Maria Theresia - Élisabeth Badinter - E-Book

Maria Theresia E-Book

Élisabeth Badinter

0,0

Beschreibung

Sie war intelligent, energisch, schön, charmant; gleichzeitig war sie intolerant, stur, antiintellektuell: Gewiss war Maria Theresia jedoch 1740 mit 23 nicht darauf vorbereitet, die Herrscherin des größten, aber auch fragilsten Reichs in Europa zu werden. Dennoch regierte sie die Habsburgermonarchie vierzig Jahre lang, war eine der mächtigsten Herrscherinnen Europas, dazu Mutter von 16 Kindern. In ihrer blendend geschriebenen Biographie eröffnet die aus Frankreich stammende feministische Autorin und Historikerin Élisabeth Badinter eine neue Sicht auf die starke Frau Maria Theresia, die zu einem Symbol habsburgischer Politik wurde und wie kaum eine Frau die Geschichte von Österreich prägte.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 427

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sie war intelligent, energisch, schön, charmant; gleichzeitig war sie intolerant, stur, antiintellektuell: Gewiss war Maria Theresia jedoch 1740 im Alter von 23 Jahren nicht darauf vorbereitet, die Herrscherin des größten, aber auch fragilsten Reichs in Europa zu werden. Dennoch gelang es ihr, trotz außen- und innenpolitischer Rückschläge, die Macht über ein Dutzend lose miteinander verbundener Nationen zu konsolidieren, ja mehr noch, richtungweisende Reformen zu initiieren, die zur Modernisierung ihres Herrschaftsgebiets wesentlich beitrugen.

In ihrer blendend geschriebenen Biographie zeigt die berühmte feministische Philosophin und Historikerin Élisabeth Badinter Maria Theresia als starke Frau, die es auf beispielhafte Weise zuwege brachte, politische Strategie und private Kraft miteinander zu vereinen und so zu einem Symbol habsburgischer Politik zu werden.

Zsolnay E-Book

Élisabeth Badinter

Maria Theresia

Die Macht der Frau

Aus dem Französischen von Horst Brühmann und Petra Willim

Paul Zsolnay Verlag

Für Alma

Inhalt

Vorbemerkung

    Prolog    Die zwei Körper der Königin

1. Kapitel   Kindheit einer Chefin

2. Kapitel   Von der Gemahlin zur Königin

3. Kapitel   Die entblößte Königin

4. Kapitel   Die Wandlungen der Königin von Ungarn und Böhmen

5. Kapitel   Die Regierung der Kaiserin-Königin

6. Kapitel   Privates und Öffentliches

7. Kapitel   Die zweite Mitregentschaft: Mutter und Sohn

8. Kapitel   Bis zum letzten Tag

    Epilog    Die drei Körper der Königin

Anhang

Danksagung

Genealogie

Karte

Abkürzungen

Quellen

Literatur

Register

Vorbemerkung

Maria Theresia von Österreich (1717 bis 1780) mag zwar eine der großen Persönlichkeiten ihres Landes gewesen sein, den Franzosen ist die Mutter Marie Antoinettes jedoch wenig bekannt. Auch ich habe sie über den Briefwechsel mit ihrer Tochter entdeckt, und über jenen mit ihrer Schwiegertochter Isabella von Bourbon-Parma, der ersten Ehefrau ihres Sohnes Joseph II. Diese Briefe zeigen eine zärtliche und zugleich strenge Mutter, die auf alles, was ihre Kinder betrifft, ein Augenmerk hat. Aber diese Mutter ist nicht irgendeine Mutter, sie ist eine Frau mit absoluter Macht, die über weite Gebiete vom Norden bis in den Süden Europas herrscht.

Die Habsburger Erbin hatte drei Leben zu führen und drei unterschiedliche, zum Teil durchaus widersprüchliche Rollen zu verkörpern: als Gattin eines geliebten, jedoch flatterhaften Ehemannes, als Mutter von sechzehn Kindern sowie als Herrscherin über ein riesiges Reich – eine Herausforderung, mit der kein männlicher Herrscher und nur wenige Frauen je konfrontiert waren.

Es ist weder meine Absicht, eine geschichtliche Studie über das theresianische Österreich noch eine Herrscherinnenbiographie in der üblichen Form zu verfassen; vielmehr möchte ich versuchen zu begreifen, wie diese mächtige Frau ihre unterschiedlichen sozialen Rollen miteinander vereinbaren oder eben nicht vereinbaren konnte. Ich möchte ihre Stärken und Schwächen ausloten, ihre Siege und ihre Niederlagen aufzeigen. Ich habe mich also auf die Suche nach ihrer Persönlichkeit gemacht, nach dem, was ihr wichtig war, und nach den unvermeidlichen Widersprüchen.

Der Forscherin, wenn sie der psychologischen Wahrheit einer historischen Persönlichkeit auf die Spur kommen möchte, steht kein besserer Wegweiser zur Verfügung als die veröffentlichte und unveröffentlichte Korrespondenz. Da die edierten Briefe häufig zensiert wurden, ist es unbedingt notwendig, die Originale heranzuziehen. Dank der in Wien und anderswo sowie in Privatsammlungen sorgfältig gepflegten Archive sind Tausende von Briefen erhalten, die Maria Theresia an ihre Familie, ihre Freunde und Mitarbeiter geschrieben hat, sowie deren Antworten – fast ausnahmslos auf Französisch verfasst. Da bei Hofe alle Augen auf die Herrscherin gerichtet waren, haben es einige der Höflinge auch nicht unterlassen, ihre Beobachtungen und Meinungen über die Kaiserin und ihr Handeln der Nachwelt zu hinterlassen.

Aber auch andere Quellen haben sich als überaus interessant erwiesen. Abgesehen von den Zeugnissen gelegentlicher Besucher und Reisender sind jene der ausländischen Gesandten in Wien besonders wichtig. In ihren nahezu täglichen Depeschen berichten sie nicht nur von Maria Theresias Politik, sondern lassen sich auch über ihre Persönlichkeit und ihre Umgebung aus. Auch wenn es manchen von ihnen an Scharfblick oder Objektivität mangelt und sie lediglich den Hofklatsch in Umlauf bringen, berichten diese Briefe doch auch von Tatsachen und Äußerungen, die man nirgendwo sonst findet, vor allem dank der Spione, die nicht selten enge Vertraute der Herrscherin waren.

Aus all diesen unterschiedlichen Quellen entsteht das Bild einer Frau, die zugleich nah und fern erscheint – nah, weil sie ihr Herz zu öffnen versteht und ihre Freude, ihren Ärger und ihre Kalamitäten auch wirklich zeigt; nah vor allem auch, weil sie sich Herausforderungen stellen musste, die Männern unbekannt, den Frauen des 21. Jahrhunderts jedoch sehr vertraut sind; aber auch fern, weil sie über eine Macht verfügte, die wir nicht kennen, und weil ihre Realität sich uns zu einem Teil entzieht. Dieses Porträt ist also nicht vollständig. Es bewahrt ein Geheimnis, das vielleicht andere eines Tages lüften werden.

Prolog

Die zwei Körper der Königin

Während der gesamten Epoche der Moderne steht die absolute Macht des abendländischen Monarchen im Maskulinum. Der Titel »Königin« verweist auf die Gattin des Königs und bezeichnet, im Gegensatz zu dem der »Regentin«, keinerlei spezifische Macht. Entsprechend kürte in der Mitte des 18. Jahrhunderts das Königreich Ungarn Maria Theresia zum »König«, nicht zur »Königin« von Ungarn.

Frauen, die an die absolute Macht gelangten, sind selten. Diejenigen, die dieses Privileg hatten, erhielten es – von den bemerkenswerten Ausnahmen Elisabeths I. von England und Katharinas II. von Russland abgesehen – zufällig beim Tode ihres Gatten oder vorübergehend bis zur Volljährigkeit des Erben. Viele dieser Regentinnen haben zudem diese Macht mit einem Rat geteilt oder an einen privilegierten Berater abgegeben. Blanka von Kastilien oder Katharina von Medici sind ebenfalls Ausnahmepersönlichkeiten. Gemeinhin jedoch regierten die Frauen lediglich mangels eines Besseren, das heißt eines Mannes, abgesehen vielleicht vom Russland des 18. Jahrhunderts. Maria Theresia bestätigt hier nur die Regel. Nur weil ein Stammhalter in der habsburgischen Nachkommenschaft ausblieb, entschloss sich ihr Vater schweren Herzens, ihr Zepter und Krone zu übergeben.

Um die vermeintliche Unschicklichkeit weiblicher Herrschaft zu ermessen, mag es nützlich sein, die Theorie der »zwei Körper des Königs« heranzuziehen, die der Geschichtswissenschaftler und Mediävist Ernst Kantorowicz entwickelt hat.1 Jene mystische Phantasie, die von englischen Juristen des Elisabethanischen Zeitalters verbreitet wurde, zielt darauf zu erklären, warum die Hoheitsgewalt, das heißt die Verkörperung des politischen Gemeinwesens, niemals erlischt. Dieser Vorstellung nach ist der König mit zwei Körpern ausgestattet: einem natürlichen Körper, der Leidenschaften, Krankheiten und dem Tod unterworfen ist, und einem unsterblichen politischen Körper, der das Königtum verkörpert; anders ausgedrückt: einem Körper aus Fleisch und Blut und einem symbolischen und abstrakten Körper. Sobald der natürliche Körper stirbt, wird der politische Körper augenblicklich auf den natürlichen Körper seines Nachfolgers übertragen. »Der König ist tot! Es lebe der König!«

Festzuhalten ist nun, dass die Idee, die Frau könne den politischen Körper inkarnieren, über Jahrhunderte hinweg verworfen wurde. So hielt man es bis ins 19. Jahrhundert für essentiell, dass der Monarch persönlich seine Truppen in die Schlacht führt – was für eine Frau schlicht undenkbar schien. Aber auch über dieses Hindernis hinaus hielt man den weiblichen Körper, der so ganz mit der Reproduktion befasst und zu sehr in der Welt des Natürlichen und Sterblichen befangen ist, für ungeeignet, eine symbolische Funktion wie die Hoheitsgewalt zu übernehmen. Tota mulier in utero. Die Königin hat lediglich einen einzigen Körper, der der Weitergabe des unsterblichen Körpers des Königtums im Wege steht. Sie sorgt für Nachkommenschaft und gibt Leben weiter, aber nicht die Macht, die sie selbst nicht empfangen kann. Die Mutterschaft ist somit das größte Hindernis für die weibliche Herrschaft.

Während der natürliche Körper des Königs kaum Anlass zu Kommentaren gibt, zieht der der Königin, seiner Gemahlin, die Blicke auf sich. Höflinge, Botschafter, Reisende, die sich ihr nähern können, beschreiben ihre physische Erscheinung, machen Bemerkungen über ihre Schönheit, ihre Anmut oder ihre Schönheitsfehler. Wenn sie jung ist, blicken alle Augen gebannt auf ihren Bauch, von dem die Erbfolge abhängt. Die einzige Frage von Gewicht lautet: Hat sie die Fähigkeit, Söhne zu gebären? Wenn sie unglücklicherweise nur mit Töchtern niederkommt oder das königliche Paar unfruchtbar ist, macht man sie dafür verantwortlich, und das Schlimmste ist zu befürchten: Verbannung, Ächtung, in bestimmten Fällen sogar Ermordung. Einem Sohn hingegen das Leben zu schenken verleiht der Mutter einen neuen Status und kann ihr einen Zuwachs an Einfluss einbringen, der allerdings nur ein kümmerlicher Ersatz für die wahre Hoheitsgewalt ist, denn hier handelt es sich um eine Macht aus zweiter Hand, eine illegitime und stets kritisierte Macht.

Das Jahrhundert der Aufklärung bot eine frappierende Widerlegung des Dogmas der weiblichen Unfähigkeit. Fünf Frauen bestiegen den Thron der beiden größten europäischen Reiche. In Russland regierte Katharina I.2, Witwe Peters des Großen, für zwei Jahre; Anna Iwanowna3 für zehn Jahre; Elisabeth I.4 für zwanzig und Katharina II.5 für vierunddreißig Jahre. Die fünfte ist Maria Theresia von Österreich, die vier Jahrzehnte lang ihr Land führte und wie niemand sonst zu seinem Sinnbild wurde.

Genau genommen verkörperte sie besser als ihre russischen Schwestern die weibliche Macht; im Hinblick auf sie lässt sich wirklich von den »zwei Körpern der Königin« sprechen. Als Gattin und Mutter hat sie musterhaft Weiblichkeit, Mütterlichkeit und Hoheitsgewalt in sich vereint. Der natürliche Körper war keineswegs ein Hindernis, sondern erwies sich als wichtigster Trumpf, um ihre Macht zu festigen. Aus dieser Perspektive ist sie innerhalb ihres Jahrhunderts unvergleichlich und zugleich ein kostbarer Meilenstein in der Geschichte der Frauen.

Erstes Kapitel

Kindheit einer Chefin

Die Erzherzogin Maria Theresia war keineswegs dazu prädestiniert, das größte europäische Reich zu regieren6; nicht weil ein Fundamentalgesetz, wie etwa das Salische in Frankreich, dies verboten hätte oder weil das Haus Habsburg lediglich die Gemahlin des Souveräns anerkannte, sondern weil ihr Vater dies nicht wünschte. Bis ans Ende seiner Tage hielt Kaiser Karl VI.7 an der Hoffnung fest, einen Sohn zu zeugen. Man kann sagen, dass bereits zu seinen Lebzeiten Maria Theresia, seine älteste Tochter, als Ersatz oder vielmehr als geringeres Übel galt. Eine zweite Wahl, notgedrungen, die wirklich ernsthaft in Erwägung zu ziehen er bewusst oder unbewusst ablehnte. Zudem betrachteten, vom Kaiser einmal abgesehen, weder der Wiener Hof noch die Erblande8, noch die anderen Herrscher Europas die Thronbesteigung einer Frau mit Wohlwollen und Respekt. Gleichwohl, mit der Zeit wusste jeder, dass es um den Fortbestand des Hauses Habsburg ging, das seit fünf Jahrhunderten die österreichische Monarchie regierte. Auch wenn der Kaiser und seine Untertanen wenig darüber sprachen – alle Welt dachte an nichts anderes.

Die obsessive Fixierung auf den Stammhalter

Diese Obsession beherrscht die Gemüter schon ein halbes Jahrhundert vor der Geburt Maria Theresias. Ihr Großvater, Leopold I. (1640 bis 1705), musste bis zu seinem achtunddreißigsten Lebensjahr und seiner dritten Ehe warten, um endlich einen Sohn zu bekommen, der auch das Erwachsenenalter erreichte, den zukünftigen Joseph I. Sieben Jahre später wurde ihm ein zweiter Sohn geboren, Karl, der spätere Vater Maria Theresias. Die Furcht vor dem Erlöschen des Mannesstamms muss wohl bereits vor seiner dritten Ehe von Leopold Besitz ergriffen haben, denn man munkelte in den Kanzleien, dass seine zweite Frau, die ihm lediglich zwei Töchter geschenkt hatte, welche schon in der Wiege starben, mit ihren dreiundzwanzig Jahren vielleicht auf nicht ganz natürliche Weise verschieden sei … Kurz vor seinem Tod muss ihn die Obsession erneut überkommen haben, als er feststellte, dass sein Erstgeborener Joseph bisher lediglich zwei Töchter hatte – trotz der diversen Heilmittel, die dessen Ehefrau9 anwandte, um dem Gatten einen Stammhalter zu schenken. Im Jahr 1703 änderte Leopold I. das Erbfolgegesetz dahingehend ab, dass im Falle ausbleibender männlicher Nachkommen bei seinen beiden Söhnen die Erstgeborene Josephs den Thron besteigen könne. Anschließend mussten seine beiden Söhne einen Eid darauf schwören, dass sie seinen Willen respektieren würden. 1705 trat Joseph das Erbe seines Vaters an, starb aber sechs Jahre später an den Folgen einer Pockenepidemie. Selbstverständlich folgte ihm sein jüngerer Bruder unter dem Namen Karl VI. auf den Thron.

Die Stammhalter-Obsession spukte dennoch weiterhin in den Köpfen.

Zwei Monate vor Karls Hochzeit mit der jungen und hinreißenden Elisabeth Christine10 – also zu einem Zeitpunkt, als sich Joseph noch bester Gesundheit erfreute und sich mit zweifelhaften Frauen herumtrieb – machten sich die Minister des Kaisers bereits um die mögliche »Unfruchtbarkeit«11 der Verlobten und um das Schicksal der regierenden Kaiserin Amalie Gedanken. »Man stellt Überlegungen über die Sterilität der Kaiserin [Amalie] und die unseligen Folgen für das Haus Österreich an … [Man sagt], wenn die Prinzessin von Wolfenbüttel diesem Haus keine männlichen Erben schenken werde, bevor die Manneskraft des Kaisers [Joseph] erlösche, müsse man unzweifelhaft der Kaiserin [Amalie] den Rat geben, sich für den Rest ihrer Tage in ein Kloster zurückzuziehen, und beim Papst Dispens für eine weitere Heirat des Kaisers erwirken. Man einigte sich darauf, diesen Weg zu beschreiten oder sogar etwas Schlimmeres für die Kaiserin zu ersinnen.«12

Fünf Jahre später merkt derselbe französische Agent im Hinblick auf die neue, noch immer kinderlose Kaiserin Elisabeth Christine lakonisch an: »Im Falle, dass man sich noch einige weitere Jahre um diese Hoffnung gebracht sieht und die Überzeugung gewinnt, das Gebrechen gehe auf die [neue] Kaiserin13 zurück, malen sich eine ganze Reihe von Leuten aus, dass man sie – auch wenn man vermutet, dass der Kaiser ihr viel zu sehr gewogen ist, um solches anzuordnen – gleichwohl an einer schleppenden Krankheit, von der niemand bemerken wird, dass sie nicht natürlichen Ursprungs ist, ohne sein [des Kaisers] Wissen zum Wohle des Staates wird sterben lassen.«14

Die unglückliche Mutter Maria Theresias wurde ihrerseits während des größten Teils ihres Frauenlebens von der Verpflichtung gequält, einen lebensfähigen Sohn auf die Welt zu bringen. Weniger als ein Jahr nach ihrer Hochzeit antwortet Elisabeth Christine ihrer bereits ungeduldig werdenden Mutter: »Was Eure Hoheit mir in Bezug darauf, dass ich noch nicht schwanger bin, zu verstehen gibt, werde ich auf jeden Fall befolgen und mir den Ratschlag, den Eure Hoheit mir erteilte, zu Herzen nehmen.« Ein wenig später äußert sie ihrem Vater gegenüber ihren »Kummer, noch immer nicht schwanger zu sein«.15 In Wien spricht man im Jahr 1711 unablässig von »ihrer Regel, die im spanischen Klima ausgeblieben sein soll […], und einem gewissen weißen Ausfluss, den man als Hindernis für die Fortpflanzung ansieht. Doch man ist überzeugt, dass bei ihrer Rückkehr nach Österreich ihre Natur wieder in Ordnung kommen werde.«16

Bei ihrer Rückkehr nach Wien im Jahr 1713, nachdem sie zwei Jahre fern von ihrem Ehemann in Katalonien verbracht hat, um dort den spanischen Thron zu verteidigen, stellt sich die Frage brennender denn je. Als das österreichische Klima nicht die erhofften günstigen Wirkungen zu zeitigen scheint, trifft Karl VI. im Geheimen eine seltsame Entscheidung. In einem Moment, in dem er noch gar kein Kind hat, beschließt er, die von seinem Vater gewünschte Nachfolgeregelung zu verändern. Im Falle, dass er, wie sein Bruder, nur Töchter bekäme, sollte nicht mehr die älteste Tochter Josephs, sondern seine eigene den Thron erben.17 Von nun an hätte die weibliche Nachkommenschaft Karls den Vorrang vor der seines Bruders. Diese Entscheidung, die er trifft, als seine Gattin erst zweiundzwanzig Jahre alt ist und man überhaupt noch nicht weiß, ob sie nicht doch Kinder bekommen kann, scheint ebenso unerwartet wie weitblickend.

Kindheit und Jugend

Die Geburt Maria Theresias am 13. Mai 1717 ist eine ungeheure Enttäuschung. Es ist ein Mädchen, und das Unglück wollte es, dass sie ein Jahr nach dem Tod eines kleinen Prinzen18, der mit sieben Monaten starb, geboren wird. Diese erste, so lang ersehnte Geburt hatte die Eltern glücklich und stolz gemacht. Sie unterstrich Elisabeth Christines Legitimität und trug ihr eine neue Autorität ein, und sie sicherte Karl VI. endlich die männliche Nachfolge. Am Wiener Hof fand eine Festlichkeit nach der anderen statt, auf die wenig später tiefe Betrübnis folgte. Der Repräsentant Frankreichs in Wien schreibt: »Der Kaiser trägt es mit der ihm eigenen Festigkeit, aber der Schmerz der Kaiserin ist so heftig, dass man um das Kind fürchtet, das sie austrägt.«19 Man darf zu Recht annehmen, dass der natürliche Kummer der Mutter durch den Verdruss, nun die verlorengegangene Legitimität erneut zurückgewinnen zu müssen, noch verstärkt wurde. Das heißt: Alle, und sie ganz besonders, erwarteten, dass der Verlust durch die Geburt eines zweiten Sohnes wettgemacht würde.

Als Maria Theresia zur Welt kommt, finden – anders als für einen Erzherzog – keinerlei öffentliche Festlichkeiten statt. Der Kaiser schreibt an seine Schwiegermutter: »Meine Gattin ist nicht damit zufrieden, dieses Mal nur eine Tochter zu haben, aber ich sage, es ist immerhin ein Kind, und ich hoffe, dass noch Söhne und Töchter folgen werden.«20 Vergebliche Hoffnungen, da nach Maria Theresia nur noch zwei Töchter geboren werden, Maria Anna und Maria Amalia.21

Über Maria Theresias frühe Kindheit wissen wir sehr wenig, außer dass bei ihr schon frühzeitig der religiöse Glauben geweckt wurde. Bald schon begleitete sie ihre Eltern bei deren Wallfahrten und zahlreichen Andachtsübungen. Sie wurde eher zu einer guten Katholikin und makellosen Prinzessin erzogen als zur zukünftigen Herrscherin über ein riesiges Reich. Kurz, man bemühte sich mehr darum, ihre persönlichen Tugenden – Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Großzügigkeit – zu kultivieren, als ihr die Kunst des Regierens und die Ausübung von Macht beizubringen.

Von Jesuiten unterrichtet, kannte sie sich in biblischer Geschichte wie auch der Geschichte der antiken Reiche gut aus, wusste aber kaum etwas über Diplomatie, Recht, Finanzen, zeitgenössische Geschichte und Geographie, also über all die Wissensgebiete, die für einen Souverän so unentbehrlich sind. Hingegen wurde der Unterricht in den Sprachen und den Künsten besonders sorgfältig betrieben. Sie sprach fließend Französisch22 – manche sagen, besser als Deutsch, ihre Muttersprache –, recht gut Italienisch und ein wenig Spanisch. Man hat ihr auch Latein beigebracht, die offizielle Amtssprache in Ungarn. Auch wenn Maria Theresia nur selten ein Buch aufschlägt und wenig Interesse an philosophischen Ideen zeigt, so verbringt sie doch beachtlich viel Zeit damit, sich mit den Künsten vertraut zu machen. Mit fünf Jahren lernt sie unter der Anleitung der besten italienischen Meister zu zeichnen, zu malen und zu tanzen. Wie ihr Vater ist sie sehr musikalisch, spielt Cembalo wie eine Berufsmusikerin und singt wie ein Engel. Im Alter von sieben Jahren führt sie zu Ehren ihrer Eltern am Hof23 eine kleine Oper auf, die ihr viel Beifall einbringt. Etwas später schreibt ein Reisender, der Gelegenheit hatte, bei einer solchen Aufführung anwesend zu sein, voller Überschwang: »Ich habe in meinem ganzen Leben niemals etwas so Schönes, so Rührendes und so Vollkommenes gesehen wie Ihre Königliche Hoheit, wenn sie singt und tanzt.«24 Ausgezeichnet ist sie aber vor allem auf der Theaterbühne. Sie ist eine großartige Schauspielerin, die ihre sonst mit Komplimenten eher sparsame Mutter einfach als »phantastisch« bezeichnet.25 Festzuhalten ist dieses Detail: Maria Theresia kann alle Rollen spielen, was ihr bei der Ausübung von Macht und in der Kunst der Diplomatie von großem Nutzen sein wird.

Als Jugendliche ist Maria Theresia ein fröhliches, manchmal sogar ausgelassenes junges Mädchen. Sie hat schöne blaue Augen, ein ebenmäßiges Gesicht und natürliche Grazie, die alle, die ihr begegnen, verblüfft. Gleichwohl ist sie wenig kokett, achtet nicht besonders auf ihre Kleidung, und sie ist so mager, dass ihre Eltern darüber beunruhigt sind.

Die Zwiespältigkeit des Vaters

Karl VI. wandte unglaubliche Energie darauf, dass die Pragmatische Sanktion, die die künftige Macht seiner Tochter legitimierte, von den übrigen Höfen anerkannt wurde. Er gab dafür eine Menge Geld aus und machte sogar territoriale Zugeständnisse, um sowohl die Kurfürsten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation davon zu überzeugen, als auch die Billigung ausländischer Mächte zu erwirken. Die Pragmatische Sanktion betraf sie alle, denn sie implizierte gleichzeitig das Prinzip der Unteilbarkeit seines Kaiserreiches. Indem sie sich einverstanden erklärten, ihre Unterschrift darunter zu setzen, verpflichteten sie sich – im Prinzip – auch dazu, die Grenzen des großen Reiches anzuerkennen.

Dieser liebende Vater hat trotz allem während dieser Jahre niemals die Hoffnung aufgegeben, einen Sohn zu bekommen, dem er die Regierungsmacht würde übergeben können. Daher die widersprüchlichen Signale, die er immer wieder seiner Tochter wie dem Hof gab. Einerseits ließ er sie im Alter von vierzehn Jahren an seinem Geheimen Rat teilnehmen26, andererseits verlangte er von ihr, am Vorabend ihrer Hochzeit eine Erklärung zu unterzeichnen, in der sie im Falle der Geburt eines Sohnes auf die Krone verzichten würde. In Wahrheit hat er sie nie auf ihre Rolle als Herrscherin vorbereiten wollen, denn er konnte sich von der Idee einer männlichen Nachfolge nicht verabschieden.

Viele Jahre nach dem Tod ihres Vaters und nach schrecklichen Prüfungen wird Maria Theresia in einer an ihre Kinder gerichteten Denkschrift schreiben, dass sie sich beim Ableben Karls VI. unvorbereitet fühlte: »Da sich der unvermuthete betrübliche Todes-Fall meines Herrn Vatters Höchstseeligster Gedächtnüss ereignet und vor mich umb so viel mehr schmertzlich ware, weilen nicht allein selben verehret und geliebet als einen Vattern, sondern als wie die mindeste Vasallin als meinen Herrn angesehen, und also doppelten Verlust und Schmertzen empfunden, und damahlen die zu Beherrschung so weitschichtiger und vertheilter Länder erforderliche Erfahr- und Känntnüss umb so weniger besitzen können, als meinen Herrn Vattern niemals gefällig ware, mich zur Erledigung weder der auswärtigen- noch inneren Geschäften beyzuziehen, noch zu informiren; […]«27

Es gibt mehrere mögliche Erklärungen für das seltsame Verhalten des Vaters. Die erste ist eine Furcht, die zweite ein uneingestandener Wunsch. Während der Pubertät treten bei Maria Theresia beunruhigende Symptome auf: Obwohl sie schon sechzehn ist, hat sie – trotz der Thermalbadkuren, die man ihr in Graz verordnet – noch immer nicht ihre Regel. Jahr für Jahr muss man die Ankündigung ihrer Hochzeit und damit die Möglichkeit einer Mutterschaft hinausschieben.28 Ihr Vater könnte befürchtet haben, dass sie die Störung von Elisabeth Christine geerbt hat. Noch beunruhigender ist der Gesundheitszustand des jungen Mädchens zu dieser Zeit. Sie ist extrem schlank, ja mager, und man munkelt, sie leide an Schwindsucht.29 Bussy merkt an: »Die ältere Erzherzogin ist von derart delikater Gesundheit, dass man jeden Moment um ihr Leben fürchten muss.«30 Und er fügt in einer anderen Depesche hinzu: »Die Kaiserin [Elisabeth Christine] ist in ihrer ersten Leibesfülle versunken und gibt weniger denn je Anlass zur Hoffnung auf Nachkommenschaft.« Zumal sie die vierzig bereits überschritten hat.

Konfrontiert mit seiner Tochter, deren Tod er befürchtete, und seiner Frau, von der er nicht mehr viel zu erhoffen hatte, könnte Karl VI. von einer zweiten, fruchtbareren Ehe geträumt haben. Aber damit sein Traum hätte Wirklichkeit werden können, hätte seine Gemahlin sterben müssen. Er war einst sehr verliebt in seine schöne junge Frau gewesen und hegte noch immer zärtliche Empfindungen für sie. Die Ambivalenz der Gefühle erreichte ihren Höhepunkt und schuf für Elisabeth Christine und ihre älteste Tochter eine zumindest unangenehme Situation. Dies umso mehr, als der Hof und die ausländischen Botschafter regelmäßig über die Möglichkeit einer erneuten Heirat spekulierten und dafür sorgten, dass ein gegen die erste Ehefrau gerichteter Todeswunsch über dem Hause schwebte – ein Wunsch, der von der chronisch schlechten Gesundheit Elisabeth Christines weiter genährt wurde, die durch die abwegigen Behandlungen31, denen man sie aussetzte, um ihre Fruchtbarkeit zu befördern, inzwischen fettleibig geworden war und manchmal kaum mehr gehen konnte. Vielleicht also ein heimlicher Wunsch des Kaisers, dem man schon kurz nach seiner Heirat vorausgesagt hatte, dass die Kaiserin nicht lange leben werde.32

Von 1715 an wurde in den Kanzleien über den baldigen Tod Elisabeth Christines und eine erneute Heirat Karls gemunkelt. Zunächst war von der ältesten Tochter seines Bruders Joseph, Maria Josepha33, die Rede, dann von der ältesten Tochter aus dem Hause Lothringen, Elisabeth Therese34, später von deren jüngerer Schwester, Anna Charlotte, und schließlich, einige Wochen vor seinem unerwarteten Tod, von der Prinzessin von Modena.35

All dies hätte die Erzherzogin Maria Theresia vermuten lassen können, dass sie niemals regieren werde.

Der Motor des Imperiums

Wenn man in einer solchen Atmosphäre aufgewachsen ist, stellt sich die Frage, wie Maria Theresia Gefallen an der Macht finden konnte. Führt man sich die heutige Geschichte vor Augen, so erkennt man, dass Töchter, die ihren Vätern an die Macht folgten, sich häufig der Bewunderung, der Zuneigung oder des gegenseitigen Respekts erinnern, der sie miteinander verband.36 Die Identifikation mit einem mächtigen Vater und dessen Gefühle für seine Tochter sorgten für das Übrige. Bei Maria Theresia liegt der Fall jedoch anders. Oft hat sie von Respekt vor ihrem Vater gesprochen – wie es die töchterliche Ehrerbietung verlangt –, aber niemals von Bewunderung für ihn. Sie hat den Kaiser, seine Entscheidungen und seine Art zu regieren sogar scharf verurteilt.

Ein Mann ohne Prestige, ein gescheiterter Herrscher

Als Vater liebevoll, als Freund treu und großzügig gegenüber seinen Angehörigen, erschien Karl allen anderen gegenüber jedoch herablassend und distanziert. Mittelgroß, mit braungebranntem Gesicht, langsam in seinen Bewegungen – sein äußeres Erscheinungsbild beindruckte nicht sonderlich. Die Beschreibungen, die die Diplomaten von ihm hinterließen, sind zwiespältig und bezüglich seines Charakters und seiner Fähigkeiten zumeist sehr harsch. Zwar gestand man ihm in seiner Jugend »ordentliche Sitten, einen gewissen Mut und lautere Absichten« zu, doch fügt derselbe Porträtist hinzu: »Er tut sein Bestes, um selbst zu regieren, aber sei es, dass die Natur ihm die dafür nötige Geistesschärfe versagt hat, sei es, dass das Vertrauen in seine Minister ihn dazu hinreißt, es scheint, als bewege er sich zumeist dorthin, wohin sie wollen.«37 Ein anderer vorgebrachter Grund: »Die natürliche Abneigung, die er gegenüber der Arbeit hat.«38 Selbst als er im Begriff war, den Vertrag für ein Verteidigungsbündnis mit dem König von England zu schließen, habe er »nicht die Zeit gefunden, diesen mit Aufmerksamkeit zu lesen«.39

Der wahre Grund für diese häufig erwähnte Trägheit dürfte seinem schwermütigen Wesen geschuldet gewesen sein, das sich lediglich durch Jagd und Musik ein wenig aufheitern ließ.

Bereits 1722 hebt ein Diplomat »die der Natur des Kaisers eigene Traurigkeit« hervor, »ein neuer Grundzug von Melancholie und sogar Lethargie, die sich nur zu deutlich auf seinem Gesicht und in seinem ganzen Verhalten zeigt«.40 Die folgenden Jahre bestätigen die Diagnose.41 Die Folgen für die Regierung des Reiches waren desaströs. Die österreichischen Länder benötigten dringend Finanz- und Verwaltungsreformen, die jedoch nicht durchgeführt wurden, und die Armee lag nach dem Tod Prinz Eugens42 völlig darnieder. Zum Unheil seiner Völker begann Karl im Juli 1737, als er weder über die finanziellen noch über die militärischen Mittel verfügte, einen Krieg gegen die Türken. Das Resultat: Er musste auf demütigende Weise kapitulieren und einen Teil seines Territoriums abtreten. Der Marquis de Mirepoix, Gesandter Frankreichs, notiert mitten im Krieg: »Der Kaiser ist in seiner Hauptstadt überhaupt nicht beliebt, und die Gefühle seiner Untertanen sind hinreichend bekannt.«43 Entsprechend trauerten weder der Hof noch das Volk um ihn, als er zwei Jahre später starb.

Maria Theresia, der all dies nicht verborgen blieb, hat sich sicherlich nicht mit ihrem Vater identifiziert. Ihr Verlangen nach Macht dürfte sich eher auf die – von mächtigen Frauen geprägte – mütterliche Linie sowie auf ihre eigene Charakterstärke zurückführen lassen.

Eine ehrgeizige Großmutter

Christine Luise von Oettingen-Oettingen44, die Mutter Elisabeth Christines, war mit dem etwas jüngeren Ludwig Rudolf45 von Braunschweig-Wolfenbüttel verheiratet, der von seinem Vater dominiert und von seinem Bruder schlecht behandelt wurde. Liest man den Briefwechsel, den Elisabeth Christine mit ihrem Vater46 unterhielt, begreift man, dass er ein schwacher Mann war. Kaum ist sie mit Karl verheiratet, verbringt jener seine Zeit damit, über seine Situation zu jammern und, Brief um Brief, um Geld und Posten zu betteln. Nichts dergleichen bei Christine Luise, die sich zuallererst für die Fruchtbarkeit ihrer Tochter interessiert. Ihr Ehrgeiz und ihr Stolz schlagen sich darin nieder, dass sie bedeutende Hochzeiten anbahnt. Sie selbst hat zwar nur drei Töchter, aber dank dieser kann sie sich als »die Großmutter Europas«47 bezeichnen. Allerdings machen ihre Ambitionen dort nicht halt. Sie träumt von einer Vergrößerung ihres kleinen Herzogtums. Als der König von England einen Alliierten sucht, um den König von Frankreich aus Deutschland zu vertreiben, und als Belohnung eine Teilhabe an der Kriegsbeute verspricht, wendet man sich an sie, nicht an ihren Mann.48

In Wien, wo sie sich bei jeder Niederkunft ihrer Tochter aufhält, ist sie nicht gern gesehen. Man sagt ihr nach, »sehr ehrgeizig und intrigant« zu sein, sie versuche, »ihre Vorschläge bezüglich einer Vergrößerung ihres Hauses der Kaiserin und, über diese, dem Kaiser schmackhaft zu machen«.49

Intrigant oder nicht, diese Großmutter ist besonders scharfsinnig und intelligent. Während des Österreichischen Erbfolgekriegs unterhielt sie eine treffliche Korrespondenz politischen und militärischen Inhalts mit ihrem alten Freund General Seckendorff wie auch mit ihrer Enkeltochter Maria Theresia50 – Briefwechsel, die beweisen, dass es sich um eine geistreiche und weitblickende Frau handelt. Obwohl die »Blutsbande [sie] mit allen Seiten verbinden«51, ergreift sie aus freien Stücken Partei für ihre Enkelin und gegen ihren Schwiegerenkelsohn, den Preußen Friedrich II.

Eine kriegerische Mutter

Niemand ließ sich weniger in die Karten schauen als Elisabeth Christine. In den Augen der Zeitgenossen weist sie alle Merkmale einer traditionellen Ehefrau auf, die sich nicht in die Politik einmischt. Lediglich drei Themen haben die Aufmerksamkeit der Chronisten auf sich gezogen: ihre – bereits erwähnte – Unfruchtbarkeit, ihre Schönheit und ihre Gesundheit.

Als Karl sie in Katalonien kennenlernt52, ist er schlicht von ihr hingerissen – wie zuvor auch schon sein Bruder Joseph. Schon dieser hatte mitgeteilt: »Ich muss gestehen, dass ihre Jugend, ihre Schönheit, ihre Reize meine kühnsten Träume übersteigen.«53 So erging es auch Karl, der einen Tag nach Elisabeths Ankunft an seinen Schwiegervater schreibt: »Jetzt, da ich sie vor mir sehe, empfinde ich alles, was man mir über sie erzählt hat, als bloßen Schatten im Vergleich zum Glanz der Sonne. Mir fehlen die Worte, um diese seltenen und kostbaren Vorzüge zu beschreiben, wie auch, um meiner Freude passenden Ausdruck zu verleihen.«54

Objektiver vielleicht, aber nicht weniger exaltiert ist das Bild, das Lady Montague bei ihrem Aufenthalt in Wien im Herbst 1716 zeichnet. Nach einer Privataudienz mit »der schönsten Fürstin auf dieser Erde« beschreibt sie jedes Detail ihres Gesichts, ihre wunderschönen Haare, ihre Figur und ihre vollendeten Formen, wie es der Verliebteste aller Männer getan hätte. Sie gesteht sogar: »Nichts kann die Schönheit ihres Halses und ihrer Hände übertreffen. Ehe ich diese mit eigenen Augen sah, hätte ich niemals geglaubt, dass eine solche Vollkommenheit auf der Welt anzutreffen ist, und ich bin schier untröstlich, dass mein Rang es mir hier nicht gestattet, diese [Hände] zu küssen.«55

Dreizehn Jahre später schildert ein anderer Reisender »ihre Güte, ihre Liebenswürdigkeit […], den Hauch von Bescheidenheit, Sanftmut und Erhabenheit in allen ihren Handlungen«, aber von ihrer Schönheit spricht er in der Vergangenheitsform. Für die Gegenwart jedoch hebt er »die Rötungen im Gesicht und die Leibesfülle«56 hervor; man spricht nur von ihren Krankheiten und von ihrer Wundrose57, die sie ins Grab zu bringen drohen.

Alle wiederholen immer wieder, dass sie seit ihrer Rückkehr aus Barcelona nichts mehr zu sagen habe und sich in nichts einmische.58 Dies ist zumindest der äußere Eindruck, den sie bei all jenen hinterlässt, die sie nicht kennen, und um dessentwillen in der Geschichtsschreibung lediglich ein blasses Bild von ihr erhalten blieb.

In Wirklichkeit handelt es sich bei Elisabeth Christine um eine wahrhaft machtbewusste Frau, die dem Krieg die Stirn geboten hat und sich leidenschaftlich für Politik interessiert. Man hat zu rasch vergessen, dass Karl, der zum Kaiser gewählt werden sollte, 1711 nach Wien zurückkehren musste und seine Frau zwei Jahre lang in Barcelona als Regentin und Statthalterin im Krieg gegen Philipp V. zurückließ. Selbstverständlich war sie von Ministern und Generälen umgeben, aber wenn man ihren Briefwechsel mit Karl liest, in dem sie über alles berichtet, stellt man fest, dass sie keineswegs die Rolle einer bloßen Galionsfigur abgegeben hat. Sie stellt sehr präzise Kenntnisse über die Stärke der kämpfenden Parteien und die Nachschubprobleme des Militärs unter Beweis. Sie versteht sich auf Strategie und Politik. Man könnte fast sagen, dass sie den Krieg liebt. Man spürt ihre Erregung, wenn sie ihrem Mann schreibt: »Wir dürfen unserem Feind keinen einzigen Augenblick der Ruhe gönnen. Wir wollen erneut über ihn triumphieren und deshalb werden wir den Herzog von Anjou gefangensetzen.«59 Da die Briefe, die übrigens häufig vom Feind abgefangen wurden, Monate brauchten, bis sie Wien erreichten, war es in Wirklichkeit sie, die die Entscheidungen traf.

Zurück in Wien, wird die Kaiserin – ohne schwanger zu sein – gebeten zu schweigen. Hier oder dort jedoch nimmt man den Nachhall ihrer Unzufriedenheit wahr. Bereits 1715 merkt Du Luc in einer Depesche an: »Die regierende Kaiserin hat sich bisher in nichts eingemischt, doch seit ihrer Schwangerschaft beginnt sie, ihrem Herzen Luft zu machen […]. Ich weiß aus guter Quelle, dass sie vor wenigen Tagen dem Kaiser gesagt hat: ›Ihr untersagt Eurer Gemahlin, mit Euch über Staatsgeschäfte zu sprechen, während Ihr der Badiani [einer intimen Freundin des Prinzen Eugen] erlaubt, über das Reich und alle Eure Kreaturen zu verfügen.‹«60 Ein Jahr später schreibt Du Bourg nicht ohne Ironie: »Die Kaiserin, die sich in nichts einmischt, hat an ihre Mutter geschrieben und hält sie dazu an, vom König von England in Erfahrung zu bringen, was er über diesen Vertrag denkt und worauf der Kaiser seinerseits in Zukunft bauen kann.«61

Im Jahr 1738 bringt der Botschafter Mirepoix – dank der vertraulichen Mitteilung eines Günstlings des Kaisers und einer intimen Freundin der Kaiserin – in einer Note über den Wiener Hof ans Licht, dass sich Elisabeth Christine »seit drei Jahren in die Staatsgeschäfte einmischt […]. Sie hat gegen den Marschall Königsegg, den sie früher protegiert hat, Partei ergriffen und gegen den Marschall Khevenhüller, der [daraufhin] von allen seinen Ämtern zurücktreten wollte. [Sie] haben mir versichert, dass sie ihren Mann regiere […]. Sie nimmt so sehr an den Staatsgeschäften teil, dass sie den Ersten Schreiber Wöber, wenn es ihr gefällt, zum Vortrag kommen lässt, während er beim Hofkriegsratspräsidenten Graf von Harrach sein sollte.«62

Die französischen Diplomaten waren nicht die einzigen, die das wahre Gesicht der Kaiserin hinter der Maske der demütigen Gattin entdeckten. Nach dem Tod des Kaisers erklärt Otto Podewils, der Gesandte des preußischen Königs in Wien und ein scharfsinniger Porträtist: »Ehrgeiz ist ihre bevorzugte Leidenschaft und das Prinzip der meisten ihrer Handlungen […]. Zu Lebzeiten des Kaisers Karl VI. hat sie sich an den Staatsgeschäften beteiligt und – scheinbar ohne sich einmischen zu wollen – diese häufig nach ihrem Gutdünken gelenkt.«63 Äußerungen, die von Khevenhüller64, einem wertvollen Augenzeugen des Hofes, bestätigt werden; einige Tage nach dem Tod Elisabeth Christines notiert er: »Sie hat die letzten Jahre fast gänzlich regiert, aber so unmerklich, dass Kayser Karl doch allein zu regieren glaubte, und für seine eigenen Gedanken hielt, was sie ihm geschickt beizubringen gewusst hatte.«65

Maria Theresia und ihre Mütter

Die leibliche Mutter

Alle Welt stimmt darin überein, dass Maria Theresia ihrer Mutter, als diese jung war66, sehr ähnelt, wenn auch weniger vollkommen ist. Die gleichen Haare, der gleiche Teint, die gleichen Schultern, das gleiche Aussehen. Das eher runde Gesicht der Tochter ist aber nicht von einer solchen Ebenmäßigkeit wie das der Mutter. Eines ist sicher: Die beiden Frauen verfügen über außergewöhnliche Anmut und ebensolchen Charme. Im Gegensatz dazu sind ihre Gefühle füreinander ein unergründliches Geheimnis. Obwohl Maria Theresia zigtausend Briefe hinterlassen hat, darunter äußerst private, hat bis heute noch niemand einen Hinweis auf ein enges Verhältnis der beiden zueinander gefunden. Elisabeth Christine hinterließ in ihrem Briefwechsel mit ihrer Mutter lediglich zwei kurze Bemerkungen, die sich auf ihre noch kleinen Töchter beziehen. Die erste stammt von 1718, als Maria Theresia noch keine achtzehn Monate und ihre kleine Schwester lediglich ein paar Wochen alt war: »Ich fürchte, dass die Kleine nicht groß werden wird, Gott beschütze sie besonders. Die Ältere ist sehr lustig und beginnt mich mehr zu lieben, als ich das will, denn ich hätte gern, dass sie den Kaiser bevorzugte, der sie sehr liebt, und er bekennt, dass es ihm sehr angenehm ist, wenn sie den Kaiser mehr ins Herz schließt als mich.«67 Die zweite Anspielung auf ihre Töchter aus dem folgenden Jahr ist so lapidar wie unbedeutend: »Die eine [Maria Theresia] hat eine Erkältung und ist extrem mager, die andere ist lediglich zu dick.«68 Nichts, was ihre mütterlichen Gefühle verraten würde.

Es bleiben lediglich in der politischen Korrespondenz einige wenige Hinweise auf Unstimmigkeiten zwischen den beiden erwachsenen Frauen – etwa der aus der Feder von Mirepoix aus dem Jahre 1738: »Die Öffentlichkeit wird häufig Zeuge vom Unfrieden zwischen ihr [Elisabeth Christine] und der Großherzogin [Maria Theresia].«69 Hingegen wird beim Tode des Kaisers für alle klar, dass Maria Theresia ihre Mutter strikt von der Macht fernhält. Auch wenn die Kaiserinwitwe ihre luxuriösen Räumlichkeiten in der Hofburg behält, verbringt sie ihre Zeit doch hauptsächlich in Schloss Hetzendorf.70 Maria Theresia, die sehr großen Wert auf Schicklichkeit legte, erwies, so heißt es, »ihrer Mutter großen Respekt, ohne sie auch nur im Geringsten an den Staatsangelegenheiten teilhaben zu lassen«.71 Hätte die Mutter gegenüber der Macht stets nur Gleichgültigkeit an den Tag gelegt, wäre diese Äußerung überflüssig. Es heißt sogar, dass Karl in seinem Testament die Möglichkeit einer zeitweiligen gemeinsamen Regentschaft von Mutter und Tochter erwogen habe – aber dieser Vorschlag, wenn er denn je gemacht wurde, gelangte nie an die Öffentlichkeit.72

Vielleicht hatten die beiden Frauen keine zärtlichen Gefühle füreinander, mit Sicherheit jedoch waren sie einander sehr ähnlich. Für beide hätte es auf dem Thron nicht Platz gegeben.

»Mami«, die Mutter des Herzens

Mami ist der Kosename, den Maria Theresia ihrer Gouvernante73 gab, der Gräfin Charlotte von Fuchs74. Dem Hofkalender zufolge trat sie am 3. November 172875 in die Dienste der jungen Erzherzoginnen. Man weiß, dass sie zuvor eine sehr enge Beziehung zu Kaiserin Elisabeth unterhielt, die ihr zugetan war. Ganz selbstverständlich vertraute die Kaiserin ihr dann die Erziehung ihrer Töchter an. Geschätzt und respektiert bei Hof wegen ihres Feingefühls, ihrer Ausgeglichenheit und ihrer Fröhlichkeit, verstand Madame Fuchs es so gut, Maria Theresias Liebe zu gewinnen, dass die Kaiserin richtig eifersüchtig wurde. Im Herzen des kleinen Mädchens wurde »Mami« zur Mama. Aber Charlotte Fuchs, die man auch die Füchsin nannte, war nicht nur eine reizende, sondern auch eine machtbewusste Frau, die es verstand, großen Einfluss zu gewinnen, ohne diesen jemals einzufordern. Davon zeugen die Ratschläge des Grafen Friedrich August von Harrach im Jahr 1733 an seinen jüngeren Bruder auf die Frage, wie man sich bei Hofe beliebt macht: »Man kann«, so sagt er, »Madame Gräfin Fuchs, der Aya der Erzherzoginnen, gar nicht genügend Aufmerksamkeit zollen; denn abgesehen davon, dass sie in der höchsten Gunst des Kaisers und der Kaiserin steht, ist sie eine Frau von größten Verdiensten. Man muss die Augenblicke abpassen, in denen sie sich zeigt […]. Anschließend muss man sich an den Rocksaum der beiden Mädchen heften […].«76

Nach ihrer Thronbesteigung ernannte Maria Theresia Madame Fuchs zu ihrer Obersthofmeisterin. Als solche begleitete sie sie überallhin, sowohl bei der Wahrnehmung ihrer öffentlichen Aufgaben als auch im Alltagsleben. »Die Kaiserin«, so sagte man, »speist sehr oft mit ihrem ganzen Gefolge bei ihrer Aya zu Abend.«77 Außerdem liebt die Kaiserin nichts so sehr, wie sich, mit oder ohne Ehemann, auf den Gütern der Füchsin in Sommerein oder in Schloss Mannersdorf aufzuhalten78 – Domänen, die sie ihr zum Geschenk gemacht hat. Im Gegensatz dazu findet man nirgendwo eine Erwähnung, dass sich Maria Theresia, über ihre offiziellen Verpflichtungen hinaus, bei ihrer Mutter in Schloss Hetzendorf aufgehalten hätte.79

Es besteht kein Zweifel, dass Maria Theresia eine sehr viel engere und intimere Beziehung zu ihrer »Mami« hatte als zu ihrer Mutter. Dies beweist auch das unterschiedliche Verhalten beim Ableben der einen und der anderen. Als Elisabeth Christine am 21. Dezember 1750 als Erste stirbt, äußert die Tochter weder vor noch nach deren Tod irgendein besonderes Gefühl, sondern ergeht sich allenfalls in konventionellen Floskeln. Als jedoch Mami ab 1750 erkrankt, ist Maria Theresia äußerst besorgt. Unablässig bekundet sie ihre Angst, Mami zu verlieren, und fällt in tiefe Trauer, als diese am 27. April 1754 stirbt. Um ihrer Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen, organisiert sie eine prächtige Bestattung, die der eines Mitglieds der kaiserlichen Familie würdig gewesen wäre und an der eine riesige Menschenmenge teilnahm. Als Zeichen ihrer außerordentlichen Gunst veranlasst sie, dass die sterblichen Überreste in der Familiengruft, der Kapuzinergruft, beigesetzt werden. Besser hätte sie die Stärke ihrer Zuneigung zu Mami nicht ausdrücken können.80

Schließlich hat eventuell noch eine weitere starke Frau als Vorbild für Maria Theresia gedient, auch wenn diese Bindung nicht so eng war wie die zuvor betrachteten. Es handelt sich um ihre Tante, die Kaiserinwitwe Amalie, Witwe Josephs I. Sie war die Mutter jener beiden Mädchen81, die von Karl VI. von der Erbfolge ausgeschlossen worden waren, und beinahe so alt82 wie Maria Theresias Großmutter. Sie lebte in Wien, war der Herrscherfamilie also sehr nahe und ihrer kleinen Nichte offenbar besonders gewogen. Sie »kommt die jungen Erzherzoginnen sehr häufig besuchen«83 und gibt Neuigkeiten über diese in sehr herzlichem Ton weiter. Als die Jüngere Masern und ein Jahr später Pocken bekommt, ist es Kaiserin Amalie, die sich im Schloss Favorita um Maria Theresia kümmert. Man merkt an, dass »der Kaiser einen sehr zärtlichen Dankesbrief an die Kaiserin Amalie geschrieben hat wegen der Fürsorglichkeit, die sie den Erzherzoginnen, seinen Töchtern, angedeihen lässt«.84

Amalie war nicht nur eine zärtliche Tante. Sie war charakterfest und machtbewusst, und sie verleugnete auch nicht, dass sie lieber als Mann geboren worden wäre. Die unterschiedlichen Charakterbilder, die von ihr gezeichnet wurden, beschreiben sie als eine intelligente85, intellektuell versierte Frau – sie hat Leibniz protegiert. Mütterlicherseits sowie von ihrer Sprache und ihren Manieren her war sie Französin. Sie trat lebendig und herrisch auf, so dass sich ihr Mann scheute, sich ihr zu widersetzen.86 Die Diplomaten betonen alle ihren Einfluss sowohl auf Joseph I. als auch auf ihren Schwager Karl VI., insbesondere zu Beginn von dessen Regentschaft. Als regierende Kaiserin hatte sie wesentlichen Einfluss auf die Staatsgeschäfte; als Kaiserinwitwe genoss sie weiterhin großes Ansehen87, bis sie in ein Kloster zog. Aber selbst von dort, also noch nach ihrem Rückzug vom Hof, unterhielt sie enge Beziehungen zu Maria Theresia und zögerte nicht, im dramatischsten Augenblick des Erbfolgekriegs für sie – und gegen ihre eigene Tochter – Partei zu ergreifen.

Diese drei Maria Theresia nahestehenden Frauen haben zweifelsfrei starken Eindruck bei ihr hinterlassen. Keine von ihnen war mittelmäßig, vielmehr haben alle auf beispielhafte Weise Charakterstärke bewiesen – bei zweien von ihnen könnte man gar von einem »männlichen« Charakter sprechen. Die kleine Maria Theresia konnte in ihnen Identifikationsmodelle für das Streben nach Macht und die Kunst der Machtausübung finden.

Zweites Kapitel

Von der Gemahlin zur Königin

Das große Ereignis im Leben der jungen Maria Theresia war ihre Hochzeit mit Franz Stephan von Lothringen, ihrem Cousin zweiten Grades.88 Schon in zartem Alter hatte sie sich in ihn verliebt, und der ganze Hof kannte ihre Gefühle für den jungen, neun Jahre älteren Mann. Diese romantische, immer aufs Neue erzählte Geschichte hat das Bild einer Frau geprägt, die von ihrem Mann so hingerissen und derart voller Bewunderung für ihn ist, dass sie niemals etwas anderes als die zweite Geige würde spielen können: eine charmante Ehefrau, die dem Ruhm ihres Gemahls gänzlich ergeben ist. Vor dem Tod ihres Vaters gingen alle davon aus, dass Maria Theresia, würde sie von Karl VI. den Titel erben, die Zügel der Macht ganz in die Hände Franz Stephans legte. Das schien so selbstverständlich, dass zu Beginn ihrer Regentschaft und entgegen allen Tatsachen manche österreichische Gesandte ihre Depeschen an Franz Stephan richteten und Maria Theresias Namen nicht einmal erwähnten.89 Wahr ist, dass Maria Theresia dieses unzutreffende Erscheinungsbild selbst befördert hat. Nicht in dem Sinne, dass sie jemals hätte verlauten lassen, sie würde darauf verzichten, selbst zu regieren; aber indem sie von dem Moment ihrer Thronbesteigung an eine Mitregentschaft ihres Mannes einrichtete, machte sie ihren Wunsch einer Machtteilung deutlich. Auch wenn die Illusionen der Herrscherin nicht lange währten, die verliebte Ehefrau tat nach außen hin alles, um ihrem Gatten den Schein von Autorität und Prestige zu erhalten.

Franz Stephan war die große und einzige Liebe ihres Lebens. Solange er lebte, musste die Königin mit der Gattin Verhandlungen führen, um trotz aller Widrigkeiten nicht die Zuneigung ihres Gemahls zu verlieren.

Eine Liebe von Kindesbeinen an

Wie sie sich kennenlernten

Ihre Väter90 sind Cousins und wuchsen zu jener Zeit gemeinsam in Wien heran, als Lothringen von Frankreich besetzt war. Leopold, der Vater von Franz, war nicht nur mit ganzem Herzen deutsch, sondern versuchte auch mit allen Mitteln, Gewicht und Bedeutung seines Herzogtums zu mehren. Er hatte deshalb schon bald erwogen, seinen erstgeborenen Sohn mit der Erstgeborenen der Erzherzoginnen zu vermählen.91 Kaiser Karl VI., der den französischen Einfluss auf Lothringen fürchtete, sah seinerseits mit wohlwollendem Auge auf eine solche Verbindung, die Lothringen für die deutschen Interessen einspannte.

Leopold von Lothringen schlug vor, seinen Erstgeborenen im Alter von fünfzehn Jahren nach Wien zu schicken; dieser sollte dort seine Erziehung und Ausbildung unter Aufsicht Karls VI. vollenden. Aber der erstgeborene Sohn war nicht Franz Stephan. Er hieß Leopold Clemens und genoss bereits einen guten Ruf – auch jenseits der Grenzen von Lothringen. »Man kann die Tugend und die großen Vorzüge dieses Erbprinzen nicht genügend loben«, berichtet der französische Gesandte. »Er ist vollkommen wohlgestaltet, von vorteilhafter Größe, von eindrucksvollem und seiner Geburt würdigem Aussehen, von ungezwungenem und sehr anmutigem Auftreten, mit einem geradlinigen, gediegenen Geist und einer für sein Alter bemerkenswerten Umsicht; dabei liebt er alles, was ihn in der Kunst des Regierens belehren und ausbilden kann […]. Man kann, ohne fürchten zu müssen, dass man sich irrt, über ihn das Urteil fällen, dass er einer der weisesten Fürsten seiner Zeit werden wird.«92

Der Erbprinz, der sich so vielversprechend entwickelte, starb am 4. Juni 1723 an Pocken, als er im Begriff war, nach Prag zu reisen, um an der Krönung Karls VI. zum König von Böhmen teilzunehmen. Ohne Zeit zu verlieren, entschied Herzog Leopold, den Verstorbenen durch den Nächstgeborenen, den fünfzehnjährigen Franz Stephan zu ersetzen, von dem bisher nie die Rede war. Dieser verließ Nancy am 2. August als Überbringer prunkvoller Geschenke für den kaiserlichen Hof, aber die Edelleute in seinem Gefolge erhielten »unter Androhung dauerhaften Landesverweises das strikte Verbot, irgendeine Äußerung über die Heirat dieses Erbprinzen mit der erstgeborenen Erzherzogin fallen zu lassen oder gar über seine Hoffnungen, zum Römischen König gewählt zu werden«.93 Als Franz Stephan neun Tage später in Prag eintraf, machte Karl VI. gute Miene zum gar nicht guten Spiel, ging auf ihn zu, »umarmte den jungen Prinzen äußerst liebevoll und sprach ihn mit ›mein Sohn‹ an«.94 Er ließ seinen ganzen Hofstaat kommen, damit dieser dem Prinzen von Lothringen seine Aufwartung machte, und überreichte ihm bereits am nächsten Morgen den Orden vom Goldenen Vlies.

Unter diesen Umständen begegnete die damals sechsjährige Maria Theresia dem Prinzen, den man als ihren Verlobten feierte. Der Legende nach habe sie sich, noch bevor sie einander vorgestellt wurden, in den Fünfzehnjährigen verliebt. Karl VI. hingegen hatte zwar Franz in Prag äußerst herzlich begrüßt, bemühte sich jedoch keineswegs darum, ihn in Wien zu behalten, geschweige denn, ihm das angedeihen zu lassen, was er für dessen Bruder vorgesehen hatte. Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens war Elisabeth Christine höchst offiziell schwanger, und Karl VI. konnte endlich auf einen männlichen Erben hoffen. Insofern bestand keine Eile mehr, sich mit dem ehelichen Geschick Maria Theresias zu befassen. Zudem sah der Wiener Hof die Verehelichung der erstgeborenen Erzherzogin mit einem lothringischen Prinzen, der dem Kaiserreich fremd war, nicht gerne. Und schließlich hatte Franz Stephans Ankunft in Prag beim polnischen König wie beim Kurfürsten von Bayern enorme Eifersucht geweckt, da sie beide darauf hofften, ihre Söhne mit der habsburgischen Erbin zu vermählen. Entsprechend groß war die Enttäuschung am Lothringer Hof, als man erfuhr, dass der Plan, Franz den Winter in Wien verbringen zu lassen, nicht mehr zur Debatte stand und dass er stattdessen Anfang November wieder nach Nancy zurückkehren sollte.95

Es bedurfte mehrwöchiger Verhandlungen und einer offiziellen Bitte des Herzogs Leopold an seinen Cousin – dieser möge Franz in Wien behalten, und man trete »alle Macht und Autorität«96 über Franz an ihn ab –, bis der Kaiser letztlich einwilligte. Man wird aber gewiss nicht behaupten können, man habe ihn dazu gezwungen. Tatsächlich war Franz ein fröhlicher junger Mann, lebendig, freundlich und vor allem ein trefflicher Gefährte bei der Jagd – der Leidenschaft Karls VI.

Dagegen war keine Rede mehr von vorbereitenden Maßnahmen zur Verehelichung seiner Tochter. Dies war der Beginn einer Vielzahl von Kursänderungen und Hinhaltemanövern, denn zahlreiche Fürsten – spanische, bayerische, polnische – drängten darauf, die Hand der kleinen Maria Theresia für ihren jeweiligen Sohn zu erbitten, ohne dass sich der Kaiser jemals entscheiden konnte. Dieses Taktieren dauerte jahrelang und rief sowohl am Lothringer Hof wie auch bei dem verliebten Mädchen Angst und Verzweiflung hervor.

Ein Porträt Franz Stephans

Franz Stephan ist ein attraktiver junger Mann mit blauen Augen und sportlicher Erscheinung. Sprach- und weltgewandt, geradlinig, ein guter Tänzer und Fechter und ein besonders begabter Jäger. Andererseits handelt es sich bei ihm um einen zerstreuten Schüler, dessen Bildung nicht weit vom Nullpunkt entfernt ist. Er kann kaum lesen, das heißt nur laut und stockend, und er schreibt nur phonetisch, so dass man seine Briefe laut lesen muss, um sie zu verstehen. Der Unterricht in Geschichte und Recht, den man ihm auf Anordnung des Kaisers erteilt, langweilt ihn. Er ist äußerst unaufmerksam, lernt kaum und entmutigt seine Lehrer. Außerdem weist der Repräsentant Leopolds in Wien, der bemüht ist, Franz zu entschuldigen, darauf hin, »dass der Prinz, außerhalb seiner Studienzeiten, kaum gebührend beschäftigt ist«.97 Anfang Februar 1725 erwägt man die Möglichkeit, ihn zur Fortsetzung seiner Studien nach Siena zu schicken, statt ihn in Wien zu lassen, wo er zu zerstreut sei, um sich Mühe geben zu können.98

Es scheint, als habe die Drohung ihre Wirkung nicht verfehlt, denn der nämliche Korrespondent schreibt einige Monate später: »Der Kaiser hat mich über den königlichen Prinzen in Kenntnis gesetzt; er drückte mir seine Zufriedenheit aus über den Eifer, mit dem dieser seine Studien betreibe, über sein ganzes Benehmen.«99 Allerdings war das nur ein kurzer Lichtblick, denn ein Jahr später zieht man ein weiteres Mal Franz’ Abreise in Erwägung. Es bedurfte erneut einer dringlichen Intervention Leopolds, damit man seinen Sohn am Hof von Wien behielt.100

Während dieser ganzen Zeit lebt Franz in einem Seitentrakt der Hofburg – am anderen Ende des Flügels der Erzherzoginnen –, wo er die Gemächer der verstorbenen Mutter des Kaisers bewohnt. Während er mit achtzehn oder zwanzig Jahren der Zehn- oder Zwölfjährigen kaum Beachtung schenkt, lässt sich Maria Theresia, die ihn bei zahlreichen Hofzeremonien zu Gesicht bekommt, nicht das Geringste entgehen. Madame Fuchs und ihre Mutter sind ins Vertrauen gezogen und wissen, dass sie an nichts anderes als an Franz denkt und nur von ihm träumt. Beim Tod seines Vaters, des Herzogs Leopold101, muss er Wien verlassen, um die Regentschaft seiner Mutter Elisabeth Charlotte zu organisieren. Die Heranwachsende von zwölfeinhalb Jahren überreicht ihm ihr mit Diamanten bestücktes Porträt.102 Damit drückt sie ihm gegenüber ihren Wunsch aus, er möge sie nicht vergessen.

Am 9. November 1729 reist er aus Wien ab; er wird das junge Mädchen so schnell nicht wiedersehen. Auch wenn der Kaiser und die Kaiserin beim Abschied offenbar ein paar Tränen vergießen103, so ist es ihnen keineswegs eilig, ihn wieder in Empfang zu nehmen. Mit seinen inzwischen einundzwanzig Jahren erfreut sich der Prinz keiner beneidenswerten Reputation. Der Geschäftsträger Bussy beschreibt ihn folgendermaßen: »In dem Maße, in dem dieser Prinz der Mündigkeit entgegengeht, entfaltet sich sein Geist schrittweise, doch es gelingt ihm offenbar nicht, sich einen Namen zu machen. Ihn zeichnen eine gewisse Hartherzigkeit, ein eher gleißender als solider Geist, eine große Spottlust, deutliche Anzeichen von Geiz, Hochnäsigkeit, generell maßloser Ehrgeiz, Heuchelei und List aus.«104