Midnight Chronicles - Blutmagie - Bianca Iosivoni - E-Book
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Midnight Chronicles - Blutmagie E-Book

Bianca Iosivoni

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Beschreibung

Sie dachten, dass sie nichts trennen könnte, doch manche Entscheidungen sind unverzeihlich.

Cain und Warden können sich kaum vorstellen, dass sie vor drei Jahren noch Kampfpartner waren, die einander bedingungslos vertrauten. Zu groß sind die Differenzen, die die beiden Blood Hunter nun trennen, zu schwer wiegt der Schmerz, nachdem sie einander so sehr verletzt haben. Doch die Rückkehr des Vampirkönigs Isaac lässt ihnen keine andere Wahl, als erneut zusammenzuarbeiten. Und während sie gemeinsam um Leben und Tod kämpfen, müssen sie sich fragen, ob es für sie beide nicht vielleicht doch eine zweite Chance geben kann ...

"Eine sehr gelungene actiongeladene, aber trotzdem gefühlvolle Geschichte, die wunderbar authentisch die Charaktere und Beziehungen aufbaut." Bibliophiler_Booknerd über Schattenblick

Band 2 der New-Adult-Fantasy-Reihe von Laura Kneidl und Bianca Iosivoni

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Seitenzahl: 519

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Ähnliche


Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

Playlist

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

Epilog

Danksagung

Glossar & Personenverzeichnis

Die Autorinnen

Die Romane von Laura Kneidl und Bianca Iosivoni bei LYX

Impressum

LAURA KNEIDL BIANCA IOSIVONI

MIDNIGHT CHRONICLES

BLUTMAGIE

ROMAN

Zu diesem Buch

Cain kann es nicht glauben: Ausgerechnet ihr ehemaliger Kampfpartner Warden beobachtet sie dabei, wie sie nachts allein einen Vampir erledigt, und verpetzt sie prompt beim Quartiersleiter. Da es den Huntern in Edinburgh streng verboten ist, ohne Unterstützung auf die Jagd zu gehen, wird Cain nicht nur bis auf Weiteres vom Dienst suspendiert, sie muss auch zur Strafe in der Waffenkammer arbeiten – gemeinsam mit Warden, der selbst nicht viel von Regeln hält! Dass die beiden Blood Hunter einst beste Freunde waren, die einander bedingungslos vertrauten, können sie sich heute kaum mehr vorstellen. Zu schwer wiegt der Schmerz, nachdem sie einander so sehr verletzt haben, und zu groß sind die Differenzen, die sie inzwischen trennen. Denn während es Cains Plan ist, irgendwann den Posten der Quartiersleiterin zu übernehmen, und sie sich deshalb keinen Fehltritt erlauben kann, verfolgt Warden noch immer nur ein einziges Ziel: Er möchte sich an Isaac, dem König der Vampire, rächen, für das, was er seinen Eltern vor drei Jahren angetan hat – koste es, was es wolle. Doch als Isaac eines Nachts zurückkehrt und Cains und Wardens Welt ein zweites Mal auf den Kopf stellt, haben sie keine andere Wahl, als erneut zusammen- zuarbeiten. Und während die beiden gemeinsam um Leben und Tod kämpfen, müssen sie sich fragen, ob es für sie nicht vielleicht doch eine zweite Chance geben kann …

Für Marie und Nicole

PLAYLIST

Metallica – Shoot Me Again

The Brothers Bright – Blood On My Name

Jinjer – Who Is Gonna Be The One

Miley Cyrus feat. French Montana – FU

Bring Me The Horizon – Shadow Moses

The Hives – Hate To Say I Told You So

Slipknot – Nero Forte

TOOL – Sober

Casper – Sirenen

Princess Nokia – Sugar Honey Iced Tea (S. H. I. T.)

Nightwish – Devil & The Deep Dark Ocean

Doja Cat – Boss Bitch

Emil Bulls – Survivor

Shinedown – DEVIL

Spiritbox – Blessed Be

Sleeping With Sirens – Agree To Disagree

Jinjer – Perennial

MILCK – Devil Devil

Mike Shinoda – Fine

Highly Suspect – Canals

Apocalyptica – Master Of Puppets

Ciara – Paint It, Black

Halsey – Nightmare

Sleeping At Last – Make You Feel My Love

Lamb of God – Walk With Me in Hell

The Prodigy – Spitfire

1. KAPITEL

Cain

Blut tropfte von meinem Kinn.

Fluchend zog ich die Serviette unter meinem Cocktail hervor und wischte mir über die Haut. Ich hätte es mit dem Kunstblut nicht so übertreiben sollen – aber was war schon ein Vampirkostüm ohne Blut? Ich knüllte die rote Serviette zusammen und sah mich nach einem Mülleimer um. Doch trotz meiner geschärften Sicht konnte ich im dämmrigen Licht des Clubs keinen entdecken. Er war gerammelt voll, und wohin ich auch blickte, entdeckte ich Hunter und Archivare, die sich unterhielten, miteinander lachten, tanzten und für ein paar Stunden verdrängten, dass sie wohl einen der gefährlichsten Jobs dieser Welt hatten.

Für gewöhnlich liebte ich die Halloweenpartys, die das Quartier für uns Hunter alljährlich schmiss, zumindest für diejenigen von uns, die in dieser Nacht nicht auf den Straßen von Edinburgh patrouillierten. Doch dieses Jahr war es anders. Dieses Jahr musste ich mich zusammenreißen, denn ich war morgen Vormittag für einen Kindergeburtstag gebucht und konnte es mir nicht erlauben, dort verkatert zu erscheinen.

Genervt stopfte ich die blutige Serviette in meine Hosentasche und trank den letzten Schluck meines Virgin Caipirinha. Ich wusste, dass ich auch ohne Alkohol Spaß haben konnte, aber es war schwer, Anschluss zu finden, wenn man die einzige nüchterne Person in einem Raum voller alkoholisierter Erwachsener war, die es nur darauf anlegten, eine Dummheit zu begehen. Ich fischte mir mit dem Strohhalm einen Eiswürfel aus dem Cocktailglas und schob ihn mir wie einen Bonbon in den Mund, um darauf herumzukauen. Allerdings war das mit den künstlichen Eckzähnen, die ich mir für den Abend angeklebt hatte, schwieriger als erwartet.

Aus Richtung der Bar kam mein Kampfpartner Jules auf mich zugeschlendert, in der Hand hielt er zwei Gläser. Er schob mir eine Cola zu und setzte sich auf den freien Hocker neben mir. »Schau nicht so grimmig, Cain. Das hier ist eine Party, keine Beerdigung. Mach dich locker.«

Ich warf ihm einen finsteren Blick zu – der mir nicht wirklich gelang. Dafür sah Jules einfach zu lächerlich aus. Das diesjährige Motto der Party lautete: »Die Kreaturen, die wir töten«. Jeder musste sich als eines der Wesen verkleiden, die er jagte. Ich war eine Blood Huntress, deswegen hatte ich mich für ein Vampirkostüm entschieden, Jules, der ein Grim Hunter war, für ein Werwolfkostüm. Allerdings kein billiges, wie man es in jedem Kostümladen finden konnte. Oh nein. Jules trug einen Anzug mit Blumenmuster, aus dessen Jackettärmeln Fellbüschel wuchsen, seine Klauen bestanden aus langen schwarzen Gelnägeln, und anstelle einer grausigen blutigen Maske mit gefletschten Zähnen hatte er sich einen Haarreif inklusive Hundeohren auf den Kopf gesetzt. Dass er über dem Anzug sein Amulett der Stufe 1 trug, das er auf eine geflochtene bunte Lederkordel gezogen hatte, machte es nicht besser. Er war der modischste, harmloseste und amüsanteste Werwolf, der mir je begegnet war.

»Du hast leicht reden, immerhin musst du morgen keine Horde Kinder bespaßen.«

»Das hast du dir selbst zuzuschreiben.«

»Was hätte ich machen sollen? Den Auftrag nicht annehmen?«

»Ja, genau das hättest du tun sollen. Agnes hätte auch eine andere Cinderella gefunden.«

»Psst, nicht so laut«, zischte ich. Er war der Einzige, der wusste, wie ich mein Geld verdiente: indem ich bei Kindergeburtstagen als Prinzessin auftrat.

Ich hasste meinen Job. Okay, das war gelogen. Er gefiel mir eigentlich sogar ziemlich gut. Meine Arbeitszeiten waren mehr oder weniger flexibel, es gab immer Kuchen, und die Bezahlung war in Ordnung, vor allem wenn man bedachte, dass ich mit dem Töten von Monstern keinen Cent verdiente. Außerdem kam ich gut mit Kindern klar, weshalb ich auch zweimal die Woche Hunterkinder im Quartier unterrichtete und ihnen erstes Grundwissen vermittelte.

Jules nippte an seinem Cocktail. »Ich versteh nicht, wieso dir das so peinlich ist.«

»Du musst es auch nicht verstehen, nur deine Klappe halten«, sagte ich mit einem verbissenen Lächeln.

Jules war nichts peinlich. Er interessierte sich nicht dafür, was die Leute über ihn und seine bunte Garderobe sagten, aber ich war nicht wie Jules. Mir war es nicht egal, was die anderen Hunter von mir dachten. Ich wollte, dass sie mich ernst nahmen, denn wenn ich erst zur Lachnummer für sie geworden war, könnte ich es vergessen, irgendwann die Leitung des Quartiers zu übernehmen. Zwar würde dies bestimmt noch zwei, drei Jahrzehnte dauern, da ich mit meinen neunzehn Jahren noch ziemlich jung war und reichlich Erfahrung sammeln musste, aber es war nie zu früh, die Grundpfeiler zu legen.

Plötzlich erstarrte Jules neben mir. Seine Muskeln spannten sich an, und er wurde ganz ruhig. Es gab nur zwei Dinge auf der Welt, die ihm eine solche Reaktion entlockten. Und ganz bestimmt war gerade keine übernatürliche Kreatur in den Club marschiert. Was bedeutete …

»Harper ist hier«, hauchte Jules so leise, dass ich ihn über das Wummern der Musik hinweg kaum verstehen konnte.

Ich folgte seinem Blick zum Eingang. Sofort entdeckte ich Harper und ihren Bruder Holden. Es war praktisch unmöglich, die Zwillinge zu übersehen. Sie waren Magic Hunter und wie alle Jäger ihrer Art von einer übernatürlichen Schönheit, wodurch sie immer alle Blicke auf sich zogen. Sie hatten seidiges schwarzes Haar, große braune Augen und volle Lippen. Hätte Harper meinen Job, wäre sie zweifelsohne als Schneewittchen durchgegangen, obwohl sie – wenn man mich fragte – weitaus mehr Ähnlichkeit mit Maleficent hatte. Sie war ziemlich fies, aber aus mir unerklärlichen Gründen mochte Jules sie. Sehr sogar.

»Das ist deine Chance«, sagte ich und verpasste ihm einen sanften Stoß mit dem Ellenbogen.

Er starrte mich an. »Was?«

Ich nickte zur Bar, auf die Harper und Holden zusteuerten. Holden hatte sich als billige Filmversion eines Hexers verkleidet. Er trug ein gräuliches Gewand, das bis zum Boden reichte, und einen langen grauen Bart, der ihn aussehen ließ wie Gandalf. Harper hingegen hatte sich mit ihrem Kostüm noch weniger Mühe gegeben als ich. Sie trug ihre normale Hunteruniform: schwarze Jeans, Stiefel, dunkles Top und Lederjacke. Einzig und allein die spitzen Ohren, die sie sich aufgesetzt hatte, gehörten nicht zu ihrer Standardkluft. »Sprich sie an.«

Jules schüttelte heftig den Kopf. Im flackernden Licht der Clubbeleuchtung glaubte ich zu erkennen, dass er etwas blass um die Nase geworden war. »Auf keinen Fall. Du weißt, was dann passiert.«

Ja, das wusste ich allerdings. Jedes Mal, wenn Jules versuchte, bei Harper zu landen, erteilte sie ihm eine Abfuhr. Was absolut unverständlich war, denn Jules war ein echter Fang. Und das sagte ich nicht nur, weil er mein Cousin war. Er sah gut aus mit seinem zerzausten roten Haar, den stechend blauen Augen und seinen kantigen Gesichtszügen. Außerdem war er witzig, intelligent, liebenswert und einer der besten Jäger, die ich kannte. Er war vielleicht nicht so groß und breitschultrig wie die meisten Grim Hunter, aber was ihm an angeborenen Vorteilen fehlte, machte er durch Disziplin und Entschlossenheit wett.

»Wenn du nicht mit ihr reden willst, solltest du sie vergessen.«

»Das ist leichter gesagt als getan.« Jules’ Blick wanderte erneut in Harpers Richtung. Sie lehnte an der Bar und lachte über etwas, das ihr Bruder gesagt hatte. Jules stieß ein tiefes Seufzen aus. »Wie kann ein Mensch nur so perfekt sein?«

Ich schnaubte. »Setz die rosarote Brille ab, Jules. Sie ist ein Miststück, und du bist viel zu gut für sie.« Normalerweise war ich nicht so bissig, zumal ich Harper als Huntress respektierte, aber ich konnte sie nicht ausstehen. Sie hatte Jules bereits zu oft das Herz gebrochen, und ich hasste es, wie sie – und nur sie – es schaffte, sein Selbstbewusstsein auf Erbsengröße zusammenschrumpfen zu lassen.

»Du verstehst das nicht.«

»Richtig, tu ich nicht.«

»Sie ist …« Jules hielt mitten im Satz inne und schüttelte den Kopf, als wollte er den Gedanken loswerden, den er gerade beinahe ausgesprochen hätte. »Weißt du was? Vergiss es. Hast du Lust zu tanzen?«

»Sorry, heute nicht.« Ich war eindeutig zu nüchtern, um mich freiwillig vor meinen Kollegen zum Affen zu machen. »Ich glaub, ich pack’s für heute. Frag doch Ella, sie tanzt sicherlich gern mit dir.«

»Ella ist vor einer halben Stunde abgezischt.«

Ich runzelte die Stirn. »Schon? Aber sie ist doch erst vor einer Stunde gekommen.«

»Jup. Anscheinend hat sie wichtige Soul-Huntress-Dinge zu erledigen«, antwortete Jules mit einem vielsagenden Blick in Richtung Ausgang. »Wayne ist fünf Minuten nach ihr gegangen. Vermutlich treiben sich irgendwo Geister herum, die dringend in die Unterwelt geschickt werden wollen.«

»Awww, sei nicht traurig. Sicherlich findest du noch jemand anderen zum Tanzen«, tröstete ich Jules und hüpfte von meinem Hocker. »Wir sehen uns morgen zur Patrouille.«

Jules lächelte. »Bis morgen.«

Ich schlängelte mich durch die Horde der feiernden Hunter und Archivare, erst zur Garderobe und schließlich zum Ausgang. Erleichtert atmete ich die kühle Nachtluft ein, als ich ins Freie trat. Das erste Mal seit Stunden konnte ich richtig durchatmen, ohne dass mir der Geruch von Schweiß und Alkohol in die Nase stieg.

Ich schlenderte die Victoria Street entlang in Richtung des alten Friedhofs am Calton Hill. Es war eine sternenklare Nacht, und ich beschloss, die zwanzig Minuten zum Quartier der Hunter zu laufen.

Edinburgh war bereits bei Tag wunderschön, aber bei Nacht war die Stadt geradezu berauschend. In der Dunkelheit fühlte man sich zwischen all den alten Sandsteingebäuden wie in eine andere Zeit versetzt. Und die Lichter, die in den Häusern brannten, verliehen meiner Heimat etwas Magisches. Manchmal fragte ich mich, ob das der Grund dafür war, weshalb in Edinburgh mehr übernatürliche Kreaturen hausten als in vielen anderen Städten. So oder so konnte ich verstehen, weshalb man hier wohnen wollte – tot oder lebendig, menschlich oder nicht.

Für gewöhnlich war es um diese Uhrzeit schon ziemlich ruhig auf den Straßen, aber die zahlreichen Halloweenpartys, die an jeder Ecke stattfanden, hatten die Leute aus ihren Wohnungen getrieben. Paarweise oder in Gruppen standen sie vor den Pubs beisammen, rauchten oder spazierten durch die Gegend auf der Suche nach der nächsten Party-Location.

Ich zog meine Jacke enger um mich, da mich der kühle Wind frösteln ließ, und beschleunigte meine Schritte, als mir plötzlich der Duft von Rosmarin in die Nase stieg. Instinktiv spannten sich meine Muskeln an, und ich wurde wieder langsamer, während ich mich nach der Quelle des Geruchs umsah, der Gefahr bedeutete.

Jede Art von Vampir hatte ihren eigenen Duft, den nur wir Blood Hunter wahrnehmen konnten. Manche Düfte waren leicht zuzuordnen – Owenga rochen beispielsweise nach Benzin und Dhampire nach Rauch –, andere wiederum waren weniger deutlich. Aber dieser Geruch nach Rosmarin gehörte unverkennbar zu einem von Isaacs Vampiren. Den klassischen Vampiren, wenn man so wollte. Verwandelte Menschen, die nach Blut gierten.

Suchend ließ ich den Blick umherwandern, bis er auf einen Mann fiel, der allein unterwegs war. Und als wäre das an diesem Abend nicht schon untypisch genug, trug er außerdem kein Kostüm, sondern einen Hoodie, dessen Kapuze er sich tief ins Gesicht gezogen hatte, als hätte er etwas zu verbergen.

Unauffällig beschleunigte ich meine Schritte wieder und schloss zu dem Kerl auf, um meinen Verdacht zu überprüfen.

Wie erwartet, wurde der Geruch nach Rosmarin stärker.

Ich heftete mich an die Fersen des Vampirs und zog mein Handy hervor. Mit der Kurzwahltaste rief ich Jules an.

»Komm schon …«, murmelte ich zu mir selbst, als er nicht ranging.

Ein Klicken ertönte, und sein Anrufbeantworter sprang an.

Shit!

Ich legte auf und rief ihn direkt noch einmal an, während ich dem Vampir weiterhin unauffällig folgte, was dank der zahlreichen Menschen auf den Straßen zum Glück nicht schwer zu bewerkstelligen war.

»Hey, hier ist Jules. Ich kann leider gerade nicht …«

Fuck.

Vermutlich war es im Club zu laut, als dass er sein Handy hätte hören können. Und selbst wenn er ranginge, war ich mir nicht sicher, ob er nach drei Cocktails überhaupt noch in der Verfassung war, einen Vampir zu jagen. Besser ich stellte das nicht auf die Probe.

Verunsichert presste ich die Lippen aufeinander. Ich brauchte meinen Kampfpartner, denn es war uns untersagt, allein auf die Jagd zu gehen. Andererseits konnte ich nicht zulassen, dass sich dieser Vampir ungehindert einen Mitternachtssnack suchte.

Anstatt Jules erneut anzurufen, wählte ich die Nummer des Quartiers. »Gärtnerei Dagger. Was kann ich für Sie tun?«, meldete sich eine Frau, deren Stimme ich nicht erkannte. Wir verwendeten immer eine falsche Begrüßung, damit niemand, der sich womöglich verwählte, den Jägern auf die Schliche kam.

»Cain Blackwood. CB170516EDI. Kannst du mein Handy orten?«, fragte ich so leise wie nur möglich.

Wilde Tippgeräusche waren zu hören. »Ja, hab dich.«

»Ich verfolge gerade einen Vampir und bräuchte Verstärkung.«

»Uuh, leider ist es gerade ziemlich eng«, sagte die Frau mit deutlichem Bedauern in der Stimme. »Es laufen mehrere Einsätze. Verstärkung kann frühestens in einer halben Stunde kommen.«

Eine halbe Stunde? In dieser Zeit könnte der Vampir Dutzende von Menschen abschlachten, wenn ihm danach war. Das konnte ich nicht zulassen. Es war vielleicht aus Sicherheitsgründen verboten, allein auf die Jagd zu gehen, aber in diesem Fall ging die Sicherheit von Unschuldigen über meine eigene.

»Vergiss, dass ich angerufen habe. Jules und ich kümmern uns selbst darum«, log ich und legte auf, ohne eine Antwort abzuwarten, um nicht noch mehr Zeit zu verschwenden. Ich wusste, dass ich das hier eigentlich nicht tun sollte, aber mir blieb keine andere Wahl. Es war offensichtlich, dass dieser Vampir vor mir auf der Suche nach Nahrung war, und ich konnte nicht warten, bis er sie gefunden hatte.

In einigen Metern Abstand folgte ich ihm und wartete auf den passenden Moment, um zuzuschlagen. Zwar trug ich, wie jeder Hunter, ein magisches Amulett der Stufe 1 um den Hals, mit dem ich eine Illusion erschaffen konnte, aber ich wollte den Vampir dennoch lieber nicht in aller Öffentlichkeit angreifen. Denn eine Illusion war eben nur das: eine Illusion. Das bedeutete nicht, dass die Leute nicht in uns hineinrennen konnten. Auf diese Weise passierte es immer wieder, dass Unwissende versehentlich Zeugen von Hunteraktivitäten wurden, und das galt es zu vermeiden.

Der Vampir war zum Glück unfreiwillig kooperativ – ich musste nicht lang warten, bis er die Hauptstraße verließ und in eine der zahlreichen schmalen Gassen abbog, welche die Altstadt Edinburghs wie Adern durchzogen.

Ich warf einen Blick über die Schulter. Als ich sicher war, dass uns niemand in die Gasse gefolgt war, warf ich die letzten Bedenken bezüglich meines Alleingangs über Bord. Ich aktivierte das Amulett um meinem Hals und ging in die Hocke, um nach dem Khukuri zu greifen, das in meinem rechten Stiefel steckte. Meine Finger kribbelten vor Erwartung, als sie sich um das lederne Heft schlossen und ich die gekrümmte Klinge herauszog. Meine Sinne, die von Natur aus ausgeprägter waren als die gewöhnlicher Menschen, schärften sich. Hierfür war ich geboren. Das war mein Schicksal, und hätte ich eine Wahl, würde ich mich immer und immer wieder dafür entscheiden.

Entschlossen richtete ich mich auf. »He! Pappnase!«

Der Mann mit dem Hoodie erstarrte in der Bewegung und drehte sich zu mir herum. Als er aufblickte, rutschte ihm die Kapuze vom Kopf. Im Licht einer einsamen Laterne erkannte ich, dass sein Haar von einem leuchtenden Blond war, so als hätte es die Sonne absorbiert. Seine Haut war blass und seine Augen wirkten glasig. Ein Unwissender hätte vielleicht geglaubt, er wäre krank, doch ich wusste es besser – er hatte Hunger.

»Hallo Jägerin«, sagte der Vampir und verzog die Lippen zu einem spöttischen Grinsen, das mir seine Fänge zeigte. Sie waren nicht besonders lang, ein Zeichen dafür, dass er noch jung war. Unerfahren, aber alt genug, um zu wissen, was er tat, und um nicht mehr unkontrolliert zu töten, wie es bei frisch verwandelten Vampiren der Fall war. Diese stürzten sich unüberlegt in den Kampf, reife Vampire hingegen genossen den Nervenkitzel der Jagd und die Angst ihrer Opfer. Es gehörte für sie zum Genuss des Blutes dazu.

»Wie ich sehe, eiferst du uns nach.« Der Vampir betrachtete die künstlichen Eckzähne, die noch immer in meinem Mund steckten. »Schade, dass ich dich nicht verwandeln kann.«

Ich schnaubte. »Lieber würde ich sterben.«

»Das lässt sich einrichten«, sagte der Vampir mit kehliger Stimme. Seine sanften Gesichtszüge wurden härter. Schwarze Adern erschienen unter seiner blassen Haut, und seine Pupillen nahmen eine dunkelrote Farbe an, während sich seine Hände zu Klauen mit langen Krallen verformten, die ihm dabei halfen, seine Beute festzuhalten. Er fletschte die Zähne und stieß ein animalisches Knurren aus – und dann stürzte er sich auf mich.

Obwohl er rannte, nahm ich jede seiner Bewegungen bis ins kleinste Detail wahr. Seine Muskeln, die sich anspannten, und sein Atem, der sich beschleunigte, als würde sein Körper noch immer Sauerstoff brauchen. Die Härchen an meinen Armen richteten sich auf, und ich machte mich bereit.

Ich konnte den nach Metall stinkenden Atem des Vampirs förmlich auf meiner Haut spüren, als er auf mich zuhechtete, um mich zu packen. Doch kurz bevor er mich zu fassen bekam, duckte ich mich in einer fließenden Bewegung und kickte ihm die Füße unter den Beinen weg.

Der Vampir war zu schnell, um das Gleichgewicht zu halten. Mit einem dumpfen Aufprall landete er auf dem Boden. Der Winkel machte es mir allerdings unmöglich, ihm mein Messer durchs Herz zu stoßen. Stattdessen rammte ich ihm die Klinge in den rechten Oberschenkel. Er stieß einen markerschütternden Schrei aus, den man zweifelsohne über die Gasse hinaus hören konnte.

Ich sprang auf die Beine. Mein Khukuri ließ ich stecken, damit sich die Wunde nicht sofort wieder schloss und der Vampir länger etwas von dem Schmerz hatte, der ihn hoffentlich für ein paar Sekunden lähmen würde. Dann sprintete ich los. Zielstrebig rannte ich auf die gusseiserne Laterne zu, die in das Mauerwerk des Hauses eingelassen war. Meine Stiefel donnerten über den Boden, dennoch konnte ich hören, dass der Vampir bereits wieder die Verfolgung aufgenommen hatte. Adrenalin pumpte durch meinen Körper. Doch das Ziel vor Augen zog ich mein Tempo weiter an. Ich hatte nur diese eine Chance, kurzen Prozess zu machen, denn anders als mir mangelte es dem Vampir weder an Kraft noch an Ausdauer. Im Gegensatz zu mir könnte er ewig so weitermachen, auch wenn mir meine Blood-Hunter-Gene übermenschliche Fähigkeiten verliehen.

Direkt unter der Laterne bremste ich scharf ab und wirbelte herum. Der Vampir war nur noch wenige Schritte von mir entfernt. Er humpelte leicht und hielt mein Khukuri in der Hand, als wollte er mich mit meiner eigenen Waffe zur Strecke bringen. Ein letztes Mal holte ich tief Luft, dann sprang ich nach oben. Meine Finger schlossen sich um die Laterne. Das Eisen ächzte, Sand bröckelte aus den Ritzen des Mauerwerks, als ich mich hin und her bewegte, um an Schwung zu gewinnen.

Ein dunkler Schatten huschte über das Gesicht des Vampirs, als versuchte er herauszufinden, was ich plante. Unaufhörlich kam er näher, von seinen animalischen Trieben befeuert. Ich spannte die Muskeln an, holte ein letztes Mal Schwung und verpasste ihm einen heftigen Tritt ins Gesicht, gerade als er mich erreichte und packen wollte.

Ein Knacken war zu hören. Blut spritzte. Er schrie auf und ließ meinen Dolch fallen, um nach seiner Nase zu greifen, die nur noch ein zertrümmerter Knochen war.

Zufrieden ließ ich die Eisenstange los. Mit beiden Füßen landete ich auf den Pflastersteinen, schnappte mir mein Messer und rammte es dem Vampir in die Kehle, um sein Gejammer im Keim zu ersticken.

Er verstummte.

Mit einem schmatzenden Geräusch und einem Schwall Blut zog ich die Klinge heraus, holte erneut aus und trieb sie gezielt zwischen seinen Rippenbögen hindurch in sein Herz.

Schockiert starrte mich der Vampir an, bevor er leblos vor meinen Füßen zusammensackte.

Ein erleichtertes Seufzen entwich meinen Lippen. Ein Blutsauger weniger, um den wir uns Gedanken machen mussten.

Ich holte mein Handy hervor, das den Kampf zum Glück unbeschadet überstanden hatte, und schrieb eine Nachricht ans Quartier, damit sie jemanden schickten, der die Leiche entsorgte.

Ich war gerade fertig damit, als ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Ich wirbelte herum und starrte direkt in ein Paar kühler blauer Augen, die mir so vertraut waren wie das Gewicht einer Waffe in meiner Hand.

»Was zum Teufel, Blackwood?«

Warden

Nur eine Sekunde. Eine verdammte Sekunde lang hatte ich mir erlaubt, den Vampir aus den Augen zu lassen, und nun war er tot. Die letzten vier Stunden Observierung waren umsonst, und ich wusste nicht, auf wenn ich wütender sein sollte: auf Cain oder mich selbst, weil ich mich von Kevin hatte ablenken lassen. Zurzeit war der Todesbote oft bei mir. Schwer zu sagen, ob ihm langweilig war oder ob er mehr über meine Lebensdauer wusste, als er mir verraten wollte.

Cain stemmte die Hände in die Hüfte und betrachtete mich finster. Ich erinnerte mich nur noch dunkel an die Zeit, als mein Anblick Licht und keinen Schatten in ihre Augen hatte treten lassen. »Hallo, Warden.«

»Warum hast du ihn getötet?«

Cains rotes Haar wirkte in der dunklen Gasse wie ein Leuchtfeuer. Blut klebte an ihrem Kinn und rann über ihren Hals. Kurz flackerte Sorge in mir auf, bis ich die künstlichen Fangzähne in ihrem Mund entdeckte. Ernsthaft?

»Ich habe ihn getötet, weil es mein Job ist.«

Ich sah auf den leblosen Körper zu meinen Füßen, dessen Blut auf dem Gehweg ein schmales Rinnsal gebildet hatte. Mir war unerklärlich, wie Cain ihn im Alleingang so schnell hatte kaltstellen können. Ich wusste aus eigener Erfahrung, dass sie gut war. Aber so gut? Was mich allerdings noch mehr verwunderte, war Jules’ Abwesenheit. Ich kannte die Regeln auswendig, gegen die ich selbst seit Jahren verstieß. In Edinburgh war es Huntern verboten, allein auf die Jagd zu gehen.

»Er war mein Vampir.«

»Sorry, ich habe nicht gesehen, dass er ein Halsband trägt.«

»Ich bin ihm schon den halben Tag gefolgt.«

Cain ging in die Hocke, um ihr Khukuri aus dem Leichnam zu ziehen. »Und du hast es nicht geschafft, ihn zu töten? Schwach, Warden. Wirklich schwach.«

»Ich wollte ihn nicht töten«, zischte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen. Normalerweise ließ ich mich nicht so schnell aus der Ruhe bringen. Egal ob ich einem Vampir nachjagte, einem Werwolf gegenüberstand oder der knisternden Magie eines Hexers auswich. Es war für mein Überleben notwendig, dass ich stets einen kühlen Kopf behielt, aber diese Frau raubte mir jede Gelassenheit. »Ich wollte ihn nach Isaac fragen, und das weißt du.«

Scheinbar seelenruhig wischte Cain ihre blutige Waffe am grauen Hoodie des Vampirs ab, doch ich wusste, dass ihre Beherrschtheit reine Fassade war, genau wie meine eigene. Es war ein Schauspiel, das wir seit Jahren jedes Mal aufführten, wenn wir aufeinandertrafen.

»Was machst du überhaupt hier? Ich dachte, du wärst in London.«

Ich hatte keine Ahnung, woher sie von meinem Ausflug nach London wusste, da es ein inoffizieller Einsatz gewesen war. Beziehungsweise warum es sie überhaupt interessierte. Vermutlich hatte sie gehofft, mich noch eine Weile länger nicht sehen zu müssen. »Ich bin seit heute zurück.«

»Und, wie war es?«

Ich schnaubte und verschränkte die Arme vor der Brust, über welcher der Gurt meiner Machetenhalterung spannte. Für gewöhnlich trug ich bei Observierungen unauffälligere Waffen bei mir, aber da heute Halloween war, stellte niemand die Klinge auf meinem Rücken infrage. »Was interessiert es dich?«

Cain richtete sich auf, wobei sie nicht einmal im Ansatz mit mir auf einer Augenhöhe war. Sie war ziemlich klein für eine Blood Huntress, was sie allerdings nicht daran hinderte, sich wie eine zu bewegen – geschmeidig und dennoch kraftvoll. »Weißt du was, Warden? Vergiss, dass ich gefragt habe.«

»Nichts lieber als das.«

Sie schüttelte den Kopf, als wäre sie enttäuscht von mir. Dann machte sie ohne ein weiteres Wort auf dem Absatz kehrt, marschierte aus der dunklen Gasse und ließ mich mit dem toten Vampir allein.

Ich sah ihr nach, bis ihre Silhouette in der Dunkelheit verschwand.

»Ich mag sie«, erklang plötzlich eine vertraute Stimme schräg hinter mir.

Ich drehte mich um und entdeckte Kevin, meinen persönlichen Todesboten. Sozusagen. Eigentlich war er dafür verantwortlich, Menschen nach ihrem Ableben in die Geister- oder Unterwelt zu begleiten, aber seine Freizeit verbrachte er aus unerklärlichen Gründen gerne mit mir. Und jedes Mal, wenn ich ihn sah, besaß er eine andere Gestalt. Manchmal war er eine alte Frau, manchmal ein kleiner Junge und manchmal, so wie heute, eine Blondine mit aufreizendem Ausschnitt. Doch ich erkannte ihn immer an seiner Vorliebe für K-Pop, die er deutlich zur Schau stellte – heute in Form eines farbenfrohen Basecaps.

»Blackwood? Sie ist eine Nervensäge.«

»Vielleicht«, gab Kevin mit einem wissenden Grinsen zurück. »Aber eine sexy Nervensäge.«

Ich presste die Lippen aufeinander. Dem konnte ich nicht widersprechen. Doch Cain war viel mehr als das. Sie war talentiert. Ehrgeizig. Clever.

Und meine ehemalige Kampfpartnerin.

2. KAPITEL

Cain

Cain Blackwood, CB170516EDI, begib dich umgehend in das Büro des Quartiersleiters.

Ich las die Nachricht von Alessandra, Grants Assistentin, die mich vor fünf Minuten mit einem Signalton aus dem Schlaf geholt hatte, bereits zum zweiten Mal, doch die Worte wollten einfach keinen Sinn ergeben. Grant wollte mich sehen? Sofort? Das war mir noch nie passiert. Ja, ich hatte schon Einladungen von ihm erhalten und Gespräche mit ihm geführt, aber niemals waren diese Treffen so kurzfristig und mit solch einer Dringlichkeit zustande gekommen. Was nichts Gutes bedeuten konnte. Unsicherheit stieg in mir auf und vermischte sich mit einem Gefühl von Angst. Ging es um meine Eltern oder Jules? War einem von ihnen etwas zugestoßen?

Nein, in diesem Fall hätte man mich weitaus ruppiger geweckt. Es musste etwas weniger Dramatisches sein. Dennoch verspürte ich mit einem Schlag mehr Sorge als in der Nacht zuvor, als ich allein diesem Vampir gegenübergestanden hatte.

Mit vor Nervosität zitternden Händen ging ich ins Bad, das an mein Zimmer grenzte. Jedes Quartier war anders aufgebaut, und in vielen Stützpunkten wie in London oder Berlin teilten sich die Hunter eine Gemeinschaftsdusche, aber wir in Edinburgh hatten Glück. Hier verfügte jedes Zimmer über ein eigenes kleines Bad. Zwar dauerte es oft lange, bis das Wasser warm wurde, und öfter als mir lieb war, blieb es einfach kalt, aber es war besser als nichts.

Ich streifte mir die Schlafsachen vom Körper und sprang unter die Dusche. Ich hatte Glück, das Wasser war angenehm warm, ohne Temperaturschwankungen, doch ich war zu unruhig, um es genießen zu können. So schnell wie nur möglich wusch ich mich und schlüpfte anschließend in mein Hunteroutfit: schwarze Hose, schwarzes Top. Wir in Edinburgh mochten es klassisch. Und auch wenn mir hier keine Gefahr drohte, da alles sicher abgeriegelt war, steckte ich mir eines meiner Khukuri in den Stiefel, bevor ich mich auf den Weg in Grants Büro machte, das auf der untersten Etage des Quartiers lag.

Die Zentrale hatte ihren Sitz im Zentrum von Edinburgh unter dem Calton Hill, der tagtäglich von Hunderten von Touristen aufgesucht wurde, die nicht ahnten, dass unter ihren Füßen der Stützpunkt einer geheimen Organisation lag, der sich vom alten Friedhof bis zum Nelson Monument zog. Auf fünf Ebenen verteilt, schliefen, trainierten und lebten knapp zweihundert Blood, Soul, Grim und Magic Hunter – und eine Handvoll freie Hunter, die nicht in dieses Leben hineingeboren waren, sondern es freiwillig gewählt hatten. Ein paar Jäger lebten auch außerhalb des Quartiers, aber nur wenige. Die Mieten in Edinburgh waren teuer, und die Einkünfte durch unsere Nebenjobs meist zu gering. Was mich daran erinnerte, dass ich heute noch auf einem Kindergeburtstag erwartet wurde.

Ich nahm die Treppen bis ganz nach unten und folgte einem langen Flur, vorbei an der Bibliothek, der Werkstatt der Archivare, den Arrestzellen und der Krankenstation bis zu Grants Büro, dem am schwersten zu erreichenden Ort des Quartiers. Hier wurden alle Akten und Geheimnisse verwaltet. Ich öffnete die gläserne Tür, die zu einem Vorraum führte, in dem Alessandra saß, die gerade dabei war, zwei Personalmappen neu zu beschriften, die ich an ihrer grauen Farbe erkannte. Bekam das Quartier Zuwachs?

»Guten Morgen«, begrüßte ich Grants Assistentin.

Alessandra war keine Huntress, aber sie hatte vor zwei Jahren einen Jäger geheiratet, weshalb sie in unser Geheimnis eingeweiht worden war. Seither arbeitete sie bei uns und unterstützte die Hunter, wo sie nur konnte, mit ihrem Organisationstalent.

»Grant wollte mich sehen?«

»Ja, aber er ist noch in einem Gespräch. Du kannst gern Platz nehmen.« Sie deutete auf eine Reihe Stühle an der gegenüberliegenden Wand.

»Wie lange wird das noch dauern?«, fragte ich mit einem verunsicherten Blick auf die Uhr. Ich hatte angenommen, sofort mit Grant sprechen zu können. Immerhin hatte seine Anfrage ziemlich dringend geklungen. Außerdem hatte ich es selbst eilig. Es kostete mich immer eine halbe Ewigkeit, mich von Cain in Cinderella zu verwandeln, da reichten keine fünf Minuten, und ich wurde pünktlich auf Lindas siebter Geburtstagsfeier erwartet.

Alessandra lächelte. »Das weiß ich leider nicht.«

»Okay. Danke«, antwortete ich mit einem Seufzen.

Ich setzte mich, zog mein Handy hervor und schrieb der Veranstaltungsagentur, die mich vermittelte, eine Nachricht mit der Entschuldigung, ich sei krank. Lieber sagte ich ganz ab, als dass ich zu spät kam. Auf diese Weise bestand vielleicht die Chance, dass noch ein Ersatz für mich gefunden wurde. Auch wenn es wehtat, den Gig sausen zu lassen. Das riss ein ziemliches Loch in meine Finanzen. Zwar bezahlte uns das Quartier das Nötigste wie unsere Kampfausrüstung und Sportkleidung fürs Training und man gewährte uns auch kostenlos Unterkunft, aber alles, was dem privaten Vergnügen galt, musste aus eigener Tasche bezahlt werden. Doch Grant zu versetzen, um zu einem Kindergeburtstag zu gehen, war keine Option.

Nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete sich endlich die Tür zum Büro und zwei Hunter, die ich noch nie zuvor gesehen hatte, kamen heraus. Die Frau hatte langes blondes Haar, sodass man sie auf den ersten Blick mit Ella hätte verwechseln können, doch anders als meine beste Freundin hatte sie hellbraune statt weiß-graue Augen und ihre Gesichtszüge waren deutlich markanter. Der Typ neben ihr hatte lockiges braunes Haar und trug einen Dreitagebart. Im Vorbeigehen schenkte er mir ein charmantes Lächeln, woraufhin die Frau die Augen verdrehte, mir aber zumindest kurz zunickte.

Ich sah den beiden nach, bevor ich den Blick wieder auf Alessandra richtete, die mir ein Zeichen gab, dass ich jetzt rein durfte. Um eine selbstsichere Haltung bemüht, straffte ich die Schultern und betrat das Büro, in dem es immer nach vergilbtem Papier roch.

»Hallo, Grant. Du wolltest mich …« Ich erstarrte.

Grant war nicht allein. Warden war bei ihm. Er saß auf einem der Stühle vor dem Schreibtisch und starrte mich wütend an.

Ich hatte das entschiedene Gefühl eines Déjà-vu. Alte Erinnerungen, die ich seit Jahren zu verdrängen versuchte, stiegen in mir auf. Und mich beschlich eine ungute Vorahnung, worum es bei diesem Treffen gehen könnte. Trotzdem wollte ich keine voreiligen Schlüsse ziehen. Vielleicht, nur vielleicht, irrte ich mich ja.

»Guten Morgen, Cain«, begrüßte mich Grant mit einem Lächeln, das die Fältchen in seinem Gesicht noch tiefer werden ließ. Sein Haar war trotz seines Alters von einem tiefen Dunkelbraun, und das hellblaue Hemd, das er trug, zeigte deutlich, dass er in hervorragender körperlicher Verfassung war, obwohl er inzwischen nicht mehr auf die Jagd ging und seine Zeit vor allem im Büro verbrachte. »Schließt du bitte die Tür?«

Ich gehorchte und erkundigte mich anschließend nach den beiden Huntern, die gerade sein Büro verlassen hatten, in der Hoffnung, so noch etwas Zeit schinden und meine Gedanken sortieren zu können.

»Das waren Roxy Blake, eine freie Huntress, und Shaw, ein Hunteranwärter, aus dem Londoner Quartier. Du wirst die beiden sicherlich noch kennenlernen, sie werden eine Weile bei uns bleiben«, antwortete Grant und nippte an der Cola, die auf seinem Schreibtisch stand.

Deswegen auch die neuen Personalakten. Vermutlich hatten Roxy und Shaw gerade von Grant seine Willkommen-in-Edinburgh-Ansprache gehalten bekommen. Wardens Anwesenheit erklärte das allerdings nicht.

»Und warum bist du hier?«, fragt ich geradeheraus.

»Ich habe den beiden nur den Weg gezeigt«, antwortete Warden mit einem unschuldigen Lächeln, das ich ihm nicht abkaufte.

»Setz dich«, forderte Grant mich auf und deutete auf den freien Stuhl vor seinem Tisch.

Ich zögerte kurz, nahm aber schließlich Platz, da ich nicht kindisch wirken wollte.

Die beiden Stühle standen keine Armlänge voneinander entfernt. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich Warden das letzte Mal so nahe gewesen war. Seit dem Vorfall vor drei Jahren war er fast ununterbrochen auf der Suche nach Isaac, dem Vampirkönig, unterwegs. Er reiste um die ganze Welt. Und wenn er dann doch einmal im Quartier war, galt die ungeschriebene Regel, dass wir uns aus dem Weg gingen. Im letzten Jahr hatte ich ihn vielleicht eine Handvoll Male gesehen, und nun gleich zwei Tage hintereinander – das war zu viel!

»Du weißt sicherlich, warum ich dich habe rufen lassen«, sagte Grant.

Ich hielt es für das Beste, meine Vermutung erst mal für mich zu behalten. »Nein, um ehrlich zu sein, weiß ich das nicht.«

Warden stieß ein abfälliges Schnauben aus. »Lügnerin.«

Grant verschränkte die Hände vor sich auf dem Tisch und sah mich eindringlich an.

Mein Blick fiel auf sein Huntertattoo, das er gut sichtbar auf seinem rechten Handrücken trug, mit einem Halbmond in der Mitte, der ihn als Grim Hunter auszeichnete. Das Tattoo stammte aus einer Zeit, in der nicht ständig alles überwacht, fotografiert und online geteilt worden war. Heute mussten wir Hunter unser Tattoo verdeckter tragen; meines befand sich auf der Innenseite meines linken Oberarms.

»Warden hat mir erzählt, dass du gestern allein auf Jagd warst. Stimmt das?«

Ich biss die Zähne zusammen. Natürlich hatte Warden mich verraten. Was hatte ich anderes erwartet? Diese einmalige Gelegenheit, mich bei Grant anzuschwärzen, hatte er sich selbstverständlich nicht entgehen lassen können.

»Nein, ich war nicht allein auf der Jagd«, erklärte ich, um einen ruhigen Tonfall bemüht, obwohl ich innerlich kochte. Ein Teil von mir wusste, dass Warden jedes Recht hatte, mich zu verraten, schließlich hatte ich wirklich gegen die Regeln verstoßen. Dennoch stieg Wut in mir auf, denn ich wusste, dass es ihm nicht um die Regeln ging. Die brach er schließlich selbst am laufenden Band. »Ich war auf unserer Halloweenparty und gerade auf dem Weg nach Hause, als ich einen Vampir bemerkt habe. Ich habe versucht, Jules zu erreichen, damit er mich unterstützt, aber er ist nicht an sein Handy gegangen. Daraufhin habe ich im Quartier angerufen. Die haben mir gesagt, dass Verstärkung frühestens in dreißig Minuten kommen kann. So lange hätte ich nicht warten können. Ich wollte verhindern, dass der Vampir Unschuldige tötet, also habe ich mich ihm im Alleingang gestellt.«

Grant nickte, seine Miene war jedoch undurchschaubar. »Hast du den Vampir vernichtet?«

»Ja.«

»Wurdest du dabei verletzt?«

»Nein.«

Grant ließ meine Worte auf sich wirken, dann stieß er ein Seufzen aus. »Du bist eine wirklich gute Jägerin, Cain. Und die Sache ist dieses Mal vielleicht glimpflich für dich ausgegangen, aber dir ist hoffentlich klar, dass du hättest sterben können. Es gibt einen Grund, aus dem ich so viel Wert auf diese Regel lege. Eure Sicherheit liegt mir am Herzen, mehr als alles andere. Du hattest Glück.«

Ich biss mir auf die Zunge und nickte, auch wenn ich nicht unbedingt glaubte, dass mein Überleben etwas mit Glück zu tun hatte, sondern viel mehr mit meinem Können.

»Es tut mir wirklich im Herzen weh, Cain, aber dein Regelverstoß muss Konsequenzen haben.« Grants Blick zuckte von mir zu Warden und wieder zu mir zurück. »Du bist für eine Woche vom aktiven Dienst suspendiert und wirst in dieser Zeit in der Waffenkammer aushelfen.«

»Was?! Das ist nicht fair!«, protestierte ich. »Ich war nicht allein auf der Jagd! Ich habe den Vampir gesehen und sofort meinen Partner angerufen und anschließend das Quartier. Genau wie es das Protokoll verlangt.«

»Aber du hast nicht auf Verstärkung gewartet.«

»Nein, aber das war auch nicht nötig. Die Gelegenheit zuzuschlagen war perfekt. Ich wollte nicht riskieren, dass mir der Vampir womöglich entkommt. Das hätte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren können. Aber ich war zu jeder Zeit vorsichtig.«

Grant erhob sich von seinem Platz, umrundete seinen Schreibtisch und lehnte sich dagegen, die Arme vor der Brust verschränkt. »Das verstehe ich, Cain, und ich halte dich für eine fantastische Huntress, das kann ich nicht oft genug betonen, aber du hast gegen eine unserer wichtigsten Vorschriften verstoßen. Ein Vergehen, das ich nicht unbestraft bleiben lassen kann. Du bist ein Vorbild für viele junge Hunter und Huntresses. Nehmen wir die Kinder, die du unterrichtest. Sie sehen zu dir auf. Was würde das für ein Signal senden, wenn ich dich ungeschoren davonkommen lasse?«

»Ich finde, die Strafe ist noch zu mild«, warf Warden ein.

Ich schnappte nach Luft. Dieser miese Verräter!

Ich starrte ihn an, und er starrte zurück. Der Blick aus seinen blauen Augen bohrte sich in meinen, als wäre ich ein gefrorener See, dessen Oberfläche es zu brechen galt. Doch wenn er glaubte, mich einschüchtern zu können, irrte er sich. Was bildete er sich überhaupt ein? Seit drei Jahren zog er auf der Suche nach Isaac allein um die Welt, ohne Partner. Was für ein Heuchler! Der einzige Grund, aus dem sich bei Warden nicht eine Bestrafung an die nächste reihte, war der, dass Grant ihn vermutlich nur selten im Quartier erwischte. Oder er hatte ihn einfach als hoffnungslosen Fall abgestempelt. So oder so hatte ihm bisher keine Maßregelung Vernunft eingetrichtert oder ihn von seinem Vorgehen abgebracht. Wieso Zeit und Energie auf jemanden verschwenden, der sich eh nicht darum scherte, ob man sich um ihn sorgte oder nicht?

»Und ich finde, du solltest auch bestraft werden«, sagte ich mit einem unschuldigen Lächeln. »Ja, ich war allein auf der Jagd, aber du warst es auch, oder nicht? Zumindest habe ich deinen Kampfpartner nirgendwo gesehen. Ach ja, warte, du hast ja gar keinen.«

»Und wessen Schuld ist das?«

»Deine. Oder wer hat deine letzten fünf Partner vergrault?« Ich wusste, dass Warden nach mir noch einige Partner gehabt hatte, die es aber alle nicht besonders lange mit ihm ausgehalten hatten. Was mich nicht wunderte. Seit dem Vorfall mit Isaac war Warden nicht mehr derselbe. Er war wütend und verbittert und lebensmüde – keine gute Kombination. Und irgendwann hatte Grant ihm keine neuen Partner mehr zugeteilt. Offenbar hatte er Warden genauso aufgegeben wie Warden sich selbst.

»Hört auf damit«, befahl Grant, bevor der Streit zwischen uns eskalieren konnte. »Ich muss zugeben, dass Cain recht hat. Ich habe dich in der Vergangenheit mit viel davonkommen lassen, Warden. Wenn ich Cain für gestern Nacht bestrafe, dann auch dich.«

Fassungslos sah Warden ihn an. »Das ist nicht dein Ernst, oder?«

»Und ob das mein Ernst ist.« Grant stieß sich von der Tischkante ab, um wieder hinter dem Schreibtisch Platz zu nehmen. Beinahe so, als wollte er für seine nächsten Worte eine Barriere zwischen Warden und sich bringen. »Du bist ebenfalls für eine Woche suspendiert und wirst Cain in der Waffenkammer helfen.«

Blitzartig richtete sich Warden auf seinem Stuhl auf. »Was?! Warum?«

»Das ist eine ganz schlechte Idee«, erklärte ich.

»Ja, ganz schlecht!«, pflichtete er mir bei.

Ich nickte heftig, auch wenn das bedeutete, dass wir seit Jahren das erste Mal wieder einer Meinung waren. »Kann er nicht in der Wäscherei arbeiten? Oder in der Cafeteria? Oder die Toiletten putzen?«

»Oder ich tue etwas Sinnvolles und gehe weiter auf die Jagd.«

Ich lachte bitter auf. »Das hättest du wohl gern.«

»Und ob ich das gern hätte.«

»Du bist unmöglich!«

Warden schnaubte. »Das sagt genau die Richtige.«

Argh, dieser Drecksack.

»Ich hasse dich!«

»Seid still!«, fuhr Grant dazwischen. Jegliche Gelassenheit war aus seiner Stimme verschwunden. Ich hatte ihn noch nie so streng erlebt, was vielleicht daran lag, dass ich ihm bisher noch nie einen Grund dafür gegeben hatte. »Ihr werdet eure Strafe gemeinsam in der Waffenkammer ableisten. Ende der Diskussion. Glaubt ihr, ich bin blind? Ich sehe doch, wie kindisch ihr euch seit Jahren verhaltet. Das ist lächerlich. Ihr müsst keine Freunde sein, aber ihr seid Kollegen, also reißt euch zusammen. Und sollte ich mitbekommen, dass irgendetwas nicht rund läuft, verlängere ich eure Strafen. Verstanden?«

»Verstanden«, murmelte ich, auch wenn es mir gegen den Strich ging. Das Letzte, was ich wollte, war, Grant Ärger zu machen; dafür respektierte ich ihn zu sehr, sowohl als Hunter als auch als Leiter des Quartiers. Irgendwie würde ich diese Woche mit Warden schon ertragen. Ich hatte Schlimmeres überstanden – im Vergleich mit dem Biss einer Hydra oder der Besessenheit durch einen Geist würde das ein Spaziergang werden.

Erwartungsvoll sah Grant Warden an, der bisher noch nichts gesagt hatte, dabei breitete sich ein gefährliches Lächeln auf seinen Lippen aus. »Haben wir uns verstanden, Mr Prinslo?«

Warden gab ein unverständliches Brummen von sich, das ebenso »Ja, Sir« wie »Fahr zu Hölle, du alter Sack« hätte bedeuten können.

Doch Grant wollte scheinbar das Gute in meinem ehemaligen Kampfpartner sehen, denn er nickte zufrieden. »Gut. Damit ist diese Angelegenheit hoffentlich geklärt. Ihr könnt gehen.«

3. KAPITEL

Cain

3 Jahre zuvor

Vor der Hunterprüfung

»Ist das alles, was du draufhast?«

Mein Tonfall war neckend, als ich Wardens Schlag mit einem Satz zur Seite auswich. Wir trainierten bereits eine halbe Ewigkeit. Mir hämmerte das Herz in der Brust, Schweiß tropfte mir von der Stirn wie Wasser aus einer undichten Armatur – und ich liebte es!

»Ich will dir nicht wehtun«, antwortete mein zukünftiger Kampfpartner mit einem Funkeln in den Augen.

»Das könntest du nicht, selbst wenn du es versuchen würdest.«

»Na gut, du hast es nicht anders gewollt.« Ein breites Grinsen trat auf Wardens gerötetes Gesicht, und er startete eine schnelle Abfolge von Schlägen und Kicks in meine Richtung, denen ich gekonnt auswich.

Wir waren auf den Matten im Trainingsraum des Quartiers und feilten an unserer Nahkampftechnik ohne Bewaffnung. Es kam zwar selten vor, dass ein Hunter einer Kreatur der Nacht unbewaffnet gegenüberstand, immerhin wurden wir vom Quartier stets gut ausgerüstet, aber man musste schließlich auf jede Eventualität vorbereitet sein. Das war zumindest meine Meinung. Warden sah das etwas anders. Er vertraute darauf, dass er stets zumindest einen Dolch bei sich trug, aber er hatte mir meinen Wunsch, heute den Nahkampf zu trainieren, nicht abgeschlagen. Weil er mir nie etwas abschlug.

»Komm schon, Prinslo, das kannst du besser«, stachelte ich ihn an.

Warden kniff die Augen zusammen, fixierte mich mit einem dunklen Blick, und erneut hagelte es Tritte und Schläge, dazu geschaffen, mich zu verletzen.

Wir trainierten immer ziemlich brutal und ohne Schutz, so wie es in der Realität später auch sein würde. Blaue Flecken und kleinere Platzwunden waren da an der Tagesordnung. Viele der anderen Hunter gingen im Training vorsichtiger miteinander um und benutzten Polster, um ihre Körper zu schützen. Wir nicht. Warden und ich waren bereit, alles zu geben, und vielleicht auch etwas übermütig, weshalb wir so gut zusammenpassten. Außerdem waren wir beide geborene Blood Hunter, und unsere Wundheilung ließ Blutergüsse und andere kleine Abschürfungen mir nichts, dir nichts verschwinden. Keine große Sache.

Keuchend setzte Warden zu einem erneuten Angriff an. Das stundenlange Training hatte ihn erschöpft und seine Schläge zunehmend schwächer werden lassen, doch auch ich war langsamer geworden. Mit einem Hieb, den ich nicht kommen sah, traf Warden meine Schulter.

Schmerz explodierte in meinem Arm. Ich keuchte auf. Benommen taumelte ich einen halben Schritt zurück, und diesen kurzen Moment, den Bruchteil eines Augenblicks, als mein Stand nicht zu hundert Prozent gefestigt war, nutzte Warden aus und kickte mir die Füße unter den Beinen weg. Mit einem lauten Knall schlug ich auf den Matten auf.

Doch damit nicht genug. Warden hatte dazugelernt. Früher hätte er jetzt einen Freudentanz aufgeführt, doch mein ständiges Gerede über die korrekte Prozedur im Umgang mit Kreaturen war offenbar endlich bei ihm hängen geblieben. Er stürzte sich mit seinem ganzen Gewicht auf mich, um mich mit seinem Körper am Boden zu fixieren und damit möglichst handlungsunfähig zu machen.

Mit einem schelmischen Grinsen blickte er auf mich herab. Seine Finger hatten sich fest um meine Handgelenke geschlossen, und sein Gesicht war nun wenige Zentimeter von meinem entfernt. Sein warmer Atem streifte meine Haut. Eine Strähne seines braunen Haars fiel ihm in die Stirn. »Und, zufrieden mit meiner Performance?«

Ich lächelte. Und bevor Warden wusste, wie ihm geschah, hakte ich meine Füße um seine Beine, presste meine Hüfte in die Höhe und hebelte ihn aus seiner Position. Blitzschnell, bevor er erneut in den Angriff übergehen konnte, verpasste ich ihm mit meinem Ellenbogen einen Stoß zwischen die Rippen. Ächzend sackte er nach vorne, und ich rollte ihn auf den Bauch, bevor ich mich auf ihn setzte, sodass er vollkommen ruhiggestellt war. Warden war zwar stärker und gut zwanzig Zentimeter größer als ich, aber mit der richtigen Technik konnte man viel bewirken.

Ich beugte mich nach vorn, bis meine Lippen nur noch Zentimeter von seinem Ohr entfernt waren. »Nein, ich bin nicht zufrieden mit deiner Performance. Du bist zu überheblich und lässt deine Deckung zu schnell fallen. Irgendwann wird dir das zum Verhängnis.«

Warden grinste, obwohl er mit einer Wange an der Matte klebte. »Falsch. Dafür hab ich schließlich dich.«

Ich schnaubte und kletterte von seinem Rücken. »Schleimer.«

Er richtete sich auf, und völlig selbstverständlich, ohne uns absprechen zu müssen, steuerten wir die Sitzbank am Rand der Mattenfläche an, auf der unsere Sachen lagen. Das heutige Training war beendet.

Ich trank gierig aus meiner Wasserflasche, bevor ich sie Warden anbot, der seine bereits geleert hatte.

»Kommst du heute Abend noch vorbei?«, fragte er und überließ mir den letzten Schluck.

Ich trank die Flasche aus. »Das kommt darauf an. Kocht dein Dad?«

Anders als ich lebte Warden mit seinen Eltern außerhalb des Quartiers, was vor allem an James, seinem Vater, lag. Er war ein Mensch und unterstützte die Hunter, indem er Waffen und andere Hilfsmittel für die Jagd nach Kreaturen baute. Dafür brauchte er Platz, sowohl für seine Werkzeuge als auch für seine geistige Entfaltung und Kreativität, wie er immer betonte.

»Ja, er macht Lasagne.«

»Lecker. Ich liebe die Lasagne deines Dads.«

Warden stopfte das Handtuch, mit dem er sich den Schweiß von der Stirn gewischt hatte, in seine Sporttasche. Er duschte immer zu Hause und nie im Quartier. »Das heißt, du kommst?«

»Klar«, antwortete ich, obwohl es dafür keine Lasagne gebraucht hätte. Ich war immer gern bei den Prinslos. Nicht nur, weil Warden mein bester Freund war und ich es mochte, Zeit mit ihm zu verbringen, sondern auch weil ich das Haus seiner Eltern liebte. Anders als die Wohnung meiner Eltern hier im Quartier war es ein richtiges Zuhause. Sie hatten einen Gartenzaun mit Briefkasten, Nachbarn, die man heimlich durch die Vorhänge beobachten konnte, und sie konnten, wann immer sie wollten, aus dem Fenster schauen und den Himmel sehen. Darum beneidete ich Warden ein bisschen. Nicht dass ich das jemals zugegeben hätte.

»Dann sehen wir uns nachher?« Wardens Worte klangen wie eine Frage, obwohl ich ihm bereits zugesagt hatte.

Vermutlich würden wir für die theoretischen Prüfungen lernen und vielleicht einen Anime schauen. Ich hasste Animes, aber Warden liebte sie, also ertrug ich sie.

Ich nickte. »Ja, ich freu mich schon.«

»Cool, dann bis später.«

Ich lächelte. »Bis später.«

4. KAPITEL

Cain

Ich schrieb Jules eine Nachricht, dass ich suspendiert worden war und nicht mit ihm am Abend auf Patrouille gehen durfte. Er antwortete mir sofort und bestand darauf, dass wir uns für ein frühes Mittagessen in der Cafeteria trafen, um darüber zu reden. Nicht dass es da groß etwas zu bereden gab. Warden hatte nur einmal mehr bewiesen, was für ein elendiger Mistkerl aus ihm geworden war. Er hatte mich nicht an Grant verraten, weil ihm meine Sicherheit am Herzen lag oder weil er an die Regeln glaubte. Nein, er hatte mich aus Rache verraten, weil ich seinen Vampir getötet und ihm vor drei Jahren das Leben gerettet hatte, anstatt dabei zuzusehen, wie er in seinen sicheren Tod rannte. Danke auch.

Eine Stunde nach dem Treffen mit Grant war ich noch immer stinksauer. Wütend hämmerte ich auf den Aufzugknopf ein. »Komm schon«, drängte ich, während ich versuchte, mich seelisch darauf einzustellen, die nächsten Tage mit diesem Gefühl, innerlich zu brennen, zu leben. Warden hatte diese Wirkung auf mich. All die guten und all die schlechten Erinnerungen an ihn kollidierten in meinem Kopf wie zwei aufeinander zurasende Autos, mit deren Zusammenstoß alles in Flammen aufging.

Endlich schob sich die Tür des Aufzugs auf, der allerdings nicht leer war. Die beiden neuen Hunter aus dem Londoner Quartier standen in der Kabine, zusammen mit einer dritten Person. Einer Person, die mir ein Lächeln auf die Lippen zauberte. »Finny?«

Die blonde Frau, die ein magisches Amulett der Stufe 5 um den Hals trug, hob eine Augenbraue. »Finny?«

»Halt die Klappe, Roxy«, zischte Finn und schob sich an ihr vorbei, um mich zur Begrüßung zu umarmen.

Ich hatte ihn seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen, doch er hatte sich seit unserem letzten Treffen vor knapp einem Jahr kaum verändert. Sein schwarzes Haar trug er etwas länger und seine Gesichtszüge wirkten rauer, kantiger, aber seine blauen Augen funkelten noch immer genauso frech.

»Ich wusste gar nicht, dass du hier bist«, sagte ich und löste mich von ihm.

»Ja, ich bin allerdings nur auf der Durchreise.« Finn deutete auf die Tasche zu seinen Füßen.

»Willst du uns deine Freundin nicht vorstellen?«, fragte der Typ, der Shaw sein musste.

Finn legte mir einen Arm um die Schultern. »Das ist Cain. Und das sind Shaw und meine Kampfpartnerin, Roxy.«

Ich nickte ihnen zu. »Freut mich, euch kennenzulernen.«

Shaw lächelte mich an, genau wie Roxy, die jedoch etwas angespannt wirkte und ungeduldig auf die Knöpfe des Aufzugs drückte, dessen Tür Finn und ich blockierten.

»Können wir weiter? Ich bin am Verhungern«, sagte sie, wobei ein leichter irischer Akzent in ihrer Stimme mitschwang.

Finn verdrehte die Augen. »Wir wollen in die Cafeteria. Kommst du mit?«

»Oh, gern! Da bin ich mit Jules verabredet.«

»Cool.«

Wir stiegen in den Aufzug und fuhren hoch in die Mensa, welche sich im zweiten Stock befand.

»Was verschlägt euch nach Edinburgh?«, fragte ich und sah von Finn und Shaw zu Roxy, die so breitbeinig dastand, als versuchte sie, sich im Boden zu verankern.

»Wie gesagt, ich leg hier nur einen kurzen Zwischenstopp ein, bevor es für ein paar Tage zu meiner Familie geht. Und Roxy und Shaw sind hier, um sich das Quartier anzuschauen. Shaw trainiert gerade für seine Hunterprüfung.«

»Oh wirklich? Ich unterrichte einen der Grundkurse für angehende Hunter. Du bist zwar etwas älter als meine anderen Schüler, aber wenn du Fragen hast, helfe ich dir gern.«

Shaw grinste. »Cool, danke.«

Mit einem leichten Ruck kam der Aufzug zum Stehen. Wir stiegen aus und folgten dem breiten Korridor, der von Tageslichtlampen erhellt wurde, die einem das Gefühl gaben, nicht unter der Erde festzustecken.

Wie erwartet war die Mensa um diese Uhrzeit ziemlich voll. Einige der anwesenden Hunter grüßten mich mit einem Nicken, und Evan, ein Junge aus besagtem Grundkurs, winkte mir überschwänglich zu. Ich ließ es mir nicht nehmen, genauso enthusiastisch zurückzuwinken.

»Woher kennt ihr euch?«, fragte Shaw und sah von Finn zu mir.

»Cain war früher unglaublich in mich verliebt und ist mir überallhin nachgelaufen.«

Ich verpasste ihm einen Stoß in die Seite. »Glaubt ihm kein Wort. Finny hat seine Ausbildung im selben Jahr abgelegt wie mein Cousin Jules, der inzwischen mein Kampfpartner ist. Daher kennen wir uns. Und wenn überhaupt war Finn in mich verknallt, nicht andersherum.«

Er schnalzte mit der Zunge. »In deinen Träumen vielleicht.«

»Du meinst wohl eher Albträumen«, gab ich mit einem Lachen zurück.

Wir redeten Unsinn, und das war uns beiden vollkommen klar. Finn und ich waren immer nur Freunde gewesen. Zugegeben, wir hatten uns zwei-, drei-, vier- … okay, ein paarmal geküsst, aber nur um Dampf abzulassen, nicht weil wir romantische Gefühle füreinander hatten.

»Hey!«, erklang eine Stimme.

Ich hob den Kopf und entdeckte Jules, der zielstrebig auf uns zukam. Er trug eine dunkle Jogginghose und einen ärmellosen grauen Hoodie mit Kapuze. Ein überraschend farbloses Outfit für seine Verhältnisse. Nur die bunte Kette an seinem Amulett stach leuchtend hervor.

Jules war ebenso überrascht, Finn zu sehen, wie ich, und nach einer herzlichen Begrüßung stellten wir uns gemeinsam an der Essensausgabe an.

»Studierst du immer noch Innenarchitektur?«, erkundigte sich Finn.

Jules nickte. »Ja. Letztes Jahr habe ich die Cafeteria neu eigerichtet. Sie ist mein ganzer Stolz.«

»Das erklärt einiges.« Finn sah sich in dem Raum um, der weit mehr war als eine langweilige Mensa mit wackeligen Tischen und verbogenen Stühlen. Jules hatte das von Grant vorgegebene Budget bis aufs Letzte ausgereizt. Nun spannten sich Holzbalken von Wand zu Wand, von denen künstliche Pflanzen baumelten. Und mit Unterstützung von mir und einigen anderen Huntern hatte er Tische aus einem ähnlich robusten Holz geschreinert, da sie anderenfalls ein Vermögen gekostet hätten. Abgerundet wurde die Einrichtung durch die dazu passenden Stühle, weitere naturfarbene Deko-Elemente und eine cremefarbene Couchlandschaft in einer Ecke des Raumes.

»Du solltest dem Londoner Quartier mal einen Besuch abstatten«, warf Shaw ein.

Jules lachte. »Vielleicht irgendwann.«

»Und was ist mit dir?«, wandte sich Finn nun an mich. »Was treibst du so?«

»Dies und das«, antwortete ich ausweichend, da ich ihm ganz bestimmt nicht von meinem Nebenjob als Party-Prinzessin erzählen würde. Abgesehen von Jules, Ella und meinen Eltern wusste niemand davon, und dabei sollte es bleiben. »Aber jetzt lass uns mal über dich reden. Wie läuft dein Studium?«

»Abgesehen davon, dass ich vermutlich so viele Vorlesungen verpasse wie niemand sonst? Ganz gut.«

»Wenn es nur das ist«, sagte ich mit einem Lachen. Denn dies war nur einer der Gründe, aus denen ich mich gegen ein Studium entschlossen hatte. Ich bewunderte Jules dafür, dass er sein Studium und das Hunterdasein unter einen Hut brachte, ohne eines von beiden zu vernachlässigen. Andererseits hatte er auch weniger Ambitionen als ich, was sein Dasein als Jäger anging. Er war glücklich damit, ein Hunter im aktiven Dienst zu sein. Aber ich wollte mehr. Mein Ziel war es, irgendwann den Posten der Leiterin des Quartiers zu übernehmen, um endlich ein paar Dinge zu ändern. Es war nicht alles schlecht, aber ich sah definitiv Verbesserungspotenzial, vor allem im Hinblick auf die Gleichberechtigung. Grant erledigte als Quartiersleiter einen großartigen Job, und auch mein Großvater, der vor ihm in der Position gewesen war, hatte tolle Arbeit geleistet, aber ob bewusst oder unbewusst wurden die hohen Ränge immer nur an Männer vergeben. Grants rechte Hand war Wayne. Der Anführer der Grim Hunter war mein Dad Andrew. Die wenigen Soul Hunter wurden von Ellas Vater Louis angeführt. Die Magic Hunter waren Jason Stafford unterstellt. Und die Blood Hunter standen unter der Leitung von Xavier Gorman, der nicht einmal ein besonders guter Jäger war. Meine Mum hätte diese Position viel mehr verdient gehabt, aber Grant hatte sie an Xavier vergeben, vermutlich aus Gewohnheit, da er eigentlich wusste, wie fähig meine Mutter war. Und an diesen Gewohnheiten wollte, nein, musste ich etwas ändern.

Wenn ich erst einmal Quartiersleiterin wäre, würde ich alle Stellen fair besetzen und für Ausgleich sorgen. Denn dadurch, dass mein Dad und all die anderen Kerle das Sagen hatten, bekamen wir Frauen häufig die ungefährlichen, manchmal ziemlich langweiligen Routen auf Patrouillen, und bei größeren Missionen wurden wir als Beobachter abgestellt. Natürlich nicht immer, aber nach den Geschichten, die ich von meiner Mum, meiner Tante und all den anderen Frauen gehört hatte, war durchaus ein Muster zu erkennen. Ein Muster, das ich durchbrechen wollte. Deshalb steckte ich meine ganze Kraft und Energie in die Hunter und dieses Quartier und nicht in ein Studium.

Wir rückten an der Essensausgabe weiter vor, bis wir schließlich an der Reihe waren.

»Was … Was ist das?«, fragte Roxy mit fassungslosem Blick auf die Tageskarte, die mit Kreide auf eine Tafel neben der Ausgabe geschrieben war. »Bio-Lachs mit Kartoffelecken und gedünstetem Gemüse? Schafskäse auf Feldsalat vom Bauernmarkt mit Goji-Beeren und Olivenbrot … wahlweise auch mit Falafel? Ist das alles, was es hier gibt? Wo sind die Pommes, die Pizza, die Mac ’n’ Cheese? Bin ich etwa schon in der Hölle gelandet?«

Ich schnappte mir Besteck und einen Teller. »Ja, das ist alles. Hier wird jeden Tag mit frischen Zutaten vom Biomarkt gekocht, daher gibt es immer nur zwei Gerichte – eins mit und eins ohne Fleisch.«

»Okay, und warum sind wir dann hier?«, fragte Roxy verständnislos in die Runde, ehe ihr Blick zu Shaw wanderte. »Warum sind wir nicht wieder zu diesem leckeren Italiener von gestern gegangen? Die Cannelloni waren zum Niederknien.«

»Weil Finn gleich nach dem Essen fährt und dafür keine Zeit mehr gewesen wäre«, erwiderte Shaw geduldig.

Roxy funkelte Finn an. »Ich hasse dich.«

Er warf ihr einen Luftkuss zu. »Ich dich auch. Und jetzt such dir was aus.«

Roxy gab ein unglückliches Grummeln von sich. »Wer hat sich so einen gesunden Mist ausgedacht?«

»Wayne«, antwortete Jules mit einem Schulterzucken.

»Wer ist dieser Wayne, und wo finde ich ihn?«

»Er sitzt dahinten.« Ich hatte ihn beim Reinkommen entdeckt und deutete in seine Richtung.

Die Blicke der anderen folgten meiner Handbewegung.

Wayne saß allein an einem Tisch. Vor ihm stand ein Tablet, und er schmunzelte über etwas, das sich auf dem Display abspielte. Er hatte dichtes schwarzes Haar, die drahtig-muskulöse Figur eines Blood Hunters und die eindrucksvollen, hellgrauen Augen eines Soul Hunters. Beides zusammen machte ihn zu etwas ganz Besonderem, denn er besaß sowohl das Blood- als auch das Soul-Hunter-Gen. Somit konnte er Vampire riechen und Geister sehen. Weltweit waren laut unseren Aufzeichnungen in den letzten hundert Jahren nur vier Jäger dieser außergewöhnlichen Art geboren worden.

»Oha«, entwich es Roxy, als sie Wayne erblickte. Die Unzufriedenheit über die Essensauswahl wich aus ihrem Gesicht und machte Platz für einen entzückten Ausdruck. »Vielleicht sollte ich ihm doch eine Chance geben.«

»Wem, dem Essen oder Wayne?«, fragte Shaw in einem Tonfall, der ein wenig zu betont gleichgültig klang.

Roxy sah zu ihm auf, ein amüsiertes Funkeln in den Augen. »Dem Essen natürlich.«

Shaw erwiderte ihren Blick und hielt ihn fest.

Zwei, drei Sekunden sahen die beiden einander einfach nur an, und obwohl ich sie kaum kannte, konnte ich förmlich spüren, wie sich die Luft zwischen ihnen veränderte.

Finn stupste Roxy an. Er hatte seinen Teller bereits in der Hand. »Du bist dran.«