Marga - Reiner A. Hampusch - E-Book

Marga E-Book

Reiner A. Hampusch

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Beschreibung

Das Wetter wird umschlagen; die Ställe rochen stark nach den Tieren, obwohl sie seit Tagen auf der Weide waren. Der Geruch drang durch die offenen Fenster ihres Schlafzimmers. Morgen wird es regnen. Marga drehte sich zufrieden auf die andere Seite. Ja, morgen wird es regnen. Endlich. Den ganzen Tag war sie von Wiese zu Wiese gefahren, hatte die trockene Erde der Felder zwischen den Fingern zerkrümelt und im Stillen inbrünstig zu allen tausend Göttern Ägyptens gebetet. Es hatte geholfen. Ein müdes Schmunzeln zog über Margas Gesicht. Ein paar Tage Regen und die Heuernte war gesichert. Sie gähnte, bis es in den Kiefergelenken knackte. Zufrieden rollte sie sich auf den Rücken, faltete die Hände über den Bauch und seufzte erleichtert.

 

Ein sanftes Rauschen klang durch das offene Fenster. Da war er, der Regen! Der Hahn schwieg beleidigt. Sicher hockte er mit seinen Mädels auf der Stange und hatte den Kopf unter den Flügeln. Marga streckte sich faul. Dabei war ihr klar, dass sie aufstehen musste. Jetzt! Entschlossen setzte sie sich auf, es schwindelte ihr leicht.

Im Bad sah sie lange in den Spiegel. Na, alte Frau? Wie geht’s? Marga lächelte. Alte Frau!

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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Reiner A. Hampusch

Marga

ein 'Grüne Augen' Roman

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Titel 1

 

 

 

Reiner A. Hampusch

 

Geboren 1949 in Leipzig, aufgewachsen in Berlin, inmitten schöngeistiger Literatur und Kunst, frei erzogen (von seinen Eltern) entdeckte er als Kind zuerst die Welt der Märchen, Sagen und fantastischen Geschichten. Die Schule musste überstanden werden, und auch die Lehre zum Tischler.

Nach einem Abendstudium der Malerei an der Kunsthochschule Weissensee in Berlin, entschloss er sich dann doch Werbekaufmann (Ökonom) zu werden. Nebenberuflich fotografierte, malte und schrieb R.H., doch literarisch blieben immer nur Fragmente liegen (1972 – 1975, Gedichte, Fragmente SiFi-Geschichten). Erst 2014 verfasste er seinen ersten Fantasieroman, "Nacht über Ralli", den er kurzfristig als e-book veröffentlichte. Da ihm aber diese Ausgabe nicht gefiel, nahm er sie wieder aus dem Angebot.

Dafür erschienen in kurzer Folge vier Liebesromane: "Grüne Augen“, 4 Romane in einem Buch: Clarisse, Clarisse 2, Therese, Anne, "Marga", "Berlin, Venedig und anderswo" und "Rheinsberg und anderswo", alles kostenlose e-books. Es waren (Originalton), sozusagen "Fingerübungen". Mit der dreiteiligen Krimireihe "Mellerts Fälle", die zwischen 2018 und 2020 entstanden, "Der Tote von Neuendorf", "Paradis perdu" und "Der weiße Wal" begab sich R.H. in das Metier des Krimischreibers; der Leser erlebt die Entwicklung der Ermittlungsarbeit der Kriminalpolizei in den Zwanziger, Dreißiger und End-Vierziger Jahren in Berlin und Preußen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bisher über BoD erschienen:

Liebesromane

MARGA, Ein 'Grüne Augen Roman' (auch als e-book)

 

Kriminalromane

MELLERTS FÄLLE, Der Tote von Neuendorf

MELLERTS FÄLLE, Paradis perdu

MELLERTS FÄLLE, Der weiße Wal

 

Fantasie

DIE NEUE KAISERIN, Drakenland 4

DRAKENLAND, Die neue Kaiserin, Teil 1 DER FEIND

DRAKENLAND, Die neue Kaiserin, Teil 2, KRIEG

DRAKENLAND, Die neue Kaiserin ,Teil 3, TABUBRUCH

 

In Vorbereitung (Druckexemplare):

DER PREIS DER MACHT, Drakenland 5

NACHT ÜBER RALLI, Drakenland 1 PAUL MELLERTS FÄLLE, Die Gentlemen Bande

 

Andere Verlage: bookrix e-books

GRÜNE AUGEN, Auf der Suche nach Liebe und Erfüllung

BERLIN, VENEDIG UND ANDERSWO, Auf den Spuren von Marco Polo und Kurt Tucholski

RHEINSBERG UND ANDERSWO, Eine Hommage

 

 

 

 

 

 

 

Widmung

 

Meiner Frau und allen Frauen die emanzipiert durch das Leben gehen, ohne ihre Weiblichkeit aufzugeben.

TITEL

Reiner A. Hampusch

 

 

 

 

MARGA

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein 'Grüne Augen' Roman

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eine Entscheidung

 

 

Verführn sich in die Liebe

Wie in ein Labyrinth

Wir können uns nicht wehren

Wenn’s einfach so beginnt

Aus „Bataillon d’amore“,

City, Berlin

 

 

 

 

Das Wetter wird umschlagen; die Ställe rochen stark nach den Tieren, obwohl sie seit Tagen auf der Weide waren. Der Geruch drang durch die offenen Fenster ihres Schlafzimmers. Morgen wird es regnen. Marga drehte sich zufrieden auf die andere Seite. Ja, morgen wird es regnen. Endlich. Den ganzen Tag war sie von Wiese zu Wiese gefahren, hatte die trockene Erde der Felder zwischen den Fingern zerkrümelt und im Stillen inbrünstig zu allen tausend Göttern Ägyptens gebetet. Es hatte geholfen. Ein müdes Schmunzeln zog über Margas Gesicht. Ein paar Tage Regen und die Heuernte war gesichert. Sie gähnte, bis es in den Kiefergelenken knackte. Zufrieden rollte sie sich auf den Rücken, faltete die Hände über den Bauch und seufzte erleichtert.

 

Ein sanftes Rauschen klang durch das offene Fenster. Da war er, der Regen! Der Hahn schwieg beleidig. Sicher hockte er mit seinen Mädels auf der Stange und hatte den Kopf unter den Flügeln. Marga streckte sich faul. Dabei war ihr klar, dass sie aufstehen musste. Jetzt! Entschlossen setzte sie sich auf, es schwindelte ihr leicht.

Im Bad sah sie lange in den Spiegel. Na, alte Frau? Wie geht’s? Marga lächelte. Alte Frau! Ein bisschen Schminke – und warum dachte sie gerade jetzt an René?

René. Nett, dass er ihr aus dem Straßengraben geholfen hatte. Mit Hilfe des ACF zwar, doch immerhin! Und der Abend mit ihm war alles andere als langweilig gewesen. Schriftsteller. Ein geistvoller Erzähler. Witzig, intelligent und leider in eine andere verliebt, merde! In eine Claradingsbums. Musste er denn nach ihr rufen, auf ihrem schönsten Höhepunkt nach – was denn - Monaten? Beinahe hätte er alles verdorben. Mon dieu! Sie waren so herrlich angetrunken gewesen. Es hatte auch nicht lange gedauert, bis sie beide nackt und in allen Positionen der Liebe verschlungen waren - es war solch ein - ein Wohlgefühl mit diesem Mann. So weich, so hart, so – wunderbar. Schade, dass er weitergezogen war. Schade. Sie zitterte immer noch, bei dem Gedanken an diesen Abend.

Marga verzog das Gesicht. Marga, Marga. Du hast Dich doch nicht etwa verliebt? Abgelenkt putzte sie sich die Zähne. Schon seit fünf Minuten. Als es anfing zu bluten, stutzte Marga. Schuldbewusst spülte sie den Mund aus, und ging zu einer schnellen Katzenwäsche über. Heute war Stallarbeit angesagt. Die Läufer mussten ‚sortiert‘ werden. Die einen zum Schlächter, die anderen in die Mast. Lächelnd dachte sie an die Ferkelchen. Was hatte René gesagt? Die Ärmsten. Sieh nur, wie sie Dich ansehen. So voller Vertrauen. Und Du willst sie in die Schlächterei schicken? Grausame! Und er hat gelacht. Aber so war das Leben. Auch auf einem Öko-Hof.

Das Frühstück nahm sie nebenbei zu sich. Nur für den Kaffee nahm sie sich Zeit.

Vor ein paar Tagen hatte auf der anderen Seite des Tisches René gesessen, bei seinem zweiten Besuch, und sie über den Rand des Weinglases gemustert. „Was siehst Du“, hatte sie gefragt. Und er? Hatte gegrinst. Solch ein schiefes Grinsen, das sie an Männern mochte, wenn es denn ehrlich war. Etwas frech zwar, aber aufrecht. Glaubte sie. Und René? „Sommersprossen. Millionen Sommersprossen!“ Und hatte gelacht. Und sie hatte gelacht, und sich vorgestellt, wie es wäre, wenn er Sommerspossen an ihrem Körper zählte. Mit einem wonnigen Gefühl gedachte sie dieser zweiten Nacht, die er genau damit verbracht hatte - unter anderem.

„Hier ist noch eine“, hatte er zwischen ihren Schenkel gerufen. Es hatte gekitzelt und war schön und sie hatte es – verdammt noch mal – genossen. Und seinen Kopf eingeklemmt, dass er noch einen Moment dortbliebe. Und er blieb, bis sie nicht mehr konnte und ihm mit einem leisen Aufschrei Tür und Tor öffnete.

 

Marga stapfte in Gummistiefeln durch die Pfützen des Nachtregens. Es musste wie verrückt gegossen haben. Jetzt war er in einen dünnen Landregen übergegangen. Zum Glück war es warm und windstill. Der Niesel senkte sich herab. Es regnete nicht, es nässte gleichmäßig Kleidung, Boden und Natur von allen Seiten.

Jetzt roch es auch nicht mehr nach den Tieren und Mist. Die Luft duftete frisch und feucht. Als sie in die Nähe der Schweinegatter kam, hörte sie das zufriedene Grunzen der Sauen, die ihre Ferkel beruhigen wollten. Ja, dachte Marga, es ist genug für euch da, ihr verfressene Bande. Sie hatte die Arme auf die nassen Holzbalken gelegt und sah versonnen auf die aufgeregt säugenden Ferkelchen.

„Madame?“

„Ah, Jaques. Wo sind die anderen?“

„Sie warten im Stall. Es ist alles vorbereitet.“

„Merci, Sie sind eine Perle, Jaques.“

 

Es wurde dunkel. Der Stuhl knarrte beleidigt, als sich Marga erschöpft zurücksinken ließ. Schluss für heute! Sie war wieder den ganzen Vormittag über den Hof gerannt. Erst die Schweine, dann die Rinder. Dann fünf Kilometer nach Norden auf die Weide. Neugierig kamen Mütter und Kälber an den Zaun gelaufen, als sie den Jeep von Marga sahen. Sie besuchte ihr Braunvieh, gutmütige Rinder mit breit ausladenden Hörnern, die den ganzen Sommer auf der Weide verbrachten. Manchmal gab es Ärger, wenn es um den Rang der Leitkuh ging. Aber ansonsten lebten sie ihr Leben, ließen sich, wenn es soweit war vom Stier begatten, und brachten wunderschöne Kälber zur Welt. Es fehlte kein Tier. Drei Kälber waren dazugekommen, gesunde Babys, die nicht von der Seite der Mutterkuh wichen.

Danach fuhren sie, Jaques, der Tierarzt und Marga, durch ein kleines Wäldchen, zur Herde der Hochländer. Sie liebte diese Rasse besonders. Diese Rinder blieben wie die Braunen das ganze Jahr draußen, aber sie waren anders. Wild und sanft. Sie liebte, wie sie rochen und ihre Gutmütigkeit. Und Marga liebte das Fleisch dieser Tiere. Es schmeckte nach Natur, frischer normannischer Luft und ungebändigten Kräften. Besser als jedes andere Rindfleisch.

Sie sollte mal ein paar Tage freimachen, dachte sie versonnen. Jaques kann die Wirtschaft genauso gut führen wie sie. Marga griff zum Telefonhörer. „Jaques?“

„Madame?“

„Was machen Sie gerade?“

„Wir wollten eben noch ein paar Bier trinken und dann ins Bett.“

„Oh, entschuldigen Sie.“

„Ist was, Marga?“

„Nein, nein. Das hat Zeit bis morgen. Zum Frühstück?“

Jaques, der Bär. Sie sah ihn vor sich: zwei Meter groß, mit Schultern, breit wie ein Trecker. Händen, Schaufeln gleich, die zupacken konnten und gleichzeitig zärtlich waren, wenn er mit den Fohlen, Kälbern und Ferkeln umging. Sein muskulöser Bauch diente nicht nur dazu, gewaltige Mengen an Essen aufzufangen; Er konnte damit den gewaltigsten Stier der Herde vor sich herschieben. Doch Jaques brauchte keine Gewalt, keine laute Stimme, um sich bei den Hornviechern Respekt zu verschaffen. Es genügte, wenn er auf der Weide auftauchte.

Ja, sie hatte sich entschieden: Ich fahre weg! Irgendwohin. Nach Süden. In die Wärme, Sonne und Ruhe.

 

 

Frei!

 

Marga war bereit. Nach mehr als fünf Jahren ohne jemals einen Tag frei genommen zu haben, war sie soweit. Damals hatte sie den Hof übernommen. Übernehmen müssen! Als der verhängnisvolle Anruf kam, war sie gerade dabei Thesen für ihre Doktorarbeit aufzustellen. Sie sollte die Grundlage für eine Forschungsgruppe bilden, die sich mit der Untersuchung der Wirtschaftlichkeit von Öko-Höfen beschäftigen sollte. Ab wann, ab welcher Größe und auf welchen Gebieten würde ein Öko-Hof wirtschaftlich arbeiten, das heißt, einfach überleben. Der Anruf kam aus dem Krankenhaus. Und von dort aus war sie sofort hierhergefahren, noch den Blick ihres Vaters vor Augen und den schwachen Druck seiner Hand auf der ihren. Und der Bitte, mach weiter, wo ich angefangen habe. Damit war ihre Karriere als Wissenschaftlerin ein für alle Mal dahin. Und als Öko-Bäuerin, das hatte SIE sich vorgenommen, würde sie neu anfangen müssen.

Jaques erwartete sie hinter dem gedeckten Frühstückstisch. Kaffee duftete verführerisch, Butter, Croissants und Schoko-Haselnusspaste standen bereit. Sie setzten sich.

„Danke“, sagte Marga und machte mit dem Messer eine Geste über den Tisch.

„Kein Ding.“ Jaques verschlang gerade den zweiten Croissant. Er sah sie gespannt an.

„Ja“, sagte Marga gedehnt. „Das ist so.“ Sie nahm einen Schluck aus der Kaffeetasse. „Ich brauche mal Urlaub.“

Jaques nickte. „Ich habe mich schon gewundert, wie lange Sie das noch aushalten können.“

Marga zuckte mit den Schultern. „Vater hatte auch nie Urlaub. Immer nur den Hof. Erst das Vieh, dann der Mensch.“

„Das ist richtig so.“

„Sie werden solange den Hof führen.“

Jaques Augenbrauen flogen nach oben. Er bekam einen roten Kopf. „Das kann ich nicht.“

„Doch. Du kannst das.“ Marga war unwillkürlich, nach fünf Jahren(!) zum ‚Du‘ übergegangen.

„Aber, wenn ich was nicht weiß. Ich meine …“

„Es gibt Handy, Internet, Mails, Es-em-essen und sowas.“

„Hm.“

„Also abgemacht. Ich verschwinde gleich nach dem Frühstück. Was zu tun ist, hatten wir bereits gestern besprochen. Ja?“

„Hm.“

„Nur für eine Woche, oder zwei.“

„Hm.“

„Oder drei. Ich weiß noch nicht.“

 

Marga liebte ihre Heimat, die Normandie. Die sanften Hügel. Die vielfarbigen Rechtecke der Felder und Wiesen. Den klaren, kühlen Himmel des Nordens. Hier und da ein Wäldchen, ein Gehöft, dann Städtchen wie aus dem Märchenbuch. Der Land-Rover brummte eine gleichförmige Melodie. Marga hatte einen Kompass aufs Armaturenbrett gelegt. Wichtig war nur, dass der Zeiger immer auf Süden wies. Mehr brauchte sie nicht.

Mittags war sie bereits an Rennes vorbei. Irgendwo dahinter fand sie ein kleines Restaurant, in dem sie zu Mittag aß. Die Männer, sicher Bauern aus der Umgebung, sahen sie lange an. Sie hatte Reitstiefel an den Füßen, in denen graue Hosen steckten und den Blaser über ihrem geliebten karierten Männerhemd. Sie grüßte zum anderen Tisch hinüber, die Bauern grüßten zurück, und beschäftigten sich wieder mit ihren Dingen.

Nach Süden! Die Landschaft war immer noch sanft und ohne besondere Merkmale. Sonnenblumenfelder wechselten sich mit Wein ab. Dann Mais, Koppeln, auf denen Rinder und Pferde weideten und Getreide. Buschwerk an den Straßenrändern. Marga umfuhr die Autobahnen, immer der Nase nach, weiter nach Süden, bis sie nicht mehr konnte.

Vor Portier lag ein Hotel direkt an der Departement-Straße. Sie checkte ein, stieg die Treppe zu ihrem Zimmer nach oben und fiel schnaufend rückwärts aufs Bett.

 

Sie erwachte, weil sie Hunger hatte. Die Sonne stand noch hoch, jetzt im Sommer. Im Vorbeigehen duschte sie noch schnell, trocknete ihre Haare mit dem Föhn. Sie suchte lange im Koffer nach einem passenden Kleid, denn mit Hosen, Blaser und Stiefeln zum Abendessen zu gehen, dazu war es einfach zu warm.

Sie fand das Kleid. Jenes, das sie an jenem Abend angezogen hatte, als René bei ihr gewesen war. Er hatte sie angesehen, wie ein Mondkalb. Als ob er noch nie eine Frau im Kleid gesehen hätte. Damals, wie jetzt, gab es ihr einen kleinen Stich ins Herz. René!

Auf dem Weg ins Restaurant dachte sie über ihre Beziehung zu René nach. Ein One-Night-Stand. Aber sie hatte es so gewollt.

Sie hatte René verführt, im wahrsten Wortsinne. Sie wollte ihn verführen und mit ihm schlafen. Warum, wusste sie bis heute noch nicht. Sie wusste nur, dass sie es gewollt hatte!

Als sie von ihm herunter gerollt war und schwitzend auf dem Rücken lag, fragte sie: „Was nun?“ Sie erwartete keine Antwort. René würde morgen weiterfahren und fertig. René brummte etwas Unbestimmtes. Ihr war klar, dass es hier nicht um die große Liebe ging. Sie war kein Mädchen mehr, das in Schwärmerei verfiel, weil es mit einem Mann geschlafen hatte. Sie wollte nur irgendwie Klarheit. Ob es nur darum gegangen war, nach Monaten wieder einen Mann gehabt zu haben? „Es war schön, Marga.“ Sie konnte es nicht sehen, aber spürte sein Lächeln. „Ja“, sagte sie, und nach einigen Minuten: „Nochmal?“

Beim zweiten Mal erlebte sie eine wahre Explosion der Gefühle. Sie biss sich auf die Lippen, um nicht zu schreien vor Wonne und Glück. Dann lag sie lange schwitzend und zitternd auf René. Es sollte nicht enden! Und wusste doch, das war es. Mehr gibt es nicht! „Ist Dir kalt?“, fragte er. Marga schüttelte den Kopf und presste sich nur noch fester an ihn.

Im Bad dann, stand sie neben ihm vor dem großen Spiegel. „Ein schönes Paar“, flüsterte sie. Mehr für sich, doch er hatte es gehört. Sie war einen Kopf kleiner und sah zu ihm auf, während sie über seinen Bauch strich. Die Muskeln darunter spannten sich. Und René sah auf ihr Spiegelbild. „Sommersprossen“, flüsterte er. Dann standen sie noch lange unter der Dusche.

 

Das Bad war das erste, das sie nach dem Tode ihres Vaters verändert hatte. Schon als kleines Mädchen hasste sie diese graugrüne Kammer, mit dem Loch im Boden und der eisernen Wanne, dem Badeofen und nicht zuletzt dem Geruch nach Urin, Schweiß und Schimmel. Sie schuf sich ihr Reich; Hell, duftend, großzügig, weit.

Der Vater hatte Marga reichlich Geld auf dem Konto hinterlassen. Und so war sie in der Lage sich Wünsche zu erfüllen, die seinerzeit nicht möglich gewesen wären: Den Hof umbauen zu einem Öko-Gut. Und da noch genügend Geld übrig war, auch das Wohnhaus – alles nach dem Bad! Über einen ehemaligen Studienfreund schaffte sie Verbindungen zum Landwirtschaftsministerium und zur Universität. Sie promovierte doch noch, erhielt einen Studienauftrag und arbeitete ab und an als Gastdozentin. Das Gut warf, trotz Jaques Zweifeln, so viel ab, dass sie es erhalten konnte. Nein, wirtschaftliche Sorgen hatte Marga nicht! Nur keine Zeit mehr für sich. Und welche Frau braucht nicht ab und zu Zeit für sich? Seit Jahren keine Zeit für die Liebe oder wenigsten eine Freundschaft. Liebe? War Liebe das, was sie als Teenager geglaubt hatte, dass es das wäre?

 

Seit René sah sie es anders. Nach Renés Abreise, sie war noch lange am Tor gestanden und hatte seinem Wagen hinterhergesehen bis er verschwunden war, waren die Tage wie im Fluge vergangen. Alles war leichter gewesen, freundlicher, heller. Jaques sprach sie eines Morgens an: „Sie sind fröhlicher als sonst.“ Und sie reagierte zuerst ungehalten. „Was soll das?“, hatte sie gefragt. Doch er sah sie an: „Ich meine das ernst. Es ist schön zu sehen, wie Sie seitdem aufgelebt sind. Ehrlich.“ Und das war der Tag, an dem sie René, den Flüchtigen, mit Jaques, dem Sesshaften verglich.

 

„Ein Ragout und ein Viertel Rosé.“ Die Serviererin schwebte davon. So ein dünnes Mädchen, das glaubte, mit Hungern eine Karriere als Model in Paris zu machen. Aber so sind die Mädels eben. Was waren eigentlich ihre Träume gewesen, damals? Marga erinnerte sich nicht mehr daran. Sie kannte nur den Hof und ihren Vater und das Viehzeug und die Felder und Wiesen. Vielleicht glaubte sie damals auch an Karriere. Aber nicht als Model. Sie wollte immer Wissenschaftlerin werden. Mit weißem Kittel im Labor herumgehen und den Laboranten Befehle erteilen. So etwas in dieser Richtung.

 

Marga aß mit kleinen Bissen. Das Ragout vom Rind schmeckte köstlich. Der Koch hatte dazu ein Lauchgemüse gezaubert, dass genau auf den Grundgeschmack des Ragouts passte.

 

Ihre Mutter starb kurz nach dem Tod ihres Vaters. Doch die Bindung zwischen Vater und Tochter war stark und wurde auch nach Vaters Tod nicht weniger. Margas Vater war eher beides zugleich, Mutter und Vater. Bis auf die notwendige Zeit in der Schule und dann später bei Studium, verbrachte sie die gesamte Zeit mit Vater. Sie stand früh auf, machte die Ställe und ging zur Schule. Und danach: Hofarbeiten, Tiere versorgen. Mutter sah sie oft an, schüttelte den Kopf und seufzte: „Vaterkind.“ Doch sie war deswegen nicht böse.

Auch wenn Vater ein einfacher Mann, ein Bauer, gewesen war, so erzog er sie, wie wenn sie beide Eltern gehabt hätte. Und das Landleben machte ihm manches einfacher, als es bei den Stadtjugendlichen in Sachen Aufklärung der Fall sein sollte. Marga hielt das allerdings für ein Gerücht. Der Tod des Vaters nahm sie mehr mit als der vorhergehende der Mutter. Sie brauchte eine Weile um beide „unter die Erde zu bringen“. Und dann stand sie – erwachsen jetzt – doch ganz allein vor dem Tor, das auf den Hof führte, den sie jetzt übernehmen musste. Neben ihr Jaques, jung, kräftig, witzig und einer der wenigen Freunde. „Und nu?“, fragte er, während er von oben auf sie heruntersah. Sie hatte geseufzt, tief und lange. „Wir machen weiter. Wir machen mehr. Ich habe eine Idee.“ Damit tat sie den entscheidenden Schritt. Dann saßen sie tage- und nächtelang und machten Pläne. Dann bauten sie den Hof zu einem Öko-Gut um. Und hatten eine tolle Zeit.

 

Marga sah durch das Glas ihres Rosés auf den Tisch. Die Blumen, Teller, das Gebinde, alles rosa.

Jaques! Mit einem Male erkannte sie, dass sie und Jaques mehr verband als nur die Arbeit. Es war, die gemeinsame Idee und sie zu verwirklichen. Dabei hatte sie ihn nicht einmal so richtig wahrgenommen. Als Mitarbeiter schon. Sie hatte Aufgaben verteilt, Vorschläge entgegengenommen und umgesetzt. Sie wusste nicht einmal, wie lange Jaques am Tage arbeitete. Er war immerzu da, wenn sie ihn brauchte. Immer!

Vor ihren Augen tauchte Jaques auf: Gummistiefel, Jeans und freier Oberkörper. Braungebrannt, Muskeln an Schultern und Oberarmen, mit denen er einen Stier zu Boden werfen konnte. Sixpack. Jaques hatte mal eine Ferse auf der Schulter von der Weide in den Stall getragen. Sie war die Unterlegene in einem Kampf um den Rang der Leitkuh gewesen und ein Horn der Gegnerin hatte der Ärmsten die Seite aufgeschlitzt. Zum Glück hatte Jaques die Sache beobachtet. Die Kuhjungfrau konnte gerettet werden. Und seit einiger Zeit ist gerade diese Dame die Leitkuh einer Herde.

 

René. Nach dem zweiten Mal, immer noch schweißnass, rollte sie endlich von ihm herunter und kuschelte sich dicht an ihn heran. Ganz fest schmiegte sie sich in die Beuge, die er extra für die gemacht hatte. „Findest Du es schön hier?“, hatte sie leise und ein bisschen hoffnungsvoll gefragt. „Transvectio. Ja, für die Vorbeifahrenden.“ Und zum Frühstück dann: „Ich bin kein Bauer, was nicht impliziert, dass ich diesen Beruf geringachte. Aber ich bin Schriftsteller und wollte, seit meiner Kindheit schon immer Schriftsteller werden. Nichts Anderes. Was willst Du mit einem, der weiterzieht.“

Marga war enttäuscht. Und auch einverstanden, mit dem, was er gesagt hatte. Es war ehrlich! Er würde immer nur neben ihr stehen und nicht teilen können, was sie teilen wollte. Er war kein Bauer. Er würde unglücklich werden, und sie. Wie ginge es ihr denn, in seiner Lage? Dennoch hielt sich ihre Hochstimmung seitdem. Sie erinnerte sich an einen der vielen Studentenwitze über die Bibliothekarin, eine ältlichen, recht vertrockneten Person. Jemand hatte einen Zettel an die Tür geklebt: Rep. Penis. Dosis temp. non Interruptio.

Sie hatte ein Rezept eingelöst.

Ja?

Wirklich?

 

„Haben Sie noch einen Wunsch?“ Marga schrak aus ihren Gedanken. „Nein, zahlen bitte.“

Oben, unter der Dusche – sie glaubte, sämtlichen Staub aller Straßen auf ihre Haut aufgeladen zu haben – dachte sie wieder an Jaques. Der Strahl der Dusche peitsche ihren Rücken. Es stach und kribbelte. Sie wusste nicht wie sich Jaques Hände anfühlten. Sie kannte sie nur von Ansehen. Kräftig, quadratisch, gut. Wenn er sie jetzt berühren würde … Was wäre dann?! Marga versuchte sich vorzustellen, wie es sich anfühlen würde, wenn sie sich gegen ihn lehnte. Schnell stellte sie das Wasser ab und rieb sich trocken.

Faul wickelte sie sich das Badetuch um den Körper und ließ sich ebenso faul auf dem Bett nieder. Mit der rechten Hand tastete sie nach der Fernbedienung des Fernsehers. Nachrichten, im Anschluss ein Krimi. Sie sah noch die Nachrichten und die ersten Minuten des Krimis, dann war sie eingeschlafen.

 

René hatte sie von hinten umfasst. Zart streichelte er ihren Bauch und sacht ihre Brust. Marga drückte sich an ihn und es war ihr nicht einmal unangenehm, seine Erregung zu spüren. Ein warmes Leuchten ging durch ihren Körper und konzentrierte sich in ihrem Unterleib, wo es kribbelte und zuckte. Sie schlug die Augen auf. Jaques. Er sah ihr in die Augen. „Sommersprossen“, flüsterte er und nahm ihren Kopf in beide Hände. Sie fühlte seine Lippen, doch sie hatten keinen Geschmack. Und auch Renés Atem war nicht in ihrem Nacken. Doch lag sie zwischen den beiden Männern und fühlte sich klein und hilflos und weich. Und dann …

 

… wachte sie auf, weil sie fror. Sie schüttelte den Traum aus dem Kopf. Aber er blieb, wie ein klebriges Lindenblatt am Schuh hängen: René, Jaques, René.

Marga setzte sich auf und sah auf die Uhr. Der Fernseher lief immer noch. Es war zehn Uhr und Marga putzmunter. Eigentlich könnte sie jetzt weiterfahren, doch sie wusste, dass sie in zwei Stunden wieder viel zu müde war, um weiterzufahren. Durst hatte sie außerdem. Also zog sie sich wieder an und ging hinunter ins Restaurant.