Aufmachung hatte er sie auch in erster Instanz nicht erkennen können.

„So sieht man sich wieder, Rose“, sagte er leise, als wollte er sie nicht erschrecken. O Mann, sie war eine Erleuchtung. Eine lebende Verführung und dennoch so unschuldig wie ein frisch vom Himmel gestiegener Engel. Wie hatte er sie nur so mies behandeln können?

Ihr Ausdruck war ängstlich und sie versuchte, ihre Unsicherheit hinter einer Wand aus künstlicher Arroganz zu verbergen. Ja, er hatte sie verletzt und er hatte keine Ahnung, wie er das wiedergutmachen sollte.

„Mir wäre es lieber gewesen, wenn ich Sie frühestens morgen Mittag wieder hätte sehen müssen. Schönen Abend noch“, sagte sie harsch und drängte sich an ihm vorbei. Ihr Duft drang an seine Sinne und löste ein ungekanntes Verlangen in ihm aus. Es hatte nichts mit Sex zu tun. Nicht nur. Er wollte sie näher kennenlernen und Zeit mit ihr verbringen, sie zum Lachen bringen und, jetzt kam es, sie beschützen.

Er drehte sich zu ihr um und wollte ihr nachlaufen. Er sah jedoch, dass sie sich mit einem anderen ihm bekannten Gesicht unterhielt und sich dann verabschiedete. Er folgte ihr zum Fahrstuhl, doch dieser ging vor seiner Nase zu.

„Scheiße“, rutschte es ihm heraus. Ohne große Geduld an den Tag zu legen, drückte er so oft auf den Knopf für den Aufzug, bis sich die Schiebetüren endlich wieder öffneten. Natürlich war er leer und Rose verschwunden.

Der Lift war einfach viel zu langsam. Wieso war das so? Kaum glitten die Türen auf, rannte er schon durch die Lobby hinaus auf die Straße. Er schaute nach links und rechts. Wo war sie hin? Er konnte sie nirgends entdecken.

Es überraschte ihn, wie enttäuscht er über die Entwicklung dieser Angelegenheit war. Was hatte die süße Rose nur mit ihm angestellt? Für gewöhnlich würde er sich keine Gedanken um eine Frau und ihren verletzten Stolz machen. Doch nun war er getrieben vom Drang, seinen Fehler wiedergutzumachen und sich ihr von seiner besten Seite zu zeigen. So wie er wirklich war und nicht so, wie ihn die Medien und sein Management darstellten.

Er hatte genug für heute und winkte sich ein Taxi. Mist, seine Gitarre war noch oben. Er zückte deshalb seine Geldbörse und holte einen Zwanzigdollarschein heraus. Mit diesem Trinkgeld in der Hand bat er einen der Securities, ihm die Gitarre vom Dach zu holen. Der Wachmann nahm den Bonus gern an und eilte davon. Kurz darauf kehrte er mit dem Koffer zurück und Nick bestieg das wartende Taxi Richtung Times Square.

Er sah auf der ganzen Fahrt fortwährend diesen Engel in Schwarz vor sich. Wenigstens wusste er jetzt, dass sie eine gemeinsame Bekannte hatten.

Nothilfe

Rose

„Oh, dieser nervige, arrogante, eingebildete, gut aussehende, sexy Mistkerl!“ Rose fluchte auf der Rückbank des Yellow Cabs vor sich hin und erntete verwunderte Blicke des Chauffeurs. Wieder wurde sie von dieser unsäglichen Hitze in Wellen überrollt, die sie nicht wollte und überhaupt völlig unpassend fand. Weshalb war sie eigentlich so wütend? Er hatte sie lediglich begrüßt und sie hatte ihn angekeift. Das war doch gar nicht ihre Art. Jetzt war es wohl an ihr, sich zu entschuldigen.

Bei ihrer Wohnung stieg sie aus und gab dem Fahrer ihr letztes Geld. Mist, jetzt musste sie für die nächsten vier Tage den Gürtel enger schnallen. Vielleicht konnte sie ein paar Extraschichten im Hotel schieben?

In ihrem Zimmer schälte sie sich aus der engen Pelle, die Kleid genannt wurde, und zog die piksenden Haarnadeln heraus. Danach legte sie sich schlafen. Doch leider fand sie nicht die nötige Ruhe, weshalb sie kurz nach Sonnenaufgang ihre Joggingsachen anzog und mit der U-Bahn Richtung Central Park fuhr, um dort ihre gewohnte Route zu laufen.

Sie passierte The Reservoir, den größten See des Parks, der seit 1994 offiziell Jacqueline Kennedy Onassis Reservoir hieß. Das Guggenheim und das Metropolitan Museum of Art waren ganz in der Nähe dieses Sees.

Die Ruhe im Park war heilend und erlaubte ihr, sich zu besinnen. Als sie um die Ecke bog, bemerkte sie drei Jogger, die auf sie zukamen. Sie ging immer im Park laufen und natürlich war sie auch schon öfter Hotelgästen dabei begegnet. Den Mann in der Mitte kannte sie und er war der Letzte, den sie hier sehen wollte. Was um alles in der Welt machte Nick Hamilton um diese Zeit hier im Central Park? Musste er nicht seinen Rausch ausschlafen?

Joggen, was dachtest du denn, woher er seinen Adoniskörper hat?

Sie brachte ihre innere Stimme resolut zum Schweigen. Das Letzte, was sie wollte, war diesem Typ jetzt über den Weg zu laufen und dabei an seinen Body zu denken. Sie zog ihr Baseballcap tiefer ins Gesicht und senkte den Kopf. Die drei Männer passierten sie, ohne sie weiter anzusehen. Sie machte dann jedoch einen grundlegenden Fehler. Sie drehte sich, ohne stehen zu bleiben, zu Hamilton um, weshalb sie die Beule im Asphalt nicht sah und sich daran den Fuß umknickte. Der Schmerz ließ sie kurz aufschreien und sie ging zu Boden. Sie schlug sich Hände und Knie auf, aber ihr Sprunggelenk tat am meisten weh. Was war sie doch für ein Schussel.

Mist, elender! Hoffentlich hatten Nick Hamilton und seine beiden Schatten nichts davon bemerkt.

Sie versuchte aufzustehen und es gelang ihr auch. Ihr Fuß trug zwar ihr Gewicht, doch bis zur nächsten U-Bahn war es noch weit.

„Haben Sie sich verletzt?“ Diese Worte ließen sie die Zähne zusammenbeißen und sie vermied es, sich aufzurichten, damit Hamilton, der den Unfall doch bemerkt hatte, sie nicht erkannte.

„Nein, alles okay, danke.“ Sie wandte sich um und wollte weiterrennen, doch ihr Fuß rief schmerzhaft zum Streik auf und sie konnte nur hinken wie eine lahmende Ente.

„Das scheint mir aber nicht der Fall zu sein. Soll ich einen Krankenwagen für Sie bestellen?“ Er klang ehrlich besorgt, aber sein Vorschlag klang einfach nur lächerlich.

„Nein, es geht mir gut“, antwortete sie und hob unbedacht den Kopf. Sie erkannte ihren Fehler erst, als sein blauer Blick schmal wurde. Sie senkte den Kopf gleich wieder und rannte schwer hinkend davon.

Shit, shit, shit!

Nick