Mensch Münster - Rolf Heutmann - E-Book

Mensch Münster E-Book

Rolf Heutmann

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Beschreibung

Wie verdient man als Münsteraner in Las Vegas zehn Millionen Dollar? Erleben Sie einen Punker im Maßanzug und eine Handvoll Frauen, die es mit dem Papst aufnehmen. Ein Rentner mit ungewöhnlich hohem Kontostand erklärt, welche Rolle Geld spielt, wenn Geld keine Rolle spielt, während ein Straßenmusiker sogar noch auf dem Friedhof verehrt wird. Reisen sie mit über das Kopfsteinpflaster der Stadt, in der nicht nur Adelige verdammt geerdet sein können. Der deutsche Schlagergott ist es bestimmt auch. Er hat sein Zelt hier aufgeschlagen und säuselt von Münster aus seine schlüpfrigen Zeilen. Trinken Sie mit aus dem Kelch der Lust! Willkommen in der Stadt! Willkommen auf der Insel der Sicherheit das Zentrum des Universums ist. Das Epizentrum des echt platten Landes drumherum ist sie auf jeden Fall.

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ROLF HEUTMANN

Münster 2024

LAYOUT UND COVER: Aschendorff Verlag, B.K.

E-BOOK-HERSTELLUNG: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt

© 2024 ASCHENDORFF VERLAG GMBH & CO. KG, MÜNSTER

www.aschendorff-buchverlag.de

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Vergütungsansprüche des § 54 Abs. 2 UrhG werden durch die Verwertungsgesellschaft Wort wahrgenommen.

ISBN 978-3-402-25068-6 (Print)

ISBN 978-3-402-25069-3 (Epub)

FÜR STEFFI, LENA UND LUISE

WAS WÄRE DIE WELT,

WAS WÄRE EINE STADT

OHNE IHRE MENSCHEN?

INHALT

Cover

Titel

Impressum

VORWORT

WILLKOMMEN IN MÜNSTER… wir überlegen uns das mal…

TALK OF FAME… wegen city of stars

DAS LEBEN IST EIN SPIEL… und einer wird gewinnen

EIN HAUCH VON ADELWilma Gräfin von Westphalen

GOLDKEHLCHENSMS aus dem Schlagerolymp

HAPPYEine romantische Dramödie in zwei Akten

DIE LIZENZ ZUM MÜNSTERNDie geilste Stadt der Welt

TRIFFT EINER EINEN UREINWOHNERGanz oder gar nicht

DER BUS AM RANDE DER WELTWenn am Hafen die Kleinstadtsonne untergeht

DIE BÜHNE DER STADTOder: was man von hier aus sehen kann

DER PUNK JAGT ADAM R.… obwohl er Manieren hat

ICH BIN KEIN TATORT-ONKELSagt der Mann mit den viereckigen Augen

ES RIECHT NACH MORD …… und Büchern

DIE HÖCHSTEN BERGE DER STADTGeld stinkt nicht?

DER ALTE MANN UND DAS GELDWelche Rolle spielt Geld, wenn Geld keine Rolle spielt?

SKYFALLDem Himmel so nah und doch so fern

EIN LIED GEHT UM DIE WELT„Damit kann man ja nicht rechnen.“

ALLES ROGERHeimatgrüße in den Rest der Welt

DU LEBST NUR EINMAL …… until the day that I die …

WOHNEN UND HAUSEN LASSENMogule, Moneten & Manieren

DIE FRAGE STIRBT NIE… und das ganze Leben …

DIE WAHRHEIT ÜBER MÜNSTER …… ist so einfach zu finden

EIN QUANTUM PROSTDas Beste kommt zum Schluss

AUTOR

VORWORT

„Sind Sie wahnsinnig?“

Gute Frage!

Das war die erste Rückmeldung, die ich für meine allerersten Manuskriptseiten aus berufenem Mund bekommen habe. Ich hatte eine vom Umfang her sehr mager daherkommende Leseprobe einem Fachmenschen der Buchbranche auf den Schreibtisch gelegt. So wurde ich hart aber herzlich abgekanzelt.

„Sie können dieses Buch doch nicht ‚Münster – kein Reiseführer‘ nennen. Was soll das sein?“

Bevor ich antworten konnte, munterte mich der dritte Satz allerdings schon wieder auf: „Davon möchte ich mehr lesen. Schreiben Sie!“

Also schrieb ich. Ein Buch, das aber tatsächlich und wie angekündigt kein Reiseführer werden wollte.

In diesem Buch finden Sie keine Tipps für must-sees und most-niceplaces. Dafür lernen Sie die Stadt kennen, weil Sie Menschen begegnen werden. Menschen, die eine Stadt ausmachen, vielleicht noch mehr als Steine, Häuser, Wahrzeichen es tun. Es sind Geschichten von der Straße, Geschichten aus dem Leben. Geschichten von ganz oben, ganz unten und aus dem Mittendrin. Insofern ist dieses Buch tatsächlich: kein Reiseführer.

Schnuppern Sie gerade zum ersten Mal als Gast durch die wahrscheinlich kleinste, aber mit Abstand schönste und mit Sicherheit flachste Metropole der Welt? Wohnen Sie bereits in Münster? Oder überlegen Sie, ob Sie Münster besuchen oder gar hier leben wollen?

Münster findet sich selbst famos, ach was sage ich: wunderbar! Aber wie finden Sie Münster?

So oder so: streifen Sie gerne mit mir durch die Stadt und atmen den Takt meines Münsters. Machen Sie sich aus meinem Ihr eigenes Bild und kommen Sie zu der Erkenntnis:

Münster ist …

Ja, was ist es denn?

Das fragt Sie mit herzlichem Gruß

Rolf Heutmann

WILLKOMMEN IN MÜNSTER

… wir überlegen uns das mal …

Meine Hose ist tatsächlich gestrichen voll. Ich hasse Klischees, aber auf dem Weg mit dem Fahrrad in die Dominikanerkirche mitten in der Stadt schüttet es aus allen Kübeln. Die Jacke hält dicht. Aber das Wasser sucht sich zielsicher seinen Weg. An den Beinen rinnt die Suppe munter runter. Münsterwetter. Entweder es regnet oder die Kirchenglocken läuten, sagt man hier. Aber lassen wir das.

Angekommen prasselt es drinnen im alten Dominikanergemäuer Realität. Die Geistlichen sind hier lange verschwunden. Weit und breit ist kein Altar mehr. Stattdessen: die reine Erkenntnis. Wissen. Die Erleuchtung. Keine Predigt liturgiert mehr festlich hallend.

Durch den ansonsten glaubensleeren Raum schwingt eine fette 48 Kilo-Metall-Kugel. Aufgehängt ist sie an einem seidenen Faden. 3 Edelstahl-Millimeter-dick. Sonst nichts. Von links nach rechts. Von rechts nach links. Nur das Knarren der historischen Eichentür aus dem 18. Jahrhundert durchbricht die pendelnde Stille, wenn ein Tourist zaghaft den Raum betritt. Von links nach rechts. Von rechts nach links. Unschuldig und gleichmäßig, wie das Weiß der Westen der Priester, die vor Jahr und Tag in diesem Raum ihre Dienste verrichtet haben. Hiin und heer.

Diese Kirche macht dem Namen Gottes nicht mehr sonderlich viel Ehre. Heeer und hiiin. Der Stadt jetzt umso mehr. Und wieder zurück. Vor ein paar Jahren fegte Münsters katholische Geistlichkeit den heiligen Geist aus dem bereits kommunalen Gebäude hinaus. Einmal profaniert, lichtet sich der Weihrauchnebel und im aufgehenden Licht der neuen Zeitrechnung erscheint: der heilige Künstler. Es ist Gerhardt Richter.

Der Mann ist die Lichtgestalt unter den noch lebenden Künstlern. Weltweit. Er ist der Künstler, dessen Werke am teuersten verkauft werden. Wenn man sie denn überhaupt bekommt. Dieser Gerhard Richter also kommt vor ein paar Jahren tatsächlich auf die wahnwitzige Idee, der Stadt Münster ein gigantisches Kunstwerk schenken zu wollen: dieses Pendel eines französischen Physikers. Léon Foucault bewies damit schon 1851: ja, die Erde dreht sich.

Und das davon inspirierte High-End-Kunstwerk sollte nun Münster schmücken? Naja. Die amtierenden Hüter des Westfälischen Friedens bedanken sich mit freundlicher Zurückhaltung, als sie diese merkwürdig anmutende Avance erhalten. Und der Rat der Stadt predigt dem weltlichen Star schließlich, dass man sich das Mal „überlege“. Vielleicht könne man danach geneigt sein, das Geschenk annehmen zu wollen. Bedenkzeit, bitte. Münster überlegt sich das also Mal. Warum auch nicht. Kunstgeile Kenner und andere Milliardäre lecken sich noch jahrelang die Finger, wenn sie zweistellige Millionenbeträge für einen ‚echten Richter‘ über den Tresen zeitgenössischer Kunst geblättert haben. Denn auf diesem Scheibchen Erde finden Sie (hatte ich das schon erwähnt?) keinen noch real existierenden Künstler, dessen Werke teurer gehandelt werden. Die Stadt Münster aber überlegt, ob das Geschenk wohl genehm sein könnte.

Um das lange geplante Kunstwerk auch adäquat installieren zu können, war Richter sehr lange auf der Suche: nach dem perfekten Ort.

Er gräbt den Atlas um. Und ausgerechnet auf diesem gottverlassenen Fleckchen Münster wird er fündig.

Auch in der Metropole des Münsterlandes fällt der Groschen der Bedeutung. Irgendwann. Gut, heißt es nach westfälischer Bedenkzeit ganz bescheiden, dann nehmen wir das Geschenk eben an. Hallelujah!

Sehen Sie, der Münsterländer möchte nicht gerne überfallen werden. Ein Fremder mit einem Geschenk? Einfach so und auch noch ganz spontan. Was der wohl im Schilde führt?

Um es mit einem alltagstauglichen Beispiel zu beschreiben: versuchen Sie sich einfach Mal in eins der vollen Cafés oder Restaurants der Stadt zu setzen. Fragen Sie die Münsteraner an einem nur halb besetzten Tisch: „Dürfen wir uns dazuhocken?“ Die wahrscheinlichste Antwort möchte ich Ihnen jetzt aber nicht einfach so servieren. Kommen Sie lieber her und genießen Sie sie persönlich.

Denn die Stadt ist nicht nur eine Reise wert – ja, das ist sie tatsächlich – sondern auch einen Sack Salz. Denn den, das verspricht die Weisheit des Sprichwortes, sollte man im persönlichen Gegenüber dann schon gemeinsam gegessen haben. Danach kann man ja weitersehen. Vielleicht müssen sie bei Ihrem Münster-Besuch etwas länger nach einem Platz im Café suchen. Vielleicht erleben sie aber auch, wie weit es beim persönlichen Kontakt tatsächlich doch gehen kann. Und da sind wir wieder bei der Richter-Connection: der Geist Foucaults pendelt jetzt durch die Stadt. Und auch die Menschen hier nehmen dessen Beweis wissend zur Kenntnis: sie dreht sich doch. Die Erde. Um Münster? Ja sicher.

Und deshalb bei aller Bescheidenheit:

willkommen in Münster!

TALK OF FAME

… wegen city of stars

Heute gönne ich mir was. Muss doch auch Mal sein. Deshalb habe ich mich mitten in ein Feriendorf gesetzt.

Es gibt zwar keinen Strand, aber altes Kopfsteinpflaster, historische Fassaden, lecker Essen auf den Tischen, dazu ein feines Tröpfchen und ein munteres Gequirl von Menschen drumherum. Die sehen allesamt nach entspannten Ferienmenschen aus. Das ist sympathisch, entschleunigt und schmeichelt den Augen. Wohin man als Münsteraner fährt, wenn einem zwischendurch nach Kurzurlaub ist? In die Innenstadt. City of Münster.

Zugegeben, heute war das nicht meine Idee. Lisa Feller hatte sie. Mit der bekannten Komikerin bin ich hier in einer Viertelstunde zum Frühstück verabredet. Sie lebt nämlich hier. Die Bezeichnung ‚Feriendorf‘ hat sie erfunden. Das hat sie mal so formuliert, weil sie mit ihren Bühnenprogrammen sehr viel in der Republik unterwegs ist, wenn sie sich nicht gerade durch Talkshows, Comedyformate oder Quizsendungen Fernsehdeutschlands witzelt. Das ist zwar alles sehr lustig, aber auch furchtbar anstrengend. Wenn dann zwischendurch Feierabend ist, macht sie sich auf und zurück in ihr ‚Feriendorf Münster‘ und damit auf die Insel der Glückseligkeit?

So viel zu Ihrem Stadtimage, so viel zum Privatleben eines Comedystars? Ich werde es gleich erfahren und bestelle schon mal vorweg einen Kaffee.

So sehr die Stadt auch ‚Feriendorf‘ sein mag, so schwer kann es doch sein mit den Dorfstars ins Gespräch zu kommen. Gerade wenn sie nicht wie Lisa Feller hier wohnen.

Axel Prahl ist so ein Fall. Er ist Schauspieler und mimt den Kommissar des stadteigenen ARD-Tatortes. Am Rande eines Drehtages sprach ich ihn am Prinzipalmarkt an und versuchte mein Glück. Vielleicht könnten wir uns demnächst auf ein Bier treffen? Meinetwegen auch auf einen Kaffee.

Ich erzähle ihm von der Idee zu diesem Buch. Er findet sie gut und ganz klar: sehr interessant. Deshalb solle ich einfach seiner Agentur eine Mail schreiben und einen Termin abmachen. So einfach geht’s. Weil ich nicht auf den Kopf gefallen bin, habe ich direkt einen Nagel mit doppeltem Kopf gemacht. Seine Agentur ist nämlich auch die seines Kollegen Jan Josef Liefers. Sie wissen schon, der exaltierte Gerichtsmediziner der sonntagabends zuerst die Münsteraner Leichen unters Messer nimmt, danach seinen Gaumen mit einem edlen Rotwein benetzt. Zwei Schauspieler mit einer Klappe. Bingo.

Während ich auf die Antwort warte, schreibe ich direkt auch der Konkurrenz der ARD-Krimistars. Leonhard Lansink ist Privatdetektiv Wilsberg in gleichnamiger ZDF-Filmreihe. Über ihn erzählt man sich in der Stadt, dass er ein prima Kerl sei und ein sozialer Mensch. Deshalb wähle ich bei ihm den Kontaktweg eines sozialen Mediums. Das scheint mir passend. Blick auf die Uhr – noch fünf Minuten bis Lisa Feller.

Sie ist keine Urmünsteranerin, sondern war wie zahllose andere zum Studium hergezogen und dann hängengeblieben. Bei Oliver Welke war das auch so. Während er sich im Münsteraner Uni-Schloss in Publizistik und Politik vertiefte, machte Lisa Feller auf Lehramt. Katholische Theologie. Ist ja auch eine Art Comedy. Oliver Welke hat sich wieder vom Acker gemacht, moderiert heute die ‚Heute Show‘. Lisa Feller ist noch da und nennt ihre Bühnenprogramme zum Beispiel ‚Guter Sex ist teuer‘. Da hat sich ihr Studium doch ausgezahlt. Schwamm drüber.

Allerdings scheint ihre Erkenntnis zu sein, dass sich rund um Sex tatsächlich was verkaufen lässt. Sie ist immer adrett gekleidet. Das mit der Gürtellinie ist bei vielen ihrer Gags allerdings so eine Sache. Gerade weil sie sich häufig im Themenbereich Mann & Frau tummelt. Da geht’s dann auch gerne leicht unter diese geschmacksschwangere Gürtellinie. Aber es funktioniert. Inzwischen moderiert sie sogar eine Sendung in der ARD.

So, jetzt müsste sie jeden Moment auftauchen. Da schaffe ich es hoffentlich gerade noch, Ihnen von Wolfgang Hölker zu erzählen. Er ist der Chef des Coppenrath-Verlages. Und der Coppenrath-Verlag ist die Heimat des Hasen Felix. Wolfgang Hölker ist durch und durch Münsteraner und engagiert sich nicht nur für die erfolgreichen Figuren seines Unternehmens, sondern auch für die Stadt selbst. Sein neuer Unternehmensstandort am Rande des Hafenbeckens hebt sich von anderen Neubauten in der Umgebung optisch deutlich ab. Es fügt sich im Gegensatz zu vielen anderen glas- und betondominierten Gebäuden in das klassische Hafenbild ein. Der rote Klinker für die Fassade – so viel zu seiner Detailverliebtheit – ist keiner von der Stange. Er ließ ihn extra kreieren und exklusiv anfertigen.

Vieles von dem, was er verkauft, hat inzwischen einen weltweiten Markt und … ah, da kommt Lisa gerade um die Ecke. „Hallo, Lisa …“ Ne, ist eine andere Frau mit blonden Locken. O.K. Wolfgang Hölker hatte ich per Zufall vor Monaten im Hafen getroffen. Er war mit seiner Frau gerade auf dem Rückweg vom Mittagessen ins Verlagshaus. Im lockeren Ambiente nach dem Genuss von Pasta und Weißwein, frage ich ihn, ob er eine Geschichte in diesem Buch haben möchte.

Ich solle vor doch einfach beikommen, antwortete er lachend. Allerdings greift seine Frau ein. Vielleicht sei er dann in dem Moment gerade nicht da. „Komm einfach vorbei“ insistiert er, lächelt mich weiter an und verabschiedet sich mit großer Geste.

Ein paar Tage später muss ich nur die Empfangsdame im Foyer des Verlages davon überzeugen, dass man mit Herrn Hölker sprechen kann, auch wenn man keinen Termin hat. Nach einigem Hin und Her erklärt sie mir schließlich die Bedienung des Aufzuges. Schlüssel in die eine, dann in die andere Richtung drehen und nur noch auf die entsprechende Etagenzahl drücken. Die Fahrt in der voll-verglasten Kabine vergeht wie im Flug durch die Welt des Wolfgang Hölker und der Millionen Leser, Zuschauer, Fans. Wie im Rausch ziehe ich vorbei an Modepuppen, Aktenordnern, antiken Möbeln, Tüddelkram mit Entwürfen für neue Abenteuer, Puppen und Püppchen, Schränkchen und Tischchen, Fliegenpilzen, Computern und Büchern, Büchern, Büchern. Mir wird klar: hier lebt die Vision eines Reißbrettuniversums von Großen für kleine und große Kinder. Dann macht es: Pling!

Die Fahrstuhltür teilt sich und gibt mir den Blick auf den Grandseigneur der Münsteraner Verlagswelt frei. Er in knallbunten Klamotten, ich leicht nervös.

„Was kann ich für Dich tun?“ eröffnet er das Treffen. Die Lichtstimmung ist gedämpft. Es ist, als läge ein Hauch von Filmnebel in der Luft und die Protagonisten seiner Bücher rufen gemeinsam als Regisseure: „Uuuuund bitte!“ Allerdings ist das Schauspiel schnell vorbei.

Er sei zwar eitel, verdammt eitel sogar, findet aber trotzdem: den Hasen Felix vermarktet zu haben, interessiere in 500 Jahren doch keine Sau mehr. Warum dann also eine Geschichte in diesem Buch? Eine Frage, die ich in den nächsten Monaten versuche mit seinem Pressesprecher zu bereden. Leider ist diese Kommunikation eher schleppend. Wir telefonieren. Er verspricht mir mit dem Chef alles zu besprechen und meldet sich dann nicht mehr. Ich erinnere ihn erneut und so weiter. Ein munteres Spielchen, über das man bestimmt auch ein Kommunikationsfachbuch schreiben könnte. Vielleicht sogar im hauseigenen Verlag.

„Möchten Sie noch einen Kaffee?“ Die Kellnerin.

Och, jetzt habe ich mich aber verquatscht. Schon halb elf. Vielleicht hat Lisa Feller Probleme mit ihren Kindern und verspätet sich deshalb? Zwei Jungs hat sie und ist alleinerziehend. Da kann das schon mal passieren. Aber wo ich so oder so noch auf sie warten muss, kann ich Ihnen derweil einen ihrer Witze erzählen. Der geht so: Lisa ist geblitzt worden. Zu schnell gefahren. Die Polizei-Kelle ist draußen. Sie hält an, kurbelt das Fenster runter und sagt zum Beamten: „Ich weiß Bescheid. Wieviel?“ Der Polizist: „35 Euro.“ Sie: „35 Eurooo??? Das klingt fair. Steig ein!“ Knaller? Warum nicht, findet RTL. In deren Show ‚Der unfassbar schlaueste Mensch‘ steht sie auf dem Treppchen und gewinnt. Chapeaux.

In Münster gibt sie sich derweil tatsächlich schlau. Sie kümmert sich um die Frauenhausberatungsstelle. Und zwar mit ihren sauer verdienten Gewinnen aus Fernsehquizshows. Sie hat ein gutes Händchen und gewinnt des Öfteren. Immer wieder kommt für die von Gewalt bedrohten Frauen in Münster ein guter Notgroschen in fünfstelliger Höhe rüber. Auch das ist Lisa Feller.

Jetzt bin ich aber wirklich gespannt auf sie. Die Agentur der Herren Prahl und Liefers offenbar nicht auf mich. Keine Antwort ist auch eine. Leonhard Lansink erlegt sich offenbar auch Schweigen auf, schließt mich sozial aus und meldet sich nicht bei mir.

Die Bundesministerin Svenja Schulze, sie lebt hier im Südviertel, hatte neulich immerhin prompt auf meine Anfrage reagiert. Sie sei gerade allerdings noch in Washington. Die weitere Genese über ihren Stab in Berlin läuft danach wie geschmiert, der Rest schmiert leider ab. Frau Schulze überlegt es sich doch wieder anders. Von einem Treffen mit Roland Kaiser, dem Münsteraner Schlager-Giganten, darf ich in der Tat nur träumen. Roland Jankowsky, der Sonnenbrillen-Cop aus der Krimireihe ‚Wilsberg‘ hingegen meldet sich bei mir. Demnächst. Er wundert sich zwar, dass ich ihn auf seinem Handy kontaktiere. Als er von mir hört, dass seine Nummer im Internet zu finden ist, ist er zwar überrascht, zeigt sich aber nicht abgeneigt. Das klappt also noch. Demnächst.

Thomas Frings allerdings macht sofort drei Kreuze und winkt ab. Der berühmte katholische Geistliche hatte von Münster aus für Furore gesorgt. In der Heilig-Kreuz-Gemeinde hat er seinen Dienst quittiert und sich ins Kloster verzogen. Sein Buch „Aus, Amen, Ende! So kann ich nicht mehr Pfarrer sein“ wurde zum Bestseller und er selbst zum begehrten Gesprächspartner in kirchen- und glaubenskritischen Fragen. Er ist ein Großneffe des Kölner Erzbischofs Kardinal Joseph Frings und inzwischen zurück auf der Bühne. Er arbeitet jetzt als Priester in Köln. Und Tusch: für den Spaß im katholischen Leben ist er nebenbei noch Sitzungspräsident der ältesten Kölner Karnevalsgesellschaft. Von der Münsteraner Bütt habe er sich allerdings komplett verabschiedet. Ich mich gerade von der Neige meines zweiten Kaffees.

Wie lange dauert eigentlich eine akademische Viertelstunde? Eine ganze Stunde? Zwei? Oder in einem Feriendorf noch länger? Ich habe keinen Schimmer. Außerdem will ich Ihnen mit meinem wartenden Geplausche nicht länger auf den Wecker fallen. Deshalb gehe ich jetzt.

Ach, übrigens – Lisa Fellers gerade noch aktuelles Programm heißt: ‚Ich komm jetzt öfter‘. Was damit gemeint ist? Naja. So oder so ein prima Vorsatz. Mir hätte einmal gereicht.

Immerhin habe ich nun für zu Hause einen schönen Blumenstrauß. Den hatte ich für sie besorgt, weil sie gerade Geburtstag hatte. Ach komm‘, den feiern wir noch schnell ohne sie gemeinsam nach. Mit einem echten Lisa-Witz. Kleiner Rausschmeißer aus dem Feriendorf:

„Was ist der Unterschied zwischen einem Mann und künstlicher Intelligenz? – Der künstlichen Intelligenz muss man nur einmal etwas erklären.“

Auf dem Heimweg denke ich darüber nach, welche Haarfarbe Lisa Feller hat und ob in ihrem Witz das Wort ‚Mann‘ auch gegen ‚Blondine‘ austauschbar sein könnte. Leider komme ich zu keinem Ergebnis. Deshalb werde ich zu Hause die künstliche Intelligenz befragen.

DAS LEBEN IST EIN SPIEL

… und einer wird gewinnen

Von unten nach oben, Süden, Norden, Osten, Westen: er kennt die Kontinente, die großen Städte. Er kennt die Welt. Münster passt in seine Westentasche, Las Vegas verehrt er und sonst kennt er sich auch ganz gut aus. Er ist in Teheran geboren und zu Hause ist er, wo Freunde sind. Er kennt Menschen und er liebt Bücher. Nicht nur die aus Papier. Menschen sind für ihn wie Bücher. Nur sind die nicht ganz so einfach zu lesen wie die Gedruckten. Hossein Ensan kann es. Das ist sein Erfolgsrezept. Denn diese Fähigkeit hat ihn von Münster aus zum Millionär gemacht.

Die zarten Wellen schwappen gemächlich ans Ufer des Aasees. Ein paar Segelboote schaukeln im kleinen Hafen und geben dem Bild einen malerischen Vordergrund. Der blaue Himmel ergänzt das Bild zu einem annehmbaren Postkartenmotiv. Mitten in der Idylle stehen zwei Männer. Einer von beiden hat ein vermeintliches Postkartenleben. Das hat er sich hart erarbeitet, meint er. Andere lächeln darüber. Sie fragen sich, ob das, was er tut, Arbeit ist. Die beiden Männer spielen gerade eine Art Spiel.

Hossein Ensan steht vor mir. Beim Spielen ist er Profi. Er war skeptisch, als ich ihm geschrieben hatte. Bevor wir uns zu einem richtigen Interview treffen, möchte er herausfinden, wer ich bin.

Tja, wer bin ich? Einer von den Reportern, die von oben herab über ihn schreiben, die mehr über seine 500 Quadratmeter-Villa berichten, mit all dem Marmor darinnen, als über ihn selbst? Solche hat er schon kennen-, aber nicht lieben gelernt. Das muss er auch nicht, angewiesen ist er auf sie nicht. Hossein Ensan ist Millionär.

Wir plauschen, schauen uns in die Augen, tasten uns ab. Ich kann Ihnen sagen: Hossein in die Augen zu schauen ist eine Freude. Es sind braune Augen und sie glänzen. Sie strahlen. Er scheint ein freundlicher, zuvorkommender und höflicher Mensch zu sein. Wir lachen, während wir uns annähern. Kurzum: nach fünf Minuten sind wir beim ‚Du‘ und setzen uns denn doch auf einen Schluck ins Café. Also ja, wir werden uns demnächst treffen. Schnelle Entscheidung. Die ist er gewohnt zu treffen. Aber wo wir schon Mal da sind …

Hossein Ensan ist Poker-Profi. Poker-Profi? Ein verruchter Saloon, zwielichtige Gestalten, der Münsteraner neben John Wayne. Zwischen den Karten steht eine Flasche Whiskey auf dem Tisch parat. Die Colts sind griffbereit.

„Meine Kollegen sind Akademiker. Das sind schlaue Leute, alle weit weg vom Wild-West-Klischee.“ Ich ahne, Poker muss was mit Grips zu tun haben. Außerdem ist Poker ein Geschäft und verdammt anstrengend? „Es ist ein Sport. Du musst unbedingt fit sein, sportlich und wach.“ O.K.?

Also eine Runde feiner Leute, die was auf dem Kasten haben. „Wer Poker-Profi ist, muss Lebens-Profi sein.“ Sagt er. Das heißt: „Du musst ein glücklicher Mensch sein.“ Klingt nach keiner einfachen Formel. Oder doch?

„Wenn Du ein glücklicher Mensch sein willst, brauchst Du zwei Sachen.“ Sind es nicht vielleicht doch drei? „O.K., ein bisschen Geld beruhigt.“ Habe ich‘s mir doch gedacht. „Aber was Du wirklich brauchst, sind nur zwei Sachen. Erstens eine Arbeit zu der Du gerne gehst. Und zweitens ein zu Hause, auf das Du Dich nach der Arbeit freust.“

Das zu Hause hat er, mit seiner Frau und der Tochter. Darauf freut er sich immer. Auf die Arbeit: dito. Also ist er ein glücklicher Mann? Hossein lächelt mich sehr zufrieden an.

Poker sei wie das Leben. Genauso so. Da müsse man wissen, wohin man wolle. So einfach. Und dann müsse man auch tatsächlich dahin gehen. Schon schwieriger. „Man muss wissen, wer man ist und wer der andere ist, wie man miteinander umgehen kann. Im Spiel, wie im Leben.“

Verdichtet sich da gerade mein Eindruck einem Psychologen gegenüberzusitzen? Oder sogar einem Philosophen? „Ich bin Pokerspieler.“ Dann könnte er strenggenommen alle drei Berufsbezeichnungen tragen. Macht er aber nicht. An der Uni war er nur sehr kurz und das in Sachen Bauingenieurwesen – das ist nicht so seine Sache gewesen. Sein Job ist also, Poker zu spielen. Allerdings ist das kein Beruf mit einer offiziellen IHK-Ausbildung oder so etwas. Brauchte er auch nicht, denn er hatte seinen eigenen Ausbildungsplan genau vor Augen. Auf diese Liste hatte er etwas sehr existenzielles ganz oben notiert: „Du musst ganz unten anfangen. Stell Dir vor es geht um Fußball. Wenn Du in der Kreisliga spielst bei Gievenbeck 08 in Münster, dann musst Du Dich hochspielen. Trainieren und arbeiten und hochspielen. So habe ich es gemacht. Regionale Turniere und dann immer höher, immer höher, bis zum nächsten Level und zum nächsten. Dann bist Du irgendwann in der Champions League. Man muss das wirklich wollen.“

Heutzutage träumen viele Menschen von der vier Tage Woche. Hossein lebt das bereits so ähnlich, nur etwas anders: „Mein Leben besteht zu dreißig Prozent aus Beruf. Siebzig Prozent sind Alltag.“ Siebzig Prozent! Das klingt zwar nach einer für meine Verhältnisse etwas sehr geraden Work-Life-Balance. Aber irgendwie auch ganz verführerisch. Es gibt also ein Leben neben der Arbeit. Das ist beruhigend.

„Zeit zu haben für Familie, das ist sehr wichtig. Dann auch mal ein Bierchen mit einem Freund zu trinken und so. Natürlich mache ich auch Geschäfte, um über Wasser zu bleiben.“

Als Millionär? Das scheint eine Gewohnheit geworden zu sein. Um sich den Weg vom Hobby-Poker-Spieler zum Star der Champions League zu finanzieren, hat er so allerhand gemacht.

Das mit dem angefangenen Bauingenieurwesen war nicht so der Erfolgsgarant. Taxi gefahren ist er, als sein eigener Chef mit einem kleinen Unternehmen im Stadtteil Kinderhaus. So allerhand anderes wohl auch. ‚Business‘ zu machen, das kann er auch heute nicht lassen. „Hossein, was heißt das denn heute für Dich ‚Business‘ zu machen?“ – „Naja, Geschäfte eben.“

Wo kann man besser Geschäfte machen als in Amerika? „Ich habe eine Bewunderung für Las Vegas.“ Vom Stadtteil Kinderhaus aus gesehen muss das kein Wunder sein. Hossein aber findet den Weg von dort aus dahin. Wie gesagt, über die Ochsentour der vielen kleinen Zwischenschritte und kleinen Turniere, die immer größer und größer werden. Trotzdem: „Manchmal machst Du alles richtig und kommst trotzdem nicht weiter.“ Auf der Route liegen natürlich Steine, und zwar mitten im Weg. Manchmal sind das sogar echt harte Brocken. Aber er räumt sie zur Seite, geht weiter. So landet er schließlich irgendwann in Barcelona. Barcelona ist eine Größe in der Europäischen Poker Tour. Der Münsteraner wird dritter, nimmt 650.000 Euro mit. Malta 150.000. Prag 750.000. Rozvadov 185.000. Wieder Prag: 242.000. Falls Ihnen bei dieser Aufzählung, bei diesen Zahlen schwindelig wird: Wir können das abkürzen. Unterm Strich stehen deutlich mehr als zwölf Millionen auf seiner Haben-Seite. So richtig viel länger wäre die weitere Aufzählung allerdings gar nicht geworden. Denn sein Premierenauftritt an einem amerikanischen Pokertisch bringt ein ordentliches Häppchen Geld, eine achtstellige Summe.

In Zahlen sieht sie so aus: 10.000.000.

In Worten: zehn Millionen.

Und zwar Dollar.

Das größte Turnier findet mitten in der Wüste statt. Schauplatz ist die Glitzerstadt schlechthin. Welcome to fabulous Las Vegas.

Im Moment sitzen wir aber in einem Café am Aasee und wollen uns nur kurz beschnuppern. Also: für wann verabreden wir uns und wo?

Ich finde, die Spielbank Hohensyburg in Dortmund (in Münster gibt es keine) wäre ein prima Ort. Dann könnten wir am Rande des Spieltisches Atmosphäre schnuppern. Hossein schaut mich schräg von der Seite an. Schließlich kann er sich einen Lacher nicht verkneifen und beantwortet meinen Vorschlag für den Treffpunkt mit einer Gegenfrage:

„Wenn Du Mal bei Gievenbeck 08 gespielt hast und dann in der Champions League gelandet bist, gehst Du dann noch zu Gievenbeck 08 um Fußball zu spielen?“ Ich muss überlegen.

Hossein meint, dass wir uns doch besser in einem Restaurant treffen könnten, was leckeres essen, ein paar Bierchen. Ich meine: „Na, wenn’s auch um ein zwei Bier gehen sollte, treffen wir uns besser in Greven. Dann kommst Du einfacher nach Hause.“ „Kein Problem, ich habe einen Fahrer.“ (Warum Greven? Nach seinem 10 Millionen Dollar Gewinn, hatte er steif und fest behauptet, weiter in Münster-Kinderhaus wohnen zu wollen. Aber dann kam die Villa in Münsters Nachbarstadt dazwischen. Außerdem ist dort die Heimat seiner Frau. Münster, findet er, ist zwar klein und fein, aber Greven ist kleiner und … ach, anderes Thema. Familie ist alles.) Müssen wir nur noch einen Termin finden. „Eigentlich habe ich immer Zeit. Wie wäre es in zwei Monaten?“ Er muss bis dahin noch kurz nach London. Außerdem nach Prag, aber nur für ein paar Tage. Wir werden also demnächst telefonieren.

O.K., ich kann ja so lange von Münster aus Videos schauen. Von den großen Turnieren und dabei Hossein an den Pokertischen der Champions League studieren.

Der Filz ist grün. Die Jetons bunt. Hosseins Sonnenbrille schwarz. Sein Gegner steckt im schwarzen Anzug mit Fliege. Die Croupière versucht in weißer Rüschenbluse und schwarzer Weste den Überblick über Regeln und die Millionen zu behalten. Hossein scheint unbeeindruckt, trägt ein weißes Shirt.

Bewegung? Null. Nada. Niente. Ist er zur Salzsäule erstarrt? Spielt er toter Mann, ist er zur Eidechse geworden oder spielt er gleich tatsächlich weiter? Stimmt alles.

Sein Zustand ist: mittendrin. Da ist Konzentration. Da ist eine Facette seines Pokerface. Da ist Beherrschung. Da sitzt ein Profi. Entweder im lockeren Shirt oder manchmal auch im Hoodie, die Kapuze über den Kopf und tief ins Gesicht gezogen. Je nach Situation. Die Arme legt er vor sich auf den Tisch. Sie sind verschränkt. Er schließt den Gegner aus seiner Welt aus. Die Ray-Ban fehlt selten. Hossein scheint nichts dem Zufall zu überlassen. Das alles bekommen seine Gegner zu spüren und so soll es sein.

In diesem Video schlottert sein Gegenüber förmlich. Aufgeregt zuppelt er an den Jetons, klickert und klackert mit ihnen. Das macht mich auf Dauer schon nur beim Zuschauen richtig nervös. Hossein Ensan vielleicht auch, das weiß ich aber nicht. Denn er sitzt da und sagt mit seiner reglosen Miene: nichts. Allerdings nur vermeintlich. Denn doch spricht sein starres Gesicht unausgesprochen Bände: „Junge, Du hast keine Chance. Es ist hart für Dich, aber ich habe nun Mal das bessere Blatt, die besseren Nerven sowieso. Ich bin der Profi am Tisch – gib einfach auf. Dann quälst Du Dich nicht länger.“ Sein Gesichtsausdruck ist aus Stahl. Aber auch wenn er bewegungslos am Tisch sitzt: „Der Kopf arbeitet immer.“ Der absolute Wille muss da sein.

Kurzum: am Pokertisch ist er das Pokerface himself. Das ist in diesem Metier offenbar mindestens die halbe Miete. Wenn seine Mundwinkel am Ende eines gewonnenen Spiels nach oben gehen, dann macht er sich nicht über seinen Gegner lustig, sondern sagt: „Sorry, man. It’s a game!“ Dann lacht er, nimmt das Geld und konzentriert sich zum Durchschnaufen wieder auf die anderen siebzig Prozent seines Lebens.

Seine Haupttugenden sind Freundlichkeit und Zuverlässigkeit. TV-Kommentatoren nennen ihn den ‚Gentleman am Pokertisch‘. Er könne zwar aggressiv sein, ist aber eigentlich lammfromm. Er selbst nennt das so: „Du musst ein guter Verlierer sein. Dann hast Du auch die Größe und die Kraft gewinnen zu können.“

Turniere spielt er jetzt nur noch drei bis vier pro Jahr. Barcelona, London, Prag und na klar: Las Vegas!

Wie passend. Als ich zwei Monate später genug Videos gesehen habe, klingelt das Telefon. Hossein ist zurück und ein paar Tage später sitzen wir uns gegenüber. Im Bäckereicafé.

Warum auch nicht. Das ist Hosseins Vorschlag. Da sitzt man nah am richtigen Leben. Find‘ ich gut. Das belegte Brötchen in der Hand, fragt Hossein, was ich von ihm wissen möchte.

Klare Sache: wie isst man unfallfrei ein belegtes Brötchen mit zu viel Remoulade darauf? Er hat darauf keine Antwort und ich bringe ihm einen Stapel Servietten. Die helfen fürs Gröbste.

Man müsse sich immer zu helfen wissen, im richtigen Leben und beruflich. Damit sind wir auch schon am Pokertisch. „Du musst harte Entscheidungen treffen.“ sagt er. „Ein Fehler kostet dich das ganze Turnier.“ Wie man den vermeiden kann, das ist nicht ganz so einfach. Denn es gibt viele Faktoren für den Erfolg beim Pokern. „Du musst rechnen können und berechnen, und zwar schnell und exakt.“ Das sei wichtig. Und: „Strategie“ – darauf kommt es an. Seine verrät er mir deshalb auch nicht. Damit sind wir auch schon bei einem sehr wichtigen Pokerskill: Psychologie.