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Stefan Spröer

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Beschreibung

Das Buch nimmt euch in eine zerstörte und erschreckende Welt mit. Das sichere System, in dem wir alle leben ist innerhalb von wenigen Wochen zusammengebrochen. Die Hauptfigur trägt ständig ein kleines Buch bei sich, in dem er die täglichen Ereignisse niederschreibt. Diese Notizen helfen ihm dabei, das Erlebte zu verarbeiten. Ihr haltet nun dieses Buch in euren Händen. Wahrscheinlich haben diese Seiten den Schreiber vor dem Wahnsinn bewahrt - ganz sicher aber auch von Selbstmord abgehalten. Wie dem auch sei ... jetzt blättert ihr die Seiten durch. Ihr seit bei ihm, wenn er um sein Leben kämpft. Ihr seit bei ihm, wenn er falsche Entscheidungen trifft und dafür teuer bezahlen muss. Ihr seit bei ihm, wenn er neuen Mut schöpft und seine ungewisse Reise fortsetzt. Sein Ziel ist Rotterdam. Seine Straße der Rhein. 600 Kilometer durch verseuchtes Land, eingenommen von seelenlose Fressmaschinen, die nicht mehr von seiner Art sind.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 296

Veröffentlichungsjahr: 2017

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MfG

PrologDie Einsamkeit des FlussesPetri HeilTrauma und ErinnerungenZeitreiseReflektion und OrganisationTödliche NeugierdeDer schweigsame BennyDer edle RitterDer sichere HangerFalscher Gott und selbstgebrautes BierEine Lady für alle10 Minuten sind nicht vielDer Weg zur KüsteDer goldene Ziegelsteinweg*** Die Flotte ***Das GesprächEssen und InformationenDas Spiel mit dem BärenDer Rückweg durch verbranntes LandAuf Leben und TodDer RückwegRoutine und AlltagNachwort vom AutorImpressum

               Prolog

          Rucksack (30 Liter)

30 x Teelichter, verpackt, je 6h Brenndauer

1x Multitool

2x kleine Taschenlampen inkl. je 1x AA Batterien (eingelegt)

Batterien 4x AA, 4x AAA (verpackt)

Kabelbinder 15 St. je 36cm (verpackt), 15 St. je 20cm (lose)

4x Einwegfeuerzeuge

1x Taschenmesser mit kleiner Tasche für Gürtel

1x Bügelschloß groß mit 1x Schlüssel

1x Bügelschloß klein mit 2x Schlüssel

1x BW Essbesteck inkl. Dosenöffner

1x kleines Fernglas mit Tasche für Gürtel

1x Hammer (35cm)

2x Tagesnotrationen inkl. Wasserreinigungstabletten

1x kl. Taschenrechner (Solarbetrieb)

20 x Multivitamintabletten (verpackt), 1 Tablette / 1 Liter Wasser

3x Tuperdosen (15x10x5), ineinander gesteckt, mit Deckel

1x Teppichmesser

1x Feldflasche (1Liter), in kleiner Tasche für Gürtel

1x Machete mit Lederscheide (50cm)

Gesamtgewicht: ca. 20 Kg

***

8.November, 14:27Uhr

Ich fange mal mit dem Schwersten an:

Das mag zwar für den Anfang dieser Aufzeichnung etwas ungewöhnlich sein und vielleicht auch etwas ruppig wirken, aber anders macht es wenig Sinn. Keine sanfte Einleitung. Keine wortgewaltigen Landschaftsbeschreibungen. Keine langsame Annäherung an eine Romanfigur.

Es handelt sich hier nur um ein paar Notizen. Ein paar Gedankenfragmente, die mich beschäftigen und die ich zu Papier bringen will. Nachdem dies geschehen ist, werde ich dieses kleine Buch, mit seinen wenig beschriebenen Seiten, wegpacken und wahrscheinlich vergessen. Ich gehe nicht davon aus, das diese Zeilen jemals ein Anderer lesen wird. Wenn dies allerdings doch der Fall sein sollte, unddudiese Zeilenjetztliest, ist irgendetwas gründlich schief gelaufen. Vielleicht habe ich es verloren. Vielleicht haben die zukünftigen Ereignisse aber auch mein Leben gekostet. Ich kann es Heute, an diesem verregneten Herbsttag, noch nicht wissen. Wahrscheinlich ist das auch besser so...

Ich fange damit an, ein Gefühl zu beschreiben, das mich seit mehreren Wochen beunruhigt und wie ein kleiner Kobold in den verwinkelten Gängen meines Verstandes sein Unwesen treibt. Meistens schlummert dieser kleine Quälgeist unter der Oberfläche der monotonen Routine des Alltags, um dann unerwartet und in den unmöglichsten Momenten hervorzuspringen ... und genau DAS, macht dieses Gefühl so erschreckend. Ich hoffe, so verrückt das auch klingen mag, das ich diesen Plagegeist aus meinem Kopf auf dieses Blatt Papier verbanne, indem ich ihn aufschreibe. Keine Ahnung, ob das funktioniert. Aber manchmal entwirrt sich ja ein komplizierter Gedanke, wenn man ihn sachlich artikuliert und verliert damit gleichzeitig an Bedeutung und Gewicht.

Ein Teil von mir, der mir selbst noch bis vor wenigen Wochen völlig unbekannt war, drängt mich dazu, mich vorzubereiten. Ich kann nicht genau erkennen worauf ich mich vorbereiten sollte, oder was ich erwarte. Aber diese Stimme in mir ist warnend und unheilvoll und, um der Wahrheit gerecht zu werden, echt nervend. Ich komme mir wie ein Strandurlauber vor, der plötzlich bemerkt, dass sich das Meerwasser schnell von der Küste zurückzieht und instinktiv weiß, dass dies der stille Countdown für eine gigantische Katastrophe ist, die unaufhaltsam auf uns zurollt. Aber noch ist am Horizont keine Gefahr zu erkennen und deshalb wäre es auch völlig sinnlos, die Alarmglocken zu läuten. Ich würde nur als Panikmacher und Hysteriker da stehen, der mit seinen übertriebenen Warnungen den wohlverdienten Urlaub der anderen Badegäste stört. Also, was tun? ... Nichts! ... Absolut nichts! Ich mache nur mal einen kleinen Spaziergang auf die nächste Anhöhe landeinwärts, störe dabei niemanden am Strand, und versuche mich möglichst unauffällig von der Küste zu entfernen. Kommt vielleicht etwas herzlos rüber!? Wenn man mir aber etwas wohl gesonnen ist, könnte man es auch hilflos nennen! Ist ja unterm Strich auch egal. Wenn der Strand gleich von einer 30 Meter hohen Welle überrollt wird, wird niemand mehr da sein, der mir einen Vorwurf machen könnte.

Oft denke ich, das wir Menschen freudig auf einen Abgrund zulaufen, mit dem Laptop in der einen, und einem Knüppel in der anderen Hand. Gut gelaunt und fest vertäut in dem sicheren Netzwerk der großen Herde. Natürlich mit der vollen Überzeugung, dass die Sonne jeden Tag nur für uns aufgeht und ihr warmes Licht auf unsere vertraute, angepasste Welt scheint.

*

Ich glaube, das viele Menschen insgeheim über unser Ende nachdenken. Die Nachrichtensender überbieten sich mit Bildern von Tod und Zerstörung. Hollywood produziert unzählige Blockbuster über den Weltuntergang, die Millionen von Dollar einspielen. Alle erwarteten eine Katastrophe zum Millennium oder glaubten an den Weltuntergang im Dezember 2012, als der Maja Kalender nach 5000 Jahren endete. Selbstverständlich drehte sich die Welt weiter und es passierte gar nichts. Aber bestimmt verfolgten viele von uns an diesen besonderen Tagen die Nachrichten etwas aufmerksamer als sonst. Oder etwa nicht?

Ich jedenfalls schon, aber ansonsten interessieren mich die meisten Programme im Fernsehen sonderlich wenig. Es wird viel Trash und Unfug gesendet. Wenn der Flachbildschirm das urzeitliche Lagerfeuer in der Wohnstube verkörpert, setzt es mittlerweile eine Menge giftige und benebelnde Dämpfe frei und das Internet steht diesem in nichts nach. Es gibt in diesen Medien sehr nützliche Informationen und Anwendungen, die auch ich gerne nutze. Jedoch mache ich mir auch die Arbeit, die Spreu vom Weizen zu trennen. Ansonsten wird man sehr schnell von der Medienflut verschüttet. Eigentlich eine Sache des gesunden Menschenverstandes. Wir filtern ja auch erst unseren morgendlichen Kaffee, bevor er schmeckt und wir ihn trinken. Bei den Medien wenden wir dieses logische Verhalten leider viel zu selten an.

Die Werbung erzählt uns, das unser 6 Monate altes Handy leider schon wieder veraltet ist und das man sich für eine 0% Finanzierung das aktuelle Modell abholen sollte. Und wir machen es auch, den wir sind ja nicht blöd! Nebenbei verfallen Teenager in tiefste Depressionen, weil sie sich nicht die neusten Markenklamotten leisten können und alle laufen gestresst rum, um sich Sachen zu kaufen, die ihr Leben stressfreier machen sollen.

*

Sei´s drum ... des Menschen Wille ist ja bekanntlich sein Himmelreich. Ich persönlich nehme mir allerdings auch das Recht raus, mich vor dieser Hektik etwas zu schützen. Ich habe weder einen Face-Book Account, noch bin ich bei Twitter oder My Space angemeldet. Meine Mails checke ich nur selten, und dann auch nur, wenn ich eine erwarte. Wenn jemand meinen Namen im Internet googeln würde, und ich überprüfe dies hin und wieder, bekommt er nicht den kleinsten Zipfel einer Informationen über mich auf seinen Bildschirm. Auf eine skurielle Art und Weise bin ich sogar stolz darauf, mich in diesem Fall dem Main Stream widersetzt zu haben. Ich schaue überwiegend die Sender, die viele Nachrichten und Reportagen im Programm haben. Diese Kanäle laufen bei mir hin und wieder. Oft ist der Fernseher aber auch tagelang aus.

Ich erinnere mich an zwei Dokumentationen, die zufällig hintereinander gezeigt wurden, und bei denen ich das erste Mal dieses ungute Gefühl bekam. Beide Themen hatten oberflächlich betrachtet keine Gemeinsamkeiten.

*

In der ersten Dokumentation ging es um die Anzahl der Weltbevölkerung und wie schnell sich der Mensch in den letzten 200 Jahren vermehrt hat. Als Hauptgründe wurden die technischen, und vor allem die medizinischen Fortschritte der jüngeren Vergangenheit angeführt. Kurz gesagt: Den Menschen geht es immer besser und sie werden immer älter, jedenfalls in den Teilen der Welt, in denen sich die Menschen das auch finanziell leisten können. Zurzeit leben ca. 8 Milliarden Menschen auf der Erde. Experten vermuten, das sich die Weltbevölkerung in den nächsten 50 Jahren auf 16 Milliarden verdoppeln wird. Natürlich wurde ausführlich erklärt, dass das Ökosystem der Erde jetzt schon an der Belastungsgrenze angekommen sei und der Mensch in wichtige Teile dieses Systems eingegriffen hat. Schadstoffbelastung der Atemluft, vergiftete und überfischte Ozeane, ausgerottete Tier – und Pflanzenarten, Versorgungsnotstand von Rohstoffen und natürlich die Industrialisierung mit all ihren negativen Folgen: Massenproduktion ... gen manipulierte Nahrungsmittel ... u.s.w. (alles bekannt).

*

Die zweite Dokumentation hatte ein medizinisches Thema:

Krankheiten, die den gesunden menschlichen Körper befallen und die Abwehrreaktion unseres Immunsystems, die den Virus erkennt und bekämpft. Dieser Bericht bestand ausschließlich aus Computeranimationen, die die kranken Zellen auf die Größe eines Fußballstation mutieren lies und in der Blutkörperchen wie Raumschiffe über den Bildschirm flogen. Sehr plastisch und beeindruckend. Eine mikroskopisch kleine Ausgabe von Krieg der Sterne, in dem diesmal der Todesstern, sprich der Tumor, nicht von einem heldenhaften Luke Skywalker zerstört wurde und auch keine Rebellen flotte von weißen Blutplättchen siegreich das Schlachtfeld verließ.

Es fiel mir nicht schwer, die Menschheit imÖkosystem Erdemit einer Krankheit im menschlichen Körper gleichzusetzen. Die Parallelen waren unverkennbar und als Grundgedanken halte ich diesen Vergleich für belastbar. Wenn ich diesen Gedanken logisch weitergehe, könnte die Natur in der menschlichen Art einen Feind sehen, und versuchen ihn zu bekämpfen, ähnlich dem Immunsystem, das sich gegen einen Virus im Körper zur Wehr setzt. Zu abwegig? Zu weit hergeholt? Genau genommen ist dies doch schon mehrfach in der Vergangenheit, wenn auch nur ansatzweise, geschehen. Der schwarze Tod im Mittelalter und die spanische Grippe zwischen 1918 -1920 kosteten Millionen Menschen das Leben. Aber auch Ebola, Krebs und Aids in der heutigen Zeit haben uns unsere Grenzen aufgezeigt. Wo kommen diese Krankheiten her? Hinzu kommt noch unsere globalisierte Welt. In 72 Stunden einmal rund um die Welt? Kein Problem! Blöd nur, das ein gefährlicher Virus die gleiche Reiseroute nehmen würde, bevor die ersten Symptome sichtbar wären. Ich brauche mir nur vorzustellen, das die Lungenpest heute als unbekannte und unheilbare Krankheit ausbrechen würde. Hustende Menschen würden sich durch Flughäfen, Bahnhöfe oder große Menschenmengen drängen, ohne weiter aufzufallen. Niemand hätte je von der Pest gehört, geschweige den, ein Gegenmittel parat. In diesem Fall hätten wir dann durch unsere globalisierte Welt auch direkt ein globales Problem.

Ich bin eigentlich ein positiver Mensch, der zufällig in einem der wohlhabendsten Länder der Welt geboren wurde und brav mit dem großen Strom mit schwimmt. Ich gehe wählen, halte mich überwiegend an Regeln und an das Gesetz und spende monatlich einen kleinen Betrag an den Tierschutzverein. Mein Job in der Autoindustrie ist monoton, aber sicher. Eigentlich ein ganz normaler, netter Typ. Meine Gedanken über den Menschen und die Welt behalte ich allerdings für mich. Es kommt bei den meisten Mitmenschen nicht besonders gut an, wenn man kritisch über seine eigene Art redet. Niemand mag Schwarzseher oder Nestbeschmutzer. Die Regel ist eigentlich einfach: Man scheisst nicht in seinen eigenen Garten!

Ich möchte weder als Spaßbremse, noch als Pessimist oder sogar verbitterter Zyniker da stehen. Mit Gesprächen über das Wetter, den Fußballergebnissen vom letzten Wochenende und den neusten Handymodellen ist man stets in sicheren Gewässern unterwegs und bricht bei einem netten Grillabend keine hitzige Grundsatzdiskussion vom Zaun. Wenn man dann noch weiß, wer in der letzten Staffel von "Ich bin ein Star, holt mich hier raus" Djungelkönig geworden ist und ein lustiges Video auf seinem Handy präsentieren kann, das noch niemand kennt, kann man sogar ziemlich schnell zum Partylöwen der Vorstadt mutieren, der bei der nächsten Feier bestimmt wieder eingeladen wird.

Ich habe für mich beschlossen 150 Euro zu investieren,und mir ein kleinesStartpaketzusammengestellt. Die Liste liegt vorne an. Niemand weiß davon oder wird es je erfahren. Ich habe ja schon am Anfang vermerkt, das dies hier meine privaten Notizen sind und diese Zeilen wahrscheinlich kein Zweiter zu Gesicht bekommen wird. Die Ausrüstung ist meine kleine Anhöhe im Landesinnern, wenn ich bei dem Vergleich des Strandurlaubers bleiben darf. Sollte das Schicksal beschließen, gegen uns anzutreten, wird es nützlich sein. Wenn ich noch in der Lage dazu sein werde, versuche ich die Ereignisse in diesem Buch festzuhalten. Ich vermute aber, das dies der Erste und letzte Eintrag ist und gehe davon aus, das diese beängstigenden Gedanken eh nur alberne Spielereien sind. Diese Zeilen hat in Wahrheit der Pessimist in mir geschrieben, den ich eigentlich nicht besonders gut leiden kann. Aber bekanntlich hat sich ja niemand selber gemacht und so akzeptiere ich diesen Teil in mir. Mit diesen Zeilen hat er nun eine ausreichend große Nische in meiner Gedankenwelt bekommen. Ich werde jetzt dieses Buch, zusammen mit meiner Ausrüstung, in den Kofferraum meines Autos verstauen.

MfG

Die Einsamkeit des Flusses

11.Juli, 23:12 Uhr

… Kriege meine Gedanken nicht geordnet ... Mein Herz schlägt schnell und meine Hände zittern ... Befinde mich alleine auf einem Motorboot, mitten auf dem Rhein. Habe das Boot, nach der Flucht aus meinem Haus, in einem kleinen Jachthafen gestohlen und bin ein Stück flussaufwärts gefahren, um wenigstens etwas Abstand zwischen mir und der Stadt zu schaffen. Habe es gerade mit zwei Tauen an einer Boje befestigt, weil ich nicht weiß, wie der Anker runter geht. Sie sind überall. Wenn ich mich ruhig verhalte, müsste ich hier erst einmal sicher sein. Die können nicht schwimmen und haben auch irgendwie Probleme mit Wasser. Aus der Ferne höre ich vereinzelte Schüsse und Explosionen … manchmal auch Schreie, die schnell wieder verstummen. Der Nachthimmel flussabwärts leuchtet glutrot. Köln brennt nieder und niemand ist mehr da, der es löschen wird. Schreibe mit dem Licht meiner Taschenlampe. Muss Batterien sparen … muss schlafen …

*

12.Juli, 5:43 Uhr

Obwohl die Welt um mich herum zusammenbricht, habe ich 4 Stunden fest geschlafen und bin gegen 5 Uhr aufgewacht. Mein erster Gedanke galt den Tauen an der Boje. Ich überprüfte, ob sie noch gut verknotet waren. Sie hatten sich nicht gelockert und hielten mein kleines Schiff fest in der Mitte des Flusses. Die Boje ist ein grüner Hohlkörper aus Metall, der ungefähr 2 Meter aus dem Wasser ragt. Die Form erinnert mich an eine Glühbirne. Ein dicker Bauch, der auf dem Wasser schwimmt und sich nach oben hin verjüngt. An der Blechwand sind mehrere U-Profile aufgeschweißt, an denen nun meine Taue verknotet sind. Die grüne Farbe ist ausgeblichen und hat sicherlich schon einige Jahre auf dem Buckel. An der Seite der Boje führt eine schwere Eisenkette auf den Grund des Flusses, die fest im Boden verankert ist. Ich bin mir dessen sicher, weil ich mal eine WDR Reportage über Arbeiten am, bzw. auf dem Rhein gesehen habe. Dort wurde über einen Kahn berichtet, der einen riesigen Schlauch, ähnlich einem Tunnel, an Bord hatte. Das Ende des Schlauchs wurde auf den Grund des Rheins abgelassen und schloss dort wasserdicht ab. Danach wurde das Wasser ausgepumpt und die Arbeiter konnten vom Schiff aus den Schlauch durch eine kleine Schleuse betreten, hinabsteigen und trockenen Fußes auf dem Boden des Flusses gelangen. Dort verankerten sie dann die Bojen mit schwerem Gerät tief in den Grund des Rheins.

Ich war beruhigt, setzte mich zurück auf den Stuhl am Steuerrad und mein Blick fiel auf dieses Buch, das neben meiner Machete auf einem kleinen Kartentisch lag.Du solltest allesaufschreiben.Ich nahm das Buch vom Tisch und schlug es auf. Als ich die ersten Seiten las, die ich im November geschrieben hatte, musste ich bitter lächeln. „Mein Gott, du hattest zwar eine Ahnung … aber das hier …?“ murmelte ich vor mich hin und schaute dabei auf meinen Rucksack, der neben mir am Stuhl anlehnte.

Die Sonne geht gerade auf. Ein schöner Moment. Wenigstens diese feste Konstante gibt es noch. Nicht weit von meinem laienhaften Ankerplatz entfernt kann ich in der Morgendämmerung den Berg Drachenfels erkennen. Erinnerungen an eine bessere Zeit, an eine bessere Welt, stiegen in mir auf. Als Kind war ich oft mit meinen Eltern dort gewesen. Ich bin auf einem kleinen Esel hoch geritten, der von einem Führer an der Leine begleitet wurde. Meine Eltern haben die Drachenfelsbahn bevorzugt. Oben angekommen standen die Ruinen der alten Drachenfelsburg und man hatte einen wunderschönen Ausblick über den Rhein und die Vulkaneifel. Meine Eltern! Sie machten gerade Urlaub auf Teneriffa, als die ersten Meldungen von einer unbekannten Krankheit in den Medien ihre Runden machten. Sie verreisten mehrmals im Jahr, seitdem mein Vater in Rente gegangen ist. Vielleicht war genau das ihr Glück gewesen und die Insel war eine echte Chance für die Beiden. Nach unzähligen Versuchen habe ich die Zwei auf dem Handy erreicht und konnte kurz mit meiner Mutter sprechen. Die Verbindung war schlecht. Sie erzählte mir, das ihre Insel unter Quarantäne gestellt wurde und die Straßen einem Tollhaus glichen. Der Airport und der Hafen waren gesperrt und niemand durfte Teneriffa verlassen oder einreisen. Meldungen über einen Ausbruch der Krankheit auf der Insel gab es noch nicht, aber Gran Canaria sei von Piratenbooten vom afrikanischen Festland angegriffen worden und der Kontakt zu der Nachbarinsel sei seitdem abgebrochen. Sie versuchten gerade die deutsche Vertretung zu erreichen. Ich hörte meinen Vater im Hintergrund. Er diskutierte auf Englisch mit einem Taxifahrer und bot ihm eine hohe Summe für die Strecke an. Ich glaube, der Fahrer stimmte zu, den mein Vater drängte meine Mutter zur Eile und in den Wagen einzusteigen. Meine Eltern machten sich große Sorgen um mich. Sie hätten furchtbare Berichte über Amerika, Asien und auch Europa gehört und ich sollte mich in meinem Haus verstecken und abwarten. Sie klang ernst und unendlich besorgt. Ich glaube wir ahnten beide, das dies ein Abschied sein könnte. Dann war die Verbindung getrennt …

*

Ich breche den Gedanken ab und schaue auf. Es ist sehr ruhig geworden. Keine Explosionen oder Schüsse mehr zu hören. Ich vernehme nur das beruhigende säuseln von kleinen Wellen an meiner Bordwand. Sie wiegen mein Boot leicht hin und her. Ab und zu bleibt kleineres und größeres Treibgut an der Boje oder dem Schiffsrumpf hängen. Es wird aber von der starken Strömung des Rheins direkt wieder aufgenommen und das Zeug setzt seine Reise ins Ungewisse fort. Sollte sich mal ein Baumstamm, oder ähnliches, richtig fest verkannten, habe ich an der Reling ein lange Aluminiumstange mit einem stabilen Hacken an ihrem Ende gefunden. Damit sollte ich das Boot von jedem Treibgut befreien können.

Heute kann ich dem wolkenlosen Himmel schon ansehen, das er sich bemüht, mir einen wunderschönen Sommertag zu bescheren. Die Sonne tut mir gut. Ich habe in den letzten 3 Wochen nicht viel Tageslicht gesehen. Nur die Rauchsäulen in 20 km Entfernung und der leicht giftige Geruch in der Luft trübten das Idyll und holen mich wieder in die Realität zurück. Es ist jetzt 7 Uhr. Ich sollte etwas essen und trinken, damit ich bei Kräften bleibe. Wenn ich in der Nähe vom Drachenfels bin, muss ich an der Grenze zu Rhein-Land Pfalz sein. Links am Ufer befindet sich die B42, rechts die Bundesstraße 9. Die nächste Großstadt ist Koblenz. Dazwischen liegt die Eifel. In der anderen Richtung, aus der ich letzte Nacht kam, liegt Köln und danach das gesamte Ruhrgebiet.

Ich werde das Boot nach nützlichen Gegenständen durchsuchen und mich dabei mit meiner neuen Zuflucht etwas vertraut machen. Ich habe keine Ahnung von Booten, aber ich muss rauskriegen, wie das mit dem diesem verdammten Anker geht.

***

12:04 Uhr

Ich fand ein kleines Handbuch mit den wichtigsten Daten über das Schiff und auch noch weitere nützliche Gegenstände, die mir bestimmt noch gute Dienste leisten werden und meine Überlebenschancen in dieser kaputten Welt verbessern können.

Mein Schiff heißt „Suse“ und ist ein WAX Kajüten Boot von 9,70m Länge und 2,90m Breite. Der Rumpf ist blassgelb und die Aufbauten an Deck weiß gestrichen. Es wurde 1984 in Berlin gebaut. Der Motor ist jedoch nachgerüstet und aus dem Jahr 1995. Auf dem Dach der Steuerkabine ist eine große, flache Platte mit einer grünen Plane abgedeckt, die an kleinen Ösen fest verschnürt wurde. Ich werde mir das später genauer anschauen. Am Heck befindet sich ein kleines offenes Deck, von dem ich über eine Treppe in die Kajüten absteigen, oder über eine Aluminiumleiter auf den überdachten Steuerstand hinaufsteigen kann. Die kleine Aluleiter ist nur eingehakt. Ich kann sie abnehmen und bei Bedarf an die Reling hängen, um vom Schiff runter zu kommen. Links und rechts von den Aufbauten kann ich zum Bug des Schiffes gehen. Dazu muss ich mich aber ziemlich dünn machen, denn zwischen der Außenwand der Aufbauten und der Reling ist nur wenig Platz. Die Reling ist aus Metall und geht mir bis zur Hüfte, also ungefähr einen Meter hoch. Der Handlauf ist aus Holz und circa 10 cm breit. Vorne angekommen stehe ich auf dem Dach der Wohnkabinen und etwas unterhalb vor der Steuerkabine. Beim Betreten der Kajüten lande ich in einem kleinen Gang, in dem sich rechts eine Miniküche mit Gaskocher, Spüle und einem Kühlschrank befindet. Links ein kleines WC (trockene Schüssel) mit einem Waschbecken und diversen Hygieneartikeln. Zwei Schritte weiter komme ich zur Haupt – bzw. Wohnkabine. Das ist die größte Kajüte auf dem Schiff und füllt den gesamten Bug bis zur Spitze aus. In der Mitte steht ein kleiner Tisch, der fest am Boden verschraubt ist. Bei Bedarf können die Tischbeine eingeklappt werden, so das die Tischplatte bis auf Bodenhöhe abgelegt werden kann. Rechts und links vom Tisch befindet sich je eine breite, gepolsterte Sitzbank. Bei heruntergeklappten Tisch kann ich die Bänke ausziehen und erhalte so eine recht große Liegefläche für 3 bis 4 Personen.

Brauntöne in allen Variationen, beige Vorhänge, Hängeschränke und Regale aus Holzimitat bestätigen den Stil der 80iger Jahre. Allerdings wurde alles 1A gepflegt und macht einen robusten und sauberen Eindruck. Jemand hat sich sehr liebevoll um dieses alte Mädchen gekümmert – hoffentlich gilt das auch für den Motor! Rund um den Wohnraum, ungefähr auf Brusthöhe, ist eine durchgängige Reihe von Fenstern eingebaut, von denen man in Fahrtrichtung, und rechts bzw. links vom Boot, alles überblicken kann. Ich kann sie auch öffnen, um frische Luft einzulassen. Angetrieben wird Suse von einem Mercedes 8 Zylinder Dieselmotor mit 280 PS. Der Tank fasst 770 Liter Treibstoff und laut Tankanzeige sind knapp 700 Liter Diesel drin. Ich vermute, das ist eine ordentliche Leistung für ein Motorboot und wird mir bestimmt zu meinem Vorteil gereichen, wenn ich mich mal schnell verpissen muss. Um Trinkwasser muss ich mir in naher Zukunft auch keine Sorgen machen. In den Schiffswänden ist ein 350 Liter Trinkwassertank integriert, der randvoll ist. Offenbar hat der Besitzer, in der Hoffnung auf einen schönen Urlaub, seine Suse schon mal startklar gemacht.

Ich empfinde aufrichtigen Dank dafür …

***

18:00 Uhr

Zuerst das Positive:

Bei der befestigten Platte auf dem Dach der Steuerkabine handelt es sich um Solarzellen. Sie laden die Batterien des Schiffs auf und speichern zusätzlich Strom in mehreren Akkus für die anderen Verbraucher an Bord. Des Weiteren fiel mir in der Steuerkabine ein Kompass, eine Signalpistole mit drei roten Patronen, sowie ein kleiner Erste Hilfekasten in die Hände. Aber die Küche war das Beste. Verschiedene Konservendosen und volle Einmachgläser waren mit Süßkartoffel, Rot – und Rosenkohl und vielem mehr befüllt. Außerdem fand ich noch löslichen Kaffee, Nudeln, Mehl und Salz in den Regalen. Vieles mehr (nicht nötig, alles aufzuzählen) war in den Hängekörben und den kleinen Wandschränken verstaut, damit es sich bei höherem Wellengang oder sportlicher Fahrweise nicht selbständig machten.

Ich fühlte mich wie ein Kind am Weihnachtsabend, das gar nicht fassen konnte, was es alles bekam. Und ich fand noch mehr. Auf dem offenen Deck steht eine große Metallkiste in der eine große Sporttasche mit der Aufschrift „TIFEX“ liegt. In ihr befindet sich ein graues, zusammengefaltetes Schlauchkanu mit einem Doppelpaddel, das man zusammen stecken kann und einer kleine Handpumpe. Nicht für eine schnelle Flucht vom Schiff geeignet, aber für einen geplanten Ausflug ganz OK. Am Boden der Kiste lag noch eine eingerollte Hängematte aus Stoff. In der Steuerkabine, in einem Fach neben dem Kartentisch, fand ich eine Wasserkarte des Rheins, in der alle wichtigen Untiefen, Anlegeplätze und Tankstationen des Flusses eingetragen sind. Ich überflog sie kurz, konnte aber mit einigen nautischen Abkürzungen nichts anfangen. Was ich allerdings direkt verstand, war der große schwarze Schalthebel unter dem Steuerrad. Er konnte in drei Stellungen einrasten. AUF, STOP und AB. Über dem Schalter ist auf einer Metallplatte „ANKERKONTROLLE“ eingraviert.

Ich war gut gelaunt, wie lange nicht mehr. Meine Moral war obenauf und ich aß mich erst mal richtig satt, machte mir danach eine Tasse schwarzen Kaffee und rauchte Eine. Ich lächelte sogar kurz, als ich auf der Zigarettenschachtel den Warnhinweis:Raucher sterben früher,las. Ich mag schwarzen Humor!

Es wurde meine private Weltuntergangs Aftershow Party. Natürlich werde ich alles rationieren, jedoch nicht heute. Aber wie bei jeder guten Party, taucht irgendwann ein blöder Trampel auf und vermasselt die gute Stimmung.

Das ist meine negative Erfahrung an diesem Tag. Ich bin auf dem Fluss nicht so sicher, wie ich dachte und die Freude über mein Schiffchen machte mich unvorsichtig.

Ich saß satt und zufrieden, vielleicht auch etwas unbeschwert, auf der Sitzbank in der Wohnkabine. Plötzlich ein Knall an der rechten Außenwand. Direkt hinter mir. Es war laut. Ich schreckte auf, als hätte jemand eine Papiertüte neben mir zum platzen gebracht.Treibgut?Dann knallte es noch mal, und dieses unnatürliche Stöhnen begann. Dieses scheiß Stöhnen … ähnlich dem Röcheln bei einem Arztbesuch, wenn du eh schon Halsschmerzen hast, dir die Rotze aus der Nase läuft und du kaum noch Luft bekommst - und dann schiebt dir der Typ im Kittelchen auch noch ein Holzstäbchen in den Rachen, um mal zu gucken. Diese unnatürlichen Laute in Dauerschleife zerren sofort an meinen Nerven und lähmen mich jedes Mal für einen kurzen Moment. Die Stöhnen alle, wenn sie erregt sind und es war verdammt laut und somit auch verdammt nah! Ich schnappte mir die Machete und war in drei Sätzen auf dem hinteren Deck. Ein Blick über die rechte Reling reichte, um meinen ungebetenen Gast zu sehen. Sie besuchte mich auf einem Holzruderboot, das sich zwischen meinem Bug und der Metallboje verkeilt hatte. Ich habe auf meiner Flucht zum Jachthafen, durch die Vororte von Köln, viele Schnappschüsse des Horrors gesehen, die sich für immer in mein Hirn einbrannten und die kein Mensch bei Verstand sehen sollte. Aber DAS, was ich jetzt erblicken musste, drehte mir den Magen richtig um und wird mich auch noch so manche Nacht verfolgen. Sie war eine junge Frau mit langen blonden Haaren, bestimmt früher eine Hübsche, nach der sich jeder Mann umgedrehte hätte. Sie hatte ein rosa Top und ein buntes Sommerkleid an. An Ihrem Handgelenk trug sie ein selbst gebasteltes, buntes Kettchen. An einem Riemen vor ihrer Brust hing ein kleiner Rucksack, in dem sich ihr Baby befand. Einer dieser Tragebeutel, die liebevolle Mütter anziehen, damit ihr Kind bei einem Spaziergang den Herzschlag der Mama hört und dabei friedlich auf ihrer Brust einschläft. Soll wohl die Mutter/Kind Bindung stärken. So war es jedenfalls in der alten Welt.

Schnellvorlauf in die neue Welt: Der Kopf des Kindes war bis auf den Schädel abgefressen und die Zähne der Frau abgebrochen, weil sie weiter gierig auf den weichen Knochen ihres Babys genagt hatte, um auch noch den letzten Fetzen des weichen Fleisches verschlingen zu können. Der Beutel, die Kleidung, die Haare und das Maul der Frau waren mit getrocknetem Blut verklebt. Speichelfäden hingen von ihren Lippen runter und weißgelber Schaum quoll aus ihrem Mund, der gelegentliche Blasen bildete. Gurgelnde, stöhnende Laute drangen aus ihrer Kehle und ihre matten, milchigen Augen suchten nach neuer Beute, um ihren endlosen Hunger zu stillen. Sie kniete auf dem Boot und ihre Hände patschten flach auf die Bordwand meines Schiffes. Sie wusste, das sich hier etwas Lebendiges befindet, hatte aber keine Ahnung, wie sie da ran kommen könnte. Plötzlich hörte sie auf, an die Bordwand zu patschen und verharrte ganz still in dieser Position. Nur ihr Kopf drehte sich langsam - sehr langsam – nach links. Ich schaute immer noch am Heck des Schiffes über die Reling und mein Gehirn raffte noch nicht ganz, was meine Augen ihm da sendeten. Als ihr Kopf in meiner Richtung einrastete, hatte sie ihr Futter entdeckt: MICH ! Jetzt, nur wenige Meter von ihrem Ziel entfernt wurde sie furchtbar aufgeregt und entwickelte aus Gier und Hunger ungeahnte Energien. Sie richtete sich schwankend auf, mit einer Beweglichkeit, die ich ihr nicht zugetraut hätte, und schaffte es tatsächlich ihre linke Hand auf den hölzernen Handlauf meiner Reling zu verkrallen. Sie packte so fest zu, das ihre falschen Fingernägel dabei abbrachen. Die Gier nach frischem Fleisch gab ihr eine solche Kraft, das es durchaus möglich war, das sie sich auf mein Schiff hochzieht, wenn ich nicht sofort etwas unternahm. Bei dieser Erkenntnis erwachte auch ich aus meiner Starre.

Mit drei schnellen Schritten war ich bei ihr und holte mit der Machete aus. Ich traf Ihre Hand und zerteilte den Handrücken genau in der Mitte. Die Machete steckte wie auf einem Hackbrett in dem Handlauf fest. Sie verlor den Halt und fiel rückwärts, mit voller Wucht, auf ihr blödes Holzboot zurück und ihr Hinterkopf knallte gegen die Boje.Tja, die Schwerkraft kann ein gemeines Luder sein!Jetzt, nach diesem Rückschlag, wurde sie richtig biestig. Das anfängliche Stöhnen war schon längst einem zornigen und lauten Fauchen gewichen. Sie rappelte sich wieder auf, leicht benommen, und warf dann ihren gesamten Oberkörper wütend gegen die Schiffswand. Ich hörte, wie die dünnen Knochen in Ihrem kleinen Bündel zerbrachen. Ihr Blick war weiterhin fest auf mich gerichtet, das Maul stand sabbernd offen und ihr blutiger Stumpf zog lange, dunkelrote Schlieren auf die blassgelbe Farbe meines Bugs. DIE gab nicht auf, bis diese Sache zwischen uns entschieden war! Ich löste die Klinge aus dem Holz, lehnte mich über die Reling und schlug ziellos mit der Machete auf die Furie ein. Ich traf ihre Schulter, den Arm und mit einem Hieb schlug ich ihr sogar einen Teil ihrer Kopfhaut mit mehreren langen, blonden Strähnen ab. Aber der finale Treffer gegen ihren Kopf gelang mir nicht. Ihr dunkles, klebriges Blut spritzte in alle Richtungen und bei dieser Sauerei schoss mir plötzlich ein greller Gedanke durch den Kopf:Das Blut könnte ansteckend sein!Ich ließ von ihr ab.Scheiße, so wird das nichts.Das Schiff schwankte durch den Kampf zu stark hin und her und ich hätte mich zu weit über die Reling lehnen müssen, um einen gezielten Kopftreffer zu landen. Andererseits reichte von ihr ein kleiner Biss oder ein Kratzer aus und ich wäre bald ihr neuer, bester Freund geworden. Eine andere Lösung musste her. Ich überlegte die Taue mit der Machete zu kappen, den Motor an zuschmeißen und einfach abzuhauen. Aber die Taue wollte ich nur in äußerster Not opfern. Noch hatte ich andere Optionen. Ich legte die Machete weg und schnappte mir den langen Aluminiumstab. Mit aller Kraft versuchte ich die kleine Nussschale, mitsamt der Rabenmutter, weg von meinem Schiff, an der Boje vorbei, zurück in die offene Strömung des Flusses zu schieben. Doch die Kräfte des Rheins waren leider nicht auf meiner Seite und drückten mir das Horrorpaket immer wieder zurück an mein Boot. Zudem war die junge Mama auch nicht untätig gewesen, kam wieder auf die Beine und ergriff mit ihrer rechten Hand einen Zinken meines Ankers, der sich jetzt genau über ihr befand. Dadurch hatte die blöde Kuh zusätzlichen Halt bekommen und schickte sich erneut an, mein Vordeck zu entern.

DerAnkerist über ihr...!Ich ließ den Stab fallen und befand mich in gefühlter Lichtgeschwindigkeit in Suses Steuerkabine. Zündschlüssel nach rechts gedreht - Hebel der Ankerkontrolle auf „AB“. Die Kettensperre löste sich und der schwere Anker ergab sich der Schwerkraft. Ich konnte zwar aus meiner Position nur wenig sehen, aber dafür alles hören. Volltreffer! Augenblicklich verstummte das laute Fauchen der Untoten und hölzerner Planken zerbarsten. Eine Millisekunde später platschte der Anker ins Wasser. Das Rattern der Kette dauerte noch kurze Zeit an, bis der Anker den Grund des Rheins erreicht hatte. Dann legte sich eine schwere Ruhe über die Szenerie.

*

Das alles ist jetzt 2 ½ Stunden her und ich schreibe es so ausführlich auf, weil es mir dabei besser geht. Die Spitze meines Stiftes fliegt über das Papier, und versucht mit dem Tempo meiner Gedanken Schritt zu halten. Das Schreiben ordnet die Ereignisse und es kommt mir so vor, als würde ich diesen ganzen Mist in meinem Kopf in dieses Buch auslagern. Ich werde auch versuchen, einige Skizzen in das Buch zu zeichnen, da ein Bild oft mehr als tausend Worte sagt.

Mein Schiffchen ist mir schon ganz gut gelungen. Außerdem ist von anderen Freizeitaktivitäten, wie Joggen oder einem gemütlichen Stadtbummel, im Moment eher abzuraten. Es ist jetzt 19:27 Uhr. Das kleine Kettchen, das die Frau am Handgelenk trug, trieb auf einem Holzstück neben meinem Boot. Ich fischte es mit dem Alustab heraus. Es ist mit viel Liebe gebastelt, und drei Buchstaben sind darauf zu lesen, die mit kleinen Herzchen eingerahmt sind:

LEA

Ruhe mit deiner Mama in Frieden, kleine Lea.

Morgen früh, bei Sonnenaufgang, werde ich den Anker lichten und meinen Weg durch diese gottlose Welt fortsetzen, in der die Toten ihren Tanz begonnen haben.

MfG

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13.Juli, Sonnenaufgang

Die Nacht war mies. Eher ein Dämmerzustand. Jedes Geräusch zwang mich dazu, mein Schiff und die nähere Umgebung mit der Taschenlampe nach möglichen Gefahren abzusuchen.

Um 4 Uhr brach ich die Nacht frustriert ab und machte das Schiff startklar. Mein Weg wird mich Fluss abwärts führen. Rotterdam, der größte Binnenhafen Europas. Wenn es noch Überlebende, oder sogar ein Teil der Marine oder Bundeswehr gibt, werden sie sich dort sammeln. Außerdem werde ich Treibstoff sparen, indem ich die Strömung des Flusses ausnutze, um voran zu kommen. Mein Tempo wird dann zwar bescheiden sein, aber besonders eilig habe ich es ja auch nicht. Das ist jedenfalls mein Plan und andere Alternativen sehe ich im Moment nicht. Vom Land habe ich die Schnauze gestrichen voll und gegen die Strömung zur Quelle des Rheins zu schippern, bringt mir auch nichts.

Strecke: ca. 550 Kilometer

Geschätzte Dauer: 4 -5 Wochen

Überlebenschancen: … ?

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19:54 Uhr

Zitat:„Du musst die Welt nicht verstehen, du musst dich nur in ihr zurecht finden.“ (Albert Einstein)

Ich habe Schusswaffen. Vier Walter PPQ, 9mm Pistolen mit 17 Schussmagazinen und 30 Schachteln Munition. Vier MP5 Sturmgewehre der Marke Heckler und Koch, mit je 2 Magazinen (30 Schuss). Auf jede MP5 können Schalldämpfer aufgeschraubt werden, die den Waffen beiliegen. Auf zwei Gewehren ist ein Zielfernrohr montiert. Dazu ein großer Patronenkasten aus Metall mit 22mm Kaliber Munition und zwei Nachtsichtgeräte.

Und ich habe Gesellschaft, doch dazu später mehr …

*

45 Minuten nach meinem Aufbruch am Morgen passierte ich den kleinen Jachthafen, aus dem ich mir mein Schiffchenausgeborgthatte. Diebstahl nenne ich es nicht. Die Regeln haben sich geändert. Alles, was mir das Überleben erleichtert, werde ich dankbar annehmen. Von jetzt ab gilt wohl mein eigener moralischer Kompass. Der gesunde Menschenverstand sollte erst mal völlig ausreichen, um Richtig von Falsch unterscheiden zu können.

Der Schwimmsteg des kleinen Jachthafens war mittlerweile von dutzenden torkelnden Fressern bevölkert, die ziellos auf den Planken hin und her wanderten. Auch das kleine Häuschen der Hafenmeisterei, in der ich Suses Schlüssel gefunden hatte, war vollständig eingenommen. Mein alter Mercedes stand immer noch quer vor dem Eingangstor des Hafens. Drei Jahre hatte ich auf diesen Wagen gespart. Ich mochte dieses alte Auto sehr und wollte ihn später mal als Oldtimer anmelden. Der hätte ohne Probleme ein Historisches Kennzeichen bekommen. Aber das waren alte Vorhaben, aus der alten Welt. Jetzt wurde mir bewusst, das ich ihn das letzte Mal sehen werde, so wie alles, was ich zurückgelassen habe. Den Schlüssel habe ich auf das Armaturenbrett gelegt. Der Tank ist noch ¾ voll. Alle Türen sind zu, aber nicht verschlossen. Die Fresser haben nicht genug Grips, um Türen zu öffnen. Es tröstet mich ein wenig, das der Wagen vielleicht noch einem anderen Überlebenden eine Rettung sein kann.

Auf der Flusskarte, zwischen Leverkusen und Neuss sind die Buchstaben -WSP- eingetragen. Diese Abkürzung taucht einige Male auf der Karte auf. Leider kenne ich die Bedeutung nicht.VielleichtWasserSport ... irgendwas?Es scheint jedenfalls direkt am Ufer zu liegen. Ich werde es erkennen, wenn ich dort hin komme. Aber vorher muss ich erst mal durch Köln durch.

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Köln … oder was davon übrig blieb

Die Lage – Katastrophal ! Der Rhein trieb mich mitten durch ein Szenario der Zerstörung und des Feuers. Die Stadt war das Schlachtfeld eines verlorenen Krieges. Der Gestank von giftigen Dämpfen und dichtem Rauch lag schwer in der Luft. Der Qualm legte sich wie eine Decke über die Ruinen der Stadt, und ließ kaum Tageslicht hindurch. Alles erschien in einem rötlich, nebligem Dunst. Die Sichtweite betrug höchstens 500 Meter und meine Augen brannten. Die Türme des Kölner Doms ragten wie Mahnmale in den verrauchten Himmel, und waren nur als hohe, schwarze Schatten zu erkennen. Die historischen Fachwerkhäuser der Altstadt und des alten Hafens brannten und waren zum Teil bis auf die Grundmauern vernichtet. Die Kranhäuser – eingestürzt, und nur noch ein Haufen Glas und zerbrochener Stahlbeton. Massen von Kreaturen beherrschten die Straßen. Sie wankten zwischen verlassenen Autowracks, brennende Lkws und rauchenden Häuserruinen ziellos umher. Die meisten Fahrzeuge waren wohl fluchtartig verlassen worden, den überall standen Türen und Kofferraumdeckel offen. An manchen Fahrzeugen flimmerte noch schwach die Warnblinkanlage. Zwischen den zivilen Autowracks standen auch vereinzelt Bundeswehrfahrzeuge, Polizei - und Rettungswagen. Zum Teil waren Autos und Kleinbusse zu Barrikaden aufgestapelt worden und sollten wohl als letzter Verteidigungswall gegen die Fluten der infizierten Angreifer dienen. Zwei, von den fünf Rheinbrücken, waren gesprengt worden. Auf der Eisenbahnbrücke, die zum Hauptbahnhof führte, lag ein entgleister ICE auf der Seite, dessen Abteile wie ein gigantisches Akkordeon zusammengefaltet waren. Er muss ungebremst in die enge Kurve vor der Brücke eingefahren sein. Hinter vielen blutverschmierten Scheiben des Zuges waren schemenhaft Bewegungen zu erkennen.

Gelegentliche Explosionen und das Krachen einstürzender Gebäude vermischten sich mit den schrecklichen Gesängen von Tausend und Abertausenden Untoten. Viele hatten verdreckte Shorts, kurze Hosen oder Kleider an. Einige trugen auch Arbeitsklamotten und Uniformen. Ich sah ihre braunen, von Fäkalien verklebten Beine, da diese Kreaturen vorne und hinten einfach alles laufen ließen. Die meisten hatten furchtbare, offene Wunden, die ich auch aus dieser Entfernung erkennen konnte. Sie wankten in großen und kleineren Gruppen die Rheinuferstraße hinab, rempelten sich gegenseitig an und taumelten dann in eine andere Richtung weiter. Mehrere Gestalten verschwanden in den Nebel der Innenstadt, andere traten aus ihm hervor. Viele standen auch nur breitbeinig da, mit gesengtem Kopf und pendelnden Armen.

An der Spitze eines Brückenpfeilers, es war die Mülheimer Brücke, baumelte ein Mann mittleren Alters. Er hatte sich mit seinem eigenen Gürtel oder einem breiten Band erhängt. Ich vermute, das er sich in seiner Panik auf den Brückenpfeiler geflüchtet hatte, wahrscheinlich durch einen der Wartungsschächte im Inneren der Stahlsäule, und dann in der Falle saß, während sich unter ihm hunderte Fresser ansammelten. Nur Gott alleine weiß, wie lange der arme Kerl auf diesem kleinen Pfeilerkopf ausgeharrt hatte und den grausigen Klängen seiner Jäger ausgeliefert war. Es musste ihn an den Rand des Wahnsinns getrieben haben. Kein Wasser, kein Essen, dem Wind und der Sonne schutzlos ausgeliefert. Verständlich, das er dem ein Ende gesetzt hat. Die letzte Entscheidung, die er selber treffen konnte.