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Hamburg, März 1989: Wegners zehnjähriges Dienstjubiläum in der Mordkommission führt nicht etwa zu seiner erhofften Beförderung. Stattdessen bekommt er einen neuen Chef vor die Nase gesetzt, den er schon ein paar Monate später am liebsten zur Hölle schicken würde. Abgesehen von internen Rangeleien beschäftigen auch zwei neue Morde die Kommissare. Und weil das geradezu nach Verstärkung schreit, darf sich die Abteilung über Zuwachs freuen: Stefan Hauser. Die Probleme potenzieren sich irgendwann fast im Stundentakt, höchste Zeit also für außergewöhnliche Maßnahmen ... (Jeder Wegner-Fall ist eine in sich abgeschlossene Geschichte. Es kann jedoch nicht schaden, auch die vorangegangenen Fälle zu kennen ...;)
Viele Leser/innen haben mich aufgefordert, Wegner in den Jungbrunnen zu werfen, damit der Brummbär noch lange weitermachen kann. Und hier ist er … dieser Jungbrunnen! Ich hoffe, er gefällt euch.
Lektorat/Korrektorat: Michael Lohmann
Aus der Reihe Wegners erste Fälle:
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2022
Mausetot: Wegner & Hauser
(Hamburg: Mord)
Thomas Herzberg
Alle Rechte vorbehalten
Fassung: 1.3
Cover: Titel: flowmotion99 / photocase.de; Hamburg Skyline: pixelliebe/stock.adobe.com
Covergestaltung (oder Umschlaggestaltung): Marius Gosch, www.ibgosch.de
Die Geschichte ist frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und/oder realen Handlungen sind rein zufällig. Sämtliche Äußerungen, insbesondere in Teilen der wörtlichen Rede, dienen lediglich der glaubhaften und realistischen Darstellung des Geschehens. Ich verurteile ausdrücklich jegliche Art von politischem oder sonstigem Extremismus, der Gewalt verherrlicht, zu selbiger auffordert oder auch nur dazu ermuntert!
Mein besonderer Dank geht an:
Michael Lohmann (Lektorat, Korrektorat: worttaten.de)
Birgit aus dem Elsass (meine sehr engagierte Testleserin)
Nicolas Frühauf (ein weiterer engagierter Testleser und Freund)
Aus der Reihe Wegners erste Fälle:
»Eisiger Tod« (Teil 1)»Feuerprobe« (Teil 2)»Blinde Wut« (Teil 3)»Auge um Auge« (Teil 4)»Das Böse« (Teil 5)»Alte Sünden« (Teil 6)»Vergeltung« (Teil 7)»Martin« (Teil 8)»Der Kiez« (Teil 9)»Die Schatzkiste« (Teil 10)Aus der Reihe Wegner & Hauser (Hamburg: Mord)
»Mausetot« (Teil 1)»Psycho« (Teil 2)Aus der Reihe Wegners schwerste Fälle:
»Der Hurenkiller« (Teil 1)»Der Hurenkiller – das Morden geht weiter …« (Teil 2)»Franz G. - Thriller« (Teil 3)»Blutige Rache« (Teil 4)»ErbRache« (Teil 5)»Blutiger Kiez« (Teil 6)»Mörderisches Verlangen« (Teil 7)»Tödliche Gier« (Teil 8)»Auftrag: Mord« (Teil 9)»Ruhe in Frieden« (Teil 10)Aus der Reihe Wegners letzte Fälle:
»Kaltes Herz« (Teil 1)»Skrupellos« (Teil 2)»Kaltblütig« (Teil 3)»Ende gut, alles gut« (Teil 4)»Mord: Inklusive« (Teil 5)»Mörder gesucht« (Teil 6)»Auf Messers Schneide« (Teil 7)»Herr Müller« (Teil 8)Aus der Reihe "Hannah Lambert ermittelt":
»Ausgerechnet Sylt« (1)»Eiskaltes Sylt« (2)»Mörderisches Sylt« (3)»Stürmisches Sylt« (4)»Schneeweißes Sylt« (5)»Gieriges Sylt« (6)»Turbulentes Sylt« (7)Aus der Reihe "Zwischen Mord und Ostsee":
»Nasses Grab« (1)»Grünes Grab« (2)Weitere Titel aus der Reihe Auftrag: Mord!:
»Der Schlitzer« (Teil 1)»Deutscher Herbst« (Teil 2)»Silvana« (Teil 3)Unter meinem Pseudonym „Thore Holmberg“:
»Marthas Rache« (Schweden-Thriller)»XIII« (Thriller)Weitere Titel:
»Zwischen Schutt und Asche« (Nachkrieg: Hamburg in Trümmern 1)»Zwischen Leben und Tod« (Nachkrieg: Hamburg in Trümmern 2)»E.S.K.E.: Blutrausch« (Serienstart E.S.K.E.)»E.S.K.E.: Wiener Blut« (Teil 2 - E.S.K.E.)»Ansonsten lächelt nur der Tod«
Weitere Titel, Informationen und einen Newsletter-Service gibt es auf meiner Homepage: ThomasHerzberg.de
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Hamburg, März 1989: Wegners zehnjähriges Dienstjubiläum in der Mordkommission führt nicht etwa zu seiner erhofften Beförderung. Stattdessen bekommt er einen neuen Chef vor die Nase gesetzt, den er schon ein paar Monate später am liebsten zur Hölle schicken würde. Abgesehen von internen Rangeleien beschäftigen auch zwei neue Morde die Kommissare. Und weil das geradezu nach Verstärkung schreit, darf sich die Abteilung über Zuwachs freuen: Stefan Hauser. Die Probleme potenzieren sich irgendwann fast im Stundentakt, höchste Zeit also für außergewöhnliche Maßnahmen ... (Jeder Wegner-Fall ist eine in sich abgeschlossene Geschichte. Es kann jedoch nicht schaden, auch die vorangegangenen Fälle zu kennen ...;)
Viele Leser/innen haben mich aufgefordert, Wegner in den Jungbrunnen zu werfen, damit der Brummbär noch lange weitermachen kann. Und hier ist er … dieser Jungbrunnen! Ich hoffe, er gefällt euch.
Lektorat/Korrektorat: Michael Lohmann (worttaten.de)
Hamburg-Lokstedt, Montagmorgen.
»Ich bin mir sicher, dass mein Mann tot ist.«
»Wie können Sie sich da so sicher sein, Frau Gajewski? Er ist doch erst seit gestern verschwunden, wenn ich Sie richtig verstanden habe. Und es gibt noch keinen einzigen Hinweis darauf, dass er womöglich …«
»Nehmen Sie es meinem Kollegen bitte nicht übel«, fuhr Hauptkommissar Fromm energisch dazwischen. Er hob die Hand, um Wegner Einhalt zu gebieten. Ein giftiger Blick folgte, danach nur noch Kopfschütteln.
»Was heißt denn hier übel nehmen?«, motzte Wegner seinen Chef an. »Ich wollte Frau Gajewski doch nur beruhigen – sonst nichts.«
Fromm schwieg beharrlich und konzentrierte sich wieder ganz auf die Frau. »Können Sie uns erklären, warum Sie davon überzeugt sind, dass Ihr Mann tot ist?«
Wegner gestikulierte aufgeregt, jetzt ging es um die wesentliche Frage. Schließlich musste es einen Grund für eine derart schreckliche Befürchtung geben.
»Er hat sich nicht gemeldet«, flüsterte die Frau. Das war zunächst alles.
Und während einer der Kommissare verständnisvoll nickte, übte sich der andere in skeptischem Mienenspiel.
»Aber das allein wird doch hoffentlich nicht alles sein?« Selbst Fromm schien es genauer wissen zu wollen, auch wenn er nach außen hin die Mutter Theresa der Mordkommission heuchelte. »Ihr Mann hat sich nicht gemeldet, das habe ich verstanden … ist das denn zum ersten Mal vorgekommen?«
Martina Gajewski liefen mittlerweile die Tränen in Sturzbächen herunter. Während sie auf einem Sofa zusammengesunken war, saßen ihr die beiden Kommissare auf Stühlen gegenüber. Ein Stück weiter rechts, nur eine Hand breit neben dem Fernseher der Familie, einer riesigen Grundig-Röhre, stand eine kleine Wiege. Ausgerechnet jetzt fing der Säugling darin an, aus vollem Halse zu schreien.
Fromm schien die Sache peinlich zu werden, deshalb begann er haspelnd: »Wollen Sie Ihr Baby erst mal in Ruhe stillen, wir können rausgehen, bis Sie …«
Die Frau nickte und lächelte dankbar dazu. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht – der Kleine ist schon den ganzen Vormittag so unruhig. Fast so, als ob er es auch spürt.«
Eine halbe Minute später standen die Kommissare vor der Haustür. Während Wegner sich sofort eine Zigarette in den Mund schob, stand sein Chef neben ihm und hatte die Hände in die Hosentaschen gestopft. Die Spannung zwischen den beiden Männern glich der Stimmung auf einem Pulverfass. Vermutlich würde ein einzelner Funke ausreichen, um die Explosion auszulösen.
Wegner entzündete ein Streichholz und warf es danach in hohem Bogen über den flachen Jägerzaun. Er pustete den Rauch in die kalte Luft. Ein großer Teil davon kehrte zurück und hüllte ausgerechnet seinen Chef in dichten Nebel.
»Schon mal was von Umweltschutz gehört, Kollege? Oder vielleicht sogar von Rücksicht?« Hans-Peter Fromm, seines Zeichens Hauptkommissar und aktueller Leiter der Hamburger Mordkommission, ließ keinen Anlass aus, seine Untergebenen gründlich herunterzuputzen. Bei solchen Gelegenheiten kräuselten sich seine Nase und Stirn, der Rest seiner Miene verzog sich in alle Richtungen gleichzeitig.
Wegner gehörte der Kripo seit über zehn Jahren an. Fromm war schon sein dritter Chef, aber das erst seit ein paar Monaten. Hinter vorgehaltener Hand bezeichnete man Hauptkommissar Fromm gerne als Verräter oder Arschkriecher, und dabei handelte es sich noch um die harmlosesten Bezeichnungen.
»Das war ein Streichholz«, brummte Wegner lustlos. »Streichholz! Verstehen Sie … Holz.«
»Und deshalb meinen Sie, das gibt Ihnen das Recht, hier …«
»Sagen Sie doch einfach, was Sie wirklich wollen! Das Gelaber geht mir nämlich tierisch auf den Wirsing.«
Die Kommissare standen sich direkt gegenüber. Wegner gute eins neunzig, mit Schultern, die sich auch zwei Männer hätten teilen können. Fromm hingegen ein eher unscheinbarer Wicht, den man von der Statur her auf den ersten Blick auch ebenso gut für eine Frau hätte halten können. Der Ausgang einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen den beiden dürfte somit niemandem große Rätsel aufgeben. Und was die Geschichte mit dem Wirsing betraf – so deutlich hatte Wegner in den letzten Monaten seinem Chef gegenüber noch nie Stellung bezogen. Die Männer funkelten sich immer wütender gegenseitig an, aber es blieb abzuwarten, ob einer der beiden bereit war, den ersten richtigen Schuss abzufeuern.
»Sie können gerne wieder reinkommen«, flüsterte Martina Gajewski. Kurz zuvor hatte sie ihre Haustür völlig geräuschlos aufgezogen. »Der Kleine ist satt und schläft hoffentlich gleich.«
»Die Sache ist noch nicht erledigt«, stellte Fromm flüsternd fest, bevor Wegner und er sich wieder auf den Weg ins Haus machten. »Noch lange nicht.«
Zurück im Wohnzimmer waren die Plätze identisch verteilt. Abgesehen davon, dass die Frau ihren Säugling im Arm hielt und ihn sanft hin und her schaukelte. Dazu klopfte sie mechanisch den winzigen Rücken, in der Erwartung des zwangsläufigen Bäuerchens.
Tatsächlich erklang einen Moment später sogar ein ausgewachsener Großgrundbesitzer.
»Donnerwetter! Das wird mal ein richtiger Kerl«, lobte Wegner den kleinen Mann. Und während Martina Gajewski ihn dafür vorsichtig anlächelte, sah Fromm aus, als würde er seinen Kollegen am liebsten standrechtlich erschießen.
»Wie heißt der Lütte?«, wollte Wegner wissen.
»Das ist Kevin.« Die Frau streichelte ihrem Sohn zärtlich den Kopf. »Einfach nur Kevin.« Erneut füllten sich ihre Augen mit Tränen.
»Noch mal!«, begann Hauptkommissar Fromm kurz darauf mit unterkühlter Stimme. »Es wäre also normal und wahrscheinlich gewesen, dass Ihr Mann sich nach der Arbeit bei Ihnen meldet, richtig?«
Die Frau nickte eifrig, schaute dabei allerdings wieder freundlich zu Wegner hinüber.
»Können Sie uns sagen, wo Ihr Mann an einem Sonntag arbeitet?«
»Er fährt seit ein paar Wochen Zeitschriften aus ... Tankstellen, Kioske ... irgendwas muss er ja machen. Gestern Morgen um acht hatte er Feierabend. Aber seitdem ...«
»Davon abgesehen …« Selbst in Fromm schienen sich langsam Zweifel auszubreiten. Er saß mit hängenden Schultern auf seinem Stuhl und schüttelte fast unmerklich den Kopf. »... gibt es noch weitere Hinweise, die dafür sprechen, dass Ihrem Mann etwas passiert ist?« In seiner Stimme schwang ein genervter Unterton mit. »Sie müssen verstehen, dass wir – alleine aufgrund einer Vermutung – nicht tätig werden können. Wir haben jeden Tag Dutzende von Vermissten-Anzeigen …«
»Und die meisten davon tauchen schnell wieder auf«, schnitt Wegner seinem Chef das Wort ab. »Die haben sich vorher auch alle riesige Sorgen gemacht und waren fest überzeugt, dass etwas passiert ist.« Tatsächlich waren die Kommissare nach Martina Gajewskis Anruf nur deshalb ausgerückt, weil die Mordkommission schon seit Wochen nichts zu tun hatte. Gut für die Menschheit – schlecht für zwei Männer, die sich von Tag zu Tag immer heftiger gegenseitig auf den Wecker gingen. »Ihr Mann taucht wieder auf, glauben Sie mir«, schob Wegner noch mit sanfter Stimme hinterher.
»Ist gut!« Erneut war Fromms Hand hochgeschossen. »Was ich sagen wollte, ist, dass wir zumindest glaubhafte Hinweise oder besser sogar einen Beweis dafür brauchen, um von einem Verbrechen auszugehen.« Er hielt kurz inne, um nach den richtigen Worten zu suchen. »Etwas Stichhaltiges, sonst können wir nichts weiter für Sie tun.«
Wegner lächelte. Er hatte sich nach vorne gebeugt, um dem Säugling mit einem Finger vorsichtig über das noch spärliche Haupthaar zu streichen. »Die sind fast schwarz«, flüsterte er, während er jetzt sogar eine Locke drehte.
»Die Haare hat er von meinem Mann geerbt. Sven hat auch …« Martina Gajewski kämpfte mit neuen Tränen und brachte erst einmal kein weiteres Wort mehr heraus.
Eine ganze Zeit lang herrschte Schweigen. Am Ende war es erneut Fromm, dessen Tonfall auf einen baldigen Abschied hindeutete. »Solange wir nichts Konkretes haben, müssen wir leider auf umfangreiche Ermittlungen verzichten. Ich hoffe, Sie haben dafür Verständnis.« Der Hauptkommissar stütze seine Hände auf die Knie, ein untrügliches Zeichen.
Die Frau hatte sich plötzlich ein Stück aufgerichtet, dabei war ihr fast der Säugling aus dem Arm gerutscht. Sie deutete auf eines der Fenster, durch das man einen Blick auf das Nachbarhaus werfen konnte. Ihre Lippen öffneten sich ganz langsam und zitterten sogar: »Er war’s.« Nur ein Flüstern, kaum zu verstehen.
Fromm erhob sich und machte ein paar Schritte, bis er direkt vor dem Fenster stand. »Was meinen Sie damit? Wollen Sie sagen, dass Ihr Nachbar womöglich …?«
Jetzt nickte Martina Gajewski aufgeregt. Als sie fortfuhr, klang ihre Stimme schon etwas fester: »Der Kerl hat meinem Mann gedroht. Da können Sie alle Nachbarn fragen – der ist völlig verrückt!«
Wegner und Fromm wechselten Blicke. Eine weitere Frage fiel keinem der beiden ein.
»Letzte Woche haben sich Sven und dieser Herr Kruse fast eine halbe Stunde lang gegenseitig angebrüllt.«
»Und worum ging es bei diesem Streit?« Erneut war es Wegner, der es genauer wissen wollte. »Hat Ihr Nachbar irgendwas Konkretes gesagt? Hat er Ihrem Mann offen gedroht oder ist er handgreiflich geworden?«
Die Frau nickte zuerst nur. Fromm räusperte sich geräuschvoll, dann fuhr sie fort: »Sven war sogar beim Arzt, weil seine Nase gar nicht wieder zu bluten aufhören wollte.«
»Hat Ihr Mann Anzeige erstattet?«
Martina Gajewski schüttelte vorsichtig den Kopf. »Man will es sich ja nicht völlig mit den Nachbarn verderben.« Sie schnaubte wütend. »Ich hab ihm gesagt, er soll zur Polizei gehen, aber er wollte nicht. Und jetzt ist er …«
Wegner erhob sich und schlurfte ebenfalls zum Fenster hinüber. Kurz darauf drehte er sich zu der Frau um und schaute sie fragend an. »Hat dieser Herr Kruse weiße Haare und einen Buckel wie Quasimodo?«
Martina Gajewski nickte aufgeregt.
»Gut! Denn dann ist der Kerl gerade im Garten und bearbeitet seine Hecke ...« Wegner konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. »... wahrscheinlich mit ’ner Nagelschere.«
Die Frau sah erleichtert aus. Zum ersten Mal huschte ein Hoffnungsschimmer über ihr Gesicht. »Gehen Sie jetzt zu ihm rüber und setzen ihm die Pistole auf die Brust?«
»Nicht beim ersten Gespräch«, gab Wegner lachend zurück. »Aber wenn er es nicht anders will, dann …«
»Wir statten Ihrem Nachbarn zunächst mal einen freundlichen Besuch ab«, unterbrach Fromm grob. »Und wenn es sich einrichten lässt, bleiben unsere Waffen besser im Holster.«
»Das ist doch nicht dein Ernst, Stefan! Warum willst du denn ausgerechnet zur Mordkommission?«
Stefan Hauser zuckte nur mit den Schultern und zog die Mundwinkel hoch. Die Antwort würde seinem Freund sowieso nicht gefallen.
»Ich bin mir nicht sicher … aber hast du in den letzten Monaten mal davon gehört, was dieser Fromm mit dem Laden anstellt?« Paul Zacher lachte freudlos. »Von Wegner ganz zu schweigen – der hat sie doch ohnehin nicht mehr alle.«
»Trotzdem ist er der Grund, weshalb ich in die Mordkommission wechseln will.«
»Das passt ja! Dann seid ihr gleich mindestens zwei Verrückte, die gemeinsame Jagd auf Abschaum machen können.«
»Warum hast du ein Problem mit Wegner?« Hauser schlug sich auf die Schenkel. »Bist du etwa eifersüchtig?«
»Warum sollte ich auf den eifersüchtig sein?«
»Vielleicht, weil er auch schwul ist?«
»Wegner ist alles, aber nicht schwul! Hundertprozentig nicht!«
»Wie kannst du dir da so sicher sein?«, hielt Hauser halbwegs energisch gegen. »Wir wissen doch beide, dass manch einer seine wahre Berufung erst spät findet.«
»Du kannst es ja gerne mal probieren. Wenn er dir anständig die Fresse poliert hat, dann fahre ich dich hinterher zum Zahnarzt.« Paul Zachers Stimme kletterte um eine Oktave höher. »Aber ich weiß immer noch nicht, warum du ausgerechnet zur Mordkommission willst.« Er fuchtelte mit den Armen herum und zeigte in jede Ecke des Büros. »Kannst du mir sagen, was dir hier bei uns plötzlich nicht mehr gefällt? Vor nicht mal einem Jahr wolltest du doch nichts sehnlicher als bei uns in der Abteilung Wirtschaft deinen Schreibtisch beziehen.« Von einem Moment zum anderen schaute Paul Zacher aufrichtig gekränkt drein. »Und vielleicht darf dich erinnern, dass wir beide uns hier kennengelernt haben.«
»Darfst du!« Hauser war aufgestanden und stapfte um die Schreibtische herum. Er legte seinem Freund die Hände auf die Schultern und rückte ihm den Hemdkragen zurecht. »Es gibt zwei Gründe …«
»Und die wären?« Paul Zacher klang giftig, er schien tatsächlich beleidigt zu sein.
»Wegner ist ein Vollblutbulle, ich hab den Kerl in Aktion erlebt und einiges gehört ...«
»Super! Stehst du jetzt auf Machos, oder was?«
»Nein! Aber vielleicht tut uns beiden ein bisschen Abstand ja auch ganz gut.« Hauser hatte seine Hände zurückgezogen und sie in den Taschen seiner Jeans vergraben. »Wir leben zusammen, wohnen zusammen und sehen uns jeden Tag hier im Büro.«
»Ach! Und das ist plötzlich ein Problem, ja?«
Hauser atmete geräuschvoll und ließ sich wieder auf seinem Stuhl nieder. »Es ist noch kein Problem, aber es könnte eins werden.«
»Inwiefern?«
»Ich glaube, das muss ich dir nicht erklären.«
***
Wegner und Fromm hatten das Haus der Familie Gajewski durch die Hintertür verlassen. Von dort waren es nur ein paar Schritte zum Nachbargrundstück. Herr Kruse war noch immer damit beschäftigt, mit einzelnen, sorgsam ausgeführten Schnitten seine ohnehin kerzengerade Hecke zu stutzen. Die beiden Kommissare klopften pro forma an eine stabile Holzpforte und passierten die danach ohne zu zögern. Im nächsten Moment brach ein fürchterlicher Radau los. Ein Rauhaardackel, dessen graue Barthaare aufgeregt zitterten, ließ ein grimmiges Konzert erklingen, das von Sekunde zu Sekunde an Lautstärke noch zunahm. Hauptkommissar Fromm wollte den Unruhestifter beruhigen, zog seine Hand jedoch eilig zurück, um dem sofort zuschnappenden Gebiss zu entkommen.
Wegner hingegen ging in die Knie und legte seine Rechte flach auf den Rasen. Er hatte von seinem Bruder gelernt – Ralf diente seit eineinhalb Jahrzehnten in der Hamburger Hundestaffel –, dass man die Vierbeiner beim ersten Mal nie von oben anfassen sollte. In diesem Fall glaubte das Tier nämlich, man wolle es dominieren. Und dass ein solcher Rauhaardackel, vermutlich unbestrittener Herrscher zwischen Hecken und Zäunen, das nicht gerne zuließ, war nachvollziehbar.
»Können Sie mir sagen, wer Sie sind und was Sie hier wollen?« Das war Herr Kruse. Der alte Mann hatte seine Heckenschere erhoben und sah aus, als wäre er notfalls bereit, die zur Verteidigung einzusetzen. »Ich rufe die Polizei, wenn Sie nicht gleich verschwinden! Hören Sie?«
»Die ist schon da!« Wegner hatte dem Dackel kurz den Kopf gekrault und stemmte sich hoch. Er zog seinen Dienstausweis aus der Tasche und hielt ihn dem Hausherrn vorsichtig entgegen. Schließlich legte er keinen gesteigerten Wert darauf, doch noch mit der Heckenschere Bekanntschaft zu machen.
»Mordkommission?« Dieser Herr Kruse schüttelte den Kopf und musterte die beiden Kommissare abwechselnd. »Was hat das denn zu bedeuten?«
Einen kurzen Moment lang hatte das Bellen nachgelassen. Jetzt schwoll es wieder an, wurde jedoch noch von Fromms Flüchen übertönt. Kein Wunder, denn der Dackel hatte sich mit aller Kraft in eines seiner Hosenbeine verbissen. Mittlerweile klaffte ein Loch in Höhe der rechten Wade.
»Können Sie Ihren Köter mal zur Ruhe bringen!«, fauchte der Hauptkommissar und hob das Bein, was den Dackel in bedrohliche Schräglage brachte.
»Das ist mal ein richtiger Prachtkerl«, lobte Wegner das Tier und holte sich dafür ein Grinsen von Herrn Kruse ab. Kurz darauf entspannte sich die Situation. Abgesehen von einer zerrissenen Hose waren die Konsequenzen dieser Attacke überschaubar.
Und weil Fromm offensichtlich keine Lust auf überflüssige Diskussionen hatte, wählte er lieber die Offensive: »Ihre Nachbarin vermisst ihren Ehemann«, begann er in seltsamem Ton. »Frau Gajewski meint, dass Sie etwas damit zu tun haben könnten.«
Dieser Frontalangriff schien Walter Kruse nicht wirklich aus der Ruhe zu bringen. Er hatte seinen Dackel mittlerweile auf dem Arm und kraulte dem abwechselnd beide Ohren. Das Tier verdrehte die Augen und war längst in einer anderen Welt angekommen.
»Können Sie mir auch sagen, was genau ich damit zu tun haben soll?« Der alte Mann deutete über den Zaun zum Nachbarhaus. »Die ganze Familie hat sie doch nicht mehr alle. Und jetzt, wo der Kerl die Schnauze voll hat, da meint seine Furie, dass ausgerechnet ich …?«
»Warum sollte Herr Gajewski die Schnauze voll haben?«, unterbrach Wegner. »Und wovon?«
Walter Kruse schaute erneut über den Zaun und fuhr mit gesenkter Stimme fort: »Die streiten sich fast jeden Tag … und noch viel mehr, seitdem das Baby da ist. Manchen Leuten sollte man lieber verbieten, sich fortzu... – ach, vergessen Sie’s.«
»Und worum geht es bei diesen Streitigkeiten?«, hakte Fromm ungeduldig nach. »Haben Sie etwas mitbekommen?«
»Hab ich.« Der alte Mann gab ein heiseres Lachen von sich. »Ist ja laut genug.«
»Dann raus mit der Sprache … warum hängt der Haussegen bei den Nachbarn schief?«
»Es geht wohl um Geld! Wenn ich mal was aufgeschnappt habe, dann ging es immer nur um Geld.«
Die Kommissare tauschten skeptische Blicke. Als erfahrener Polizist wusste man ganz genau, welche drei Themen im Mittelpunkt fast sämtlicher ehelichen Auseinandersetzungen standen: Sex, Geld oder Kinder. Und nicht selten lag hinterher einer der Ehepartner blutüberströmt im Wohnzimmer, während der andere für ein paar Jahre hinter Gitter wanderte. Geholfen war am Ende niemandem damit.
Wegner holte Luft, weil es Zeit wurde, den Druck zu erhöhen: »Frau Gajewski hat uns erzählt, dass es letzte Woche Ärger zwischen Ihnen und ihrem Mann gab. Können Sie uns dazu vielleicht …?«
»Wir würden uns gerne mal auf Ihrem Grundstück ein bisschen umschauen«, fuhr Fromm ungehobelt dazwischen. Wegners wütendes Gesicht ignorierte er vollständig. »Hätten Sie ein Problem damit?«
»Warum sollte ich?« Walter Kruse machte sogar eine einladende Geste. »Ich hab nichts zu verbergen, also … nur zu.«
Hubert Stamm war an diesem Morgen in aller Herrgottsfrühe aufgestanden, um sich auf den Weg zu machen. Nur einen Steinwurf von der B404 entfernt hatte er schon vor zweieinhalb Jahrzehnten rund zehn Hektar Wald gepachtet. Hier erfüllte er gleich zwei wesentliche Aufgaben: die des Försters und die des Jägers.
Mittlerweile war es fast Mittag, und er war noch nicht mal damit fertig, die Bäume zu markieren, die als Nächstes gefällt werden sollten. Am Ende eines Trampelpfades stieß er auf zwei etwa oberschenkeldicke Buchen, die übereinander auf dem Waldboden lagen. Vermutlich waren die Bäume wieder diesen verdammten Wegelagerern zum Opfer gefallen. Die Leute kamen auf immer verrücktere Ideen, um ihren Holzvorrat aufzustocken. Kein Wunder bei den explodierenden Heizölpreisen und einem Winter, dessen eisige Hand sogar noch jetzt, Anfang März, zu spüren war. Diese beiden Buchen hatten die Kerle wohl nicht mehr auf ihren Anhänger bekommen oder es nicht geschafft, sie zu zersägen. Solche Taugenichtse arbeiteten in der Regel mit billigstem Werkzeug, das oft genug den Geist aufgab und danach im Wald liegen blieb.
Er schaute sich ein weiteres Mal um. Überall ragten frische Stümpfe aus dem laubbedeckten Waldboden. Hier hatte jemand tatsächlich gründliche Arbeit geleistet und Schaden angerichtet, bei dem es Jahre dauern würde, bis der auch nur ansatzweise ausgeglichen wäre.
Hubert Stamm fluchte wütend vor sich hin, setzte sich allerdings wieder in Bewegung, schließlich gab es genug zu tun. Ein Stück weiter in einer Bodenmulde auf einer Lichtung fand er gleich bergeweise Wildschweinexkremente. Auch diese Plage nahm langsam überhand. Er lächelte und streichelte zärtlich den Lauf seiner Flinte. Falls es ihm gelingen sollte, zwei der ausgewachsenen Eber zu erwischen, dürfte das zumindest für die nächsten beiden Jahre ein wenig Abhilfe schaffen, bis paarungsbereiter Nachwuchs herangereift wäre. Einige der Bachen würden danach in der kommenden Saison keine neuen Frischlinge werfen. Aber vielleicht wurde es auch Zeit, endlich nach einem Assistenten oder sogar Nachfolger Ausschau zu halten. Seine Frau und sein Sohn drängten seit Jahren darauf. Bisher allerdings ergebnislos.
Am Waldrand bog er nach rechts ab. Von hier waren es nur noch zweihundert Meter bis zu seiner Hütte. Dort warteten ein Kühlschrank, eine Kaffeemaschine und sogar ein Bett auf ihn. Seine Mechti – im nächsten Jahr würden sie ihren fünfundvierzigsten Hochzeitstag feiern – war eine gute, brave Frau. Aber auch sie entwickelte mit zunehmenden Alter immer mehr Absonderlichkeiten. Wer tat das nicht? Trotzdem war er manches Mal froh, wenn er morgens sagen konnte, dass er die Nacht in seiner Waldhütte verbringen wollte, um am nächsten Morgen gleich vor Ort zu sein. Hier hatte er seine Ruhe und konnte sogar ganz entspannt ein Pfeifchen rauchen, ohne dabei das ständige Gemecker seiner Frau ertragen zu müssen.
Nur noch ein paar Schritte, dann hätte er sein nächstes Ziel erreicht. Bodo, sein einst so stolzer Jagdhund, der längst im Ruhestand war, hatte sich schon eine Viertelstunde zuvor verabschiedet und streifte irgendwo zwischen Büschen und Sträuchern durchs Unterholz. Von Zeit zu Zeit konnte Hubert Stamm ihn hören, aber er hätte nicht genau sagen können, wo sich der alte Kamerad gerade herumtrieb. Deshalb war er allein, als er plötzlich von einem Schritt zum nächsten zu Salzsäule erstarrte. Ein junger Blondschopf, vermutlich keine dreißig, hantierte an der Tür zu seiner Hütte herum und schien sich Einlass verschaffen zu wollen.
»Hey!« Die Stimme des Jägers dröhnte durch den Wald und wurde von den Bäumen zurückgeworfen. Er nahm die Flinte in den Anschlag und visierte den Unhold an. »Nehmen Sie Ihre verdammten Finger weg, sonst …«
Der Blondschopf wirbelte herum. Sein Gesicht war knallrot. Er stammelte unverständliches Zeug und stolperte kurz darauf – die Hände weit erhoben – auf Hubert Stamm zu. »Bitte … nicht schießen. Bitte!«
»Wer sind Sie?« Der Förster hatte die Flinte nicht heruntergenommen. Ganz im Gegenteil! Sein Finger krümmte sich schon mit halber Kraft um den Abzug. »Bleiben Sie stehen, sonst ...!«
»Ich bin … ich muss …« Der Mann schien mit den Nerven völlig am Ende zu sein. Einen Schritt weiter fiel er sogar auf die Knie. »Bitte … können Sie mir helfen?«
Zentimeter für Zentimeter senkte Hubert Stamm den Lauf der Flinte. »Beruhigen Sie sich erst mal« sagte er mit deutlich sanfterer Stimme. Augenscheinlich ging von diesem seltsamen Kerl tatsächlich keine Gefahr aus. Von hinten kam jetzt auch noch Bodo hinzu und bellte freudig. Zwei Atemzüge später klebte der Jagdhund an der Seite des unverändert knieenden Blondschopfs und ließ sich genüsslich kraulen.
»So reagiert er nur selten auf Fremde«, stellte der Jäger nüchtern fest. »Darauf können Sie sich fast was einbilden.«
Einen kurzen Moment lang herrschte Schweigen. Bodo hatte sich auf die Seite gerollt, um sich Bauch und Brust kraulen zu lassen.
»Was ist denn los? Warum brauchen Sie Hilfe?«
Der Blondschopf schaute ängstlich auf. Blickte sich in alle Richtungen gleichzeitig um. »Sind Sie alleine?«
»Sieht so aus, oder?« Stamm lächelte und warf der Form halber einen Blick in die Runde. »Außer Bodo und mir läuft hier keiner rum. Wieso fragen Sie?«
Nach längerem Zögern kam die Antwort, aber nur flüsternd: »Ich werde verfolgt.«
»Von wem?« Noch immer schien der Jäger diese Notsituation nicht allzu ernst zu nehmen. »Sie sehen ja aus, als ob Ihnen der Tod persönlich auf den Fersen wäre.«
Der Blondschopf nickte und presste die Lippen zusammen. Wieder schaute er sich angsterfüllt um. »Die sind hinter mir her und haben schon einen anderen umgebracht … und ich bin der Nächste.«
***
Zunächst hatten Wegner und Fromm das ganze Grundstück umrundet. Nachdem sie dort auf nichts Auffälliges gestoßen waren, nahmen sie sich nacheinander einen kleinen Geräteschuppen, eine überdachte Terrasse und zuletzt die Doppelgarage vor. Irgendwann öffnete Wegner den Deckel einer Holzkiste und schrak zurück.
»Ist das Blut?«, fragte Fromm. Danach deutete er auf das Innere des Deckels, der an einer Wand dahinter lehnte.
»Ich wüsste nicht, was es sonst sein sollte.« Wegners Brauen reichten fast bis zur Stirn empor. »Hab das Gefühl, der Kruse muss uns was erklären.«
Wie bestellt tauchte der Hausherr im offenen Garagentor auf. »Und, meine Herren – zufrieden?« Der alte Mann wirkte noch immer völlig unbekümmert. Der Dackel klebte an seiner Seite und musterte in erster Linie Hauptkommissar Fromm mit giftigem Blick.
»Zufrieden wären wir höchstens dann, wenn Sie uns das hier erklären können.« Wegner deutete auf die Holzkiste. Er langte hinein und zog zuerst eine blutverschmierte Jacke und danach auch noch eine ähnlich verschmutzte Hose heraus. »Und erzählen Sie uns nicht, dass Sie davon nichts wissen.«
Ein paar Minuten waren vergangen. Walter Kruse saß auf einer anderen Holzkiste und schnappte unregelmäßig nach Luft.