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Als Innenarchitektin das eigene Traumhaus renovieren – klingt perfekt, oder? Leider geht das nur zusammen mit dem Ex. Mit dem man eine Fake-Beziehung führen muss.
Nur noch ihre Abschlussarbeit trennt Kaia von ihrem großen Traum: Um das Innenarchitekturstudium abzuschließen, fehlt ihr bisher das passende Projekt. Als ein Brief bei ihr eintrifft, ändert sich plötzlich alles: Eine alte Freundin der Familie ist verstorben und sie vermacht Kaia ihr Traumhaus am See. Das Testament ist jedoch an Bedingungen geknüpft: Sie muss das Schwedenhäuschen in ihrer alten Heimat Måneby ein Jahr lang ausgerechnet mit Pelle bewohnen. Pelle, der Mann, der ihr vor drei Jahren das Herz gebrochen hat. Ein Albtraum – aber auch ein Renovierungstraum für ihr Studienabschlussprojekt. Kann Kaia am Ende nicht nur alten Gebäuden, sondern auch alter Liebe zu neuem Glanz verhelfen?
Eine cozy Standalone Romance in der schwedischen Idylle!
***Mit exklusiver Characterkarte in der 1. Auflage***
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Als Kaia unerwartet das Traumhaus ihrer Kindheit erbt, steht ihre Welt plötzlich kopf. Denn das Erbe ist an eine Bedingung geknüpft: Sie muss ein Jahr lang mit Pelle in dem Haus wohnen. Dem Mann, der ihr drei Jahre zuvor das Herz gebrochen hat. Ein Albtraum! Aber auch ein Renovierungstraum für ihren Studienabschluss als Innenarchitektin. Bekommt am Ende vielleicht nicht nur das Schwedenhäuschen, sondern auch ihre alte Liebe einen neuen Anstrich?
»Aline Schwarz entführt uns ins wunderschöne Schweden, um der Liebe eine zweite Chance zu geben. Romantisch, atmosphärisch und absolut cozy!« Spiegel-Bestsellerautorin Carina Schnell
© Privat
Aline Schwarz, geboren 1990 in Göttingen, studierte Germanistik und Anglistik und verwirrte alle mit der Tatsache, dass sie damit nicht Lehrerin werden wollte. In ihrem Leben dreht sich schon immer alles um Geschichten, weshalb sie sowohl ein Volontariat als Redakteurin als auch eines als Lektorin absolvierte. 2023 wurde sie vom Börsenblatt für den Young Excellence Award nominiert. Aline Schwarz arbeitet als Lektorin bei einem großen Hörbuch Verlag und schreibt Liebesromane.
Auf Instagram und TikTok teilt sie alles rund ums Autorinnenleben unter @alinelaraschwarz
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Viel Spaß beim Lesen!
Aline Schwarz
Planet!
Liebe:r Leser:in,
dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte.
Auf der vorletzten Seite findest du eine Themenübersicht, die
Spoiler für die Geschichte beinhaltet.
Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest.
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Aline Schwarz und das Planet!-Team
Für meine Kiki, meine Mama.
Deinetwegen werde ich das »große Licht« immer ungemütlichfinden und Interior Design mit Zuhause verbinden.
Ich bin stolz auf dich.
»Pelle!« Atemlos platze ich durch die Hintertür direkt in die Küche der Magnussons. Ich weiß nicht genau warum, aber ich habe mir angewöhnt, jeden Morgen die fünf Minuten von unserem zu ihrem Haus zu rennen, als wäre das Monster vom See, Storsjöodjuret, hinter mir her. Kurz stütze ich mich mit den Händen auf den Oberschenkeln ab, um zu Atem zu kommen und mir schlägt sofort der Geruch von Pannkakor mit Blaubeermarmelade entgegen. Mein Magen grummelt. Daheim hatten wir nur noch altes Knäckebrot und ich muss warten, bis Pappa am Wochenende nach Hause kommt, um mit ihm einkaufen zu gehen. Er hat die letzten zwei Wochen am Siljansee verbracht, um nach Hechten zu fischen. Aber das ist kein Problem, denn ich bin schon ein großes Mädchen und kann auch allein zu Hause bleiben.
Mit Schwung richte ich mich wieder auf, wobei meine wilden dunklen Locken nach hinten fliegen. Mein Blick wandert durch die gemütliche kleine Küche, in der bereits reges Treiben herrscht. Pelles Brüder Anders und Emil sitzen schon auf der Holzbank am Tisch und schaufeln sich Pannkakor und Knäckebrote mit Marmelade in den Mund, als wären ihre Hände Baggerschaufeln. Matilda, Emils Zwillingsschwester, sitzt ihnen gegenüber und versucht es ihnen nachzutun. Sie hat überall Marmelade im Gesicht.
»Kaia, lilla gumman, du kommst genau richtig zum Frühstück.« Pernilla, Pelles Mama, wischt sich die Hände an ihrer Schürze ab und lehnt sich über den Küchentresen, um mich anzusehen. Ein Lächeln umspielt ihre weichen Züge und ich bewundere die Flechtfrisur, mit der sie heute ihre hellbraunen Haare gebändigt hat. Ich wünschte, ich könnte meine Haare so zurechtmachen, aber immer, wenn ich es probiere, endet es in Frust und ich muss Knoten aus meinen Locken bürsten.
»Ich hab gar nicht so Hunger«, murmele ich verhalten, obwohl mein Magen wütend protestiert. Auch wenn die Magnussons wie eine zweite Familie für mich sind, möchte ich trotzdem nicht, dass sie schlecht über meinen Pappa denken oder mich bemitleiden. Also lenke ich ab: »Ist Pelle schon wach?«
»Ja, er müsste gleich mit Vilma runterkommen.«
Ehe ich protestieren kann, schiebt Pernilla mir einen Teller mit frischen Pannkakor hin. Mein Magen knurrt lauter und ein bisschen beschämt ziehe ich den Teller vom Tresen zu mir, bevor ich leise ein Dankeschön murmle. Ich trage mein Frühstück zum Tisch und setze mich neben Anders, der sich gerade mit Marmeladefingern an der Nase kratzt.
»Wenn du nicht willst, ich nehm sonst auch noch ’ne Portion.«
Ich schnaube und strecke ihm die Zunge raus.
»Lass Kaia essen, du kannst dir bei mir noch mehr holen, Anders«, ruft Pernilla aus der Küche und ihr Zweitältester lässt sich das nicht zweimal sagen. Grinsend springt er auf und holt sich Nachschlag.
Ich stopfe mir derweil einen ganzen Pannkaka in den Mund und lasse den Blick durch die Küche schweifen, bis er an meinem liebsten Foto der Familie hängen bleibt, wie so oft. Darauf sind Pelles Pappa und Mamma zu sehen, die auf den Bäuchen auf dem Boden liegen und in die Kamera grinsen. Auf ihnen drauf liegen zuunterst Pelle und Anders, dann Emil und Matilda und oben auf dem Familienberg hockt die sehr zufriedene Vilma und klatscht in ihre knubbligen Babyhände. Der Teigbrei in meinem Mund schmeckt plötzlich nicht mehr so süß, wie noch gerade eben. Dabei ist Pernilla die beste Köchin, die ich kenne.
Matilda reißt mich aus meinen Gedanken, als sie mit einem Platschen mehr Blaubeermarmelade auf meinem Teller platziert.
»Mhanke«, bringe ich mit vollem Mund hervor und sie schenkt mir ein breites Grinsen, wobei sie eine große Zahnlücke entblößt.
»Wisst ihr eigentlich, dass Dinos Federn hatten?«, wirft Emil ein und sieht uns erwartungsvoll an.
»Ey, das hab ich dir gestern erzählt«, mault Matilda und sieht ihren Zwilling vorwurfsvoll an.
»Ja, aber wusstest du das schon, Kaia?«, ignoriert er sie und sieht mich weiterhin an.
»Du darfst nicht einfach meine Sachen weitererzählen! Mamma, Emil ärgert mich!«
»Ich ärgere sie überhaupt gar nicht, ich habe Kaia nur wichtige Dinofakten erzählt!«
»Ja, das wollte sie bestimmt unbedingt wissen«, kommt es von der Treppe, wo jetzt endlich Pelle aufgetaucht ist. Er hat seine braunen Haare zu einem Iro gegelt und wieder bin ich neidisch darauf, dass alle besser mit ihren Haaren umzugehen wissen als ich. An der Hand hält er Vilma, die, als sie mich sieht, begeistert strahlt und sich losreißt, um zu mir zu laufen.
Ich hebe sie hoch und setze sie auf Anders’ Platz neben mir, ehe ich ihr einen halben Pannkaka in die Hand drücke. Anders scheint das nicht zu stören, denn er lässt sich einfach auf einen der Barhocker am Küchentresen fallen, um den zweiten Teller mit Essen zu verdrücken.
Pelle strubbelt mir derweil zur Begrüßung durch die Haare. »Na, Kiki.«
»Na«, ich streiche mir die Haare wieder zurecht und schenke ihm ein Lächeln, ehe ich noch mal von meinem Pannkaka abbeiße. Per Magnusson ist mein bester Freund auf der ganzen weiten Welt und deswegen darf auch nur er mich Kiki nennen. Ansonsten bestehe ich auf Kaia.
»Danke fürs Essen, Mamma, muss los«, bringt Anders mit immer noch vollem Mund hervor und zieht seine Schuhe an. »Kommt ihr gleich mit?«, fragt er an Pelle und mich gewandt.
»Pelle hat doch noch nicht mal gefrühstückt«, seufzt Pernilla, während Pelle den Rest von meinem Pannkaka stibitzt und sich quer in den Mund schiebt.
»Pafft scho, Mamma«, nuschelt er.
»Dann pack dir wenigstens zwei Brote ein.« Pernilla schiebt ihm zwei in Butterbrotpapier eingewickelte Stullen zu, von denen Anders einfach eins einsteckt. Auch ich bekomme zwei und gebe wiederum eins an Pelle ab. Es ist fast schon eine lieb gewonnene und gut einstudierte Choreografie.
Vilma steht mittlerweile auf der Küchenbank und sieht unglücklich aus. »Vilma auch Schule!«, fordert sie bestimmt.
»Nein, wir zwei bringen gleich Matilda und Emil zur Schule und dann kochen wir Mittagessen, okay?«
Es ist offensichtlich nicht okay, denn Vilma fängt wie auf Knopfdruck an zu heulen. Als wäre sie eine kleine Sirene, scharen sich ihre vier Geschwister sofort um sie, geben ihr Küsschen, streicheln ihren blonden Schopf und reden ihr gut zu. Ich stehe ein bisschen betreten an der Tür und ziehe meinen Rucksack wieder auf. Neid brennt in meinem Bauch wie Lava und frisst sich immer tiefer in meine Eingeweide. Ich hätte auch gerne Geschwister.
Geschickt zieht Pernilla ihre Jüngste aus dem Kinderhaufen und trocknet ihr die Tränen. »Sie sind doch bald wieder da.«
Den Kopf an den Hals ihrer Mutter geschmiegt, schiebt Vilma den Daumen in den Mund, während Anders, Pelle und ich uns verabschieden.
»Ach wartet. Könnt ihr Pappa noch schnell sein Frühstück ins Sägewerk bringen? Das hat er heute Morgen vergessen«, fragt Pernilla, wartet aber gar keine Antwort ab, als sie uns das Frühstück schon einpackt.
Anders nimmt die Brottasche entgegen und wir verlassen das kleine rote Haus, um auf die Schotterstraße abzubiegen, die direkt zum Sägewerk der Magnussons führt. Immer wenn ich zwischen Anders und Pelle laufe, fühle ich mich richtig klein. Ich warte zwar tatsächlich noch darauf, ein paar Zentimeter zu wachsen, aber die Jungs hatten unglücklicherweise zuletzt erst einen ziemlichen Wachstumsschub. Pelle ist mittlerweile sogar der Größte in der ganzen Klasse.
Als wir durch das Tor zum Sägewerk treten, hört man schon die vertrauten Geräusche der Schneidemaschinen und es riecht nach frischem Holz.
Anders sieht sich um und lässt die Brottasche hin und her schlenkern. »Mal gucken, wo Pappa steckt.«
»Dreh dich mal um!« Magnus taucht plötzlich hinter uns auf, schnappt Anders, hebt ihn hoch und kitzelt ihn.
»Nicht, hahaha, Pappa, nein.«
Magnus lacht sein tiefes, fröhliches Lachen und denkt gar nicht daran aufzuhören. Er ist ein Bär von Mann. Das hat Pelles Mamma einmal über ihn gesagt und seitdem kann ich es nicht mehr vergessen. Aber kein gruseliger Bär, eher ein lieber Teddy. Er ist ganz groß, hat starke Arme und liebe Augen. Im Gegensatz zu Pelle und Anders hat er strohblonde Haare, die er sich beim Arbeiten zu einem Zöpfchen bindet, damit sie ihm nicht in die Augen hängen. Heute hat er offenbar ein Zopfgummi von Matilda stibitzt, denn es ist pink und glitzert.
»Pappa, wir müssen doch zum Bus«, mahnt Pelle, schmunzelt aber.
Magnus hält inne und hebt eine Braue. »Du redest ja wie ein alter Onkel, Pelle Magnusson. Ich glaube, du brauchst auch eine Durchkitzelung.« Ehe Pelle sich wehren kann, schnappt sein Pappa ihn mit dem freien Arm und fängt an, ihn ebenfalls zu kitzeln. Jetzt kichern und quietschen Anders und Pelle im Chor und ich kann mir ein breites Grinsen nicht verkneifen. Magnus hat sich Anders nun über die Schulter geworfen und hält Pelle vor sich im Schwitzkasten. Schwer atmend sieht er zu mir. »Und du, Kaialotta?« Ich mag, wenn er mich so nennt. An einem Sommertag, als wir alle am See gepicknickt haben, habe ich ihm erzählt, dass meine liebste Heldin Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf ist und ich auch lieber so einen tollen langen Namen hätte. Er hat sich dann ganz wilde Namen überlegt, die ich leider nicht mehr alle weiß, aber Kaialotta ist geblieben.
»Ich brauche keine Durchkitzelung«, wehre ich schnell ab.
»Doch, ganz sicher, so frech, wie du grinst«, fordert Pelle und sieht zu seinem Pappa hoch.
Magnus zuckt mit den Schultern. »Pelle hat gesprochen.« Und damit entlässt er seinen Ältesten aus seinem Griff, damit dieser mich durchkitzeln kann. Ich kichere und versuche mich zu verteidigen, aber Pelle ist stärker als ich.
»Stopp, stopp!«, quietsche ich und Pelle hört auf. Einen kurzen Moment gucken wir uns verschwörerisch in die Augen und kommunizieren, ohne ein Wort zu sagen. Dann stürzen wir uns johlend auf Pelles Pappa und kitzeln nun ihn. Anders, der immer noch über der Schulter seines Vaters hängt, versucht ebenfalls seinen Teil beizutragen. Magnus lacht grollend und geht zu Boden, wie ein gefällter Baum, wobei er Anders wie einen Schutzschild vor sich zieht. Wir werfen uns kichernd auf ihn und kitzeln ihn, bis wir völlig außer Atem sind.
»Gut, ich denke, jetzt seid ihr bereit für die Schule.« Magnus stellt Anders zurück auf die Füße und rappelt sich dann selbst hoch.
»Hier, deine Brottasche, Pappa.« Anders hält sie ihm hin und zum Dank werden ihm die Haare verstrubbelt.
»Wiedersehen«, rufen wir, während Magnus uns noch zum Tor begleitet und uns nachsieht, bis wir um die nächste Straßenecke verschwunden sind.
»Eine Durchkitzelung am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen«, stellt Anders fest und wir stimmen ihm nickend zu, während wir am Allzweckladen der Roséns und der Post vorbeischlendern. Aus der Bäckerei weht uns der verführerische Geruch von Zimtschnecken entgegen und nun bin ich doch sehr froh, dass ich etwas im Magen habe, denn sonst hätte ich wohl nicht widerstehen können.
Während meine Gedanken noch bei fluffigem Gebäck hängen, ruft Anders plötzlich: »Oh nein, der Bus ist schon da!«, als wir gerade den Dorfplatz erreicht haben. Sofort sprinten wir los, denn der nächste nach Mora kommt erst in einer Stunde. Die Jungs sind schneller als ich, obwohl ich mir alle Mühe gebe mitzuhalten.
Atemlos komme ich als Letzte am Bus an, doch Pelle steht in der Tür, um sie am Schließen zu hindern und grinst mich an. »Ohne dich fahr ich nicht.«
Einen Moment mustere ich meinen besten Freund mit klopfendem Herzen, dann steige ich schnell ein.
Mein Herz klopft fest in meiner Brust, als ich aus dem Bus aussteige und den ersten Fuß auf den Marktplatz von Måneby setze. Drei Jahre ist es jetzt her, dass ich zuletzt hier war, und es fühlt sich gleichzeitig an wie eine Ewigkeit und als wäre es erst gestern gewesen. Auch wenn meine letzten Erinnerungen an dieses Örtchen keine guten sind, durchflutet mich trotzdem die Erleichterung, endlich wieder in meinem Heimatort zu sein.
Ich hebe meinen Koffer auf den Gehweg und danke dem Busfahrer, der mir freundlich zuwinkt und dann die Tür hinter mir schließt. Jetzt gibt es mindestens eine Stunde lang keinen Weg zurück.
Ich atme tief die frische Oktoberluft ein und schließe kurz die Augen, um mich nach der fast fünftstündigen Fahrt von Stockholm zu strecken. Mit jedem Meter, den ich die Hauptstadt und damit auch mein Leben als Studentin hinter mir gelassen habe, ist der Druck auf meiner Brust ein bisschen zurückgegangen. Ich kann eine Pause von meinem Innenarchitekturstudium gerade wirklich gut gebrauchen, denn ich hänge ziemlich fest. Eigentlich sollte ich gerade schon fleißig an meiner Abschlussarbeit schreiben, aber bisher fehlt mir die zündende Idee und was meine Kreativität angeht, fühle ich mich schon seit einer Weile ziemlich ausgebrannt. Die letzten drei Jahre waren lehrreich, anstrengend und einsam, wenn ich ehrlich bin. Denn bis heute konnte ich nie so richtig Anschluss finden und habe immer noch das Gefühl, dort nur Gast zu sein. Zugegebenermaßen liegt das nicht nur an meinen Kommilitonen und Kommilitoninnen, sondern auch an mir. Lieber bin ich einen Abend mit meinem Zeichenblock allein geblieben, statt auszugehen. Ich bin eher introvertiert, daher ist das nicht ungewöhnlich für mich, aber so habe ich alle neuen Kontakte auf Distanz gehalten und ihnen auch gar nicht richtig die Möglichkeit gegeben, mich besser kennenzulernen. Mein Kopf war trotz der ganzen neuen Impulse immer wieder bei diesem kleinen Dorf in Dalarna. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass ich wieder hier bin.
Trotzdem hätte ich mir einen schöneren Anlass vorstellen können, um endlich zurück nach Måneby zu kommen. Und so gut sich dieser Ort auch anfühlt, ich habe Angst, die Menschen zu treffen, die ihn bewohnen. Mein Herz flattert so wild, dass mir das Blut in den Ohren rauscht, und ich lasse die Augen noch einen Moment geschlossen. Bestimmt bin ich gleich bereit, mich der Welt zu stellen.
»Kaia?«
Ich zucke zusammen und öffne die Augen. So viel dazu. Natürlich dauert es weniger als fünf Minuten, bis mich jemand entdeckt. In Måneby bleibt nichts lange geheim und alle wissen über alles Bescheid, wie ich auch vor drei Jahren schmerzlich feststellen musste.
Vor mir taucht das grinsende, wettergegerbte Gesicht von Örjan Rosén auf, dem Besitzer des Allzweckladens und wenn ich nicht hier geboren worden wäre, würde ich vermutlich denken, dass ich doppelt sehe, denn plötzlich schaut ein zweiter Mann, der Örjan zum Verwechseln ähnlich sieht, über dessen Schulter.
»Tatsächlich, Örjan, es ist Kaia Dahlberg. Hast du gewusst, dass sie kommt?«, fragt Örjans Zwilling Jöran, der ihm bis aufs Haar gleicht.
»Nein, Jöran, das hätte ich dir ja wohl erzählt.«
»Da kann man sich bei dir nie sicher sein.«
»Nun mach aber mal halblang. Wenn Kaia ihr Studium in Stockholm beendet hätte, hätte ich es dir natürlich erzählt.«
»Du hast mir auch verschwiegen, dass Rune keine Haferkekse mag.«
»Das hättest du wissen können. Sie sind steinhart und er arbeitet in einem Bergwerk.«
»Hej, ihr zwei«, unterbreche ich das Gespräch der Zwillinge, weil ich weiß, dass es noch endlos so weitergeht, wenn ich mich nicht wieder ins Gedächtnis rufe. Die beiden Mitvierziger führen den Allzweckladen der Familie Rosén und auch die kleine Post in Måneby. Wer welche Aufgabe übernimmt, wechselt dabei eigentlich wöchentlich und dennoch sind die zwei kreuzbeleidigt, wenn man nicht auf dem aktuellen Stand ist. Außerdem streiten sie sehr oft und leidenschaftlich, können aber natürlich auch nicht ohneeinander. Beide sind verheiratet und haben Kinder, die ein paar Jahre jünger sind als ich. Vor ein paar Jahren war Anders ganz verschossen in Olea Rosén, die Älteste von Örjan.
Schnell verdränge ich den Gedanken, denn wenn man an einen Magnusson denkt, kommen unweigerlich auch die Erinnerungen an einen anderen hoch, die ich gerne noch ein bisschen von mir fernhalten will.
»Ich habe leider keine Zeit zum Plaudern, ich bin mit einem Anwalt verabredet.«
»Mit einem Anwalt? Doch nicht etwa …«
»O ja, Jöran, es muss dieser schreckliche Mann aus Stockholm sein.«
»Er wollte keine Knäckebrotempfehlung von mir!«
»Er hat sich nicht bedankt, als ich ihm zu einem günstigeren Porto geraten habe!«
Ich atme tief ein und fahre mir mit Daumen und Zeigefinger über die Augen. »Er ist also schon länger hier?« Nicht eine Minute hege ich Zweifel daran, dass wir von ein und derselben Person reden. Wie gesagt: In Måneby fällt jeder Neuankömmling auf wie ein riesiges rotes Dalapferd.
»Ja, seit gestern. 15 Uhr schätze ich?«
»Nein, es war sicher schon –«
»Okay, okay, seit gestern. Danke euch. Ich schaue bestimmt später mal im Laden vorbei«, unterbreche ich ihre Zankerei und ziehe meinen Koffer ein Stück weiter. »Kann ich den zufällig bei euch unterstellen?« Ich möchte ihn ungern den ganzen Weg zum See hinter mir herziehen und da ich noch nicht weiß, wo ich heute schlafen werde, kann ich ihn nirgendwo sonst lagern.
»Ja sicher. Gib ihn mir, ich nehme ihn mit.« Jöran schnappt sich den Koffer und grinst, weil er seinem Bruder zuvorgekommen ist.
Ich winke den beiden und setze meinen Weg die Hauptstraße runter Richtung See fort. Am liebsten würde ich mich unsichtbar machen und jeder weiteren Begegnung aus dem Weg gehen. Mein Måneby erkunden, ohne dass mich jemand dabei stört. Es fühlt sich seltsam an, wieder hier zu sein, wieder mit den Leuten zu reden, als wäre ich nur kurz im Urlaub gewesen. Dabei sind es ziemlich genau drei Jahre, seitdem sie mich alle verraten haben. Ich ziehe meinen Mantel fester um mich und zwinge mich, meine Gedanken zurück auf das zu lenken, was vor mir liegt.
Als vor zwei Wochen der Brief in meinem Briefkasten lag, war ich zunächst fest überzeugt davon, dass sich der Postbote vertan haben musste. Warum sollte mir eine Anwaltskanzlei schreiben? Doch ich hatte dem Postboten unrecht getan.
Sehr geehrte Frau Dahlberg,
leider müssen wir Sie darüber unterrichten, dass Frau Marit Holm verstorben ist. Kommen Sie bitte am 14.10., um 15 Uhr zur Verkündung des Erbes nach Måneby.
Holmhuset
Sjögatan 1
Måneby
Gezeichnet,
Gunvald Krantz
Ich hatte den Brief minutenlang angestarrt und unzählige Male gelesen, bis die Worte richtig zu mir durchgedrungen waren. Marit war tot. Und ich hatte sie seit drei Jahren nicht mehr besucht, weil ich mir geschworen hatte, keinen Fuß mehr nach Måneby zu setzen. Tränen waren gekommen und hatten mich den ganzen Abend und auch die kommenden Tage immer wieder begleitet. Ebenso wie das hässliche Schuldgefühl, das sich in meine Eingeweide fraß.
Auch jetzt brennt es in meinem Magen, während ich auf den Weg zum See abbiege. Es war feige von mir, Måneby und Marit den Rücken zu kehren, nur weil ich keinen der anderen mehr sehen wollte. Marit war die Einzige, die immer auf meiner Seite stand, bedingungslos. Und nun ist sie für immer fort. Ein Kloß bildet sich in meinem Hals und egal wie oft ich schlucke, ich werde ihn nicht los, bis das Haus in Sicht kommt. Das Bild, das sich vor meinen Augen abzeichnet, ist eines, das wohl viele im Kopf haben, wenn sie an ein Schwedenhaus denken: rotes Holz, weiße Sprossenfenster und Türrahmen. Holmhuset ist allerdings nicht nur für Månebyer Verhältnisse ein sehr imposanter Bau – ich bin sicher, dass es in ganz Schweden als kleine Villa durchgehen würde und mit seiner Lage direkt am See und dem großen dazugehörigen Grundstück einen stattlichen Preis erzielen würde. Ich erwische mich dabei, wie ich mich das erste Mal frage, aus welchem Holz das Haus eigentlich genau gebaut wurde. Mein Studium ist also doch nicht ganz spurlos an mir vorbeigegangen. Zwar habe ich es auch früher schon immer bewundert, aber auf eine kindliche Art. Jetzt betrachte ich es aus Sicht einer angehenden Innenarchitektin und spüre das erste Mal seit Wochen wieder einen Funken von Wissbegier in mir aufflammen.
Kurz halte ich inne. Ein warmes Gefühl löst die Schuld in meinem Magen ab und Erinnerungen an fröhliche Tage schwappen über mich, als wäre ich das Seeufer. Plätzchen backen in der großen Landhausküche mit Blick in den verschneiten Garten und auf den zugefrorenen See. Auf der großen Couch im Wohnzimmer lümmeln, den ganzen Tag lesen und mich mit Marit über die Bücher austauschen, während wir heiße Schokolade trinken. Mitternachtsschwimmen an warmen Sommertagen, wenn ich in Holmhuset übernachten durfte. Marits Schlafzimmer, das immer ein bisschen nach Moltebeere und Moosglöckchen roch, wie ihr Lieblingsparfum. Tränen erschweren mir die Sicht und ich atme tief durch, ehe ich sie wegblinzle. Dann setze ich mich wieder in Bewegung und überwinde die letzten Meter bis zu dem kleinen roten Tor, das den Weg zum Haus flankiert. Als ich es öffne, quietscht es leise und kündigt so scheinbar meine Ankunft an, denn noch ehe ich den Klingelknopf betätigen kann, wird die Haustür schon von einem untersetzten Mann mit Halbglatze aufgerissen.
»Kaia Dahlberg?«, schnarrt er mit einer überraschend hohen Stimme und mustert mich argwöhnisch.
Ich nicke schnell. »Ja, genau die.«
»Du bist fünf Minuten zu spät«, teilt er mir mit, erwartet aber wohl keine Entschuldigung, denn er dreht sich einfach um und geht ins Haus.
Irritiert hebe ich eine Braue, schließe die Tür hinter mir und folge ihm. Schon im Flur merke ich, dass sich etwas verändert hat. Wenn ich Holmhuset früher betreten habe, schlug mir sofort eine wohlige Wärme entgegen, meistens ein leckerer Geruch aus der Küche und Marits sanfte Stimme. Nun ist es kalt und, abgesehen von Gunvalds trampeligen Schritten auf dem Holzboden, ganz still. Ich betrete das große Wohn- und Esszimmer und reibe mir unwillkürlich die Arme. Alle Möbel sind abgedeckt, bis auf einen Tisch, an dem wir früher immer gemeinsam gegessen haben. Dort hat der Anwalt nun sein Lager errichtet und es stapeln sich Papiere und Mappen neben einem Laptop. Ich komme nicht umhin, ihn als Eindringling zu empfinden. Er passt hier nicht rein und er sollte auch nicht hier sein. Marit sollte hier sein.
»Setz dich«, schnarrt er, ohne von seinem Bildschirm aufzublicken und ich spüre den Wunsch in mir aufkeimen, Nein zu sagen und ihn rauszuwerfen.
Stattdessen lasse ich mich auf einen Stuhl gegenüber von ihm fallen und warte darauf, dass er wieder hinter seinem Laptop auftaucht. Einen kurzen Moment herrscht unangenehme Stille, ehe er mir endlich wieder Aufmerksamkeit schenkt.
»So, dann wollen wir mal. Marit hat mich vor ihrem Tod beauftragt, ihr gesamtes Vermögen zu verwalten und hat mir auch sehr genaue Anweisungen zum Vorgehen gegeben.« Letzteres sagt er mit deutlichem Unwillen in der Stimme.
»Okay?« Ich bin nicht ganz sicher, ob er mir damit sagen will, dass es in diesem Fall ein besonderes Prozedere gibt oder ob er grundsätzlich genervt von seinem Job ist.
Der Anwalt setzt eine Lesebrille auf, nimmt einen Zettel zur Hand und räuspert sich. »Hiermit verlese ich den Teil des Testaments, der Frau Kaia Dahlberg, geboren in Måneby, betrifft: Frau Marit Holm hinterlässt Frau Kaia Dahlberg sechs Millionen Kronen sowie eine Hausversicherung über weitere drei Millionen Kronen. Außerdem erhält die Erbberechtigte den gesamten Schmuck und alle Möbel, die sich zum Zeitpunkt des Todes in Holmhuset befinden.«
Mein Mund steht weit offen. Ich wusste zwar, dass Marit eine wohlhabende Frau war, aber dennoch habe ich nie darüber nachgedacht, was das in Zahlen bedeutet und schon gar nicht, dass sie auf die abstruse Idee kommen könnte, mir das alles zu hinterlassen. Scheinbar ist Gunvald aber noch nicht fertig mit seinen Ausführungen und mein Magen zieht sich zusammen.
»Kaia Dahlberg wird von der Verstorbenen beauftragt, ihre Kunstsammlung an ein geeignetes Museum als Leihgabe zu übermitteln. Etwaige daraus entstehende Einnahmen sollen regelmäßig für gute Zwecke gespendet werden. Die Erbberechtigte übernimmt des Weiteren die Pflichten der Verstorbenen im Dorfrat.«
»Was? Ich wohne gar nicht in Måneby, das geht ni…«, will ich einwenden, aber Gunvald stoppt mich mit erhobener Hand.
»Ich bin noch nicht fertig.«
»Das habe ich befürchtet«, brummle ich, lehne mich mit verschränkten Armen zurück und verziehe das Gesicht. Marit, was hast du dir dabei nur gedacht?
»Holmhuset geht zur Hälfte in den Besitz der Erbberechtigten über«, fährt der Anwalt fort, als wäre das, was er da gerade sagt, nicht das Absurdeste, was er je gehört hat.
Ich sitze da wie erstarrt und halte den Atem an. Holmhuset soll zur Hälfte mir gehören? Das Haus, in dem ich einige der schönsten Momente meiner Kindheit und Jugend erlebt habe? Der Ort, der für mich immer die Traumvorstellung eines Heims war? Wo ich mich mehr zu Hause gefühlt habe als in meinem eigentlichen Zuhause? Mir ist schwindelig.
»Das Erbe ist an folgende Bedingungen geknüpft:
1. Das Ehepaar erbt das Haus nur, wenn sie es auch gemeinsam bewohnen.
2. Die jeweiligen Anteile an Holmhuset dürfen erst nach Ablauf eines Jahres nach dem Todesfall der Testamentsinhaberin verkauft werden.
3. Die Erben verpflichten sich, Holmhuset nach bestem Wissen und Gewissen zu renovieren und instand zu halten.
Gunvald Krantz wird als Anwalt beauftragt, die Einhaltung dieser Bedingungen im ersten Jahr nach Todesfall zu überprüfen.«
Ich sehe ihn an, als hätte er gerade in Fantasiesprache mit mir gesprochen. »Ehemann?«, platzt es schließlich aus mir heraus. Wovon redet der Kerl? Ich bin nicht und war nie verheiratet. Vielleicht hat er sich doch vertan mit diesem ganzen Erbe. Oder es ist ein wilder Traum? Das würde zumindest mehr Sinn ergeben als alles, was ich gerade gehört habe.
»Ja, Ihr Ehemann und Erbe der anderen Hälfte des Hauses: Per Magnusson«, sagt Gunvald missbilligend, als könnte er nicht glauben, dass er mir das erläutern muss.
Per Magnusson.
Pelle.
Ich möchte jetzt bitte sofort aus diesem Albtraum aufwachen. Ich will nicht über Pelle reden, schon gar nicht mit einem Anwalt, der denkt, dass wir verheiratet sind. Ich will nicht erklären müssen, dass wir es nicht sind. Was hat Marit sich dabei gedacht? War sie in den letzten Jahren doch seniler, als ich wahrgenommen habe? Ja, ich habe sie nicht besucht, aber wir haben geschrieben und telefoniert. Sie schien mir immer völlig klar und bei Verstand zu sein. Gut, sie hat oft versucht, mich auf Pelle anzusprechen und war immer dafür, dass wir uns wieder vertragen – trotzdem bin ich mir ziemlich sicher, dass sie ganz genau wusste, dass wir nicht verheiratet sind. Über was mache ich mir hier gerade Gedanken, natürlich wusste sie das! Das muss ein Fehler sein.
»Steht da wirklich Ehemann?«, frage ich nach und lehne mich quer über den Tisch, um mir das Papier aus Gunvalds Hand zu schnappen, aber er ist schneller und drückt es an sich.
»Also bitte, natürlich bin ich sicher. Das ganze Testament wäre schließlich ungültig, wenn es keine Eheleute geben würde.«
Ich sinke zurück auf meinen Stuhl und atme tief ein. Okay, okay, nicht durchdrehen Kaia. Du kannst ihm einfach sagen, dass du nicht mit Pelle verheiratet bist, dann hat dieser ganze Spuk ein Ende. Du erbst das Haus nicht und alles ist wieder wie vorher. »Was würde denn in diesem hypothetischen Fall mit dem Haus passieren?«, frage ich vorsichtig.
»Nun, es würde an den Meistbietenden verkauft werden. Meiner Einschätzung nach ist es in so renovierungsbedürftigem Zustand, dass man es wohl abreißen würde. Der wahre Schatz ist das Grundstück an sich. Diese Lage am See – ganz wunderbar verkäuflich.«
Es zwickt in meinem Magen. Die Vorstellung, dass dieses Haus einfach versteigert wird oder, im schlimmsten Fall, vielleicht sogar abgerissen werden könnte, trifft mich bis ins Mark. Wie vorhin, als ich den Anwalt aus Holmhuset verjagen wollte, überkommt mich erneut das unbändige Bedürfnis, diesen Ort zu beschützen. Koste es, was es wolle. Moment. Wirklich egal, was es kostet? Kann ich mir vorstellen, ein Jahr lang hier mit Pelle zu wohnen und Eheleute zu spielen? Mich schaudert es bei dem Gedanken, aber andererseits schuldet er mir etwas. Ich werde knallharte Abstandsregeln einführen und in einem Jahr bezahle ich ihn aus und dann ist es mein Haus. Mein Zuhause. Ein Kribbeln wärmt mich von innen. Es ist eh nicht fair, dass er nach unserer Trennung ganz Måneby behalten durfte. Ich lasse mich nicht noch mal vertreiben.
Ich atme tief durch, straffe die Schultern und sehe Gunvald an. »Ja, mein Mann und ich sind auch begeistert von der Lage und würden das Haus natürlich nicht abreißen.« Mein Mann. Hmpf.
»Das überlasse ich ganz euch«, erwidert Gunvald ein bisschen schnippisch. »Also, willst du das Erbe antreten?«
Meine Stimme klingt viel selbstsicherer, als ich mich fühle: »Ja, ich trete das Erbe an.«
Schweiß rinnt mir von der Stirn über die Schläfen, während ich etwas mehr Druck mit der Schleifmaschine ausübe und die Kante des kleinen Schränkchens runder schmirgle. Ich schalte die Maschine aus, richte mich auf und betrachte mein Werk, ehe ich mir mit dem Ärmel über das Gesicht wische. Ja, das ist doch alles in allem schon nicht schlecht.
»Pelle!« Matilda platzt in die Schreinerei und stürzt zu mir, als wäre ich Wasser beim Wasalauf.
Ich sehe zu meiner kleinen Schwester und hebe fragend eine Braue. Wenn ich schon wieder zwischen ihr und Emil schlichten muss, wer als Nächstes das Auto haben darf, muss ich ein Machtwort sprechen. Ist ja schön und gut, dass die Zwillinge jetzt mehr ihre jeweilige Individualität leben wollen, aber wenn sie zu denselben Leuten und denselben Partys wollen, müssen sie auch zusammen fahren.
Meine Schwester bleibt keuchend stehen und richtet zuerst ihren Pony, den sie sich vor ein paar Wochen selbst geschnitten hat. Ich höre regelrecht, wie sie mich verbessert: Das sind Curtain Bangs, Pelle. Ich bin nicht sicher, was der Unterschied ist, aber sie sind pflegeintensiv, so viel kann ich sagen. Tillie widmet ihre Aufmerksamkeit jetzt wieder mir und grinst breit. »Liebster Pelle …«
Ich atme tief ein. So geht es immer los. Sie guckt mich aus ihren braunen Knopfaugen an, klimpert mit den Wimpern und dann erklärt sie mir, warum es unabdingbar ist, dass ich bei ihrem TikTok mitmache oder ihrer besten Freundin eine Kommode baue oder mich auf ihre Seite stelle, falls Emil fünf Minuten später auftauchen sollte.
»… ich hab vielleicht meine Schranktür kaputt gemacht.« Sie klimpert besonders doll mit den Wimpern und ich komme nicht umhin mich zu fragen, von wem sie sich das abgeschaut hat. Unsere Mutter habe ich das jedenfalls noch nie machen sehen.
»Inwiefern kaputt gemacht?«
»Na ja, sie hängt jetzt nur noch an einer Angel.« Matilda beugt ihren Körper nach links, lässt die Arme baumeln und streckt die Zunge raus.
»Tillie …«, brumme ich ein bisschen genervt und sie richtet sich wieder auf.
»Ja, sorry, aber Emil hat mich wieder so aufgeregt …«
»Was kann die Schranktür dafür?«
»Sie war zur falschen Zeit am falschen Ort.«
Ich stöhne, aber gebe auf. »Ich gucke mir das nachher an, okay? Ich muss gleich zu Börje und ihm helfen, sein neues Teleskop zu installieren.«
»Warum hilft Sixten ihm nicht?«
»Weil Sixten sich weigert, das Museum zu betreten, weißt du doch.«
»Er stellt sich ganz schön an. Aber na gut, nachher ist auch okay.« Matilda lächelt gnädig, als die Tür erneut auffliegt und ihr Zwillingsbruder ebenso schwungvoll reinplatzt wie sie zuvor. Dafür, dass die zwei so unterschiedlich sein wollen, sind sie sich doch sehr ähnlich.
»Pelle, Mamma fragt, ob du nachher Pappas Medikamente abholen kannst, wenn du zu Börje gehst.«
»Klar«, ich nicke fast schon automatisch.
»Super und kannst du mir dann auch Snacks mitbringen?«, fügt Emil an.
»Du kannst dir selbst Snacks kaufen«, wehre ich ab.
»Ich muss aber lernen. Für Mathe.« Emil versucht sich an einem Hundeblick, der seiner Schwester besser gelingt, aber trotzdem ausreicht, um mich weichzuklopfen.
»Na, von mir aus, was willst du denn?«
»Du bist der Beste, also ich hätte gerne –«
»Ihr zwei sollt euren Bruder nicht ständig so ausspielen«, kommt es von der Werkstatttür. Unser Vater rollt in seinem Rollstuhl herein und sieht Matilda und Emil streng an.
Die Zwillinge heben abwehrend die Hände, als hätten sie es einstudiert.
»Würden wir nie tun, Pappa.« Matilda lehnt sich zu ihm runter und küsst seine Wange, dann sieht sie zu mir zurück und formt mit den Lippen das Wort Schranktür, ehe sie rausflitzt.
»Ich texte dir gleich ’ne Snackliste, danke Bro«, und damit verschwindet auch Emil aus der Werkstatt.
»Emil kann sich doch selbst Snacks kaufen, Pelle«, brummt mein Vater und rollt zu mir, um sich das Schränkchen anzusehen, an dem ich gerade arbeite.
»Er muss für Mathe lernen. Es ist schon okay, ich bin nachher eh im Dorf«, murmle ich und fahre mir durch die Haare. Mein Vater ist alt geworden. Wie so oft beschleicht mich der Gedanke, dass der Unfall ihn auf einen Schlag zehn Jahre gekostet hat.
»Trotzdem, Pelle … manchmal habe ich Sorge, dass du so beschäftigt damit bist, dich um alle anderen zu kümmern, dass du darüber dich selbst ganz vergisst.« Er sieht mir ernst in die Augen und ich spüre, wie mir die Hitze in die Wangen steigt. Für so ein Gespräch habe ich heute wirklich keine Kapazitäten.
»Pappa, so ist es nicht …«, setze ich an, doch er winkt ab und rollt wieder in Richtung Tür.
»Ich will dich auch nicht weiter stören. Gute Arbeit mit dem Schränkchen, mein Junge.«
»Aber …« Doch da ist er schon aus der Tür raus. Ich befürchte, dass ich ihn an all das erinnere, was er selbst nicht mehr kann. Unschlüssig sehe ich auf das Schränkchen vor mir und sortiere im Kopf meine To-dos für heute, damit mir nichts durchrutscht.
Als die Tür erneut aufgeht, mache ich mich schon darauf gefasst, dass ich meine Liste anpassen muss. Gedanklich erwarte ich so sehr, ein weiteres Mitglied meiner Familie zu sehen, dass mein Gehirn einen Moment lang gar nicht verarbeiten kann, wer da die Werkstatt betritt.
Die zierliche junge Frau mit den wilden braunen Locken heftet sofort den Blick auf mich und in mir brennt eine Sicherung durch. Wie oft habe ich mir gewünscht, dass genau das passiert? Dass sie einfach so zur Tür hereinspaziert und alles wieder gut ist. Aber sie ist nicht zurückgekommen. Bis heute. Ein Wispern entkommt meinen Lippen. »Kaia?«
Sie stapft mit festen Schritten in meine Richtung, den Blick auf mich geheftet. Eine Gänsehaut zieht sich über meinen gesamten Körper bis hoch zu meinen Haarspitzen. Im Nacken vibriert die Spannung so stark, dass ich nicht anders kann, als mit meiner Hand darüberzufahren. Kaia bleibt direkt vor mir stehen und sieht zu mir hoch. Ich sehe zu ihr runter. Verdammt.
»Wusstest du davon?«
»Wovon?«, frage ich ehrlich verwirrt.
»Tu nicht so, von dem Testament natürlich?«
Testament? Ich habe keine Ahnung, wovon sie redet und ehrlich gesagt kann ich mich gerade nur schwer auf ihre Worte konzentrieren, so nah wie sie mir ist. So nah wie sie mir seit Jahren nicht war. Sofort fluten unzählige Fragen meinen Kopf. Was macht sie hier? Seit wann ist sie da? Bleibt sie? Aber anstatt die Fragen zu stellen, die mir so sehr auf der Seele brennen, sehe ich sie einfach nur an. Manchmal wird einem erst richtig bewusst, wie sehr man jemanden vermisst hat, wenn man mit seiner Nähe konfrontiert wird.
»Hallo? Pelle?« Kaia schnippt mir genervt vor dem Gesicht herum und ich greife reflexartig nach ihrer Hand, nur um es in derselben Sekunde zu bereuen. Während meine eigene Hand an den Stellen, wo ich sie berühre, in Flammen aufgeht, versucht sie mich mit ihrem Blick in Schutt und Asche zu legen.
»Sorry«, ich spüre, wie sie ihr Ziel erreicht und zumindest meine Wangen entflammen, ehe ich sie loslasse, als hätte ich obendrein einen Stromschlag bekommen. Ich räuspere mich umständlich. »Ähm, also, von welchem Testament sprichst du?«
Kaia atmet tief ein, schließt kurz die Augen, um mich dann wieder anzusehen. Nicht mehr ganz so heiß und zerstörerisch, aber immer noch eindeutig wütend. »Das Testament von Marit.« Sie lässt den Satz ohne weitere Erklärung so stehen und beobachtet mich.
»Ah«, erwidere ich eloquent. »Ich nehme an, du wurdest darin genannt?« Kaia und die alte Dame standen sich immer nah. Ich hatte ein bisschen damit gerechnet, dass sie zur Beerdigung kommen würde, aber als sie selbst dort nicht aufgetaucht war, hatte ich das Gefühl gehabt, dass sie nie wieder kommen würde. Und jetzt ist sie hier. Bei mir.
»Hör auf, dich so dumm zu stellen, Pelle«, faucht Kaia und kommt noch näher, was mich unwillkürlich zurückweichen lässt. Von außen muss das ein lustiger Anblick sein. Ein 1,90 Meter großer Typ weicht vor einem Mädchen zurück, das nie die 1,60 Meter erreicht hat. Wenn die wüssten.
»Ich stelle mich nicht dumm. Ich habe, entgegen deiner offensichtlichen Annahme keine Ahnung, was in diesem Testament steht.«
Kaia verengt die Augen und mustert mich, als würde sie versuchen zu erkennen, ob ich lüge. Dabei sollte sie wissen, dass ich kein guter Lügner bin.
»Na gut, nehmen wir mal an, ich würde dir glauben.« Sie beginnt damit, mich zu umkreisen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.
»Warum auch nicht, ich sage ja die Wahr…«
»Ah-ah-ah«, mahnt Kaia und hält abwehrend eine Hand hoch. »Nehmen wir an, du sagst die Wahrheit. Dann verstehe ich trotzdem nicht, warum du nicht ebenfalls eine Einladung zur Testamentseröffnung erhalten hast. Denn auch du stehst darin.«
Verwirrung macht sich in mir breit. Ich? Warum sollte ich in Marit Holms Testament stehen? Ja, ich kannte sie, seit ich ein Kind war, aber im Gegensatz zu Kaia habe ich nicht regelmäßig meine Zeit in Holmhuset verbracht. Nachdem Kaia Måneby verlassen hatte, hat Marit nur noch ein einziges Mal mit mir geredet und das war, um mir eine Standpauke zu halten. Wenn jemand nicht in ihr Testament gehört, dann bin ich das.
Kaia hört dankenswerterweise auf mich zu umrunden und bleibt wieder vor mir stehen. »Wir beide sind die Erben von Holmhuset.«
Mir entkommt ein schnaubendes Lachen. Okay, ich weiß jetzt, was hier los ist. Ich träume. Ich muss träumen. Das ist doch alles viel zu absurd, um wahr zu sein. Doch Kaia setzt noch einen drauf.
»Und zwar als Ehepaar.«