Märchenhaft - Elisabeth - Larissa Schwarz - E-Book

Märchenhaft - Elisabeth E-Book

Larissa Schwarz

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Beschreibung

Nach einem Schicksalsschlag atmet Elisabeth tief durch und gibt dem Sommer eine Chance. Sie wartet auf ihr Date, als ausgerechnet ihr früherer Widersacher Moritz erscheint. Der letzte Mensch auf Erden, dem sie an diesem Abend begegnen will. Ein für die beiden typisches Wortgefecht lässt den fürchterlich begonnenen Abend eine 180-Grad-Wendung nehmen und führt Elisabeth Schritt für Schritt an Moritz' wahre Natur heran. Der nämlich gibt sich anfangs geheimnisvoll, da er nicht so recht weiß, wie er Elisabeth nahebringen soll, dass er nicht der ist, für den er sich jahrelang ausgegeben hat. Ihre Freundinnen Marie und Isabelle stehen ihr zur Seite, allerdings mit ungeahnten Folgen ... Auf Schloss Eschberg wird es märchenhaft, doch Elisabeths 30. Geburtstag stellt alles auf den Kopf. Wird die Reise nach Irland der Schlüssel zum Glück?

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Märchenhaft – Elisabeth

Band 1 der Eschberg-Reihe

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.d-nb.de abrufbar.

Texte: © Larissa SchwarzUmschlaggestaltung: © Larissa Schwarz

Verlag:

Edition Eschberg – Larissa Schwarz Heisterbusch 1

46539 [email protected]

Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Freitag, 08.06.

»Was machen Sie denn hier?«

»Ich sitze. Außerdem trinke ich Kaffee. Und ich lese Zeitung. Benötigen Sie noch mehr Informationen oder genügt das Ihrer Neugier?«

»Kratzbürstig wie eh und je ...«, antwortete er mit gespieltem Genuss. Ungefragt nahm er sich einen Stuhl und setzte sich zu ihr an den Tisch. Abwertend sah sie ihn an und entgegnete affektiert: »Für Sie immer. Es soll jedoch Menschen geben, die das anders sehen ...«

»Deswegen warten Sie wohl auch? Weil es Menschen gibt, die auf Kratzbürsten stehen?« Amüsiert neigte er den Kopf.

»Wer sagt, dass ich warte?«

»Elisabeth, es ist Freitag, 17.15 Uhr. Für eine Verabredung eigentlich etwas früh, aber hier auf dem Land werden ja bekanntlich um 19 Uhr die Bordsteine hochgeklappt. Also entweder sind Sie für 17.30 Uhr verabredet und früh dran oder Sie warten, weil 17 Uhr Sie versetzt hat.«

»Sie sind ein Fuchs, Moritz. Ich warte tatsächlich.« Sie holte tief Luft. »Auf Ihren Abgang!«

»Oh, dann viel Freude dabei. Ich werde mich so lange an den Tisch hier setzen und auch warten.« Er sah sie immer noch charmant und höflich an. Zwinkerte. Grinste breit.

Elisabeth blickte demonstrativ auf ihr Tablet und fragte sich, was dieser Kerl sich eigentlich einbildete.

Moritz war für sie kein Unbekannter. Und genau darin lag der Grund, warum er der letzte Mensch war, auf den sie heute hätte treffen wollen. Sie waren gewissermaßen Arbeitskollegen gewesen, kannten sich von unzähligen Meetings und abteilungsübergreifenden Projekten, aber das letzte Mal, dass sie ihn gesehen hatte, war etwa ein halbes Jahr her. Die Saat für ihre gegenseitige Abneigung war jedoch viel eher gelegt worden, vor etwa zwei Jahren. Sie hatte ihm die Laune verhagelt, als sie seine Abteilung in der Jahrespräsentation als das schwarze Schaf der Consulting-Firma dargestellt hatte. Es war nicht ihre Idee gewesen, Moritz anzuprangern. Zwar hatte sie die Präsentation vorbereitet und moderiert, die Inhalte aber waren von der Geschäftsleitung gekommen. Moritz wusste das und sie wusste, dass er es wusste. Dennoch waren er und Elisabeth sich spinnefeind. In weiteren Meetings hatte er versucht, den Spieß umzudrehen und sie bloßzustellen, ihre Abteilung und ihre Arbeit schlechtzureden und ihren Chef auf sie anzusetzen. Dr. Bruckmann jedoch war loyal seiner Assistentin gegenüber, er wusste, was er an ihr hatte und ließ das keineswegs unerwähnt.

Auf dem Tablet hatte Elisabeth die Zeitung inzwischen zu Ende gelesen und starrte nun immer wieder auf den Nachrichteneingang. Sie hatte Sebastian vor ein paar Tagen auf der Party ihrer Freundin kennengelernt und ihn interessant gefunden. Er hatte diese warmen braunen Augen, ein mitreißendes Lächeln und war der Erste, der ihr nicht mit der Mitleidsnummer begegnet war. Elisabeth hasste es, sich zum Tod ihres Mannes äußern zu müssen; zwischen ihnen war es schon seit Monaten schwierig gewesen. Jan hatte dann den Auftrag in Indien angenommen, bei dem er auf einem Zubringerflug verunglückt war. Sie hatte die Nachricht mitten in der Nacht erhalten und war am nächsten Morgen zur Arbeit erschienen, als sei nichts passiert. Erst eine Woche später, als Jan eigentlich hätte zurückkommen sollen und ihr Chef ihr einen schönen Abend mit ihm gewünscht hatte, brach es aus ihr heraus. Im Nachhinein schämte sie sich für den Gefühlsausbruch, Dr. Bruckmann jedoch hielt das für ganz natürlich und hielt sie dazu an, sich ein paar Tage frei zu nehmen und abzuseilen.

Die von ihrem Chef verordnete Zwangsauszeit hatte sie dann damit verbracht, Unterlagen zu sichten, mit Jans Arbeitgeber und der Fluggesellschaft zu sprechen und die Bank zu informieren. Jan war Waise gewesen, er hatte einen Halbbruder, der jedoch bereits vor Jahren den Kontakt abgebrochen hatte. Sie hatten sich zu gegenseitigen Alleinerben in ihren Testamenten eingesetzt, nur für den Fall der Fälle. Dass dieser Fall tatsächlich eintreten würde, war damals für sie so weit weg, wie die Erde vom Mond. Es gab niemanden sonst zu informieren und da sie kinderlos geblieben waren, stand sie mit neunundzwanzig Jahren plötzlich vor den Trümmern ihres Lebens.

Was mache ich eigentlich hier?, fragte sich Elisabeth. Sie sah immer noch auf ihr Handy und hätte sich am liebsten geohrfeigt. Es war 17.32 Uhr und sie saß in diesem Café in Eschberg, eine halbe Autostunde von zu Hause entfernt. Sebastian wohnte eigentlich östlich von ihr, sie hatten sich auf seinen Vorschlag in der ländlich gelegenen Stadt treffen wollen. Elisabeth war schon ein paar Mal in Eschberg gewesen, hatte mit ihren Freundinnen Wellness-Wochenenden dort verbracht, sich die Ausstellungen im Schlossmuseum angesehen oder das jährliche Classic-Car-Treffen in der Altstadt besucht. Nun hatte Sebastian diesen Ort für ein Date vorgeschlagen; er wollte ihr dort etwas zeigen. Sie überlegte, was es sein könnte. Das Schloss vielleicht. Oder die alte Mühle? Wohl kaum das Shoppingcenter oder den Wald?

Eschberg hatte knapp siebzigtausend Einwohner, ein Kino, mehrere Cafés; ein nettes verträumtes Städtchen mit perfekter Autobahnanbindung. Genau diese würde sie gleich auch wieder nutzen, um nach Hause zu fahren. Gedanklich hing sie sich aber weiter an Sebastian auf. Ihre Freundin Marie kannte ihn von der Arbeit und hatte sich für ihn verbürgt, er sei zwar etwas kauzig, aber nett und zuverlässig. Zuverlässig, dass ich nicht lache, ging es ihr durch den Kopf. Was hatte sie sich dabei gedacht, sich auf ein Date einzulassen? Es schien ihr nicht verwerflich; auch wenn ihre Liebe zu Jan schon länger tot war als er, hatte sie einen gewissen Anstand gewahrt, war eine Weile wenig ausgegangen und trug dunkle Farben. Jetzt jedoch begann der Sommer und sie spürte, wie ihr einiges an Ballast von den Schultern gefallen war. Der Abend mit Sebastian hatte ein Anfang sein sollen. Von was auch immer. Es hatte sie zwar ein wenig Überwindung gekostet, zuzustimmen sich heute mit ihm zu treffen, aber Elisabeth hatte das Gefühl gehabt, dass sie den Weg hierher nicht bereuen würde. Sebastian war so locker, sprach so unverblümt mit ihr und scherte sich wenig um Pietät. Das gefiel ihr. Rein optisch war er eine Sieben von Zehn. Ein bisschen zu unsportlich für ihren Geschmack, seine Haare bräuchten dringend einen neuen Look und er war eigentlich auch etwas zu klein. Elisabeth liebte High Heels und bereits in Maries Küche hatte sie die Schuhe ausgezogen, um ihm nicht das Gefühl zu geben, vor einer Riesin zu stehen. Eigentlich war er nur eine Sechs von Zehn. Wenn überhaupt. Was hab ich mir nur dabei gedacht?

»17.35 Uhr. Elisabeth, ich behaupte jetzt mal ganz unverfroren, dass Sie versetzt worden sind.« Der Schuss kam unerwartet von links.

Moritz.

Und der Pfeil saß tief. Elisabeth schlug genervt die Augen auf und drehte sich unwirsch zu ihm hin. Dabei fiel das Tablet vom Tisch und stürzte zu Boden.

»Moritz, Sie sind und bleiben ein Arsch. Warum fahren Sie nicht einfach zur Hölle?«, keifte sie ihn an.

Unerwarteterweise stand Moritz auf, sah sie betrübt an und reichte ihr das Tablet. Es hatte einen hässlichen Kratzer auf dem Display und eine große Delle am Gehäuse abbekommen, funktionierte aber noch.

»Eigentlich wollte ich gerade etwas Nettes sagen, aber wissen Sie, Elisabeth, ich sage lieber nichts mehr, fahre jetzt tatsächlich zur Hölle, gehe mit dem Teufel ein Bier trinken und habe einen wesentlich entspannteren Abend als Sie.«

Elisabeth biss grummelnd die Zähne zusammen und legte das Tablet wieder auf den Tisch. Was bildet der sich eigentlich ein? Und was macht er überhaupt hier? Moritz hatte vor ein paar Monaten die Firma verlassen und galt quasi als verschollen. Die Einen erzählten etwas von Sabbatical, die Anderen von schwerer Krankheit. Von Dr. Bruckmann hatte sie erfahren, dass er wohl wegen einer privaten Angelegenheit gekündigt hatte, aber keinen Kontakt mehr wünschte. Ihr sollte es nur recht sein, auch wenn sie ihn dafür bedauerte, dass er offenbar familiäre Probleme hatte.

»Moritz, warten Sie bitte einen Moment!« Hab ich das jetzt gesagt? Oh, sh... Elisabeth hatte ihre Stimme gehört, ihr fehlte jedoch der Gedanke dazu.

Moritz drehte sich um, er stand bereits an der Tür und sah sie verdutzt an. Auf ihr leichtes Nicken hin ging er die wenigen Schritte in ihre Richtung zurück.

»Ja, bitte? Wollen Sie mir noch eine Gemeinheit an den Kopf werfen oder soll ich dem Teufel nur liebe Grüße von seiner besten Schülerin ausrichten?«

»Moritz, ich weiß nicht, was Ihre Kündigung veranlasst hat und es steht mir nicht zu, Sie danach zu fragen. Auch wenn wir beide nie miteinander warm geworden sind, tut es mir leid, wenn es Ihnen familiär nicht gut ergangen ist. Ich weiß, dass Sie Ihren Job geliebt haben, es wird Ihnen nicht leicht gefallen sein ... Ich ... wünsche Ihnen noch einen schönen Abend und ... Leben Sie wohl!«

Von ihrer eigenen Direktheit überrascht wich Elisabeth etwas zurück und griff ihre Tasche. Moritz stand wie angewurzelt da und sah sie an. Ihm war bereits beim Betreten des Cafés aufgefallen, dass sie lockerer und unbeschwerter wirkte als noch vor einem halben Jahr. Die langen braunen Haare schmeichelten ihr offen getragen wesentlich mehr als die strengen Hochsteckfrisuren im Job und der blaue Paisleymuster-Rock mit dem weißen Top hatte beinahe etwas Romantisches. Aber das war immer noch Elisabeth. Elisabeth Schmidt, die ihm in einem Satz mehr Tiefschläge verpassen konnte als niemand sonst. Elisabeth Schmidt, die immer brillierte, nie Fehler machte und nicht nur Liebling ihres Chefs war. Alle liebten sie.

Ein Grund mehr, sie nicht zu mögen.

Er gewann seine Fassung zurück, nickte ihr zum Abschied zu und ging nach draußen, wo er vor der Tür stehen blieb und kurz überlegte, was er als Nächstes tun würde. Den Abend hatte er frei, Zeit und Lust die Seele baumeln zu lassen und das Leben zu genießen. Elisabeth. Hm ...

Elisabeth hatte gezahlt und ging ebenfalls ins Freie. Sie wunderte sich, warum Moritz noch vor der Tür stand.

»Na, hat der Teufel keine Zeit für ein Bier?«

»Er hat gerade geschrieben, dass er sich etwas verspätet.« Der Spruch saß, dachte sich Moritz. Ihrem Gesicht nach zu urteilen, hatte sich Elisabeths Verabredung noch nicht einmal gemeldet. Ihm war aufgefallen, dass sie die ganze Zeit den Nachrichteneingang überprüft hatte. Er war neugierig geworden. »Mal unter uns, es geht mich ja eigentlich nichts an, aber auf wen zur Hölle haben Sie da drin gewartet?«

»Mag sein, dass in Sebastian, auf den ich gewartet habe, etwas Diabolisches schlummert, aber ich werde es nie erfahren. Für Versetzen ohne gute Erklärung gibt es keine zweite Chance.«

»So, so. Sebastian«, murmelte er. »Sagen Sie mal, das hier ist doch meilenweit außerhalb Ihres Reviers, oder!?«

»Ja? Ich wusste bis gerade nicht, dass ich ein Revier habe. Offenbar wildere ich in Ihrem?« Ihr Augenaufschlag hatte etwas eindeutig Flirtives. Wieder fragte sie sich, was sie da tat und ertappte sich, dass sie ihn musterte. Nun ja,Moritz ist eigentlich nicht zu verachten.Groß, sportlich, dunkles Haar und diese sehnsuchtsvollen, grau-blauen Augen. Wären da nicht sein übertrieben loses Mundwerk und diese Egomanie. Aber irgendwie ist er auch witzig und ... Stop. Das ist Moritz! Moritz Machoman Fürst. Beherrsch dich, Frau Schmidt!

»Na ja, so weit ab vom Schuss ... Sie wollen doch nur sichergehen, dass Ihr Mann nichts von Ihren Heimlichkeiten mitbekommt!«, hielt er fest.

»Moritz, ich habe keine Heimlichkeiten. Mein Mann ist vor fünf Monaten verstorben und ich hätte heute das erste Date seitdem gehabt.« Sie Arsch,

wollte sie noch angefügt haben, aber das wäre unfair gewesen. Woher sollte er es auch wissen?

»Oh.« Er wandte sich ihr zu und sah sie ernst an. »Es tut mir leid, das zu hören. Verzeihen Sie mir meine Gemeinheit von gerade, bitte.«

»Schon in Ordnung. Sie hatten keinen Grund, mich anders zu behandeln als sonst auch. Und ich bin offen gestanden froh, wenn ich nicht ständig bemitleidet werde.«

Moritz schmunzelte, was Elisabeth wiederum verblüffte.

»Ich weiß genau, was Sie meinen.«

»Wissen Sie?« Elisabeth war skeptisch. Familienprobleme hin oder her, in diesem Punkt wusste sie von Moritz zu wenig, als dass sie seine Aussage hätte einordnen können. »Sie sprechen in Rätseln. Was genau meinen Sie?«

»Ich weiß, dass es unhöflich ist, auf eine Frage mit einer Gegenfrage zu antworten, doch bevor ich Sie erhelle, wüsste ich gern noch etwas von Ihnen.«

»Bitte ... Fragen Sie.« Elisabeth war zu neugierig geworden, sie konnte Geheimnisse und Überraschungen auf den Tod nicht ausstehen und hätte ihm daher so ziemlich jede Frage beantwortet.

»Was hatten Sie und dieser geheimnisvolle treulose Sebastian hier vor?«

»Keine Ahnung, wenn ich ehrlich bin. Nach der Party bei meiner Freundin, wo wir uns kennengelernt haben, haben wir ein paar Mal geschrieben und zweimal telefoniert. Er hat dann gefragt, ob wir uns hier treffen wollen, er würde mir gern etwas zeigen. Ich werde wohl nie erfahren, was es hier zu sehen gibt.«

»Hm. Abgesehen von Schloss Eschberg und dem Museum, der Altstadt, dem Kino oder dem Wald gibt es hier hauptsächlich Ruhe und Beschaulichkeit. Und eine Shoppinggalerie. Weltstadt Eschberg ...«

Elisabeth lachte. »Das Schloss kenne ich ganz gut. Ich war mehrmals hier zu Ausstellungen und ich habe mit meiner Freundin ein paar Wellness-Wochenenden im Schlosshotel verbracht. Dabei habe ich auch die Umgebung ein bisschen kennengelernt, also was das Sightseeing angeht, werde ich heute Abend wohl nichts verpassen. Und was Sebastian betrifft ...«, seufzte sie, »da wohl auch nicht.«

Moritz sah sie an und lachte. »Ich scheine vergessen zu haben, wie pragmatisch Sie sind ...«

Elisabeth runzelte die Stirn. »Weichen Sie der Antwort aus, die Sie mir schulden?«

»Nein, das war keineswegs meine Absicht. Ich weiß leider zu genau was Sie meinen, wenn Sie sagen, dass Sie das Mitleid satthaben. Ich habe vor etwas mehr einem halben Jahr meine Frau verloren, sie hatte einen inoperablen Gehirntumor; von der Diagnose bis zum Tod blieben ihr vier Wochen.«

»Oh ... Das wusste ich nicht. Es tut mir leid für Ihren Verlust.«

Betreten sah sie ihn an. Sie standen immer noch vor dem Café. Die Sonne streifte zwar schon den Horizont, aber spendete an diesem frühen Juniabend ein märchenhaftes Licht und einen ersten Anflug der Wärme des nahenden Sommers. Moritz reagierte nicht direkt auf ihren letzten Satz, er sah sie nachdenklich an, keinesfalls böse oder abwertend. Eher abwartend.

Elisabeth ergriff das Wort. »Bevor Sie fragen; ich werde das Gespräch hier für mich behalten. Auch wenn in der Firma die wildesten Gerüchte kursieren.«

»Danke dafür. Ich bin aber unterrichtet. Dr. Bruckmann ist quasi meine Verbindung zur Alten Welt. Ich habe ihn gebeten, nichts dazu zu sagen. Schon interessant, was die Leute so erzählen.«

»Dr. Bruckmann ist eingeweiht?«

»Ja. Er war der Einzige, dem ich mich anvertrauen konnte. Wir kennen uns besser, als es scheint, aber das ist nichts, was jetzt hierher gehört.«

»Verstehe. Moritz, ich will Sie nicht länger belästigen, ich werde jetzt nach Hause fahren und diesen Tag so schnell es geht vergessen.«

Elisabeth war ganz und gar nicht wohl bei dem Gedanken, dass Moritz und ihr Chef unter einer Decke steckten. In der Firma waren sie wie Feuer und Wasser gewesen. Dr. Bruckmann hatte Elisabeth immer wieder darauf angesetzt, Moritz’ Arbeit streng zu kontrollieren und auch in der letzten gemeinsamen Jahrespräsentation hatte es wieder harsche Kritik gehagelt.

»Schade. Ich dachte, dass wir noch mal reingehen würden und unser Gespräch in Ruhe und etwas bequemer weiterführen könnten.«

Elisabeth sah Moritz verwirrt an, er war leicht errötet um die Wangen, blickte beinahe scheu zu ihr hinüber und trat von einem Bein auf das andere. »Bitte wie? Wer sind Sie und was haben Sie mit Moritz Fürst gemacht?«

»Elisabeth, ich weiß, dass das irgendwie seltsam ist, aber ich habe bisher mit niemandem über meinen Ausstieg gesprochen. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich gern mein Schweigen brechen und den miesen Start, den wir heute … und … generell hatten, irgendwie noch ausbügeln.«

»Hm ...« Elisabeth grübelte. Sie sah Moritz von der Seite an. Ohne seine Maßanzüge, nur in Jeans und Shirt, wirkte er so normal und das Nachdenkliche in seiner Stimme ließ ihn beinahe verletzlich erscheinen. Hätte sie heute früh jemand nach einer treffenden Beschreibung für Moritz Fürst gefragt, hätten ihr zwei Worte gereicht: Patrick Bateman. »American Psycho«. In Bret Easton Ellis’ Roman und der gleichnamigen Verfilmung ein Psychopath mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung, mutmaßlicher Killer. Niemand, mit dem man spaßte. Jetzt jedoch war sie gleichermaßen verunsichert wie neugierig. Die unbekannte Seite an Moritz hatte ihr Interesse geweckt.

»Wollen Sie oder nicht?«

»Sorry, ich hatte gerade eine etwas längere Leitung. Ja, gern sogar.«

Moritz blinzelte ihr zu und lächelte.

Oh, er kann ja lächeln ... und wie ... oh-oh ...

Er hielt ihr die Tür auf und berührte sie beim Hineingehen leicht an der Schulter. Diesmal steuerten sie auf einen Tisch am anderen Ende des Cafés zu, vor dem Kamin mit Blick Richtung Marktplatz. Elisabeth vermied es, ihm direkt in die Augen zu sehen, die Berührung an der Schulter war unerwartet gewesen. Zu lang, um zufällig geschehen zu sein, aber zu vorsichtig, um sie als übergriffig aufzufassen.

Im Stuhl zurückgelehnt sah Moritz Elisabeth an. Ihre braunen Augen strahlten eine Wärme aus, die er nie an ihr wahrgenommen hatte, sie wirkte dennoch ein wenig reserviert. Ob sie es ihm übelnahm, dass er sie gerade berührt hatte? Es gab für ihn eigentlich keine Veranlassung dazu, sie anzufassen. Außerdem hätte er sie gestern noch, wenn man ihn nach einem Vergleich zu ihr gefragt hätte, als Fräulein Rottenmeier bezeichnet. Das strenge Kindermädchen aus Heidi, welches größten Wert auf Etikette und Bildung legte. Moritz hatte instinktiv gehandelt; er konnte nicht erklären, warum er ihr nähergekommen war. Wenn es ihr unangenehm gewesen wäre, hätte sie mich zurechtgewiesen, oder? Er wurde noch nicht so recht schlau aus ihr.

Elisabeth nippte an ihrem Kaffee, Moritz hatte sich ein Ginger Ale geordert und beugte sich ein wenig zu ihr vor.

»Elisabeth ...«

»Hm?« Sie sah immer noch aus, als würde sich gleich die Chinesische Mauer um sie herum als Schutzwall auftun.

»Können wir uns vielleicht duzen? Ich meine, wir sind nicht mehr in der Firma, es ist Freitagabend und wir haben gerade angefangen, eine nette Ebene zur Kommunikation zu finden ...«

»So ... Haben wir das?« Natürlich fand Elisabeth es albern, sich zu siezen, Moritz war nur knapp vier Jahre älter als sie und schon in der Firma hätte nichts dagegen gesprochen. Nur wollte sie ihn noch ein wenig aus der Reserve locken. »Für wie lange denn?«

»Was für eine Frage ...« Moritz lachte. »Elisabeth, du bist niedlich. Eigentlich dachte ich, dass das dann für immer gilt. Wir können aber auch gern erst mal nur für heute Abend vereinbaren.« Er wunderte sich tatsächlich ob der Frage nach dem »wie lange«, konnte sich aber ausmalen, dass Elisabeth einmal mehr von ihrer misstrauischen Ader gepackt worden war und sie deshalb dem freundschaftlichen Ton zynisch begegnete.

»Niedlich? Du irrst dich, Moritz. Ich bin alles andere als niedlich. Aber lassen wir das. Ich frage mich die ganze Zeit schon, was dich heute hierhergeführt hat.« Nachdrückliches Lächeln. Auffordernde Handbewegung. Zwinkern.

Moritz schmunzelte. »Das ist ganz einfach. Ich habe der Dame an der Bar gesagt, sie möchte mich bitte immer dann informieren, wenn eine nette junge Frau das Lokal betritt, die offensichtlich nicht vergeben ist und mein Interesse wecken könnte.«

»Schon klar«, lachte sie. »Und jetzt bitte die Wahrheit.« Trotz eines Kopfschüttelns über seine misslungene Lüge blieb bei ihr ein gewisses warmes Gefühl zurück. Wollte er ernsthaft damit sagen, dass sie, losgelöst von allen bisherigen Erfahrungen miteinander, für ihn eine nette junge Frau war, die sein Interesse wecken könnte? Nein. Oder doch?

Das Bild von Moritz veränderte sich vor ihrem inneren Auge beständig und immer wieder drängelte sich seine warme, sanfte Berührung ihrer Schulter dazwischen. In diesem Moment fiel ihr zum ersten Mal auf, dass Moritz’ begehrenswerter Mund an diesem Abend bereits häufiger gelacht hatte, als in allen anderen Situationen zuvor zusammengenommen. Begehrenswert!? Seit wann ... heieiei ... ja, begehrenswert!

»Was soll ich sagen ... Ich wohne nur unweit von hier, hatte Langeweile und heute Abend frei. Ich wollte in Ruhe die Zeitung lesen und entspannt überlegen, was ich noch machen könnte. Aber dann kam mir quasi der Teufel in Prada dazwischen.«

»Erstens trage ich kein Prada; nicht an einem Freitag zu einem ersten Date. Zweitens kam ich dir nicht dazwischen, sondern höchstens in den Weg. Dazwischen hieße ja, dass du deinen ursprünglichen Plan wieder aufgenommen hast.«

»Hm. Bisher habe ich deine Klugscheißerei immer gehasst. Jetzt finde ich das irgendwie – ja, ich bleibe bei niedlich.« Er wusste, dass die Bezeichnung »niedlich« sie provozieren würde.

»Gut. Dann findest du mich halt niedlich. Du wirst schon sehen, was du davon hast.« Sie begann, den Spieß umzudrehen. Necken konnte sie auch. Mal sehen, wie weit Moritz mitging.

»Fein. Dann lass dir gesagt sein, dass du mit zweitens falsch lagst. Ich überlege tatsächlich wieder, wie dieser Abend weitergehen könnte.«

»Hmmm. Okay. Punkt für dich. Aber eigentlich hast du mir vor der Tür gerade suggeriert, dass du reden wolltest. Das klang nach einem fertigen Plan.«

»Markus kann froh sein, dass er dich hat. So muss er nicht alle Haare auf meinem Kopf alleine spalten.«

»Markus? Du meinst Dr. Bruckmann?« Elisabeth wurde hellhörig. Moritz hatte ja angedeutet, dass er und ihr Chef sich besser kannten – es wurde interessant.

»Ja. Komisch, dass ihr euch immer noch siezt. Ich wette, Markus mag dich, bewundert dich ...«

»Bitte? Wie meinst du das? Wenn dem so wäre, würde er mich ja wohl eher duzen als nicht. Oder?«

»Hmmm. Markus ist da etwas komplizierter gestrickt. Wenn ihn eine Frau wirklich fasziniert, hält er sie auf Distanz, bis er sich sicher ist, wie er damit umgehen soll.«

»Weiß er, dass du so von ihm redest?« Elisabeth fragte sich die ganze Zeit, ob und wie sie die Vertrautheit zwischen den beiden Männern übersehen haben konnte, wenn es sie denn gab. Eigentlich galt sie als sehr empathisch, ein derartiges Kulissenspiel hätte ihr auffallen müssen.

»Markus und ich haben zusammen studiert, wir waren eine Zeit lang die besten Freunde. Bis er auf die wahnwitzige Idee kam, ich wollte ihm seine damalige Freundin ausspannen. Völliger Blödsinn, ich fand sie furchtbar. Eigentlich war mein Plan, die beiden auseinanderzubringen. Als ich dann nach ihm in die Firma eintrat, hat er sich entschuldigt, er hätte überreagiert. Dass wir nach außen hin so abweisend zueinander waren, hing ursprünglich nur mit Potthoff von der Personalabteilung zusammen, der das gern so dargestellt hat, damit es nicht so aussah, als hätte Markus einen alten Freund in der Firma untergebracht.«

»Hattest du das nötig?« Elisabeth konnte kaum glauben, was sie da hörte. Mit professionellem Auge betrachtet, war Moritz brillant. Analytisch und umsichtig, ein Rationalist mit Weitsicht. Dass es in seiner Abteilung schlecht gelaufen war, lag weniger an ihm, als an den firmeninternen Umständen. Seit seinem Weggang waren die Zustände im Team fatal geworden. So gesehen hatte er eine Meisterleistung vollbracht, auch wenn die Ergebnisse nach außen hin anderes vermuten ließen.

»Nein. Nötig war das nicht. Ich habe mir zwar in der Uni nicht so viel Mühe gegeben wie Markus, aber den Job habe ich ohne sein Zutun erhalten. Wir haben uns erst nach dem Einstellungsgespräch mehr oder weniger zufällig auf dem Flur gesehen.«

»Sehr seltsam ...«, murmelte sie. Ihre Gedanken schwirrten zunehmend.

»Er hat mir aber wirklich nichts vom Tod deines Mannes erzählt. Ich hätte sonst sicherlich sensibler reagiert vorhin«, warf Moritz ein.

»Schon okay. Ich bin nur gerade etwas überwältigt und kann noch nicht einordnen, wie ich mich ihm gegenüber nächste Woche verhalten soll.«

»Mach dir keine Sorgen, ich kläre das. Versprochen.« Er sah sie aufmunternd an. Elisabeth zweifelte. Wenn das wieder eine von Moritz’ Intrigen war, dann hatte er es diesmal geschafft, sie richtig um den Finger zu wickeln und sie perfekt darin zu verstricken. Jetzt hör schon auf, mich so anzusehen!

Als ahnte er, was in ihrem Kopf vorging, sagte er dann: »Ich bin nicht mehr der alte Moritz, mach dir bitte wirklich keinen Kopf. Ich werde Markus erzählen, dass wir uns unterhalten haben und du brauchst nichts zu befürchten. Keine Spielchen.«

»Ich weiß nicht warum, aber ich vertraue dir da einfach mal«, antworte sie vorsichtig. Es waren weniger seine Worte als wieder sein Blick, der sie beruhigte.

»Weißt du, eigentlich habe ich gerade so überhaupt keine Lust mehr, Trübsal zu blasen ... Lass uns irgendwas unternehmen!« Moritz’ plötzlicher Tatendrang war unübersehbar, er zappelte in seinem Sessel und die Aufbruchstimmung spiegelte sich in seiner Mimik.

»Du bist ja Zucker ... Was schwebt dir denn so vor? Und vor allem: Wer sagt, dass ich mitmache?«

»Hmmm. Gute Frage. Ich wüsste leider nicht, dass heute eine Party für Witwen und Witwer unter fünfunddreißig stattfindet, im Kino war ich gestern mit Markus und gegessen habe ich schon. Wie steht es mit dir?«

»Schade, auf die Party hätte ich dich gern begleitet, Kino war ich auch erst letzte Woche und gegessen habe ich vorhin auf der Arbeit. Das Firmenrestaurant ist immer noch hervorragend.«

»Da war was ... Vor allem die lustigen Experimente mit dem Speiseplan.«

»Erinnerst du dich noch an die Star-Wars-Woche?«

»O ja ... Das war eine der seltsameren Aktionen. Echt lecker fand ich damals die britische Küche. Hätte ich nie gedacht«, nickte er. »Es war eigentlich keine schlechte Zeit bei ECG ... Ein bisschen vermisse ich es schon ...«

Und ich vermisse die Auseinandersetzungen mit dir, schoss es Elisabeth durch den Kopf. War es wirklich so? Bisher war sie davon ausgegangen, dass sie Moritz einfach nur hasste, was wohl auf Gegenseitigkeit beruhte. Irgendwie schwand aber ihre Sicherheit diesbezüglich sekündlich.

»Und nun. Was denkt dein kluger Kopf gerade?« Ihr war beinahe egal, was Moritz vorschlagen würde, allein um ein besseres Gefühl für ihre Emotionen ihm gegenüber zu bekommen, wollte sie den Abend mit ihm verbringen.

»Kannst du Skifahren?«, fragte Moritz sie ganz unvermittelt.

»Skifahren? Ja. Nur nicht besonders gut. Ich fahre eigentlich Snowboard. Wesentlich besser und lieber.«

»Snowboard? Hätte ich dir nicht zugetraut. Geht das auf High Heels?«

Elisabeth lachte. Es gefiel ihr, zu hören, dass Moritz sich in ihr verschätzt hatte. Und dass er offenbar um ihre Vorliebe für High Heels wusste; er musste es sich von damals gemerkt haben, denn heute trug sie, ursprünglich Sebastian zuliebe, Ballerinas. Sebastian. Tja, Pech gehabt. »Ja, Snowboard. Seit 14 Jahren, um genau zu sein. Und nein, das geht nicht besonders gut auf High Heels. Ich habe es zum Spaß mal versucht. Mit ganz viel Panzerband, in Etuikleid und mit Handtasche, aber der Halt war nicht der Beste. Ich bleibe klassisch bei Boots und Bindung.«

Moritz sah sie an, lachte laut und nahm ihre Hand. »Wenn du davon mal irgendwann ein Bild für mich hast, würde ich mich sehr darüber freuen.« Er küsste ihre Hand und sah ihr tief in die Augen. Sein Herz schlug schneller und er biss sich auf die Unterlippe. Vorsichtig legte er ihre Hand wieder ab.

Elisabeth wäre am liebsten in Ohnmacht gefallen. Was war das denn jetzt? Moritz hatte ihre Hand geküsst, sanft wie eine Feder, für einen bittersüßen Moment. Noch vor einer halben Stunde hätte sie an einen Scherz geglaubt, aber jetzt spürte sie ein seltsames Gefühl der Vertrautheit.

Leise erklärte sie, was es mit der Geschichte auf sich hatte. »Es gibt tatsächlich Bilder davon. Eigentlich könntest du sie sogar kennen. Sie sind vor zwei Jahren auf der Weihnachtsfeier entstanden, es war Dr. Bruckmanns Idee!«

»Hm. Vor zwei Jahren war ich im Urlaub, als die Feier war, deswegen hab ich mir die Bilder nie angesehen. Aber umso besser, dann kannst du mir ja Montag direkt den Beweis liefern.«

»Glaubst du mir etwa nicht?«

»Doch, aber ich ...«

»Sprich ruhig weiter ...«

»Vergiss das mit dem Foto.« Er griff ihre Hand und hielt sie fest. Moritz war froh, dass Elisabeth sie nicht wegzog, im Gegenteil, sie hielt ihn fest und sah ihn mit diesem ihm unbekannten Blick an. Nett. Süß. Bezaubernd.

»Hast du Lust, heute noch Snowboard zu fahren?«, flüsterte er.

»Heute? Du meinst in der Halle?«, entgegnete sie leise.

Moritz nickte wortlos. Sag jetzt bitte nicht nein, bitte, bitte, bitte, bi-

»Hm. Da ist es freitags immer so voll ...«

»Bis wir da sind, ist ungefähr sieben Uhr, da ist es nicht mehr ganz so schlimm. Du musst ja nicht, wenn du nicht magst.« Das mit dem Nachsatz war jetzt dumm ...

Sie zwinkerte ihm zu. »Ich mag immer. Sonst hätte ich wohl kaum eine Dauerkarte.«

»Echt? Na, dann lass uns!«

»Fein ...« Elisabeth konnte kaum fassen, welche Wendungen dieser Abend nahm. Sie hielt aber aus einem anderen Grund kurz inne. »Hm. Rein logistisch stellt sich mir gerade die Frage, wie wir das am geschicktesten angehen. Ich komme auf dem Weg zur Skihalle an zu Hause vorbei und könnte meine Sachen holen. Du hast gerade angedeutet, dass du hier in der Nähe wohnst, ich könnte dich mitnehmen und nachher zurückbringen.«

»Ja, ich wohne hier um die Ecke. Ich schlage vor, dass du zu dir fährst, deine Sachen packst und ich sammle dich ein, später bringe dich auf meinem Heimweg wieder zurück. Wesentlich effizienter.«

»Wenn es dir keine Umstände macht ...« Ihre Hand lag immer noch in seiner und er blickte ihr tief in die Augen. Elisabeth begann, vorsichtig über seine Finger zu streichen. Hätte mir am Morgen jemand gesagt, dass ich heute Abend händchenhaltend mit Moritz aus dem Café spazieren würde, wäre ich in schallendes Gelächter ausgebrochen und hätte denjenigen zwangseinweisen lassen.

»Mein Auto steht direkt hier.« Sie hielt vor ihrem weißen Yeti und deutete darauf. »Soll ich dich irgendwo absetzen?«

»Nein, vielen Dank. Ich habe es wirklich nicht weit und werde den Weg gleich für ein Telefonat mit Markus nutzen. Wohnst du noch in dem Haus von damals?«

Elisabeth hatte die Kollegen aus der Abteilungsleiterrunde vor einem Jahr zum Grillen bei sich eingeladen und war erstaunt gewesen, dass auch Moritz trotz der Querelen gekommen war. Im Nachgang erklärte sich ihr Einiges.

»Ja, hast du die Adresse?«

»Nicht ganz, aber ich weiß den Weg noch. Für irgendwas muss ein nahezu fotografisches Gedächtnis ja gut sein.«

»Na dann ...«, zwinkerte sie ihm zu.

Dass er ein atemberaubendes Gedächtnis hatte, war in der Firma legendär. Moritz hatte damals mit seinem Kollegen die Büros getauscht, da er unbedingt Nummer 131 haben wollte. Er hatte zunächst ein Geheimnis darum gemacht, aber wie sich herausstellte, war diese Zahl das Ergebnis seines Intelligenz-Tests bei MENSA.

»Ich habe übrigens auch immer noch dieselbe Handynummer!«

»Gut. Falls ich mich verfahre, rufe ich dich an.« Er gab ihr einen Kuss auf die Wange, vielmehr war es ein Hauch von einem Kuss, viel zu schnell vorbei und kaum da gewesen.

»Dann bis gleich.« Elisabeth fasste sich ein Herz und zog noch einmal kurz an Moritz’ Handgelenk, um ihn zurückzuholen.

»Ja?«, fragte er, als hätte sie ihn gerufen. Doch da spürte er bereits ihre sanften, warmen Lippen auf seinen, flüchtig und fragil.

Im nächsten Moment ließ sie seine Hand los und drehte sich zum Auto, winkte ihm zu. »Fahr vorsichtig!«, rief sie noch und schon war sie weg.

»Nicht zu fassen«, lachte Markus Bruckmann.

»Ich bin auch irgendwie ... völlig durch den Wind«, entgegnete Moritz und nahm das Handy ans andere Ohr, um mit der Hand nach seiner Schlüsselkarte zu fischen. »Aber ruf sie jetzt bloß nicht an. Und sei lieb zu ihr!«

»Das bin ich immer!«, antwortete Markus und verabschiedete seinen Freund. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Die Erinnerung an den Flugzeugabsturz von Elisabeths Mann ließ es ihm schwer ums Herz werden. Ihr Verhalten hatte ihn damals beinahe aus der Fassung gebracht. Zu Lebzeiten hatte er ihn für ihre Geißel gehalten. Zwar relativierte er nach Jans Tod seine Aussage, ließ Elisabeth aber wissen, dass sie ohne ihn besser gestellt sei; die vielen Male, als er unter ihrem Make-up noch die Spuren der Tränen erkannt hatte, so oft, wie sie in ihrem Büro die Tür geschlossen und er den Streit am Telefon trotzdem hatte mithören können. Und das seltsame Verhalten ihres Mannes, wenn er sie hin und wieder abgeholt hatte. Ein Paar, das weder auf den ersten, noch auf den zweiten Blick zusammengepasst hatte.

Auch wenn Trauer mitunter seltsame Kapriolen schlug; ihr pragmatischer Umgang damit hatte ihn hilflos werden lassen und hielt ihn nach wie vor davon ab, seine eigenen Gefühle für sie genauer zu erforschen. Es wunderte ihn indes, dass sie in der Arbeit immer noch ihre Erfüllung sah und weitermachte, als sei nie etwas gewesen. Er fragte sich und sie, warum sie nicht die Zahlungen der Versicherungen für ein sorgenfreies Leben nutzte, statt sich in der Firma aufzureiben. Außerdem erhielt sie beträchtliche Erlöse aus den Patenten, die ihr Mann angemeldet und ihr vererbt hatte. So oder so könnte sie also ihre Zeit den schönen Dingen des Lebens widmen. Eine Antwort war sie ihm immer noch schuldig. Er beließ es aber dabei; Frauen waren ihm ohnehin ein Mysterium und Elisabeth für ihn nicht erst seit dem Gespräch mit Moritz gerade unantastbar.

Als sie auf der Autobahn war, schauderte sie. Mit einem Mal war sie völlig fassungslos über sich selbst, die Situation und vor allem über ihre Gefühle. Moritz, von allen Männern dieser Welt, ausgerechnet Moritz Fürst. Den sie immer für einen arroganten Psychopathen gehalten hatte, einen egozentrischen Sturkopf und gefühllosen Macho. Moritz, den sie nun geküsst hatte. Flüchtig. Aber dessen Lippen sie sich gerade mehr herbeisehnte als alles andere. Und den sie in wenigen Minuten wiedersehen würde.

Das Radio wurde leiser und signalisierte einen Anruf.

»Hey ...« Es war Moritz.

»Hey ...«

»Glaub ja nicht, dass du mir so einfach davonkommst!«

»Womit?«, fragte sie gespielt unsicher, um ihre plötzlich entfachte wahnsinnige Vorfreude auf das Treffen zu überdecken.

»Mich einfach so stehen zu lassen, nachdem du das getan hast.«

»Was hab ich denn getan?«

»Etwas, was du gern öfter tun dürftest.«

»So? Na, gut, dass der Abend noch jung ist.«

»Ich freu mich auf gleich ...«, sagte Moritz. Autsch, das war direkt ...

»Ich mich auch ...«, antwortete sie. Na toll, jetzt hast du dich verraten. Wobei ... ist das so schlimm?

»Ich schätze, ich bin in neunzehn Minuten bei dir.«

»Oh, dann bist du aber geflogen. Ich biege gerade in die Einfahrt ein. Ich leg jetzt auf. Bis gleich.« Atmen. Atmen nicht vergessen!

Ihre Snowboardsachen lagen im Keller beisammen; im Handumdrehen hatte sie sich umgezogen, war in Turnschuhe geschlüpft und hatte die Boots in die Tasche gelegt. Sie stürzte ein Red Bull in sich hinein, band sich die Haare zusammen und hörte kurz Maries Nachricht auf der Mailbox ab. Sebastian hätte sich bei ihr gemeldet, er hätte es sich anders überlegt; ob sie Elisabeth ausrichten könnte, dass er nicht zum Date käme.

Immerhin ehrlich, dachte sich Elisabeth. Aber es war ihr ohnehin egal. Sie wunderte sich nur, warum Marie ihr die Nachricht auf dem Anrufbeantworter vom Festnetz hinterlassen hatte, nicht auf dem Handy. In diesem Moment konnte sie ein Paar Scheinwerfer durch die kleinen Glaselemente in der Haustür sehen. Als sie kurz hinausblickte, erkannte sie den Landrover, den Moritz auch damals schon gefahren hatte, und öffnete die Haustür.

Er stieg aus und nahm ihr das Board und die Tasche ab, um beides im Kofferraum zu verstauen, dann zupfte er am Ärmel ihrer Fleecejacke. »Da ist aber jemand warm angezogen. Es sind 21 Grad, werte Dame. Wo willst du hin?«

Sie zupfte am Ärmel seines Kapuzenpullovers und bemerkte ganz nebenbei, dass ihn der sportive Look ziemlich reizvoll aussehen ließ.

»Hm, ich dachte mir, dass man Anfang Juni einfach mal eine Runde Snowboard fahren könnte, freitagabends, wenn die Flirtwilligen von der Piste zum Aprés-Ski übergegangen sind und man die Halle für sich allein hat. Und du?«

»Ist ja irre, ich hatte gerade dieselbe Idee. Komm doch mit mir mit ...« Beide grinsten und sahen einander an, wie albern sie waren; es störte sie aber nicht im Geringsten.

An den Bändern seiner Kapuze zog sie ihn etwas näher zu sich, angelehnt an die Ladekante des Geländewagens und in Turnschuhen war er gute anderthalb Köpfe größer als sie. Sie warf einen Blick in den Kofferraum und entdeckte ein weiteres Snowboard mit Zubehör.

»Hast du mich nicht vorhin gefragt, ob ich Ski fahre?«

»Ja, hab ich. Aber das indizierte nicht, dass ich nicht Snowboard fahre.«

»Heißt also, dass du gedacht hast, dass ich, wenn ich überhaupt wintersportaffin bin, dann eher so ein Skihasi wäre?«

»Ja, ich muss gestehen, dass Snowboard jetzt nicht die erste Assoziation gewesen ist. Aber umso besser. Auf Skiern mache ich nämlich auch eine richtig schlechte Figur.«

»Können wir endlich los oder küsst du mich vielleicht vorher noch?« Elisabeth zog einen Schmollmund und zwinkerte ihm zu.

»Aber nur gaaaanz kurz, bevor ich auf den Geschmack komme und wir den Abend noch ein weiteres Mal umplanen ...« Er beugte sich zu ihr herunter, legte seine Arme um sie und gab ihr einen schüchternen Kuss. Seine Lippen waren so wunderbar süß und warm, dass Elisabeth weiche Knie bekam. Mit der Nase stupste sie ihn an und flüsterte ihm ins Ohr: »Moritz, schaff mich auf die Piste oder ich wechsel das Revier ...«

Verschmitzt grinsend sah er sie an. »Top Gun. Einer meiner Lieblingsfilme. Lass uns lieber fahren, sonst ändere ich die Abendplanung tatsächlich ...«

»Oh, oh ... dann aber schnell jetzt.«

Lachend stiegen sie ein. Während der kurzen Fahrt zur Skihalle nahm Moritz immer wieder Elisabeths Hand und küsste sie darauf. Ohne, dass sie ihn danach gefragt hatte, begann er zu erzählen. Dass er in der Firma gekündigt hatte, um für Danielle da zu sein. Niemand hatte geahnt, dass die Krankheit so tragisch verlaufen würde. Moritz sprach, ähnlich wie Elisabeth, wenn sie über Jans Tod redete, in kurzen, beinahe gelassenen Sätzen. Ein wenig melancholisch wurde er, als er jedoch erläuterte, was nach der Trauerfeier passiert war. Danielles Chef hatte ihn angerufen und um ein Gespräch gebeten. Dabei hatte sich herausgestellt, dass die beiden seit über einem Jahr ein Verhältnis gehabt hatten. Danielle war Amerikanerin und hatte Moritz ziemlich schnell nach ihrem Kennenlernen geheiratet, um ihre Aufenthaltsberechtigung nicht zu verlieren.

Mit Peter war sie schon zwei Jahre vor Moritz zusammen gewesen, eigentlich sollte ihr Aufenthalt in Deutschland eine Beziehungspause sein, offenbar hatte sie es aber nicht ohne ihn ausgehalten und versprochen, dafür zu sorgen, dass er nach Deutschland kommen könnte. Peter kam dann zunächst mit einem Arbeitsvisum nach, wurde in der Klinik sogar ihr Chef und damit begann ihr Doppelleben. Anderthalb Jahre waren Moritz und Danielle verheiratet gewesen. Als Krankenschwester hatte sie Schichtdienst gearbeitet, er war häufig lange in der Firma geblieben.

Zeitweise hatten sie sich wenig gesehen, ihm wäre jedoch nie in den Sinn gekommen, dass es Danielle gestört hatte. Warum, wurde ihm klar, als Peter seine Offenbarung geleistet hatte, ohne mit der Wimper zu zucken. Moritz hatte es kaum fassen können, bis Peter ihm schlussendlich als Beweis Bilder von sich und Danielle vorlegte und das Ganze auch noch toppte, indem er Moritz Dokumente zeigte, die belegten, dass Danielle bereits einen Anwalt mit der Scheidung beauftragt hatte.

Seine Frau hatte ihn also belogen und betrogen. Das im Nachhinein zu erfahren hatte ihn noch mehr erschüttert, als ihr Tod. Ihm wurde umso schmerzlicher bewusst, wie sehr er sich in ihr getäuscht hatte. Dass für ihn eine Welt zusammengebrochen war, konnte Elisabeth nur allzu gut nachvollziehen; zu dem plötzlichen Verlust gesellte sich bei Moritz noch der nachträgliche Tiefschlag. Sich danach neu zu orientieren war eine Herausforderung.

Moritz hatte dann einen neuen Job angefangen, kleines Unternehmen, Risikobewertung und -steuerung, ein bisschen Verantwortung, aber irgendwie nicht das, was ihn langfristig reizte. Dennoch war er für den Moment zufrieden, das Gehalt war okay, er konnte sich die Arbeit einigermaßen frei einteilen und hatte einen kurzen Weg ins Büro. Irgendwann würde er wieder etwas anderes machen, aber über das Wann und Wie wollte er sich noch keine Gedanken machen.

Die Skihalle war nahezu leer, es war kurz nach sieben, als sie auf dem Plateau die Boards anschnallten. Moritz stand ihr gegenüber und fuhr auf Elisabeth zu.

»Du fährst goofy?«

Ihm war nicht aufgefallen, dass ihre Bindung konträr zu seiner auf das Board geschraubt war. Jetzt wo sie stand, war aber zu erkennen, dass sie mit dem rechten Bein vorne stand. Ungewöhnlich.

»Ja. Schlimm? Kannst du nicht mit einer Frau den Abend verbringen, die zwar mit beiden Beinen fest auf dem Board steht, aber eben nicht ›regular‹ ist?« Sie kräuselte die Nase.

»Ich weiß nicht, ob ich das kann. Aber ich würde gerne.«

Er fuhr dicht an sie heran und neigte sich vor, um sie zu küssen, allerdings waren die Snowboardhelme im Weg und Moritz traf nur ihre Nasenspitze.

»Na, das üben wir aber noch mal, Herr Fürst«, lachte Elisabeth und knuffte ihn in die Seite.

Moritz hob die Augenbraue und schmunzelte. »Frau Schmidt, ich muss mich dringend noch mal mit Ihrem Chef unterhalten, Sie sind ziemlich aufmüpfig in der letzten Zeit ...«

»Wer als Letzter unten ist, ist ein Verlierer und bekommt das L für Loser auf den Helm geklebt!«, rief Elisabeth, machte einen Sprung mit dem Board und fuhr los. Die Piste war frei und sie konnte in kurzen Schwüngen nahezu direkt hinunterfahren. Aber Moritz war schnell und beherrschte sein Board ziemlich gut, ihr Vorsprung schmolz dahin. Nahezu gleichzeitig schossen sie über die Ziellinie und schnallten die Boards für den Rücktransport nach oben wieder ab.

»Wenn mich nicht alles täuscht, waren wir zeitgleich unten!?«, fragte Moritz. Sein Gesicht war leicht gerötet von der Kälte und er grinste sie an.

»Hm, deine Nose war eher über der Ziellinie, dein Board ist zwar länger als meins, aber soweit ich weiß, ist das kein Kriterium. Das L bekomme dann heute wohl ich.« Die Resignation in ihrem Ausdruck war mehr gespielt als von wahrer Natur. Dennoch ärgerte es Elisabeth, dass Moritz ihr offenbar so minimal überlegen war. Auf dem Transportband nahm er den Helm ab, befestigte ihn an seinem Board und legte beides auf das Band, um dann die wenigen Schritte zu Elisabeth aufzusteigen. »Wir haben jetzt knapp fünf Minuten Zeit ...«

Sie hielt ihr Board im Arm, sah ihn an und wackelte tadelnd mit dem Zeigefinger. »Du weißt schon, dass du dein Board nicht allein lassen solltest?«

»Ja. Ich weiß aber auch, dass ich dich nicht allein lassen sollte ...«

Er gab ihr einen Kuss auf die Wange und legte auch ihr Board ab.

»So, so. Woher weißt du das?«

»Na ja, wissen wäre zu viel gesagt, ich habe da so eine Vermutung ... Du warst verdammt schnell gerade, ich hatte Mühe, dich einzuholen.«

»Hör auf, mir zu schmeicheln! Ich fahre zwar seit einer Ewigkeit Snowboard, aber nicht besonders gut ... Mein letzter Snowboardlehrer meinte, ich hätte einen verdammt miesen Fahrstil und sollte froh sein, dass es in Flensburg keine Punkte für schlechtes Boarden gibt.«

In diesem Moment hielt, wie so häufig, das Transportband an.

Für gewöhnlich war bei laufendem Band die Geräuschkulisse so laut, dass man die Musik aus den Boxen darüber kaum wahrnahm. Jetzt war es still, Elisabeth horchte auf, es lief »Right here waiting« von Richard Marx.

»Steinalt, aber wunderschön«, schmunzelte Moritz. »Aber gut. Dann keine Schmeichelei ...« Er blickte ihr tief in die Augen, in der Klarheit seiner grau-blauen Iris war Elisabeth innerhalb eines Sekundenbruchteils versunken. Als er sie zu sich heranzog, schlug ihr Herz schneller. Wieder berührten sich ihre Lippen, diesmal jedoch durften sie endlich ungehindert miteinander spielen und sich necken. Elisabeth verspürte plötzlich einen Anflug von Erregung und ließ sich von Moritz’ liebevoller Hingabe mitreißen. Sie erwiderte die Leidenschaft und die Zuneigung, die sie überkam und vergaß die Welt um sich herum.

»Achtung, das Förderband startet jetzt.«

Geweckt von der Durchsage ließen sie kurz voneinander ab, das Band ruckelte auf und zog sie dann wieder gemächlich den Anstieg hoch.

»Seltsamer Ort für einen so schönen ersten Kuss ...« Moritz klang fast entschuldigend.

»Hm ... Besser als ein schöner Ort für einen seltsamen ersten Kuss ...« Elisabeth fragte sich, ob sie noch ganz bei Verstand war. »Was rede ich da? Du machst mich ganz wirr.«

»Immer wieder gern ...«, grinste Moritz frech und küsste sie dafür umso sanfter.

Der Ausstieg war stark vereist und sie rutschten auf den ausgelegten Gummimatten weg. Moritz konnte sich gerade noch fangen, aber Elisabeth schlug es mitsamt Board zu Boden. Sie fiel auf das linke Knie, ihr Brett schlug ihr gegen den Helm und den Unterarm. Moritz warf sein Board in den Schnee und half ihr auf.

»Hast du dir sehr wehgetan?«

»Mein Knie schmerzt höllisch, um bei unserem Leitmotiv zu bleiben ...« Sie stapfte durch den Schnee an den Rand der Piste, um den Ausstieg nicht zu blockieren. Den Helm legte sie beiseite und zog die Handschuhe aus.

Moritz hatte ihr Board getragen und es nun sicher abgelegt, ein Skifahrer fragte, ob er helfen könne, Elisabeth lehnte dankend ab.

»Eigentlich halte ich ja nicht viel von Stockträgern«, schmunzelte sie, »aber hier in der Halle ist das irgendwie anders als in den Skigebieten. Kollegialer ...«

»Na, wenn du gerade keine anderen Sorgen hast ... Oder redest du immer noch wirr?« Er sah besorgt auf ihr Knie. »Willst du nicht nachschauen?«

»Was soll ich mir da ansehen? Ich tippe auf Schürfwunde und Bluterguss. Nichts, was nicht innerhalb von zwei Wochen verheilt wäre.«

»Klingt, als wäre das nicht dein erster Sturz hier gewesen?«

»Ich glaube, der Dritte. Diesen dämlichen Matten sieht man nie an, ob sie gerade rutschig sind oder fest ...«

Elisabeth hatte entgegen ihrer Ansage das Hosenbein hochgeschoben und besah ihr Knie. »Was für ein wunderbares Farbenspiel ... Morgen sieht es aus wie abstrakte Kunst.«

Moritz zog seine Handschuhe aus und öffnete seine Jacke. Er warf einen Blick auf die Verletzung und erschrak.

»Du blutest übrigens.«

»Halb so wild.« Elisabeth tupfte kurz mit einem Taschentuch darüber und schob das Hosenbein wieder runter. »So. Weiter geht’s!«

Moritz lief die wenigen Schritte zu den Boards, um sie zu holen. »Okay. Ich ändere meine Aussage von vorhin. Du bist nicht niedlich, du bist krass.«

»Krass? Ich hätte nicht gedacht, dass das Wort in deinem Wortschatz existiert ...«

»Entschuldige bitte, ich lebe in Eschberg, nicht hinter dem Mond. Nur, weil wir in der Firma nicht so geredet haben ...«

Er legte die Bretter zwischen sich und Elisabeth ab, damit sie nicht wegrutschen konnten.

»Schon okay.« Elisabeth grinste. Immer deutlicher erkannte sie nicht nur die Konturen, sondern den ganzen echten Moritz. »Komm her und gib mir einen Heilungskuss!«

»Aber natürlich, Eure Krassheit!«, entgegnete er, grinste und kniete sich vor ihr in den Schnee.

»Grrrr ... Nenn mich bitte nicht so ... Sooo krass bin ich gar nicht ...«

»Na gut, Eure Nicht-Sooooo-Krassheit!« Moritz hatte eine diebische Freude daran, sie zu aufzuziehen.

»Pfffft ... Dann halt kein Kuss. Wer so frech ist wie du, wird nicht auch noch belohnt!« Sie streckte ihm die Zunge raus, lachte und warf ihm einen Schneeball ins Gesicht.

»Fragt sich, wer hier frech ist ...«, rief er zurück und warf ihr ebenfalls eine Handvoll Pulverschnee entgegen.

»Gut. Wenn ich Eure Krassheit bin, bist du Eure Frechheit. Punkt.«

Moritz schmunzelte und stand auf. Er streckte Elisabeth die Hand entgegen, half ihr auf und schlang seine Arme um sie.

»Du hast irgendwie Schnee im Gesicht ... Wo kommt der denn her?« Zärtlich strich er ihr über die Wange und schob die Schneeflocken über ihrer Augenbraue weg. Elisabeth schloss die Augen, und vergrub ihr Gesicht zwischen seiner Brust und der geöffneten Jacke. Er roch so unwahrscheinlich gut. Sie schmiegte sich eng an ihn und sah zu ihm auf. Moritz neigte ihr den Kopf entgegen und wieder fanden sich ihre Lippen zu einem schüchternen Kuss, der nach und nach leidenschaftlicher und verheißungsvoller wurde. Als Elisabeth sich mit ihren Händen unter Moritz Pullover vorwagte, stellte sie zu ihrer Freude fest, dass sie sich nicht verschätzt hatte, als sie ihn im Café gemustert hatte, er war trainiert. Hell, yes ...

Moritz ließ sie gewähren, ihre Hände waren trotz der Kälte um sie herum warm und weich, ihre Streicheleinheiten gefielen ihm und er genoss es, sie zu küssen. Lass sie jetzt bitte nicht aufhören ... lass einfach nichts heute Abend aufhören.

Bevor Elisabeth jedoch der Versuchung erlag, weitere unbekannte Seiten zu erkunden, zog sie seine Kleidung wieder an Ort und Stelle, schloss den Reißverschluss der Jacke und sah ihn auffordernd an.

»Jetzt aber los! Sonst stellen wir noch einen Negativrekord auf: nur eine einzige Abfahrt an einem Abend ...«

Moritz zog einen Schmollmund. »Ich könnte mir zwar Schlimmeres vorstellen, aber vielleicht habe ich ja gleich noch mal Glück und das Transportband fällt wieder aus.«

»Dann, mein Lieber, wirst du hochlaufen!« Elisabeth zog die Nase kraus und schnallte das Board wieder an. Moritz war schon abfahrbereit und schloss den Kinnriemen seines Helms, als sein Handy klingelte. Genervt verdrehte er die Augen und ging dran.

»Ja, bitte? ... Wenden Sie sich bitte an Herrn Schumacher, ich habe heute Abend eigentlich frei ... Wieso nicht erreicht? ... Hm. Gut. Dann lösen Sie das im Rahmen Ihrer Kompetenz bitte selbst!«

Er klang ein wenig angesäuert. Als hätte er der Person am anderen Ende schon hundertmal das Gleiche gesagt. Elisabeth wiederum wunderte sich, dass man ihn freitagabends anrief, es irgendwie wichtig klang und er es delegierte. Moritz hatte zwar nur wenig über seinen neuen Job erzählt, sie hatte nicht gefragt, aber irgendwie deckte sich das nicht mit dem Eindruck, den er damit hinterlassen hatte.

»Schön. Kann das bis etwa 22 Uhr warten? ... Gut. Ich zeichne das später ab. Auf Wiederhören.«

Nachdem er das Handy eingesteckt hatte, wandte er sich Elisabeth zu.

»Entschuldige bitte die Störung.«

»Kein Problem, musst du los?«

Der Groll in seiner Stimme war verschwunden und er schien das Telefonat schon fast vergessen zu haben. »Nein, ich konnte es so klären. Hopp, ab nach unten mit uns ...«

Die folgenden Abfahrten waren, wie immer, viel zu schnell vorbei und auch das Transportband hatte offenbar einen guten Tag; um sich näher zu kommen blieb ihnen wenig Zeit. Als es auf neun Uhr zuging, wirkte Moritz plötzlich weit weg. Sie standen auf dem Plateau Richtung Ausgang und er lehnte sich an das Geländer.

»Hey ... Wäre es schlimm, wenn wir gleich gehen?«

»Nein, völlig okay. Irgendwie hat mein Knie auch genug für heute. Was ist denn los? Du schaust so grimmig.«

»Hat nichts mit dir zu tun. Eigentlich hatte ich mir heute freigenommen, wie du weißt. Inzwischen habe ich noch zwei weitere Angelegenheiten geklärt und miese Laune. Also so, wie du mich von früher kennst.« Er grinste, Elisabeth schüttelte lachend den Kopf.

»Okay. Blenden wir das mal aus. Wenn du losmusst oder willst, dann fahren wir. Kein Problem.«

»Ich will nicht, ich sollte. Bevor einer der Angestellten noch dafür sorgt, dass ich Amok laufe.«

»So schlimm?«, fragte Elisabeth. Moritz nickte stumm. Für sie Anlass, vorsichtig nachzuhaken. »Ich merke, dass du mir keine weiteren Details von deiner Arbeit erzählen möchtest. Das ist völlig okay. Offenbar liegt dir was schwer im Magen, also lass uns fahren und du kümmerst dich in Ruhe darum ...«

Sie hatte ihr Snowboard bereits vom Schnee befreit und lief auf den Ausgang zu. Wortlos folgte Moritz ihr. Elisabeth ahnte, dass er sich zu gegebener Zeit schon noch äußern würde.

Als sie die Boards verstaut hatten und wieder im Auto saßen, steckte er den Schlüssel ins Zündschloss, ließ aber den Motor nicht an. Sie blickten von der Halde auf die Industriekulisse, die Lichter der Stadt erhellten den Nachthimmel und Moritz starrte gedankenverloren auf die Gichtgasflamme der gegenüberliegenden Kokerei. Blau angestrahlt erhoben sich die Schornsteine in die Höhe und tauchten den Ausblick in ein unwirkliches Licht. Das Glitzern der Skyline bewegte Moritz zu einem Resümee.

»Weißt du, das war ein merkwürdiger Tag. Heute Morgen habe ich die letzten Sachen von Danielle abgegeben und war froh, dieses Kapitel endlich abzuschließen. Ich hab mir heute Abend ausdrücklich freigenommen und mich doch wieder von der Arbeit einholen lassen, statt loszulassen und zu genießen, was gerade passiert.«

»Das kann vorkommen. Warum zieht dich das so runter?«

»Es sollte nicht so sein.« Moritz wandte sich ihr zu und nahm ihre Hand. »Ich vermisse hin und wieder das Stadtleben und die Firma. Insbesondere, wenn mich der Job nervt und ich dann durch mein Verhalten einen Abend wie diesen ruiniere.«

»Du sprichst wieder in Rätseln, Moritz. Wenn du Sehnsucht nach der Stadt hast, komm zurück. Victoria wird dich sicherlich mit Kusshand wieder einstellen. Außerdem ist bei uns Feierabend, wenn Feierabend ist. Keine Anrufe nach Dienstende. Aber offenbar ist es komplizierter, als es auf den ersten Blick aussieht.«

»Ja. Ist es. Ich verrate dir was: Ich hatte bisher drei Dates. Zwei sind noch am selben Abend im Nirwana geendet. Die Dritte hat es noch ein zweites Mal mit mir ausgehalten. Ich weiß, dass ich was ändern muss. Allein: Mir fehlt der Mut zum Absprung. Ich kann nicht zurück in die Firma. Warum, werde ich dir irgendwann gerne erklären. Nur nicht jetzt. Kannst du mir vertrauen?«

Elisabeth war verunsichert. Es fiel ihr nicht leicht, zu antworten.

»Du wirst deine Gründe haben ... Moritz, versteh das bitte nicht falsch, aber ich weiß gern, woran ich bin. Heute Morgen noch hätte dein Name in mir einen Brechreiz ausgelöst und innerhalb weniger Stunden sind Dinge passiert, von denen ich nie zu träumen gewagt hätte.« Ihre Miene war ernst, besorgt. »Ich weiß ja noch nicht einmal, ob ich dich wiedersehen werde!?«

Sie schloss die Augen und wartete auf eine Antwort. Moritz schwieg. Als Elisabeth gerade etwas sagen wollte, beugte er sich zu ihr hinüber und küsste sie. Erneut lagen darin eine Wärme und Leidenschaft, die ihre Knie weich werden ließen und den Puls angenehm beschleunigten.

Nach einer Weile löste Moritz sich zögerlich von ihr und streichelte ihre Wange. »Wenn du willst, wirst du mich immer wiedersehen. Du hast mich heute sehr glücklich gemacht und ich schäme mich dafür, dass ich dir das gerade nicht so zeigen kann. Es gibt ein paar Dinge, die ich regeln muss und werde.« Mit brüchiger Stimme fuhr er fort. »Mach dir keine Sorgen, es ist nichts Schlimmes, nur nervtötend und kompliziert. Ich weiß, dass du Geheimnisse hasst und daher verspreche ich dir, dass ich dir alles erklären werde. Gib mir nur ein paar Tage Zeit. Bitte.«

Elisabeth traute weder ihren Ohren noch ihren Augen. Moritz klang so verletzt und völlig fertig; in der Dunkelheit konnte sie es schlecht erkennen, aber sie war sich fast sicher, dass er mit den Tränen kämpfte.

»Moritz ...«, flüsterte sie in einen Kuss auf seine Wange, »ich halte nicht viel von Vertrauensvorschüssen –«

Er schloss die Augen und kaute auf seiner Unterlippe. Ihre Hand hatte er plötzlich losgelassen.

»Hey ...«, flüsterte sie und griff sie seine Hand zurück. Er lehnte den Kopf an den Sitz und drehte ihn zu ihr. »Moritz, ich wollte das nicht so ausdrücken. Ich bin immer noch durcheinander. Aber es geht dir wohl ähnlich. Lass es uns langsam angehen. Du musst dich nicht rechtfertigen, sag mir nur, was du willst.«

Das Verbissene in seinem Ausdruck war einem Lächeln gewichen, er atmete tief ein.

»Was ich will, weiß ich glücklicherweise seit heute. Ich weiß nur noch nicht, ob und wie ich es bekomme.«

»Ah ja. Das ist eine vollumfassende und befriedigende Antwort ...« Der Zynismus war kaum zu überhören.

»Weißt du … ich will, dass wir uns richtig kennenlernen können und es keine Geheimnisse zwischen uns gibt. Und ich wünsche mir, dass du bei mir bist.«

Einen kurzen, denkwürdigen Kuss später waren sie bereits auf dem Heimweg. Um vom bisherigen Thema abzulenken, philosophierten sie über ihre Lieblingsfilme und waren über die vielen Übereinstimmungen überrascht. Es mochte an Elisabeths Vorliebe für Thriller und Actionfilme liegen, vielleicht auch an Moritz’ romantischer Ader, aber letztlich lief es darauf hinaus, dass sie sich ähnlicher waren, als sie je gedacht hätten.

»Duuuu ...« Elisabeth sah Moritz fragend an.

»Jaaaaa ...«, grinste er.

»Auch wenn du ein paar Tage Zeit brauchst, um deine Angelegenheiten zu klären, würde ich dich gern am Wochenende sehen, sofern du Zeit hast. Ich bohre auch nicht und halte mir bei Telefonaten die Ohren zu.«

»Du bist süß ...« Moritz lächelte.

»Das ist aber keine Antwort.« Elisabeth schmollte gespielt. Unter Moritz’ Shirt malten sich seine Muskeln ab, sie kam nicht umhin, ihn immer wieder anzusehen, sich auszumalen, was sie mit ihm anstellen würde. Dazu das warme Gefühl von Geborgenheit, das sie seit diesem Abend in seiner Nähe hatte, die intuitive Vertrautheit. Warum hatte sie ihn nie vorher so gesehen?

»Wir können uns gern morgen Abend treffen. Und Sonntag habe ich richtig frei. Wenn du magst, gehöre ich ganz dir.«

»Ganz mir … Das ist schön ... Ich habe nur morgen früh etwas vor. Ansonsten ist das Wochenende unverplant. Magst du morgen Abend zu mir kommen?« Um Moritz weitere Ausweichmanöver zu ersparen, lud sie ihn lieber zu sich ein.

»Gern, wenn es dir nichts ausmacht?« Moritz ahnte, dass Elisabeth ihn nur zu sich bat, weil sie ihn einerseits bereits kannte und er andererseits sonst noch tiefer in seine Geheimniskrämerei verstrickt würde. Er wusste, dass sie ein sehr vorsichtiger und risikobewusster Mensch war, auf der Arbeit hatte sich das immer deutlich gezeigt. Das Snowboarden wollte dazu nicht recht passen, aber jeder brauchte irgendwo einen Ausgleich, dachte er sich. Wer hätte schon von ihm erwartet, dass er zweimal in der Woche ein hartes Boxtraining absolvierte?

Als sie gegen halb zehn vor Elisabeths Haus ankamen, bat sie Moritz noch kurz mit hinein. Er trug ihr Board in den Keller und ließ sich noch einmal ihr Knie zeigen. »Hast du Eis da?«

»Ja. Ich werde nachher eine Kühlmanschette drauflegen.« Sie hatte sich auf die Couch gesetzt, Moritz zog es vor, stehen zu bleiben.

»Sei mir nicht böse, aber ich sollte jetzt los. Auch wenn ich dich so oder so nur ungern allein lasse.«

»Schon okay. Dann verschieben wir die Doktorspiele halt auf morgen Abend.« Ihr schelmisches Grinsen ließ Moritz’ Herz schneller schlagen und zum wiederholten Male spürte er eine gewisse Regung. Er wagte kaum, darüber nachzudenken, was sich sonst noch hinter Elisabeths bisheriger Fassade verbarg. Sie stand auf und sah ihn herausfordernd an.

»Sehr schön. Ich war mir bis gerade nicht sicher, wie ich den Tag morgen überstehen soll, jetzt scheint es mir quasi unmöglich ...« Seufzend nahm er sie in den Arm, küsste sie sehnsüchtig und spielte mit ihren Haaren, aus denen sich zwischenzeitlich das Band gelöst hatte.

»Na los, verschwinde. Sonst bist du in Nullkommanichts hier festgekettet und ich lass dich nicht mehr gehen.«

»Okay ... Dann komm gut ins Bett.«

»Ich bring dich zur Tür ...«

Zum Abschied hielten sie sich noch einen Moment im Arm und Moritz küsste sie auf die Stirn. Elisabeth legte ihren Kopf auf seine Brust und hörte sein Herz schlagen. Mit ihrer Hand fuhr sie kurz unter sein Shirt und strich zaghaft über seinen Bauch.

»Ich höre jetzt besser auf ...«, flüsterte sie in sein Ohr, als ihm ein leises Raunen entwichen war.

In diesem Moment klingelte sein Handy. Moritz verdrehte die Augen und brummte, küsste sie auf die Wange und beantwortete im Hinausgehen den Anruf. Winkte ihr aus dem Auto. Fuhr rückwärts aus der Einfahrt.

Für diesen Moment fühlte Elisabeth sich einsamer als in den Wochen zuvor.

Nach einem leisen Seufzer ging sie zum Eisschrank und nahm das Kühlpad heraus, um es auf ihr Knie zu legen. Wie in Trance setzte sie sich auf die Couch, schaltete vom Tablet aus die kleine Stehlampe im Fenster und die indirekte Deckenbeleuchtung an und versank in Gedanken.

Sie musste eingeschlafen sein, die Rollläden waren bereits unten, ihr Handy zeigte 22.30 Uhr. Und eine Nachricht von Moritz.

👤 Hey Liebes, ich hoffe, du verzeihst mir meinen Abgang gerade. Ich werde dir morgen nicht viel schreiben können, habe aber von 16 Uhr bis Montag früh um 6 Zeit ... Freue mich auf dich! Gute Nacht und süße Träume ... Moritz 💞

Sie las die wenigen Zeilen immer und immer wieder. Ihr Herz machte Sprünge und bebte wie wild. Für einen Moment nach dem Aufwachen war sie sich unsicher gewesen, ob sie die letzten Stunden erträumt hatte – aber es war tatsächlich passiert. Elisabeth überlegte, ob sie ihm antworten sollte. Moritz hatte ihr vor einer halben Stunde geschrieben. Sie wollte ihn nicht wecken, falls er bereits schlief. Als ausgewiesener Workaholic tat er das wohl kaum schon. Hatte er sein Handy nachts lautlos? Sie wagte es.

👠 Hey Sugar, entspann dich, alles gut. Wenn du magst, sei um 17 Uhr bei mir, ich koche gern was für uns. Hoffe, ich habe dich nicht geweckt. Dir auch eine gute Nacht. Träum schön!

Offenbar war Moritz noch wach. Oder wieder.

👤 Sugar? So süß bin ich doch nicht. Oder? Klären wir morgen in Ruhe 😉 17 Uhr hört sich prima an. Bin noch auf der Arbeit 😔 Fand deine Lasagne immer extrem lecker ...

👠 Du hast immer einen großen Bogen darum gemacht, wenn ich Essen mit ins Büro gebracht habe ... Flunkerst du mich an?

Es irritierte sie, dass Moritz auf die Lasagne zu sprechen kam. Wenn Elisabeth hin und wieder für die Kollegen gekocht hatte, war er einer der wenigen, der ihr Essen gemieden hatte.

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