Männer - Ann-Marlene Henning - E-Book

Männer E-Book

Ann-Marlene Henning

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Beschreibung

Alles, was Männer über Körper, Beziehungen und Sexualität wissen müssen – von Deutschlands bekanntester Sexologin Ann-Marlene Henning. Mannsein ist oft mit großem Druck verbunden – denn Männer müssen leistungsfähig sein, sexuell aktiv und stark. Doch gerade in Sachen Liebe, Gesundheit und Beziehungen werden wichtige und richtige Fragen eher verdrängt. Ann-Marlene Henning und Jesper Bay-Hansen beschäftigen sich in ihrem Buch mit dem Mann und seiner Gefühlswelt, seinem Körper und seiner Sexualität. Die beiden Experten räumen mit Klischees auf, setzen dem sexuellen Leistungsdenken etwas entgegen und teilen ihr Wissen über Stoßtechniken, Genitalmassagen und Beckenbodentraining – in jeder Hinsicht aufschlussreich (auch für Frauen) und mit viel Humor.

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Seitenzahl: 446

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Ann-Marlene Henning • Jesper Bay-Hansen

Männer

Körper. Sex. Gesundheit.

Aus dem Dänischen von Daniela Stilzebach, im Deutschen bearbeitet von Ann-Marlene Henning

Mit Illustrationen von Louis Harrison und Fotos von Erik Engelhardt

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Alles, was Männer über Körper, Beziehungen und Sexualität wissen müssen – von Deutschlands bekanntester Sexologin Ann-Marlene Henning.

 

Mannsein ist oft mit großem Druck verbunden – denn Männer müssen leistungsfähig sein, sexuell aktiv und stark. Doch gerade in Sachen Liebe, Gesundheit und Beziehungen werden wichtige und richtige Fragen eher verdrängt. Ann-Marlene Henning und Jesper Bay-Hansen beschäftigen sich in ihrem Buch mit dem Mann und seiner Gefühlswelt, seinem Körper und seiner Sexualität. Die beiden Experten räumen mit Klischees auf, setzen dem sexuellen Leistungsdenken etwas entgegen und teilen ihr Wissen über Stoßtechniken, Genitalmassagen und Beckenbodentraining – in jeder Hinsicht aufschlussreich (auch für Frauen) und mit viel Humor.

Über Ann-Marlene Henning • Jesper Bay-Hansen

Ann-Marlene Henning wurde in Viborg geboren und studierte in Hamburg Neuropsychologie und in Dänemark Sexologie. Anschließend führte sie diese Ausbildung in der Schweiz mit dem Sexocorporel-Konzept und in Deutschland mit einem Master in Sexologie fort. Sie bietet heute als niedergelassene Psychotherapeutin in ihrer Praxis in Hamburg Paar- und Sexualtherapie an. Ihre Bücher und Fernsehdokumentationen über Aufklärung und Sexualität machten sie bundesweit bekannt.

 

Jesper Bay-Hansen ist Facharzt für Allgemeinmedizin, EESM-zertifiziert in Sexualmedizin (FECSM) und mit weiteren akademischen Abschlüssen in u.a. kognitiver Therapie und positiver Psychologie (CiPP). Er leitet in Kopenhagen eine Privatpraxis für Paar- und Sexualtherapie. Bekannt wurde er durch seine zahlreichen Bücher und öffentlichen Vorträge.

PrologVon vorbeischlendernden Handwerkern, skandinavischen Hundehaltern und verschwitzten Joggern …

«Hast du Zeit im April? Ich kann vom 10. bis 16. günstig fliegen. Bitte sag schnell Bescheid …» Eine typische Jesper-an-Ann-Marlene-E-Mail, um das nächste Schreibtreffen in Spanien zu verabreden. Es ging dabei um ein Buch über Männer, um dieses Buch. Wie es dazu kam und warum wir, zwei Dänen, gerade im Süden Europas gemeinsam daran arbeiten wollten, ist eine kleine Geschichte wert.

Jesper Bay-Hansen ist Facharzt für Allgemeinmedizin und hat unter anderem in den USA eine Ausbildung in Positiver Psychologie absolviert, in der es verstärkt darum geht, die Stärken und Fähigkeiten eines Menschen in den Vordergrund zu stellen, darum, wie er sie nutzen kann, um glücklich zu sein, um gute Beziehungen zu führen. Ich selbst habe Neuropsychologie und Psychologie in Hamburg studiert und beende bald meinen Master in Sexologie in Sachsen-Anhalt, an der Hochschule Merseburg. (Ja, das gibt es in Deutschland, Sexualität als akademisches Fach!)

Jesper und ich begegneten uns zum ersten Mal in Kopenhagen vor sieben Jahren. Wir besuchten beide eine Fortbildung, und es machte sofort klick! Jesper lud mich nach Spanien ein, wo er ein kleines Haus mit Blick auf das Mittelmeer sein Eigen nennt. «Komm jederzeit vorbei», sagte er zum Abschied. Ich nahm seine Einladung an und flog kurze Zeit später nach Gran Alacant an die Costa Blanca. Die Reise endete zu meiner großen Überraschung damit, dass ich mir selbst ein Haus, nur wenige Schritte von Jespers Domizil entfernt, kaufte – noch bevor ich in den Flieger nach Hause Richtung Hamburg stieg! Doch nicht genug: Als Jesper mich zum Flughafen brachte, sagte er, als ich durch die Passkontrolle ging: «Ann-Marlene, es fehlt ein Buch über Männer auf unserem Gebiet – warum hat das noch keiner geschrieben?»

Mir war das ebenfalls nicht entgangen. An Ort und Stelle beschlossen wir, dass wir die fehlende Lücke selbst schließen wollten. Wir wollten das Buch schreiben, eines, das vom männlichen Liebes- und Sexleben handeln sollte. Leider dauerte es fast zwei Jahre, bevor Jesper und ich mit dem Schreiben begannen, erst Anfang 2015 ging es endlich los. Gut drei Jahre feilten wir an unseren Gedanken, stets in Alicante – mit einer einzigen Ausnahme schien bei jedem Treffen die Sonne, und es war um die dreißig Grad warm. Wir tauchten im Pool oder im Meer ab, um uns zu erfrischen, denn unsere Gespräche über Sex von Männern führten gelegentlich zur Überhitzung! Starker Kaffee und ab und an ein Stück Kuchen in einem Café ließen unsere Diskussionen aber wieder aufflammen, während Gäste an den Nachbartischen mitunter sehr interessiert lauschten. Bis spät in den Abend hinein tauschten wir, manchmal von dem einen oder anderen Drink begleitet, fachliches Wissen und persönliche Erfahrungen aus, am Ende konnten wir sagen, dass unser Favorit Gordon heißt, nicht Harahorn (klar, es geht hierbei um Gin-Marken). Probleme? Keine. Oder doch: einmal, bei einem ungewöhnlich heftigen Unwetter um Weihnachten 2016 herum, das mich zwang – natürlich nur zum Schreiben –, bei Jesper unter die Decke zu kriechen, weil das Schlafzimmer in meinem Haus voll Regenwasser gelaufen war.

Ansonsten hatten wir, im wörtlichen Sinne, beste Aussichten auf die Männerwelt: Immer wieder liefen Handwerker mit freiem Oberkörper und in kurzen Hosen an der Veranda vorbei, auf der Jesper und ich gemeinsam arbeiteten. Mehr als einmal drehten wir unsere Köpfe Richtung Straße. Das schaukelte unsere Gespräche weiter hoch: «Möchte wissen, wie er sein Werkzeug einsetzt! Glaubst du, er verwendet Hodenwachs?», fragte Jesper. Unser dänischer Humor, der mitunter derb sein kann, aber häufig ein Grinsen hervorzaubert, traf aber nicht nur Handwerker, sondern ebenso verschwitzte Jogger und skandinavische Hundehalter – und uns selbst. Wir hoffen, dass genau dieser Humor und unsere gute Laune auch Sie erheitern wird.

Was sich dann während unserer Zusammenarbeit entwickelte, wurde ein enthüllendes, aber auch erfreuliches Update zum Liebesleben und zur Sexualität des Mannes, das nicht nur mit vielen Mythen aufräumt, sondern auch Antworten auf Fragen gibt, die im Männerleben – und während des Lebens mit einem Mann – auftauchen. Was heißt: Das Buch richtet sich nicht nur an die Vertreter des männlichen Geschlechts, sondern an alle, die zum Thema Mann-Sein mehr wissen wollen.

Wir wollten etwas schaffen – und ich hoffe, dass es gelungen ist –, bei dem Sie sich sagen: «Genau, das wollte ich schon immer über Männer wissen.» Außerdem wollten wir – und das vor allem – eine Brücke zwischen Männergesundheit auf der einen Seite und Problemen in der Partnerschaft, sexuellen Dysfunktionen und Krankheiten auf der anderen Seite schlagen. Dabei stellten Jesper und ich fest, dass wir immer wieder mit den gleichen «heißen» Themen nach Spanien reisten, obwohl wir angenommen hatten, dass es im Umgang mit Sex große Unterschiede zwischen Dänemark und Deutschland gibt. Offenbar war dem nicht so.

Die Themen, die wir besonders hervorheben, haben mit den Erfahrungen zu tun, die wir in unseren jeweiligen Praxen in Dänemark und Deutschland gemacht haben. Mittlerweile haben wir mehrere tausend Gespräche mit Klienten geführt, diese haben unser Wissen vertieft und unseren Blick für das geschärft, was bei den meisten Männern und Paaren Relevanz hat.

So ist dieses Buch entstanden. Wir wünschen viel Vergnügen beim Lesen!

Für jeden Menschen, der auf Geschlechtsunterschiede achtet, gibt es einen Menschen, der Geschlechtsgleichheiten sucht. • Für jeden Menschen, der das Genital, den Körper und die Geschlechtsidentität als untrennbar sieht, gibt es einen, der das Genital, den Körper und die Geschlechtsidentität garantiert voneinander trennt. • Für einen jeden Menschen, der einen «richtigen» Jungen oder Mann als physisch stark erlebt, gibt es einen Menschen, der einen «richtigen» Jungen oder Mann als psychisch stark erlebt. • Für einen jeden Menschen, der meint, dass Männer vom Mars und Frauen von der Venus kommen, gibt es einen Menschen, der meint, dass sowohl Männer als auch Frauen von allen Planeten dieses Universums kommen können. • Für einen jeden Menschen, der nur eine Art und Weise anerkennt, Mann oder Frau zu sein, gibt es jemanden, der unendlich viele Arten anerkennt, ein Mensch zu sein. • Für einen jeden Menschen, der Geschlechtsneutralität als ein Ideal sieht, gibt es einen Menschen, der Geschlechtsneutralität für eine Gefahr hält. • Für einen jeden Menschen, der den Kampf der Geschlechter als überstanden betrachtet, gibt es einen Menschen, für den der Geschlechterkampf gerade erst beginnt. • Für einen jeden Menschen, der Geschlechtsidentität als einen dynamischen Entwicklungsprozess sieht, gibt es einen Menschen, der Geschlechtsidentität als angeboren und unveränderlich sieht. • Für einen jeden Menschen, der sagt #MeToo, gibt es einen Menschen, der sagt #IchNicht.

Sind Frauen und Männer verschieden?

In einem Männerleben können viele Fragen auftauchen – sowohl was den Körper betrifft, als auch zur sonderbaren Sache namens Liebe und zur Sexualität. Aber bevor wir uns ihnen widmen, eine ganz andere Frage, die schon unzählige Male gestellt wurde: Sind Frauen und Männer verschieden?

Ja, lautet die kurze und fast schon banale Antwort. Selbstverständlich. Frauen und Männer sind verschieden. Und je mehr Unterschiede wir suchen, desto mehr finden wir. Die viel wichtigere Frage lautet hierbei: Warum ist diese Unterschiedlichkeit so wichtig? Die meisten Menschen wissen natürlich, ob sie ein Mann oder eine Frau sind, oder – genauer gesagt – ob sie einen Männer- oder Frauenkörper haben. Was aber bedeutet das? Ist jemand durch eine solche Kategorisierung automatisch weich oder hart in seinem Verhalten? Oder kann jemand dadurch besser oder schlechter über Gefühle oder Sex reden, hat viel oder weniger sexuelle Lust? Masturbiert mehr oder weniger? Wird unweigerlich vom anderen Geschlecht angezogen? Man kann auch so fragen: Fühlt sich jemand wie ein Mann, nur weil er wie einer aussieht? Und: Was hat es für Reaktionen zur Folge, wenn ein Mensch sich anders benimmt, als Normen für das erkennbare Geschlecht nahelegen?

Wenn ein Konstrukt wie Geschlecht – und ein solches ist es – einzig aus zwei Einheiten besteht, noch dazu gegensätzlichen, es also nur Mann und Frau gibt, bleiben weitere Fragen nicht aus. Doch statt sofort darüber zu diskutieren, möchten wir erst einmal einen Blick auf die angeblichen Unterschiede der Geschlechter werfen – auf die üblichen Verdächtigen.

Haben Sie jemals darüber nachgedacht, was Ihr biologisches Geschlecht entschieden hat? Hatten Ihre Eltern in einer bestimmten Stellung Sex? Oder zu einer bestimmten Tageszeit? Was machte aus, dass Sie mit dem schniedeligen «kleinen Unterschied» ausgestattet wurden, der so große Bedeutung für Sie und Ihre Sexualität bekam? Was macht(e) aus dem Samen und dem Ei ein Mädchen?

Entgegen landläufigen Vorstellungen gibt es keine endgültigen wissenschaftlichen Antworten auf diese Fragen. Hätten Sie das gedacht? Nicht unbedingt, oder? Die meisten erinnern sich sicher noch aus ihrem Biologieunterricht daran, dass die Kombination der Geschlechtschromosomen – XX oder XY – bestimmt, ob es ein Mädchen oder ein Junge wird. Mittlerweile hat sich jedoch gezeigt, dass es nicht so einfach ist.

Nun, die meisten Menschen mit der Kombination XY werden mit Penis und Hoden geboren und die mit dem XX-System mit Klitoris, Scheide und Eierstöcken. Aber es gibt Jungen und Männer, die ein zusätzliches X-Chromosom besitzen, also das sogenannte Klinefelter-Syndrom (XXY) aufweisen, bei dem die klassischen Erscheinungsformen des männlichen Geschlechts verschoben sind, der Körperbau ein anderer ist, auch ein gewisser Mangel an Testosteron auftritt. Oder es kommen Mädchen auf die Welt, die einen Penis haben, manche Frauen entwickeln einen solchen, wenn ihre Brust zu wachsen anfängt. Sie scheinen also mit den männlichen Geschlechtschromosomen XY ausgestattet zu sein, ihre Gene weisen aber das weibliche XX-System auf – trotzdem haben sie einen Penis. Das Geschlecht (oder das Genital) ist also nicht allein durch Geschlechtschromosomen definiert. Insgesamt rund tausend Gene wirken auf die Bildung des Genitals ein und beeinflussen, als welches sichtbare Geschlecht ein Mensch geboren wird. Zum Geschlecht gehört aber weitaus mehr als das äußere Genital selbst, die Geschlechtsorgane, die zur Fortpflanzung beitragen. Und keinesfalls sagt diese biologische Tatsache etwas Eindeutiges über Fähigkeiten und Charaktermerkmale eines Menschen aus, obwohl immer wieder – äußerst undifferenziert –, bestimmte Eigenschaften einem bestimmten Geschlecht zugeschrieben werden, zum Beispiel, dass Männer aggressiver sind als Frauen, während Frauen wiederum empathischer als Männer sind. Nicht zu vergessen: dass Männer besser einparken können und einzig Frauen multitaskingfähig sind. Solche Generalisierungen begrenzen Menschen und führen nur dazu, dass falsche Vorstellungen über Frau und Mann kursieren, sie mit genauen Erwartungen belegt werden. Menschen, die jedoch mit diesen Geschlechterstereotypen brechen, fallen negativ auf. Kann ein Mann etwa andere Menschen besonders gut verstehen und ist in der Lage, seine Gefühle zu zeigen, gilt er als «Warmduscher», er muss schwul sein. Strahlt eine Frau hingegen Tatkraft aus, wirkt entschieden oder reagiert sogar latent aggressiv – alles Eigenschaften, die als typisch männlich gelten –, wird sofort auf das prämenstruelle Syndrom (PMS) getippt. Falls einem dieses Wort nicht einfällt, heißt es schlicht: «Diese Frau ist so unweiblich.» Geschlechterstereotypen können also diskriminieren, sie können Individuen schaden und Beziehungen zerstören.

 

Unser Zugang zum Thema Geschlecht ist Resultat tagtäglicher klinischer und therapeutischer Erfahrung (Paartherapie oder Einzelgespräche), begleitet und unterstützt zudem von neuester Forschung. Sie werden deshalb hier kaum den «typischen Mann» oder die «typische Frau» kennenlernen – die im Übrigen meist heterosexuell sind! –, sondern wir möchten sie mit allgemein menschlichen Gedanken, Gefühlen, körperlichen Erlebnissen, Reaktionen, Handlungen und Eigenschaften konfrontieren, denen Sie erst einmal selbst nachspüren und vielleicht wiedererkennend zustimmen können, völlig unabhängig von Ihrem Geschlecht. Da dieses Buch aber vordergründig ein praktischer Ratgeber über den Mann ist, werden Sie von Dingen erfahren, die auf viele Männer zutreffen, manchmal aber ebenso auf einige Frauen wie auch auf Menschen, die sich weder als das eine noch als das andere Geschlecht identifizieren.

Wenn es für uns wichtig ist, schon in der Einleitung das Geschlechterverständnis hervorzuheben, liegt es daran, dass das Geschlecht eines Menschen schon immer bedeutsam war, wenn nicht sogar einen entscheidenden Einfluss auf den Wert und damit auch auf die Möglichkeiten eines Individuums innerhalb der Gesellschaft gehabt hat – und noch immer hat. Und weil das so ist, müssen Sie ein wenig Geschlechter-Geschichte aufnehmen, bevor wir mit den eigentlichen Inhalten weitermachen. Wir versprechen, dass es kurzweilig wird! Nötig ist es allemal, weil viele Komponenten über die menschliche Sexualität in Verbindung mit der Auffassung stehen, die wir uns über das Geschlecht gemacht haben.

1949 wurde das Buch Das andere Geschlecht der französischen Autorin Simone de Beauvoir veröffentlicht, das sich explizit gegen die vorherrschende Auffassung von einer Geschlechterordnung und einem damit einhergehenden spezifischen Rollenverständnis wandte, bei der Frauen als «niedere» Wesen betrachtet wurden, dem Mann psychisch und physisch unterlegen und vor allem weniger intelligent. Als Beweis wurde ihr im Gegensatz zum Mann proportional kleineres Gehirn herangezogen. Zu den Vorurteilen gehörte auch, dass die Frauen von Natur aus tugendhaft und keusch und mit einem kleinen oder gar keinem Sexdrive ausgestattet seien. Von Männern wurde dagegen erwartet, dass sie geburtsbedingt klug, stark und voller Ausdauer seien. Ihnen wurde eine schier unkontrollierbare Lust auf Sex angedichtet, die auch als Erklärung herangezogen wurde, um Untreue zu rechtfertigen: Er könne ja nichts dafür, er unterliege bloß seiner Biologie. Es sei seine Natur.

Simone de Beauvoir betonte, dass keinerlei biologische Faktoren, also keine Keimdrüsen oder Hormone, für bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen der Geschlechter verantwortlich seien. Es hat sich stattdessen gezeigt, dass das jahrhundertelange Ins-Korsett-Schnüren von Frauen, denen dadurch jegliche normale Atmung abhandenkam, ihre «weibliche Schwäche» bedingte. Ein reihenweises Ohnmächtigwerden war dadurch vorprogrammiert, wenn das Leben zu aufregend wurde. Hätte man die Männer auf gleiche Art «eingebunden», sie hätten auch Mühe gehabt, ihren Mann zu stehen. Bei einigen taucht jetzt vielleicht das Bild von einem femininen Mann auf, der sich erschöpft mit dem Handrücken über die Stirn fährt, bevor er sich auf die Chaiselongue fallen lässt. Dazu könnte es aber noch eine Fortsetzung geben: Eine starke Frau mit offener Jacke greift gerade noch rechtzeitig ein, um dem matt Daliegenden das Riechsalz unter die Nase zu halten.

In einem Spiegel-Interview mit der deutschen Frauenrechtlerin Alice Schwarzer sagte de Beauvoir 1976 nur zu deutlich: «Diese ‹weiblichen› Qualitäten sind also nicht angeboren, sondern resultieren aus unserer Unterdrückung. Aber wir könnten sie auch nach einer Befreiung bewahren – und die Männer müssten sie erlernen … Die so ‹weiblichen› kleinen Mädchen sind fabriziert und nicht geboren!» Das ewig Weibliche ist somit eine Lüge.

Als de Beauvoir ihre «Bibel des Feminismus» schrieb, hatte es über Jahrhunderte nur zwei Auffassungen von Geschlecht gegeben: Entweder war jemand ein Mann oder eine Frau, mit allem, was dazugehören musste. Diese Ansicht diente gleichzeitig als Beleg dafür, dass etwas mit einer Person nicht stimmte, entsprach sie nicht den Zuschreibungen. Eine Frau mit einer eigenen Meinung riskierte, als psychisch krank erklärt zu werden; es kam sogar vor, dass man ihr die Gebärmutter entfernte, weil man den Ursprung ihrer «Hysterie» in ebendiesem Organ vermutete. Für Männer bedeutete Mann-Sein vorwiegend Verantwortung. Konnte ein Mann nicht sich und seine Familie versorgen, wurde er gering geachtet. Ein verständnisvoller und offener Mann, der seine Frau mitbestimmen ließ, wurde nicht selten von seinen Gefährten dazu aufgefordert, seinem Weib das Schweigen beizubringen, um die «natürliche Ordnung» wiederherzustellen.

De Beauvoir akzeptierte das nicht und stritt dagegen an: «Meiner Ansicht nach sollten wir alle, Männer wie Frauen, als Menschen betrachtet werden.»

 

Trotz Frauenbewegung wird von Männern nach wie vor erwartet, dass sie kompromisslos und in Kampfbereitschaft sind, immer Lust auf Sex haben, auch fortwährend stramme Erektionen vorweisen können. Weiterhin wird angenommen, dass ein Mann, was Empfindsamkeit und Emotionen betrifft, begrenzte oder wenig entwickelte Fähigkeiten aufweist. Keine Biologie, keine Gehirnforschung rechtfertigten jedoch diese Vermutungen.

Schon der antike griechische Anatom und Arzt Galenos von Pergamon hob hervor, dass die Geschlechter im Wesentlichen identisch seien, wenn auch in verschiedener körperlicher Ausformung – was den Mann betrifft, mit dem Genital außen, bei der Frau innen. Wie sich zeigen sollte, ist die Idee dieser Ähnlichkeit keineswegs so falsch. Leider führten die Betrachtungen des in Rom tätigen Arztes nicht zu Veränderungen in der Betrachtung und im Umgang von Männern und Frauen.

Die biologischen und medizinischen Diskussionen über die Gleichheit und Unterschiedlichkeit von Frauen und Männern wurden über Jahrhunderte fortgesetzt, immer mit der wohlbekannten Tendenz, Männer über Frauen zu stellen. Noch unsere Mütter und Großmütter besaßen – sobald sie verheiratet waren – wenig Rechte, In den fünfziger Jahren musste beispielsweise eine Lehrerin nach der Eheschließung den Schuldienst verlassen, denn es existierte noch ein Gesetz, das besagte, eine verheiratete Frau dürfe nicht als Lehrerin arbeiten, eine Ehefrau habe sich um Kinder und Mann zu kümmern. Sie verlor mit der Heirat nicht nur ihre Pensionsansprüche, sondern ging in den Besitz ihres Mannes über. Mensch war nur der Mann. Diese Zölibatsklausel (Lehrerinnen mussten ledig, kinderlos oder verwitwet sein) stammte aus dem 19. Jahrhundert, wurde dann aber abgeschafft.

Der Mann hatte auch das alleinige Erziehungsrecht der gemeinsamen Kinder, er konnte über das Vermögen seiner Ehefrau bestimmen, sollte sie erben. Erst vor knapp 120 Jahren wurde den Frauen in Deutschland nach und nach ein Studium an Universitäten erlaubt. Ein Ehemann konnte seine Frau problemlos bestrafen, wenn sie ihm nicht gehorchte, durfte sie (bis 1928) straflos schlagen und prügeln, außerdem sexuell nehmen, wann er wollte. (In Deutschland ist die Vergewaltigung in der Ehe erst seit 1997 strafbar!) Seit 1918 dürfen Frauen in Deutschland wählen – aber bis 1957 nur nach Absprache mit ihrem Mann. Wie so etwas möglich war? Der «Gehorsamkeitsparagraph» (§ 1354) im Bürgerlichen Gesetzbuch wurde erst nach langem Ringen zwischen den Parteien im Sommer 1957 ersatzlos abgeschafft. Danke! Bis 1958 konnte ein Mann das Dienstverhältnis seiner Frau noch fristlos kündigen, und bis 1977 mussten deutsche Frauen ihren Ehemann um Erlaubnis fragen, um einer beruflichen Tätigkeit nachgehen zu können. Interessant für alle mit einem Faible für Skandinavier: Die Wikinger-Frauen konnten sowohl erben als auch über Eigentum bestimmen, konnten, ohne jemanden fragen zu müssen, hauptberuflich Kriegerinnen werden. Eine Scheidung wurde möglich, wenn der Mann sie dreimal geschlagen hatte oder er seinen sexuellen Pflichten nicht nachkam! Die Skandinavier sind noch heute in Geschlechtsangelegenheiten weit vorne. Ein gegenwärtiges Beispiel betrifft das Recht, über den eigenen Körper zu bestimmen. So wurde in Dänemark 1973 die straffreie Abtreibung eingeführt, in Deutschland steht ein Schwangerschaftsabbruch generell unter Strafe, er ist nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Und wie sieht es dabei für den Mann aus? Hat er ein Recht darauf, dass sein gezeugtes Kind geboren wird? Im Prinzip ja, gesetzlich geht es aber dabei nicht um seine Rechte, sondern um die des ungeborenen Kindes auf Leben, dieses sogar auf Kosten der Frau, die nicht frei über ihren Körper bestimmen kann. Eine Abtreibung ist grundsätzlich eine Straftat, die nur in bestimmten Ausnahmefällen «toleriert» wird – der Paragraf 218 im Strafgesetzbuch regelt dies. Auch dürfen Ärzte keine Informationen über einen Schwangerschaftsabbruch bereitstellen, wie das Verfahren gegen die Gießener Gynäkologin Kristina Hänel zeigte. Sie wurde 2017 zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie genau dies getan hatte.

Als Fortsetzung des «Geschlechterkampfes» könnte auch die #MeToo-Bewegung gelten. Diese begann in den sozialen Medien im Oktober 2017 und ist nach wie vor hochaktuell; auch sie ist eine Auseinandersetzung mit sexistischen Strukturen und Geschlechtervorstellungen. Das Hashtag MeToo bekam durch Posts, die von sexueller Nötigung und Missbrauch durch den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein berichteten, starken Auftrieb. Es folgten viele weitere Outings. In Deutschland traf es ebenfalls diverse Größen aus der Filmbranche, auch aus der Politik. Übrigens wurde die #MeToo-Bewegung 2017 vom US-Magazin Time als «Person des Jahres» ausgerufen – eine Auszeichnung, die anfangs nur für Männer gedacht war («Man of the Year»), die aber 1999 geschlechtsneutral umformuliert wurde: «Person of the Year».

Richtig und wichtig finden wir, dass das deutsche Bundesverfassungsgericht im November 2017 entschied, es sei an der Zeit, dass Bürger die Möglichkeit bekommen, sich im Personenregister als drittes Geschlecht eintragen zu lassen, nämlich als intersexuell. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es nur die Wahl zwischen Mann oder Frau, beziehungsweise die Möglichkeit, bei der Geburt das Neugeborene als Junge oder als Mädchen registrieren zu lassen. Deutschland ist das erste europäische Land, das die Einführung eines dritten Geschlechts beschlossen hat. Ausschlaggebend für den Beschluss war der Fall von Vanja, der 2016 beim Gericht landete: Die intersexuelle Person Vanja war als Kind als weiblich registriert worden, fühlte sich als Erwachsene aber weder als Frau noch als Mann. Sie kämpfte jahrelang für eine dritte Option, legte auch eine Chromosomenanalyse vor, die bewies, dass sie in der Tat weder Frau noch Mann ist. Bis Ende 2018 muss nun der Gesetzgeber in Deutschland eine Neuregelung schaffen. Ja, Gleichstellung und Geschlechtsneutralität werden uns weiterhin beschäftigen.

Aber was hat das Ganze mit Sex und einem Männerbuch zu tun? Jede Menge. Denn wer – historisch gesehen – kaum Rechte hat (die Frauen), ist anderen (den Männern) unterworfen, in jeder Hinsicht, darunter auch in sexueller und in Bezug auf das Selbstverständnis des eigenen Geschlechts. Diese Zusammenhänge machen etwas mit beiden Geschlechtern.

Dennoch stehen die Männer hier im Mittelpunkt, mit ihren Genitalien, erogenen Zonen, Orgasmen, sexuellen und emotionellen Sorgen und Freuden. Unser Fokus liegt besonders auf dem sexuellen Wohlergehen und der sexuellen Gesundheit. Für uns beinhaltet Sexualität (erst mal) drei entscheidende Aspekte, die wir hier schon kurz anreißen möchten, weil wir uns darauf durchgehend beziehen werden:

Die Sexualfunktion an sich – also wie jemand körperlich und physiologisch in Verbindung mit Sex funktioniert. Hat ein Mann beispielsweise Lust? Entsteht eine Erektion? Kann er Orgasmen bekommen?

Die Geschlechtsidentität – das Gefühl und das Erleben, ein bestimmtes Geschlecht zu haben.

Die sozialen Beziehungen – am wichtigsten ist hierbei das Zusammenleben, der Mensch in seiner Beziehung (in Wirklichkeit jedoch begegnen wir uns alle als sexuelle Wesen).

Diese drei Aspekte agieren nicht unabhängig voneinander, sind immer gemeinsam am Start. Ein Beispiel: Ein Mann mit Erektionsproblemen und fehlender Lust (Sexualfunktion) fühlt sich meist auch in anderen Bereichen des Lebens als unzulänglich, nicht nur im Sexuellen. Womöglich leidet sein Männlichkeitsgefühl, weil er spürt, dass bestimmte Erwartungen an ihn als Mann von ihm nicht erfüllt werden können. Seine Geschlechtsidentität wird also negativ beeinflusst. Lebt er in einer Beziehung, wird es Auswirkungen auf das Sex- und das Zusammenleben haben. Nicht selten kommt es dann zu geringeren sexuellen Aktivitäten und wenig genussvollem Sex, zu weniger Nähe und mehr Streitereien. Seine sozialen Beziehungen sind damit beeinflusst. Ist jemand Single, versucht er vielleicht Situationen aus dem Weg zu gehen, die auf Sex und Intimität hinauslaufen könnten – zu stark ist der Gedanke: Bloß nicht, was, wenn «er» beim ersten Sex wieder nicht steht!

Die Sexualfunktion erfährt grundsätzlich mehr Aufmerksamkeit als die Geschlechtsidentität und die sozialen Beziehungen. Mit anderen Worten: Das sexuelle Vermögen, hier insbesondere die Erektionsfähigkeit, erhält ein größeres Gewicht im Verhältnis dazu, wie ein Mann seine eigene Männlichkeit erlebt oder wie sein eigenes soziales, emotionales und sexuelles Empfinden ist.

Und ja, die Sexualfunktion ist von Bedeutung, den wenigsten Männern ist es vollkommen egal, ob sie eine gute Erektion zustande bringen oder nicht, trotzdem sollten soziale Relationen und die Geschlechtsidentität nicht außer Acht gelassen werden. Denn ob der Penis Richtfest feiert oder Standing Ovations bekommt, sagt wenig darüber aus, wie es dem Besitzer mit sich selbst und anderen geht.

 

Männer und Frauen teilen ähnliche Bedürfnisse, Wünsche oder Sehnsüchte. Wir sind «gleicher», als wir denken. Doch fokussieren wir uns auf stereotype Unterschiede, werden wir genau diese finden. Genauso wichtig ist aber, die geschlechtsatypischen Fähigkeiten und Eigenschaften anzuerkennen. Frauen haben manchmal deutlich mehr Lust auf Sex als ihre männlichen Partner. Wir sprechen aber lieber weiter davon, dass Frauen ein (langes) Vorspiel beim Sex brauchen und Männer direkt rangehen, obwohl auch dies sich für viele umgekehrt verhält. Es gibt weiche und mütterliche Männer, die liebevoll mit ihren Kindern umgehen, während ihre Frauen Kindererziehung nach dem Motto ausüben: «Hier bestimme ich, und bitte keine Diskussion.» Und ja, wir können knallharte und sehr erfolgreiche Geschäftsfrauen beobachten und Männer, die finanziell und auch sonst kaum für sich einstehen können. Jetzt denken Sie vielleicht: Das trifft aber nicht auf die Mehrheit der Menschen zu! Mag sein, wissenschaftlich bewiesen ist aber, dass keine typischen Männer- und Frauengehirne existieren. Es können Größenunterschiede in verschiedenen Hirnbereichen aufgezeigt werden, aber jedes einzelne Gehirn ist ein individueller Mix «männlicher» und «weiblicher» Charakteristika. Bruce McEwan, der als Neuroforscher an der Rockefeller University in New York zu Geschlechterthemen arbeitet, brachte es auf den Punkt. «Wir beginnen gerade die Komplexität zu verstehen von etwas, das wir traditionell als ‹Mann› und ‹Frau› verstanden haben … Ich glaube, es wird die Auffassung der Leute verändern.»

Obwohl uns die herkömmliche Einteilung in zwei Geschlechter doch so normal vorkommt, gibt es unendlich viele Varianten, Mann zu sein – genauso wie es unendlich viele Varianten gibt, Frau zu sein. Mensch zu sein sowieso. Gleichen Sie und Ihr Partner sich vielleicht mehr, als sie es sich selbst bisher eingestanden haben? Menschliche Vielfalt – darum geht es hier.

Für jeden Mann, der es leid ist, keine Gefühle zeigen zu dürfen, wenn er etwas fühlt, gibt es eine Frau, von der Gefühle erwartet werden, auch wenn sie nicht großartig etwas spürt. • Für jeden Mann, der es leid ist, stark aufzutreten, wenn er sich schwach fühlt, gibt es eine Frau, die es leid ist, schwach zu erscheinen, wenn sie sich stark fühlt. • Für jeden Mann, der seine Sexualität bedroht sieht, wenn er keine knallharte Erektion bekommt, gibt es eine Frau, die durch die knallharte Erektion eines Mannes ihre Sexualität bedroht sieht. • Für jeden Mann, der seine Lust deckelt, anal penetriert zu werden, gibt es eine Frau, die ihren Unwillen, anal penetriert zu werden, im Verborgenen hält. • Für jeden Mann, der es leid ist zu hören, dass Männer andere Menschen schlechter einschätzen können, gibt es eine Frau, die es leid ist zu hören, dass Frauen gut darin sind, andere Menschen zu verstehen. • Für jeden Mann, den die Erwartung belastet, er solle verführen, gibt es eine Frau, die gerne verführen würde. • Für jeden Mann, der seine mangelnde Sexlust verschweigt, gibt es eine Frau, die ihre Sexlust versteckt. • So wie es Männer gibt, die das Gespräch als Weg zu mehr und besserem Sex betrachten, gibt es Frauen, die das Gespräch als große Hürde für mehr und besseren Sex empfinden. • Für jeden Mann, der es leid ist, im Bett die Führung übernehmen zu müssen, gibt es eine Frau, die es leid ist, im Bett keine Führung übernehmen zu dürfen.

Teil IMänner und Mythen

Über Geschlecht, Sexualität und Liebe

Was macht einen Mann zum Mann? Sein Glied? Das Y-Chromosom? Ein sonderbarer X-Faktor? Sein Verhalten? Sein Erleben des eigenen Geschlechts? Oder ganz andere Dinge? Mythen, Generalisierungen und Stereotype gibt es zu diesem Thema genug. Lassen Sie uns einige davon loswerden, danach wird vieles leichter und lustiger.

Ihr Leben begann mit einer Ei- und einer Samenzelle, die im Eileiter Ihrer Mutter zueinanderfanden und sich schnell zu immer mehr Zellen entwickelten – und schon waren Sie als kleiner Süßer oder Sie als kleine Süße unterwegs, um rund neun Monate später Ihre Eltern und das Leben mit einem lauten Schrei zu begrüßen.

Danach fingen Ihre Unternehmungen aber erst richtig an! Wie alle Neugeborenen fingen Sie an, Ihre Hände, Füße, Arme, Beine – und natürlich Ihr Geschlechtsteil – wie nebenbei zu berühren. Später wurde Letzteres bewusst und äußerst neugierig untersucht. Auf diese Weise machten Sie erste Erfahrungen mit Ihrem Körper und fanden auch heraus, dass es Unterschiede gibt zwischen Ihnen und anderen. Dies war der Anfang Ihrer Identität, so bekamen Sie ein Verständnis von Ihrem Selbst. Die Entwicklung Ihrer sexuellen Identität, Ihr Verständnis von sich als sexuelles Individuum nahm dann ernsthaft Fahrt auf, als Sie zudem entdeckten, dass Jungs und Mädchen sich voneinander unterscheiden.

Wir erwähnten bereits die Sexualfunktion, die Geschlechtsidentität und die sozialen Beziehungen, sie alle spielen in Ihre übergeordnete sexuelle Identität mit hinein. Diese kann als ein fortlaufender biologischer und psychologischer Prozess verstanden werden, der lebenslang vonstattengeht, in einem engen, dynamischen Zusammenspiel mit anderen Menschen. Sexuelle Identität hat also sowohl mit Funktion und Geschlechtsidentität als auch mit sexueller Orientierung und Verhalten zu tun. Die Begrifflichkeiten sollten dabei nicht verwechselt werden, wobei einige Menschen genau dazu tendieren – sie schmeißen sie kreuz und quer durcheinander, was oft zu großen Missverständnissen führt. Daher eine kleine Begriffserklärung:

Sexuelle Identität beschreibt das Selbstverständnis einer Person von sich als sexuelles Wesen.

Geschlechtsidentität umfasst das Gefühl und das anhaltende und individuelle Erleben einer Person des eigenen Geschlechts.

Sexuelle Orientierung ist die romantische und/oder sexuelle Anziehung von anderen, bezogen auf das Geschlecht.

Sexuelles Verhalten nimmt Bezug auf die tatsächlichen sexuellen Handlungen einer Person.

Noch mal deutlich: Die Geschlechtsidentität ist ein Teil der sexuellen Identität und versteht sich als das eigene dauerhafte Erleben des Körpers und Geschlechts, wie es unter anderem in Kleidung, Sprache und Verhalten zum Ausdruck kommt. Diese Identität entspricht vielleicht – vielleicht aber auch nicht – dem bei der Geburt bestimmten biologischen Geschlecht.

Als Kind fingen Sie irgendwann ganz ohne Bedenken an, das Spielzeug und die Kleidung anderer auszuprobieren. Womöglich zogen Sie als Junge das Prinzessinnenkleid Ihrer Schwester oder der Nachbarstochter an. Oder Sie kopierten als Teenager das, was Ihre Freunde bevorzugten, Sie trugen Trikots Ihrer Lieblingsfußballmannschaft oder Baggy-Pants. Das Nachahmen bezog sich nicht nur auf die Kleidung. Sie kauften oder ließen sich bestimmte Computerspiele schenken, nutzten soziale Medien oder angesagte Streaming-Dienste. Sie pflegten Ihren Look. Als Erwachsener änderte er sich wahrscheinlich. Statt durch Tattoos und Haargel drückten Sie Ihre sexuelle Identität und Ihre Geschlechtsidentität aus, indem Sie sich maßgeschneiderte Anzüge oder fesche Sportkleidung zulegten, redeten wie jemand vom Bau oder mit Fremdwörtern um sich schmissen. Oder Sie fassten sich breit grinsend in den Schritt, um die Blicke der anderen auf eine wirklich männliche und potente Tatsache zu lenken – die Wölbung in Ihrer Hose.

Dieses sexualisierende Verhalten fing wohl weit vor Ihrer Pubertät an: Ihr erwachendes sexuelles Interesse für andere setzte ein und festigte sich während Ihrer Teenagerjahre, um für den Rest Ihres Lebens anzuhalten. Langsam gedieh Ihre sexuelle Identität, wozu auch – sehr zentral – Richtung oder Ziel Ihrer romantischen und sexuellen Sehnsucht gehören, Ihre leidenschaftliche Lust und erotisierenden Handlungen, also all das, was wir unter sexueller Orientierung und sexuellen Vorlieben verstehen. Und genau hier existieren unendlich viele Möglichkeiten und Kombinationen.

Bei sexueller Orientierung denken Sie vielleicht an Hetero-, Homo- und Bisexualität, aber diese Begriffe reichen kaum aus, die vorhandene Vielfältigkeit zu veranschaulichen, von der ein Mensch angezogen werden kann. Da gibt es die Monosexualität, bei der man nur von einem Geschlecht hingerissen ist, bei der Bisexualität ist man von mindestens zwei verschiedenen Geschlechtern fasziniert, bei der Polysexualität von mehreren Menschen, aber nicht unbedingt von allen Geschlechtern, und bei der Pan- oder Omnisexualität werden alle Geschlechtergrenzen überschritten, egal ob Mann oder Frau, Zwitter, bi- oder transsexuell (ausgenommen sind Minderjährige und Tiere). Und vergessen Sie dabei nicht, dass die sexuelle Orientierung sich mit der Zeit ändern kann. Denken Sie an die zahlreichen Erzählungen von Menschen, die jahrelang monosexuell waren und später erkennen, dass sie von mehr als einem Geschlecht sexuell und/oder romantisch angezogen sind.

Viele von uns sind bisexueller – werden emotional oder auch sexuell von mehr als einem Geschlecht angezogen –, als sie glauben oder es sich eingestehen. Unsere sexuelle Identität und unsere dazugehörige Geschlechtsidentität sind also keine eindeutig angeborenen Größen. Sie umfassen viel mehr als ein Kreuz auf der Geburtsurkunde im Kästchen Junge oder Mädchen. Und nicht nur das Glied oder die Vagina, die Sie haben oder nicht haben, entscheiden darüber, ob Sie ein Mann oder eine Frau sind oder sich als solcher beziehungsweise solche fühlen. Wenn von Ihrer sexuellen Identität die Rede ist, geht es um Ihre persönliche Sexualität als Ganzes.

Unser «Geschlechts-Cursor» bewegt sich nicht nur im Lauf eines Lebens zu neuen Positionen, sondern wechselt auch von Situation zu Situation seinen Platz. Ein Mann kann sich beispielsweise sehr maskulin fühlen, wenn er eine Frau – oder einen Mann – küsst, ein Auto repariert, Essen kocht oder Windeln wechselt. Oder er erlebt sich als «sehr männlich» oder «wenig männlich», wenn er gerade jemanden so richtig durchvögelt. Unser Erleben vom Geschlecht ist tatsächlich weitaus komplexer, als es mit den Worten «Mann» oder «Frau» ausgedrückt werden kann. Wo befindet sich Ihr Geschlechts-Cursor gerade? Wie fühlen Sie sich in diesem Augenblick als sexuelles Wesen?

Unsere (sexuellen) Handlungen sagen nichts Eindeutiges über unser Selbstverständnis aus oder darüber, wo sich jemand in den Schubladen hetero-, bi- oder homosexuell platziert. Sie können sich durchaus als heterosexuell erleben und fühlen, wenn Sie etwa Sex mit Personen des gleichen biologischen Geschlechts hatten – und vielleicht noch immer haben.

Geschlechter-Wirrwarr?

Das Verständnis von Geschlecht kann, wie gesagt, binär oder non-binär sein. Bei einem binären Geschlechterverständnis teilt man das Geschlecht in zwei Kategorien ein: feminin oder maskulin. Bei einer non-binären Auffassung wird das Geschlecht als offene Größe betrachtet, bei der sich jemand als Mann oder Frau definieren kann, als Weder/Noch oder als etwas dazwischen. Das Geschlecht können wir auch mit folgenden Begrifflichkeiten beschreiben:

Das genitale Geschlecht – charakterisiert durch die äußeren Geschlechtsorgane.

Das chromosomale Geschlecht – es besteht für die meisten aus den Geschlechtschromosomen XY (Männer) oder XX (Frauen).

Das gonadale Geschlecht – es ist bedingt durch die Gonaden, die Geschlechtsdrüsen, beim Mann durch die Hoden, bei der Frau durch die Eierstöcke.

Das zerebrale Geschlecht – es verweist auf die geschlechtsspezifische Entwicklung des Gehirns im Embryonalstadium sowie nach der Geburt. Heute weiß man, dass jedes Gehirn sowohl weibliche als auch männliche Anteile hat, letztlich menschliche Anteile.

Das erlebte Geschlecht – es wird durch die eigene Geschlechtsauffassung bestimmt.

Das juristische Geschlecht – wie es im Personalausweis steht. In Deutschland ist es möglich, eine Änderung im Personalausweis und in anderen offiziellen Dokumenten zu beantragen, damit diese übereinstimmen mit dem Geschlecht, dem man sich zugehörig fühlt; auf diese Weise wird ein juristischer Geschlechtswechsel vollzogen. Der Prozess kann jedoch Jahre dauern, wohingegen in anderen Ländern, etwa im konservativen Irland, in Dänemark oder Malta, eine Änderung recht zügig eingetragen wird.

Die Kunst, über die eigene Geschlechtsidentität zu sprechen

Bei weitem nicht jeder identifiziert sich mit dem eigenen biologischen Geschlecht. Hier ein Überblick darüber, wie unterschiedlich Geschlecht erlebt werden kann:

Geschlechtsneutral: Eine Person, die sich als geschlechtsneutral erlebt, identifiziert sich mit keinem Geschlecht. Das Interesse für das bei der Geburt zugeteilte biologische Geschlecht ist oft gering, viele versuchen, androgyn zu wirken.

Cisgender: Hierbei handelt es sich um ein Individuum, dessen Geschlechtsidentität mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. Wer Cisgender ist, identifiziert sich entweder als Mann oder Frau (unabhängig von der sexuellen Orientierung).

Pangender: Eine Person, die dem eigenen Erleben nach nicht in ein binäres Verständnis von Geschlecht hineinpasst, weil sie sich sowohl männlich als auch weiblich fühlt oder sich als ein drittes Geschlecht sieht.

Transfrau: Person mit weiblicher Geschlechtsidentität, die nicht übereinstimmt mit dem biologischen männlichen Geschlecht, das bei der Geburt registriert wurde. Die meisten Transfrauen ziehen es vor, als weiblich bezeichnet zu werden.

Transmann: Person mit männlicher Geschlechtsidentität, die nicht übereinstimmt mit dem biologischen weiblichen Geschlecht, das bei der Geburt registriert wurde. Die meisten Transmänner ziehen es vor, als männlich bezeichnet zu werden.

Transgender: Oberbegriff für Personen, deren Geschlechtsidentität oder -ausdruck nicht mit dem biologischen Geschlecht übereinstimmt; eventuell besteht der Wunsch, eine Geschlechtsanpassung vornehmen zu lassen. Transsexuell ist primär ein Fachausdruck, der in der medizinischen Welt verwendet wird und von Transgender-Personen oft als beleidigend empfunden wird, weil ihre Geschlechtsidentität doch unabhängig von ihrer sexuellen Präferenz ist.

Einige Menschen finden es schwer, sich mit diesen Terminologien zu beschäftigen, und sehen sich schlicht als «Normalo», ohne ihre Geschlechtsidentität weiter benennen zu wollen. Viele spüren sogar einen deutlichen Widerstand gegen diese Art der Einteilung. Das ist auch okay! Nicht jeder ist bereit, sich mit Gender zu beschäftigen, oder kam bisher damit in Berührung.

Das rein Männliche stirbt aus

Niemand ist zu hundert Prozent Mann oder zu hundert Prozent Frau. Ein solcher Ideal-Geschlechter-Prototyp könnte bestenfalls im Labor erschaffen werden. Wissenschaftler entdeckten jedoch, dass für die Forschung gezüchtete rein männliche oder rein weibliche Mäuse entweder gleich nach ihrer Geburt starben oder unfruchtbar wurden. Die Natur unterstützt Diversität, Vielfalt und Variation, um das Überleben einer Art zu sichern.

Ist es nicht an der Zeit, dass wir das Gleiche tun? Ein offensichtlicher Weg, um damit zu beginnen, bestünde darin, uns von den Geschlechterstereotypen zu verabschieden und uns selbst die Freiheit zu lassen, das Geschlecht sein zu dürfen, als das wir uns fühlen. Wohl wissend, dass der Geschlechts-Cursor permanent in Bewegung ist und dass das völlig normal ist. Und das gilt nicht nur für uns selbst, sondern auch für alle anderen.

Der so unglaublich kleine Unterschied

Unser Wunsch, bereits kleine Kinder in die Kategorien Mädchen oder Junge einteilen zu wollen, scheint groß zu sein. Es bedeutet aber auch, dass wir sehr schnell damit beginnen, sie entsprechend unterschiedlich zu behandeln, ob nun bewusst oder nicht. Kategorien geben uns Sicherheit. Bei unserer Geburt bestimmt das, was wir zwischen den Beinen haben, als was wir wahrgenommen werden. Das Genital ist entscheidend, obwohl immer mehr Studien zeigen, dass es mehr als zwei Möglichkeiten, mehr als Mädchen oder Junge, Mann oder Frau gibt.

Steht unser Geschlecht dann zumindest von Beginn an fest? Nein. Das denken wir nur immer. Was unser Geschlecht ausmacht, ist in Wirklichkeit eine äußerst vielfältige Entwicklung, beeinflusst von Chromosomen, Hormonen, anatomischen Gegebenheiten, von den Geschlechtsorganen selbst oder dem Gehirn. Dabei sind unzählige Variationen erkennbar geworden, sodass immer mehr Wissenschaftler das Geschlecht als Kontinuum betrachten, auf dem «weiblich» und «männlich» nur die Endpole sind.

Aber langsam! Fangen wir bei dem kleinen Unterschied an, dem so große Bedeutung beigemessen wird.

Die menschlichen Geschlechtsdrüsen entwickeln sich bereits in der vierten Schwangerschaftswoche. Jeder Embryo trägt dann die Vorstufen für beide Geschlechter in sich, hat also männliche und weibliche Anlagen. Mit anderen Worten: Wir sind alle intersexuell! Erst danach beginnt die Differenzierung. Enthalten die Zellkerne zwei X-Chromosomen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es ein Mädchen wird. Bei einem XY-System wird es vermutlich ein Junge. Mit Sicherheit lässt sich das aber nicht sagen, denn letztlich bestimmt erst das komplexe Zusammenspiel aus Genen und Hormonen und Gehirn die Entwicklung des Geschlechts im Mutterleib.

Jeder Embryo hat eine Anlage für Geschlechtsdrüsen und zwei Wolff’sche Gänge (benannt nach dem Begründer der modernen Embryologie Caspar Friedrich Wolff), die sich in die männliche Richtung entwickeln können. Weiterhin gibt es zwei Müller-Gänge (sie beschrieb zuerst der Anatom Johannes Peter Müller), die in die weibliche Richtung steuern können. Die Entwicklung und Ausdifferenzierung dieser jeweiligen Anlagen wird in der sechsten bis siebten Woche vorangetrieben. Der Embryo ist dann knapp ein Zentimeter groß.

Die Geschlechtschromosomen wurden 1921 entdeckt, 1985 fand man das SRY-Gen – eine Region auf dem Y-Chromosom, die das männliche Geschlecht bestimmt, deshalb der Name: Sexdetermining Region of Y. Lange Zeit wurde das SRY-Gen als weitgehend alleinverantwortlich für die Entwicklung des Fötus zum männlichen Geschlecht angesehen. Heute ist klar, dass das SRY-Gen zweifellos Einfluss hat, jedoch nicht in so hohem Maße wie früher angenommen. Männliche Entwicklung fand nämlich auch dann statt, wenn das berühmte SRY-Gen nicht gegenwärtig war. Und es wurden manchmal Föten beobachtet, bei denen das SRY-Gen aktiv war und sich trotzdem Eierstöcke und weibliche Geschlechtsmerkmale herausbildeten. Es gibt also noch genügend Aspekte, die keineswegs endgültig geklärt sind. Was auch immer es ist, das die Weiterentwicklung der neutralen Basis in eine geschlechtsspezifische Richtung in Gang setzt: Eindeutig lässt sich nur sagen, dass alle möglichen biologischen Helfer mit am Werk sind.

Die typische männliche Entwicklung fängt damit an, dass sich aus der Geschlechtsanlage Hoden entwickeln. Die Hoden schütten Testosteron aus. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Jungen. Denn das Hormon bewirkt, zusammen mit anderen Faktoren, dass – aus den Wolff’schen Gängen – Samenleiter, Samenblasen und Prostata entstehen. Die weiteren männlichen Genitalanlagen, Eichel, Penis und Vorhaut, formen sich gleichzeitig, während die weiblichen Anlagen, die Müller-Gänge, eingehen. Schlägt die biologische Entwicklung die weibliche Richtung ein, entstehen aus der Geschlechtsanlage Eierstöcke. Sie produzieren das Hormon Östradiol. Unter seinem Einfluss gestalten sich – aus den Müller-Gängen – Eileiter, Gebärmutter und der obere Teil der Scheide. Die männlichen Anlagen verkümmern, während sich aus den weiblichen zudem die Klitoris, die Geschlechtslippen und die Harnröhrenöffnung entwickeln. Bei jedem einzelnen Schritt kann es aber auch anders kommen. Hormone, Chromosomen, die inneren, die äußeren Geschlechtsorgane – alles kann noch variieren. Und nicht immer ist von außen zu erkennen, was im Inneren mit unserem Geschlecht los ist.

Stellen Sie sich vor, Sie werden geboren und sehen aus und fühlen wie ein Mädchen. Sie wachsen auf, kommen in die Pubertät, Ihre Freundinnen kriegen ihre Tage, bei Ihnen bleiben die aber aus. Ihre Eltern machen sich Sorgen, sie schicken Sie zu einem Arzt, und dieser stellt fest, dass Sie ein XY-System haben, also genetisch eigentlich männlich sind.

Der berühmte kleine Unterschied befindet sich also nicht zwischen den Beinen, sondern verbirgt sich im genetischen Gepäck, wo er weiterhin von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird. Zum Beispiel kann die Ernährung der Mutter, als sie schwanger war – überhaupt ihr Lebensstil –, das Geschlecht des Kindes noch im Mutterleib beeinflussen. Diese Erkenntnis hat das Forschungsgebiet der Epigenetik zutage gebracht, die sich mit Änderungen unseres Erbguts jenseits des genetischen Codes befasst. Der kleine Unterschied ist somit anders – und noch kleiner –, als wir lange Zeit angenommen haben.

Fake oder Fakten?

Um ein paar Mythen aus der Welt zu schaffen, sei gesagt, dass die Chance (oder das Risiko), einen Jungen zu bekommen, nicht erhöht ist, wenn man in einer bestimmten Stellung oder betrunken Sex hat. Nur wenn eine Frau schon einmal einen Jungen geboren hat, ist die Wahrscheinlichkeit, beim nächsten Mal noch einen zur Welt zu bringen, geringfügig höher. Eine gute Samenqualität steigert die Aussicht auf einen Jungen, während eine schlechte Samenqualität mehr für ein Mädchen spricht. Auch ein kalorienreiches Essen der Frau kurz vor der Empfängnis kann zu einem Jungen führen. Die Bauchform sagt dagegen absolut nichts über das Geschlecht des Kindes aus. Dass ein kleiner, spitzer Bauch auf eine bevorstehende Jungengeburt hindeutet, ist und bleibt ein Hebammen-Mythos, der eher etwas über unser Interesse am Geschlecht eines Kindes aussagt.

Kritische Gender-Wendepunkte

Der französische Endokrinologe Alfred Jost entfernte 1947 bei Experimenten mit Kaninchen-Föten in einem sehr frühen Stadium die neutrale Geschlechtsanlage. Die so «bearbeiteten» Kaninchen entwickelten sich, unabhängig davon, ob sie XY- oder XX-Chromosomen hatten, in die weibliche Richtung. Jost wollte mit seinen Versuchen herausfinden, welche Sekrete – und er ging allein von Sekreten aus – dafür verantwortlich sind, eine bestimmte Geschlechterentwicklung auszulösen. Er stellte dabei fest, dass der Fötus während seiner Entwicklung an einen kritischen Verzweigungspunkt gelangt, an dem die Geschlechterdifferenzierung anfängt. In der Phase davor konnte er keine Geschlechtsunterschiede feststellen, stattdessen entdeckte er, dass genetisch männliche oder genetisch weibliche Tiere gleichermaßen über das Potenzial verfügen, maskuline oder feminine Merkmale zu entwickeln. Aber das wissen Sie ja schon.

Die männliche Sexualität von Geburt an

Die meisten Eltern kennen heute bereits vor der Geburt das Geschlecht ihres Kindes. Nichtsdestotrotz wird es als ein Wunder empfunden, wenn der Nachwuchs endlich mit einem gellenden Schrei das Licht der Welt erblickt und als Erstes ein begeistertes: «Es ist ein Junge!» oder: «Juhu, es ist ein Mädchen!» erklingt. Dieser Augenblick ist voller Emotionalität, in allen Kreißsälen dieser Welt. Danach erst geht es um die Gesundheit des Kindes. «Ist alles Wichtige dran? Atmet es richtig?»

Die Hebamme oder der Arzt bestimmen zunächst den Apgar-Wert (Atmung, Puls/Herzschlag, Muskeltonus, Hautfarbe und Reflexe) und untersuchen das Neugeborene auf Missbildungen. Die Eltern bangen und hoffen darauf, ein gesundes Kind zu haben, dazu gehören auch wohlgeformte Geschlechtsteile. Nicht wenige sind äußerst erleichtert beim Anblick des winzigen Schniedels, wenn es ein Junge ist. Manche denken auch schon weiter und überlegen, ob die Ausrüstung ihres Sohnemanns eventuell doch zu klein geraten ist. Dazu der Nervenkitzel: Sind die Hoden dort, wo sie sein sollen? Möglicherweise sind sie im Hodensack nicht sicht- oder fühlbar, was gegebenenfalls zu weiterer Besorgnis, zu weiteren Fragen führt.

Die Gedanken und Reaktionen der frisch gebackenen Eltern, wenn sie mit dem biologischen Geschlecht ihres Kindes konfrontiert werden, sagen etwas über deren eigene Sexualität aus. Ist der Vater überzeugt davon, dass die Größe des Penis ausschlaggebend für guten Sex ist, verwundert es nicht, wenn er das Glied des Säuglings mit einer gewissen Beklommenheit beäugt – auch wenn ihn die Vernunft daran erinnert, dass sich größentechnisch sicher noch so einiges tun wird. Wechselt der Vater bei seinem Sprössling die Windeln, atmet er womöglich erleichtert auf, wenn sich beim Kleinen der Schniedel keck und kerzengerade in die Höhe reckt. Eventuell erfüllt es ihn auch ein bisschen mit Stolz, wenn sein Sohn so frühzeitig eine gute Erektion zeigt, bezeugt sie doch, wie sehr Mann er selbst ist. «Mein Sohn!» (Und wer solche Empfindungen nicht hat, ist übrigens auch normal!) Es ist allerdings mehr als ungewiss, ob ein Mann sich traut, diese Gefühle der Freude (der leichten Sorge oder des Stolzes) mit anderen zu teilen.

Erlebt die Mutter während des Windelwechsels das Gleiche, kann der Anblick des kleinen Schniedels sie ebenfalls erfreuen. Vielleicht rutscht ihr aber auch ein «Oh, nein!» heraus, weil sie seit Jahren wenig Lust auf Sex hat und nun daran erinnert wird, wie sie dazu immer gedrängt wurde. «Noch so einer!»

Die alltägliche und natürliche Regung eines kleinen Glieds kann also sehr unterschiedliche Reaktionen auslösen, je nachdem, wer draufschaut. Der Grund hierfür ist, dass wir die Sexualität anderer durch unsere eigene erleben. Das bedeutet, dass wir manchmal mit sehr starken und ausgeprägten Gefühlen reagieren, unter anderem mit Scham, Angst oder Wut, wenn wir mit etwas konfrontiert werden, das gegen unsere eigenen sexuellen Werte oder Erfahrungen verstößt.

Der kleine – in unserem Fall – männliche Mensch zeigt seine bereits vorhandene oder aufkeimende Sexualität aber auch auf andere Weise. So wird er im Lauf seiner ersten Lebensjahre in zunehmendem Maße auf das interessante Ding da zwischen den Beinen aufmerksam. Schnell findet er heraus, wie angenehm es ist, sich genau dort zu berühren. Nicht selten zaubert das ein seliges Lächeln auf das kleine Kindergesicht. Der Junge kann dabei geradezu begeistert und eifrig sein, die beharrliche Kinderhand kann es kaum deutlicher ausdrücken: «Mehr! Ich will mehr davon haben!» Gewissermaßen könnte man von einem «Es sich selbst machen» sprechen, auch wenn dieser Ausdruck nicht gerne im Zusammenhang mit Kindern verwendet wird. Was auch immer derjenige sich gerade selbst macht, es tut zweifellos gut.

Großer Aufmerksamkeitsmagnet: der Schniedel

Jeder, der selbst oder in seinem Umfeld Kinder hat, weiß, dass sie über eine einzigartige Fähigkeit verfügen: Sie können Aufmerksamkeit auf sich ziehen, besonders die ganz Kleinen. Läuft ein kleiner Junge während eines Besuchs von Freunden nahezu unbekleidet durch das Wohnzimmer und präsentiert der Gesellschaft stolz, womit die Natur ihn ausgestattet hat, ruft es bei den Gästen zweifellos Reaktionen hervor – angefangen von erröteten Wangen bis hin zu hochgezogenen Augenbrauen. Jungs sind im Gegensatz zu Mädchen, die höchstens ihren Rock heben können, mit einem überaus potenten Aufmerksamkeitsmagneten ausgestattet: dem Schniedel.

Die meisten Eltern kennen vermutlich diese Situationen, in denen ihr Kleiner allein aufgrund seines Glieds positives – oder negatives – Feedback erfährt. Es sind erste konfrontierende Begegnungen mit der Sexualität des Jungen und der der Erwachsenen. Ob diese als lustige Erinnerungen oder peinliche Episoden in die Geschichte eingehen, hängt in erster Linie davon ab, wie die Eltern mit dem Interesse des Jungen für seinen kleinen eigensinnigen und lustigen Anhang umgehen. Das Verhalten des Jungen basiert wiederum auf einer Reihe von natürlichen Eigenschaften, die bei nahezu allen Kindern vorhanden sind:

Kinder verfügen über eine gesunde Neugierde.

Kinder sind generell experimentierfreudig.

Kinder suchen nach Grenzen: «Gelungen. Nicht gelungen.»

Säuglinge und Kleinkinder imitieren ihre Eltern.

Etwas größere Kinder imitieren ihre Eltern, andere Erwachsene sowie Gleichaltrige.

Meist schätzen Erwachsene bei Kindern deren spielerisches Verhalten. Wir kennen alle das triumphierende Lächeln, wenn Sohnemann oder Töchterchen gerade die ersten Schritte machen oder ganz allein aus dem Plastikbecher mit dem großen Henkel zu trinken versuchen – vor allem, wenn sie dabei erfolgreich sind. Selbst wenn der Möhrenbrei im ganzen Gesicht verteilt wird, löst dies verständnisvolles Grinsen aus. Je sexueller das natürliche Verhalten und die körperliche Entwicklung des Kindes jedoch werden, desto mehr kann dies auf Erwachsene anstößig und provokant wirken. Umso größer das Risiko, dass sich Erwachsene wegen des Kindes schämen, weil sie in ihrer eigenen Sexualität getroffen sind.

Trefferquoten beim Geschlecht

Ist der Schniedel des Jungen ein Aufmerksamkeitsmagnet, so ist der Penis des Mannes ein Supermagnet! Googelt man das Wort «Pimmel», erhält man gut 3200000 Ergebnisse, während es «Muschi» sogar auf 32000000 Treffer bringt. Bei «Penis» entlarvt sich die Potenz des Wortes mit 296 Millionen Treffern, wohingegen die «Klitoris» es auf nur 18 Millionen schafft. Kommt man da nicht ins Grübeln?

Die elterlichen Reaktionen auf das Sexualverhalten ihrer Kinder ist häufig von einer Scham geprägt, die sie selbst während ihrer Kindheit und Jugend anerzogen bekamen. So entsteht die Sexualmoral, die uns alle bis zu einem gewissen Grad lebenslang prägt und die wir weitergeben. Das äußert sich in Kommentaren wie: «So was macht man nicht!» Oder: «Hände über der Bettdecke!» Mit anderen Worten: Berühren und Genießen der unteren Etagen ist nicht vorgesehen. Entsprechend fummeln weder «anständige Mädchen» noch «gute Jungs» im Schritt herum, obwohl es sich doch so klasse anfühlt. Die Sexualscham der Eltern formt auf diese Weise nach und nach die Sexualität der Kinder. Die Eltern haben meist redliche Absichten. Und ja, in Fällen, wo das sexuelle Verhalten des Kindes grenzüberschreitend oder aggressiv ist, zum Beispiel beim Spielen mit den Geschlechtsteilen an der Kaffeetafel, kann es relevant sein, anzuzeigen, dass das nicht in Ordnung ist, also am falschen Ort stattfindet. Häufig spiegelt das jedoch bloß wider, was Eltern als Kind von ihren Eltern gelernt haben: Sex ist «irgendwie immer schmutzig». Hier nun eine Inspiration, wie unserer Ansicht nach damit anders umgegangen werden kann:

Der kleine Junge, der an seinem Schniedel zieht, könnte von Erwachsenen wie folgt kommentiert werden: «Sieh nur, jetzt wird er länger» (damit bringt man es pragmatisch auf den Punkt). Oder: «Ja, das kitzelt herrlich – nicht wahr» (so wird der Genuss in den Vordergrund gestellt). Ein etwas größerer Junge könnte sich einen Spaß daraus machen, herauszufinden, ob sein steifes Glied am Morgen ein Handtuch halten kann. «Ob ich mit dem Gästehandtuch auf meinem Pimmel auch herumspazieren kann?» Nach einigen Versuchen stellt er fest: «Wow, ich kann!» Welche Wirkung auf die Sexualität des Jungen hätte es Ihrer Meinung nach, wenn beispielsweise der Vater, der zufällig gerade vorbeikommt, sich folgendermaßen zu dem unschuldigen Experiment äußern würde: «Toll – ob der wohl auch zwei Handtücher schafft?»

Sexualscham hindert viele Eltern daran, dem Verhalten der Kinder natürlich und offen zu begegnen, was für alle Beteiligten aber besser (und lustiger) wäre. Selbst wenn das zeitweise für mehr Handtücher im Wäschekorb sorgen würde!

 

Es kann für einen Erwachsenen interessant sein, einen Blick in den Rückspiegel zu werfen. Wird die eigene sexuelle Entwicklung heute neugierig und liebevoll betrachtet, kann sie wie in einem anderen Licht erscheinen. Alter und Erfahrung können zu einem wohlwollenden Selbstverständnis verhelfen, um Lust oder andere positiven Empfindungen besser zu verstehen, und auch eine Sichtweise möglich machen, bei der klar ist, dass Unlust, Unsicherheit, Traurigkeit, Schuld und Scham zum Leben gehören, gleichwohl aber das Ausleben von Sexualität beschränken. Ein retrospektiver Blick kann also den Weg ebnen für ein besseres Sexleben. Denken Sie daran: Ein guter Fahrer schaut nicht nur nach vorne, sondern orientiert sich ebenso nach hinten, selbst wenn es dort nicht nur angenehme oder interessante Dinge zu sehen gibt.

Beschämte Reaktionen seitens der Erwachsenen hinterlassen bei Kindern oft eine Unsicherheit darüber, was sexuell normal und akzeptabel ist. Denn warum sollte etwas verboten sein, was sich doch so herrlich angenehm anfühlt? Was stimmt hier nicht? Wie gehen Sie damit um? Und was erlebten Sie als Kind?

Ein Selbstcheck kann besonders hilfreich sein, wenn Ihre Sexualität sehr schamvoll ist. Sie können so nachvollziehen, wo dieses ungute Gefühl herkommt. Und das wiederum macht es für Sie einfacher, die Scham irgendwann zu überwinden. Womöglich tun Sie sich selbst (und anderen) einen Gefallen, einige der normativen sexuellen Vorstellungen, mit denen Sie großgeworden sind und die es Ihnen schwer machen, Ihre Sexualität entspannt zu leben, aufzuweichen.

Testen Sie Ihre (Sexual-)Scham

Denken Sie an Ihre ersten sexuellen Erlebnisse als Kind zurück. Wie alt waren Sie? Waren Sie allein oder mit anderen zusammen? Was genau passierte da? Wie fühlte es sich an, sexuell erregt zu sein? Löste es Gefühle aus, die verboten oder erlaubt waren? Wo im Körper spürten Sie etwas? In der Brust? Im Schritt? Oder … Woran dachten Sie? An den eigenen Körper? An Ihr Glied? Mochten Sie es, sich selbst anzuschauen und zu berühren? Möglicherweise ging es dabei mehr um den Körper eines Spielkameraden. Berührten Sie sich gegenseitig und beobachteten die Reaktionen? Auf welche Reaktionen hatten Sie gehofft? Hatten Sie Sorge, von Ihren Eltern entdeckt zu werden? Oder war das Ganze etwa darauf angelegt? Wollten Sie herausfinden, was erlaubt war und was nicht? Was ist das heutige Resultat Ihrer frühen Erfahrungen? Wie wurden Sie dadurch sexuell und emotional geprägt?