Merkwürdige Lebensgeschichte - Friedrich Freiherr von der Trenck - E-Book

Merkwürdige Lebensgeschichte E-Book

Friedrich Freiherr von der Trenck

0,0

Beschreibung

Von der Trencks 1787 erschienene Autobiographie ist ziemlich sicher nicht frei von Übertreibungen und Aufschneidereien und erzählt die Geschichte seiner militärischen Ausbildung und der Romanze mit der Schwester des Königs.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 424

Veröffentlichungsjahr: 2012

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Merkwürdige Lebensgeschichte

Friedrich Freiherr von der Trenck

Inhalt:

Friedrich Freiherr von der Trenck – Biografie und Bibliografie

Merkwürdige Lebensgeschichte

Erster Band

Monarch!

Vorbericht

Journal

Die erste Ankunft in Wien, im Jahr 1747 im Monat April

Zweiter Band

Dritter Band

Trencks Abschied von Berlin

Merkwürdige Lebensgeschichte , F. von Trenck

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849638238

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Friedrich Freiherr von der Trenck – Biografie und Bibliografie

Abenteurer, geb. 16. Febr. 1726 zu Königsberg i. Pr., gest. 25. Juli 1794 in Paris, Sohn eines preußischen Generals und Vetter des vorigen, nahm 1740 preußische Kriegsdienste und war im zweiten Schlesischen Kriege 1744 Ordonnanzoffizier Friedrichs d. Gr. Bald darauf fiel er in Ungnade und kam wegen Entdeckung seines an sich unschuldigen Briefwechsels mit seinem Vetter auf die Festung Glatz. Von hier im Januar 1746 entflohen, fand T. Anstellung in russischen, dann in österreichischen Kriegsdiensten. 1754 vorübergehend auf preußischem Boden weilend, ward er auf Friedrichs II. Befehl verhaftet, in Magdeburg festgesetzt und nach einem vereitelten Fluchtversuch an Händen, Füßen und Leib mit schweren Fesseln angeschmiedet. Ende 1763 befreit, beschäftigte er sich in Aachen literarisch und trieb nebenbei einen Weinhandel. Von 1774–77 bereiste er England und Frankreich und diente dann der Kaiserin Maria Theresia zu mehreren geheimen Sendungen. Nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms II. erhielt er seine in Preußen eingezogenen Güter zurück. Beim Ausbruch der französischen Revolution ging er nach Paris, wo ihn Robespierre als angeblichen Geschäftsträger fremder Mächte guillotinieren ließ. Seine Selbstbiographie (Berl. u. Wien 1787, 3 Bde.; von ihm selbst ins Französische übersetzt, Straßb. 1789; neue Ausg. in der »Kollektion Spemann«, Bd. 44, Stuttg. 1883, und in Reclams Universal-Bibliothek) ist wohl nicht frei von Übertreibungen. Seine übrigen Schriften sind enthalten in »Trencks sämtliche Gedichte und Schriften« (Leipz. 1786, 8 Bde.). Vgl. Wahrmann, Friedrich Freiherr v. d. Trencks Leben, Kerker und Tod (Leipz. 1837).

Merkwürdige Lebensgeschichte

Erster Band

Monarch!

Dieses merkwürdige, eigentlich für die Erdenbürger geschriebene Buch sollte erst nach meinem Tode in der sichtbaren Welt sichtbar erscheinen, wo der Schriftsteller nichts mehr zu fürchten hat.

Ich lebe aber zu lange; die Welt ist vorwitzig, neue Romane zu lesen. Sie bezahlt sie am besten, wenn wirkliche Geschichten in Romangestalt vorgetragen werden; und ich brauche das Geld für meine treue Arbeit notwendiger im Leben, als wenn ich bereits begraben bin.

Überdies wäre dieses Werk sicher in Gefahr, unter die Legenden der Heiligen gerechnet zu werden, wo der Schriftsteller willkürlich lügen kann, weil kein Augenzeuge der erzählten Vorfälle mehr lebt, welcher die Wahrheit besiegeln könnte.

Zweiundvierzig Jahre sind ohnedem bereits verstrichen, seitdem mein hartes Schicksal im Vaterland aufkeimte, welches unter Ew. Majestät berühmter Regierung, in meinem Fall allein, bis zu dem Grade anwuchs, zu welchem nur Erzbösewichte und wirkliche Verräter gelangen können. Glück, Zufriedenheit, väterliches Erbteil, verdiente Ehrenstellen und Freiheit raubten mir ein Machtspruch, ohne daß ich gegen meine Pflichten gefehlt hätte oder nach Gesetz und Recht gerichtet wurde. Mehr konnte mir keine Fürstenmacht nehmen; sonst hätte ich sicher auch die Ehre verloren, falls mein starker Gliederbau nicht den ungeheuren Martern standgehalten und meine vorwurfsfreie Seele mich nicht bis auf diesen Tag erhielt, an welchem ich noch wirklich reden, schreiben und diese beleidigte Ehre verteidigen kann.

Es ist mir demnach wohl auch eine kleine Genugtuung, wenn in meiner Geschichte ohne Widerspruch erwiesen wird, daß der mit vollem Recht in tausend Vorfällen groß gepriesene Friedrich an mir, dem wehrlosen Trenck, nicht groß gehandelt hat. Ich hingegen trete mit stolz erhabener Stirn vor das Gericht der klugen Welt, für welche Ew. Majestät so viel getan haben, und erwarte unser Urteil, wenn wir beide begraben sein werden.

Zum Schweigen hat man mich bisher gezwungen, aber nie ersucht, noch durch Vergütung gereizt; und da ohnedies für mich nichts mehr zu hoffen, die Furcht hingegen eine Schwachheit ist, die ich als wirklicher Weltweiser in Ew. Majestät Schule allezeit verachten gelernt habe, die ich auch nicht vor des Königs Grimm, noch aller Kriegsherde Feuerschlünden, empfunden habe: so fordert mich allein die Vaterpflicht auf, um meinen acht Kindern nicht etwa den Vorwurf zu hinterlassen, daß ihr Vater ein wirklicher Übeltäter war, der Fesseln durch Schandtaten verdient. Nein, Monarch! Das war ich nie. Und trotz aller Dero Macht, Kerker, Fesseln und Mißhandlungen, haben sie mir dennoch nie meine Tugend kränken, meine Ehre entreißen, meine Standhaftigkeit erschüttern noch meine erarbeiteten Wissenschaften vernichten können, in welchen ich Trost, Zeitvertreib im dunklen Gefängnis und Schild, Panzer und Waffen gegen Fürstengewalt und Verleumdung gefunden habe.

Vielleicht wird dieses Buch noch mit Achtung und Mitleiden gelesen, wenn man die schlesischen Schlachten und Siege schon unter die der Nachwelt gleichgültigen Mordtage bei Arbala, bei Cannae oder auf den marathonischen Feldern rechnet. Ich hatte keine Armee, mein Recht zu behaupten. Ew. Majestät wissen, daß ich sie vielleicht anzuführen verstanden hätte. Um Gnade zu betteln, wo ich mein Recht, meinen Wert empfand, war ich zu stolz.

Sollte man wohl glauben können, daß ein verleumderisches Bubenstück den klügsten der Könige 42 Jahre hindurch blenden und sogar bis zur Unversöhnlichkeit zwingen könne?

Oder soll auch die Christenwelt glauben, daß Monarchen niemals irren, niemals hintergangen werden können? Oder war ich, wie Paulus in der Epistel an die Römer lehrt, das Opfer, welches der grimmige Zebaoth zum Gefäß des Zornes und der Rache von Ewigkeit her bestimmt hat?

In diesem Falle bin ich kein Christ, weil ich mir edlere Begriffe von der göttlichen Gerechtigkeit denke. Ich kannte auch den großen König zu gut, um ihn einer Grausamkeit zu beschuldigen.

Mein widriges Schicksal allein hat es so gefügt, daß ich durch übertriebenes Jugendfeuer und eine gewisse Art von Widerstand, welche den Mächtigen beleidigt und nur subordinierten Untertanen Gnade widerfahren läßt, den rechten Weg verfehlt habe, um dieselbe durch mein Recht zu verdienen. Alles mußte sich zur Versteinerung meines Unglücks so fügen, daß ich allezeit verdächtig blieb und Ew. Majestät als Monarch nie anders mit mir verfahren konnten, als wirklich geschehen ist.

Noch weniger Hoffnung blieb mir übrig, sobald die Staatsklugheit forderte, einen Mann ewig schweigen und in ganz Europa untätig zu machen, von dessen Fähigkeit und Entschlossenheit man überzeugt ist, daß er schaden kann, falls er zu niedriger Rache Gelegenheit suchen wollte.

In diesem Rätsel steckt vielleicht die ganze Auflösung meines Schicksals.

Wie wenig aber haben Ew. Majestät mein Herz gekannt!

Ich liebte Sie noch im Kerker als den Schutzgott der Wissenschaften; ich verehrte Sie als meinen Wohltäter und Vater, der sich wirklich Mühe gab, aus mir einen besonders brauchbaren Staatsbürger zu bilden. Ich habe Ihnen viele Einsichten zu danken, die mich klüger machten; und ich wünsche mir nur eine Unterredung jenseits des Grabes mit Ihnen, um Sie zu überzeugen, daß Sie den besten Patrioten verkannten, der lieber alles leiden, als Dero Verachtung verdienen wollte.

Hier auf Erden ist dieser Wunsch vergeblich; vermutlich werden wir aber bald beide an eben dem Orte zusammenkommen, wo nur die Titus, die Trajane, Aurelien, Sokraten, gute Könige, echte Weise und wahre Märtyrer gemeinsam über die Vorurteile und irdischen Gaukelspiele lachen werden.

Ew. Majestät verurteilten mich als einen Untreuen; alle Dero Untertanen schätzen mich, von der Wahrheit öffentlich überzeugt, als Ihren redlichsten Patrioten. Sie selbst wußten es schon längst auch.

Zwei große Monarchen haben meine Güter geteilt, noch ehe ich starb oder ein Testament zum Vorteil des Fiskus gemacht habe. Und ob meine Kinder, als rechtmäßige Erben dieser Güter, jemals Advokaten und Richter finden werden, um ihre Rechte gegen einen Gegner zu behaupten, welcher mit dreimal hunderttausend Mann beim Termin erscheinen kann, – dieses habe ich begründete Ursache, auf ewig in Zweifel zu stellen.

Findet man übrigens Unwahrheiten oder Vermäntelung in dieser meiner Lebensgeschichte, die ich nicht zum frevelnden Angriff, sondern zur behutsamen Verteidigung meiner Ehre geschrieben habe, so treffe meine Kinder der Lohn und das Schicksal der Kinder eines Verräters, und der Scharfrichter haue mir die Hand vom Arme, mit welcher ich dieses schrieb!

Ja, Herr! Von Vorwurf bin ich wirklich frei. Die Zeugen, auf die ich mich berufe, leben noch. Und obwohl mich Ew. Majestät in allen Winkeln der Erde verfolgten, wo ich Zuflucht suchte; obgleich dieselben an mir erwiesen, daß Könige lange Hände haben: so habe ich dennoch nie erweisen wollen, was ein gereizter Mann meiner Gattung tun könnte, wenn er diesen langen Händen glücklich ausgewichen ist und sein Menschenrecht empfindet.

Schon längst bin ich im Vaterlande unter die Toten gerechnet worden. Mein Leichenstein, worauf mein Name TRENCK ausgehauen wurde, und auf dem ich zehn Jahre hindurch mein Kommisbrot gegessen habe, liegt im Trenck-Keller zu Magdeburg. Diesen hatten mir Ew. Majestät bestimmt, wenn ich zu schwach gewesen wäre, aller Martern zu überstehen. Ich bin also dem Vaterlande tot, aber mein Aas soll diesem Vaterlande niemals stinken. Ich lebe keinem Monarchen mehr auf Erden, wo Undank der Lohn meines Diensteifers war. Und da mir mein Arzt unlängst bei einer schweren Krankheit versicherte, ich würde bald sterben, da die Zeitung zugleich Ew. Majestät bereits tot ankündigte, schrieb ich in Eile diese Zueignungsschrift, um meiner Lebensgeschichte einen Schutzherrn in der anderen Welt zu suchen. Ich übergab sie eilfertigst dem Druck; und da ich wider Vermuten gesund wurde, war das Buch schon fertig, und Ew. Majestät sind jetzt nicht mehr.

Es kann also nicht mehr in Dero Hände geraten. Vielleicht hätten Sie, gerechter König! alles, was ich geschrieben habe, noch von ehrlichen Männern untersuchen lassen; vielleicht würde die aufgedeckte Wahrheit in der bescheidensten Verteidigung Dero Menschenherz gerührt haben: und noch wäre es Zeit gewesen, Ihnen selbst Ehre, mir hingegen einige kurze Freuden, nach so langen Drangsalen, zu verursachen. In diesem Falle hätten Sie nie Ursache gehabt, dem Schatten des geopferten Trenck in einer besseren Welt auszuweichen, wo ich den Ihrigen mit Ehrfurcht begierig suchen werde, um Sie zu überzeugen, daß ich allezeit war

 Euer Majestät

treuer aber nie kriechender Untertan

 Trenck.

Vorbericht

Ich schreibe meine Lebensgeschichte am Rande des Grabes, und meine grauen Haare sollen nicht mit heuchlerischen Schandflecken besudelt werden. Ich will nicht anders schreiben, als ich denke; nicht anders lehren, als ich zu handeln gewohnt bin; auch so sterben, wie ich gelebt habe.

Einige Hauptvorfälle in meiner Geschichte müssen mit mir begraben werden und ewiges Geheimnis bleiben. Die Personen leben noch, welche durch Entdeckung der Sache beleidigt oder gar wohl unglücklich werden könnten. Gott behüte mich vor Verräterei an meinen Wohltätern und Freundinnen!

Auch meine Berliner Stützen im Unglück empfangen hiermit meinen lauten Dank. Nennen, oder mit dem Finger zeigen werde ich aber die gewiß nicht, denen ich Ehrfurcht und die Erhaltung meines Lebens schuldig bin. Der Leser rate bei dergleichen nur dunkel angebrachten Stellen, was er will. Ich will lieber den Verdacht einer Unwahrscheinlichkeit an meinen Schriften haften lassen, als die Quelle entdecken, aus welcher die Hilfe floß, die sogar die Wächter meines Gefängnisses für meine Rettung aufmunterte und mich in allen Begebenheiten unterstützte. Punktum! Mehr darf ich nicht sagen.

Menschenfreunden, die mich bedauern, empfehle ich meine Kinder. Für mich selbst bedarf ich nichts mehr auf Erden. Ich werde zu leiden aufhören, wenn ich nicht länger leiden will. In allen Fällen wird der Tod den gewiß nicht schrecken, der ihn so wie ich kennen und verachten gelernt hat.

Geschrieben im Schloß Ziperbach

 im Jahr 1786

 im 60ten Lebensjahr.

Ich wurde geboren am 16. Februar 1726 in Königsberg in Preußen. Mein Vater starb daselbst im Jahre 1740 als königlich preußischer Generalmajor der Kavallerie, Ritter des Militärordens, Landeshauptmann und Erbherr auf Groß-Scharlack, Schakulack und Meicken, welches seit 300 Jahren Trenk'sche Stamm-und Lehnsgüter sind. Er nahm 18 Narben mit ins Grab, die er für das Vaterland aufzuweisen hatte, und der große Friedrich ließ ihn mit dem Ehrenzeichen eines Generallieutenants begraben.

Meine Mutter war eine Tochter des Königsbergischen Hofgerichtspräsidenten von Derschau. Einer ihrer Brüder war der königlich preußische Etatminister und Generalpostmeister der königlichen Staaten in Berlin. Zwei andere Derschau waren Generale der Infanterie.

Sowohl von Vaters wie Mutters Seite sind meine Ahnen in den preußischen Chroniken unter den alten deutschen Ordensrittern bekannt, welche ehemals Kurland, Preußen und Livland eroberten und unter sich in Ämter und Balleien verteilten. Eigentlich stammen die Trenck aus dem fränkischen Kreise.

Ich habe hier deshalb etwas von meinem Stammbaum sagen müssen, weil mich einige geadelte Hanswürste ihres sogenannten Herrenstandes unwürdig glaubten und ausgesprengt hatten, die Trenck'schen Ahnen wären nur slavonische Räuber gewesen und niemals in Wien mit Wappen und Prädikaten begnadigt worden. Gern gestatte ich dem Nationalstolz diese Freude ...

Von meinen Kinderjahren sage ich nichts; dieses Buch soll kein Kinderroman werden. Mein Temperament war sanguinisch-cholerisch; erst im 54sten Jahre wurde das cholerische vorherrschend.

Trieb nach Freuden und Leichtsinn waren folglich die angeborenen Fehler, welche meine Lehrer zu bekämpfen hatten. Das Herz war biegsam; aber eine edle Wißbegierde, ein Nacheiferungsgeist, eine unruhige Arbeitsamkeit, ein bei allen Gelegenheiten angefächelter Ehrgeiz waren die Triebfedern, welche nach dem Entwurfe meines aufgeklärten Vaters einen brauchbaren Mann aus mir bilden sollten. Kaum war ich noch Jüngling, so keimte schon eine Art von Stolz in meiner Seele, welcher in dem Gefühl des inneren Wertes wurzelt. Ein einsichtsvoller Lehrmeister, welcher mich vom 6ten bis in das 13te Jahr leitete, arbeitete aber unausgesetzt, um diesen empörenden Stolz in eine gemäßigte Eigenliebe zu verwandeln. Durch Gewohnheit, ständig mit Schulbüchern beschäftigt zu sein, durch Auffrischung, Erquickungsstunden und Lob, ward mir die Arbeit ein Zeitvertreib, das Lernen eine Gewohnheit und die strengste Erziehung eine ungefühlte Bürde.

Meine natürlichen Talente wurden demnach richtig angewandt und durch tägliche Übung mein Gedächtnis so stark, daß ich innerhalb von 2 Stunden ein ganzes lateinisches Programma von einem Bogen auswendig lernen konnte. Die meisten Schulbücher, den Cicero, Cornelius, Virgil, die ich ins Deutsche und wieder zurück ins Lateinische übersetzen mußte, die ganze heilige Schrift, konnte ich mit vollständigen Kapiteln herunterplappern.

Wenn ein Jüngling einen geduldigen und wirklich gelehrten Instruktor hat, der ihn zugleich liebt und Freude in seiner Unterrichtung findet; wenn dieser Jüngling vom 6ten bis in das 13te Jahr täglich von früh um 5 bis 7 Uhr abends zur Arbeit angehalten wird und zugleich einen leichten Begriff, einen gesunden Körper, einen forschenden Verstand und ein großes Gedächtnis besitzt; wenn seine Lehrer ihn zu lenken und sein Feuer so anzufächeln wissen, daß es keine Funken in wachsende Leidenschaften aussprühen kann: dann allein ist es möglich, daß der Schüler, so wie ich, schon im 13ten Jahr alle Schulstudia gründlich absolvieren und zu den höheren Wissenschaften auf Universitäten schreiten kann.

Die ganze Historie hatte ich nicht nur nach dem Buchstaben, sondern mit aufgeklärter Anwendung im Kopf – so gut, daß ich noch heute, in meinem 60ten Lebensjahr, fast alle römischen Regenten und Kaiser, alle großen Männer und Gelehrten nennen, auch das Säkulum bestimmen kann, in welchem sie lebten. In Geographie und Zeichnen hatte ich ebenso viel getan; noch gegenwärtig will ich jedes Land, ohne die Landkarte anzusehen, mit seinen Grenzen, Flüssen und Hauptstädten auf das Papier malen.

Mein Vater schonte kein Geld, wo Gelegenheit war, etwas zu lernen. Mit Fechten, Tanzen und Voltigieren wurde ich in meinen Erholungsstunden beschäftigt. Und wenn ich irgendwo müde wurde, oder Ekel merken ließ, dann durfte man mir nur versprechen, daß ich nach vollbrachter Lektion ein paar Stunden Vögel schießen, Fische fangen oder spazierenreiten durfte; so war im Augenblick alles memoriert, und Wonne und Freude verbreiteten sich bei der strengsten Kopfarbeit in meine ganze Seele.

Man blieb aber nicht allein bei den toten Büchern, die allein den Kopf anfüllen und den Gelehrten bilden. Man arbeitete zugleich auf das Herz, auf das Sittliche, und auf die moralischen Empfindungen des Jünglings hin.

Vom Katechismus war mein Instruktor kein Liebhaber. Ich hatte schon zu viel die Bibel gelesen und machte ihm Einwürfe, die er meistens mit Schweigen und Lächeln widerlegte. Hingegen wurden mir Tugend, Bescheidenheit, Mäßigung, Bemeisterung meiner Leidenschaften, Großmut, Menschenliebe, Patriotismus, Ehrgeiz, Bürgerpflicht und Redlichkeit bei jeder günstigen Gelegenheit eingeprägt.

Ewigen Lohn, ewigen Segen wünsche ich für diese wohltätige Erziehungsart dem Schatten meines erleuchteten Vaters, und dem Manne, welcher mich zu bilden gewählt wurde.

Wer einmal an Wissenschaften Geschmack findet und immer in denselben mutig fortzuschreiten entschlossen ist, dem scheint nichts unübersteiglich, der klagt auch im Kerker nicht über Langeweile, der weiß die echten Glücksgüter von Scheingütern zu unterscheiden und bleibt in allen Schicksalsstürmen unbewegt.

Erbauungsstunden durfte man mir wenige gestatten; überall waren Händel, wo ich mich einmischte. Und wo lustige Streiche gespielt wurden, wo man mit verkleideten Gespenstern das Gesinde schreckte, oder wo Zucker und Obst genascht wurden, da war Fritze gewiß der Urheber, allezeit aber sicher im Verdacht. Hierdurch übte ich mich in listigen Ausflüchten, und geriet durch Notlügen in den Verdacht, anderen Leuten eine Nase zu drehen oder die Wahrheit listig zu bemänteln. Denn gegen Gewalt hilft am sichersten der Betrug.

Meine Lebhaftigkeit war unbegrenzt. Durch liebreiche Worte war aber alles von mir zu erhalten, wogegen mich Schläge und niedrige Handlungen empörten und halsstarrig machten. Die ganze Grundlage meiner Erziehung war demnach auf Ehrgeiz, Lob und Tadel gegründet. Und weil geschwinde Begriffe und unausgesetzte Arbeit mich früher klüger machten als alle Jünglinge, die ich zum Umgang fand; weil ich mich von allen Menschen gelobt und von vielen bewundert sah, so geriet ich unbemerkt aus der Eigenliebe in einen Stolz, in eine gewisse Menschenverachtung oder Tadelsucht, die mir bis zum grauen Haare anhaftete, mir viele Händel in der Welt verursachte und meiner Feder mitunter auch den beißenden satirischen Ton einflößt, der mir bei denen, die mich nicht persönlich kennen, das Urteil eines gefährlichen, unruhigen Mannes eingebracht haben, was doch in der Tat das Gegenteil meines ganzen Charakters ist.

Mein Vater war durch und durch Soldat. Tapfer und Ehrgeizig sollten alle seine drei Söhne werden. Wenn demnach einer den anderen schimpfte oder beleidigte, so durften wir nicht mit den Haaren raufen. Es geschah eine förmliche Aufforderung mit hölzernen Säbeln, die mit Leder überzogen waren; und der Alte sah lächelnd zu, wenn wir uns herumsäbelten, eben hierdurch aber in den Fehler gerieten, Händel zu suchen, um bei jedem Siege gepriesen zu werden. Diese Nachsicht hat mir und meinen Brüdern große Widerwärtigkeiten verursacht.

Nichts konnte mich mehr aufbringen, als wenn ich einen anderen Jüngling loben hörte. Ich wollte mehr wissen als jeder andere; und gleich waren Händel da, wo wir zusammenkamen. Dieser nicht beizeiten gedämpfte Fehler, und die Gewohnheit, daß ich bei allen öffentlichen Prüfungen allezeit der Erste blieb, haben einen so nachteiligen Eindruck in meinen Begriffen von mir selbst verursacht, daß ich in allen Begebenheiten meines Lebens lieber brechen als biegen, keinem stolzen und gebieterischen Menschen nachgeben noch ausweichen wollte; immer einen jeden angriff und beleidigte, welcher mich zu verachten schien; und daß ich mich viel zu früh als ein vorwitziger Jüngling schon in die Klasse der großen Männer aufschwingen wollte.

Hieraus erwuchsen der Neid und alle Verfolgungen, die ich mir bei vielen Gelegenheiten durch Enthaltsamkeit und Mäßigung hätte vom Halse rücken können. War aber einmal der Angriff geschehen und die Bürde aufgeladen, dann gestattete der Ehrgeiz nicht mehr nachzugeben. Verschiedene Versuche glückten, und eben hieraus erwuchs der Fehler, daß ich mit dem besten Menschenherzen, welches niemals jemand meinesgleichen beleidigen konnte, allezeit Freude im Wohltun fühlte, und Wehrlose, oder die, welche von meinen Befehlen abhingen, nicht einmal zu strafen oder gar zu mißhandeln fähig war; dennoch alle die verachtete, auch wohl angriff, welche mit gebieterischem Tone auftraten oder mir als Vorgesetzte unumschränkte Gewalt in Herrschergestalt zeigen wollten.

Das Amt hatte ich nie vom Manne zu unterscheiden gelernt. Ich wollte überall Gerechtigkeit, Großmut und Gelehrsamkeit finden. Alles sollte nach meinen Schulbüchern angeordnet sein. Ich fing an mit Tadeln, dann folgten Spott und satirische Angriffe; hieraus entstanden Feinde, diese wachten arglistig, wenn ich in meiner inneren Tugend wehrlos schlummerte; und allezeit blieb ich das sichere Opfer der Mißgunst oder der gereizten Rache.

Bei der edelsten und besten Fürsorge für meine Erziehung, um einen glücklichen Mann aus mir zu machen, entstand so durch Nachsicht oder Versäumnisse in solchen Grundsätzen, die in despotischen Staaten unentbehrlich sind, eben das Gegenteil des Zweckes. Ein republikanischer, nach erhabenen Grundsätzen zur edelsten Freiheit und Menschenliebe gebildeter Kopf sollte in Friedrichs Staaten mit großen Talenten zu großen Ehren gelangen? Welcher Widerspruch! Man erzog mich für den Dienst eines durch Eigenmacht beherrschten Vaterlandes mit den Grundsätzen, mit dem ganzen Enthusiasmus eines freigeborenen Menschen. Man lehrte mich die Sklavenpeitsche weder kennen, noch ihr ausweichen, sondern verachten.

Das gewöhnliche Jugend- und Kinderglück habe ich nie genossen. Der ganze Tag war mit Anstrengung und Lernen ausgefüllt. Sogar der Schlaf wurde mir deswegen abgekürzt; besonders weil mein Instruktor ein alter Mann war, welcher, weil er selbst wenig schlief, mir auch wenig Ruhe gestattete.

Die Jünglingsfreuden genoß ich noch weniger: denn im 18ten Jahre war ich schon unglücklich und schmachtete im Gefängnis zu Glatz.

Als Mann hatte ich mit tausend Widerwärtigkeiten zu ringen, erlebte zweimal die Konfiskation meines Vermögens und saß vom 27ten Lebensjahr bis zum 37ten im Kerker zu Magdeburg, ohne Tageslicht, gefesselt.

Seit meiner erhaltenen Freiheit hatte ich beständig Drangsale und Verfolgungen zu bekämpfen. Nun bin ich ein Greis; des Alters Schwächen brechen hervor und fordern eine neue Art von Geduld, die mir bisher unbekannt war ... Meine Kinder wachsen heran. Ich mache mir Vorwürfe, ihre Rechte durch meine Unbiegsamkeit verkürzt zu sehen. Ich fühle, daß ich genug gelebt habe und sehne mich nach Ruhe, die für Männer meiner Gattung erst jenseits des Todes zu hoffen ist. Glücklich, wer angesichts dessen mit Seneca sagen kann:

»Wenn mir ein Gott gestattete, daß ich von neuem ein Kind würde, so wäre Nein mein Entschluß, weil ich nach vollendetem Laufe nicht wieder in die Schranken zurückkehren will. Es gefällt mir auch nicht, zu bedauern, daß ich lebe. Noch weniger reut mich, daß ich gelebt habe, weil ich so lebte, daß ich überzeugt bin, ich sei nicht ohne Ursache geboren worden.«

Wenn in einem despotischen Lande ein Jüngling von großen Talenten zur Vaterlandsliebe, zu erhabenen Handlungen, zur Tugend und zum edlen Ehrgeiz angeführt wird; wenn alle seine Begriffe aufgeklärt, gegen Vorurteile kämpfen; wenn Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit allein das Augenmerk seiner Wünsche sind ... dann wird er gewiß kein Hofliebling, kein Wesir, viel weniger ein Polizeidirektor noch Referent, sondern ein sicherer Widersprecher, ein verworfener, ein unglücklicher Mann, wenn nicht gar ein Aufwiegler.

In solchen Staaten ist der Pfaff der sicherste, der beste Lehrer in allen Schulen, Universitäten und Beichtstühlen. Hingegen wird auch in diesen ewig kein großer Mann, kein Scipio noch Newton noch Leibniz hervorkommen. Cicero wird verstummen, Cato den Tod wählen und Sokrates den Giftbecher trinken müssen.

Mein Hauptfehler war allezeit eine übertriebene Freigiebigkeit und Offenherzigkeit. Ich gab mehr, als ich geben sollte, und vergaß mich selbst. Der Grund dazu steckte vielleicht in dem Stolze, welcher die Selbsterhaltung übertraf. Ich verließ mich zu viel auf mich selbst, geriet in Mangel, hierdurch in allerlei Verdrießlichkeiten und war ein wirklicher Verschwender im Wohltun. Warum? Weil ich in meiner Kindheit den Wert des Geldes zu wenig kennen lernte, in Jünglingsjahren hingegen in so günstige Umstände durch die angeborenen Vorteile geriet, daß es mir niemals an Geld fehlte, wovon man in verdeckter Erzählung den Schlüssel in diesem Buche finden wird ...

Nun endlich weiter zur Geschichte selbst.

Im Jahre 1739, also in meinem 13ten Lebensjahre, fand mein Vater es schon notwendig, daß ich die Universitätsstudien anfing und wirklich immatrikuliert wurde. Man übergab mich dem berühmten Professor Kowalewsky, der dem Vaterland viele große Männer herangebildet hat. Bei ihm war ich nebst 14 anderen Edelleuten aus den besten Familien des Reiches in Kost und Wohnung. Der Zwang, die Ordnung, die Strenge in diesem Lehrhause gefiel zwar dem neugebackenen Studenten nicht. Ich war unter mehr als 3500 der Jüngste und wußte mehr als ein 24jähriger Akademiker. Jedermann bewunderte meine Jugend und Fähigkeiten, weil es fast ohne Beispiel ist, daß ein Jüngling von 13 Jahren schon auf lutherischen Universitäten Student wird und alle erhabenen Lehrstühle zu besuchen imstande ist. All dieses steigerte meine Wißbegierde, aber auch meine Selbstschätzung.

Im Jahre 1740 im März starb mein rechtschaffener Vater, und meine Mutter heiratete in zweiter Ehe den Grafen Lostange, Obristlieutenant des Kiow'schen Kürassierregiments, verließ Preußen und folgte ihrem Manne nach Breslau. Meine Schwester heiratete den einzigen Sohn des alten Generals der Kavallerie von Waldow, welcher den Dienst quittierte und mit ihr auf seine Güter nach Hamme in das Brandenburgische reiste. Ich verlor also alles, was ich liebte, und mein zweiter Bruder trat als Fahnenjunker in das Kiow'sche Regiment; den jüngsten hingegen nahm meine Mutter mit nach Schlesien.

Ich war also allein und mir selbst überlassen. Mein Vormund war der Hofgerichtspräsident von Derschau, mein Großvater, einer der gelehrtesten Männer im Lande. Dieser liebte mich grenzenlos; ich mußte ganze Tage bei ihm zubringen, er fand Freude in meiner Belehrung, und ich habe ihm viele Kenntnisse zu verdanken. Er war stolz auf seinen Enkel, gestattete mir liebreich alle kleinen Ausschweifungen und gab mir mehr Geld, als ich brauchte.

In meinen Studien versäumte ich nichts, hörte die Collegia Juridica, Physica, Methaphysica und Philosophica zugleich, repetierte sie alle in Privatstunden bei meinem Professor zu Hause und war wegen meines geübten und außerordentlichen Gedächtnisses der Liebling und die Bewunderung aller meiner Lehrer. Auch in der Ingenieurkunst war ich bald einer der Geschicktesten im Zeichnen. Die italienische und französische Sprache hatte ich zu Hause gelernt.

Zu Ende des Jahres 1740 geriet ich in Händel mit einem gewissen Herrn von Wallenrodt, der mit mir zusammen studierte. Als baumstarker Mann verachtete er meine Jugend und gab mir eine Ohrfeige. Ich forderte ihn als Student auf die Klinge. Er erschien nicht, und spottete meiner. Deshalb wählte ich meinen Sekundanten und griff ihn auf der Straße mit dem Degen an. Wir schlugen uns, und ich hatte das Glück, ihn im Arm und zuletzt in der Hand zu verwunden.

Herr Doktor Kowalewsky, mein Hausherr, verklagte mich bei der Universität. Ich wurde mit drei Stunden Arrest beim Pedell bestraft. Mein Großvater aber, welchem mein Feuer gefiel, nahm mich sogleich aus diesem Hause und übergab mich dem Professor Christiani im von der Graben'schen Stipendienkollegio.

Hier genoß ich nun vollkommenste Freiheit; und diesem Manne habe ich alle meine physischen Kenntnisse und viele Wissenschaften zu danken. Er liebte mich väterlich, unterhielt sich zuweilen bis Mitternacht mit mir in gelehrten Unterredungen und brachte mir den wahren Geschmack für Literatur und die erhabensten Wissenschaften bei. Er brachte mir die ersten Grundsätze der Menschenkenntnis bei, von der Physiognomie und Anatomie.

Unter seiner Führung hielt ich im Jahre 1742 eine öffentliche Rede und zwei Disputationen im Universitätsoratorio mit allgemeinen Beifall. Denn im 16ten Lebensjahre hatte vor mir noch keiner diese Ehre genossen, diese Proben abgelegt.

Drei Tage nach der letzten Dissertation wurde ich von einem gewissen Händelmacher und Renommisten gereizt und fast gezwungen, mich mit ihm zu duellieren. Ich brachte ihm eine Verwundung in der Hüfte bei, und gleich darauf erschien ich mit Stolz auf der Universität mit einem großen Degen und Renommisten-Handschuhen.

Kaum vierzehn Tage nach dieser Geschichte beleidigte ein Lieutenant von der Garnison meinen Freund, der ein verzagtes Herz im Busen trug. Ich übernahm seine Sache, suchte Gelegenheit, fand sie; wir schlugen uns unweit des Schloßplatzes, und mein Gegner ging mit zwei Wunden nach Hause.

Hier muß ich zur Aufklärung nur dieses anmerken, daß damals die Universität noch große Privilegien genoß; das Raufen war noch eine Ehre und erlaubt, auch fast nicht zu hindern, weil allein in Königsberg gegen 500 liv- und kurländische, schwedische, dänische und polnische feurige Edelleute studierten. Seitdem ist alle Unordnung eingeschränkt worden, hingegen die Universität in Verfall geraten, bis endlich gegenwärtig verfeinerte Sitten die studierende Jugend überzeugt haben, daß man auf Universitäten wetteifernd lernen, aber nicht raufen und sich die Glieder verstümmeln müsse, die allein für das Vaterland und mit Ehre bluten dürfen.

*

Im November 1742 schickte der König seinen Generaladjutanten, den Baron Willich von Lottum, in Geschäften nach Königsberg. Er war ein Verwandter meiner Mutter. Ich aß mit ihm zu Mittag bei meinem Großvater, er ließ sich mit mir in Unterredung ein, prüfte mich durch verschiedene Fragen. Endlich brachte er scherzend vor, ob ich nicht mit ihm nach Berlin reisen und für das Vaterland den Degen wie alle meine Vorfahren führen wolle? Bei der Armee sei bessere und ehrwürdigere Gelegenheit zum Raufen als auf der Universität. Soldatenblut rollte in meinen Adern; gleich sagte ich Ja und reiste in wenigen Tagen mit ihm nach Potsdam.

Den Tag nach unserer Ankunft wurde ich dem Könige vorgestellt, welcher mich schon vom Jahr 1740 her kannte, da ich ihm von der Universität als einer der Geschicktesten vorgestellt wurde. Gnädig, liebreich wurde ich empfangen. Einige richtige Antworten auf Friedrichs erleuchtete Fragen, und mein vorzüglicher Wuchs, mein ganz freies, unerschrockenes Wesen gefiel ihm, und sogleich erhielt ich die Uniform der Garde du Corps als Kadett, mit der Versicherung meines künftigen, meinem Verhalten angemessenen Glücks.

Die Garde du Corps war damals die Pflanz- und Lehrschule der preußischen Kavallerie. Sie bestand nur aus einer Eskadron auserlesener Leute von der ganzen Armee. Die Uniform war die prächtigste in ganz Europa, und die Equipage eines Offiziers kostete 2000 Reichstaler, weil sogar der Kürass mit massivem Silber überzogen war und mit seinen Beschlägen und Reitzeug allein 700 Reichstaler kostete. Die Eskadron bestand zwar nur aus 6 Offizieren und 144 Mann; wir hatten aber allezeit 50 bis 60 überzählige Reiter, auch ebenso viele Pferde; denn alles, was der König schön fand, wurde zur Garde geschickt.

Die Offiziere dieses Korps sind die ausgesuchtesten Talente im ganzen Staate. Der König selbst bildet sie; dann werden sie gebraucht, um die ganze Kavallerie die Mannöver zu lehren, und sie sind entweder in kurzer Zeit glücklich, oder durch den mindesten Fehler kassiert, oder in die Garnisonregimenter gesteckt. Sie müssen alle Mittel von Hause haben, damit sie sowohl bei Hofe wie in der Armee zu brauchen sind.

Kein Soldat auf Erden ist wohl mehr geplagt als ein Garde du Corps; in Friedenszeiten habe ich oft in 8 Tagen nicht so viele Stunden zur Ruhe übrig gehabt. Früh um 4 Uhr schon geht das Exerzieren an. Alle Versuche, die der König mit der Kavallerie machen will, geschehen hier; man springt über Gräben von 3, dann 4, dann 5 und 6 Fuß, dann weiter, bis einige im Probieren die Hälse brechen. Man setzt über Zäune, macht Karriereattacken von einer halben Meile, und oft kamen wir mit einigen toten und invaliden Menschen, auch Pferden, zurück. Öfters nachmittags, wieder mit frischen Pferden heraus.

In Potsdam wurde zuweilen in einer Nacht zweimal Alarm geblasen. Die Pferde standen in den königlichen Reitställen, und wer nicht binnen 8 Minuten gesattelt und bewaffnet vor dem Schloß erschien, der mußte 14 Tage in Arrest. Kaum war man zu Hause im Bett, so wurde wieder geblasen, um die Wachsamkeit der Jugend zu üben. In einem Jahr habe ich im Frieden 3 Pferde verloren, die beim Exerzieren und Grabenspringen die Beine brachen oder überritten wurden. Kurz gesagt: die Garde du Corps verlor damals im Friedensjahr mehr Menschen und Pferde als vor dem Feinde in folgenden Kriegsjahr in zwei Bataillen.

Wir hatten damals dreierlei Quartiere; im Winter bei den Hoffesten und Opern in Berlin, im Frühling zur Exerzierzeit in Charlottenburg und den Sommer hindurch in Potsdam, oder dort, wo der König war. Alle sechs Offiziere hatten die Tafel mit dem König, an Galatagen bei der Königin einzunehmen. Folglich kann wohl keine bessere Lehrschule für den Soldaten oder für den Weltmann sein als diese.

*

Nun war ich kaum drei Wochen Kadett, als mich der König nach der Kirchenparade auf die Seite rief und mich wohl eine halbe Stunde lang in allen Fächern examinierte. Er befahl mir, am folgenden Tag zu ihm zu kommen.

Er stellte mein ihm als so wunderbar gerühmtes Gedächtnis auf die Probe. Er legte mir 50 Soldatennamen vor, und innerhalb von 5 Minuten waren sie memoriert. Er gab mir Stoff zu zwei Briefen, die ich in französischer und lateinischer Sprache zugleich verfertigte, einen selbst schrieb, den anderen in die Feder diktierte. Und in derselben Geschwindigkeit mußte ich mit dem Bleistift eine Gegend aufnehmen.

Auf der Stelle ernannte er mich zum Kornett der Garde du Corps; und jeder Ausdruck seiner königlichen Beredsamkeit war ein Feuerfunken, der meine ganze Seele für ihn, für seinen Dienst und für das Vaterland in hellen Flammen brennen machte. Er sprach als König, als Vater und zugleich als Kenner und Schätzer großer Talente. Er sprach und empfand, was von mir zu erwarten war; und von diesem Augenblick an war er selbst mein Lehrer, mein Freund, und mein Monarch.

Mein Kadettenstand hatte also kaum drei Wochen gedauert; und wenige können sich rühmen, in meinem Vaterlande unter des weisen Friedrichs Szepter ein solches Glück erlebt zu haben.

Nun war ich Offizier von der ersten Garde. Der König schenkte mir zwei Pferde aus seinem Stall, auch 1000 Reichstaler als Beitrag zu der kostbaren Equipage. Von jetzt an war ich ein Hofmann, ein Gelehrter und ein Offizier bei der schönsten, ehrwürdigsten und lehrreichsten Soldatenschule in Europa. Meine Anstrengung im Dienst kannte keine Grenzen, so daß mich der König schon im August 1743 dazu erwählte, die schlesische Kavallerie in den neuen Manövern zu unterrichten, welche Ehre noch keinem Jüngling im 18ten Jahre vor mir widerfahren war.

Wir hatten im Winter unsere Garnison in Berlin, wo die Offiziere die Tafel bei Hofe genossen. Und da der Ruf meines außerordentlichen Gedächtnisses mich bald beliebt und bekannt machte, so lebte niemand auf Erden angenehmer als ich.

Der Monarch empfahl mich selbst seiner gelehrten Gesellschaft. Voltaire, Maupertuis, Jordan, la Mettrie, Pöllnitz wurden meine Freunde. Ich arbeitete bei Tage in der Soldatenschule und in der Nacht an der Erweiterung meiner Kenntnisse in den Wissenschaften. Pöllnitz war mein Führer und Busenfreund und überhaupt mein Glück beneidenswürdig.

Im Jahre 1743 war ich bis auf 5 Schuh 11 Zoll herangewachsen. Die Natur hatte mir keine Vorteile versagt, wodurch man gefallen und die Herzen der Menschen gewinnen kann. Ich lebte ohne Feind, ohne Neider, und meine Wollust bestand in der edelsten Art von Ruhmsucht.

Im Winter 1743 war das Beilager der Schwester des Königs, der gegenwärtigen verwitweten Monarchin in Schweden und Mutter des regierenden Gustavs. Ich hatte als Offizier der Garde dabei die Ehrenwache und das Glück, die königliche Braut bis nach Stettin zu eskortieren. Bei diesem Beilager, wo das Gedränge im Saal zum Erstaunen war, und ich die Inspektion hatte, wurde mir selbst, als wachhabendem Offizier, der hintere Teil der rotsamtenen Überweste mit der reichen Stickereiarbeit von einem Spitzbuben weggeschnitten und zugleich die Uhr gestohlen.

Dieses verursachte ein scherzendes Gespött mit dem gestutzten wachhabenden Offizier, und eine große Dame sagte mir bei vorteilhafter Gelegenheit: Sie würde mich über meinen Verlust beruhigen ...

Der Ausdruck war von einem Blick begleitet, den ich gern verstand; und innerhalb von wenigen Tagen war ich der glücklichste Mann in Berlin.

Es war unsere beiderseitige erste Liebe. Und da sie meinerseits mit der tiefsten Ehrfurcht verbunden war ... so reut mich ewig kein Unglück, welches aus so edler Quelle sich in mein ganzes Schicksal verbreitete – das Geheimnis folgt mir sicher bis zum Grabe.

Und ob gleich dieses Schweigen einen leeren Raum in dem wichtigsten Vorfall meiner Lebensgeschichte verursacht, und einige Haupträtsel dem Leser hierdurch unauflöslich bleiben, so würden mich zwar einige alte noch lebende Preußen allein verstehen; und diese lesen meine Schriften gewiß nicht mehr.

Für die jetzige, auch für die Nachwelt, will ich lieber einige Vorwürfe untreuer Erzählung dulden, lieber hin und wieder in meinem Roman undeutlich erscheinen, als an einer Freundin und Wohltäterin undankbar handeln. Sie lebt noch, und denkt für mich noch ebenso wie vor 43 Jahren. Ihrem Umgange habe ich die Politur meiner sittlichen und persönlichen Eigenschaften zu danken. Auch im Unglück hat sie mich nie verachtet, nie verlassen; und meinen Kindern allein werde ich sagen, wem sie für meine Erhaltung Dank schuldig sind.

*

Nun war ich also in Berlin auf allen Seiten glücklich. Ich war geachtet, mein König zeigte mir Gnade bei allen Gelegenheiten, meine Freundin gab mir mehr Geld, als ich brauchte, und bald war meine Equipage die prächtigste bei der Garde.

Mein Aufwand fiel in die Augen, denn von meinem Vater hatte ich nur das Stammgut Groß-Scharlack geerbt, welches etwa 1000 Taler eintrug; ich brauchte aber manchen Monat mehr. Man fing an zu raten, zu mutmaßen – wir waren aber beiderseits so vorsichtig, daß sicher niemand etwas entdecken konnte, außer dem Monarchen selbst, der mir, wie ich hernach erfuhr, nachspähen ließ, wenn ich aus Potsdam oder Charlottenburg heimlich ohne Urlaub nach Berlin sprengte, bei der Wachtparade aber wieder gegenwärtig war. Ein paar Mal wurde meine Abwesenheit verraten. Mir gebührte Arrest; der König war aber mit der Entschuldigung zufrieden, ich sei auf der Jagd gewesen, und lächelte gnädig bei dem Pardon.

Angenehmer, glücklicher und wirklich blühender und auch nützlicher hat wohl kein Mensch in der Welt die feurigsten Jugendjahre zugebracht wie ich in Berlin. Einen ganzen Band von Vorfällen und Nebengeschichten hätte ich hier zu schreiben, auch solchen, die in die Politik hineinspielen. Meine eigene fordert aber zu viel Raum, und in diese meine tragische Lebensgeschichte gehören keine verliebten Abenteuer.

Im Anfang des Septembers 1744 brach das Kriegsfeuer zwischen Österreich und Preußen von neuem aus, und wir marschierten eilfertigst und ungehindert durch Sachsen nach Prag. Was der große Friedrich uns an eben dem Morgen, da wir sämtliche Offiziere vor dem Abmarsch bei ihm in Potsdam erschienen, mit wirklich rührender Wehmut sagte – dieses darf ich in diese Blätter nicht rücken. – Wer jemals seine und Theresiens Biographie redlich und ohne Furcht noch Schmeichelei schreiben darf, der melde sich bei mir wegen einiger bewunderungswerter Anmerkungen, die ohne mich der Nachwelt nie bekannt würden, auch unter meinem Namen nie bekannt werden sollen. Jeder Monarch hat recht, wenn er Krieg anfängt, und in beiderseitigen Kirchen wird um den Segen der Waffen und der gerechten Sache gebeten.

Genug gesagt! Diesmal ergriff Friedrich die Waffen ungern, und hiervon bin ich Augenzeuge. Wenn ich nicht irre, so stand die Armee des Königs am 14. September vor Prag; und die Schwerin'sche, welche aus Schlesien kam, traf einen Tag später jenseits der Moldau ein.

In diesem Feldzuge sahen wir den Feind nur allezeit von weitem; seine leichten Truppen, die den unsrigen in der Zahl dreifach überlegen waren, hinderten uns aber an jeder Fouragierung. Mangel und Hunger zwangen uns zum Rückmarsch, weil hinter uns im Durchmarsch alles verzehrt oder zugrundegerichtet war. Die rauhe Witterung im November machte den Soldaten unwillig, und innerhalb von 6 Wochen verloren wir 42000 Mann durch Krankheit, hauptsächlich aber durch Desertion.

Das Trenck'sche Pandurenkorps saß uns überall im Nacken, verursachte große Unruhen und Schaden, ohne daß sie jemals auch nur in Kanonenschuß-Nähe kamen. Endlich überschritt Trenk die Elbe und verbrannte alle unsere Magazine zu Pardubitz.

Es wurde also der Rückzug beschlossen.

Die ganze Kavallerie war durch Fouragemangel zugrundegerichtet. Die rauhe Witterung und die Beschwerden schlechter Wege, täglicher Marsch, Beunruhigung durch leichte Truppen machten zugleich den Soldaten unwillig; ein Drittel der Armee lief davon.

Wäre uns in diesem Zustande Prinz Karl gefolgt, wir hätten ihn gewiß nicht im darauffolgenden Juni bei Striegau total geschlagen.

Prag mußte mit großen Verlusten aufgegeben werden, und Tabor, Budweis und Frauenberg eroberte der Trenck, wo er die Regimenter Walrabe und Kreutz gefangennahm.

Diesen ganzen Feldzug könnte niemand besser, noch aufrichtiger schildern als ich, weil ich Adjutantendienste beim König verrichtete, zum Lagerabstecken und Rekogniszieren gebraucht wurde und über 6 Wochen hindurch die Fouragierung für das Hauptquartier zu besorgen hatte, weshalb ich ständig mit berittenen Jägern und Husaren im Lande herumschwärmte, die ich nach Gutbefinden anfordern konnte, weil der König mir nur 6 Mann Freiwillige von der Garde mitzunehmen gestattete.

Hingegen habe ich im ganzen Feldzuge wenige Nächte im Zelte geschlafen, und mein unermüdlicher Diensteifer brachte mir die vollkommenste Gnade des Monarchen und sein ganzes Zutrauen ein. Öffentliches Lob erhitzte mich bis zum Enthusiasmus, wenn ich zufällig das Glück hatte, an solchen Tagen mit 60 und 80 Fouragewagen im Hauptquartier einzutreffen, wogegen alle unsere anderen Fouragiere versprengt, verlaufen und mit leeren Händen nach Hause kamen, wo Mangel und Hunger einzureißen begannen und niemand, wegen der umherwimmelnden Panduren und Husaren, einen Schritt vor die Fronten wagen durfte. Sobald wir in Schlesien eingerückt waren, marschierte unsere Garde nach Berlin in die Winterquartiere.

Ich schildere hier nicht den böhmischen Krieg, muß aber, da ich über mich selbst schreibe, alles das anmerken, was Einfluß auf mein Schicksal hatte, nämlich:

Bei Groß-Benneschau ritt ich mit 30 Husaren und 20 Jägern auf Fouragierung, kommandierte die Husaren in ein Kloster und rückte selbst mit den Jägern in ein herrschaftliches Schloß, wo wir Wagen zusammentrieben und im Meierhofe Heu und Stroh aufzuladen begannen.

Ein österreichischer Husarenlieutenant mit 36 Pferden hatte mich und meine Schwäche aus einem verdeckten Gebüsch beobachtet. Meine Leute waren alle im Aufladen begriffen, meine unvorsichtigen Posten wurden überrumpelt, und auf einmal war der Feind im Meierhofe. Alle meine Leute wurden gefangen. Ich selbst aber saß ruhig im Schloß bei der jungen gnädigen Frau und sah mit Schrecken, aber wehrlos, aus dem Fenster dem Spektakel zu. Unentschlossen und schamrot über meine Unvorsichtigkeit wollte mich eben die gute Frau verstecken, als ich auf einmal im Hofe feuern hörte. – Kurz gesagt, meine Husaren, die ich in das Kloster detachiert hatte, erhielten von einem Bauern Nachricht, daß ein österreichisches Kommando im Busche lauere. Sie sahen sie von weitem auf meinen Meierhof schleichen, sprengten mit verhängtem Zügel nach und überfielen sie kaum zwei Minuten, nachdem sie mich überfallen hatten.

Wie schnell, wie freudig sprang ich hinunter! Etliche Husaren entwischten zum Hintertor hinaus; wir machten aber 22 Gefangene, nebst einem Lieutenant vom Kalnockischen Regiment; zwei waren erschossen, fünf verwundet. Von meinen Leuten hingegen waren zwei Jäger, die wehrlos im Heustall arbeiteten, niedergehauen worden.

Gleich wurde die Fouragierung mit mehr Vorsicht weitergeführt. Die erbeuteten Pferde dienten als Vorgespanne, und nachdem ich im benachbarten Kloster 150 Dukaten abgeholt und diese unter meine Leute verteilt hatte, um ihnen das Maul zu stopfen, marschierte ich zur Armee, von der ich etwa zwei Meilen entfernt war. Auf allen Seiten um mich herum hörte ich schießen, überall wurden Fouragiere aufgegriffen, ein versprengter Lieutenant mit 40 Pferden schloß sich mir an; dies stärkte meine Bedeckung, hinderte mich aber, in das Lager zu kommen, da ich Nachricht erhielt, daß mehr als 800 Husaren und Panduren vor mir herumschwärmten. Ich zog mich seitwärts, nahm einen Umweg und kam mit meinen Gefangenen und 25 beladenen Wagen glücklich im Hauptquartier an.

Der König saß eben bei der Tafel, als ich ins Zelt eintrat. Und weil ich die Nacht ausgeblieben war, hatte jedermann geglaubt, ich sei gefangen worden, was an diesem Tage verschiedenen anderen geschehen war.

Gleich nach dem Eintritt fragte der König:

Kommt Er allein?

Nein, Ihro Majestät! Ich bringe 25 beladene Wagen und 22 Gefangene mit ihren Pferden und Offizieren!

Gleich mußte ich mich zu ihm zu Tische setzen; er wandte sich zu dem neben ihm sitzenden englischen Gesandten und sagte, indem er mir auf die Schulter schlug:

C'est un matador de ma jeunesse!

Die Pferde warteten schon vor dem Zelt; er wollte zum Rekognoszieren ausreiten. Er stellte wenig Fragen, wobei ich bei jeder einzenen zitterte und mich mit großer Müdigkeit entschuldigte. Nach etlichen Minuten stand er vom Tisch auf, besah sich die Gefangenen, hing mir eigenhändig den Orden Pour le merite um den Hals, hieß mich ruhen, und ritt davon.

Wie mir dabei zu Mute war, ist leicht zu erraten. Ich hatte wegen grober Unvorsichtigkeit bei dieser Begebenheit die Kassation verdient – und wurde belohnt. Ist dies nicht ein sichtbares Vorbild unserer gewöhnlichsten Weltbegebenheiten? Wie mancher General hat durch einen Fehler eine Schlacht gewonnen, die man später seiner Weisheit zuschrieb! Der rechtschaffene Unteroffizier verdiente eigentlich, was ich erhielt.

Bei vielen Vorfällen meines Lebens, wo ich Ruhm und allgemeinen Beifall, Ehre und Achtung erwarten sollte, waren Schmach und Fesseln mein Lohn. Und der Monarch, welchem ich mit Herz und Seele diente, wurde durch Verleumdung und falschen Schein hintergangen, übereilte sich im Urteil und strafte mich wie einen treulosen Übeltäter.

Indessen war die Furcht, daß die Wahrheit, wobei so viele Zeugen reden konnten, bekannt werden und man mich öffentlich beschimpfen würde, eine Folter, die mir alle Ruhe und Freude raubte. An Geld fehlte es mir nicht. Ich gab jedem Unteroffizier 20 und jedem Gemeinen einen Dukaten aus meinem Beutel, um Verschwiegenheit zu erwirken. Die Leute liebten mich und versprachen alles. Indessen nahm ich mir vor, bei der ersten Gelegenheit dem König die Wahrheit zu sagen.

Diese ergab sich binnen zwei Tagen. Wir marschierten; ich führte als Kornett den ersten Zug, und der König ritt neben der Paukenwache. Er winkte mir und redete mich an:

Jetzt erzähl Er mir, Trenck! Wie hat Er Seinen letzten Coup gemacht?

Ich glaubte sicher, daß ich bereits verraten wäre. Der Monarch machte aber bei der Frage eine so gnädige Miene, daß ich frischen Mut faßte und ihm alles trocken erzählte, wie es wirklich zugegangen war. Ich bemerkte Verwunderung in seinen mir bereits vertrauten Gesichtszügen, aber ebenso, daß ihm meine Offenheit gefiel. Diesen Augenblick benutzte ich dergestalt zu einem reueerfüllten Vortrag, daß er mir nicht einmal einen Verweis gab. Er sprach eine halbe Stunde lang nicht als König, sondern als Lehrer und Vater, lobte meine Offenherzigkeit und schloß mit den Worten, die ich ewig nicht vergessen werde:

Folg Er meinem Rate – vertrau Er sich mir ganz – ich will aus Ihm einen Mann machen!

Von diesem Augenblick an war mein ganzer Wunsch, meine Zielscheibe die Ehre, für meinen König zu arbeiten, für mein Vaterland zu bluten. Das ganze Vertrauen dieses scharfsinnigen Monarchen war von diesem Augenblick an für mich gewonnen, und ich empfand den ganzen Winter hindurch täglich Merkmale desselben in Berlin, wurde meistens mit in seine gelehrten Gesellschaften gezogen und meine Aussichten waren beneidenswürdig.

Überdies erhielt ich in diesem Winter mehr als 500 Dukaten an Geschenken, und der Neid fing zugleich an, seine Tücke an mir auszuüben, weil ich zum Hofmanne eine zu redliche, zu offenherzige Seele besaß.

Noch einen Vorfall muß ich aus diesem Feldzuge bekannt machen, der in der Geschichte Friedrichs merkwürdig ist.

Bei der Retirade aus Böhmen war der König selbst nebst der Garde zu Pferde, zu Fuß, den Pikets der Kavallerie, mit dem ganzen Hauptquartier und dem zweiten und dritten Bataillon Garde in Kolin; wir hatten nur vier Feldstücke bei uns, unsere Eskadron lag in der Vorstadt. Gegen Abend wurden unsere Vorposten in die Stadt getrieben, die Husaren sprengten einzeln hinein – die ganze Gegend wimmelte von feindlichen leichten Truppen, und mein Kommandeur schickte mich zum König, um Befehl zu holen. Nach vielem Suchen fand ich den König auf dem Kirchturm mit dem Perspektiv in der Hand. Nie habe ich ihn so unruhig, so unentschieden gesehen wie an diesem Tage. – Der Befehl war:

Wir sollten sogleich retirieren, durch die Stadt marschieren und in der anderen Vorstadt gesattelt und gezäumt bereitstehen.

Kaum waren wir in derselben angelangt, als es zu regnen begann und die dickste Finsternis hereinbrach. Gegen 9 Uhr abends erschien der Trenck mit seinen Panduren und Janitscharenmusik, zündete etliche Häuser an – die Stadt war so hell, daß man uns gewahr wurde, und fing an, aus den Fenstern zu feuern. Die Verwirrung wurde allgemein – die Stadt war so voll, daß wir nicht hinein konnten; das Tor war gesperrt, und über demselben feuerten unsere kleinen Feldstücke. Der Trenck hatte das Wasser abgraben lassen, und um Mitternacht standen wir mit den Pferden bis an den Bauch in der Flut, wirklich wehrlos. Wir verloren sieben Mann, und mein Pferd wurde am Halse blessiert.

Sicher ist, daß der König in dieser Nacht mit uns allen gefangen worden wäre, wenn mein Vetter seinen beabsichtigten Sturm (wie er mir in der Folge selbst erzählte), hätte ausführen können. Es wurde ihm aber mit einer Kanonenkugel der Fuß zerschmettert. Man trug ihn zurück, und das Pandurenfeuer hatte ein Ende. Tags darauf erschien das Nassauische Corps zu unserer Hilfe. Wir verließen Kolin, und während des Marsches sagte der König zu mir:

Sein sauberer Herr Vetter hätte uns heute nacht einen garstigen Streich versetzen können! Er ist aber laut Deserteur-Bericht erschossen worden.

Der König fragte mich, wie nahe ich mit ihm verwandt sei – und hierbei blieb es.

*

In der Mitte des Dezembers trafen wir in Berlin ein. Hier war ich nun wieder der glücklichste Mensch und mit offenen Armen empfangen. Ich war aber weniger vorsichtig als im vorigen Jahr, vielleicht auch mehr beobachtet.

Ein Lieutenant von der Fuß-Garde, der zugleich ein öffentlicher Ganymed war (und gegen den ich ohnedies schon einen natürlichen Haß, wie gegen alle solche Schufte, im Herzen trug), griff mich wegen meiner geheimen Liebe mit Sticheleien an. Ich hieß ihn einen et cetera – wir griffen zum Degen, und ich brachte ihm einen Hieb ins Gesicht an. Bei der Kirchenparade am darauffolgenden Sonntag nach dieser Begebenheit, sagte mir der König im Vorbeigehen:

Herr! Der Donner und das Wetter wird Ihm aufs Herz fahren – – nehm Er sich in acht! – –

Wenige Zeit danach kam ich einige Augenblicke zu spät auf die Parade. Der König, welcher mich schon beobachtet und vermißt hatte, schickte mich nach Potsdam zur Garde zu Fuß in Arrest, wo ich auf der Langen Brücke mein Zimmer erhielt.

Nachdem ich 14 Tage gesessen, kam der Obrist Graf Wartensleben zu mir und riet mir, ich sollte um Gnade bitten – ich war noch zu unerfahren in Hofränken und merkte nicht, daß ich mit einem Kundschafter sprach. Ich stellte mich unwillig über den langen Arrest für einen Fehler, der gewöhnlich mit drei, höchstens sechs Tagen abgebüßt wird, und blieb also sitzen.

Abermals verflossen acht Tage – der König kam nach Potsdam – ich wurde von Genral Borck, Generaladjutanten des Königs, ohne den Monarchen zu sehen, mit Briefen nach Dresden geschickt.

Bei meiner Zurückkunft meldete ich mich bei dem Monarchen auf der Parade – und da die Eskadron in Berlin stand, fragte ich:

Befehlen Euer Majestät, daß ich zur Eskadron nach Berlin reite?

Die Antwort war:

Wo kommt Er her?

Aus Dresden.

Wo war Er, ehe Er nach Dresden ritt?

Im Arrest.

So gehe Er wieder hin, wo Er gewesen ist!

Und hiermit war ich wieder Arrestant und blieb es wirklich bis auf drei Tage vor dem Abmarsch, da wir im Anfang Mai aufbrachen und nach Schlesien mit schnellen Schritten zum zweiten Feldzuge marschierten.

*

Nun muß ich einen Hauptvorfall umständlich erzählen, woraus in eben diesem Winter die eigentliche Quelle aller meiner in der Welt erlittenen Drangsale entsprang. Ich bitte meine Leser, sich diese Stelle zu merken, und mich im Voraus zu bedauern, weil aus der unschuldigsten Ursache der rechtschaffenste Mann, der beste Patriot des Königs verdächtig und in ein solches Gewebe von ineinanderfließenden Folgen verwickelt wurde, aus welchem ich mich vom 19ten bis in das 60ste Lebensjahr noch nicht habe befreien können. Hier ist die treue und längst öffentlich bestätigte Erzählung, die mir und meinem Schicksal Ehre macht.

Franz Freiherr von der Trenck1