Matched for Murder - Marina Maass - E-Book

Matched for Murder E-Book

Marina Maaß

0,0
2,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Sie sucht den perfekten Mann, er das perfekte Opfer Detective Everly Kingsley sehnt sich nach einem Partner. Nicht nur im beruflichen Sinn, sondern auch privat. Die meisten ihrer Dates verlaufen erfolglos, bis sie einen Mann trifft, mit dem eine gemeinsame Zukunft plötzlich in greifbare Nähe rückt. Er ist ein Lichtblick in ihrem düsteren Alltag, denn in Madison, Wisconsin, wurde die Leiche einer jungen Frau gefunden. Sie wurde gefoltert, tätowiert und erdrosselt, ihre Zunge herausgeschnitten. Everly steht vor einem Rätsel, denn es gibt weder Zeugen noch Spuren. Dafür erkennt sie erschreckende Parallelen zu einer ungelösten Mordserie von vor zwei Jahren ... Während Everly auf dem schmalen Grat zwischen neuer Liebe und hartnäckigen Ermittlungen balanciert, führt eine verstörende Entwicklung sie zu einer ihrer früheren Verabredungen. Die Fälle werden persönlicher, die Hinweise beunruhigender. Immer mehr Frauen landen auf dem Tisch der Rechtsmedizin. Die Angst wächst. Der Killer ist noch längst nicht fertig – aber näher, als Everly ahnt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Matched for Murder

Marina Maass wurde 1996 in Niedersachsen geboren. Gemeinsam mit ihrer Familie und zwei Hunden lebt sie in einem kleinen, beschaulichen Örtchen am Rande der Südheide mit mehr Kühen als Einwohnern. Ihre Liebe für Bücher hat sie bereits im frühen Kindesalter entdeckt, aber weil die Schule ihren Tribut forderte und Zeit mit Freunden zu verbringen irgendwann attraktiver wurde, ist die Idee, ein Buch zu schreiben, viel zu lange in den Hintergrund gerückt. Glücklicherweise ist dieser Wunsch zurückgekehrt und nun versucht sie seit 2017 ihren normalen Alltag und das Schreiben unter einen Hut zu bekommen.

Sie sucht den perfekten Mann, er das perfekte Opfer

Detective Everly Kingsley sehnt sich nach einem Partner. Nicht nur im beruflichen Sinn, sondern auch privat. Die meisten ihrer Dates verlaufen erfolglos, bis sie einen Mann trifft, mit dem eine gemeinsame Zukunft plötzlich in greifbare Nähe rückt. Er ist ein Lichtblick in ihrem düsteren Alltag, denn in Madison, Wisconsin, wurde die Leiche einer jungen Frau gefunden. Sie wurde gefoltert, tätowiert und erdrosselt, ihre Zunge herausgeschnitten. Everly steht vor einem Rätsel, denn es gibt weder Zeugen noch Spuren. Dafür erkennt sie erschreckende Parallelen zu einer ungelösten Mordserie von vor zwei Jahren ... Während Everly auf dem schmalen Grat zwischen neuer Liebe und hartnäckigen Ermittlungen balanciert, führt eine verstörende Entwicklung sie zu einer ihrer früheren Verabredungen. Die Fälle werden persönlicher, die Hinweise beunruhigender. Immer mehr Frauen landen auf dem Tisch der Rechtsmedizin. Die Angst wächst. Der Killer ist noch längst nicht fertig – aber näher, als Everly ahnt.

Marina Maaß

Matched for Murder

Ein tödliches Versprechen

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

Originalausgabe bei UllsteinUllstein ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH,Berlin August 2025© Ullstein Buchverlage GmbH, Friedrichstraße 126, 10117 Berlin 2025Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und DataMining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.Umschlaggestaltung:zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®, München / shutterstock AIAutorinnenfoto: © Kiara GibsonE-Book powered by pepyrus

ISBN: 978-3-8437-3523-0

Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

Auf einigen Lesegeräten erzeugt das Öffnen dieses E-Books in der aktuellen Formatversion EPUB3 einen Warnhinweis, der auf ein nicht unterstütztes Dateiformat hinweist und vor Darstellungs- und Systemfehlern warnt. Das Öffnen dieses E-Books stellt demgegenüber auf sämtlichen Lesegeräten keine Gefahr dar und ist unbedenklich. Bitte ignorieren Sie etwaige Warnhinweise und wenden sich bei Fragen vertrauensvoll an unseren Verlag! Wir wünschen viel Lesevergnügen.

Hinweis zu UrheberrechtenSämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Inhalt

Das Buch

Titelseite

Impressum

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

31

32

Epilog

Danksagung

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

1

Widmung

Für alle Frauen, die True Crime konsumieren, um sich auf den Ernstfall vorzubereiten.

1

Everly

Wisconsin State Journal, vor zwei Jahren

Madisons Frauen werden blond!

Wie der Tattookiller Brünette dazu verleitet, sich die Haare zu färben.

»Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, direkt bei meinem ersten Online-Date einen Serienmörder zu treffen?« Unruhig tigere ich an der Ecke vor dem vereinbarten Treffpunkt hin und her.

»Beinahe null. Du hast eindeutig zu viel mit Kriminellen zu tun, wenn du jetzt schon in jedem Date einen Verbrecher siehst.« Meine beste Freundin Rosie grinst. Als Rechtsmedizinerin dürfte es ihr eigentlich nicht anders gehen.

»Die Arbeit hat mich verdorben.« Ich seufze und vergrabe mein Gesicht in den Händen.

»Achtung, dein Make-up! Ich habe die letzte Stunde nicht verschwendet, damit du jetzt alles zerstörst!« Sie klingt entrüstet, weshalb ich schnell meine Hände in den Taschen meines dunklen Übergangsmantels vergrabe.

Normalerweise bin ich eher der pragmatische Typ. Während der Arbeitszeit trage ich einen praktischen Hosenanzug. Meine Haare sind zu einem Zopf oder Dutt gebunden, damit sie mich nicht stören, und das einzige Produkt, das mit meinem Gesicht in Berührung kommt, ist Feuchtigkeitscreme.

Mir hätte es nichts ausgemacht, in genau diesem Aufzug zu meinem Date zu erscheinen, aber Rosie wollte davon nichts hören. Sie hat mich in ein kleines Schwarzes gezwängt, meine blonde Lockenmähne mit etwas Schaumfestiger in Form gebracht und mich in hohe Schuhe gesteckt. Jetzt sehe ich aus wie eine Kopie von ihr. Rosie gehört zu den Frauen, die immer akkurat gekleidet sind. Ich meine, sie kommt selbst in High Heels zum Tatort, um die Leiche zu inspizieren.

»Mit wem triffst du dich überhaupt?« Ihre vor Neugier triefende Frage holt mich zurück in die Realität. Sie weiß zwar, dass ich mich seit einigen Tagen im Sumpf der Dating-Apps befinde, aber ich hatte noch keine Gelegenheit, ihr von Silas zu erzählen. Während sie mich zurechtgemacht hat, musste ich nämlich schweigen, damit sie »ihrer Kreativität freien Lauf lassen« konnte.

»Er heißt Silas und ist neunundzwanzig. Macht beruflich irgendwas mit Technik, steht auf True Crime, guten Kaffee und entspannte Gespräche. Genau wie ich hält er nicht viel von ewigem Hin- und Herschreiben, darum treffen wir uns heute.«

Und um ein Haar hätte ich es vor zwei Stunden abgesagt. Ich hatte einen stressigen Tag auf der Arbeit und sehne mich nach nichts mehr als meinem gemütlichen Sofa und chinesischem Take-away. Aber während unserer kurzweiligen Konversation im Tinder-Chat hat er so sympathisch und freundlich gewirkt, dass ich es nicht übers Herz gebracht habe, ihn zu versetzen. Er scheint ein ruhiger Typ zu sein, der keine Lust auf große Abenteuer hat, sondern eher auf langsame und entspannte Dates steht. Ein perfekter Ausgleich für mich und meinen stressigen Alltag. Das Leben als Detective im Morddezernat ist bereits aufregend genug.

»Bist du nervös?« Rosie sieht mich von der Seite an, während wir beide die Straße entlang auf die Bar zusteuern, in der ich gleich mein Date habe. Wir kennen uns, seit ich bei der Polizei angefangen habe, und sind genauso lange befreundet. Im Prinzip muss ich ihre Frage nicht beantworten. Dafür kennt sie mich zu gut.

Ich entscheide mich trotzdem dafür. »Du meinst, weil ich seit Ewigkeiten keine Verabredung mehr hatte?«

Sie nickt, woraufhin ich eine Grimasse ziehe und mir eine verirrte Locke aus der Stirn streiche. Mir war von vornherein klar, dass mein Privatleben zu kurz kommen würde, wenn ich die Laufbahn zum Detective einschlage. Aber jetzt, wo ich dieses Ziel erreicht und einen sicheren Job habe, will ich den Sprung ins kalte Wasser endlich wagen. Es fehlt mir, abends zu jemandem nach Hause zu kommen. Gemeinsam zu kochen. Auszugehen. Jemanden zu haben, bei dem ich abschalten und mich trotzdem über einen beschissenen Arbeitstag auskotzen kann.

»Ja, ich bin aufgeregt. Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich noch nie einen Typen getroffen, mit dem ich nur übers Internet Kontakt hatte. Aber heutzutage ist es ja kaum möglich, auf anderem Wege jemanden kennenzulernen.«

»Was bin ich froh, mit Dating nichts mehr am Hut zu haben.« Rosie macht einen Schritt auf mich zu und greift nach meinen Händen. »Silas wird vom Stuhl fallen, wenn du so auf ihn zukommst.«

Ihr Kompliment beruhigt mich. Ich spüre, wie meine Mundwinkel in die Höhe zucken. Rosie hat recht. Ich spiegle mich in der Glasscheibe des Schaufensters neben mir. Und was ich erkenne, sieht verdammt gut aus! Vielleicht sollte ich öfter Kleider und High Heels tragen. Allerdings wäre es höchst unpraktisch, damit Verdächtige zu verfolgen. Die wären längst über alle Berge, während ich langsam hinter ihnen herstöckele.

Mit Rosie an meiner Seite biege ich um die Ecke und schlendere auf das erleuchtete Lokal mit der großen Fensterscheibe zu. Sobald wir dort angekommen sind, bleibt meine Freundin stehen und sieht mir fest in die Augen. Ihr Gesicht hat einen ernsteren Ausdruck angenommen als noch vor wenigen Minuten.

»Du weißt, was wir besprochen haben?«

Ich nicke. »Falls mir etwas merkwürdig vorkommt oder ich mich unwohl fühle, schreibe ich dir eine Nachricht, damit Clark mich rettet.« Ihr Mann hat freundlicherweise angeboten, mir aus der Patsche zu helfen, falls die Verabredung entweder stinklangweilig wird oder eine Richtung einschlägt, mit der ich nicht einverstanden bin. Natürlich würde ich als Polizistin auch selbst klarkommen, aber Clark ist zwei Meter groß und in etwa genauso breit. Sein Auftauchen macht deutlich mehr Eindruck als meine Marke.

»Gut. Dann viel Spaß! Ruf an, sobald du zu Hause bist.« Rosie nimmt mich noch einmal fest in den Arm, bevor ich Moe’s Bar betrete.

Auf einer kleinen Bühne gegenüber der Theke sitzt ein Mann am Klavier und erfreut die Gäste mit seiner Musik. Sie vermischt sich mit den gedämpften Gesprächen an den Tischen und erzeugt eine angenehme Geräuschkulisse.

Nervös trommle ich mit den Fingern auf meiner Handtasche herum. Ein mir unbekanntes Kribbeln breitet sich in meiner Magengegend aus. Es ist kaum auszuhalten. Immerhin weiß ich, wie solche Dates enden können. Ich bin bereits an einer Menge Tatorten gewesen, wo die Opfer junge Frauen waren, die sich auf eine Verabredung mit dem falschen Mann eingelassen haben. Andererseits habe ich eine gute Menschenkenntnis. Was soll schon schiefgehen?

»Andere Leute gehen ständig auf Tinderdates«, murmle ich, um mir Mut zu machen. »Moe kennt dich und Rosie hat bestätigt, dass es höchst unwahrscheinlich ist, auf einen Serienmörder zu treffen.«

Und sie soll recht behalten. Silas wirkt nicht wie jemand, der Frauen in Bars aufreißt, sie mit nach Hause nimmt und dort auf brutalste Weise tötet. Er arbeitet für eine Sicherheitsfirma und kennt sich hervorragend mit Alarmanlagen und Überwachungssystemen aus. Sein nussbraunes Haar steht wirr zu allen Seiten ab. Auf seiner Nase thront eine bernsteinfarbene Brille, die den Großteil seines Gesichts einnimmt, aber seine blauen Augen besonders betont. Er ist attraktiv. Nicht zu sehr, sodass es mich einschüchtern würde, sondern genau im richtigen Maße.

»Und du bist Polizistin? Das ist krass!« Er nippt an seinem Bier, während ich mit dem Strohhalm mein Ginger Ale umrühre.

»Ja, meine komplette Familie arbeitet in dem Bereich. Ich bin in diesen Job hineingeboren.« Nicht, dass mich das jemals gestört hätte. Ich habe gesehen, wie mein Dad die Bösewichte verhaftet und Mom sie als Staatsanwältin hinter Gitter gebracht hat. Nachdem mein großer Bruder Evan sich ebenfalls dazu entschieden hat, die Polizeiakademie zu besuchen, stand auch für mich fest, diesen Beruf auszuüben.

»Und wo bist du tätig? Streifendienst? Drogen? Mord?« Seine Augen leuchten beim letzten Wort einen Tick zu stark. Trotzdem fühle ich mich nicht unwohl. Jede Person, die ich bisher kennengelernt habe, war fasziniert von meiner Arbeit.

»Ich bin Detective im Morddezernat«, entgegne ich lächelnd.

»Wow. Ich dachte immer, die wären alle älter.« In Silas’ Blick liegt eine Bewunderung, die mir schmeichelt.

»Normalerweise schon. Aber ich war Jahrgangsbeste an der Academy und habe mich schnell behauptet. Deshalb durfte ich die Detective-Prüfung früh ablegen und bin jetzt die jüngste Kommissarin, die das Department je hatte.« Meine Brust schwillt an, während ich die Worte ausspreche. Ich habe hart dafür gearbeitet und wurde belohnt. Ich kenne alle Vorschriften und bin professionell. Meine Aufklärungsrate ist sehr gut … Na ja, sie könnte noch besser sein, wäre da nicht …

Ich reiße mich aus meinen Gedanken, schließlich bin ich nicht hier, um über meine Arbeit zu grübeln. Stattdessen lenke ich das Gespräch auf Silas. »Wie läuft dein Job denn so ab? Entwickelst du die Alarmanlagen oder installierst du sie?« Vielleicht nicht die spannendste Frage, aber immerhin dient dieses Treffen dazu, mehr über ihn zu erfahren. Womöglich ist er der Mann, mit dem ich mein restliches Leben teilen werde.

»Um mir solche Systeme auszudenken, fehlt mir das Hintergrundwissen.« Er lacht und mir fällt auf, wie gut mir dieses Geräusch gefällt. Es klingt angenehm. Generell hat Silas eine Stimme, der ich gern zuhöre.

»Ich bringe sie bei unseren Kunden an. Das ist allerdings bei Weitem nicht so interessant wie dein Beruf. Warst du schon damals dabei, als der Tattookiller hier sein Unwesen getrieben hat?«

Ich unterdrücke ein Seufzen. Jetzt sind wir schon wieder bei mir und meinem Leben. »Ähm, nein. Damals bin ich noch Streife gefahren und hatte mit den Ermittlungen nichts zu tun.«

Silas’ Gesicht büßt ein wenig seines vorherigen Strahlens ein. »Schade, ich hätte gern mehr darüber erfahren. So Hintergrundinformationen, weißt du? Ich stehe total auf True Crime, habe ich dir ja schon erzählt. Am liebsten würde ich meinen eigenen Podcast starten und über Fälle aus der Region berichten.«

Ich trinke einen Schluck von meinem Ginger Ale. »Wieso tust du es nicht?«

Er zuckt mit den Schultern. »Mir fehlt der passende Gesprächspartner. Jemand, mit dem ich mich austauschen kann. Allein ist es irgendwie blöd. Aber der Tattookiller wäre ein toller Aufhänger für die erste Folge!« Wie ein Wasserfall redet er weiter über den berüchtigtsten Serienkiller, der jemals sein Unwesen in Wisconsin getrieben hat. Ich war damals live dabei, als er die Stadt in Angst und Schrecken versetzt hat. Dann ist er plötzlich von einem Tag auf den anderen verschwunden. Das war vor zwei Jahren. Seitdem hat niemand mehr von ihm gehört.

»Was hältst du davon?« Silas sieht mich abwartend an. Er hat mir wohl eine Frage gestellt, während ich in Gedanken versunken war.

»Wie bitte?« Ich setze ein entschuldigendes Lächeln auf, doch er scheint nicht zu merken, dass ich seinen Ausführungen in den letzten Minuten nicht zugehört habe.

»Hast du nicht Lust, einen Podcast mit mir zu machen? Eine waschechte Polizistin und ein True-Crime-Fan, das würde super passen! Du hättest Informationen aus erster Hand und könntest Einblicke in eure Arbeit geben.« In seine Augen schleicht sich ein begeistertes Funkeln.

Plötzlich habe ich nicht mehr das Gefühl, dass er an mir interessiert ist, sondern vielmehr an seinem True-Crime-Podcast. Dabei umgibt ihn eine so charmante, kindliche Aufregung, dass es mir fast leidtut, ihm gleich einen Korb zu geben. Doch bevor ich zu einer Antwort ansetzen kann, klingelt mein Telefon. Ich ziehe es aus der Tasche und sehe den Namen meines Partners Benji auf dem Display.

»Sorry, da muss ich rangehen.«

»Klar, kein Problem!« Silas lehnt sich zurück, trinkt einen Schluck von seinem Bier und checkt ebenfalls sein Handy.

»Was gibt’s, Benji?«

» … gefunden. … musst kommen. … dir … Adresse.«

Der Pianist hat aufgehört zu spielen, was die übrigen Gäste offensichtlich zum Anlass nehmen, ihre Gespräche lauter zu führen.

»Was?«, schreie ich regelrecht ins Telefon.

»Es wurde eine Leiche gefunden. Du musst kommen. Ich texte dir die Adresse«, brüllt er zurück.

»Bin gleich da«, erwidere ich und beende den Anruf.

Beinahe habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich erleichtert darüber bin, diesem Date entfliehen zu können. Silas ist nett, keine Frage. Wenn mir allerdings klar gewesen wäre, wie vernarrt er in True Crime ist, hätte ich mich niemals hierauf eingelassen. Ich will nicht nach Hause kommen und direkt mit den nächsten Mördern konfrontiert werden.

»Du musst schon los?« Die Enttäuschung über das abrupte Ende unseres Dates ist Silas deutlich anzusehen.

»Ja, tut mir leid. Verbrecher halten sich leider nicht an reguläre Arbeitszeiten.« Ich ziehe eine Grimasse, was er mit einer schnellen Handbewegung abtut.

»Ist kein Problem. Das verstehe ich. Vielleicht setzen wir unser Treffen demnächst mal fort?« Während ich in meinen Mantel schlüpfe und mein Handy zurück in die Handtasche stopfe, überlege ich, ob es besser ist, ihm jetzt schon abzusagen oder noch ein paar Tage zu warten.

»Ich muss schauen, ob ich Zeit habe. Ist das okay?«

»Natürlich. Geh nur. Ich übernehme die Rechnung.«

Mit einem letzten Lächeln in seine Richtung verlasse ich die Bar und winke am Straßenrand nach einem Taxi. Nach wenigen Minuten wird ein Fahrer auf mich aufmerksam. Ich nenne ihm die Adresse, die Benji mir geschickt hat, und ärgere mich darüber, dass ich mich von Rosie habe überreden lassen, diese Klamotten anzuziehen. Je nachdem, wo die Leiche gefunden wurde, könnte es mit High Heels schwierig werden, den Tatort zu erreichen. Andererseits, wenn Rosie das ständig schafft, sollte es für mich auch kein Problem sein, oder?

Wir sind eine ganze Weile unterwegs. Obwohl es schon spät ist, sind jede Menge Autos auf den Straßen. Irgendwann bemerke ich, dass mein Fahrer immer wieder stirnrunzelnd in den Rückspiegel sieht. Ich werfe einen Blick über die Schulter zur Heckscheibe hinaus, erkenne aber nichts Verdächtiges.

»Ist alles in Ordnung?«

Er nickt, hört aber nicht auf, in regelmäßigen Abständen nach hinten zu schauen.

»Ich bin Polizistin. Wenn irgendetwas ist, kann ich Ihnen helfen«, biete ich an, krame meine Marke aus der Handtasche und zeige sie ihm.

»Nein, nein. Ich werde nur das Gefühl nicht los, dass wir verfolgt werden.«

Ich drehe mich erneut um. Es sind einige Wagen hinter uns. Mehrere Taxis. Ein dunkler SUV mit getönten Scheiben und ein Smart, der geschickt sämtliche Lücken im Verkehr nutzt, um schnell voranzukommen. Keiner von ihnen fährt übertrieben dicht auf, doch beide folgen uns, als wir um die nächste Ecke biegen.

Langsam drehe ich mich wieder nach vorn.

»Wahrscheinlich muss jemand in dieselbe Richtung«, mutmaße ich. Den Schauer, der meinen Rücken hinabjagt, kann ich trotzdem nicht ignorieren.

»Ja, so wird es sein«, murmelt der Taxifahrer und konzentriert sich auf die vor ihm liegende Straße.

Doch seine Paranoia hat mich längst angesteckt.

Benji

Es hat sich bereits eine Menschentraube hinter der Absperrung versammelt, als ich aus meinem Wagen steige. Selbst die Presse ist vor Ort. Ich unterdrücke ein Augenrollen. Wie erfahren die immer so schnell von den Leichenfunden?

Ich zeige den Kollegen meine Marke und bücke mich unter der Absperrung hindurch. Officer Marx empfängt mich in einigen Metern Entfernung.

»Das Opfer ist weiblich, Ende zwanzig. Der Hund eines älteren Ehepaares hat sie erschnüffelt. Die Frau steht unter Schock und wird im Krankenhaus behandelt. Ich konnte noch nicht mit ihnen sprechen«, fasst er die Situation zusammen, ohne einmal auf seinen Notizblock zu schauen.

»Personalien hast du aufgenommen?«

Marx wirft mir einen Blick zu und sieht aus, als würde er ernsthaft an meiner geistigen Gesundheit zweifeln.

»Wie viele Monate arbeiten wir jetzt schon zusammen?«, fragt er genervt. Meine Mundwinkel zucken. Marx passieren keine Fehler.

»Ein paar«, entgegne ich schmunzelnd.

»Habe ich in dieser Zeit jemals vergessen, Kontaktdaten aufzunehmen?« Mit hochgezogenen Augenbrauen schaut er mich an.

»Nein.« Inzwischen muss ich mir das Lachen ernsthaft verkneifen.

»Eben. Lass uns die Leiche anschauen.« Gemeinsam laufen wir den Weg entlang. Überall wuseln bereits Mitarbeiter der Spurensicherung herum. Vor einer Parkbank bleibt Marx schließlich stehen. Er leuchtet mit der Taschenlampe auf eine junge Frau. Ihr Kopf ist nach vorn gekippt, sodass ihre langen braunen Haare ihr Gesicht wie einen Schleier umhüllen. Sie wirkt, als wäre sie nur kurz eingenickt. Die gräuliche Färbung ihrer Haut steht in starkem Kontrast zu den dunkelroten Lippen. Ihre Brust hebt und senkt sich nicht mehr, was eindeutig zeigt, dass sie nicht mehr lebt.

»Ziemlich riskant von dem Täter, die Leiche so öffentlich abzulegen.« Ich werfe einen Blick auf meine Armbanduhr. Es ist jetzt kurz nach zehn. Die Dämmerung steht kurz davor, zur Nacht zu werden, was im Umkehrschluss bedeutet, dass die junge Frau bei Tageslicht hier platziert wurde.

»Ich würde es sogar als mutig bezeichnen. Er scheint sich sicher zu sein, nicht erwischt zu werden«, wirft Marx nachdenklich ein.

»Das hier ist der abgelegenere Teil des Parks. Wahrscheinlich hat er sich genau die Stelle ausgesucht, weil er wusste, dass nicht viele Spaziergänger vorbeikommen. Schon gar nicht am Abend«, mutmaße ich. Obwohl es schon Ende Mai ist, wird es abends trotzdem noch merklich kühler. Deshalb werden die riesigen Grünflächen kaum genutzt, wie es sonst im Hochsommer der Fall wäre.

»Schon klar, aber irgendjemand verirrt sich immer hierher«, erwidert Marx und ich nicke. Es gibt keine Stelle im James Madison Park, die absolut unentdeckt ist.

»So oder so ist es kein gutes Zeichen«, murmle ich, bevor meine Aufmerksamkeit auf jemand anderen gelenkt wird.

»Rosie! Langsamer! Ich komme kaum hinterher! Du weißt genau, dass ich normalerweise auf flacheren Sohlen unterwegs bin!«

Mein Blick gleitet in die Richtung, aus der Marx und ich gekommen sind. Rechtsmedizinerin Rosie Keaton schreitet mit großen Schritten auf uns zu, dicht gefolgt von Everly Kingsley, die sichtlich Probleme hat, ihr zu folgen.

»Achte nicht darauf. Lauf einfach. Dann geht das von allein«, erwidert Dr. Keaton locker und überwindet die letzten Meter zu uns, ohne ihr Tempo zu drosseln.

Everly verdreht die Augen und zieht eine Grimasse. In dem schwarzen Kleid sieht sie anders aus als sonst. Der Stoff schmiegt sich eng an ihren Körper und betont ihre Kurven. Die Hosenanzüge, die sie sonst trägt, verstecken sie eher. Durch die hohen Schuhe kommen ihre langen Beine vielmehr zur Geltung.

»Siehst gut aus, Kingsley. Du solltest öfter High Heels tragen.« Marx kommt mir mit dem Kompliment zuvor und ich ärgere mich, nicht schneller gewesen zu sein. Zu meiner Zufriedenheit bekommt er als Antwort ihren Mittelfinger gezeigt.

»Konzentrier dich auf die Arbeit, Marx. Was haben wir?«

Er fasst knapp zusammen, was er mir vor wenigen Minuten erzählt hat. Dr. Keaton begutachtet derweil den Leichnam.

»Wie lange ist sie schon tot, Rosie?« Everly stellt sich neben ihre Freundin und sieht sie abwartend an.

»Von der Leichenstarre ausgehend, würde ich sagen, dass sie in den vergangenen zwölf Stunden gestorben ist. Genaueres kann ich nach der Obduktion sagen«, erwidert sie.

»Hast du eine Vermutung, woran sie gestorben ist?«, fragt Everly weiter.

»Ihre Haut im Gesicht weist Einblutungen auf. Über ihren Hals zieht sich eine dünne Linie. Möglicherweise wurde sie erdrosselt. Aber wie gesagt …«

» … mehr erfahre ich nach der Obduktion, verstanden«, beendet Everly ihren Satz. »Fängst du heute noch an?«

Rosie nickt. »Ich lasse sie in die Rechtsmedizin bringen und starte direkt. Sobald ich was habe, melde ich mich bei dir.«

Everly wendet sich Marx zu. »Konnten wir ihre Identität schon klären?«

»Leider nicht. Sie hat keinen Ausweis oder Führerschein dabei.«

Meine Partnerin knirscht mit den Zähnen. »Dann hoffen wir mal, dass die Spurensicherung irgendetwas findet. Nimmst du mich mit zum Revier, Benji?«

»Klar, kannst du zum Auto laufen oder soll ich dich tragen?« Meine Mundwinkel zucken, als sie mir einen mörderischen Blick zuwirft. Aber ich konnte mir den Kommentar nicht verkneifen.

»Bis dahin schaffe ich es schon, danke«, gibt sie bissig zurück, woraufhin mein Grinsen noch breiter wird.

Seite an Seite verlassen wir den Tatort.

»Wieso hast du dich überhaupt so rausgeputzt? Wolltest du den Abend nicht zu Hause verbringen?« Neugierig sehe ich sie an.

Everly seufzt. »Ich war verabredet«, erklärt sie, während sie versucht, mit mir Schritt zu halten.

»Du hattest ein Date?« Meine Stimme klingt erstaunlich fest, dabei fühlt es sich an, als würde etwas in mir zerbrechen. In den zwei Monaten, in denen Everly und ich nun schon zusammenarbeiten, war sie nicht mit Männern aus. Sie hat sich voll und ganz auf den Job konzentriert. Ich habe ein paar Mal angedeutet, mit ihr ausgehen zu wollen, aber entweder hat sie die Anspielungen nicht verstanden oder sie ignoriert.

»Ja. Aber wir treffen uns nicht noch mal. Es hat … nicht gepasst.«

Erleichterung breitet sich in mir aus.

»Tut mir leid.« Es klingt aufrichtiger, als ich es meine. Wenn sie endlich bereit ist, zu daten, sollte ich mein Glück vielleicht noch einmal versuchen.

»Muss es nicht. Es war erst der Anfang. Der Richtige ist irgendwann sicher dabei.« Sie sinkt auf den Beifahrersitz meines Wagens und zieht direkt die Schuhe aus. Ein erleichtertes Seufzen verlässt ihre Lippen.

Ich nehme hinter dem Lenkrad Platz und starte den Wagen. »Ganz bestimmt.«

Silas

Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und versuche, einen Blick über die Köpfe der Menschenmenge zu werfen. Leider erfolglos. Es sind zu viele Leute und ich stehe zu weit hinten, um überhaupt etwas erkennen zu können.

Also fahre ich die Ellenbogen aus und kämpfe mich nach vorn; werde begleitet von wüsten Beschimpfungen. Doch die sind mir egal. Ich bin nicht hier, um mich nett zu unterhalten. Auch, wenn ich es faszinierend finde, wie viele Einwohner Madisons sich für Mord und Totschlag interessieren.

Sobald das gelbe Absperrband in Sicht kommt, suche ich mir einen Platz am Rand der Menge. Unauffällig schaue ich zu der Stelle, wo immer mehr Taschenlampen aufleuchten, je dunkler es wird. Leider erhasche ich dadurch keinen Blick auf die Geschehnisse.

Die zusammenlaufenden Lichtkegel ermöglichen es mir lediglich, eine regungslose Person auf einer Bank auszumachen.

Meine Welt steht einige Sekunden still und beginnt sich erst wieder zu drehen, als ich die angehaltene Luft ausstoße. Wärme flutet meinen Körper. Es ist eindeutig die falsche Reaktion, die ein Tatort bei mir auslösen sollte. Trotzdem kann ich nicht anders. Hautnah dabei zu sein, die Polizisten bei ihrer Arbeit zu beobachten und mir vorzustellen, welche ersten Gedanken sie beim Betrachten der Leiche haben, erfüllt mich mit einer gewissen Schwerelosigkeit. Als würden meine Füße nicht mehr mit dem Boden in Kontakt sein, sondern schweben.

»Ich war verabredet.« Everlys Stimme holt mich zurück in die Gegenwart.

Sofort mache ich einige Schritte zurück, um mich zwischen den anderen Schaulustigen zu verstecken. Meine Schultern versteifen sich. Trotz Dunkelheit ziehe ich meine Cap sicherheitshalber tiefer ins Gesicht und richte den Blick nach unten.

»Du hattest ein Date?« Ihr Begleiter klingt fassungslos.

Everlys Antwort höre ich schon nicht mehr. Ihre Stimmen entfernen sich immer weiter, bis sie schließlich vollständig von den Umgebungsgeräuschen verschluckt werden. Erleichtert stoße ich Luft aus. Wie gut, dass sie beiden zu sehr in ihr Gespräch vertieft waren, um sich den Gaffern zu widmen. Denn das Letzte, was ich gebrauchen kann, ist, dass Everly mich hier entdeckt.

2

Everly

Wisconsin State Journal, 22. Mai

War es Mord?

Frauenleiche im James Madison Park gefunden. Das MDP ermittelt.

Weil die Spurensicherung noch ein paar Stunden am Tatort brauchen würde, ehe sie uns Ergebnisse liefern könnte, haben Benji und ich ausnahmsweise keine Nachtschicht eingelegt.

Ausgeschlafen, frisch geduscht und mit einem Kaffee-to-go komme ich um sieben wieder auf der Wache an. Dort werde ich direkt mit der Nachricht begrüßt, dass es immer noch keine Hinweise auf die Identität der Toten gibt. Auch von Rosie ist bisher keine Nachricht gekommen, weshalb Benji und ich den Vormittag damit verbringen, Anwohner in der Nähe des Parks zu befragen. Immerhin muss der Täter die Leiche irgendwie transportiert haben. Das kann nicht ungesehen passiert sein, weshalb ich die Hoffnung hege, dass jemandem vielleicht etwas Verdächtiges aufgefallen ist. Leider bleiben wir erfolglos.

Während Benji einen Abstecher macht, um unser Mittagessen zu besorgen, kehre ich zurück ins Präsidium. In der Eingangshalle wartet Marx bereits auf mich.

»Wir haben endlich einen Hinweis zu unserer jungen Toten«, berichtet er, während wir zu den Fahrstühlen laufen. »Ihr Name ist Jenna Whittaker. Ihre Eltern sind hergekommen, um sie als vermisst zu melden. Sie haben ein Foto dabei, das eindeutig unser Opfer zeigt.«

Etwas Schweres legt sich auf meine Brust. Ich werde jeden Tag mit Mord konfrontiert. Aber in all den Jahren ist es nie leichter geworden, mit Angehörigen zu sprechen. Vor allem, wenn es sich um Eltern handelt, die innerhalb der nächsten Stunde ihr Kind identifizieren müssen.

Ich wünschte, Benji wäre hier. Normalerweise führen wir solche Gespräche immer zu zweit. Aber ich will das Ehepaar nicht zu lange warten lassen. Und wer weiß, wann er mit unserem Essen zurück ist.

»Wie heißen die beiden?«

»Erin und Ronny Whittaker. Sie sitzen in Besprechungsraum zwei.« Marx klopft mir mitfühlend auf die Schulter und verabschiedet sich.

Langsam gehe ich den Flur entlang und atme noch einmal tief durch, bevor ich die Tür aufstoße.

Hinter dem Tisch in der Mitte des Raumes sitzen ein Mann und eine Frau mittleren Alters. Mr. Whittaker hat den Arm um die Schulter seiner Frau gelegt. Ihre Augen sind rot gerändert. In der Hand hält sie ein zerknülltes Taschentuch.

»Guten Tag. Ich bin Detective Everly Kingsley. Mein Kollege hat gesagt, dass Sie Ihre Tochter als vermisst melden wollen?« Ich nehme auf dem Stuhl ihnen gegenüber Platz.

Mrs. Whittaker schluchzt. Ihr Mann beantwortet meine Frage mit einem Nicken. Er schiebt mir ein Foto herüber, auf dem unverkennbar die Frau abgebildet ist, die wir vergangenen Abend im James Madison Park gefunden haben.

Ich schlucke.

»Jenna ist gestern nicht nach Hause gekommen, aber wir haben uns nichts dabei gedacht. Sie hat einen neuen Job angefangen und war in letzter Zeit nach der Arbeit oft mit den Kollegen unterwegs. Immerhin ist sie achtundzwanzig. Da kontrollieren wir nicht mehr jeden ihrer Schritte.« Jennas Dad strengt sich sichtlich an, damit ihm die Stimme nicht versagt.

»Heute Morgen war ihr Bett unberührt. Sie wohnt bei uns, seit ihr die vorherige Wohnung überraschend gekündigt wurde. Da wussten wir, dass etwas nicht stimmt. Sie würde nie über Nacht wegbleiben, ohne Bescheid zu geben.«

Ein weiteres Schluchzen bricht aus Mrs. Whittaker hervor. Ihr Mann rückt näher an sie heran, zieht sie zu sich und versucht ihr so weiterhin Trost zu spenden.

Ich atme tief durch und sehe beide direkt an. »Wir haben gestern eine junge Frau tot aufgefunden. Dem Bild nach könnte es Jenna sein.«

Sämtliche Farbe weicht aus Mr. Whittakers Gesicht. Seine Frau starrt mich mit großen Augen an, die sich rasend schnell mit Tränen füllen. »Nein«, haucht sie und schlägt sich die Hand mit dem Taschentuch vor den Mund.

»Es tut mir sehr leid«, ergänze ich. Solche Situationen erinnern mich immer wieder daran, dass dieser Teil der Polizeiarbeit der schlimmste ist. Aber ich habe gelernt, nicht um den heißen Brei herumzureden. Auch wenn es schmerzhaft ist, ist es immer besser, direkt zu sein.

Jennas Mom bricht in den Armen ihres Mannes zusammen. Sie weint so heftig, dass sie keine Luft mehr bekommt und ich für einen Moment überlege, den Rettungsdienst zu rufen.

Ich lehne mich auf dem Stuhl zurück und gebe ihnen einige Minuten Zeit, diesen Schock zu verdauen.

»Fühlen Sie sich in der Lage, sie zu identifizieren?«, frage ich schließlich leise und korrigiere im Stillen meine Aussage von vorhin. Dieser Teil ist am schlimmsten.

»Nein. Ich kann … also das … ich kann sie nicht so sehen«, schluchzt Mrs. Whittaker.

»Ich mache es«, entgegnet ihr Mann und strafft die Schultern. Auch in seinen Augen glitzern Tränen, aber er hält sie tapfer zurück. Dabei hätte er jedes Recht, ebenfalls zusammenzubrechen.

»Dann begleiten Sie mich bitte in die Rechtsmedizin.« Ich erhebe mich und bedeute ihm, mir zu folgen. Mrs. Whittaker steht ebenfalls auf und wir verlassen gemeinsam den Besprechungsraum. Auf dem Flur wartet Marx auf uns.

»Das ist Officer Marx. Er wird Ihnen Gesellschaft leisten, bis Ihr Mann wieder da ist, in Ordnung?«

Jennas Mom nickt und folgt meinem Kollegen zu einer kleinen Sitzecke in einer Nische des Flures.

Mr. Whittaker und ich hingegen nehmen den Fahrstuhl nach unten ins Kellergeschoss.

Kälte schlägt mir entgegen, als sich die Türen öffnen.

Ich unterdrücke ein Frösteln. Keine Ahnung, wie Rosie das hier mehrere Stunden täglich aushält, ohne zu erfrieren.

Vor zwei riesigen Doppeltüren bleiben wir stehen. Ich klopfe gegen die Scheibe, um Rosie auf mich aufmerksam zu machen. Sie deckt den Leichnam der jungen Frau zu, zieht ihre Handschuhe aus und öffnet uns die Tür.

»Das ist Mr. Whittaker. Er kann womöglich unsere Unbekannte identifizieren«, erkläre ich.

»Natürlich, kommen Sie. Ich bin Dr. Rosie Keaton.« Wir folgen ihr zum Untersuchungstisch.

»Sind Sie bereit?« Ich werfe Mr. Whittaker einen fragenden Blick zu.

Er nickt knapp.

Rosie schlägt das Laken zurück, sodass sie das Gesicht der Toten freilegt.

Ein gequälter Laut verlässt Mr. Whittakers Kehle. »Das ist sie«, bestätigt er fast lautlos. Sofort deckt Rosie sie wieder zu. Wie in Trance starrt er immer noch auf die Stelle, wo eben der Kopf seiner Tochter zu sehen war.

»Mein herzliches Beileid.« Rosie berührt sachte seinen Arm.

Er zuckt heftig zusammen.

»Ich bringe Sie wieder zu Ihrer Frau«, schlage ich vor und greife vorsichtig nach seinem Ellenbogen, um ihn zum Gehen zu bewegen.

Inzwischen ist er so blass um die Nase, dass ich Angst habe, er könnte jede Sekunde umkippen.

»Detective Kingsley? Ich müsste anschließend mit Ihnen sprechen.« Rosie wirft mir einen eindringlichen Blick zu. Ich bedeute ihr mit einem knappen Nicken, dass ich sofort zurück bin. Vielleicht ist Benji inzwischen ebenfalls eingetroffen.

Schweigend fahren wir nach oben. Jennas Dad schaut die ganze Zeit ins Leere. Ich kann mir nicht vorstellen, was jetzt in seinem Kopf vor sich geht. Es muss furchtbar sein, das eigene Kind zu verlieren. Vor allem, wenn sie ihr ganzes Leben noch vor sich hatte.

Mit einem leisen Pling öffnen sich die Aufzugtüren. Wie ferngesteuert tritt Mr. Whittaker nach draußen. Ich folge ihm. Bevor wir die Nische erreichen, in der seine Frau gemeinsam mit Marx wartet, dreht er sich noch einmal zu mir um.

»Sie müssen denjenigen finden, der ihr das angetan hat.« Er klingt gebrochen, doch in seinen Augen erkenne ich lodernde Wut.

»Ich tue alles in meiner Macht Stehende«, verspreche ich und schaue ihm hinterher, als er zu seiner Frau tritt. Sie wechseln einige Worte und Mrs. Whittaker bricht zusammen. Ihre verzweifelten Schreie hallen von den Wänden des Präsidiums wider.

Mein Herz wird schwer. Für einige Sekunden fällt mir das Atmen schwer. Allein die Vorstellung, dass ich eine solche Nachricht bezüglich meiner Eltern erhalten würde, verursacht mir Gänsehaut.

Mr. Whittaker sinkt neben sie auf den Boden, hält seine Frau fest und murmelt ihr beruhigende Worte ins Ohr, während ihm selbst stumme Tränen über die Wangen rinnen.

Ich reibe mir über die Brust, um den dumpfen Schmerz zu vertreiben, der sich in mir ausgebreitet hat. Es fühlt sich an, als hätten mich die vergangenen Momente jeglicher Energie beraubt.

Langsam wende ich mich ab und entdecke Benji, der mit unserem Mittagessen aus dem Fahrstuhl tritt. Allerdings ist mir der Appetit gründlich vergangen.

»Wir haben den Namen der Toten«, informiere ich ihn leise.

»Schon gehört«, erwidert er und schaut über meine Schulter in Richtung der Whittakers. »Die Eltern?«

Ich nicke. »Rosie wollte mit uns sprechen. Lass uns gehen.«

Nachdem Benji das Essen auf unserem Schreibtisch abgestellt hat, fahren wir zurück in die Rechtsmedizin. Niemand von uns sagt ein Wort. Ich habe noch immer Jennas Mom vor Augen. Mein ganzer Körper fühlt sich an, als bestünde er aus Blei. Keine Ahnung, wann mich das Überbringen einer Todesnachricht jemals so mitgenommen hat.

Als wir den Sektionssaal betreten, ist Jennas Leichnam wieder vollkommen aufgedeckt. Rosie nippt an einer Tasse Kaffee und betrachtet das Klemmbrett in ihrer Hand.

Angewidert verziehe ich das Gesicht. »Ich werde nie verstehen, wie du hier drin essen und trinken kannst.«

»Reine Gewöhnungssache«, erwidert sie schulterzuckend und stellt die Tasse ab. Dann wendet sie sich uns vollkommen zu.

»Ich lag mit meiner Vermutung gestern Abend fast richtig. Sie ist in einem Zeitfenster von zehn bis fünfzehn Stunden gestorben, bevor sie gefunden wurde. Hier seht ihr, dass die Totenflecken sich verlagert haben. Das lässt darauf schließen, dass sie nach ihrem Tod bewegt wurde«, erklärt Rosie und deutet auf die bläulichen Verfärbungen auf Jennas Haut.

»Der Auffindungsort ist also nicht der Tatort«, schlussfolgert Benji, woraufhin ich ihm einen schnellen Seitenblick zuwerfe.

»Das war dir vorher nicht klar? Ich meine, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie in einem öffentlichen Park umgebracht wird, ohne dass es jemand bemerkt?«

»Hat es alles schon gegeben«, erwidert er. »Woran ist sie denn gestorben?«

»Sie ist erstickt. Die schmale Spur an ihrem Hals deutet darauf hin, dass sie erdrosselt wurde. Könnte von einem Draht oder etwas ähnlich Dünnem stammen. Es gibt Anzeichen dafür, dass er sie zuvor gefoltert hat. Jeder ihrer Finger ist gebrochen. Teilweise mehrfach oder mit komplizierten Frakturen. Den Blutergüssen an ihren Handgelenken nach wurde sie gefesselt.«

Sie zögert kurz, bevor sie auf etwas hinweist, was dafür sorgt, dass mir beinahe mein letzter Kaffee hochkommt. »Das Rot ihrer Lippen ist kein Lippenstift, sondern ihr eigenes Blut.«

Aus den Augenwinkeln bemerke ich, wie Benji nach einem der Beistelltische greift, um sich aufrechtzuhalten.

»Außerdem fehlt ihre Zunge. Sie wurde post mortem entfernt und die Kollegen der Spurensicherung haben sie nicht gefunden. Mein Tipp ist, dass der Täter sie als Trophäe behalten hat.« »Konnten Sie sonst noch etwas feststellen?«

Ich nehme Benjis Frage nur am Rande wahr, denn ich bin zu beschäftigt damit, mich nicht direkt auf den Boden zu übergeben. Trotzdem laufen meine Synapsen auf Hochtouren. Ganz langsam setzen sich die Puzzleteile zu einem grausamen Gesamtbild zusammen.

»Jemand hat sie kurz vor ihrem Tod tätowiert.« Rosie deutet auf einen dunklen Fleck unterhalb von Jennas Rippenbogen.

Ich beuge mich näher herunter, um es mir genauer anzusehen. »Eine Siebzehn«, murmle ich stirnrunzelnd und versuche, die Informationen miteinander in Einklang zu bringen.

Das Opfer ist Ende zwanzig.

Ihr Haar ist brünett und ihre Augen sind braun.

Sie wurde erdrosselt.

Ihre Zunge fehlt.

Ihre Lippen sind mit Blut benetzt.

Sie wurde tätowiert.

»O mein Gott.« Ich schlage mir die Hand vor den Mund. Spüre, wie sich meine Augen weiten. Ich starre Jenna an, als würde ich sie zum ersten Mal sehen. Eine Gänsehaut überzieht meinen Körper. Mir wird noch kälter als ohnehin schon.

Benji und Rosie sehen mich fragend an.

Das kann nicht sein. Das kann nicht sein. Ich muss mich irren. Andererseits sprechen die Beweise für sich. »Welches Datum hatten wir gestern?« Ich räuspere mich, als meine Stimme bricht.

»Ähm, den einundzwanzigsten Mai, wieso?« Benji zieht die Augenbrauen zusammen. Er scheint den Zusammenhang nicht zu verstehen.

»Nein, nein, nein. Das ist unmöglich. Er kann das nicht gewesen sein.« Obwohl Jenna der Beweis für meine Vermutung ist, weigere ich mich, wirklich daran zu glauben.

»Verrätst du mir mal, was los ist?« Benji macht einen Schritt auf mich zu, doch ich weiche zurück und hebe die Hand, um ihn auf Abstand zu halten.

Meine Gedanken rasen. Alles um mich herum dreht sich. Verkleinert sich auf ein Minimum, bis ich nur noch Jenna, ihre Wunden und das Tattoo sehe.

»Vor zwei Jahren wurden immer am einundzwanzigsten des Monats brünette Frauen in Jennas Alter tot aufgefunden. Sie wurden misshandelt und tätowiert, bevor der Täter sie umgebracht hat«, erkläre ich stockend. Mein Herz rast so schnell, dass ich Sorge habe, es springt mir jeden Moment aus der Brust. »Ihre Zungen wurden entfernt und die Lippen waren rot von ihrem Blut.« Benji hat damals noch nicht für das Madison Police Department gearbeitet. Rosie hingegen müsste wissen, von welchem Fall ich spreche.

Sämtliche Farbe weicht aus ihrem Gesicht. »Das ist nicht dein Ernst? Niemand hat je wieder von ihm gehört.«

Ich nicke mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich weiß, ich kann es selbst nicht glauben. Aber es ist offensichtlich, oder nicht?«

»Was genau?« Benji sieht abwechselnd zwischen uns hin und her. Ich atme tief durch, kann nicht fassen, dass ich die folgenden Worte wirklich ausspreche. Obwohl ich wünschte, eine Ungereimtheit zu finden, die mich zweifeln ließe, weiß ich, dass es nicht so ist. Meine Vermutung stimmt und sobald das publik wird, stürzt es Madison in erneutes Chaos.

»Der Tattookiller ist zurück.«

3

Everly

Capital Times, 22. Mai

Unbekannte Frauenleiche im James Madison Park gefunden

War es Mord? – Das MPD ermittelt

»Bist du dir wirklich sicher?«, fragt Benji zum hundertsten Mal, während wir den Flur Richtung Archiv herunterhasten.

»Zu neunundneunzig Prozent«, erwidere ich und gehe im Kopf die Eckpunkte durch, die mich an das Vorgehen des Tattookillers erinnern.

»Und das letzte Prozent finden wir jetzt in den alten Akten?«

»Ganz genau.« Ich stoße die Tür hinten rechts auf.