Mesmerize - Fluch der Vergangenheit - Leisha Winter - E-Book

Mesmerize - Fluch der Vergangenheit E-Book

Leisha Winter

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Beschreibung

*Mesmerize – Fluch der Vergangenheit* ist bis zum Schluss spannend und dramatisch reißerisch. Die Situation kennst Du bestimmt: Du sitzt am PC oder Handy und plötzlich: Schwarzer Bildschirm. Ein Trojaner hat Dein Gerät lahmgelegt und Du verfällst in Panik. Sind meine Daten geschützt? Was mache ich jetzt? Max hat genau dieses Problem in seiner IT-Firma TitanTech. Doch der Trojaner ist gewitzter als es zuerst den Anschein macht. Um das Problem zu lösen, engagiert er die talentierte Programmiererin Emma, die jedoch eine Vorgeschichte mit dem Chef-ITler Nicolas Lange zu haben scheint. Als wäre das nicht schon genug Drama, überschlagen sich die Ereignisse, als Emma von einem mysteriösen Hacker namens Ares entführt wird.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 373

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Alle Rechte bei Leisha Winter

Website: leishawinter.de

Instagram: leishawinterautor@instagram

Copyright © 2023

Druck und Distribution im Auftrag der Autorin:

tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Deutschland

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter

Tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", An der

Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

Stillektorat:

Lektorat Seepferdchen - Christina Hein

https://lektoratseepferdchen.wixsite.com/seepferdchen

Coverdesign, Buchsatz: Leisha Winter

Illustration "Hannahs Bild" : Jasmin

978-3-347-93828-1

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.dnb.de abrufbar.

Die Content Notes sowie die Danksagungen findet Ihr am Ende.

Für Jürgen: Danke, das Du immer an mich geglaubt und mich nie aufgegeben hast. Ich liebe Dich!

Playlist

Two Feet – I feel like I’m drowning

Gwen Stefani, Eve – Rich girl

NEFFEX – Fight back

Chinchilla – Little girl gone

System of a down – Chop suey!

Chris Isaak – Wicked game

Kaleo – No good

Lo-Fang – #88

KALEO – Break my baby

Machine gun Kelly – Home

2wei – Survivor

Autoheart – Stalkers tango

Imagine Dragons – Enemy

Thomas D – Wish

Labrinth – Mount Everest

NF – Paralyzed

Malia J – Smells like teen spirit

Tommee Profitt – In the end

Inhalt

Cover

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Urheberrechte

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Content Notes

Disclaimer

Danksagung

Hannahs Bild

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Mesmerize - Fluch der Vergangenheit

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Einem Freitagabend sagt man nach, dass er dazu da ist, sich Gedanken über die Pläne für das Wochenende zu machen. Doch für Max Friedrich, den Geschäftsführer von TitanTech, gilt das an diesem Abend nicht. Statt sich auf die freien Tage zu freuen, kreisen seine Gedanken seit Stunden. Denn erst heute stellte sich heraus, dass seine Firma von einem Trojaner befallen worden ist. Der PC seiner rechten Hand Gloria musste bereits ausgetauscht werden. An sich nichts Besonderes, denn Hardware veraltet schnell und Glorias Computer hatte nach drei Jahren Dienst seinen Zenit längst überschritten.

Nach dem Austausch kehrte jedoch nur kurz Ruhe ein: Zwar funktionierte ihr Computer wieder, doch dann meldeten sich kurz darauf die Mitarbeiter der Marketingabteilung mit genau den gleichen Problemen. Auf Anweisung von Max wurden daraufhin alle PCs auf Herz und Nieren geprüft. Dabei stellte sich heraus, dass die Ausfälle kein Zufall waren. Seitdem arbeitet die IT-Sicherheitsabteilung unter der Leitung von Nico Lange auf Hochtouren und nimmt jeden einzelnen Computer unter die Lupe. Das Einzige, was sie bisher aber nur feststellen konnten: Dieser Trojaner ist kein Fisch, den man einfach so aus dem Teich angelt. Dieser Schädling ist anders, er ist unsichtbar, nicht greifbar. Wie ein böser Fluch. Auch wenn bisher keine Daten versendet oder manipuliert wurden, lässt Max die Angst vor dem möglichen Schaden nicht los. Diese Ungewissheit gibt ihm das Gefühl, dass er jeden Moment durchdrehen wird.

Seinen eigenen PC hat er unmittelbar nach der Hiobsbotschaft vom Netzwerk getrennt. Glücklicherweise liegen die Entwürfe für eine neue Generation von Hochleistungsakkus ohnehin nur auf seiner privaten externen Festplatte. Und das hat einen guten Grund: Vor ein paar Jahren gab es schon einmal einen Vorfall. Allerdings, so Nico, war der Schädling – im Gegensatz zu diesem – dilettantisch programmiert. Dieser war nur darauf ausgelegt, ein bisschen Ärger zu machen, ohne großen Schaden anzurichten, man hielt ihn für einen dummen Jungenstreich. Es hatte Nico keine Stunde gekostet, ihn zu eliminieren. Aber Max ist seitdem vorsichtig geworden und hält alle Pläne und wichtigen Dokumente vom Firmennetzwerk fern, bis sie endgültig in Produktion gehen. Zwischendurch hat er an sich gezweifelt und gedacht, er sei paranoid geworden, aber dieser Vorfall heute hat ihm wieder bewiesen, dass er sich auf sein Bauchgefühl verlassen kann. Denn der Markt um die Vorherrschaft dieser Designs ist hart umkämpft und es würde ihn nicht wundern, wenn die Konkurrenz auch zu härteren Mitteln greifen würde, um an seine Ideen und Entwürfe zu kommen.

Max holt tief Luft und reibt sich mit beiden Händen über das Gesicht. Als er sein Spiegelbild auf dem dunklen Monitor sieht, fallen ihm die tiefen Augenringe auf, die sein Gesicht zieren. Leider nicht die einzigen Anzeichen dafür, dass er dringend Urlaub braucht. Die Woche war an sich schon schlimm genug. Zum ersten Mal in seinem Leben hat er verschlafen. Er, der Inbegriff der Pünktlichkeit. Es war ihm so peinlich, erst ins Büro zu kommen, als alle schon da waren. Natürlich machten sofort Gerüchte die Runde, aber viel schlimmer war, dass er dadurch eine wichtige Online-Konferenz verpasst hatte, die schon seit Monaten geplant war. Zum Glück konnte Gloria ihre Geschäftspartner beruhigen und ihnen glaubhaft vermitteln, dass Max unerwartet zum Arzt musste.

Mit unruhigen Fingern trommelt er auf die Schreibtischkante und beschließt, Nico anzurufen, um sich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen. Immerhin sind seit dem letzten Telefonat fast drei Stunden vergangen, da müsste sich doch inzwischen etwas getan haben. Dass Nico wie immer eine halbe Ewigkeit braucht, um seinen Anruf entgegenzunehmen, trägt nicht gerade zu Max’ Laune bei.

»Wie sieht’s aus? Gibts was Neues?« Max fällt direkt mit der Tür ins Haus, als Nico das Gespräch annimmt und hofft auf eine positive Rückmeldung seines Kollegen und Freundes. Doch diese wird durch Nicos Seufzer umgehend gedämpft.

»Leider nichts Gutes. Das Ding hat sich schon auf mehrere Abteilungen ausgebreitet. Aber komischerweise ist das alles, was es im Moment macht. Es stört nur ein bisschen die Systeme und zwingt die Computer zum Herunterfahren, das wars. So ähnlich wie damals. Hoffen wir, dass es dabei bleibt, bis wir es lokalisiert haben.«

»Hoffen??? Willst du mich verarschen? Du musst doch etwas tun können, oder? Verdammt, du weißt seit heute Mittag von dem Scheißding!«

Doch statt einer Antwort herrscht nur Schweigen am anderen Ende der Leitung. Max schnaubt genervt auf und reibt sich die Stirn. »Nico? Was zum Teufel ist das Problem?«

»Der Trojaner ist das beschissene Problem, okay? Er passt sich an, er ist wie ein verdammter Gestaltwandler. Sobald wir denken, wir haben ihn, scheint er es zu merken. Und dann verschwindet er von der Bildfläche, einfach so.«

»Ihr müsst die Computer vom Netz nehmen, bevor er auf die Server übergreift.« Max’ Anweisung klingt eher nach einem Befehl, aber es nervt ihn ungemein, dass er Nico seinen Job erklären muss. Er lockert seine Krawatte, die ihm mittlerweile das Gefühl gibt, sie würde ihm die Kehle zuschnüren.

»Hältst du mich für einen Idioten? Das haben wir schon längst getan. Das Problem ist, er ist so raffiniert, dass wir nicht sehen können, an welchen Stellen er schon ist, er verwischt seine eigenen Spuren … Ich schwöre, wir arbeiten mit Hochdruck daran.« Nico versucht sich seine Empörung über Max’ Befehlston nicht anmerken zu lassen und ihn mit ruhiger Stimme zu beschwichtigen. Aber trotzdem flucht Max leise und schlägt mit der Faust auf den Schreibtisch, um nicht laut loszubrüllen.

»Bitte sag mir sofort Bescheid, sobald du etwas Neues weißt.« Max zischt die Worte in den Hörer und beendet das Gespräch, ohne eine weitere Antwort abzuwarten. Einen langen Moment starrt er wie in Trance auf das Telefon. Ihm ist bewusst, dass die Zeit drängt und er keine andere Wahl hat, als sofort zu handeln. Er schätzt Nicos Fähigkeiten, aber die Tatsache, dass der Trojaner immer noch aktiv ist, bereitet ihm Kopfzerbrechen. Sein Verstand überschlägt sich bei dem Versuch, eine Lösung zu finden. Er verdrängt eine leise Idee, die sich ihm aufzwingt, sofort wieder, weil er weiß, dass er damit das Vertrauen des IT-Spezialisten riskieren würde. Aber andererseits ist seine Angst zu groß, dass dieser Schädling alles gefährden könnte, was er über die Jahre aufgebaut hat.

»Ach, scheiß drauf.« Als sein Blick auf die Kurzwahl seiner Sekretärin auf dem Telefon fällt, weiß er, was er zu tun hat. Gloria hat sich über die Jahre ein gutes Netzwerk an Kontakten aufgebaut und er würde seinen Arm darauf verwetten, dass sie jemanden in der Branche kennt, der ihm weiterhelfen kann. Mit beiden Händen reibt Max sich das Gesicht, dann stößt er sich schwungvoll vom Schreibtisch ab. Für einen Moment zögert er noch, richtet sich dann aber auf und zieht seine Krawatte zu, bevor er ins Vorzimmer geht.

»Gloria Winterschuh, das Herz von TitanTech. Die gute Seele der Firma. Wie geht es dir heute?« Er lächelt, lehnt sich an den Tresen und im selben Moment verstummt das Klappern der Tasten. Gloria runzelt ihre Stirn, während sie über den Rand der großen Hornbrille aufmerksam beobachtet, wie er sich zu ihr lehnt und mit den Kugelschreibern spielt.

»Was kann ich für dich tun, Max?« Mit einem freundlichen Lächeln schiebt Gloria ihre Tastatur beiseite. Wenn er mit so großen Worten zu ihr kommt, bittet er sie meistens um einen Gefallen.

Max blickt sich zunächst um, ob sicherzustellen, dass wirklich niemand in der Nähe ist, bevor er sich noch weiter zu ihr beugt und sie mit ernster Miene anblickt. »Du weißt, dass ich dir mehr vertraue als jedem anderen hier.« Seine Stimme ist so leise, dass Gloria sich ein Stück weiter zu ihm lehnen muss, um das Flüstern noch zu verstehen.

»Immer noch Probleme mit dem Trojaner?«

»Ja, leider … Hör mal … du kennst nicht zufällig jemanden, der ein Experte dafür ist?« Er dreht einen der Stifte zwischen den Fingern, bis Gloria seine Hand mit strengem Blick festhält.

»Arbeitet Nico nicht daran?« Ihre Stirn legt sich in Falten, denn sie vermutet bereits eine Auseinandersetzung zwischen den beiden.

Max verzieht das Gesicht zu einem schiefen Lächeln und starrt einen Moment auf den Sekundenzeiger der Uhr über Glorias Schreibtisch. Die Zeit vergeht heute quälend langsam.

»Deshalb bitte ich dich ja«, seufzt er, »Sag ihm vorerst nichts davon. Ich kümmere mich selbst um ihn. Er braucht einfach zu lange, und ehrlich gesagt glaube ich, dass Nico das Problem unterschätzt. Du weißt ja, wie er ist.«

Glorias Mundwinkel zucken nach oben, und sie schafft es nicht, sich ein Lächeln zu verkneifen, denn Nico hat einen gewissen Ruf in der Firma. Er macht seine Sache gut, verdammt gut sogar. Sonst hätte Max ihn nicht zum Leiter der IT-Sicherheit befördert. Aber manchmal nimmt er die Bedeutung mancher Probleme nicht ernst genug, und das führt immer wieder zu Reibereien zwischen den beiden.

»Ich kenne niemanden direkt, aber – «, erklärt Gloria und zögert einen Moment, woraufhin Max sie stumm mit einem Blick auffordert fortzufahren.

»Meine Nichte hat mir schon öfter von ihrer besten Freundin und ihren außergewöhnlichen Talenten erzählt. Ich glaube, sie heißt Emma. Vielleicht kann sie uns helfen. Ich werde Tatjana gleich anrufen, wenn das für dich in Ordnung ist. Eventuell kann ihre Freundin heute noch vorbeikommen?« Als Max nicht reagiert und sich nur seine Augenbrauen für einen kurzen Moment zusammenziehen, beißt sich Gloria fest auf die Unterlippe. Wahrscheinlich hat Max erwartet, dass sie erst einen Kontakt suchen muss, und es geht ihm jetzt doch zu schnell. Doch dann hellt sich gegen ihre Erwartung schlagartig sein Blick auf und er lacht ihr erleichtert entgegen.

»Das klingt wunderbar! Danke, Gloria! Du bist ein Engel!« Max seufzt erleichtert, während er den Stift wieder an seinen Platz zurücklegt. »Kümmerst du dich bitte sofort darum? Danke!« Zwinkernd richtet er sich wieder auf, schenkt ihr ein weiteres Lächeln und geht zurück in sein Büro. Er würde Nico zu einem späteren Zeitpunkt zu sich bitten, um mit ihm darüber zu sprechen. Es würde ihm nicht gefallen, dass jemand anderes zur Lösung des Problems hinzugezogen wird. Aber er wird es akzeptieren müssen. Denn die Bedrohung wächst mit jeder Stunde und Max will keine Zeit mehr verlieren. Das Problem muss so schnell wie möglich unter Kontrolle gebracht werden, bevor es zu spät ist. Zuviel hat er gekämpft, so viele Stunden, Arbeit und Herzblut in diese Firma gesteckt, um sich jetzt von ein paar Codes alles kaputt machen zu lassen.

Emma lehnt sich gähnend in ihrem Stuhl zurück und blinzelt, denn das Licht der untergehenden Sonne, das durch das Fenster ihrer kleinen Wohnung fällt, blendet sie. Die entfernte Skyline von Ravenau wirkt in diesem Licht besonders eindrucksvoll, denn die Fensterscheiben der Wolkenkratzer in der Ferne funkeln in der Abendsonne wie kleine Diamanten. Enttäuscht seufzt sie, als sie daran denkt, dass die meisten Touristen die wahre Schönheit dieser Stadt nicht mehr wahrnehmen. Sie verbringen nur ein paar Abende hier, um ein weiteres Foto der Gebäude oder der Altstadt zu jeder Tages- und Jahreszeit zu schießen, wie es schon Tausende vor ihnen getan haben, nur um es dann auf allen möglichen sozialen Medien hochzuladen.

Emma dagegen kennt diesen Ort ganz genau. Sie fühlt Ravenau: Die Straßen, die Gebäude, die umliegenden Wälder und Dörfer, jeder bekannte Treffpunkt ist mit einem bestimmten Gefühl in ihr verankert. Es schmerzt sie zu sehen, wie wenig die Seele dieser Stadt verstanden wird. Denn trotz aller Auszeichnungen und Trophäen lassen sich fast alle nur von den oberflächlichen Facetten blenden: Niemand spricht davon, dass hier der Nabel der Technik in Deutschland liegt. Dass hier Zukunft geschrieben und geforscht wird, dass hier Dinge erfunden werden, die niemand für möglich halten würde. Leider sind die meisten blind für die wahre Schönheit und Bedeutung der Ravenau.

Als sie weiter auf die Hochhäuser schaut und in Erinnerungen schwelgt, wird sie ein wenig wehmütig. Ein Teil von ihr wird immer mit diesem Ort verwurzelt sein und ihn bis zum letzten Atemzug in ihrem Herzen tragen. Sie hat sich damals bewusst für eine Wohnung außerhalb im Stadtteil Sandheim entschieden, aber in Momenten wie diesen vermisst sie ihre Stadt. Den Ort, an dem sie mit ihrem Talent alles hätte erreichen können. Doch manchmal läuft es im Leben nicht so, wie man es sich wünscht, und man muss sich dem Schicksal beugen, das annehmen, was man verdient hat. Mit schwerem Herzen denkt sie an all ihre verlorenen Träume und daran, dass sie die wenigsten davon bis heute verwirklichen konnte. Sie ist nicht um die Welt gereist, hat keinen Wohnwagen und lebt immer noch in dieser viel zu kleinen Wohnung. Das Einzige, was sie geschafft hat, ist die Weiterentwicklung ihrer KI, die sie Mesmerize getauft hat. Allerdings wird sie damit nicht ihren Lebensunterhalt bestreiten können, denn Mesmerize ist und war nie für die Öffentlichkeit gedacht. Es war von Anfang an nur für ihre eigenen Bedürfnisse entwickelt worden, um ihren Alltag zu erleichtern. Für einen kurzen Moment überlegt sie, wie viel einfacher ihr Leben sein könnte, wenn sie es verkaufen würde, verwirft den Gedanken aber schnell mit einem Kopfschütteln. Sie weiß genau, was manche Leute damit anstellen würden.

Nachdenklich tippt sie mit den Fingern auf die Tischplatte, den Blick auf den Bildschirm gerichtet, ohne wirklich hinzusehen. Könnte sie ihren eigentlichen Traumjob bei einer der großen Firmen in Ravenau ausüben, hätte sie sich längst einen Wohnwagen gekauft, ihn nach ihren Wünschen umgebaut und wäre mit Tatjana und Nero ständig auf Reisen. Aber so ein Wohnwagen kostet viel Geld, und als Selbstständige, die sich auf die Unterstützung älterer und weniger technikaffiner Menschen in Sandheim spezialisiert hat, kann man keine großen Sprünge machen. Das Geld reicht knapp, um jeden Monat über die Runden zu kommen.

Der Neubau, für den sie gerade die Planung macht und der komplett mit intelligenter Technik ausgestattet werden soll, ist seit langem ihr erster größerer Auftrag. Und den hat sie nur erhalten, weil ihr jemand einen Gefallen schuldete. Ansonsten geht es meist darum, für Oma Friede aus der Nachbarstraße das Internet einzurichten oder für die Eltern einen Filter zu installieren, damit es der vorpubertäre Sohn möglichst schwer hat, auf bestimmte Seiten zu kommen. In der wenigen Zeit, die sie dann noch hat, arbeitet sie an der Optimierung von Mesmerize.

Vielleicht hat sie aber, wenn sie mehr solcher Aufträge bekommen sollte, endlich die Chance, das Verhältnis umzukehren und mehr Zeit und vor allem Geld in Mesmerize zu investieren, um ihr Baby endlich zu perfektionieren.

Seit dem frühen Morgen starrt sie nun schon auf den Bildschirm und mittlerweile brennen ihre Augen wie Feuer. Die Uhrzeit in der rechten Ecke der Taskleiste kann sie kaum noch lesen. Schon wieder ist ein ganzer Tag vergangen, denn wenn sie in ihre Arbeit vertieft ist, merkt sie kaum, wie die Zeit vergeht. Selbst wenn diese Art der Arbeit eher langweilig ist und sich die Herausforderung in Grenzen hält.

Das Einzige, was sie in solchen Momenten der Selbstzweifel auf andere Gedanken bringt, ist wie immer ihr kleiner Kater Nero. Er reißt sie aus ihrem Trott, indem er auf ihren Schoß springt und Streicheleinheiten einfordert – an anderen Tagen ist es ihre beste Freundin Tatjana, die sie wieder aufrichtet.

Apropos Tatjana…

Als Emma sich ruckartig umdreht, um nach ihrem Handy zu greifen, springt Nero erschrocken mit lautem Fauchen von ihrem Schoß. Doch nicht ohne seine Spuren auf ihrem Oberschenkel zu hinterlassen.

»Verdammtes Mistvieh bist du manchmal«, zischt sie, reibt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht das Bein und entsperrt das Display. Gerade als Emma mit der anderen Hand Tatjanas Nummer wählen will, fällt ihr das Handy fast aus der Hand, denn es klingelt lautstark durch die kleine Zweizimmerwohnung. Sie wartet kurz ab, ob die Anti-Scam-Software die Nummer identifizieren kann. Denn wenn nicht, wird sie den Anruf mit Sicherheit nicht annehmen und die Nummer blockieren. Doch nach ein, zwei Sekunden erscheint schließlich in großen Lettern der Name "TitanTech GmbH" auf dem Display. Emma runzelt nachdenklich die Stirn und fragt sich, warum eine solche Firma ausgerechnet an einem Freitagabend bei ihr anruft.

Emma zögert noch, den Anruf anzunehmen, ringt mit sich. Vielleicht könnte sie nach so langer Zeit, mal wieder einer interessanten Arbeit nachgehen. Seit ihr damals eine gewisse Dame namens Margaretha alle Türen in der Stadt verschlossen hat, weil sie sie hasst wie die Pest, hat sie nicht einen einzigen Job in der Stadt bekommen. Aber dann ist da ja immer noch die Uhrzeit, die sie stutzig macht. Der Gedanke schießt ihr durch den Kopf, dass sie sich wohl verwählt haben müssen. Denn ihre letzte Bewerbung bei diesem Unternehmen für eine Stelle in der IT-Abteilung liegt schon Jahre zurück. Keine drei Tage hatte es gedauert, bis sie die Serienabsage mit der Standardfloskel im Briefkasten hatte. Emma seufzt, weil das Handy nicht aufhören will zu klingeln, und entscheidet sich schließlich, das Gespräch anzunehmen.

»Hoffmann?« Sie versucht, das Zittern in ihrer Stimme zu verbergen, in dem Glauben, ihr Gesprächspartner würde ihre Aufregung nicht bemerken.

»TitanTech GmbH, Gloria Winterschuh am Apparat. Hallo Frau Hoffmann. Entschuldigen Sie die späte Störung, aber hätten Sie vielleicht einen Moment Zeit?«

»Ähm… ja klar.« Emma räuspert sich mehrmals, um den verdammten Frosch aus dem Hals zu vertreiben. »Worum geht es, Frau Winterschuh?«

»Wir brauchen dringend Ihre Hilfe, Emma. Herr Friedrich würde Sie gerne sehen und das Problem mit Ihnen persönlich besprechen. Können Sie heute noch zu uns kommen?«

»Heute?« Ihr Blick weitet sich schockiert. Wie soll sie denn so schnell in die Stadt kommen?

»Ja, heute noch. Und keine Sorge, Ihre Zeit wird entsprechend vergütet.«

»Ich… ähm.« Emma schließt die Augen und sammelt sich. »Ja, natürlich … Ich mache mich gleich auf den Weg.«

»Vielen Dank, Frau Hoffmann. Das wissen wir zu schätzen. Kommen Sie bitte direkt in den 50. Stock. Bis gleich.«

»O- Okay.« Ehe sie sich versieht, hat Frau Winterschuh das Gespräch beendet und Emma hört nur noch das monotone Tuten der Leitung. Erst langsam dämmert ihr, dass sie keine Zeit hat, weiter zu trödeln. Eine so bedeutende Firma wie TitanTech braucht ihre Hilfe. Sie müsste längst an der Bushaltestelle stehen, anstatt wie gelähmt an ihrem Schreibtisch zu sitzen und Löcher in die Luft zu starren.

Emma springt wie von der Tarantel gestochen von ihrem Stuhl auf, streichelt Nero im Vorbeigehen noch einmal über den Kopf und schnappt sich ihre Jacke und den Schlüssel, um die Wohnung zu verlassen. Während sie die Treppe hinuntersprintet, wählt sie die Nummer ihrer besten Freundin. Die wird ausflippen, wenn sie die Nachricht hört. Es dauert zum Glück auch nicht lange, bis Tatjana sich meldet.

»Hey, Maus! Endlich rufst du an… du fehlst mir.«

»Ja, ich weiß, wir haben uns ein paar Tage nicht gehört… tut mir leid.«

»Ein paar Tage? Hast du auf den Kalender geguckt? Das letzte Mal haben wir uns vor ein paar Wochen gesehen!«

Zähneknirschend zieht Emma die Haustür zu. Das mit dem Zeitgefühl ist noch so eine Baustelle.

»Hat sich Gloria schon gemeldet?«

Emma verlangsamt ihren Schritt und zögert einen Moment, bevor sie antwortet: »Woher zum Teufel kennst du die Tippse vom Friedrich?«

»ähm… die Tippse ist meine Tante, Schatzi.« Tatjana lacht laut auf und Emma spürt, wie ihre Wangen rot werden.

Ups, Fettnäpfchen anvisiert und voll reingetreten.

»Oh… das wusste ich nicht… Entschuldigung.«

»Schon gut, Emma… fährst du hin? Wage es ja nicht einfach abzusagen! Ich habe ihr deine Nummer gegeben und dich so gelobt, dass sie denken, du bist Neo persönlich.«

Emma rollt mit den Augen und schüttelt den Kopf. »Ach halt die Klappe … niemand wird mich je ernst nehmen, wenn du immer mit deinen blöden Matrix-Vergleichen kommst.«

Endlich! Die Bushaltestelle ist bereits in Sichtweite. Nur noch ein kurzer Sprint und nicht mehr viel Zeit, um den Bus zu erwischen. Würde sie den verpassen, müsste sie sich ein Taxi rufen, wofür ihr Budget eigentlich nicht ausreicht.

»Ich sage es dir jetzt zum tausendsten Mal: Du bist der beste Hacker, Programmierer, was auch immer deine Qualifikation ist, den ich kenne. Niemand kann dir auf diesem Gebiet das Wasser reichen.«

»Das nennt man Informatiker und du redest Bullshit … sag mir lieber, was die Titanen für ein Problem haben?« Immerhin wäre sie nicht unvorbereitet, wenn sie später dem Maximilian Friedrich gegenübersitzt. Es könnte ihn beeindrucken, wenn sie sich schon auf dem Weg in die Stadt eine Lösung ausdenken könnte.

»Dir ist klar, dass ich offiziell nichts davon wissen darf. Wehe, du sagst ein Wort zu Friedrich, dann wird meine Tante entlassen. Und dann … bringt sie dich um, glaube ich … und mich auch … Also pass auf …«.

Viele Informationen hat Tatjana leider nicht. Und der Sicherheitsfuzzi, wie Tatjana ihn liebevoll nennt, bekommt es nicht auf die Reihe, sodass Friedrich verzweifelt nach jemandem wie Emma sucht. Eigentlich mag sie es nicht, wenn so viele Hoffnungen auf ihr ruhen, denn je höher die Erwartungen sind, desto größer ist die Gefahr, sie nicht erfüllen zu können.

Doch das Thema ist dank Tatjanas Redseligkeit schnell abgehakt. Den Rest der Busfahrt finden die beiden nach so langer Zeit endlich wieder Zeit zum Plaudern, ohne Verpflichtungen im Hinterkopf, ohne Zeitdruck, weil Tatjana zur nächsten Schicht ins Krankenhaus muss. Etwas, wofür die beiden in den letzten Wochen meist viel zu wenig Zeit hatten.

Level 2

»Alles, was ich verlange, ist, dass du deinen verdammten Job machst.« Max reibt sich den Nacken, während er im Kreis durch das große Büro läuft, das nur dank der riesigen tropischen Pflanzen nicht ganz so verloren wirkt. Es ist sehr minimalistisch eingerichtet, sehr modern, man könnte meinen, in einem Katalogfoto zu stehen. Mit einem Seufzer wendet er sich schließlich kopfschüttelnd von Nico ab. Das Dumme für ihn ist, dass Nico nicht irgendein Mitarbeiter von ihm ist, der seinen Job nicht richtig macht. Er ist auch sein bester Freund und im Laufe der Jahre so etwas wie sein Bruder geworden.

»Hör zu, du weißt, dass ich an dem Problem arbeite, okay? Es ist nur … es ist nicht so einfach … es braucht Zeit.«

»UND WAS SOLL ICH DEINER MEINUNG NACH TUN? Warten? Soll ich alle nach Hause schicken und jeden Tag tausende Euro verbrennen, weil dein Team nicht in der Lage ist, einen beschissenen Trojaner zu eliminieren?« Max’ Stimme hallt laut durch das große Büro, als er dann vor der Fensterfront stehen bleibt. Mit leerem Blick starrt er in die dunkle Nacht. Passend zur Stimmung der letzten Minuten ist ein Gewitter aufgezogen. Die Regentropfen prasseln auf die Fensterscheibe des Büros und spiegeln die Lichter der Stadt, während sie stumm herunterlaufen. Dabei steht ihm das Schlimmste noch bevor: Nico mitzuteilen, dass er sich bald mit Hilfe von außen auseinandersetzen muss.

»Jetzt komm mal runter! Du bist eine verdammte Dramaqueen! Bisher ist nichts passiert. Da hat sich jemand einen Spaß daraus gemacht, uns zu ärgern. Wir werden den Wichser finden und dann haben wir wieder unsere Ruhe, so wie beim letzten Mal.« Nico lehnt sich selbstsicher in seinem Sessel zurück. Es ist nicht der erste Angriff und es wird auch nicht der letzte sein. Mit einem Lächeln schaut er auf die braune Flüssigkeit in seinem Glas. Der Whisky, den Max ihm eingeschenkt hat, brennt angenehm in seiner Kehle und gibt ihm eine Ahnung davon, wie schön es sein muss, so viel Geld zu haben. Einen Moment lang herrscht Schweigen zwischen den beiden, bis das Telefon klingelt.

Max zögert, bevor er sich umdreht und zu seinem Schreibtisch geht, um den Lautsprecherknopf zu drücken.

»Ja, Gloria?«

»Der Nerd ist hier.«

»Ja, worauf wartest du? Schick sie rein!«

»Der Nerd?« Nicos Kichern bleibt Max nicht verborgen und der Blick, den Max ihm daraufhin zuwirft, sagt ihm deutlich, dass er sich zusammenreißen und die Klappe halten soll.

»Ja, der Nerd. Da du das Problem nicht in den Griff bekommst, habe ich keine Mühen gescheut, jemanden zu finden, der es beseitigt, bevor ich die Firma schließen muss.«

»Max, vertrau mir. Gib mir einfach noch ein bisschen Zeit.«

»Komm mir nicht so! Ich habe die Schnauze voll von diesem Kindergarten. Du hast keine Ahnung, was hier auf dem Spiel steht! Du solltest daran denken, dass es auch um deinen scheiß Job geht. Ich glaube, ich muss mir weniger Sorgen machen als du, wenn die Firma deswegen vor die Hunde geht!« Kaum hat Max die Worte ausgesprochen, tut es ihm auch schon leid. Er weiß, wie sehr Nico unter seinem abgebrochenen Studium leidet und wie schwer es für ihn gewesen ist, ohne Ausbildung auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Als Einziger hatte Max ihm eine Chance gegeben, sich zu beweisen, als alle anderen ihn schon aufgegeben hatten. Doch bevor er sich für seine harschen Worte entschuldigen kann, klopft es an der Milchglastür und die Silhouette einer Frau ist zu sehen.

»Wer kann das schon sein? Ich kenne niemanden, – « Bevor Nico den Satz beenden kann, bleiben ihm die Worte im Hals stecken, als Max die Tür öffnet und Emma mit einem unsicheren Lächeln den Raum betritt. Seine Mimik erstarrt für den Bruchteil einer Sekunde, als er sie erkennt, und er wendet sich hektisch der großen Fensterfront zu, wobei er für einen Moment vergisst zu atmen. Er hätte es wissen müssen! Wer, wenn nicht sie? Sie war die Erste, die den berüchtigten Test von Professor Michels in nur zwei Stunden geschafft hatte. Niemand, den er kennt, kommt auch nur annähernd an ihre Fähigkeiten heran. Wenn jemand dieses Problem binnen weniger Tage lösen konnte, dann Emma. Sein Herz schlägt so schnell, dass ihm schwindelig wird, und seine Gedanken sind von dem Wunsch beherrscht, einfach zu verschwinden. Das Gefühl ist unerträglich, denn er hat Angst davor, was passiert, wenn sie ihn erkennen wird. Angst vor sich selbst, vor seiner eigenen Reaktion. Denn eigentlich war sein Plan, sie nie wieder in seinem Leben zu sehen.

»Freut mich sehr, Herr Friedrich«, erwidert Emma, deren Hand zittert, als Max sie umschließt. Nico schließt fluchend die Augen, als ihre Stimme wie ein Meteorit in sein Bewusstsein einschlägt. Immer wieder ballt er die Hand zur Faust, um dem Drang zu widerstehen, aus Max’ Büro zu stürmen. Er schafft es, zumindest äußerlich ruhig zu bleiben und starrt auf den Boden, während sich in seinem Kopf ein Tsunami aus Erinnerungen und Emotionen aufbaut. Wie konnte Max ihm das nur antun? Aber dann fällt ihm ein, dass Max überhaupt keine Ahnung hat. Er weiß nicht, wer Emma ist, was sie getan hat.

»Einfach nur Max. Komm rein, Emma. Wir haben dich erwartet. Entschuldige die Störung zu so später Stunde. Ich freue mich, dass du trotzdem Zeit für uns gefunden hast.« Max’ Lächeln mag in diesem Moment gezwungen wirken, aber er strahlt trotzdem seine berühmte Freundlichkeit aus. Er gilt nicht nur als einer der härtesten, sondern gleichzeitig auch als einer der freundlichsten Unternehmer in ganz Ravenau. Diese ungewöhnliche Kombination beherrscht er perfekt. Er kümmert sich um die Menschen in seiner Umgebung, wo er nur kann, gibt ihnen Chancen, greift ihnen finanziell unter die Arme. Journalisten beschimpfen ihn hin und wieder sogar als Idioten, weil er mit Firmen zusammenarbeitet, deren Bonitätsauskunft tiefrot leuchtet. Aber er hat ein Händchen dafür, die richtigen Leute zusammenzubringen, und es funktioniert. Nur selten kommt es vor, dass Einzelne diese Gutmütigkeit ausnutzen. Und wer es wagt, sich mit ihm anzulegen, kommt nur selten ohne Konsequenzen davon.

»Frau Winterschuh erwähnte etwas von einem kleinen Problem, bei dem ich helfen soll.« Emma räuspert sich leise und folgt Max’ Anweisung, sich auf einen der freien Sessel vor seinem pompösen, dunklen Holzschreibtisch zu setzen. Das kalte Leder, das ihre Handgelenke berührt, lässt sie frösteln, als sie Platz nimmt. Als sie dann neben sich blickt, die Person neben sich freundlich begrüßen will und ihr die Hand entgegenstreckt, erkennt sie, wer es ist, und erstarrt in ihrer Bewegung. Sie verharrt für einen Moment und blinzelt ein paar Mal ungläubig. Sie wünscht sich, sie hätte den Anruf ignoriert und wäre zu Hause geblieben, mit Nero auf der Couch, einer Packung Eis und einer weiteren Staffel ihrer Lieblingsserie.

»Nico?« Ihre Stimme ist so leise, dass nur er es verstehen kann. Doch er reagiert nicht. Er schluckt schwer, bevor er einen kurzen Moment zu ihr hinüberschaut. Sein Blick ist erfüllt von Verachtung, die er nach all den Jahren immer noch für sie empfindet. Schnell wendet er seinen Kopf wieder dem Schreibtisch zu, ohne ihr weitere Beachtung zu schenken.

»Jetzt, wo du einen Profi hast, kann ich mir ja ein paar Tage Urlaub nehmen. Ich schreibe dir dann eine Karte.« Nico steht von seinem Stuhl auf und macht sich mit schnellen Schritten auf den Weg zur Tür. Obwohl er es versucht hat, kann er es nicht ertragen, neben ihr zu sitzen und so zu tun, als würde er sie nicht kennen. Oder im schlimmsten Fall sogar noch mit ihr zusammenarbeiten.

»Nico, warte!« Aber Max’ Aufforderung kommt zu spät. Die Tür fällt schon in die Angeln, bevor er Nico aufhalten kann. Stirnrunzelnd blickt er auf die Milchglastür und geht kopfschüttelnd um seinen Schreibtisch herum.

»Verdammter Idiot.« Nachdenklich zupft er an seiner Krawatte, setzt sich auf seinen Stuhl, um Emma wieder mit seinem perfekten Lächeln anzusehen. Um Nico würde er sich später kümmern.

»Er ist sauer, weil ich jemand anderen um Hilfe bitte. Nimm es bitte nicht persönlich.« Rechtfertigt er Nicos respektloses Verhalten und beschließt, das Thema direkt auf den Trojaner zu lenken. »Am besten schaust du dir das Problem selbst an. Komm mit, ich zeige dir alles.«

Emma lächelt nur müde zurück und folgt Max’ Aufforderung, ohne zu zögern. Nicos Anwesenheit verändert alles: Ihre Motivation, überhaupt hier zu sein, ihre Ambitionen, ein mögliches Jobangebot anzunehmen, das Wohnmobil, das plötzlich in Reichweite war – alles zerplatzt wie eine Seifenblase. Am liebsten wäre sie einfach nach Hause gefahren und hätte sich im Bett vergraben. Andererseits kann sie jetzt schlecht einen Rückzieher machen. Denn nach dem, was Tatjana ihrer Tante erzählt hat, muss Max viel zu große Stücke auf sie zu halten. Und wenn sie eines nicht will, dann ist es, die Erwartungen ihrer besten Freundin zu enttäuschen und ihr zu zeigen, dass sie sich unnötig bemüht hat. Außerdem kann sie das Geld verdammt gut gebrauchen. Nur ein Vollidiot würde das Angebot ausschlagen, das Friedrich ihr nach der Besichtigung gemacht hat.

Zumindest für sie ist das Problem, das TitanTech hat, kein unlösbares. Auf Max’ Bitte hin hat sie sich knapp zwei Wochen Zeit für die Lösung gesetzt, aber wahrscheinlich wird sie es in einer Woche erledigen können.

»Sind wir uns also einig?« Max reißt sie mit seinen Worten aus ihrem Gedankenkarussell und blickt fordernd zu ihr. Nervös atmet Emma aus und schiebt ihr langes schwarzes Haar zur Seite, während sie noch einmal alle Möglichkeiten durchgeht. Eigentlich hat sie keine andere Wahl. Denn wenn sie das hier schafft, hat sie einen Stein im Brett bei einem der einflussreichsten Unternehmer von Ravenau. Jemanden, den nicht einmal Margaretha beeinflussen kann. Nico hin oder her, das ist vielleicht die größte Chance, ihr Leben endlich zu regeln, und die darf sie sich nicht entgehen lassen.

»Ja, okay, wann soll ich anfangen?« Sie spricht die Worte viel zu schnell in der Angst, dass sie ihre Meinung wieder ändern würde. Doch Max’ tiefes Lachen lässt ihre Unsicherheit für einen Moment wieder aufflammen. Der Gedanke, dass das alles nur ein Scherz war, drängt sich wieder auf, aber zum Glück hat sie inzwischen gelernt, solche irrationalen Gedanken sofort beiseitezuschieben.

»Am besten noch heute Abend, aber ich bin ja kein Unmensch. Wenn du morgen früh hier sein könntest, wäre das fantastisch, Emma! Ich weiß, es ist Wochenende, aber es ist wirklich dringend.«

Puh, Gott sei Dank. »Ja … Ja, natürlich … Ich bin dann direkt da. Acht Uhr?« Sie ist sich sicher, dass Max ihren Herzschlag genauso laut hören kann wie sie selbst.

»Prima! Wir richten dir ein Büro ein. Geh zu Gloria, sie gibt dir eine Schlüsselkarte. Wir sehen uns dann morgen früh.«

»Ja, das werde ich. Vielen Dank, Herr Friedrich … ich meine natürlich Max.« Emma lächelt unsicher und verlässt dann mit schnellen Schritten das Büro. Sie hatte noch nie ein so dringendes Bedürfnis, Tatjana anzurufen und hat das Handy schon in der Hand, bevor sich die Tür hinter ihr schließt.

Nachdem Emma gegangen ist, starrt Max noch lange auf die Tür. Er dreht das Glas in der Hand, bevor er den letzten Schluck Whisky die Kehle hinunter rinnen lässt. Mehr wird er heute nicht tun können und beschließt, Gloria und sich selbst endlich in den Feierabend zu entlassen. Er selbst wird jetzt noch einmal persönlich mit Nico sprechen müssen.

»Verdammt, geh endlich an dein verdammtes Handy.« Emma flucht leise, als sie wieder einmal nach endlosem Klingeln nur die Mailbox von Tatjana erreicht. Sie beendet das Gespräch, ohne eine Nachricht zu hinterlassen und drückt erneut die Anruftaste, in der Hoffnung, dass ihre Freundin endlich merkt, dass sie angerufen wird. Mit schnellen Schritten geht Emma an der Bushaltestelle auf und ab, als würde sie eine Furche in die Straße schlagen. Wenigstens hält die Bewegung sie warm, während Regen und Wind unerbittlich versuchen, sich in ihre Knochen zu schleichen. Mit den Regentropfen vermischen sich Tränen der Wut, die ihr über die Wangen rinnen, während sie auf den Bus wartet, der jeden Moment kommen müsste. Ihre Turnschuhe sind bereits bis auf die Socken durchnässt, und ihre Haare kleben an Kopf und Oberkörper, als versuchten sie, sie zu erdrücken. Deutlich länger als sonst hängen die Ponyfransen in ihre Stirn und versperren ihr die Sicht. Als sie wieder in Fahrtrichtung geht, sieht sie endlich den Bus, der sie nach Hause bringen wird. Sie tappt mit den Füßen auf den Boden, denn der Fahrer öffnet für ihren Geschmack nicht schnell genug die Tür. Kaum ist sie einen Spalt geöffnet, zwängt sich Emma schon hinein.

»Hallo.« Sie begrüßt den Busfahrer mit einem gezwungenen Lächeln, der mit seinem fleckigen Hemd und den speckigen Haaren optisch perfekt zu dem Geruch passt, der von ihm ausgeht. Er schweigt, wendet sich nur kopfschüttelnd ab und drückt genervt auf den Knopf, der die Tür hinter ihr schließt. Sie weiß, dass man sich in der Stadt höchstens mit einem Kopfnicken begrüßt, sofern es ein guter Tag ist und die Sonne in einer Linie mit allen Planeten steht. Aber für sie ist es normal zu grüßen, sie ist auf dem Dorf aufgewachsen, und da grüßt man jeden, sonst wird man gesteinigt. Als sie als Studentin in der Stadt lebte, war das ein Kulturschock und sie musste sich erst komplett umgewöhnen.

Als der Bus endlich losfährt, stolpert Emma kurz und kann sich gerade noch an einer Stange festhalten. Zum Glück sitzt außer ihr nur noch eine Frau im Bus, die mit ihren vollgepackten Taschen einen Vierersitz belegt hat. Als Emma in der letzten Reihe Platz nimmt, verzieht sie angewidert das Gesicht, denn ihre nassen und kalten Kleider schmiegen sich noch enger an ihre ohnehin schon ausgekühlte Haut. Sie schließt die Augen und versucht, das ekelhafte Gefühl der Kälte zu ignorieren. Zum Glück vibriert ihr Handy und lenkt sie von der Gänsehaut ab, die sich zunehmend auf ihrem Körper ausbreitet.

Tatjana: Was ist los? Du hast angerufen?

Emma lacht leise, das ist typisch für Tatjana. Wahrscheinlich ist sie zu sehr damit beschäftigt zu feiern und hat nur kurz auf ihr Handy geschaut. Lächelnd tippt sie ihre Antwort ein:

Emma: Ja, nur ungefähr 256 Mal!

Noch bevor Emma ihr Handy auf lautlos stellen kann, erfährt der ganze Bus, dass Tatjana die Beine in die Hand genommen hat, um sofort zurückzurufen. Hektisch nimmt Emma das Gespräch an und flüstert nur ihre Begrüßung.

»Hey Ems, was ist los? Wie ist es gelaufen? Erzähl schon!« Emma muss den Hörer vom Ohr weghalten, da Tatjana so laut schreit, dass es schmerzt. Sie blickt besorgt zu der anderen Passantin. Doch die interessiert sich nicht dafür. Sie ist zu sehr damit beschäftigt, ihre Einkäufe zu überprüfen. Ja, Tatjana hatte getrunken, das ist offensichtlich. Die Musik und die lauten Stimmen im Hintergrund lassen Emma vermuten, dass ihre Freundin den Abend mit ihren Arbeitskollegen in ihrer Lieblingskneipe verbringt.

»Es war … o- okay?« Sie ist sicher, dass diese Worte Tatjana nicht zufriedenstellen werden, keine Chance.

»Ok? Was meinst du mit okay??? … Warte mal … Gib mir einen Moment.«

Die Geräusche auf der anderen Seite dämpfen sich daraufhin und Emma kann Tatjanas Schritte hören.

»So … jetzt noch mal … hier draußen ist es ruhiger … was soll bitte ok bedeuten? Willst du mich verarschen?«

Emma überlegt kurz, ob sie Tatjana davon erzählen und ihr damit vielleicht den Abend verderben soll.

»Ich … Egal … Lass uns morgen darüber reden.« Das Schweigen am anderen Ende hilft nicht, auch wenn es nur Sekunden dauert. Plötzlich bildet sich ein Kloß in ihrem Hals, als sie an Nicos Blick denkt, den er ihr zugeworfen hat. Sie zieht die Nase hoch und schließt die Augen, in der Hoffnung, ihre Gefühle damit kontrollieren zu können, bevor sie sie überwältigen. Doch Tatjana entgeht das nicht.

»Was ist passiert? Hat Friedrich dich angefasst? Ich schwöre, wenn der Wichser dir zu nahe gekommen ist, kastriere ich ihn und hänge seine Eier an die Antenne des Hochhauses, damit es jeder sehen kann!«

Emma, schmunzelt, denn das ist ihre Tatjana, die, ohne zu zögern den Teufel persönlich herausfordern würde.

»Nein. Nein, um Himmels willen. Hat er nicht.«

»Sein Glück, ich war kurz davor, einen Anruf zu machen, und der Kerl wäre erledigt gewesen.«

»Tatiana! Lass das!« Ein Stöhnen entweicht Emmas Kehle und sie weiß nicht, ob sie lachen oder weinen soll. »Es geht nicht um Friedrich … es ist … kompliziert.« So sehr sie auch will, sie bringt seinen Namen nicht über die Lippen.

»Dann erklär es mir!« Tatjanas Ton wird nun sehr viel fordernder sie auf und Emma weiß, dass diese nicht aufgeben wird, bis sie ihr alles aus der Nase gezogen hat.

»Ich … Ich kann nicht.« Emma nimmt wimmernd einen tiefen Atemzug.

»Meine Güte, du bist ja völlig fertig. Ich würde ja fast sagen, dass Katharina da war, aber ich glaube nicht, dass sie überhaupt irgendwo arbeitet.« Tatjana liegt mit ihrer Vermutung nicht falsch. Emmas Schwester hätte auch eine emotionale Reaktion hervorgerufen, aber es hätte sie nicht so tief getroffen. Die Beziehung zwischen den beiden Schwestern basiert mittlerweile auf gegenseitiger Ignoranz und dem gegenseitigen Vermeiden.

»Es ist nicht Katharina … es ist … Nico.« Sein Name verlässt nur flüsternd ihre Lippen. Sie blickt mit Tränen in den Augen nach draußen, wo ein entfernter Blitz kurz den Nachthimmel erhellt. Allein seinen Namen auszusprechen schmerzt so sehr, dass sie das Gefühl hat, ihr Brustkorb würde zerreißen. Immer wieder hört sie ihre eigene Stimme in ihrem Kopf, die sie als verdammten Feigling beschimpft. Schließlich hat sie den Menschen, den sie am meisten geliebt hat, am tiefsten verletzt.