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Ringo, der achtzehnjährige Sohn der Gutsherrenfamilie von Behren ist spurlos verschwunden. Ringos Mutter will jedes Aufsehen vermeiden und scheut den Weg zur Polizei. Sie beauftragt die clevere Sozialarbeiterin Merit Jahn, unauffällig Informationen zum Verbleib ihres Sohnes zu suchen. Die wird auch bald fündig, doch die Spuren führen gleich zu mehreren Verdächtigen. Hat etwa Ingrid, Inhaberin einer Töpferwerkstatt im Nachbardorf, etwas mit Ringos Verschwinden zu tun? Sie hat sich den Jungen zum Liebhaber gewählt, obwohl sie mehr als doppelt so alt ist wie dieser. Oder hat ihr Mann Tim, ein erfolgreicher Schriftsteller, Lunte gerochen und den Nebenbuhler beseitigt. Schließlich stehen auch Ringos Eltern unter Verdacht, die mit dem nicht standesgemäßen Lebenswandel ihres Sohnes keinesfalls einverstanden sind. Merit Jahn versucht verzweifelt, die Fäden zu entwirren. Wird es ihr gelingen, Ringo lebend zu finden?
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Seitenzahl: 142
Veröffentlichungsjahr: 2025
Merit Jahn
und der verschwundene Sohn
Martina Bethe-Hartwig
Impressum
Copyright: Novo-Bookd im vss-verlag
Jahr: 2025
Lektorat/ Korrektorat: Franz Groß
Covergestaltung: Hermann Schladt
Verlagsportal: www.novo-books.de
Gedruckt in Deutschland
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie
Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verfassers unzulässig
Ringo von Behren leerte seine Sporttasche auf dem Bett aus. Jogginganzug und Sportschuhe waren jetzt nicht angesagt. Eine frische Unterhose und ein T-Shirt mussten rein. Und seine Kulturtasche war zu packen. Er rieb sich die Hände. Ein Traumwochenende erwartete ihn.
Minuten darauf verließ er mit der geschulterten Tasche sein Zimmer. Mondlicht fiel durch das Fenster in den Flur. Im Gutshaus war es still. Seine Eltern schliefen demnach. Er schloss leise hinter sich die Zimmertür, schlich die Treppe hinunter in die Diele, öffnete die Eingangstür. In der halb offenen Tür hielt er noch einmal inne, um zu lauschen. Nichts war aus dem Haus zu hören. Das Vergnügen konnte beginnen. Er schlüpfte in die mondbeschienene Nacht, zog die Tür hinter sich zu, schloss sie ab, steckte den Schlüssel ein.
In der Kieferngruppe am Ende des Rasens schrie ein Käuzchen. Kündigte ein Käuzchenruf nicht den Tod eines Menschen an? Seine Großmutter hatte das immer gesagt. Doch nun war sie tot, schon viele Jahre. Er glaubte natürlich nicht an so einen Quatsch. Er huschte zur Scheune. Dort wartete sein BMW. Über die mit Eichen gesäumte Zufahrt fuhr er zur B 214. Auf der Bundesstraße gab er Gas, dazu drehte er seine Rap-Musik laut auf. Der Fahrtwind fuhr ihm durch das heruntergelassene Seitenfenster ins Haar. Er warf den Kopf in den Nacken und lachte. Seine Eltern konnten ihn mal. Wenige Kilometer vor der Auffahrt zur A 2 bog er nach rechts ab. Merversen hieß das Kaff. Es war noch schlimmer als Behrenbostel, das Dorf, in dem er wohnte und das nach seiner Familie benannt war. Alte Bauernhöfe, niedersächsische Fachwerkhäuser, Wacholder, Heide, mickrige Rhododendren. Von der Hauptstraße bog er in eine Seitenstraße und folgte dieser bis zu einem langgestreckten Backsteinhaus mit Werkstatt. Durch eine torbreite Lücke im Holzzaun steuerte er zum Eingang des Hauses, der sich hinter einer Wand aus Nadel- und Blattgestrüpp verbarg. Dort, vor der Tür, von der Straße uneinsehbar, parkte er.
Am Nachthimmel keine Wolke. Die Luft war mild. Grillen zirpten. Ein Lichtstreifen fiel verheißungsvoll aus dem Stubenfenster auf den Sand des Hofplatzes. Ringo schnappte sich seine Sporttasche, zog sie vom Beifahrersitz. Sein Herz klopfte heftig vor Vorfreude. Er drückte die Autotür zu, verriegelte den BMW. Kurz glättete er seine Haare, dann wandte er sich dem Eingang zu. Die Haustür war nur angelehnt. Er schob sie auf und trat in die Diele.
‚Brigde over trouble water‘ plätscherte aus dem Raum nebenan.
Ringo stellte seine Sporttasche auf der alten Hochzeitstruhe neben dem Bauernschrank ab, zog seine Sneaker aus. Barfuß betrat er die Stube. Räucherstäbchenduft empfing ihn, wie auch eine Flasche Rotwein und zwei gefüllte Gläser auf dem Ikea-Kieferntisch. Ingrid lächelte ihn mit untergeschlagenen Beinen, gehüllt in ihrem Seidenkimono, unter dem sie, wie es schien, nichts anhatte, vom ledernen Dreiersofa aus an. Ringo spürte, wie sich sein Glied versteifte. Ingrid, seine Traumfrau. Ihr Körper, ihr Lächeln, ihr Geruch, ihre Stimme, wie sie sich bewegte, vor allem ihre kastanienbraunen langen Locken, das alles erregte ihn. Er wollte sie festhalten und nie mehr loslassen. Und das würde er auch tun, ganz gleich, was seine Eltern dazu sagten. Auch wenn Ingrid zwanzig Jahre älter war als er, fast so alt wie seine Mutter. Was machte das schon? Seinen Eltern hatten ohnehin nie die Mädchen gepasst, die er mochte. Nicht standesgemäß, nicht gebildet genug. Ringo seufzte unmerklich. Ingrid und seine Mutter hatten wenigstens Gemeinsamkeiten. Beide liebten Wein und die Beatles. Wegen der Beatles hieß er Ringo. Er hatte den Namen immer fürchterlich gefunden, zeitweise seine Eltern, weil sie ihm den Namen gegeben hatten, sogar gehasst. Seitdem er Ingrid kannte, war das anders. Er hatte sie beim Osterfeuer kennengelernt. Dort hatte er seinen achtzehnten Geburtstag nachgefeiert. Sein Vorname war es, weswegen sie sich mit ihm eingelassen hatte. Ihr Alter zu Hause hieß Tim, Tim, ein Allerweltsname. Ringo hingegen ... wenigstens die Sache mit dem Namen hatten seine Eltern richtig gemacht. Er durchquerte das Wohnzimmer und warf sich auf das Zweiersofa Ingrid gegenüber. Über die Gläser und die Rotweinflasche grinste er sie an.
„Auf uns, mein Sonnenschein.“ Sie beugte sich vor, ergriff ihr Weinglas und hob es an. Sonnenschein, so nannte sie ihn, weil sein Haar strahlend gelb wie Weizen im Hochsommer war. Abgesehen davon hatte er ihr dunkles Dasein erhellt.
Ringo langte nach dem Glas vor ihm und prostete ihr zu. Sie tranken einen Schluck. An ihrem Glas blieb ein wenig purpurroter Lippenstift zurück. Er stellte das Glas ab und zog sein T-Shirt aus.
Auf den Dielen vor dem hellbraun gefliesten Kachelofen lag eine beigefarbene ausgebreitete Wolldecke. Etwas abseits davon brannten Kerzen in einem achtarmigen Kerzenleuchter. Ihr flackerndes Licht rußte zur weiß getünchten Zimmerdecke.
Ingrid streckte ihm wieder ihr Glas entgegen. „Auf unser Wochenende!“
Sie stießen an. Die Gläser klirrten. Schwer hing der Duft der Räucherstäbchen in der Luft, vermischt mit ihrem Rosenduft. Ingrid liebte Rosen. Im Bauerngarten hinter dem Haus wuchsen mehrere Rosenstöcke, die allesamt mäkelten, obwohl Ingrid sie großzügig düngte. „Der Boden ist einfach zu sandig“, beklagte sie sich. Zweimal hatte Ringo ihr deshalb eine neue Rose geschenkt, robust und für Sandböden geeignet, wie man ihm versichert hatte. Er hatte dafür tief in die Tasche greifen müssen. Aber für Ingrid war ihm nichts zu teuer. Und verdammt, sollten seine Eltern sich nicht so anstellen. Geld hatten sie als Familie doch genug.
Er trank sein Weinglas in einem Zug leer. Das mochte sie nicht. Das wusste er. Wein muss man genießen, sagte sie immer. Er fand nichts an Wein. Bier war ihm lieber. Doch Ingrid wollte es so haben. Das Ambiente musste stimmen, bevor es zur Sache ging. Da spielte er eben mit. Und ein wenig heizte das Ganze ja auch die Erwartung an.
Ingrid schenkte nach.
Er zog die Hose aus, warf sie über die Sofalehne, langte nach dem Glas, leerte es. „Ich liebe dich.“
Sie zog den Kimono von ihren Schultern.
Er grinste sie an. „Du machst mich heiß.“
Sie stellte ihr Glas ab, stand auf und ließ die Hülle fallen. „Komm her, mein Sonnenschein!“ ...
*
Die alte Standuhr auf der Diele schlug zweimal. Ringo war schweißnass. Ingrid hatte wieder einmal alles von ihm gefordert. Nun stand sie nackt vor ihm, mit gerötetem Gesicht, das Weinglas in der Hand. „Gehen wir schlafen.“ Sie trank aus, langte nach seinem leeren Weinglas und verließ das Zimmer, um in die Küche zu gehen.
Ringo rappelte sich auf, pustete die Kerzen aus. Als er es einmal nicht getan hatte, war sie sauer auf ihn gewesen. Ein altes Fachwerkhaus fängt leicht Feuer, hatte sie dazu bemerkt, ich will nicht neben dir als verkohlte Leiche im Bett gefunden werden. Im Dielenlicht, das durch die offene Tür fiel, tappte er durchs Zimmer. Sie erwartete ihn an der Treppe. Er schnappte sich seine Sporttasche und folgte ihr nach oben.
Das Ehebett. Er kroch unter das dünne Oberbett auf der Seite, wo sonst ihr Mann Tim schlief, schmiegte sich an sie, streichelte sie. „Du bist die tollste Frau, die ich je kennengelernt hab. Schieb endlich den Schmarotzer ab.“
„Jetzt nicht.“ Sie machte eine abwehrende Handbewegung. „Ich bin müde. Ältere Frauen brauchen ihren Schönheitsschlaf.“
„Du und alt. Du nimmst es mit jeder Jüngeren auf.“
Ingrid beugte sich vor. Sie hatte einige Falten um die Augen. „Morgen ist auch noch ein Tag. Lass uns jetzt schlafen.“ Sie küsste ihn.
Er wollte sie umschlingen, an sich drücken, ihr noch einmal zeigen, wie viel Mann er war. Er war mehr Mann als Tim. Doch sie entzog sich ihm, stupste ihm nur mit dem Zeigefinger auf die Nase. „Träum was Schönes.“ Dann drehte sich von ihm weg und zog die Decke bis zu ihren Schultern hoch.
Er betrachtete ihren Hinterkopf, das kastanienbraune Haar, das seidig glänzend auf dem Kissen lag. Nach einer Weile schob er seine Hand unter ihr Oberbett, doch als sie von ihm wegrückte, zog er sie zurück. ...
*
Am Morgen weckten Ringo Sonnenlicht und Vogelgezwitscher. Ingrids Bettseite war leer. Er trat das Oberbett weg, schwang die Beine über den Bettrand. Minuten darauf stieg er die Treppe zur Diele hinunter. Tims Frotteebademantel streichelte seine nackte Haut. Er hatte Tims Duschgel und Deodorant benutzt. So fühlte er sich ein wenig wie Ingrids Ehemann. Der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee und aufgebackenen Brötchen empfing ihn, als er in die Küche trat.
Ingrid saß, fertig angezogen, am gedeckten Frühstückstisch. „Na“, begrüßte sie ihn, „endlich wach. Es ist schon nach elf.“
Er reckte und streckte sich, gähnte. „Noch so früh. Das ist sonntags vor meiner Zeit.“ Er warf sich auf den Stuhl ihr gegenüber, langte nach einem Weizenbrötchen im Korb.
Sie schenkte ihm Kaffee ein. „Hast du gut geschlafen?“
„Wie ein Bär. Was machen wir nach dem Frühstück? Ich hätte Lust auf eine erneute Runde.“
Sie winkte ab. „Nach dieser Nacht brauche ich etwas Ruhe. Außerdem muss ich ein paar Tassen glasieren.“
Er zog ein langes Gesicht. „Heute ist Sonntag. Sonntags sollst du ruhen. Das steht schon so in der Bibel. Und morgen kommt schon dein Mann zurück.“
Sie zuckte leichthin mit den Schultern. „So ist es nun mal, wenn man selbstständig ist. So viele Aufträge hat meine Töpferei nicht, als dass ich es mir leisten könnte, die Arbeit nicht rechtzeitig zu erledigen.“ Sie reichte ihm das Glas Nutella. „In vier Wochen ist Tim erneut auf einer Lesung.“
Ringo grinste süffisant. „Dann komm ich aber früher.“
Ihr Gesichtsausdruck wurde ernst. „Wir sollten es nicht übertreiben. Deine Eltern wären nicht entzückt, wenn sie von uns wüssten. Und ich muss Rücksicht nehmen. Ich bin eine verheiratete Frau, besitze eine Töpferei und wohne in einem kleinen Dorf, wo sich alles schnell herumspricht.“
Er legte das angebissene Brötchen auf das Holzbrett, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Schluss mit der Geheimnistuerei. Was meine Eltern denken ... scheiß drauf! Meine Mutter meckert eh nur rum. Die will am liebsten eine Schwiegertochter mit blaublütigem Stammbaum, damit endlich ein echtes ‚von‘ in die Familie kommt. Pah!“ Er schlug verächtlich auf die Wachstuchdecke. Ein bisschen Kaffee schwappte über den Rand seiner Tasse und bildete eine kleine Lache auf dem Tisch.
Sie holte den Lappen vom Wasserhahn und wischte den Kaffeefleck weg. Von der Spüle wandte sie sich zu ihm um. „Ihr seid die älteste Familie in eurem Dorf. Mit eurem Namen wurde das Dorf gegründet. Da seid ihr etwas Besonderes.“
„Ach, scheiß drauf“, wollte er noch einmal sagen, doch er biss sich rechtzeitig auf die Zunge. Kraftausdrücke mochte Ingrid nicht.
Ihre Hand legte sich auf seine. „Du darfst nicht so hart mit ihnen sein.“ Sie kam zu ihm, neigte sich zu ihm vor und küsste ihn. „Sei dankbar für das, was du hast und einmal haben wirst.“
„Ich pfeif auf das Geld, das Haus, das Land, die Pachteinnahmen.“ Er sprang vom Stuhl auf. Sie wich zurück. Er drückte sie an die Spüle und legte seine Arme um ihre Taille. „Ich will dich. Lass dich endlich scheiden! Schmeiß den Schmarotzer raus!“
„So einfach ist das nicht.“ Ingrid machte sich von ihm frei. „Ich habe Verpflichtungen. Tim hat mir beim Aufbau der Töpferei geholfen. Jetzt braucht er eben mal meine Unterstützung. Und deine Mutter. Sie hat Einfluss, kann mir schaden. Ich bin auf Kunden angewiesen. Anders als du muss ich mir meinen Lebensunterhalt verdienen.“
Er warf sich beleidigt auf den Stuhl. „Ach, und ich hock nur faul rum, oder was?“
Sie kam zu ihm, streichelte ihn versöhnlich über das vom Duschen noch nasse Haar. „Hör auf! Lass uns nicht streiten. Wir haben beide unseren Spaß. Belassen wir es dabei. Beende deine Schule, studiere. Wenn Tim auf Lesereise ist, treffen wir uns gelegentlich."
Er schüttelte mürrisch den Kopf. „Das ist nicht genug. Ich werde herausschreien, dass ich dich liebe. Soll meine Mutter vor Wut platzen und die ganze Welt über uns herfallen. Es ist mir egal.“
Sie sah ihn stumm an, die Lippen zusammengepresst. Er wartete, doch sie sagte nichts.
Ringo tigerte zwischen Tonklumpen, Töpferscheiben und Brennofen hin und her.
„Nun setz dich endlich hin!“ Ingrid stellte die Tasse, die sie gerade glasiert hatte, auf den Arbeitstisch. „Mit deiner Herumlauferei machst du mich ganz verrückt.“
„Ich dachte, wir bleiben das Wochenende über im Bett“, sagte er schmollend.
„Ach, Sonnenscheinchen“, sie lächelte ihn milde an, „das Leben ist kein Wunschkonzert.“
„Aber ich dachte ...“ Ringo lehnte sich an einen alten, zerkratzten und mit Farbflecken übersäten Holztisch.
Ingrid stand vom Drehhocker auf, ging zu ihm, nahm ihn in die Arme, wie eine Mutter ihren von der Welt enttäuschten kleinen Sohn. „Ach, mein Sonnenschein, der Tag ist doch noch nicht zu Ende. „Wie wär's?“, sie strich ihm zärtlich über die Wange, „wenn du dich mit etwas beschäftigst. Oder leg dich noch mal hin. Hast ja nicht viel Schlaf gehabt.“
Er machte eine abwehrende Bewegung. „Ich kann jetzt nicht schlafen.“
„Dann lies ein Buch. Im Wohnzimmer stehen genug herum, noch mehr in Tims Arbeitszimmer. Es muss ja keins von seinen Büchern sein. Auch wenn einige wirklich gut sind.“
Er sah sie empört an. „Wer liest denn heute noch? Ich verschwende doch nicht meine Zeit. Mir reicht es schon, wenn ich für die Schule lesen muss.“ Er schüttelte heftig den Kopf. Ingrid seufzte. Er hörte es und fühlte einen Stich im Herzen. Er wollte ihr ja gefallen. Sie war seine Angebetete. Mit ihr wollte er sein Leben verbringen, vor den Traualtar treten. Seine Kumpels würden vor Neid erblassen. Nur Tim. Diesen Schmarotzer musste er loswerden. Bücher schreiben war doch keine Arbeit. Er ließ es sich gut gehen, während sie schuften musste. Doch er, Ringo, würde sie retten, wie ein edler Ritter die junge Maid aus den Fängen des Drachens. Dass Ingrid nicht wahrhaben wollte, dass dieser Wichser sie nur benutzte. Er schmiegte sich an sie, spürte ihre weichen Brüste, wie sie sich bei jedem Atemzug hoben und senkten. Ihr seidiges kastanienbraunes Haar zwischen seinen Fingern. Er schlang seine Arme um sie, küsste sie heiß und innig. Sie machte sich frei, trat von ihm zurück.
„Ich muss weitermachen“, sagte sie knapp. „Geh in den Garten, genieß die Sonne. Pass aber auf, dass dich die Nachbarn nicht sehen.“
Er kniff die Lippen zusammen. Die Nachbarn. Vor allem die Alte, die Ingrid mit ihrer Neugier das Leben schwermachte. Vielleicht ... Er lächelte in sich hinein. Er könnte es darauf ankommen lassen, sich ganz offen in den Garten fläzen, und zwar so, dass alle sehen konnten, was Ingrid und ihn verband. Die Alte mit ihren Habichtsaugen würde es im ganzen Dorf rum tratschen. Tim erfuhr es wahrscheinlich als Letzter. Ringo hätte fast laut aufgelacht, so amüsierte ihn die Vorstellung, was für ein Gesicht der Schmarotzer machen würde. Er riss sich zusammen. Ingrid durfte nicht merken, was er dachte. Aber sich diesen Wichser als gehörnten Ehemann vorzustellen, war einfach zu witzig. Ingrid wäre frei, könnte natürlich hier nicht mehr leben. Er, Ringo, würde sie dann mit offenen Armen aufnehmen und vor der Bösartigkeit der Leute beschützen. „Na gut.“ Er zog die Schultern hoch. „Ich geh raus.“
Ingrid wirkte misstrauisch. „Versprich mir, hinter den Büschen zu bleiben. Bei dem schönen Wetter ist Frau Hasselmann sicher im Garten.“
„Die olle Hexe.“ Ringo verzog abfällig das Gesicht.
Ingrid nahm seinen Kopf in beide Hände, küsste ihn auf die Stirn. „Ich mach uns dann Spaghetti Bolognese. Und danach ...“ Sie lächelte vielversprechend.
Ringo grinste anzüglich zurück, fasste ihr in den Schritt.
Sie schlug seine Hand weg. „Das mag ich nicht“, sagte sie ärgerlich, fügte dann jedoch mit versöhnlicher Stimme hinzu: „Später, mein Sonnenschein.“ ...
*
Ringo schlug die Augen auf. Da war er doch tatsächlich eingeschlafen. Von seiner prachtvollen Hochzeit im Gutshaus hatte er geträumt. Ingrid hatte ihm zu Füßen gelegen. Sein Vater war aufgeregt herumgerannt und hatte jedem seiner Kumpels und seinen versammelten Verflossenen Schnaps angeboten. Seine Mutter hatte geheult, genauso wie viele der Frauen aus Behrenbostel. Das halbe Dorf war im Gutshaus erschienen, um ihm zu gratulieren und als zukünftigen Herrn des Hauses zu huldigen. All die Mädels, die er kannte, hatten geflennt, weil er sie nicht erwählt hatte.
Ringo kämpfte sich aus dem Liegestuhl. Ein Buntspecht hämmerte am Stamm einer Kornelkirsche. Ringo war heiß. Vielleicht hatte er zu lange in der Sonne gelegen. Er sah sich um. Die Alte von nebenan war nirgends zu sehen. Wenn man sie mal brauchte. Sonst schlich sie immer hier draußen rum, nur heute nicht, wo es ihm ganz recht gewesen wäre. Die Rosen dufteten. Maiglöckchenblätter waren noch vereinzelt zu sehen. Die meisten aber waren schon verwelkt. Auf der Wiese hinter dem Garten lärmten Grillen und Heuschrecken. Ihr Konzert mischte sich mit dem Zetern einer Spatzenschar in der Ligusterhecke, die auf halber Länge den Garten zur Wiese hin begrenzte.