Meister Eckhart und Karl Marx: Die reale Utopie der Orientierung am Sein - Erich Fromm - E-Book

Meister Eckhart und Karl Marx: Die reale Utopie der Orientierung am Sein E-Book

Erich Fromm

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Beschreibung

Das Buch ‚Haben oder Sein‘, das 1976 auf den Markt kam, verdankt seine Entstehung der Idee, Meister Eckhart und Karl Marx zu vergleichen. Beide kennen die Alternative „Haben oder Sein“ und für beide, so Fromm, gilt, dass der Mensch seine ichhafte Vorfindlichkeit zu übersteigen imstande ist. Statt haben zu wollen, gilt es, auf die Realisierung seines potenziellen Seins zu setzen. Die Analyse dieser „religiösen“ oder „spirituellen“ Dimension bei Eckhart und Marx wollte Fromm einer eigenen Publikation neben ‚Haben oder Sein‘ vorbehalten. Hierzu kam es nicht, so dass die für das Denken Fromms sehr aufschlussreichen humanistischen Deutungen von Eckhart und Marx und deren Religiosität erst in diesem umfangreichen Beitrag posthum veröffentlicht wurden. Aus dem Inhalt • Haben oder Sein nach Eckhart • Haben oder Sein in der „Armutspredigt“ • Das „religiöse“ Anliegen von Marx • Humanismus als säkularer Messianismus • Haben oder Sein nach Marx • Das gemeinsame „religiöse“ Anliegen • Die atheistische Religiosität

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Seitenzahl: 115

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Meister Eckhart und Karl Marx:Die reale Utopie der Orientierung am Sein

(Meister Eckhart and Karl Marx on Having and Being)

Erich Fromm(1992s [1974])

Als E-Book herausgegeben und kommentiert von Rainer FunkAus dem Amerikanischen von Rainer Funk.

Das Manuskript aus dem Jahr 1974 mit dem Titel Meister Eckhart and Karl Marx on Having and Being wurde erstmals in Band 8 der „Schriften aus dem Nachlass“ 1992 beim Beltz Verlag, Weinheim, veröffentlicht unter dem Titel Meister Eckhart und Karl Marx: Die reale Utopie der Orientierung am Sein in: E. Fromm, Humanismus als reale Utopie. Der Glaube an den Menschen, S. 127-196. Reprint als Heyne Sachbuch 1995 beim Heyne Taschenbuchverlag in München. Überarbeitet fand der Beitrag 1999 Aufnahme in Band XII, S. 485-526, der Erich Fromm Gesamtausgabe in zwölf Bänden, München (Deutsche Verlags-Anstalt und Deutscher Taschenbuch Verlag). – Die Erstpublikation in der englischen Originalsprache erfolgte 1994 unter dem Titel Meister Eckhart and Karl Marx on Having and Being beim Verlag The Continuum Publishing Corporation in New York.

Die E-Book-Ausgabe orientiert sich an den von Rainer Funk herausgegebenen und kommentierten Textfassung der Erich Fromm Gesamtausgabe in zwölf Bänden, München (Deutsche Verlags-Anstalt und Deutscher Taschenbuch Verlag) 1999, GA XII, S. 485-526.

Die Zahlen in [eckigen Klammern] geben die Seitenwechsel in der Erich Fromm Gesamtausgabe in zwölf Bänden wieder.

Copyright © 1992 by The Estate of Erich Fromm; Copyright © als E-Book 2015 by The Estate of Erich Fromm. Copyright © Edition Erich Fromm 2015 by Rainer Funk.

Das Verständnis von Haben oder Sein als den beiden Existenzweisen lässt sich vertiefen, wenn wir die Ansichten skizzieren, die Meister Eckhart und Karl Marx hierzu entwickelten.[1] Sie sind zwar nicht die einzigen, die sich damit befasst haben, doch es gibt nur ganz wenige, die sich mit einer solchen Klarheit, Tiefe und Schönheit zu diesem Thema äußerten.

Viele Leser werden überrascht sein, diese beiden Denker in einem Atemzug genannt zu finden. Liegen nicht Welten zwischen dem mittelalterlichen katholischen Mystiker und dem „atheistischen Materialisten“ des Neunzehnten Jahrhunderts? Von den üblichen Etikettierungen her ist der Unterschied ganz gewiss unüberbrückbar – und nicht nur das. Ein konservativer katholischer Theologe und ein sowjetischer Interpret von Marx sehen in den Etikettierungen tatsächlich das Wesentliche der beiden ausgedrückt.

Bei einem Verständnis von Eckhart und Marx jedoch, das in die Tiefe geht, zum Kern ihres jeweiligen Denkens vorstößt und den zeitbedingten Charakter ihrer Vorstellungen und Terminologie berücksichtigt, erscheinen die Unterschiede weitaus geringer als die Gemeinsamkeiten. Beide waren radikal anti-autoritär und traten für des Menschen Unabhängigkeit ein und für den tätigen Gebrauch seiner ihm wesenseigenen Kräfte; beide sprachen sich für das Leben und gegen das Tote, für das Sein und gegen das Haben aus. Beiden galt die Vernunft als die höchste Fähigkeit des Menschen.

Betrachtet man ihre scheinbar diametral entgegengesetzten religiösen Ansichten, so war Eckhart ein (wenn auch nicht ganz offener) Atheist, während Marx’ Sozialismus der säkulare Ausdruck eines prophetischen Messianismus war. Den implizit religiösen Charakter der Schriften von Marx hat unter den sozialistischen Autoren vor allem Ernst Bloch erkannt. Auch ich vertrete die gleiche Ansicht [vgl. E. Fromm, 1961b, GA V, S. 377-383, sowie E. Fromm, 1972b, GA VI, S. 293-299]. Unter den nicht-sozialistischen Autoren sind Karl Löwith und eine Reihe vor allem katholischer Autoren zu nennen, die die Schriften von Marx weit besser als die meisten „Marxisten“ verstanden haben. Hier ist Jean Yves Calvez besonders zu erwähnen. – Eckharts Ideen, dies sei hier eigens betont, wurden von Hegel und einigen Hegelianern sehr geschätzt. Als [XII-486] Franz von Baader Hegels Aufmerksamkeit auf Eckhart lenkte, rief dieser nach der Überlieferung von Baaders: „Da haben wir ja, was wir wollten!“ (F. von Baader, Sämtliche Werke, Band 15, S. 159; zit. nach M. Nambara, 1960, S. 147.) Auch Hegels Schüler und jene Denker, die seinen Ideen nahestanden, wie K. Rosenkranz, Johann Eduard Erdmann und Hans Lassen Martensen, schätzten Meister Eckhart in besonderer Weise.

1. Meister Eckhart

a) Zum Verständnis seines Werks

Meister Eckhart (1260 bis 1327/29) ist der bedeutendste Vertreter der Deutschen Mystik und ihr tiefster und radikalster Denker. Am Leben aktiv teilnehmend, war er einer der wichtigsten Ordensleute in Deutschland sowie ein theologischer Gelehrter. Die größte Wirkung ging von seinen Deutschen Predigten aus, und zwar nicht nur für die Menschen und für seine Schüler damals, sondern in zunehmendem Maße auch für jene Menschen heute, die nach einer authentischen Anleitung zu einer nicht-theistischen und doch „religiösen“ Lebensphilosophie suchen.

Eckhart lebte in der Zeit des Übergangs vom Hohen zum Späten Mittelalter. Bis zum Vierzehnten Jahrhundert hatte die feudale Kultur mehr und mehr der Kultur der Städte und der Bürger Platz gemacht. Der vorherrschende „Realismus“, der nur der Idee, die in einem Gegenstand enthalten ist, ein wahres Sein zuerkannte, verlor zugunsten des von Wilhelm von Ockham (1285-1347) erneuerten „Nominalismus“ an Boden. Für diesen waren Allgemeinbegriffe reine nomina, Namen, denen kein wirkliches Sein des Gegenstandes entspricht. Wahres Sein lasse sich nur im Einzelnen finden und nur mit Hilfe empirischer Beobachtung, nicht aber durch abstrakt-logische Spekulationen. Eckhart selbst war jedoch ein Anhänger des „Realismus“. So konnte er, wie Fritz Mauthner (1920, Band 1, S. 343°f.) aufzeigte, seinen Pantheismus auf den Begriff Gottes als der einen und allumfassenden Realität aufbauen.

Wie Josef Quint in seiner Einleitung zu Deutsche Predigten und Traktate von Meister Eckhart (J. Quint, 1969) verdeutlichte, entsprang die Deutsche Mystik des Vierzehnten Jahrhunderts der Tatsache, dass die im Vierzehnten Jahrhundert aufkommende neue Art zu denken eine Schwächung der religiösen Erfahrung zur Folge hatte. Ich möchte seine Behauptung dahingehend qualifizieren [und werde darauf im nächsten Abschnitt noch näher eingehen], dass die neue Art zu denken jene religiöse Erfahrung schwächte, die sich auf philosophischen Beweisen gründet. Das Denken schien kein geeigneter Weg mehr zu sein, zu Gott zu finden, nachdem es selbst zum Gegenstand einer kritischen Analyse geworden war. In einer solchen Situation war es fast unausweichlich, dass sich eine neue Art Religiosität bildete, die sich von den metaphysischen, philosophischen [XII-488] Spekulationen der Scholastik abhob und nach einem direkten, nicht intellektuell vermittelten Zugang zu Gott verlangte.

Gegen Ende des Mittelalters begann der Glaube an Gott als vitale Erfahrung zu schwinden, weil das kritische Denken die rationale Grundlage für den Glauben zu untergraben begann. Heute, 600 Jahre später, ist dieser Prozess, der damals begann, fast an sein Ende gelangt. Entweder diente das Christentum nur noch dazu, das Heidentum des Götzendienstes von Rasse, Staat, Macht, Sieg, charismatischen Führern zu übertünchen, oder aber es wurde offen aufgegeben. Eckhart hatte diese Entwicklung vorausgesehen: „Der Mensch soll sich nicht genügen lassen an einem gedachten Gott; denn wenn der Gedanke vergeht, so vergeht auch der Gott.“ (Meister Eckhart, Reden der Unterweisung, zit. nach J. Quint, 1969, S. 60.) Erstmals wird hier andeutungsweise das Motiv einer gottlosen, nicht-theistischen Religiosität vernehmbar, das dann bei Spinoza deutlicher wird und schließlich im radikalen Humanismus von Marx seine ganze Kraft entfaltet.

Eckhart war der bedeutendste Vertreter dieser neuen Art von „Nicht-Theologie“. Er wird mit Recht ein Mystiker genannt, ist doch sein Ziel die unio mystica, die Vereinigung von Gott und Mensch, obwohl es – wie er in einer seiner kühnsten Äußerungen sagt – ein „Etwas in der Seele“ des Menschen gibt, das mit Gott identisch ist und deshalb nicht vereinigt werden muss. Eckhart unterschied sich aber auch radikal von vielen anderen Mystikern. Denn er verabscheute jede Art von sentimentaler, süßer, erotischer Stimmung, deren man sich erfreut und in der man schwelgt. Die Mystik Eckharts besteht darauf, dass man Gott nicht auf Grund von Gedanken über ihn erkennen kann. Sie folgt der vor allem von Maimonides vertretenen „negativen Theologie“, die die theologischen Spekulationen aus der religiösen Erfahrung verbannt, denn die religiöse Erfahrung ist „still“ und „gedanken-los“. Eckhart, der „Anti-Intellektuelle“, besaß einen brillanten und stählernen Intellekt, einen kompromisslosen Glauben an die Vernunft. Er war mit einer außerordentlich kreativen Sprachfähigkeit begabt, seine Ideen und ihr Ausdruck waren von solcher Kühnheit, dass man kaum zu atmen wagt, wenn er über Vorstellungen spricht, bei denen er seinen Zuhörern sagt, dass sie ihn vielleicht nicht verstehen werden.

Eckhart sprach auf verschiedenen Ebenen. Gewöhnlich stimmen seine Ansichten mit dem traditionellen scholastischen Denken überein. Auf einer zweiten Ebene bewegte er sich zwar immer noch innerhalb der Tradition, selbst wenn er anderer Auffassung war als Thomas von Aquin. Auf dieser Ebene äußerte er sich im Sinne der „negativen Theologie“, die erstmals von dem griechischen und jüdischen Philosophen Philon von Alexandria [geb. 13 vor Chr.] formuliert wurde und dann vor allem bei Moses Maimonides [1135-1204] entfaltet wurde. Die negative Theologie geht davon aus, dass es grundsätzlich unmöglich ist, über Gottes Eigenschaften positive Aussagen zu machen; man könne deshalb zum Beispiel nicht behaupten, Gott sei weise oder gut. Man kann nur negativ sagen, was Gott nicht ist. Je größer die Kenntnis darüber, was Gott nicht ist, desto größer ist die eigene Gotteserkenntnis. Das biblische Verbot, Gott einen Namen zu geben außer der paradoxen Kennzeichnung „Ich bin der „Ich bin da“ (Ex 3,14), das eigentlich „Mein Name ist ‚Namenlos’“ bedeutet (vgl. Ihr werdet sein wie Gott, 1966a, GA VI, S. 101), enthält bereits den Kern einer negativen Theologie. [XII-489]

Die negative Theologie leugnet keineswegs die Existenz Gottes; sie stellt nur in Abrede, dass der Mensch wissen könnte, wer Gott ist, nicht, dass es Gott gibt. Wie bereits Thomas von Aquin zu Recht sah, stellt die negative Theologie für die Trinitätslehre zweifellos eine Gefahr dar. Eckhart aber zitiert keinen Autor so häufig wie Moses Maimonides und macht auch keine Einwendungen gegen ihn (vgl. E. Bloch, 1968). Andererseits stellte Eckhart, außer wenn er auf der nicht-theistischen Ebene spricht, den dreifaltigen Gott auch nicht in Frage. Spricht Eckhart aber auf der dritten Ebene, dann leugnet er implizit den christlichen Gott. Derartige Äußerungen sind selten. Meist geschieht es in der Form, dass er die Bedeutung des trinitarischen Gottes der Schöpfung schmälert zugunsten dessen, was er die „Gottheit“ nennt.

Auf Grund der Widersprüchlichkeit in den explizit theologischen Äußerungen verläuft die Interpretation von Eckhart sehr kontrovers. In der Geschichte der Eckhart-Deutung stehen sich zwei Lager gegenüber. Die eine Schule glaubt, Eckhart drücke die Vorstellung „Gott ist Nichts“, die andere glaubt, er drücke die Vorstellung „Gott ist Sein“ aus. Die erstgenannte Schule stellt Eckhart außerhalb des Christentums und wurde zuerst von Schopenhauer in Die Welt als Wille und Vorstellung formuliert:

Buddha spricht: „Meine Schüler verwerfen den Gedanken, dies bin Ich oder dies ist Mein.“ Überhaupt, wenn man von den Formen, welche die äußeren Umstände herbeiführen, absieht und den Sachen auf den Grund geht, wird man finden, dass Schakia Muni und Meister Eckhart dasselbe lehren; nur dass Jener seine Gedanken geradezu aussprechen durfte, Dieser hingegen genöthigt ist, sie in das Gewand des Christlichen Mythos zu kleiden und diesem seine Ausdrücke anzupassen. (A. Schopenhauer, 1911, Band 2, S. 703, zit. nach M. Nambara, 1960, S. 146.)

Auch andere Eckhart-Interpreten wie A. Lasson, M. Grabmann und D. T. Suzuki stehen auf der Seite der „Gott ist Nichts“-Interpretation. Suzuki hat besonders eindrucksvoll die Identität der Ansichten Eckharts mit buddhistischen bestätigt (vgl. D. T. Suzuki, 1957). Zwei andere japanische Forscher, Minoru Nambara (1960), auf dessen hilfreiches Werk ich mich hier trotz seiner ambivalenten Eckhart-Interpretation stütze, und Shizuteru Ueda (1965), haben die „Gott ist Nichts“-Aspekte im Werk von Eckhart erforscht und damit die inneren Verbindungen zum Buddhismus weiter erhellt. Schließlich ist Gunther Stephensons Untersuchung eine große Hilfe für das Verständnis des Begriffs der Gottheit bei Eckhart (G. Stephenson, 1954).

In den letzten Jahrzehnten wurde Eckhart dennoch meistens als christlicher Theologe im Sinne von „Gott ist Sein“ interpretiert, und wurden Aussagen von Eckhart, die das Gegenteil andeuten, als entweder rein allegorisch entwertet, oder man deutete sie im Lichte seiner orthodoxen christlich-theologischen Ansichten. Zumeist bedienten sich diese Interpreten eines scheinbar zwingenden Arguments: Die nicht-theistischen Äußerungen seien im Vergleich mit den orthodoxen nicht nur selten, sie befänden sich zudem gerade nicht in jenen Schriften, deren Authentizität von Josef Quint [dem Herausgeber der kritischen Eckhart-Ausgabe] nicht bewiesen sei. Und doch ist dieses Argument bei näherem Hinsehen gar nicht so zwingend, wie es auf den ersten Blick scheint.

Erstens räumt Quint ein, dass die Hereinnahme verschiedener Teile der Schriften von Eckhart in die Deutschen Werke vorläufig sei und nichts entscheide

über die [XII-490] Echtheit, bzw. Unechtheit nicht aufgenommener sonstiger Predigt- und Traktat-Texte der Ausgabe Pfeiffers oder anderer Veröffentlichungen. Fraglos befinden sich unter diesen Stücken weitere echte Eckehart-Texte. (J. Quint, 1969, S. 537.)

Zweitens kann man einmal von der Person und dem Autor Eckhart sprechen, dann aber ist Eckhart auch eine Kollektivbezeichnung für seine Schriften und seine Schule. In Wirklichkeit macht es keinen so großen Unterschied, wenn der kühnste Ausdruck der Theologie des Nichts erst bei seinen unmittelbaren Schülern entwickelt wurde. Der einzige Unterschied wäre nur, dass man dann nicht von Widersprüchen bei Eckhart selbst sprechen könnte, die sich mit Hilfe einer Tiefenanalyse auflösen lassen.

Es gibt aber auch gar keine Notwendigkeit, sich mit dieser Auffassung der Eckhart-Interpretation noch weiter auseinanderzusetzen. Wir finden nämlich selbst in den Schriften, deren Authentizität unzweifelhaft ist, seine radikalsten Ansichten eindeutig ausgedrückt. Und jene, die diesen radikalen Eckhart verleugnen und ihre Position mit dem Argument von den echten Eckhart-Schriften stützen, drücken sich schlicht und einfach darum, diese authentischen Äußerungen in Betracht zu ziehen.

Eckhart gelangt, wie ich noch ausführen werde, mit Hilfe des Begriffs „Gottheit“ zu einer nicht-theistischen Sicht. Die Gottheit ist „unberührt“ vom Menschen, seinen Ideen, seinem Vorstellungsvermögen und seinen Begriffen. In einer (noch) nicht als authentisch ausgewiesenen Äußerung spricht Eckhart, auf den Vers Jo 1,9 („Gott ist das wahre Licht, das in der Finsternis leuchtet“) bezugnehmend, von drei Arten von Finsternis:

Die dritte Finsternis ist die allerbeste und meinet, dass kein Licht ist. Ein Meister spricht: „Der Himmel hat kein Licht, er ist zu hoch dazu, er leuchtet nicht, es ist in ihm weder kalt noch warm.“ (F. Pfeiffer, 1857, 317, Zeile 3°f.; hier zit. nach S. Ueda, 1965, S. 118.)

Ist die eben zitierte Stelle zwar noch nicht als authentisch gesichert, so ist es dafür die folgende: