Mein Bruder ist ein Superheld - David Solomons - E-Book

Mein Bruder ist ein Superheld E-Book

David Solomons

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Beschreibung

Lukes einziger Fehler ist es, dass er an diesem einen Tag seinen älteren Bruder Zack im Baumhaus zurücklässt, um pinkeln zu gehen. Während er auf der Toilette sitzt, kommen Aliens in einem Raumschiff vorbei und verleihen Zack Superkräfte. Ausgerechnet Zack, der nie in seinem Leben ein Comicheft gelesen hat! Der Auftrag: die Welt retten. Doch dafür bleiben den Brüdern nur wenige Tage.

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Natürlich für Luke. D. S.

»und hätte ich nicht so dringend pinkeln müssen, dann wäre ich jetzt auch einer …«

Zack!

Mein Bruder ist ein Superheld, und hätte ich nicht so dringend pinkeln müssen, dann wäre ich jetzt auch einer. Vielleicht.

Mein Name ist Luke Parker. Ich bin elf Jahre alt und lebe in einem halbwegs friedlichen Vorort von London zusammen mit meiner Mutter, meinem Vater und meinem großen Bruder Zack. Er wurde nicht als Superheld geboren, aber bei einem Namen wie Zack fragt man sich schon, ob meine Eltern nicht so eine Art Vorahnung gehabt haben, dass er eines Tages damit enden würde, eine Maske und ein Cape zu tragen und Waisenkinder aus brennenden Häusern zu retten.

Ich mein, jetzt mal ehrlich! Zack ist doch kein Name, sondern ein Soundword. Das, was man im Comic braucht, wenn ein Superheld einem Superschurken ein ordentliches Ding versetzt. Bum! Krach! Zack!

Mir scheint, es gibt in jedem Leben ein paar entscheidende Momente, da geht es richtig um die Wurst. Kopf oder Zahl! Vanille oder Schokolade. Soft oder crunchy. Die Wasserbombe auf Pas Kopf fallen lassen oder das Feuer einstellen. Es hängt nur von uns ab, und manchmal braucht es nicht mehr als vier kleine Wörter, um die Richtung, in die sich unser zukünftiges Leben entwickeln wird, für immer zu ändern.

»Ich – muss – mal – pinkeln.«

Es geschah an jenem schicksalsträchtigen Abend. Zack und ich saßen seit etwa einer Stunde in unserem Baumhaus, und meine Blase war kurz vorm Platzen. Ich verschlang eine alte Ausgabe von Teen Titans* beim Licht einer Taschenlampe und Zack saß an seinen Mathe-Hausaufgaben. Er war halt immer schon ein Streber. Bevor er zu Star Typ wurde, war er so eine Art Muster-Typ.

»Na denn«, brummte er und löste im Handumdrehen die nächste Quadratwurzel. »Lass dich durch mich nicht aufhalten.«

Ehrlich gesagt traute ich mich nur nicht, im Dunkeln die Strickleiter runterzuklettern. Es war schon schwer genug gewesen, mich daran hochzuziehen. Nicht dass ich besonders unfit wäre oder so, die Sache ist bloß die: Auf dem olympischen Siegertreppchen werde ich wohl niemals enden. Erstens habe ich Dauerheuschnupfen. Und zweitens ulkig aussehende Füße, die mich zwingen, Schuhe mit »sensomotorischer« Unterstützung zu tragen. Als mir Mam das zum ersten Mal verklickerte, war ich völlig von den Socken. »Sensomotorisch« – das klang total nach Siebenmeilenstiefel für Super-Spezialeinheiten. Doch als die Dinger dann endlich eintrudelten, entpuppten sie sich als stinknormale labberige Einlagen und hatten nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit irgendwelchen futuristisch motorisierten Cyberstiefeln. Kurz und gut – eine einzige Enttäuschung.

Ich steckte meinen Kopf aus der Baumhaustür. »Und wenn ich von hier oben runterpinkel?«

»Untersteh dich! Raus mit dir, du ekelhafter Kindskopf!«

Zack ist gerade mal drei Jahre älter als ich, aber immer wenn ich irgendetwas anstelle, was ihn ärgert, nennt er mich Kindskopf. Von all den Dingen, die ich an meinem Bruder nicht ausstehen kann, ist Kindskopf genannt zu werden die Nummer siebenundvierzig. Nicht, dass ich darüber Buch führe …

Okay. Ich führ darüber Buch.

Schon bevor er zum Superhelden wurde, ging die Liste bis Nummer dreiundsechzig. Jetzt bin ich bei knapp unter hundert. Er ist schon echt heftig.

Ich kletterte die Strickleiter runter und verschwand im Haus.

Ich machte Pipi.

Als ich ein paar Minuten später ins Baumhaus zurückkam, saß Zack schweigend im Dunkeln. Ich wusste sofort, dass irgendetwas passiert sein musste, weil er mit seinen Hausaufgaben aufgehört hatte. Ich griff mir die Taschenlampe und leuchtete ihm direkt in die Augen. Kein Blinzeln, nichts.

»Zack, alles okay?«

Er nickte.

»Bist du sicher? Du siehst irgendwie … anders aus.«

Er nickte erneut, ganz langsam, so als ob er eine mordsmäßige Nuss zu knacken hätte, und dann sagte er mit brüchiger Stimme: »Ich glaub … mir ist gerade etwas Seltsames zugestoßen. Luke, ich habe mich verändert.«

Nun, das kam nicht wirklich überraschend. Es war etwa sechs Monate her, da hatte mich Pa beiseitegenommen, um mit mir ein, wie er es nannte, Gespräch unter Männern zu führen. Wir saßen in seinem Schuppen – wahrscheinlich, weil das der bei weitem männlichste Raum ist, den wir haben – und Pa erklärte mir, dass ich von nun an Veränderungen an meinem großen Bruder würde feststellen können.

»Zack begibt sich auf eine bedeutende Reise«, sagte Pa.

»Fantastisch! Wann fährt er los? Kann ich sein Zimmer haben?«

»Nicht so eine Art von Reise«, sagte Pa und stieß einen Seufzer aus. »Er macht etwas durch, was sich Pubertät nennt«, meinte er dann. »Dabei wird sich zum Beispiel seine Stimme verändern.«

»Ah ja, wird er sich anhören wie ein Dalek bei Doctor Who?«

»Nein, nicht wie ein Dalek.«

»Schade.«

»Er wird auch mehr Haare bekommen.«

»Ah ja, wie ein Werwolf?«

»Nein, nicht wie ein Werwolf.«

Mit diesem Pubertätsspaß schien es nicht weit her zu sein. Es gab zwar noch mehr – irgendwas mit Privatsphäre und Mädchen –, doch nach der Pleite mit dem Dalek und dem Werwolf hab ich ehrlich gesagt gar nicht mehr richtig zugehört.

Aber als mir Zack jetzt im Baumhaus verriet, dass sich was verändert hatte, wusste ich jedenfalls genau, wie ich darauf zu reagieren hatte. Ich spitzte meine Lippen und nickte betreten mit dem Kopf, so wie unser Hausarzt, als er mir sagte, ich hätte das Pfeiffer’sche Drüsenfieber. »Ich fürchte fast, du hast dir die Pubertät eingefangen.«

Er nahm mich gar nicht wahr, starrte auf seine Hände und wendete sie hin und her. »Ich glaub, ich habe Superkräfte.«

* Hinten im Buch befindet sich das »Lexikon der Superhelden«.

Zorbon

Zack war offensichtlich völlig von der Rolle – zu viele Hausaufgaben können schreckliche Spuren in der Seele eines Jungen hinterlassen. Aber dann wurde ich hellhörig. Er wusste, wie sehr ich auf Comics stand, und machte sich ständig über mich und meine – wie er es nannte – kindische Besessenheit lustig. Ich witterte einen Hinterhalt.

»Superkräfte?« Ich verschränkte meine Arme und legte ein höhnisches Grinsen auf. »Aha. Soll das etwa heißen, dass du jetzt fliegen kannst und mit deinen Fingerspitzen Blitze in der Gegend rumschießt?«

Sein Gesicht nahm einen merkwürdigen Ausdruck an. »Keine Ahnung …«, sann er vor sich hin, streckte eine Hand vor und gestikulierte mit seinen Fingern rum wie ein Zauberer für Arme. Blitze ließen sich nicht blicken. Aber ich war eh viel zu verdattert, um darauf zu achten, weil etwas passierte, was mindestens genauso außergewöhnlich war.

Meine Taschenlampe löste sich aus meinem Griff, wirbelte durch die Luft und landete mit einem leichten Schlag auf Zacks ausgestreckter Handfläche. Er umschloss sie mit seinen Fingern und lächelte.

Das war völ-lig un-mög-lich!

Und trotzdem – Zack hatte die Taschenlampe durch bloßes Denken und eine müde Handbewegung dazu gebracht, sich zu bewegen. Ich hatte es mit eigenen Augen gesehen. Irgendwie schien es also zu stimmen. Mein Bruder verfügte tatsächlich über eine Superkraft!

Telekinese, um es ganz amtlich zu sagen. In Comics wurde sie von allen möglichen Superhelden angewandt, aber dies war das erste Mal, dass ich so was im richtigen Leben zu sehen bekam. Und, so ungern ich es zugeben mochte – es war cool. Supercool. Was nun aber natürlich nicht hieß, dass ich Zack das gesagt hätte.

»Nix mit Blitzewerfen also«, meinte ich und ließ es klingen, als sei ich ernsthaft enttäuscht.

»Was?!« Er starrte mich an, als hätte ich den Verstand verloren. »Hast du das gesehen? Hast du gesehen, was ich gerade gemacht hab?«

Unmöglich, mich länger zu verstellen – ich war beeindruckt. Aber meine Bewunderung machte schon bald einem anderen Gefühl Platz. Ich war grüner als der Hulk; sogar noch neidischer als letztes Jahr Weihnachten, als Zack ein iPhone geschenkt bekommen hatte und ich ein Paar Schuhe.

»Das ist nicht fair! Wieso kriegst ausgerechnet du Superkräfte? Du liest ja noch nicht mal Comics.« Ich ließ meiner Wut noch ein paar Minuten freien Lauf – schließlich bin ich dafür bekannt, tiefviolett zu werden, wenn ich erst mal in Fahrt bin –, doch dann sackte ich völlig erschöpft zu Boden und spürte, wie mein Gesicht sich vor Ärger zu einer Maske reinsten Widerwillens zusammenzog. Obwohl ich vor Neid nicht wusste, wohin, ich musste es wissen: »Wie ist es passiert?«

Zack sah durch mich hindurch, die Augen auf irgendeinen Punkt an der Wand gerichtet, und fing an, die ebenso unglaublichen wie eben erst vergangenen Ereignisse zu schildern.

»Du warst gerade raus, da hörte ich so ein entferntes Grummeln und schaute aus dem Fenster. Am Himmel waren Lichter zu sehen, und ich hielt das Ganze für einen Meteorschauer oder so was. Dann merkte ich, dass er sich direkt auf mich zubewegte – und zwar schnell. Der Himmel war von Hunderten weiß leuchtender Linien durchzogen. Doch genau in dem Moment, wo der Aufprall hätte erfolgen müssen, hielt der Schwarm plötzlich an. Dann sah ich, dass es gar kein Meteorschauer war …«

Er hielt kurz inne, um einmal tief Atem zu holen. Dann flüsterte er: »Es war ein transdimensionales Raumschiff.«

Ich schnappte nach Luft. Bis zu jenem Moment war es in der aufregendsten Geschichte, die Zack mir jemals erzählt hatte, um einen missratenen Haarschnitt und einen Chihuahua gegangen. Und selbst da war ich mir nicht sicher, ob das mit dem Chihuahua überhaupt der Wahrheit entsprach.

»Ein mächtiges, blaues, ovalförmiges Ding! Und es hing direkt da draußen in der Luft.« Er deutete mit zitterndem Zeigefinger nach draußen. »Als ich hochguckte, öffnete sich an der Seite des Raumschiffs – ›bluupwhusch‹ – eine Schiebetür, und auf einem Lichtstrahl erschien eine phosphoreszierende Gestalt. Sie hatte einen glitzernd violetten Anzug an, einen Umhang mit hochgeklapptem, goldenem Kragen und goldene Stiefel. Auf ihrer Brust trug sie drei goldene, pulsierende Sterne. Ihr Kopf sah aus wie ein Osterei und war vollkommen kahl. Sie trug einen dünnen Bart, über den sie sich beim Sprechen ständig strich. Sie hob drei ihrer Finger zum Gruß und stellte sich vor als Zorbon der Bestimmer, interdimensionaler Reisender und Repräsentant des Hohen Rates von Frodax Wonthreen Rrr ’n’ fargh. Jedes seiner Worte klang, als spräche er in Großbuchstaben. Zorbon erklärte, er käme aus einem anderen Universum, das parallel zu dem unseren existiert. Es ist fast genau so wie unseres, meinte er dann, bloß dass dort die Farben Blau und Grün vertauscht sind und die Biskuittörtchen anders schmecken.« Zack schaute mich gedankenverloren an. »Nicht total anders, nur ein kleines bisschen.«

Zacks tagträumerischer Blick ließ befürchten, dass ihn diese langweilige und nebensächliche Tatsache ganz besonders faszinierte, ja, es bestand sogar die akute Gefahr, dass er sich nun noch ewig lang über Biskuittörtchen auslassen würde. »Vergiss doch die blöden Törtchen! Komm zu den Superkräften!«

Zack riss sich aus seinem Trancezustand. »Ähm, ja. Genau. Dann sagte Zorbon noch, der Hohe Rat hätte mich für eine Mission vorgesehen, die für beide Universen von äußerster Wichtigkeit wäre. Sie sei so lebensnotwendig, dass die Folgen im Falle meines Versagens Millionen und Abermillionen den sicheren Tod bringen würden.«

»Zwei Universen? Du musst zwei Universen retten?« Typisch. Mein Bruder konnte sich nicht damit zufriedengeben, bloß eine Welt zu retten. Er war so ein verdammter Streber. »Aber warum ausgerechnet du?«, jammerte ich.

Zack blickte nachdenklich durch die Tür. »Anscheinend stellt dieses Baumhaus die Verbindung zwischen den beiden Universen dar.«

Das war ja unglaublich. Total irre. Unser Baumhaus, ein Tor zwischen zwei Welten. Andererseits … »Und?«

Zack zuckte mit den Achseln. »Ich nehme mal an, ich bin einfach der Erste, auf den Zorbon getroffen ist, als er zu uns rüberkam.«

Mir verschlug es die Sprache. Mein Mund ging auf und zu, aber kein einziges Wort kam raus, bloß ein Geräusch, das so klang wie Luft, die aus einem Ballon entwich. So erwählt man doch keinen Retter der Menschheit. Dazu braucht es zumindest eine Weissagung in irgendeinem uralten Buch. Das wäre ja so, als verliehe man das ultimative Schwert einem Goldfisch.

»Um meinen Erfolg sicherzustellen«, redete Zack weiter, »meinte Zorbon, er sei bevollmächtigt, mir sechs Gaben zu verleihen – Kräfte, wenn du so willst –, um mir bei meiner Aufgabe zu helfen. Dann hob er seine Handflächen, gab etwas von sich, in einer total abgedrehten außerirdischen Sprache –«

»Was«, dachte ich, ohne etwas zu sagen, »soll das denn sein? Das Gegenteil von einer total normalen außerirdischen Sprache?«

»Dann erstrahlte alles in rotem Licht – vielleicht war das Licht auch grün«, fuhr Zack fort. »Ich spürte eine Energiewelle durch meinen Körper schwappen. Jedes einzelne Atom von mir stand unter Spannung. Dann verbeugte Zorbon sich und sagte: ›ES IST VOLLBRACHT.‹ Ich fragte ihn, was denn vollbracht sei. Welche Kräfte er mir verliehen hätte. Was meine Mission sei. ›DAS DARF ICH NICHT SAGEN, DENN SONST BESTEHT DIE GEFAHR, DASS ICH DEN GANG DER DINGE VERÄNDERE. UND WIE JEDER, DER ERFAHRUNG IN DIESEN DINGEN HAT, DIR BESTÄTIGEN WIRD, WÄRE DAS VON ALLERGRÖSSTEM ÜBEL. ALLES WIRD SICH KLÄREN‹, sagte er. Dann schenkte er mir noch einmal dieses rätselhafte Lächeln und verschwand. Aber ein paar Augenblicke bevor die Tür des Raumschiffs sich hinter ihm schloss, drehte er sich noch einmal um und meinte, eine Sache könnte er mir doch verraten. Er warf mir einen Furcht einflößenden Blick zu und sagte: ›NEMESIS KOMMT‹. Und damit war er weg. Bluuhp-whusch!«

Ich stand da und kriegte vor Staunen den Mund nicht zu. So viel ungelöste Rätsel. So viel offene Fragen. Doch dann drängte sich ein Gedanke vor und schob alle anderen beiseite. »Aber ich war doch gerade mal fünf Minuten weg!« Die wichtigsten fünf Minuten der Weltgeschichte und ich verpasse sie, weil ich pinkeln muss. »Ich wette, Zardoz der Beginner hätte mich ausgewählt, wenn ich hier gewesen wäre«, grummelte ich.

»Sein Name war Zorbon der Bestimmer. Und du warst nicht da.« Zack zuckte mit den Achseln. »Hättest es eben einatmen sollen, hab ich Recht?«

Wie unfair war das denn? Und da sollte ich handeln wie ein normaler, vernünftiger Mensch? »Hol ihn zurück«, schrie ich ihn an. »Sag Bourbon dem Vertrimmer, dass er einen Fehler gemacht hat und zurückkommen muss, um mir ebenfalls Superkräfte zu verleihen.«

»Zorbon der Bestimmer«, verbesserte mich Zack ein weiteres Mal. »Und er hat bestimmt, dass ich der Richtige bin. Nicht du.«

»Das seh ich aber total anders. Und sicher können wir erst sein, wenn du ihn anrufst.«

»Ihn anrufe? Ach so, genau. Er hat mir ja bestimmt seine Telefonnummer dagelassen. Eh, wie war noch mal die Vorwahl für das Paralleluniversum?«

In seiner Frage verbarg sich ein Hauch von Sarkasmus. Zack machte sich über mich lustig. Angesichts der Tatsache, dass ich in diesem Augenblick so wütend war wie noch nie zuvor in meinem Leben, war das mehr als leichtsinnig.

»Was machst du denn jetzt schon wieder?«, fragte er.

Ich pirschte durch das Baumhaus und klopfte alle naslang an die Wände. Lag es nicht auf der Hand, was ich da machte? »Ich such das Tor zum anderen Universum.« Ich presste ein Ohr an die Rückwand. »Ich glaube, ich kann es hören.«

»Luke.«

»Pschhht!«, zischte ich ihn an. Ich vernahm ganz eindeutig ein Geräusch. »Ja. Irgendetwas kommt da durch. Klingt wie ein Kratzen. Vielleicht ein paar interdimensionale Mäuse.«

»Eh, Luke …«

Ich fuhr herum. Das kratzende Geräusch kam von Zack. Er kratzte sich die Brust. Wie üblich trug er das Hemd seiner Schuluniform, weil ihn nur das, wie er meinte, in den richtigen Geisteszustand für die Hausaufgaben versetzte. (Versteht ihr jetzt, was ich meine? Und mit so einem muss ich zusammenleben.) Etwas Seltsames schien sich unter dem Hemd abzuspielen. Ich verzog mein Gesicht und zeigte drauf. »Was ist das?«

Ein pulsierendes Leuchten schimmerte durch den Stoff wie ein Nachtlicht. Zack riss sein Hemd auf und streckte mir seine nackte Brust entgegen. Ich hätte schwören können, einen Fanfarenstoß gehört zu haben.

Ungeachtet dessen, was Pa gesagt hatte, war nicht ein einziges Haar zu entdecken, dafür aber etwas anderes. Quer über seine Brust waren drei glühende Sterne eintätowiert.

»Zorbon hatte genau die gleichen Sterne«, sagte Zack. »Würde zu gern wissen, was sie bedeuten.« Er strich mit einem Finger über sie hinweg.

»Ich werd dir sagen, was sie bedeuten. Sie bedeuten, dass du ein Tattoo hast.« Ich schüttelte den Kopf. »Mam wird dich umbringen.«

Zack ließ mich reden. Er streckte sich, richtete sich zu seiner vollen Höhe von 154,94 Zentimetern auf und nahm einen ruhigen, gedankenverlorenen Ausdruck an. »Ich weiß, was die Sterne bedeuten«, stieß er aus. »Ich. Bin. Starman!«

Ich hob einen Finger, um zu widersprechen.

»Was?«, blaffte er mich an.

»Ähm, tut mir leid, aber es gibt bereits einen Starman. Du könntest jede Menge Ärger an den Hals bekommen.«

Zack gab ein irritiertes Schnauben von sich. »Gut. Meinetwegen.« Er richtete sich von neuem auf. »Ich. Bin. Star Boy!«

Er schielte zu mir rüber, um sich zu vergewissern. Ich schüttelte kurz den Kopf.

Frustriert warf er seine Hände in die Luft. »Einen Star Boy gibt’s auch?«

»Ich hab dir tausendmal gesagt, du solltest öfter Comics lesen.« Nachdenklich strich ich mir über die Wange. »Wie wär’s mit Star Typ?«

»Star Typ?«

Zack dachte darüber nach. Er ließ den Namen ein paarmal in seinem Mund herumrollen, so als probierte er, ob die Größe auch stimmte. Erst sagte er ihn in seiner eigenen und dann in einer sehr viel tieferen Stimme, und dann hielt er inne. »Star Typ oder Startyp?«

Ich war mit meinen Gedanken gerade woanders. Mir war nämlich wieder eingefallen, woran die Sterne auf seiner Brust mich erinnerten. Sie sahen ganz genauso aus wie die Sterne auf den Tiefkühlpackungen, die einem zeigen, wie lange man sie aufbewahren kann, ohne dass sie Schaden nehmen. Dem Muster auf seiner Brust zufolge sollte man Zack schleunigst auftauen.

Er stemmte seine Hände in die Hüften. »Ich. Bin. Star Typ!« Nachdenklich wiegte er den Kopf hin und her. »Oder vielleicht auch Startyp. Ich. Hab. Mich. Noch. Nicht. Entschieden.«

Tja, so ist es also gelaufen. Mein Bruder hat Superkräfte, und ich …

… ich hab keine.

Star Typ

Das Schicksal zweier Welten lag in der Hand meines Bruders. In meiner lag ein Blumenkohl.

Es war der Tag, nachdem aus Zack Star Typ geworden war – Startyp hatte er verworfen. Sollte er nämlich irgendwann einmal ein Wappen für sein T-Shirt brauchen, war »S« allein schon vergeben. Wir waren in der Küche und halfen beim Essenmachen.

»Zack, Liebling, kannst du die Kartoffeln schälen?« Mam drückte ihm eine große Tüte in die Hand.

Ich bekam seine Reaktion mit und grinste. Selbst Superhelden müssen manchmal Kartoffeln schälen.

»Gerne«, strahlte er. »Nichts lieber als das.«

Er warf mir einen vielsagenden Blick zu und schlurfte in die hinterste Ecke der Küche. Irgendetwas führte er im Schilde. Ich pirschte mich an ihn ran. Seine Augen waren auf die Kartoffeln fixiert, mit einer Hand deutete er in ihre Richtung. Die Kartoffelschalen lösten sich in perfekten, durchgehenden Spiralen. Sie schälten sich von ganz alleine. Ich war fassungslos. »Das darfst du nicht!«, zischte ich.

»Und warum nicht?«

»Regel Nummer eins für jeden Superhelden: Du darfst nicht einfach in der Gegend rumspazieren und deine Superkräfte zum Gemüseputzen nutzen.«

Er verzog sein Gesicht. »Ich bezweifle, dass das die Regel Nummer eins ist. Oder überhaupt eine Regel.«

»Na gut, mag sein, aber aus großer Macht folgt große Verantwortung. Gordon ohne Schimmer –«

»Zorbon der Bestimmer«, stöhnte Zack.

Aus irgendeinem Grund löste der Name bei mir einen mentalen Block aus. Ich glaub, es lag daran, dass ich total stinkig auf das war, was er angerichtet hatte. Deswegen brachte ich es einfach nicht fertig, mir seinen blöden außerirdisch extra-dimensionalen Namen zu merken.

»Jaa, Wie-er-auch-heißt der Was-auch-immer. Jedenfalls hat er dir die telekinetischen Fähigkeiten nicht verliehen, damit du in der Küche hilfst.«

Zack machte ein belämmertes Gesicht. »Hast ja Recht.«

»Und ob ich Recht habe. Glaub mir, deine Kräfte zu missbrauchen, ist das Letzte, was du tun möchtest. Es ist ein steiler, rutschiger Weg vom Superhelden zum Superschurken. Okay, mit ein paar harmlosen, telekinetisch geschälten Kartoffeln fängt es an. Aber dann, zack, im Handumdrehen, schon hast du dein Hauptquartier in irgendeinem versteckten Vulkan, bist umgeben von Gefolgsleuten der übelsten Sorte und denkst darüber nach, wie du die Weltherrschaft erlangen kannst.«

In diesem Augenblick rief Mam zu uns rüber: »Was heckt ihr beiden denn schon wieder aus, hmmm?«

»Nichts«, sagten wir wie aus einem Mund.

Natürlich konnten wir ihr nicht erzählen, was mit Zack passiert war. Regel Nummer zwei für Superhelden lautet, dass du das Ganze geheim halten musst. Sobald nämlich die Schurken deine wahre Identität rauskriegen, locken sie dich in eine Falle, indem sie deine Angehörigen kidnappen. Das gehört zum kleinen Einmaleins eines jeden Comic-Fans. Und durch das Einhalten von ein paar simplen Vorsichtsmaßregeln kann man es verhindern.

Mam und Pa warfen sich einen dieser müde lächelnden Blicke zu, und dann sagte Pa: »Jungs, es ist wirklich eine Freude zu sehen, dass ihr euch so gut vertragt.«

Stimmt schon. Nicht, dass es eine Freude war, aber Zack und ich kamen tatsächlich schon eine ganze Weile nicht besonders gut miteinander aus. Bis vor ein paar Jahren waren wir noch die besten Freunde, aber zurzeit kommunizierten wir hauptsächlich dadurch, dass wir mit den Türen knallten, uns anschrien und gegenseitig mit Muckireiten malträtierten. Ehrlich gesagt hatten wir seit dem vorangegangenen Abend mehr miteinander geredet als die gesamten drei Monate zuvor. Ich ertappte Zack dabei, wie er mir einen bedauernden Blick zuwarf, fast so, als würde er die alten Tage vermissen.

»Was guckst du, Affenkopp?«, pflaumte ich ihn an. Ist doch wahr, irgendetwas musste ich tun. Die Situation drohte rührselig zu werden.

Gott sei Dank reagierte Zack, wie es sich gehört, und versetzte mir einen Schlag auf den Arm.

Der Arm brach weder ab noch flog er in der Gegend rum – mit anderen Worten: Superstärke gehörte ganz offenbar nicht zu Zacks sechs Kräften. Interessant. Ich suchte mir ein Ziel auf seiner Brust, machte eine Faust und holte selbst zu einem Schlag aus. Aus der geringen Entfernung konnte ich ihn unmöglich verfehlen. Tat ich auch nicht.

Ich prallte ab.

Als meine Faust nur wenige Zentimeter von seiner Brust entfernt war, spürte ich, wie sie auf etwas Federndes und Unsichtbares traf.

»Ein Kraftfeld! Du hast ein verdammtes Kraftfeld!« Ich fing vor Staunen an zu flüstern.

Bevor ich noch irgendetwas anderes sagen konnte, riss Pa uns auseinander, erteilte uns eine Lektion über anständiges Verhalten und schickte uns aus der Küche, damit wir uns beruhigen konnten.

Fünfzehn Minuten später stand das Abendessen auf dem Tisch. Das ganze Essen über ließ ich Zack nicht aus den Augen, als wäre ich sein Lehrer bei einer Klassenarbeit. Ich wartete darauf, dass er den Blumenkohl auf seinem Teller kraft seiner Gedanken hin und her schieben oder eine Erbse gegen sein Kraftfeld schnipsen würde. Oder … was noch? Zibidii der Spinner hatte ihm sechs Superkräfte verliehen, die er für seine Mission brauchte. Telekinese und Kraftfeld waren zwei; was waren die anderen vier? Und worin bestand die Mission? Wir hatten keine Ahnung, bis auf dieses: »NEMESIS KOMMT.«

Nach dem Essen, ich sollte eigentlich meine Schularbeiten am Computer machen, beschloss ich, im Internet rumzusurfen und nachzuschauen, was ich über Nemesis rausfinden könnte.

Es gab tonnenweise Informationen. Ich musste mich durch noch und noch Seiten quälen, bevor ich die Lösung gefunden hatte.

In der griechischen Mythologie war Nemesis, ich zitiere: »ein erbarmungsloser Geist göttlicher Gerechtigkeit«. Ich verstand nicht alles, aber dieser Nemesis-Typ schien auf jeden Fall ein harter Bursche zu sein. Und dann traf es mich wie ein Donnerschlag: Nemesis musste der Name eines Superschurken sein, und Zack hatte die Kräfte bekommen, ihn zu vernichten.

Ich war schon drauf und dran, die Seite wegzudrücken, da entdeckte ich noch etwas. Ich hatte den Beitrag wohl zu schnell überflogen. Er war überhaupt kein »er«. Nemesis war eine Frau! Und irgendwie leuchtete mir das auch total ein.

Star Typs Erzfeind war ein Mädchen.

Hich Pinzut Oof

Es war noch hell, als Zack und ich zum Baumhaus rüberschlichen, um über das zu reden, was ich rausgekriegt hatte. Ich trug einen geheimnisvoll ausgebeulten Jutebeutel über der Schulter (ich erwähne das bloß, weil es schon bald eine bedeutende Rolle spielen wird). Zack huschte die Strickleiter hoch und ich schnaufte und keuchte hinter ihm her. Als ich endlich oben angekommen war, hockte ich mich erst mal auf die Türschwelle, um wieder zu Atem zu kommen.

Der Himmel hatte die Farbe von durchwachsenem Speck. Ein Windstoß fegte über die Dächer der Nachbarhäuser und rauschte durch die Blätter unserer Eiche. Wir haben einen winzigen Garten, nicht mehr als ein Rasenfetzen, mit ein paar rosa und blauen Sommerblumen am Rand, einem Schuppen und einer riesigen Eiche. Pa meint, in der guten alten Zeit sei unsere Straße Teil des Großen Nordwalds gewesen, eines riesigen Waldgebiets voll englischer Eichen. Der Baum in unserem Garten ist alles, was noch davon übrig geblieben ist.

Pa hat das Baumhaus für uns im letzten Sommer gebaut. Und wenn ich sage, Pa hat es gebaut, dann heißt das: Opa hat es gebaut und Pa stand ihm mit seinem Werkzeuggürtel voll teurer Geräte im Weg rum und verteilte völlig nutzlose gute Ratschläge. Er fährt zwar total auf ›do it yourself‹ ab und ist mein Vater, aber bis auf seinen Daumen hat er noch nichts erfolgreich an die Wand genagelt.

Ich ging rein zu Zack und erzählte ihm alles, was ich über Nemesis rausbekommen hatte. Er hörte aufmerksam zu und nickte beifällig zu meinen Schlussfolgerungen, als wäre ich Sherlock Holmes persönlich. Normalerweise hätte mein großer Bruder mir nie zugehört, egal, was ich zu sagen hatte. Aber ich bin nun mal Spezialist in Sachen Superhelden (zumindest derjenigen, die in Comics vorkommen), und er achtete auf jedes einzelne Wort. Es fühlte sich gut an, ausnahmsweise mal der klügere Bruder zu sein.

»Eine Sache noch«, schloss ich ab. »Ich weiß, wie man deine Kräfte aktiviert.«

»Echt?« Er klang beeindruckt.

Ich nickte. »Jep, du musst bloß deine Geheimparole aussprechen.«

Zack riss die Augen auf. »Und du kennst meine Geheimparole?«

»Ich hab eine Reihe von Faktoren in den Computer eingegeben – deinen Namen, die bislang bekannten Superkräfte, deine Schuhgröße – und dann ist das hier dabei rausgekommen. Bist du bereit?«

Er nickte heftig. »Rück schon raus mit der Sprache, schnell!«

Ich räusperte mich. »Deine geheime Aktivierungsparole lautet …« Ich machte eine Pause, wie der Preisrichter einer Realityshow, bevor er mitteilt, wer es in die nächste Runde geschafft hat. »Hich. Pinzut. Oof.«

Zack stellte sich mit gespreizten Beinen vor mich hin und stemmte die Arme in die Hüften. Dann stieß er die Worte hervor. »Hich. Pinzut. Oof!« Er hielt den Atem an und wartete. Als die Sekunden verstrichen und nichts passierte, schüttelte er enttäuscht den Kopf. »Ich kann nichts spüren. Bist du auch ganz sicher, dass es die richtige Parole ist?«

Ich strich mir übers Kinn. »Hmm. Vielleicht sagst du es nicht mit genügend Gefühl. Versuch’s noch mal, aber diesmal so, dass man hört, dass du es ernst meinst. Und sag es ein paarmal hintereinander.«

»Okay. Mehr Gefühl. Ein paarmal hintereinander. Verstehe.« Zack nahm wieder dieselbe Pose ein. »Hich. Pinzut. Oof … Hich. Pinzut. Oof …« Je öfter er die Parole wiederholte, desto klarer wurde, was er da eigentlich sagte. »Ich bin zu doof … Ich bin zu doof … Ich bin zu …«

Ich konnte nicht länger an mich halten und lachte los.

Zacks Mund, gerade zu einem besonders gefühlvollen »O« geformt, fror blitzartig ein, als er checkte, dass ich ihn veräppelt hatte. Er warf mir einen finsteren Blick zu und meinte: »Wenn du dich unbedingt aufführen musst wie ein Kindskopf, dann geh ich.« Und schon stolzierte er raus und stellte einen Fuß auf die oberste Sprosse der Strickleiter.

»Nein, geh nicht. Hiermit verspreche ich hoch und heilig, nichts Kindisches mehr anzustellen. Ab jetzt bloß noch ernsthaft wissenschaftliche Nachforschungen.«

»Versprochen?«

Ich legte eine Hand auf mein Herz. »Versprochen.«

Er kam wieder rein, und ich bedeutete ihm, anzuhalten. »Bleib, wo du bist«, forderte ich ihn auf und griff in meinen Jutebeutel. »Und beweg dich nicht.«

»Warum soll ich denn hier stehen blei_ hee!«

Er duckte sich weg, während eine Tomate haarscharf an seinem Kopf vorbeischwirrte und hinter ihm an die Wand platschte.

»Was glaubst du, was du da machst?«

Ich vernahm einen Hauch von Irritation in seiner Stimme, schenkte ihm aber weiter keine Beachtung und griff von neuem in den Beutel. Diesmal zog ich ein Klemmbrett raus.

Und einen Stein.

Zack verfügte über ein Kraftfeld, und wir mussten wissen, wie stark es war. Und der einfachste Weg, das rauszufinden, war, mit Sachen auf ihn zu schmeißen. Im Beutel verbarg sich meine Sammlung von Testobjekten.

»Wie soll ich den platzieren?« Ich wiegte den Stein in meiner Hand, ließ ihn ein paarmal hin- und herrollen, und dann schleuderte ich ihn mit aller Kraft in seine Richtung.

Wieder duckte er sich weg und der Stein knallte gegen die Wand. Enttäuscht blaffte ich ihn an. »Wie soll ich dein Kraftfeld testen, wenn du dauernd den Kopf einziehst?« Ich nahm das Klemmbrett und notierte: Tomate und Stein – ohne Ergebnis.

Langsam ging Zack ein Licht auf. »Verstehe. Okay, das macht Sinn. Schätz ich mal.« Er deutete mit seinem Kopf auf meinen Beutel. »Was hast du da noch alles drin?«

Ich hatte mir das Beste für den Schluss aufgespart. Mit einem breiten Grinsen tauchte ich mit beiden Händen in den Beutel hinein und hob einen Hammer heraus. Er gehörte Pa – er hatte ungefähr sieben davon in seinem Schuppen, alle bestens poliert und der Größe nach aufgehängt. Der hier war der dickste – ich nannte ihn immer Thors Hammer. Er hatte einen Hickory-Holzstiel und einen drei Kilo schweren Stahlkopf. Ein echt großes Teil.

»Nix da«, protestierte Zack und fuhrwerkte total unheroisch mit seinen Händen in der Gegend rum. »Untersteh dich, mit diesem Ding nach mir zu werfen!«

»Natürlich nicht, Blödmann.«

Zack entspannte sich.

»Er ist viel zu schwer, um damit zu werfen«, sagte ich mit einem dünnen Lächeln. »Deswegen werd ich dich damit schlagen.«

Bevor er etwas einwenden konnte, hob ich den Hammer hinter mir in die Luft und ließ ihn dann so doll ich konnte in hohem Bogen gegen meinen Bruder knallen. Zacks Verteidigungsschild lenkte den dicken Stahlkopf ab, wie man eine Fussel von seinem Ärmel schnippt. Der Hammer prallte zurück. Dabei versetzten seine Vibrationen meine Hände in so heftige Schwingungen, dass ich ihn nicht länger halten konnte. Er traf um ein Haar meinen Kopf, flog geradewegs durch die offene Tür und taumelte aus unserem Blickfeld. Irgendwo im Gestrüpp unter uns gab es einen mächtigen Bums und direkt danach ein ersticktes »miau«.

»Hast du das gehört?«, fragte Zack.

»Ja«, wand ich mich. »Klang ganz nach Mrs. Wilsons Katze.«

»Nein, nicht das«, sagte Zack und kniff seine Augen zu. »Das.«

Ich horchte angestrengt hin, aber das Einzige, was ich mitkriegte, war das Rauschen des Windes in der Eiche. »Ich hör nichts«, begann ich, und dann kapierte ich, was das zu bedeuten hatte. »Du hast das Supergehör.«

Zack runzelte die Stirn. »Schon möglich. Obwohl – es ist eher so eine Art Radar in meinem Kopf. Wenn ich die Augen schließe, seh ich diesen grünen Kreis, der sich dauernd dreht, und wenn er auf eine interessante Person oder ein Objekt trifft, dann leuchten sie auf und ich kann sie sehen und hören. Allerdings nicht besonders scharf. Bloß ziemlich verschwommene Umrisse.« Er wurde blass. »Uh-oh.«

»Was ist?«

»Jemand ist in Schwierigkeiten.«

Ich zuckte zusammen. »Vielleicht Mrs. Wilson, die gerade ihre Katze gefunden hat.«

Zack bekam einen merkwürdigen Ausdruck, und seine Wangen nahmen die Farbe der Tomate an, die gemächlich die Wand runterglitt. »Nein, nicht Mrs. Wilson«, krächzte er. Seine Stimme ging hoch und runter wie eine Achterbahn.

»Wer ist es dann?«, fragte ich, aber Zack dachte gar nicht daran, zu antworten.

In null Komma nichts war er durch die Tür und nahm beim Hinunterklettern drei Sprossen auf einmal. Ich taperte hinter ihm her, so schnell meine Plattfüße es erlaubten. Er sprang den Weg entlang, der an unserem Haus vorbei zur Moore Street führte. Ich rechnete damit, dass er sich dort gegen einen gigantischen Roboter mit Laserstrahlaugen zur Wehr setzen müsste oder gegen eine Horde schleimiger Aliens, doch als ich eine Minute später dort ankam, war von Zack weit und breit keine Spur. Und statt Roboter oder Außerirdische sah ich etwas noch viel Furchterregenderes.

Lara und Cara

Es war ein Mädchen. Aber nicht irgendein Mädchen. Ihr Name war Cara Lee. Ihre Familie war vor einem Jahr zwei Häuser weiter unten eingezogen, und in der Schule gehörte sie zu Zacks Jahrgang. In der Matheklasse saß sie direkt vor ihm. Das konnte ich so genau sagen, weil ich die Zeichnungen gesehen hatte, die er von ihr an die Seitenränder seines Gleichungen lösen leicht gemacht!-Buches gekritzelt hatte. Die Zeichnungen zeigten allesamt nur ihren Hinterkopf.

In Wirklichkeit – von Angesicht zu Angesicht – hatte sie große, braune Augen, langes, dunkles Haar, und sie war groß. Knapp 10 Zentimeter länger als Zack. Ein einzelner Ohrstecker funkelte von der Spitze ihres Ohrläppchens. Ohrringe waren in der Schule verboten, aber Cara kümmerte sich nicht drum. Das verlieh ihr den Ruf einer Rebellin. Wenn auch nicht gleich einer Star Wars-Rebellin, was natürlich noch cooler gewesen wäre.

In diesem Moment jedoch kniete sie am Rand des Bürgersteigs und redete mit einem Gully.

»Oh bitte«, bettelte sie. »Sei doch nicht weg!«

Vielleicht redete sie doch nicht mit dem Gully. Vielleicht war jemand da unten eingeschlossen und drohte verloren zu gehen. Sie hatte noch eine kleine Schwester, die Lara hieß. Konnte ja sein, dass die vom Strahl einer Schrumpfkanone getroffen worden und dann durch das Gitter gerutscht war.

Am ersten Schultag hatte ich mir von Lara einen Uni-Ball-Gelschreiber mit einer 0,4-mm-Spitze ausgeliehen und war bis jetzt irgendwie noch nicht dazu gekommen, ihn ihr zurückzugeben. Jedes Mal, wenn wir uns über den Weg liefen – auf der Straße, im Schulflur zwischen den Stunden –, haute sie mich deswegen an. Sie ging mir damit auf die Nerven. Nicht so sehr, dass ich schon eine Liste angelegt hätte über alles, was mich an ihr störte, aber es war kurz davor.

Jetzt allerdings sah ich, wie sie am Ende ihrer Garagenauffahrt auftauchte, was gleichzeitig hieß, dass sie offensichtlich doch nicht von einer Schrumpfkanone getroffen und in den Gully gespült worden war. Schade eigentlich. Kaum hatte sie ihre große Schwester entdeckt, kam sie auf sie zu. Lara sah fast genauso aus wie Cara, bis auf ihre Haare, die so geschnitten waren, dass ihre Ohren freilagen und ihr etwas von einer Elfe verliehen. Oder einem Vulkanier.

Ich war so nah an den beiden dran, dass ich auch ohne Supergehör mitkriegen konnte, worüber sie sprachen.

»Mam meint, du sollst reinkommen«, sagte Lara.

»Ich kann nicht reinkommen«, jammerte Cara. »Mann, ich steck so was von in der Patsche.«

»Was ist denn?«

Cara schaute unglücklich zum Gully. »Ich hab mein Handy fallen lassen. Es liegt da unten. Ich kann es sehen, aber ich komm nicht dran.«