Marvel | Heldinnen: Elsa Bloodstone – Vermächtnis - Cath Lauria - E-Book

Marvel | Heldinnen: Elsa Bloodstone – Vermächtnis E-Book

Cath Lauria

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Beschreibung

Die redegewandte Monsterjägerin Elsa Bloodstone lässt sich nicht so leicht aus der Fassung bringen, doch eine schockierende Enthüllung in ihrer Familie führt sie in diesem witzigen und actionreichen Marvel-Heldinnen-Abenteuer auf einen blutigen Pfad. Elsa Bloodstone kommt einfach nicht zur Ruhe. Kaum hat sie ein Rattennest ausgehoben, taucht ein Spezialeinsatzkommando auf – und schießt auf sie! Aber das ist nichts, was eine gute Granate nicht wieder in Ordnung bringen könnte. Als Elsa nach Hause zurückkehrt, findet sie dort einen unerwarteten Gast, der behauptet, ihre lang verschollene Schwester zu sein, die ihren gestohlenen Blutsteinsplitter sucht. Der Blutstein ist das Geheimnis von Elsas übermenschlichen Kräften, und ein Splitter in den Händen von Bösewichten ist eine sehr schlechte Nachricht. Das ist der Startschuss für ein Abenteuer rund um die Welt, bei dem es viele Monster zu besiegen gilt. Aber die Gefahr ist ihnen immer einen Schritt voraus, denn Elsa muss feststellen, dass ihre Schwester nicht ganz das ist, was sie zu sein scheint, und ein alter Feind mit einem Geheimnis aus der Vergangenheit ihrer Familie könnte alles auf den Kopf stellen, woran Elsa je geglaubt hat. Der dritte Band, nach Rogue und Domino, zu starken Marvel-Heldinnen.

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ELSA BLOODSTONEVERMÄCHTNIS

EIN ROMAN VON

CATH LAURIA

INS DEUTSCHE ÜBERTRAGENVON JIL GÖNDÖVEN

FOR MARVEL PUBLISHING

VP Production & Special Projects: Jeff Youngquist

Associate Editor, Special Projects: Caitlin O’Connell

Manager, Licensed Publishing: Jeremy West

VP, Licensed Publishing: Sven Larsen

SVP Print, Sales & Marketing: David Gabriel

Editor in Chief: C B Cebulski

Special Thanks to Nick Lowe and Jake Thomas

Die deutsche Ausgabe von ELSA BLOODSTONE: VERMÄCHTNISwird herausgegeben von Cross Cult, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg.

Herausgeber: Andreas Mergenthaler, Übersetzung: Jil Göndöven; verantwortlicher Redakteurund Lektorat: Markus Rohde; Lektorat: Katrin Aust; Korrektorat: Peter Schild;

Satz: Rowan Rüster; Layout: Cross Cult; Cover-Illustration: Joey Hi-Fi

Printausgabe gedruckt von CPI book GmbH, Leck.

Titel der Originalausgabe:

ELSA BLOODSTONE: BEQUEST

First published by Aconyte Books in 2021

Aconyte Books is an imprint of Asmodee Entertainment Ltd

German translation copyright © 2022 MARVEL.

Print ISBN 978-3-96658-854-6 (Mai 2022)

E-Book ISBN 978-3-96658-855-3 (Mai 2022)

WWW.CROSS-CULT.DE

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Für Damian, der glaubt, dass ich alles schaffen kann,und jeden Meilenstein feiert, und für Janet und Jes,die himmlische Mentoren und noch bessere Freunde sind.Ich hoffe, euch allen gefällt Elsas fantastisches Abenteuer.

1

Im Licht des Mondes sah der Friedhof der Glasgow Cathedral wunderschön aus.

Das war das Erste, was mir in den Kopf kam, als ich über die Hügelkette blickte. Gräber aus Marmor und Denkmäler von Menschen, deren Grabsteine das Einzige waren, was heute noch an sie erinnerte, drängten sich dort. Im Licht des Vollmonds schimmerte die Grabstätte mit ihren Obelisken und steinernen Engeln, die sich in den Himmel reckten, als wollten sie den Mond für ihre jahrhundertealten Toten fangen.

Tatsächlich war der Ort tagsüber auch sehr schön. Die Glasgow Necropolis war ein altmodischer viktorianischer Friedhof, der nicht nur als Ruhestätte für die Toten diente, sondern auch ein Ort der Kunst, der Schönheit und des Glaubens war. Die Stadt leistete gute Arbeit, ihn zu erhalten, dachte ich mir, als ich auf der Suche nach der kleinsten Spur einer Bewegung die Schatten beobachtete. Es war ein erstklassiger Ort, um beigesetzt zu werden. Jeder, der einem einreden wollte, dass es nicht schön sei, tot zu sein, war offensichtlich noch nie in Glasgow gewesen.

Jetzt gerade war es allerdings nicht unbedingt der perfekte Ort für die letzte Ruhestätte, denn ein Clan Rattenmenschen hatte sich in der Stadt der Toten niedergelassen. Sie übernahmen die Gräber, schändeten Denkmäler und verteilten überall ihren Dreck. Ich hielt mein Gesicht in den Wind und atmete tief ein. Und da war er, der süßliche Geruch eines verrottenden Müllhaufens, der nicht dort sein sollte. Rattenmenschen waren bei Weitem nicht so pingelig wie ihre erheblich kleineren Nagetierverwandten, wenn es um Hygiene ging. Der Gestank war der erste Hinweis gewesen, der den Leuten, die sich um diesen Ort kümmerten, verraten hatte, dass irgendetwas nicht in Ordnung war.

Der zweite Hinweis war der arme Führer gewesen, der ein wenig zu nah an das Nest gekommen war, das die dreckigen Grabräuber sich in einem stattlichen Grab an der Hauptroute der Besichtigungstour gebaut hatten. Im einen Moment hatte er erzählt vom »architektonischen Einfluss Jerusalems, der dafür verantwortlich ist, dass sich das Muster dort oben wiederholt. Sehen Sie das sich wiederholende Muster?« und im nächsten Moment hatte ein knurrender Rattenmann ihm mit einem eisernen Kreuz, das er von einem Grab gestohlen hatte, den Kopf eingeschlagen.

Die Leute waren schreiend umhergerannt, wobei sich zwei weitere verletzt hatten. Einer war gebissen worden, eine andere war über ihre offenen Schnürsenkel gestolpert und hatte sich, als sie auf dem Boden aufgeschlagen war, das Handgelenk verstaucht. Eins hatte zum anderen geführt und ein paar Tage später war der Friedhof aufgrund von »Restaurierungen« geschlossen worden, während der Erzbischof von Glasgow mich aufgesucht hatte.

Es war schmeichelhaft, wenn auch etwas unter meinen Fähigkeiten. Ich jage Monster, je größer und böser, desto besser, und Rattenmenschen sind, wenn überhaupt, einfach nur eine Belästigung. Aber der alte Herr, der mich angerufen hatte, hatte so freundlich gefragt und sie waren so großzügig gewesen – soweit es eine Organisation, die auf Spendenbasis arbeitet, sein kann –, also hatte ich zugestimmt. Verflucht sei mein zu gutes Herz.

Hmm. Von hier aus war bis auf einen Schwarm Raben, der, wie es sich für einen solchen Ort gehörte, etwa fünfzig Meter entfernt in den Bäumen saß, nicht viel zu sehen. Meine Schaufel lässig geschultert schlenderte ich tiefer in den Friedhof hinein. Es fühlte sich seltsam an, ohne meine üblichen Schusswaffen in einen Kampf zu ziehen. Ob zu Hause in Großbritannien oder irgendwo anders, ich war immer kreativ genug gewesen, meine Waffen fast überallhin mitzunehmen. Hier jedoch hatte mich die Kirche gebeten, sie nicht mit auf den Friedhof zu bringen.

»Denken Sie an die Statuen!«, hatte der Mann, der verantwortlich für diesen Ort war, mich mit Tränen in den Augen angefleht. »Sie könnten etwas zerstören, das fast zweihundert Jahre alt ist! Ganz zu schweigen davon, dass Sie die Kathedrale gefährden, die noch viel älter ist! Wie wollten Sie mit dieser Schuld leben?«

»Ich habe einfach aus Spaß schon Dinge zerstört, die um einiges älter waren«, hatte ich ihn unbekümmert informiert. »Vampire zum Beispiel«, hatte ich hinzugefügt, als der Mann mich entsetzt angesehen hatte. »Wissen Sie, manche von den Kerlen weilen schon seit Jahrtausenden unter uns.«

Witze sind einfach nicht mehr so lustig, wenn man sie erst erklären muss.

Und so lief ich nun also mit einer Schaufel über der Schulter, einer Machete unter dem Mantel und hier und da ein paar kleineren Messern am Körper in einen Kampf hinein. Und einer, nur einer, winzig kleinen P90, einem halbautomatischen Gewehr, das mit Hohlspitzgeschossen geladen war. Als allerletzten Ausweg. In meinem Berufsfeld zahlte es sich aus, Notfallpläne zu haben.

Der Boden knirschte unter meinen Stiefeln, während meine hohen Absätze über den Gehweg klackerten. Ich versuchte nicht, leise zu sein. Es ging nicht darum, still zu sein, ganz abgesehen davon, dass das sowieso nicht gerade zu meinen Stärken gehörte. Ich summte ein Stück des Lieds, das im Radio gelaufen war, als ich hergefahren war. Ich hatte definitiv zu viel Zeit in Amerika verbracht, da sich das Fahren auf der richtigen, der linken Seite der Straße ein wenig eigenartig angefühlt hatte. In Gedanken versunken berührte ich den Choker mit dem Blutstein an meinem Hals. Er schien zu pulsieren, als meine Fingerspitzen ihn berührten, und der Stein fühlte sich so warm an wie mein eigenes Blut.

Ich musste ihn nicht in der Hand halten, um seine Kräfte benutzen zu können, ihn um meinen Hals zu tragen reichte vollkommen aus, aber es fühlte sich hin und wieder gut an, ihn zu berühren, wenn ich in eine neue Situation hineinlief. Fast so als würde man einem alten Freund versprechen, dass man sich auf einen Krug Bier treffen würde, sobald weniger los war.

Ah, da. Der Geruch von Rattenmenschen wurde erneut von der nächtlichen Brise an meine überempfindliche Nase getragen. Er hätte aus mehreren Meilen Entfernung zu mir getragen werden können, wenn man bedachte, wie groß der Friedhof war, aber dieser Geruch war definitiv näher. Rattenmenschen konnten sich zwar verstecken, aber sie konnten nicht aufhören, wie ein Stinktier zu riechen, das sich in eine schmutzige Windel verliebt hatte und mit ihr in einer Mülltonne zusammengezogen war.

Ich wollte meine Zeit nicht damit verschwenden, die dreckige Spur der Rattenmenschen zu verfolgen, wenn ich sie auch einfach zu mir rufen konnte. Rattenmenschen waren recht simple Kreaturen, aber es regte sich immer noch ein Funken Intelligenz in diesen Knopfaugen und sie waren sehr sensibel, wenn es um ihre Rangordnung ging. Und ich? Ich war hier, um ihre derzeitige Hierarchie zu zerstören. Und währenddessen natürlich umwerfend auszusehen, bitte schön.

Ich warf mir meinen langen roten Zopf über die Schulter und zog die Verpackung eines Schokoriegels aus meiner Tasche.

»So, ihr Lieben«, schrie ich in die Nacht hinaus. »Ich verstehe, dass ihr euch dazu entschieden habt, die Stadt der Toten für euch zu beanspruchen. Tolle Idee, nur dass es dabei ein Problem gibt. Ich akzeptiere euren Anspruch nicht.« Ich ließ die Verpackung auf den Boden fallen und trat einige Male darauf, damit das Knistern der silbernen Folie deutlich zu hören war. »Ich denke, ich werde jetzt diesen Ort übernehmen, und ich fange genau hier damit an. Ist einer von euch Trotteln mutig genug, rauszukommen und was dagegen zu unternehmen?«

Für einen Moment war es vollkommen still, bis ein Rabe in der Ferne krähte. Sekunden später flatterte der gesamte Schwarm unruhig aus dem Baum auf, in dem er sich niedergelassen hatte. Sie ließen sich auf diversen Grabsteinen auf dem gesamten Friedhof nieder, als seien sie Zuschauer im antiken römischen Kolosseum. Bereit für ein Blutbad, Jungs? Sie würden früh genug ihre Unterhaltung bekommen.

»Kommt schon, ihr überdimensioniertes Ungeziefer, ich hab nicht die ganze Nacht Zeit.« Ich zog ein abgewetztes Tuch, das ich benutzte, um meine Waffen zu reinigen, heraus und warf es vor mich. »Traut sich einer von euch zu kämpfen oder soll ich euch jagen, während ihr euch wie verängstigte kleine Mäuse vor mir versteckt?«

Ein tiefes Knurren hallte von den umstehenden Grabsteinen wider, harsch und zornig. Ich grinste. Endlich. »Geht doch. War das so schwer?«, neckte ich sie. »Ich dachte ehrlich gesagt schon, dass ich erst eure Mütter beleidigen muss, bevor einer von euch nutzlosen, schlaffen, stumpfzahnigen Rattenmenschen sich endlich aufrafft. Na kommt schon, zeigt euch!« Und weil ich noch nicht dreist genug war, holte ich noch eine alte Bananenschale heraus, die bereits dunkelbraun war und süßlich verfault roch, und wedelte damit in der Luft herum. »Ihr könntet natürlich auch wegrennen wie ein Haufen Angsthasen und euch in euren Löchern verkriechen.« Ich schleuderte die Bananenschale in die Luft und …

Pfeilschnelle Kiefer schnappten sie aus der Luft, bevor die Schale den Boden berühren konnte. Der Rattenmann, der meine Herausforderung geschluckt hatte, pirschte sich tief geduckt durch die Schatten vorwärts, bis er schließlich ins Licht trat. Er war groß für einen Rattenmann, sein Kopf reichte mir bis zu den Schultern. Er hatte sowohl an den Vorder- als auch an den Hinterpfoten Krallen, die halb so lang waren wie meine Machete. Seine gefletschten Zähne leuchteten im Mondlicht gelb. Die abgewetzte Hose und die zerrissene, fleckige Weste, die er trug, deuteten eindeutig darauf hin, dass er das Alphatier des Rudels war.

Nur die Schlausten unter ihnen wussten, wie man menschliche Kleidung trug, und sie nutzten ihr Wissen als Waffe, um die niederen Ratten in ihre Schranken zu weisen. In diesem Fall wohl buchstäblich, denn das Rattenmann-Alphatier hielt einen gusseisernen Spieß in seinen Händen. Seine Augen blitzten gefährlich.

Ich lächelte. »Oh ja, wir werden ein bisschen Spaß haben, was meinst du?« Zwei Meter hinter und etwa dreißig Grad links von mir, fühlte ich, wie die Luft sich veränderte. Schlaue Viecher. »Braver Junge«, flüsterte ich. »Wie heißt du, hm?«

Er knurrte etwas Unverständliches. Meine Nackenhaare stellten sich auf, als, was auch immer es war, das hinter mir aufgetaucht war, näher und näher kam. »Wie war das, Schätzchen? Knurr-grrr? Das musst du noch mal wiederholen. Ich fände es schade, wenn der falsche Name auf deinem Grabstein ste…«

Ich stürzte mich vorwärts und zur Seite, während ich eins meiner Wurfmesser herauszog. Ich schleuderte es meinem Angreifer entgegen und traf sein linkes Auge. Der Rattenmann ließ den Dornenast in seinen Klauen fallen und hielt sich gequält krächzend das Gesicht.

Zwei weitere Rattenmänner, die ihm gefolgt waren, rannten auf mich zu. Ich stach mit meiner schön spitz zulaufenden Schaufel nach dem Gesicht des ersten, der daraufhin zurückwich. Dann wirbelte ich herum und schlug dem zweiten gegen die Seite seines Kopfs, so hart, dass er, bis auf ein leichtes Zucken, bewegungslos zu Boden ging. Bevor sich der erste erholen konnte, zog ich meine Machete heraus – mattschwarz, mit scharfer Klinge – und trennte ihm mit einem sauberen Schlag den Kopf vom Körper. Ich lief zu dem anderen, der sich auf dem Boden wälzte, und brachte ihn mit einem gezielten Schlag ebenfalls zum Schweigen.

Ich richtete mich auf und schüttelte das Blut von meiner Machete. »So«, sagte ich, während ich mich breit grinsend in der Dunkelheit umsah. »Ich glaube, die Party fängt gerade erst richtig an.« Mittlerweile konnte ich mehrere von ihnen sehen, die hinter den zahllosen dekorativen Kreuzen und Obelisken hervorkrochen. Ihr dunkles, schlammiges Fell sorgte dafür, dass man sie auf dem Boden kaum erkannte, aber die Macht des Blutsteins machte mich nicht nur stärker und schneller als die Rattenmänner da draußen, er schärfte auch meine Sinne. Jeder, der dachte, dass er sich unbemerkt anschleichen könnte, würde diesen Fehler mit seinem Kopf bezahlen.

Ich warf einen schnellen Blick auf meine Stiefel – natürlich hatten sie, nachdem sie gerade frisch poliert waren, Blutspritzer abbekommen. Dieser Auftrag wäre so viel einfacher gewesen, wenn ich alle einfach aus der Ferne hätte erschießen können. »Scheiß historische Architektur.« Aber egal, jetzt konnte ich nur noch weitermachen.

»So, wer will als Nächstes?« Ich zeigte mit meiner Machete auf die Alpharatte, die immer noch zurückhing, während ihr regelmäßiges Knurren sie wie einen sterbenden Rasenmäher klingen ließ. »Wie wäre es mit Euch, Eure Hoheit?« Ich rannte auf den Rattenmann zu, doch mein Weg wurde von drei weiteren blockiert, jeder von ihnen bewaffnet mit irgendwelcher Grabdekoration. »Schön, also haben wir doch Freiwillige.«

Drei von ihnen waren eine größere Herausforderung als zwei, aber nicht viel größer. Sie neigten dazu, sich selbst im Weg zu stehen, und bemühten sich nicht, als Gruppe anzugreifen. Sie warteten darauf, dass ich den ersten Schritt machte, auf den sie reagieren konnten. Eine so einfache Jagd hätte befreiend sein sollen, ein einfacher Auftrag, der meine Rechnungen bezahlte, aber in Wirklichkeit war es einfach nur … na ja, langweilig.

Andererseits war mein ganzes Leben in letzter Zeit langweilig gewesen, überlegte ich, während ich mit der flachen Seite meiner Schaufel auf den Unterkörper des ersten Rattenmanns einschlug und mit einer Pirouette die Vorderpfoten der anderen beiden abtrennte. Ich erledigte alle drei mit einem Schwung meiner Klinge, bevor ich mich auf den nächsten Haufen nach Exkrementen riechender Feinde zubewegte.

Langweilig. Was ich nicht für einen vernünftigen Kampf mit Monstern gegeben hätte, die mit ihren Gehirnen und nicht mit ihren Krallen dachten. Ein weiterer Kampf mit Fin Fang Foom hätte mich für Wochen beflügelt! Oder ein überirdischer Horror, der aus der Kanalisation von Manhattan kletterte, mit dem einzigen Ziel, die Welt in einem Regen aus Blut und Schrecken untergehen zu sehen, das wäre erfrischend!

»Stattdessen habe ich euch«, murrte ich und stieß meine Machete durch den Kopf eines Rattenmanns, einen weiteren traf ich mit der Spitze meiner Schaufel. Er gab einen schmerzerfüllten Schrei von sich und ging mit dem Gesicht voran zu Boden, während er sich in den Schritt griff. »Wie ein richtiger Mann«, höhnte ich. »Ein gezielter Treffer in die Kronjuwelen und ihr seid außer Gefecht. Nicht dass ich die Vertrautheit nicht zu schätzen wüsste, wirklich …«

Ein kleinerer Rattenmann warf sich von einer vier Meter hohen Skulptur auf mich. Ich riss meinen rechten Fuß nach oben und durchbohrte die Kehle der drahtigen Kreatur mit dem Absatz meines Stiefels. Argh. Effizient, aber eine Riesensauerei. Ich schüttelte den Körper ab und fuhr fort: »Aber eure Eier werden immer ein Problem für euch Kerle sein. Netter Versuch, du Mistkerl, aber es braucht schon ein bisschen mehr, um mich zu besiegen.«

Allerdings hatte der fallende Rattenmann mich für einen kurzen Moment abgelenkt und der Rest des Clans hatte die Gelegenheit genutzt, um näher an mich heranzukommen, bewaffnet mit Marmorstücken, mit Nägeln besetzten Brettern und allem, was sie so hatten finden können. Die, die am nächsten standen, zögerten in ihren Annäherungsversuchen, was Sinn ergab, wenn man bedachte, dass sie dabei über die Leichen ihrer Brüder treten mussten. Die nachfolgenden trieben sie jedoch vorwärts. Sie hatten eine Schlinge aus Rattenmännern um mich gezogen und ich stand mittendrin.

»Verdammte Scheiße, ihr vermehrt euch ja schneller als echte Ratten.« Ich grinste und entblößte dabei all meine Zähne, um Dominanz zu zeigen. »Perfekt.«

Ich setzte mich in Bewegung, verschaffte mir mit einem Schwung meiner Schaufel Platz und sprang in die Luft, als die Horde zum Angriff überging. Die erste Reihe Rattenmänner krachte in der Mitte zusammen und ich war wieder mittendrin – oder eher über ihnen, denn ich nutzte ihre Köpfe und Rücken wie Trittsteine, um an den Rand des Kreises zu kommen.

Jeder Schritt sorgte dafür, dass von meinem lebenden Gehweg weitere Schmerzensschreie ertönten. »Genießt ihr es, wie hundert Kilo pro Quadratzentimeter auf eure Wirbelsäulen drücken? Ist Wissenschaft nicht was Schönes?«

Die einzige Herausforderung bei Gegnern wie den Rattenmännern war, mit ihrer schieren Anzahl fertigzuwerden. Sie waren weder innovativ noch waren sie im Zweikampf erprobt, aber selbst ein Schwarm Schmetterlinge konnte zum Problem werden, wenn sie alle gleichzeitig auf einem landeten. Solange man aber verhindern konnte, dass man umzingelt wurde, hatte man wenigstens Optionen.

»Natürlich wäre das hier um einiges blutiger geworden, wenn ich euch einfach hätte erschießen können.« Jede Bewegung der P90 unter meinem Mantel war wie der Ruf einer Sirene, aber ich war entschlossen, diesen Kampf auf die altmodische Weise zu beenden. Ich hatte es schließlich versprochen und die Statuen waren wunderschön, auch wenn sie eine überwältigende Trauer umgab.

»Na, dann kommt mal«, rief ich in das aufgewühlte Gemetzel hinein, während der Clan versuchte, sich neu zu formieren. Sie drehten sich um, um mir erneut entgegenzutreten. »Wohin ist euer Alpha verschwunden? Ist das ein angemessenes Verhalten für den Anführer eines Clans, sich wie ein Baby hinter seinen Leuten zu verstecken? Wo ist denn der große Rattenmann, hm?«

Zwei der Stärkeren des Clans stürzten sich auf mich und ich warf eifrig meine Messer. Beide wurden im Bauch getroffen und krümmten sich vor Schmerzen. Wundervoll. Zwei Rattenmänner, die sich auf dem Boden wanden, waren genau das Richtige, um dafür zu sorgen, dass die anderen auf Abstand blieben.

»Wir haben nicht die ganze Nacht«, fügte ich hinzu. »Wirklich nicht … Ich weiß nicht, wie es bei euch ist, aber ich hatte vor, wenigstens acht Stunden Schönheitsschlaf zu bekommen, bevor ich morgen wieder in den Flieger nach Boston steige, und wer vom Clan überlebt, könnte diese Zeit nutzen, um in das Loch in den Highlands zurückzurennen, aus dem ihr gekrochen seid.« Ich machte eine dramatische Pause und sagte dann: »Es sei denn, ihr wollt nicht, dass irgendjemand aus eurem Clan lebend davonkommt. Ihr habt bereits etwa ein Dutzend eurer besten Kämpfer verloren. Wollt ihr als Nächstes die Mütter auf mich hetzen? Die Heranwachsenden? Wollt ihr, dass euer Clan so endet?«

Ein Grollen der Unzufriedenheit ging durch die Menge der Rattenmenschen. Kurz bevor ich mit den Schultern zuckte und wieder wahllos zuzustechen begann, trat das Alphatier aus den Schatten hervor und stellte sich mir entgegen. Es schwang seinen Eisenspieß in einem schnellen Kreis um seinen Körper, wobei die Stange durch die Geschwindigkeit verschwamm.

»Da hat wohl jemand ein paar Kung-Fu-Filme gesehen.«

Für einen Rattenmann ziemlich beeindruckend.

»Aber jeder kann ein Stück Metall herumschleudern und die Massen einschüchtern. Mal sehen, ob du es auch benutzen kannst.« Ich hob meine Schaufel und ging in eine En-garde-Haltung.

Der Rattenmann rappelte sich auf, stieß einen gedämpften Kriegsschrei aus und sprang nach vorn, wobei er seinen Spieß gefährlich nah an meinem Kopf vorbeischleuderte. Ich holte aus, um mit der Schaufel zu parieren und das Ding mit der Machete zu erledigen, als …

Eine Kugel durchschlug den Kopf des Rattenmann-Alphas, riss ihn aus seinem vorhersehbaren Angriff und ließ seinen Körper zu Boden gehen – fast direkt auf mich. Was zum Teufel ist denn jetzt los? In der Ferne hörte ich, wie ein Marmorgrabstein zerbrach.

»Also, wer hat hier eine Waffe zu einer Schaufelschlacht mitgebracht?«, rief ich, während ich hinter einem nahe gelegenen Grabmal in Deckung ging. Ein Rattenmann war bereits dort, kauerte auf allen vieren und zitterte von der Nase bis zum Schwanz. Er warf einen Blick auf mich und rannte davon. Es folgte ein kurzer Schusswechsel, der mir einiges über die Partycrasher verriet, die gerade eingetroffen waren.

Erstens war es eine Gruppe. Mindestens drei, dem Klang der Schüsse nach zu urteilen, wahrscheinlich mehr. Zweitens waren sie nicht wegen der Rattenmenschen hier, sonst hätten sie weiter auf das Monster geschossen, mit dem ich kurzzeitig meinen Unterschlupf geteilt hatte, bis es tot umgefallen wäre, aber ich war mir ziemlich sicher, dass es unversehrt entkommen war. Wenn die Kirche mich also nicht betrogen hatte, indem sie andere Killer angeheuert hatte, um ihren Monsterabfall zu beseitigen, dann konnte meine dritte Schlussfolgerung nur lauten, dass die Neuankömmlinge meinetwegen hier waren.

»Verdammt mieses Timing«, rief ich. Ich starrte einen Moment lang auf meine Schaufel, dann warf ich sie zu Boden und zog die P90 heraus. »Wenigstens hab ich’s versucht«, sagte ich und überprüfte schnell das Magazin.

Ein paar Kugeln schlugen auf der Rückseite des langen, rechteckigen Grabsteins ein, hinter dem ich mich versteckt hatte, dann verstummten die Gewehre. Ich hörte jedoch, wie sich Schritte zu beiden Seiten näherten. Nicht von Rattenmännern mit Klauen, sondern von schweren Stiefeln. Ein Flankenmanöver, wie originell.

»Ich hab’s ja mit dem Denkmalschutz versucht, aber ich wurde eindeutig überstimmt.«

Das Geräusch von Menschen, die sich bewegten, verstärkte sich zu meiner Linken. Ich hielt nicht inne, um einen Blick darauf zu werfen, sondern wirbelte hinter dem Grabstein hervor und feuerte sofort los. Ich hatte fünfzig Schuss im Magazin und dank meiner verdammten Gutherzigkeit keine Reserve, also musste jeder Schuss sitzen. Der erste Schuss brachte mein Ziel dazu, sich instinktiv zu ducken, obwohl er nicht mal in seine Nähe ging. Der zweite schnitt seinen Fluchtversuch hinter ein anderes Marmorgrabmal in der Nähe ab, indem er ein gutes Stück davon wegsprengte. Der dritte traf den Glückspilz direkt in den Kopf. Ein Hohlspitzgeschoss wirkte Wunder bei einem nicht gepanzerten Ziel, versagte aber bei Schutzkleidung – und diese Leute trugen Schutzkleidung. Was bedeutete, der Kopf war die beste Option.

Der Mann sackte zu Boden und war innerhalb kürzester Zeit tot. Ich nickte zufrieden. Ja, Kopfschüsse waren definitiv die beste Lösung.

Ich wich aus, bevor mich meine Angreifer einkesseln konnten, und rollte mich hinter ein langes, flaches Grab. Die Kugeln folgten mir und bohrten sich direkt hinter mir in den Granit. Anstatt am anderen Ende der Deckung in Schussposition zu gehen, sprang ich hoch und machte einen Rückwärtssalto, um meine Gegner zu erspähen, bevor sie mich wieder ins Visier nehmen konnten. Neun Uhr, zehn Meter entfernt – zwei Schuss – zwei Uhr, vierzehn Meter entfernt – drei weitere Schüsse und beide lagen am Boden, bevor meine Füße den Boden berührten.

Eine großkalibrige Kugel zerschmetterte ein Kreuz in zwei Metern Entfernung und ein Splitter schnitt mir in die Wange und hinterließ eine dünne, blutende Linie. Die Wunde war in der Zeit, die ich gebraucht hätte, um das Blut wegzuwischen, schon wieder verschwunden, aber es war trotzdem ziemlich ärgerlich.

»Seid ihr Amerikaner?«, rief ich, als ich in Richtung des Schützen stürmte, und gab mir selbst Deckung, damit Mr. Riesenknarre nichts Unüberlegtes tun konnte. »Du bist Amerikaner, stimmt’s? Wer sonst würde so ungeniert eine Waffe auf jemanden abfeuern?« Da, zwei Gräber weiter, versuchte er, sich hinter dem schwarzen Marmorobelisken zu verstecken. Ich grinste. »Außer mir natürlich.«

Ich feuerte eine kurze Salve auf den Obelisken selbst ab, sprang dann ab und trat so hart gegen das geschwächte Bauwerk, dass es in zwei Teile zerbrach. Die obere Hälfte stürzte rückwärts zu Boden, gefolgt von einem schmerzhaften »Urrghh!«.

»Hat’s dich erwischt, Schätzchen?« Ich duckte mich, um die untere Hälfte des Obelisken als Deckung nutzen zu können, und blickte mich nach dem Angreifer um, den ich gerade plattgemacht hatte. »Oh, allerdings. Gut gemacht, Elsa.«

Der Obelisk lag genau über seiner Körpermitte. Sosehr er sich auch bemühte, ihn wegzuschieben, er hatte nicht die Hebelwirkung – oder die Kraft –, um ihn zu bewegen. Der Mann keuchte. Er lebte noch. »Perfekt«, sagte ich. »Du bewegst dich nicht vom Fleck. Ich habe später ein paar Fragen an dich.«

Genug reagiert. Es war an der Zeit, in den Angriff überzugehen. Ein nahe gelegenes Grab war mit einem in den Stein eingelassenen Metallschild verziert. Er war zweifellos aus Eisen und durch das Alter brüchig geworden, aber er musste auch nicht lange halten. Ich stemmte mich gegen das Grab und legte meine Finger um die Kanten des Schilds. Ein kräftiger Ruck und er löste sich. Ich fühlte mich in diesem Moment wie Captain America, allerdings würde ich dieses alte Ding nicht auf jemanden werfen.

Ich hob den Schild mit dem linken Arm, richtete die P90 mit dem rechten nach vorne und rannte nach Norden, in die Richtung, aus der die nächsten Angreifer gekommen waren. Zwei Schüsse zischten aus der Dunkelheit. Einer traf den Schild, der andere eine steinerne Putte, die ihren dicken, kleinen Fuß verlor. Ich feuerte instinktiv und wurde mit einem Mann belohnt, der vor einer nahe stehenden Erle zu Boden stürzte.

Vier Tote. Wie viele von euch sind noch übrig?

Ich ging plötzlich in die Hocke, als sich ein Kugelregen in die Gräber vor mir grub. Zwei trafen den Schild und zersplitterten das Eisen. Ich schleuderte die Scherben weg und feuerte meine P90 ab, während ich nach rechts rollte und hinter einem gewaltigen Grabmal neue Deckung fand. Entweder lag hier jemand Wichtiges begraben oder der Herr – und nach der Größe und Kantigkeit des Denkmals zu urteilen, war es definitiv ein Mann –, der hier beigesetzt worden war, hatte gewollt, dass sein Tod eine andere Geschichte erzählte als sein Leben.

Wie dem auch sei, ich war froh, dieses Denkmal der Selbstverherrlichung als praktischen Unterschlupf nutzen zu können.

»Elsa Bloodstone!«, rief eine Stimme.

»Oh, sind wir endlich bereit, Worte statt Kugeln sprechen zu lassen?«, erwiderte ich und bemerkte ein frisches Einschussloch in meinem schönen langen Mantel. Verdammt noch mal, ich hatte das Ding gerade erst flicken lassen! »Na gut, dann mach schon, sag mir, was eure Bedingungen sind.«

Angriffe von Monstern waren zumeist leicht zu verstehen. Aber Angriffe von Menschen? Das bedeutete in der Regel, dass entweder ein Rivale ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt hatte und dies die unglückliche Söldnerbande war, die den Auftrag angenommen hatte, oder jemand war hinter meinem Blutsteinsplitter her.

»Gib den Splitter her!«

Volltreffer, wusst ich’s doch. »Hmm, lass mich kurz überlegen«, sagte ich und streckte meinen Kopf für einen kurzen Blick raus. Auf den ersten Blick war niemand zu sehen, aber in der Richtung, aus der die Schüsse gekommen waren, gab es nur zwei Gräber, die groß genug waren, um sich dahinter zu verstecken. Wenn meine Angreifer als ein einziges Angriffsteam gekommen waren, dann waren wahrscheinlich nicht mehr als vier von ihnen übrig. Kein Wunder, dass sie jetzt versuchen wollten, die Sache auszudiskutieren. Acht gegen einen war schon kaum fair, vier gegen einen war ein Massaker. »Netter Versuch, Schätzchen, aber schlag dir das aus dem Kopf.«

»Wir haben dich umzingelt!«

Ich rollte mit den Augen. Verdammte Idioten. »Ihr habt zwischen zwei und vier Typen, die sich hinter den sterblichen Überresten einiger reicher Viktorianer verschanzt haben!«, brüllte ich zurück. »Wenn ihr nicht gerade zu Nekromanten geworden seid, bin ich mir ziemlich sicher, dass ihr mich nicht umzingelt habt.« Nichtsdestotrotz brachte es nichts, zu lange in meinem Versteck zu bleiben. Es wäre dumm gewesen, es ihnen leicht zu machen, mich zu finden, auch wenn ich inzwischen ziemlich sicher war, dass ich von den Verbliebenen nicht viel zu befürchten hatte.

»Übergib den Blutstein oder es wird dein Ende sein!«

»Oh, reimen wir jetzt? Hier, ich hab auch einen für euch.«

Das Grab auf der linken Seite war näher, nur etwa acht Meter entfernt, und es gab viele kleinere Gräber, hinter denen ich mich unterwegs verstecken konnte. Ich überprüfte meine Munition. Zwölf Schuss übrig. Es war an der Zeit, das zu beenden. »Wie wäre es mit dem hier? ›Schlaf, Kindchen, schlaf.‹«

Ich rollte zur Seite und kam hinter einem einfachen Marmorgrabstein zum Stehen. Kugeln verfolgten mich, Rasen und Schotter spritzten hoch. Plötzlich verstummten die Schüsse. Ich hörte ein beharrliches Klicken. Ah, schön, jemandem war die Munition ausgegangen, und noch besser, niemand sonst hatte das Feuer eröffnet. Vielleicht hatten sie weniger Söldner mitgebracht, als ich vermutet hatte. Der tödliche Preis der Dummheit. Jetzt war der ideale Moment.

Ich stand auf und rannte los, wobei ich bei jedem Schritt ein Sperrfeuer abgab. Nach acht langen Schritten erreichte ich das nächstgelegene Grabmal und sprang in der Hocke auf den Grabstein. Der schwarz gekleidete Mann, der dahinterstand, fummelte ein Magazin in seine Pistole.

»›Jetzt trifft dich deine Straf!‹« Ich feuerte zwei Schüsse durch die Oberseite seines Helms und der Mann fiel augenblicklich zu Boden.

»Du hättest üben sollen, unter Druck nachzuladen«, informierte ich seine Leiche und landete neben ihm. Ich hatte nur noch zwei Kugeln. Sollte ich mir die Mühe machen, seine Waffe fertig nachzuladen und zu benutzen?

Nee, ich wusste ja nicht, in welchem Zustand sie war. Der verdammte Idiot, der sie nicht mal laden konnte, war wahrscheinlich nicht so sorgfältig gewesen, sie sauber genug zu halten, damit er schießen konnte, ohne dass sie im ungünstigsten Moment klemmte. »Wie viele von euch sind denn noch übrig?«, rief ich in Richtung des anderen großen Grabsteins.

»Mehr, als du denkst.«

»Hmm.« Das bedeutete aller Wahrscheinlichkeit nach nur einer, höchstens zwei. Wären es mehr gewesen, dann wäre der Mann zu meinen Füßen nicht allein hier hinten gewesen. Ich warf einen Blick in Richtung des Grabs. War das … ein Knie, das da an der Seite rausschaute? Es würde sich lohnen, das rauszufinden. Ich feuerte einen Schuss auf die Beule ab, die gerade noch hinter der abgenutzten Marmorkante zu sehen war. Meine Belohnung war eine Schimpftirade und ein plötzliches Sperrfeuer, das sich, genau wie bei meinem unglückseligen Kumpel hier, nach etwa zehn Schuss in ein Klicken verwandelte.

»Oh, das hört sich gar nicht gut an«, lachte ich. »Ich bezweifle auch, dass du jetzt noch weglaufen kannst, Großer. Jetzt, wo wir klargestellt haben, dass du definitiv dazugehörst, sag mir doch, wer euch geschickt hat.«

»Scher dich zum Teufel!«

»Du zuerst.« Es spielte kaum eine Rolle, ob er redete oder nicht. Ich hatte einen weiteren Angreifer festgenagelt, der von einem halben Obelisken in Schach gehalten wurde. Bringen wir es also hinter uns.

Ich ging in die Hocke, bereit, hervorzuspringen und den Abstand zwischen mir und meinem letzten Angreifer zu verringern, aber …

»Oh Schei…«

Ich hechtete zurück auf die andere Seite des schweren Grabsteins, als ich den Gegenstand in meine Richtung fliegen sah. Ich ging in die Hocke und hielt mir die Hände über die Ohren, kurz bevor ein Knall den ganzen Friedhof erschütterte. Die Luft selbst schien einen Moment lang im Einklang mit dem Boden unter mir zu erzittern.

Ich holte tief Luft und bereute es sofort, als der Staub des Grabs in meine Nase drang und mich für einen Moment unkontrolliert husten ließ. Der Stein hinter mir erbebte, die Explosion hatte das Denkmal fast zerbrochen. Großer Gott, war das nicht ein bisschen viel des Guten? Gut, dass ich eine Schutzwand hatte.

Eins war sicher, das feige Arschloch, das sich hinter dem anderen Grabmal verkrochen hatte, würde bekommen, was es verdient hatte. Staub erfüllte die Luft, es war also der richtige Zeitpunkt, hinüberzulaufen und eine Kugel in mein Problem zu jagen.

Drei Sekunden später musste ich zu meiner Enttäuschung jedoch feststellen, dass der letzte Mann, der noch lebte – und wahrscheinlich Todesangst hatte –, irgendwie entkommen war. Wohin hatte er sich verkrochen?

»Egal jetzt«, erinnerte ich mich selbst. Ich hatte noch jemanden zu verhören und dann musste ich eine gute Erklärung für den Erzbischof finden. Na ja, es hätte schlimmer kommen können, tröstete ich mich, als ich zu dem zerbrochenen Obelisken zurückging. Ich hätte auch mit leeren Händen dastehen können.

»Also gut«, rief ich, als ich mich meinem Gefangenen näherte. »Mal sehen, was du zu … Ey!« Ich feuerte meine letzte Kugel auf die Gruppe von Rattenmenschen, die über dem gefallenen Söldner kauerten. Sie liefen in alle Richtungen davon. »Oh, ich hoffe, ihr Dummköpfe habt nicht … Ugh.« Doch, hatten sie, sie hatten alle erreichbaren und noch nicht zerquetschten Teile meiner Informationsquelle aufgefressen. Daraus würde man nichts mehr rausholen können. »Toll. Wirklich ganz toll.«

2

Verfluchte Bürokraten! Mögen Gott und mein gesunder Menschenverstand mich davor bewahren, je wieder einen Auftrag für die Kirche anzunehmen. Diese Paragrafenreiter waren viel zu kleinkariert. Zugegeben, ich hatte mich nicht ganz an meine Vereinbarungen mit ihnen gehalten, wenn man bedachte, dass ich zwölf der größten und beeindruckendsten historischen Grabsteine zerstört hatte. Aber das war nicht meine Schuld gewesen! Ich hatte den Kampf nicht begonnen, aber immerhin war ich die gewesen, die ihn beendet hatte.

Letztendlich hatte ein Auftrag, für den ich sonst maximal eine Stunde gebraucht hätte, mich fast acht gekostet. Nicht weil es sonderlich kompliziert gewesen war, die übrigen Rattenmänner zu jagen, sondern weil mein direkter Auftraggeber, Mr. McDonnel, der Leiter des Vereins Freunde der Necropolis, die Schäden am Friedhof gesehen hatte und ohnmächtig geworden war. Nachdem ich ihn mit ein paar sanften Worten und ein paar belebenden Klapsen geweckt hatte, hatte er sich schlichtweg geweigert, mich für meine Dienste zu bezahlen. Dabei hatte er mir so viele wüste Beschimpfungen an den Kopf geworfen, dass seine Wortwahl einen Seemann hätte erröten lassen. Am Ende hatte der Erzbischof eingegriffen, der mich umgehend bezahlt, mir für meine Arbeit gedankt und mich gebeten hatte, mich nie wieder bei ihnen zu melden.

»Ihr seid für diesen Job auf mich zugekommen, nicht andersrum«, hatte ich etwas verärgert dagegengehalten.

»Ich weiß. Und ich hätte es nicht getan, wenn ich gewusst hätte, dass Sie auf der Flucht sind. Auf Wiedersehen, Miss Bloodstone.«

Eine Frechheit. Und nach alldem, nachdem ich die gesamte Nacht und weit in den Tag hinein wach gewesen war, musste ich auch noch mit einem Linienflug nach Hause fliegen. Was nützte es, mit den berüchtigtsten Milliardären der Welt befreundet zu sein, wenn man nicht ab und zu mit ihren Privatjets fliegen durfte? Manchmal war ich mir sicher, dass das Universum sich einfach einen schlechten Scherz mit mir erlaubte. Wenn man meine lückenhaften Erinnerungen und die Tatsache bedachte, dass von einer Realität in eine andere zu springen für mich keine Seltenheit war, war es durchaus möglich, dass mein Leben eine Lektion für irgendeine andere Elsa Bloodstone sein sollte, dankbar dafür zu sein, nicht ich sein zu müssen.

Ich durfte nicht zu lange über diese Dinge nachdenken. Das konnte nur in den Wahnsinn führen. Alles, was ich tun konnte, war, einen Designerstiefel vor den anderen zu setzen und weiterzumachen. In diesem Fall führte mich das zum Flughafen, wo ich mein Gepäck eincheckte (einen Koffer und einen Gitarrenkoffer, beide gefüllt mit Waffen) und mich auf meinen Flug zurück nach Boston vorbereitete.

Ich hätte einen Abstecher zu meinem jüngeren Bruder Cullen machen können, der fleißig an der Braddock Academy lernte – zumindest sollte er das lieber, wenn er wusste, was gut für ihn war –, aber ich entschied mich dagegen. Ich war müde, verdreckt und fürs Erste wollte ich nur noch in meinem eigenen Haus in meinem eigenen Bett liegen. Ziemlich häuslich für eine Frau, die sich mit der schmutzigsten Arbeit überhaupt ihren Lebensunterhalt verdiente, aber so war es nun mal.

Wir waren inzwischen in der Luft und die Stewardess ging herum, um die Getränkebestellungen aufzunehmen und heiße Tücher zu verteilen. Ich flog zwar Linie, aber immerhin erster Klasse.

»Oh ja, davon nehme ich gern eins«, sagte ich, während ich eins der Tücher von ihrem Tablett nahm und die Staubschicht, die ich immer noch auf mir spürte, von meinem Hals und Gesicht rieb. Ich hatte meine schmutzige Arbeitskleidung zwar gewechselt und dreifach eingetütet in meinem Gepäck verstaut, aber in der Glasgow Cathedral hatten diese Penner mich zum Frischmachen nur kurz das Waschbecken nutzen lassen. »Und eine Tasse Earl Gray.«

Nichts ging über eine frische Tasse Tee, wenn man sich unwohl fühlte. Viele meiner Kollegen tranken Alkohol zur Entspannung, aber ich würde nicht in diese Falle tappen, nicht solange es eine vernünftige Tasse Tee gab.

Aufgrund der Tatsache, dass ich die meiste Zeit in Amerika gelebt hatte, war das nicht immer der Fall gewesen, aber ich hatte mein Bestes gegeben.

Den Rest des Fluges verbrachte ich damit, zu versuchen zu schlafen, aber vergebens. Ich konnte nicht aufhören, über den Angriff nachzudenken. Je mehr ich darüber nachdachte, desto eigenartiger kam er mir vor. Ich konnte die Zahl der Leute, denen ich von meiner Reise nach Schottland erzählt hatte, an einer Hand abzählen, und keiner von ihnen hätte diese Informationen einfach so weitergegeben. Es war möglich, dass der Erzbischof oder Mr. McDonnel jemandem davon erzählt hatten, aber mit wem hätten sie darüber sprechen sollen, der daran interessiert gewesen wäre, eine Gruppe Söldner auf mich zu hetzen? Ich konnte mich an keine Feinde erinnern, die besonders katholisch wären, und Gott selbst, dachte ich mir, hätte wohl Besseres zu tun, als sich mit solchen hinterhältigen Spielchen aufzuhalten. Er hätte mich erledigt und gut wäre es gewesen.

Ich wünschte, ich hätte ein Bild von den Söldnern mit meinem Handy machen können. Unglücklicherweise hatte ich es während des Kampfes nicht dabeigehabt. Ich hatte schon zu viele dieser zerbrechlichen Teile auf diese Weise kaputtgemacht. Bevor ich in den Flieger gestiegen war, hatte ich Adam eine grobe Zusammenfassung der Geschehnisse geschrieben. Er war ziemlich gut im Recherchieren, ich bezweifelte jedoch, dass er viel finden würde. Letzten Endes waren sie alle unglaublich generisch gewesen: größtenteils weiß, alle in hochwertiger schwarzer Schutzkleidung, die jedoch nicht maßgeschneidert war und somit nicht zu ihnen zurückverfolgt werden konnte, und ausgerüstet mit Waffen, die sie in jedem Waffenladen in Amerika – verflucht sei dieser Ort – hätten kaufen können. Keine sichtbaren Tattoos, Schmuckstücke oder irgendwelche Symbole, die darauf hingedeutet hätten, dass sie irgendeiner Gruppe oder Vereinigung angehörten. Nutzlos.

Wie hatten sie mich gefunden? Hatten sie irgendwie meinen Blutstein verfolgt? Könnten sie es erneut tun?

Es spielte keine Rolle. Wenn sie wirklich so verzweifelt versuchten, an meinen Blutsteinsplitter zu kommen, sollten sie es nur wieder versuchen. Ich würde mit der nächsten Truppe genau dasselbe anstellen wie mit diesen erbärmlichen Gestalten und ihnen damit hoffentlich klarmachen, dass man sich mit mir lieber nicht anlegen sollten.

Endlich zurück in Boston zu sein war eine wahnsinnige Erleichterung. Ich hätte es nie offen zugegeben, aber es gab einen Teil von mir, der meine alte Heimat vermisste, wenn ich unterwegs war. Bloodstone Manor war ein riesiges, altes viktorianisches Anwesen außerhalb der Stadt, umgeben von weitläufigem grünem Weideland. Es war nicht mehr der Ort, den ich lieben gelernt hatte. Diese Version war leider größtenteils von Cullen zerstört wurden, als er von einem Glartrox besessen gewesen war und etwas die Kontrolle verloren hatte. Der Neubau war jedoch fast identisch mit dem alten Gebäude, abgesehen von der Modernisierung der Badezimmer, der Küche und der Sicherheitssysteme. Außerdem hatte ich das Haus neu streichen lassen, um die tristen Erdtöne durch Himmelblau und Rosé zu ersetzen. Das hatte einen Aufschrei der örtlichen historischen Gesellschaft hervorgerufen, den ich mit der Aussage zum Verstummen gebracht hatte, dass ich das Anwesen nur historisch akkurater machte, indem ich ihm mehr Farbe verlieh. Heutzutage war Bloodstone Manor mein trautes Zuhause und Adam war sein untoter Verwalter.

Er wartete an der Tür auf mich und griff automatisch nach meinen Taschen. Adam war fast einen halben Meter größer als ich, und ich war schon nicht gerade klein in meinen hohen Absätzen. Seine Haut sah grau und abgestumpft aus. Im Gegensatz dazu traten die schwarzen Nähte auf seiner Stirn, seinen Wangen und seinem Kinn deutlich hervor. Er musste sie wohl erneuert haben. Er trug sein übliches monochromes Outfit: eine dunkelgraue Hose, ein grauer Rollkragenpullover und bequeme Schuhe, die so lang waren, dass sie auch einem Yeti gepasst hätten.

»Danke, Adam«, sagte ich müde. Ich nickte ihm zu, bevor ich direkt auf die Treppe zusteuerte. »Mach dir nicht die Mühe, die zu öffnen, außer du willst meine Wäsche machen. Der Gestank und Dreck da drin könnte wahrscheinlich selbst dich außer Gefecht setzen.«

»Elsa …«

»Die Waffen habe ich natürlich schon gereinigt, sie sind im Gitarrenkoffer, und die Messer waren auch einfach sauber zu kriegen, aber um den Mantel müsste sich vielleicht ein Profi kümmern.« Ich würde ihn retten, komme, was wolle. Es war mein Lieblingsmantel. Er war maßgefertigt und im Gegensatz zu manchen meiner Kollegen wuchs das Geld bei mir nicht an den Bäumen. Ich hatte nicht einfach ein paar Dutzend solcher Mäntel rumliegen.

»Elsa …« Adam schloss die Tür, blieb aber stehen und wippte nervös vor und zurück, als hätte sich sein Betriebssystem aufgehängt. »Ähm … Da ist eine …«

Moment, bildete sich da eine Pfütze in meinem Foyer? »Oh Gott, ist er undicht?« Ich marschierte zurück und hob den Beutel hoch. Ja, er war tatsächlich undicht. »Ich hab den Dreck dreifach eingewickelt! Die Ausdünstungen! Ich weiß nicht, warum mich das jedes Mal überrascht, nach allem, was ich gesehen und gerochen habe, aber irgendwas überseh ich jedes Mal und …«

»Elsa!«

Der tiefe Schrei hallte durch die Eingangshalle und ließ den Kronleuchter erbeben. Ich drehte mich um, stemmte meine Hände in die Hüften und sah Adam an. Er zuckte ein wenig beschämt mit den Schultern, blieb aber standhaft. »Da ist jemand, der dich sehen will«, sagte er.

Ich war gerade nicht in der Stimmung, irgendjemanden zu sehen, schönen Dank auch. »Sag ihm, dass er morgen, zu einer angemesseneren Zeit, wiederkommen soll.«

»Ich denke … ich denke, dass du sie kennenlernen willst, Elsa.«

Oh, eine Sie also? Hatte die Dame Adams Interesse geweckt? War das der Grund, weshalb er das Protokoll missachtet und sie außerhalb meiner Geschäftszeiten in mein Anwesen gelassen hatte? Der »Bloodstone-Raritäten«-Teil dieses Hauses – die Gegenstände aus der persönlichen Artefaktsammlung meines Vaters Ulysses Bloodstone, die ich in einem provisorischen Museum mit der Öffentlichkeit teilte – befand sich auf der anderen Seite des Hauses und war seit einer Stunde für Besucher geschlossen. »Und warum«, fragte ich ein wenig sauer, verschränkte die Arme und tippte ungeduldig mit einem schmutzigen Schuh auf den Boden, »sollte ich das wollen?«

»Weil ich Informationen über die Männer habe, die dich angegriffen haben.«

Ich wirbelte zur Wohnzimmertür, wo eine Frau stand, die sich offenbar leiser als eine Maus bewegen konnte und die Hände sittsam vor sich gefaltet hatte. In ihrem Gesicht war jedoch keine Spur von Zurückhaltung zu erkennen. Ihr angespannter Kiefer verriet eher Entschlossenheit. Es war eine ältere Frau, mindestens sechzig, mit langem, dunklem, von silbernen Strähnen durchzogenem Haar, das zu einem geflochtenen Zopf zurückgebunden war, und kleinen Fältchen in den Augen- und Mundwinkeln. Ihre Haltung war steif und ihr erhobenes Kinn ließ sie, trotz des einfachen schwarzen Rocks und der Bluse, die sie trug, hochmütig wie eine Königin erscheinen. Ihre Augen funkelten im Licht des Kronleuchters wie Edelsteine in einem dunklen, tiefen Blau.

Sie war ein Eindringling und ich wollte sie loswerden. »Schön. Fantastisch. Hätten Sie nicht, äh, eine Textnachricht schicken können? Eine verflixte E-Mail? Ich hätte sogar einen richtigen Anruf entgegengenommen, egal wie veraltet das auch sein mag, alles besser, als dass Sie unangemeldet und ohne Einladung bei mir zu Hause auftauchen.«

»Aber, aber, Elsa.« Sie hatte einen leichten Akzent, nicht britisch, vielleicht slawisch, wenn man den gleichmäßigen Tonfall ihrer Sätze bedachte. »Spricht man so mit seiner Schwester?«

Das hätte mich fast von den Socken gehauen. Ich war nicht zu stolz, zuzugeben, dass ich sie anstarrte. Mir fiel die Kinnlade vor lauter Erstaunen runter. Das war so ziemlich das Letzte, was ich in diesem Moment aus ihrem Mund erwartet hätte. »Gottverdammter Höllenschlund, das kann nicht Ihr Ernst sein.«

Sie runzelte die Stirn. »Warum denn nicht? Ist es so schwer zu glauben, dass wir den gleichen Vater haben? Der Mann hat nicht unbedingt wie ein Mönch gelebt, weißt du? Ich bin Mihaela Zamfir, Tochter von Katya Zamfir und Ulysses Bloodstone.«

»Aber das … ist … Wie konnte er …?« Es ergibt überhaupt keinen Sinn!

Ach, hör auf, dich selbst zu belügen, Elsa. Es war nicht so, dass es keinen Sinn ergab, ich wollte einfach nicht, dass es Sinn ergab. Ulysses Bloodstone war eine Legende, deren Heldentaten sich über Jahrtausende menschlicher Geschichte erstreckten. Es war unvermeidlich, dass er währenddessen mit einer Menge Menschen geschlafen hatte. Das war mir bewusst. Cullen war der Beweis dafür und ihn zu akzeptieren war für mich schon schwierig genug gewesen. Aber noch eine? Große Güte, hatte der Mann in all seinen Jahren nie das Konzept von Verhütung verstanden?

»Richtig. Also. Das werden Sie mir wohl beweisen müssen.« Jeder Dahergelaufene hätte behaupten können, ein Nachkomme meines toten Vaters zu sein, aber ich war nicht bereit, eine mündliche Versicherung für bare Münze zu nehmen. »Ich nehme mal an, dass Sie keinen Splitter des Blutsteins haben?« Das hätte sicherlich geholfen, mich von ihrer Echtheit zu überzeugen.

Sie presste die Lippen zusammen. »Ich hatte einen. Er wurde mir vor nicht mal fünfundzwanzig Stunden abgenommen, von einer Gruppe schwarz gekleideter Männer mit Waffen.«

»Mh-hm. Wie praktisch.« Ich verschränkte meine Arme und lehnte mich gegen den Türrahmen. »Und jetzt, nehme ich an, sind Sie hier, um darum zu betteln, dass ich ihn Ihnen zurückhole. Äußerst praktisch. Eine interessante Geschichte, die Sie sich ausgedacht haben, aber ich würde mich nicht wundern, wenn das alles nur ein Trick wäre, um …«

»Elsa«, schaltete Adam sich ein, sein Gesicht betrübt. »Es ist kein Trick. Ich weiß schon länger von Mihaela.« Er hielt inne und fügte dann hinzu: »Dein Vater hat sie mal erwähnt.«

»Ah.« Hatte Ulysses das, ja? Bei mir hatte er das nicht für nötig erachtet, der alte Rattenfink. Er hatte jede Menge Notizen und Texte hinterlassen, als er gestorben war, aber ein Einzeiler, der mich über meine Geschwister aufklärte? Anscheinend war ihm das nicht in den Sinn gekommen.

Ich war auch immer noch nicht von der Identität der Frau überzeugt. »Faszinierend. Und hast du sie je persönlich kennengelernt?«

»Na ja, nein …«, begann Adam.

»Irgendwann mal ein Bild gesehen?«, bohrte ich weiter.

Adam seufzte laut. »Nein. Aber ihr habt die gleiche Nase und sie hat die Augen deines Vaters und …«

Ich unterbrach ihn. »Also noch mal, ich werde mehr brauchen als nur einen Namen und eine Analyse ihrer Nase, um zu glauben, dass Sie«, ich zeigte mit einem Finger auf Mihaela, »mehr sind als eine geldgeile Betrügerin, die versucht, sich durch eine Verbindung zu meiner Familie einen Vorteil zu verschaffen und sich in mein Leben einzuschleichen.«

»Weil du ja so ein großartiges Leben hast«, sagte sie verachtend und wedelte mit der Hand vor ihrer Nase. »Aber in Ordnung. Ich werde unsere Verbindung beweisen und dann wirst du dir meine Geschichte anhören, einverstanden?«

»Einverstanden.« Das konnte ja nur gut werden.

»Na gut.« Sie verschränkte ihre Arme und starrte mich an. »Es gibt ein paar Artefakte in diesem Haus, die du für zu wertvoll und zu bizarr hältst, um sie auszustellen. Ich weiß zum Beispiel, dass unser Vater drei Schrumpfköpfe besitzt, es sind aber nur zwei im Museum zu sehen. Er hatte das Gefühl, dass der dritte zu sehr jemandem ähnelte, den er gekannt hatte, bevor er anfing, den Blutstein zu tragen, und deshalb brachte er es nie übers Herz, ihn jemandem zu zeigen.«

Heilige Scheiße. Das war genau das, was auf der Notiz neben dem Ding gestanden hatte. Ich hatte in dem traurigen, kleinen Ding niemanden erkannt, der je am Leben gewesen war, aber wer wusste schon, welche verrückten Verbindungen das Hirn eines Mannes herstellte, der zehntausend Jahre gelebt hatte? Trotzdem … »Und weiter?«

Gereizt verzog sie die Mundwinkel, aber fuhr fort: »Es gibt Gerüchte da draußen, dass du eine magische Lampe besitzt, die dich an jeden Ort der Welt transportieren kann. Obwohl ich persönlich denke, dass das unwahrscheinlich ist. Ein Flaschengeist? Nichts als ein Märchen. Ganz abgesehen davon, dass du gerade aus einem Flugzeug gestiegen bist. Wenn du wirklich ein solches Artefakt hättest, dass dich die ganze Welt bereisen lassen würde, ohne konventionelle Fortbewegungsmittel nutzen zu müssen, verstehe ich nicht, wieso du es nicht benutzen solltest.«

»Stimmt, das ist völliger Schwachsinn«, stimmte ich ihr zu, froh darüber, dass sie nicht rausgefunden hatte, dass diese Lampe tatsächlich existierte. Sie war ein Artefakt, das keinerlei Ähnlichkeit mit irgendwas aus der öffentlichen Sammlung hatte. Ich hielt sie absolut geheim, nicht nur, weil es ein eher unzuverlässiges Transportmittel war, das dennoch ab und zu nützlich sein konnte, sondern auch, weil die Leute durchdrehten, wenn es um Dinge wie Flaschengeister und Wünsche ging. Sie funktionierten nie, nie so, wie man es sich erhoffte. Flaschengeister waren so was wie die gerissensten Vertragsanwälte auf dem Planeten, und möglicherweise auch darüber hinaus. Man konnte sie nicht besiegen, aber die Menschen waren immer wieder bereit, es zu versuchen.

»Ich habe auch Überwachungsmaterial aus der Nähe meines eigenen Hauses in Bukarest, wo mir mein Blutstein gestohlen wurde.« Sie griff sich in den Nacken, nahm eine Kette ab und reichte sie mir. Ein winziger USB-Stick baumelte am Ende der Kette. »Das sollte beweisen, dass ich die Wahrheit sage. Wenn du mir nicht glaubst, nachdem du das gesehen hast, kannst du gern zu sieben verschiedenen Höllen fahren.«

Ach du meine Güte. Vielleicht waren wir doch verwandt. Ich reichte den USB-Stick an Adam weiter, der ihn misstrauisch beäugte. »Gut. Schließ den bitte im Medienraum an«, sagte ich zu ihm. »Ich werde es mir ansehen, aber erst brauche ich eine heiße Dusche und eine frische Tasse Tee.«

»Du riechst ziemlich penetrant«, bemerkte Mihaela, als wäre mir der Geruch meines persönlichen Eau de Monster nicht bewusst.

»Danke.« Ich zeigte mit dem Finger auf sie. »Sie warten hier. Kein Rumwandern, kein Rumschnüffeln in Dingen, die Sie nichts angehen. Wenn ich Sie dabei erwische, wie Sie nach Geheimgängen suchen, zeige ich Ihnen einen, der direkt zu den Abwasserkanälen führt, verstanden?«

Sie schien von meiner Warnung nicht eingeschüchtert zu sein. Noch ein Punkt, der für sie sprach. »Für mich ist es kein Problem, hier zu sitzen und darauf zu warten, dass du zur Vernunft kommst.«

»Meine Vernunft