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Eine Amnesie blockiert die Erinnerungen Meißners, die ihn aus seiner kafkaesken Situation befreien könnten. Innerlich läuft er immer wieder Sturm gegen das Vergessen. Nach und nach erkennt er, dass es um eine Mordermittlung geht. Gelingt es dem Kriminalkommissar Johann Maurer den Fall aufzuklären?
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Seitenzahl: 69
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Denn wir sind wie Baumstämme im Schnee. Scheinbar liegen sie glatt auf, und mit kleinem Anstoß sollte man sie wegschieben können. Nein, das kann man nicht, denn sie sind fest mit dem Boden verbunden. Aber sieh, sogar das ist nur scheinbar.
Franz Kafka
Bisher im BoD-Verlag erschienene Romane des Autors:
Die Avatar Trilogie – 2020, ISBN: 978-3-7519-9556-6
Der Rückkehrer – 2020, ISBN: 978-3-7526-4101-1
Die Rächerin – 2022, ISBN: 978-3-7562-1116-6
Die Rückkehr der Graak – 2024, ISBN: 978-3-7597-6855-1
Tag 1
Tag 2
Tag 3
Tag 4
Kommissariat Landstraße
In der Landstraßer Hauptstraße
Ein weiterer Tag
Kommissariat
Tag …?
Kommissariat
Wie lange noch?
Befragung
Vor dem Gesetz
Kommissariat
Ein Käfig ging einen Vogel suchen
Kommissariat Landstraße
Erinnerungen als unvollständiges Lebenstagebuch
Man erinnert sich an Dinge, um sie aus dem Sinn zu vertreiben
Epilog
Er spürt, dass er seine Sinne nicht beieinanderhat. Deshalb ist er hier. Das Bett, der Schrank, der kleine Tisch mit Stuhl, die Nasszelle mit Toilette wirken wie eine Gefängniszelle. Oder ist er im Gefängnis? Sicher ist nichts. Das Gespräch heute Morgen hat ihm etwas Orientierung gegeben.
„Versuchen Sie doch, alles, woran Sie sich erinnern, aufzuschreiben.“
„Wozu soll das gut sein?“
„Manchmal bewirkt die Beschäftigung mit den Erinnerungen, mit seinem Leben, Wunder. Es sei denn, Sie können sich nicht an viel erinnern.“
„Doch, ich kann mich an sehr viel erinnern. Ich weiß nur nicht, ob das der Großteil meines Lebens ist oder ein geringerer Teil.“
„Das ist irrelevant. Wichtig ist unter dem Strich, dass der Knoten platzt. Dass der verborgene Teil der Erinnerung zum Vorschein kommt. Dann werden Sie verstehen.“
Sich zurückerinnern. Es ist unheimlich, sich zurückzuerinnern. Als begebe man sich in einen finsteren Keller. Das kostet Überwindung.
Aber auf dem Bett zu sitzen, zum Fenster hinauszustarren verstärkt die innere Ungewissheit. Vielleicht sollte er in den Keller gehen.
Der hintere Hauseingang ist immer dunkel. Vor allem nachts. Da siehst du gar nichts. Es ist selbstverständlich, dass du für einige Sekunden anhältst und wartest, bis sich die Augen daran gewöhnen. Im Treppenhaus streckst du dich zum Lichtschalter hoch und machst Licht. Zunächst blendet es dich. Irgendwie macht dir das auch Angst und du schaust zurück, als erwartest du eine gefährliche Begleitung. Dann beruhigt sich langsam dein Herzschlag, obwohl du zwei Stockwerke hinaufläufst. Pause. Jede Stufe strengt an. Aber in der Erinnerung kommst du nicht weiter.
Keller. Vater wirft die Holzbrocken durch das kleine Fenster hinunter. Du willst helfen, aber du sollst von der gefährlichen Stelle weichen. Befehlston. Ungeduld. Das Holz riecht so gut.
„Ein Bericht für die Akademie“. Ja, diese Ironie versteht er, mag er. Du wirst mit den Widerständen des Lebens konfrontiert und ahnst, warum du nicht erfolgreich bist, selbst wenn du es glaubst zu sein. Noch besseres Beispiel: „Das Urteil“. Du warst erfolgreich, hast eine Erzählung veröffentlicht, legst das Buch stolz deinem Vater vor, er aber legt es beiseite. Was bleibt dir anderes übrig, als in den Fluss zu springen. Nein, Kafka springt nicht in den Fluss, aber seine Hauptfigur, Georg Bendemann, der dem ‚Urteil‘ seines Vaters nicht entrinnen kann.
In der Tat spielt Kafka eine große Rolle.
„Der Prozess“ fasst zusammen, was er in den Erzählungen vorher experimentiert: das Versagen des Menschen bei seinem Bestreben, sich zu verwirklichen. Alles, was er versucht, ist zum Scheitern verurteilt. Seine Unvollkommenheit wird auch noch bitterlich bestraft.
Es ist ein Gerichtssaal. Er wartet jeden Moment darauf, dass ein Gelächter ausbricht. Reiß dich zusammen! Du bist als Anwalt hier, nicht als Angeklagter. „Herr Anwalt, möchten Sie einen Zeugen aufrufen?“ Niemand lacht. „Ja, Herr Vorsitzender.“ Die Zeugin ist sehr attraktiv. Andere Umstände und er wäre derjenige, der in der fraglichen Nacht bei ihr liegt.
„Können Sie uns sagen, wo der Angeklagte in der besagten Nacht war?“
„Ja, er lag in meinem Bett.“
„Waren Sie auch da?“
„Ja, genau.“
„Danke.“
„Keine weiteren Zeugen, Herr Vorsitzender.“
Dass sie nicht die Wahrheit sagt, kümmert ihn nicht. Seine Aufgabe ist es, seinen Mandanten zu verteidigen. Am liebsten würde er ihm selbst den Hals umdrehen. Dieser Gedanke ist ganz stark. Jemand übernimmt diese Aufgabe später. Er empfindet kein Bedauern.
Gut, die Relativitätstheorie ist unumstritten. Aber die Vorstellung des RaumZeitKontinuums ist noch nicht in das Bewusstsein des Menschen eingedrungen. Im Weltraum kann man das noch nachvollziehen. Die Zeit ‚vergeht‘ nicht einfach und ist danach verschwunden, sondern ist und bleibt Teil des Raums, den die Materie bewandert. Und wenn der Raum zum Beispiel in der Nähe eines Schwarzen Lochs zusammengedrückt wird, wird auch die Zeit zusammengedrückt. Sie verläuft also langsamer als in der weiteren Umgebung.
Aber auf der Erde? Wie soll man sich das vorstellen? Angeblich ist das der Alltag. Die Zeit verstreicht immer relativ zu etwas oder einer/m Anderen unterschiedlich. Wenn du also schneller gehst als jemand neben dir, vergeht deine Zeit langsamer als die des/ der Anderen, weil der Weg (Raum), den du zurücklegst, weniger Zeit in Anspruch nimmt. Theoretisch, wenn du ein Leben lang schneller läufst als eine andere Vergleichsperson, alterst du nicht so schnell wie sie. Das ist aber kaum messbar. Nicht zuletzt, weil noch andere Faktoren eine Rolle spielen. Gravitation, zum Beispiel, und mehr.
Das RaumZeitKontinuum müsste es also erlauben, durch die Zeit zu reisen. Man muss lediglich den Weg zurück einschlagen und schon ‚landet‘ man in der Vergangenheit. Leider ist das nicht möglich. Denn die Materie bewegt sich ‚nach vorne‘ durch den Weltraum. Sie verändert sich dauernd, macht Entwicklungen durch. Es gibt keinen Weg zurück.
Folgerichtig auch nicht auf der Erde. Der einzige Weg zurück in die Vergangenheit sind die Erinnerungen. Und die sind gespeichert in deinem Gehirn. Das RaumZeitKontinuum in deinem Kopf.
In seinem privaten RaumZeitKontinuum landet er schließlich in seinen ersten Berufsjahren. Mit der gewonnenen Erfahrung verliert er langsam die kafkaeske Angst zu versagen. Neues prägt sich ein. Immer wieder erlebt er, wie schuldige Mandanten davonkommen. Er widersteht der Versuchung, der Staatsanwaltschaft Tipps zu geben. Soviel Ethos steckt in ihm. Aber auf Dauer gefällt ihm das nicht. Etwas muss sich ändern. Hätte er damals seine Juraprüfung für eine bessere Note wiederholt! Dann könnte er bereits Staatsanwalt sein.
„Dürfen wir Ihnen ein paar Fragen stellen?“
„Selbstverständlich, worum geht’s?“
„Erinnern Sie sich an den Fall Steiergruber?“
„Natürlich, ich habe ihn in dem Mordprozess vertreten.“
„Sie hatten ihn freibekommen.“
„Ich habe meinen Job gemacht. Die Beweise gegen ihn reichten nun mal nicht aus.“
„Kurze Zeit danach ist er nachts im Wiener Stadtpark erstochen worden.“
„Ja, das weiß ich.“
„Wissen Sie vielleicht noch mehr darüber?“
„Was meinen Sie damit? Ob ich den Mörder kenne?“
„Was wissen Sie über die Angehörigen des angeblichen Opfers Ihres ehemaligen Mandanten?“
„Gar nichts. Fragen Sie doch den Staatsanwalt. Ich selbst hatte keinen Kontakt zu ihnen.“
„Ein weiterer Ihrer ehemaligen Mandanten, Herr Rufer, wurde ebenfalls ermordet. Halten Sie das für einen Zufall?“
„Was wollen Sie damit sagen? Dass ich etwas damit zu tun habe?“
„Haben Sie? Ist doch ein eigenartiger Zufall. Oder nicht?“
„Zufall oder nicht. Ich weiß nichts darüber. Und jetzt entschuldigen Sie mich. Muss in die JA. Mein derzeitiger Mandant sitzt in Untersuchungshaft.“
Das Frühstück ist heute sehr befriedigend. Wie die letzte Nacht. Die Anwaltsgehilfin aus dem Büro nebenan – wie heißt sie noch? – entpuppt sich als Sexbombe. Er fühlt sich wie Tom Jones. „Sexbomb sexbomb … You can give it to me, when I need to come along”. Heute Abend gehen sie ins Theater. Sie möchte etwas unternehmen, bevor sie wieder im Bett landen.
Georg Büchners „Woyzeck“. Die Inszenierung ist grauenvoll. Offenbar wollen Regisseure heutzutage unbedingt auf besondere Weise auffallen.
„Ich fand’s recht lustig, wie sein Gemächt rauf und runter schaukelte! Da gab’s wenigstens was zu sehen! Die Handlung habe ich sowieso nicht verstanden.“ Evi, ja so heißt sie, hat das Stück offenbar genossen. Ich frage mich, weshalb Sex oder Nacktheit auf der Bühne so gefragt sind. Kommt mir etwas spätpubertär vor.
Manchmal sind moderne Inszenierungen auch gelungen. Aber das betont Offensichtliche darf trotzdem nicht fehlen. Wie zum Beispiel in einer kürzlichen Aufführung von Schillers „Kabale und Liebe“. Alle Personen des Theaterstücks sind ständig auf der Bühne und halten sich an ihrem Rande bereit für den Auftritt. Schöne Idee! Wurm, der Sekretarius, der es auf Luise