Märchen für große und kleine Kinder - Neuausgabe des Klassikers - Friedrich Wolf - E-Book

Märchen für große und kleine Kinder - Neuausgabe des Klassikers E-Book

Wolf Friedrich

0,0
3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Friedrich Wolfs »Märchen für große und kleine Kinder« begeistern Märchenfreunde mit ihrem zeitlosen Charme seit mehr als 75 Jahren. Die fantasievollen Tiergeschichten rund um Osterhase Purzel Weißfell oder Schnurzel, das Neinchen, das immer nur Nein sagen will, bezaubern bis heute. Ohne erhobenen Zeigefinger machen die pfiffigen Tierhelden Mut zum Selbstbewusstsein und rufen auf zu Toleranz, wie die Möwe Leila und der Specht Pit Pikus, die trotz vieler Unterschiede Freunde werden. Wolfs bekannteste Erzählung »Die Weihnachtsgans Auguste« ergänzt diesen wunderbaren Geschichtenschatz zum Wiederlesen und Neuentdecken.

  • Friedrich Wolf war Schriftsteller, Arzt, Antifaschist, Kämpfer gegen den Paragraphen 218, Satiriker, Journalist und kehrte nach dem Krieg aus dem sowjetischen Asyl in die DDR zurück
  • Ein wichtiger Autor, ein wichtiges Buch - endlich wieder lieferbar

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 160

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Friedrich Wolf

Märchen für große undkleine Kinder

**

Die WeihnachtsgansAuguste

Anaconda

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und

enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte

Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung

durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung

oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in

elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und

zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlichgeschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- undData-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jeglicheunbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Die Märchen für große und kleine Kinder erschienen zuerst 1946,die Erzählung Die Weihnachtsgans Auguste, entstanden 1946, erschienzuerst 1951 in Bummi – Tiergeschichten für große und kleine Kinder,beide im Aufbau-Verlag, Berlin. Alle Texte wurde unter Wahrung vonLautstand, Interpunktion sowie sprachlich-stilistischer Eigenheitenden Regeln der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sindim Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2024 by Anaconda Verlag, einem Unternehmender Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagmotive: Adobe Stock

Umschlaggestaltung: Druckfrei. Dagmar Herrmann, Bad Honnef

Satz und Layout: InterMedia – Lemke e. K., Heiligenhaus

ISBN 978-3-641-31849-9V001

www.anacondaverlag.de

Für die Möwe Leila

Inhalt

Märchen für große und kleine Kinder

Das Osterhasenfell

Purzel und Drax

Die drei in Mexiko

Der Steppenbrand

Schnurzel, das Neinchen

Pit Pikus und die Möwe Leila

Der weite Weg

Der stotternde Kuckuck

Die Biene Cilia und der kleine Franz

Die Weihnachtsgans Auguste

Das Osterhasenfell

Der Frühling war über die Erde gekommen, ein leuchtender, sonniger, bunter Frühling. Die Kinder erwarteten das Osterfest. Für die Osterhasen begannen harte Arbeitstage. Man musste Ostereier sammeln, sie färben und in den Büschen für die Kinder verstecken.

In der Familie des Osterhasen Weißfell herrschte große Aufregung. Ein Teil der Familie war während des Aprilregens erkrankt. Der alte Vater Weißfell litt an Rheuma, und das ist für einen Hasen eine besonders peinliche Sache. Mutter Weißfell musste dem ­Alten mit Huflattichblättern Kompressen machen. So blieb die ganze Arbeit, die Ostereier zu beschaffen, an dem Jüngsten der Familie Weißfell hängen, an dem Häschen Purzel.

Die Mutter Weißfell war anfangs dagegen, dass Purzel allein die Sache ausführen sollte; denn das Ganze war nicht ungefährlich. Man musste sich nachts in den Hof des Großbauern Schluckebier schleichen, dort trotz des Hundes die Eier aus dem Nest der Hennen nehmen, sie zum Hasenbau zurückbringen, färben und dann wieder als Ostereier, ganz früh am Ostermorgen, für die Kinder in einem Garten verstecken.

Der alte Weißfell krümmte sich auf seinem Lager und stöhnte, dass es einen Stein erweichen konnte. Die jungen Hasen husteten, krächzten und niesten, dass abends die Sterne am Himmel zu wackeln begannen. Auch dem Häschen Purzel kratzte es furchtbar im Halse, aber es hasste die Krankheit. Es wollte einfach nicht krank sein. Und gerade weil die Sache schwierig war, wollte es sie machen … auch ganz ­allein. Es wollte ins Freie, unter den Sternenhimmel, in die Sonne, zu den Blumen, zu den Farben. Das gefiel ihm sehr. Und was ihm so sehr gefiel, das wollte es auch tun. Das war doch ganz einfach.

So hopste denn das Häschen Purzel zwei Nächte vor Ostern zu dem Hof des Großbauern Schlucke­bier. Vor dem Stall lag an einer langen Eisenkette der Wolfshund Lux. Kaum war Purzel im Hof, so fing Lux furchtbar an zu knurren. In diesem Moment trat gerade der Mond aus den Wolken hervor. Purzel stand vor dem riesigen Wolfshund. »Solch eine Frechheit habe ich in meinem langen, zehnjährigen Leben noch nicht gesehen!«, knurrte Lux grimmig. »Da rollt so ein winziges weißes Fellknäuel nachts in meinen Hof! Hoho, auf dich habe ich grade gewartet als Dessert zu meinem Abendessen! Für dich ist grade noch Platz in meinem rechten hohlen Backenzahn!« Dabei drehte der mächtige Wolfshund seine Augen im Kreise herum wie zwei Mühlräder und sperrte sein Maul auf wie ein Scheunentor, in dem die Zähne wie scharfe Sensen blitzten. »Sprich schnell dein letztes Gebet, und dann lass dich fressen!«

»Darf ich wenigstens vorher Ihren werten Namen erfahren, mein Herr?«, sagte Purzel, um Zeit zu gewinnen, während sein Herzchen zum Zerspringen schlug. »Ich stamme nämlich aus guter Familie und möchte doch wissen, von wem ich die Ehre habe, gefressen zu werden.«

»Mein Name ist Lux, von Beruf Kettenhund! Und nun genug!«

»Mein Name ist Weißfell, Purzel Weißfell. Mein Beruf besteht in meinen Fähigkeiten: Ich kann hopsen, einen Haken schlagen, Männchen machen, im Mondschein tanzen, Klee fressen, von den Blumen farbigen Tau trinken und vor allem in der Sonne liegen.«

»Hohoho! Hauhauhau!«, heulte der alte Wolfshund da auf. »Hohoho, in der Sonne liegen und farbigen Tau trinken, tanzen und Männchen machen, das ist wohl auch ein Beruf! Wo hast du denn das gelernt?«

»Gelernt?«, fragte Purzel erstaunt. »Gelernt? Ich kann es einfach.«

»Kannst du auch knurren und bellen?«

»Vielleicht. Aber ich will es nicht. Wenn ich es wollte, würde ich es auch können.«

»Hohoho! Hauhauhau!«, krümmte sich da Lux vor Vergnügen. »Du kleiner Gernegroß, du weißer Schneeball, du Tröpfchen Mondspucke willst bellen können?!«

»Sie bedienen sich unfeiner Worte, Herr Lux«, tadelte Purzel den großen Wolfshund. »Solche Worte bin ich von zu Hause nicht gewohnt! Zudem, wie sitzen Sie denn da? Die Zunge herausgehängt wie ein wildes Untier, die Pfoten vorgestreckt, als gäbe es nur Sie allein auf der Welt, und den Rücken gekrümmt, als seien Sie ein uralter Hund von zwanzig Jahren!«

Kaum hatte Lux die letzten Worte gehört, so schloss er sein Maul, zog seine mächtigen Pfoten an seinen Leib und legte sich kerzengerade hin; denn uralt wollte er keinesfalls erscheinen.

»Sie lagen die ganzen letzten Jahre an der Kette«, fuhr Purzel jetzt fort. »Man merkt es an Ihren Manieren! Sie kennen nur Ihren Hof und Ihren Wachtdienst! Aber Sie wissen nicht, was das Leben und die Welt bedeuten, wie man sich außerhalb der Mauern Ihres Hofes gut und leicht bewegen kann. Wollen Sie bitte einen Augenblick herschauen, Herr Lux!«

Und Purzel, das Häschen, hatte schon während der letzten Worte begonnen, sich in den zierlichsten Sprüngen zu bewegen, es hopste in schwungvollen Bögen nach rechts und nach links, es machte die komischsten »Männchen« auf seinen Hinterpfoten, dann sprang es plötzlich hoch in die Luft und schoss einen Freudensprung, einen Salto mortale, einen »Purzelbaum« – wobei es exakt wieder auf sein Stummelschwänzchen zu sitzen kam –, einen ganz wunder­baren Purzelbaum! Denn gerade wegen dieser Fähigkeit hieß es ja »Purzel«. Das Ganze sah aus wie ein wilder und doch spielend leichter akrobatischer Tanz, so als wäre eine Silberkugel rasend geworden und tollte da im Mondlicht umher.

Lux, der Wolfshund, war von diesem tollen Spiel und Tanz völlig berauscht. Er schloss ein paarmal die Augen, als traue er sich nicht länger hinzusehen; dabei brummte er leise: »Aber jetzt musst du hier vom Hofe weggehen, sonst …«

»Ich muss gar nichts, Herr Lux«, flüsterte Purzel in sein Ohr. »Ich tue stets das, was mir gefällt und was mir und vielleicht auch den andern Freude macht! Das ist das heilige Gesetz des Osterhasen, verstehst du mich?«

Aber der riesige Wolfshund verstand schon gar nichts mehr. Er antwortete nicht, er hatte den Kopf auf seine Pfoten gelegt und schnarchte leise. Seine Oberlippe war hochgezogen, sodass man seine mächtigen weißen Fänge im Maul blinken sah: Dennoch schien das nicht schrecklich, vielmehr als ob er im Traum lächle.

Purzel hatte in seinem Säckchen fünfzehn blendend weiße Eier nach Hause gebracht. Der alte Weißfell und die ganze Familie besahen voller Bewunderung die Beute. Doch noch war eine große Arbeit zu tun. Die Eier mussten gefärbt und für die Kinder am ­Ostermorgen versteckt werden. Auch das hatte Purzel allein auszuführen. Die andern fürchteten nämlich, dass der Großbauer Schluckebier und der Wolfshund sich bald auf die Suche nach den geraubten Eiern machen würden. Deshalb drängten sie Purzel, dass es sich schleunigst mit den Eiern aus dem Bau entferne.

Purzel nahm sein Säckchen mit den Eiern auf den Rücken und zog wieder allein seines Wegs. Es schlug jetzt eine dem Hof des Großbauern entgegengesetzte Richtung ein. Es stieg den Berg hinan zum Holzfäller Feuerriegel, der fünf kleine Kinder, aber wenig Geld und Nahrung besaß. Die Familie Feuerriegel wohnte hoch oben am Rande einer Schlucht, am »Höllsteig«. Dort standen dunkelgrüne Tannen, wuchsen Wacholdersträucher und Heidekrautbüsche. Dort wollte Purzel die Eier für die Kinder des Holzfällers verstecken.

Zuerst aber mussten sie gefärbt werden. Woher nur die Farbe nehmen? Denn das stand für Purzel fest: toll bunt mussten die Eier werden – blau, rot, gelb und grün, richtige Ostereier! So wollte es Purzel. Und was Purzel wollte, das musste geschehen! Das war sein ­Osterhasengesetz!

Purzel hopste über die Wiesen. Es war noch früh am Morgen. Das Osterhäschen setzte sich auf sein Stummelschwänzchen und dachte nach.

»Was hast du, Purzel?«, fragte vor ihm eine große blaue Glockenblume. »Bist du traurig?«

»Ich brauche für meine Ostereier solch blaue Farbe wie das Blau deiner Blüten«, antwortete Purzel.

»Weil du’s bist, Purzel«, nickte die Glockenblume.

»Trinke meinen Tau, aber küsse mich dabei recht fest, so wirst du im Tau die Farbe meiner Blüte haben.«

Purzel nahm die Glockenblume recht zart zwischen seine Pfötchen und küsste sie lange. Da ward der Tau in dem Blütenkelch der Glocke tiefblau, und Purzel bemalte mit ihm drei seiner Ostereier.

»Dank dir, liebe Glockenblume!«, sagte Purzel. »Aber woher nehme ich jetzt die rote Farbe?«

»Komm zu mir! Komm zu mir!«, rief es von einem Feld her. Da stand in der Sonne ein erster junger Mohn. »Schau mich mit deinen Augen an, recht fest und recht lange! In deinen Augen strahlt die Sonne doppelt stark wider, und ich liebe so die Sonne!«

Purzel richtete seine Augen auf den jungen Mohn, ganz nahe senkte es seine Augen auf ihn. Da begann es aus dem Mohn wie rotes Blut zu tropfen. Und Purzel färbte fünf seiner Ostereier blutrot.

Am Bachrand standen die goldgelben, fetten Dotterblumen. Sie quollen über vor Saft. Purzel brauchte sie bloß an sich zu drücken, und sie ließen so viel goldgelbe Farbe, dass es noch fünf Ostereier in Goldgelb tauchen konnte. Die letzten zwei Eier aber färbte Purzel grün, indem es Huflattichblätter kaute und sie mit seiner grünen Zunge beleckte.

Nun war aber unbemerkt Folgendes geschehen: Das Häschen Purzel hatte jedes Mal, wenn es mit roter, blauer oder gelber Farbe die Eier bestrich, sich die farbigen Pfötchen an seinem Fell abgewischt und zuletzt – als es das Unheil bemerkte – versucht, mit der Zunge die Farben von seinem Fell abzulecken. Aber da seine Zunge von dem Huflattichkauen noch ganz grün war, so kamen zu den roten, blauen und gelben Flecken nun auch noch grüne Placken auf das ehedem so blendend weiße Fell. Das Häschen Purzel sah jetzt selbst wie ein großes, bunt bemaltes Osterei aus.

Einen Augenblick lang war Purzel, als es sich im spiegelnden Bachwasser anschaute, sehr bestürzt über sein Osterhasenfell. Doch was war zu tun? Man musste schnell die farbigen Ostereier zu der Feuerriegelfamilie hoch oben an die Schlucht bringen und sie für morgen verstecken.

Purzel machte sich auf den Weg. Wieder ging es durch blumige Wiesen. Sie standen voller blauer Glockenblumen, auch der rote Mohn war dazwischengesprenkelt, die weißen Margeriten strahlten aus den grünen Wiesen, die gelben Dotterblumen, die violetten Krokusse und das rosa Wiesenschaumkraut mischten sich darein. Bunt stand die Wiese, bunt war die Welt, und das Häschen Purzel mit seinem Osterhasenfell und dem Sack mit den Ostereiern auf dem Rücken hopste durch diesen bunten Frühlingstag.

Hoch oben an dem »Höllsteig« bei dem Feuerriegelhaus schlich Purzel vorsichtig zwischen den Wacholdersträuchern einher und begann die bunten Ostereier zu verstecken: drei unter den Heidekrautbüschen, eins in das blecherne Maul der Regentraufe, zwei bei den Bienenstöcken, eines in einen Puppenkinderwagen, den die kleine Liesel an der Tür hatte stehen lassen, zwei legte es leise auf das Fensterbrett, indem es sich auf den Hackklotz stellte, für drei andere scharrte es eine niedliche »Burg« aus dem Sand und legte sie hinein, nachdem es ringsherum aus abgebissenen Blumen sichtbare »Fähnchen« gesteckt hatte, damit auch die kleinsten Geschwister sie fänden. Die letzten bunten Eier aber klemmte es zwischen die mächtigen, bemoosten Wurzeln der riesigen Tannen.

Purzel hatte so angestrengt gearbeitet, dass es die wütenden Rufe des Großbauern Schluckebier und das Gebell des Wolfshundes Lux erst hörte, als diese schon fast auf der Höhe des »Höllsteigs« waren. Purzel sprang dem Abgrund zu; aber die Schlucht war zu breit, und drunten gähnte die schwarze, furchtbare Tiefe. Purzel rannte den Rand der Schlucht entlang, ob sie nicht doch irgendwie schmäler wurde. Jetzt hatten Schluckebier und Lux das Häschen bemerkt. Eine wilde Jagd begann.

Der große Wolfshund konnte Purzel nicht fassen, weil das Häschen im letzten Moment stets einen »Haken« schlug, sodass Lux viele Meter an ihm vorbeischoss, während Purzel bereits in entgegengesetzter Richtung lief. Dabei verfolgte es die Taktik, ­immer mehr rückwärts nach dem Wiesengelände und dem Bach zu gelangen. Nach einer halben Stunde wilden Jagens und Fliehens hatte Purzel sein Ziel erreicht, sprang über den kleinen Bach in großem Bogen ­hinüber, stieg gleich am anderen Ufer in das flache Wasser und lief – unter den breiten Huflattichblättern geduckt – im Wasser weiter, einige hundert Meter weiter, bis es das Wiesengelände mit dem hohen Gras und den vielen bunten Blumen erreichte. Dort hopste es ein Stück weiter quer hinein in die Wiesen und legte sich mitten unter die blauen Glockenblumen, den roten Mohn und die goldgelben Dotterblumen. Fern klang das zornige Gebell des Wolfshundes Lux, der vergeblich die Spur von Purzel suchte, die sich im Wasser des Baches verloren hatte. Bald hörte man auch das wütende Schimpfen des Großbauern Schluckebier; und nun begann der Wolfshund kläglich zu heulen, offenbar weil sein Herr ihn furchtbar prügelte wegen seiner Unfähigkeit, den kleinen Osterhasen Purzel zu fangen.

Purzel richtete sich vorsichtig zwischen den Blumen und dem Gras auf. Er konnte bemerken, wie der Großbauer mit einem langen Fernglas die Wiesen und Felder absuchte.

Schnell duckte sich Purzel. Aber dann richtete es sich wieder hoch, nachdem es einen Blick auf sein Fell und die blumigen Wiesen geworfen hatte. Sein buntes Osterhasenfell sah ja genau aus wie ein Teil der Wiese selbst. Auch mit dem schärfsten Fernglas konnte man das bunte Fell des Häschens Purzel nicht von der farbigen Frühlingswiese unterscheiden. Purzel knabberte ein bisschen an dem saftigen Gras, dann legte es sich zwischen die bunten Blumen nieder. Und immer wieder hörte es das klägliche Heulen des Wolfshundes Lux, den sein Herr prügelte, weil er das Häschen nicht hatte packen können.

Purzel spürte einen Augenblick das Heulen des Lux in seinem Herzen, so als sausten die Schläge auf sein eigenes buntes Fell nieder. Der Wolfshund hatte vor zwei Tagen in der schönen Mondnacht doch seinen Sprüngen, Künsten und Tänzen so nett zugeschaut; er hatte es sich gefallen lassen, dass Purzel ihm seine Osterhasenweisheit ins Ohr flüsterte, er war darüber eingeschlafen, hatte sogar im Schlaf gelächelt und es – Purzel – in den Hühnerstall zu den Eiern gelassen, ohne sich groß als Wachhund aufzuspielen. Offenbar hatte Lux inzwischen alles wieder vergessen, die schöne Mondnacht, die Tänze von Purzel und seine doch so nette Osterhasenweisheit. Sonst hätte er sich nicht von dem rohen Großbauern Schluckebier auf das kleine Häschen Purzel hetzen lassen, um es zu packen, damit Schluckebier es totschlüge. Nein, Lux war ein Kettenhund! Nun musste er die Folgen tragen und sich von seinem Herrn prügeln lassen! Und doch ist Lux – der riesige Wolfshund – eigentlich viel stärker als sein Herr. Er konnte Schluckebier mit einem Sprung niederwerfen und in Stücke reißen! Und dann frei sein! Und dann würde Purzel ihm öfters vortanzen und seine netten Geschichten und Weisheiten aus der Osterhasenwelt erzählen, aus der Welt; die voll ist von Blumen und Farben, von Sonne und Sprüngen in die freie Landschaft, in Wiesen, in stille Wälder mit Sauerklee und Anemonen, in endlose, dunkelblaue Sternennächte, wo man durch das schweigende Land streifen kann nach Herzenslust.

Immer noch heult der geprügelte Wolfshund. Lass ihn heulen! Das Häschen Purzel streckt sich lang und schläft ein, während die warme Sonne über sein buntes Osterhasenfell streicht und die Blumen sich leise diese neueste Geschichte aus ihrem riesigen, bunten und freien Erdreich zuflüstern … aus jenem Reich, das hundert Schluckebiere, und würden sie mit hundert Wolfshunden jagen, niemals erobern können.

Purzel und Drax

Es waren die letzten warmen Herbsttage. Die Sonne schien wie durch einen silbernen Schleier auf die Erde. Die wenigen gelben und blutroten Blätter, die noch an den Zweigen hingen, flatterten wie müde Schmetterlinge hierhin und dorthin auf den Waldboden und über die kahlen Felder. Auf den Wiesen standen nur noch die grauen Wuschelköpfe der Disteln; ihre Tausende grau befiederten Samen schwebten wie kleine Flugzeuge im leichten Wind der Dämmerung.

Ja, die Tage wurden fühlbar kürzer. Schneller kroch der Nebel vom Bachrand herauf.

»Vorwärts, Kinder«, mahnte Vater Weißfell, der Hase, »wir müssen unseren Bau für den Winter herrichten! Frisches Moos und Heu als Matratzen hinein! Kohlblätter und Mohrrüben in die Vorratskammern! Und vor allem Notausgänge nach allen Seiten graben, falls der Schnee uns verschüttet! Das ist deine Aufgabe, Purzel!«, befahl er.

Das Häschen Purzel begann mit seinen Geschwistern die Mulde für den Winteraufenthalt der Familie Weißfell am Rande einer Kiesgrube auszuwühlen. Aber bald schmerzten ihm seine Pfötchen. Zudem schien grade die letzte Herbstsonne. Immer wieder löste sich ein Blatt vom Wipfel der hohen Buche und tanzte im Winde weiter über die braunschwarze Erde. Und auch das Häschen Purzel spürte in sich eine unbezähmbare Lust, bevor es Winter wurde, noch einmal zu tanzen und seine berühmten Purzelbäume zu schlagen.

»Lass das, Purzel!«, sagte sein älterer Bruder Pepo. »Genug gesprungen und getanzt! Jetzt heißt es arbeiten, so wie der Vater es befohlen hat!«

Purzel grub weiter mit seinen Pfötchen an dem Notausgang aus der Mulde. Seine Pfötchen schmerzten mehr und mehr; es arbeitete mit der Schnauze; auch das war kein Vergnügen. Aber Purzel konnte nur das mit Erfolg machen, was ihm Vergnügen machte; das war für es genauso ein Gesetz wie für den Kettenhund Lux das Knurren und wie für den Specht Pit ­Pikus das Klopfen an den Bäumen.

»Ich werde die Erde, die ihr herausgewühlt habt, forttragen«, sagte Purzel zu Pepo, »dann habt ihr hier mehr Luft und Platz!«

Gesagt, getan.

Purzel schleppte in seiner aus Kohlblättern verfertigten Tasche die ausgewühlte Erde über das Feld weg zum Waldesrand. Und jedes Mal, wenn es die Erde weggeschüttet hatte, schaute es sich um, ob die Geschwister es nicht sahen; und dann begann es zu tanzen und Purzelbäume zu schlagen nach Herzenslust. Denn ohne Purzelbäume war für Purzel das Leben einfach kein Leben. Das sagte doch schon sein Name!

Wie nun Purzel – am Waldrand kroch schon der Herbstnebel über den Boden – wieder einmal die Erde weggeschüttet hatte und an seinen Tänzen und Purzelbäumen sich erfreute, da plötzlich verlor es den Boden unter sich, aus einem Purzelbaum wurden zwei, es rutschte wie von selbst in ein tiefes Loch oder in einen halbdunklen Gang. Und da saß ein unheimliches Wesen mit braunschwarzem Gesicht und einem Bart.

»Ha, du toll gewordener Schneeball!«, sagte das schwarzbraune, bärtige Wesen. »Was tust du hier in meiner Höhle und zerstörst den Eingang zu meinem Winterbau, du wirbliger Eisklumpen?!«

»Ich bin kein Schneeball und kein Eisklumpen!«, entgegnete Purzel. »Ich bin Purzel Weißfell!«

»Das kann jeder sagen!«, erwiderte das braunschwarze, bärtige Wesen. »Ich jedenfalls bin Dagobert, der Dachs, der Herr dieser Höhle! Aber was hast du für Beweise?«

»Beweise?«, fragte Purzel erstaunt.

»Nun, dass du Purzel Weißfell bist!«