Miguel de Cervantes – Die Novelle von Zweifel und Vorwitz - M.A. (Hg.), Manfred Müller - E-Book

Miguel de Cervantes – Die Novelle von Zweifel und Vorwitz E-Book

M.A. (Hg.), Manfred Müller

0,0

Beschreibung

Die Novelle von Zweifel und Vorwitz stammt aus Cervantes' berühmtesten Roman "Don Quixote von la Mancha". Innerhalb der Schilderung von Don Quixotes Abenteuer wird die hier vorgestellte Novelle vorgelesen. Es handelt sich um eine wunderbare Erzählung, die leider denjenigen verborgen bleibt, die sich nicht an den mehrere hundert Seiten starken Roman "herantrauen". Das ist schade und nicht einzusehen! Daher präsentiert die vorliegende Ausgabe die Novelle als eigenständigen Text (in zwei Übersetzungen) und stellt sie auf eine Stufe mit den weiteren Novellen von Cervantes.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 186

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Miguel de Cervantes

Die Novelle von

Zweifel und Vorwitz

herausgegeben, zusammengestellt und

kommentiert von Manfred Müller

Vorwort

Die Novelle von Zweifel und Vorwitz stammt aus Cervantes’ berühmtesten Roman „Don Quixote von la Mancha“.

Innerhalb der Schilderung von Don Quixotes Abenteuer wird die hier vorgestellte Novelle vorgelesen. Es handelt sich um eine wunderbare Erzählung, die leider denjenigen verborgen bleibt, die sich nicht an den mehrere hundert Seiten starken Roman „herantrauen“.

Das ist schade und nicht einzusehen!

Daher präsentiert die vorliegende Ausgabe die Novelle als eigenständigen Text (in zwei Übersetzungen) und stellt sie auf eine Stufe mit den weiteren Novellen von Cervantes.

Analog zu den unterschiedlichen Übersetzungen des Cervantes-Roman wurde auch diese Geschichte unterschiedlich übersetzt und mit unterschiedlichen Titeln versehen. In einer frühen Übersetzung von Ludwig Tieck heißt sie "Novelle vom grübelnden Fürwitzigen (1799-1801), später dann "Novelle von der unziemlichen Neugier" (1852/53). Dietrich Wilhelm Soltau übersetzt das spanische Original mit "Novelle vom törichten Vorwitz" (1800, 1825).

Im Spanischen lautet der Titel übrigens "Donde se cuenta la novela del curioso impertinente", was soviel wie "Roman der unverschämten Neugierigen" bedeutet.

Hier gilt zu beachten, dass novela als Roman, als (kurzer) epischer Text verstanden wurde … der Gattungsbegriff der ‚Novelle‘ wurde erst 1797 von Johann Wolfgang von Goethe sowohl als Titel einer seiner Erzählungen gewählt, als auch sogleich als literaturwissenschaftliche Kategorie über eine dargestellte „ereignete unerhörte Begebenheit“ verwendet.

Sowohl Tieck als auch Soltau übernehmen diesen Terminus dann in ihre Übersetzungen, wobei Tiecks erste Übersetzung 1799 bis 1801 hier in direkter zeitlicher Nähe steht.

In der Forschung gilt die Soltau’sche Version als die gemeinhin korrektere, sich näher an den Originalworten befindliche. Tieck hingegen versucht in seiner Arbeit auch den Rhythmus und Takt des Cervantes-Textes beizubehalten, was sich vor allem in der melodischen Transkription der Gedichte und Sonette zeigt.

Damit die Leserschaft sich ein eigenes Bild machen kann, sind hier jeweils eine Übersetzung von Tieck (1852/53) und eine von Soltau (1800) in einem gemeinsamen Band vereint. Die im Text in [eckigen Klammern] stehenden Anmerkungen stammen vom Herausgeber und geben Verständnishilfen oder nähere Erläuterungen zu ggf. veralteten Begriffen. Die Schreibweise wurde behutsam der aktuellen Rechtschreibung angepasst. Die Rahmenhandlung wurde zum Teil dem Originaltext entnommen, zum Teil aber auch selbst formuliert, um einen schlüssigen Kontext zu erhalten. Die Novelle findet sich bei Cervantes in den Kapiteln 32-35 und beinhaltet dabei aber auch Darstellungen aus dem Hauptthema, also Geschichten rund um Don Quixote. So durchlebt der Ritter von der traurigen Gestalt – während die Novelle von einem Pfarrer vorgelesen wird – einen wilden Kampf mit Weinschläuchen, der hier aber ausgeklammert wird, weil er für die Handlung in der Novelle keine Bedeutung hat.

Auch platziert Cervantes einige Anspielungen auf den weiteren Fortgang der Novelle an den Kapitelenden bzw. -übergängen. Diese wurden ebenfalls hier nicht beibehalten, weil sie nicht in den Fluss des übrigen Textes passen. Es wäre, als würde man mitten im Text immer schon das Ende vorwegnehmen.

Für diesen ‚Sammelband‘ wurde zudem ein neuer Titel gefunden, weil dadurch erstens die Eigenständigkeit unterstrichen und zweitens keine der vorherrschenden Übersetzungen der Vortritt gelassen werden soll.

Aber lesen Sie selbst…

Novelle von der unziemlichen Neugier

übersetzt von Ludwig Tieck (1852/53)

[In einer Schenke in Puerto Lapice, südlich von Madrid, herrschte eine ausgelassene Stimmung. Eine illustre Gesellschaft, unter der sich ein Pfarrer befand, hatte auf ihrer Tagestour, die sie zum Teil getrennt voneinander, zum Teil gemeinsam verbracht haben, lustige, skurrile und abenteuerliche Dinge erlebt.

Bei dem ein oder anderen Gläschen Wein ließen sie den Tag Revue passieren und kamen auch auf Rittergeschichten zu sprechen. Der Wirt holte daraufhin einen Sack mit einigen Büchern heraus, die schnell die Runde durch viele Hände in der Kneipe machten und Anlass zu viel Diskussion gaben und ein heiteres Durcheinander brachten. Nun sollte es aber genug sein und der Besitzer der Schenke begann aufzuräumen.]

Der Wirt nahm den Mantelsack und die Bücher, aber der Pfarrer sagte:

»Haltet, ich möchte gern diese Papiere ansehen, die so zierlich geschrieben sind.«

Der Wirt nahm sie und gab sie ihm zum Lesen hin, die Handschrift betrug ungefähr acht Bogen, und der Titel war mit großen Buchstaben geschrieben und hieß: Novelle von der unziemlichen Neugier. Der Pfarrer las für sich einige Zeilen und sagte:

»Der Anfang dieser Novelle ist wahrlich nicht übel, und ich hätte wohl Lust, sie ganz zu lesen.«

Der Wirt antwortete hierauf: »Euer Ehrwürden mag sie nur lesen, denn ich muss Euch sagen, viele von meinen Gästen haben sie schon gelesen, und allen hat sie sehr gefallen; sie haben mich auch dringend darum gebeten, aber ich habe sie ihnen nicht geben mögen, denn ich denke sie dem einmal wiederzugeben, der diesen Mantelsack mit den Büchern und Schriften vergessen hat. Der Besitzer kömmt wohl wieder einmal her, und ob es mir gleich leid tun wird, diese Bücher wegzugeben, so bin ich doch ein Christ, wenn ich gleich nur ein Schenkwirt bin.«

»Ihr habt recht«, sagte der Pfarrer; »wenn mir aber die Novelle gefällt, so ist es doch wohl erlaubt, sie abzuschreiben?«

»Herzlich gern«, antwortete der Schenkwirt.

Indes die beiden sprachen, hatte [ein weiterer der Gruppe] die Novelle genommen und sie zu lesen angefangen; sie gefiel ihm ebenso wie dem Pfarrer, und er bat diesen, sie laut vorzulesen, dass alle sie hören könnten. »Ich will lesen«, sagte der Pfarrer, »wenn es nicht vielleicht besser ist, die Zeit mit Schlafen als mit Lesen hinzubringen.«

»Es wird mir genug Erholung sein«, sagte [eine der Frauen], »die Zeit mit einer Erzählung zu verkürzen; denn meine Geister sind noch nicht so beruhigt, dass ich schlafen könnte, wenn es mir auch zuträglich wäre.«

»So will ich denn«, sagte der Pfarrer, »aus Neugier weiterlesen, vielleicht macht es uns Vergnügen.«

Auch [weitere] bat[en] darum, […]; wie also der Pfarrer sah, dass alle und auch er selbst Vergnügen daran haben würden, sagte er:

»Wenn dem so ist, so sei nun jedermann aufmerksam, denn die Novelle fängt auf folgende Weise an:

In Florenz, einer reichen und berühmten Stadt Italiens im toskanischen Gebiete, lebten zwei reiche und vornehme Ritter, Anselmo und Lotario, die so große Freunde waren, dass sie von allen, die sie kannten, statt aller Namen nur die beiden Freunde genannt wurden. Sie waren ledig, jung, von einem Alter und gleichen Gesinnungen, wodurch sie zu einer festen gegenseitigen Freundschaft bewogen wurden; Anselmo zwar war den Vergnügungen der Liebe mehr als Lotario ergeben, dem die Freuden der Jagd reizender dünkten; doch wenn es die Gelegenheit gab, verließ Anselmo seine Neigung, um der des Lotario zu folgen, so wie Lotario die seinige verließ, um dem Anselmo nachzugeben, sodass ihr Wille immer eine Richtung nahm und genauer als zwei Uhren miteinander übereinstimmte. Anselmo ward in ein vornehmes und schönes Fräulein aus der nämlichen Stadt verliebt, eine Tochter edler Eltern, und die durch sich selbst edel war, sodass er sich, nachdem er seinen Freund Lotario befragt hatte – ohne dessen Rat er nichts unternahm –, entschloss, sie von den Eltern zur Gemahlin zu begehren; es geschah, und Lotario war der Freiwerber, der das Geschäft so gut nach den Wünschen seines Freundes vollendete, dass dieser sich bald in dem Besitze des Gutes sah, und Camilla war so vergnügt, den Anselmo zum Gatten erlangt zu haben, dass sie unaufhörlich den Himmel und Lotario pries, durch dessen Vermittelung ihr dieses Glück zugefallen war. Die ersten Tage wurden, wie es bei Hochzeiten zu geschehen pflegt, sehr fröhlich vollbracht, Lotario besuchte wie gewöhnlich das Haus seines Freundes Anselmo, indem er dazu beitrug, das Fest, soviel er nur konnte, fröhlich und prächtig zu machen; als aber die Hochzeit vorüber und sich die häufigen Besuche der Glückwünschenden vermindert hatten, fing auch Lotario an, mit unverminderter Liebe seine Besuche im Hause des Anselmo zu vermindern, weil er der Meinung war, wie dies alle Verständigen immer geglaubt haben, dass man in die Häuser der verheirateten Freunde nicht eben sooft gehen dürfe, als wenn sie noch Junggesellen sind; denn wenn auch die wahre Freundschaft durchaus unverdächtig sein kann und muss, so ist doch die Ehre des Vermählten so empfindlich, dass sie sogar durch Brüder, geschweige durch Freunde verletzt werden kann. Anselmo bemerkte die Zurückgezogenheit Lotarios und beklagte sich sehr darüber; er sagte, dass, wenn er gewusst hätte, dass seine Heirat einen eingeschränktern Umgang unter ihnen nach sich ziehen würde, er niemals diesen Schritt getan hätte, wenn sie so innig verknüpft gewesen, solange er im ledigen Stande gelebt, dass man sie nur mit dem süßen Namen die beiden Freunde genannt habe, so könne er nicht zugeben, dass jetzt aus dieser einzigen Ursache dieser schöne und bedeutende Name untergehen solle, und dass er ihn darum als um eine Gnade bitte, wenn anders unter ihnen eine solche Sprache erlaubt sei, wieder der Herr in seinem Hause zu sein und wie sonst aus und ein zu gehen, wobei er versicherte, dass seine Gattin Camilla keine andere Freude oder keinen andern Willen habe, als den er von ihr verlangte, und da sie wüsste, wie zärtlich sie sich liebten, sei sie selber über diese Kälte betroffen. Hierauf und auf vieles andere, was Anselmo dem Lotario sagte, um ihn zu bereden, wieder wie sonst sein Haus zu besuchen, antwortete derselbe so verständig und nachdrücklich, dass Anselmo an der guten Meinung seines Freundes nicht zweifeln konnte; sie kamen dahin überein, dass Lotario zweimal in der Woche und an den Festtagen bei ihnen essen sollte; aber obgleich dies verabredet war, so nahm sich doch Lotario vor, nicht weiterzugehen, als es die Ehre seines Freundes erlaubte, die er ebenso teuer als seine eigne achtete. Er sagte, und zwar mit Recht, dass der Gatte, dem der Himmel eine schöne Frau geschenkt, in der Wahl seiner Freunde, die er in sein Haus führe, ebenso aufmerksam sein müsse als in der Auswahl der Freundinnen, mit denen seine Gattin umgehe, denn was auf öffentlichen Plätzen, in Kirchen, bei Feierlichkeiten oder in der Vesper nicht zustande gebracht werden kann – von welchen Orten der Mann die Frau doch nicht immer zurückhalten darf –, das wird oft leicht in dem Hause einer Freundin oder Verwandten beschlossen, mit der sie vertrauten Umgang hat. Doch war Lotario auch der Meinung, es sei allen Verheirateten nötig, einen Freund zu haben, der sie auf jede Kleinigkeit aufmerksam machte, die sie etwa unbeachtet lassen möchten; denn es geschieht leicht, dass die große Liebe, die der Mann zur Frau trägt, ihn abhält, alles zu bemerken oder es ihr zu sagen, um sie nicht zu erzürnen, damit sie irgend etwas tue oder auch unterlasse, was ihr im entgegengesetzten Falle entweder Ehre oder Schande bringen dürfte; was aber leicht vermittelt werden kann, wenn der Freund beide davon benachrichtigt. Wo ist aber wohl ein so edler und aufrichtiger Freund zu finden, wie ihn Lotario verlangt? Ich weiß nur, dass Lotario selbst für die Ehre seines Freundes so besorgt war, dass er sich stets bemühte, von den Tagen einige abzuziehen oder sie zu verkürzen, an denen er das Haus seines Freundes nach der Abrede besuchen sollte, damit der mußige Pöbel sowie die umtreibenden und boshaften Klätscher keinen Anstoß nehmen möchten, einen jungen, reichen Edelmann, mit den Vorzügen begabt, die er sich zutraute, das Haus einer so schönen Frau, wie Camilla war, oft besuchen zu sehen: denn wenn auch ihr Edelmut und ihre Tugend den verleumderischen Zungen Zaum und Gebiß anlegen konnte, so wollte er doch ihren guten Namen wie den seines Freundes nicht auf das Spiel setzen, und deshalb brachte er die abgeredeten Tage gewöhnlich anderswo zu und entschuldigte sich mit Abhaltungen, denen er nicht ausweichen könne, sodass mit Anklagen auf der einen und Entschuldigungen auf der andern Seite ein großer Teil solches Tages zugebracht wurde. Es geschah hierauf, dass an einem solchen Tage, als beide über eine Wiese, fern von der Stadt, spazieren gingen, Anselmo zu Lotario folgendes sagte:

»Du glaubst wohl, mein Freund Lotario, dass für die Gnade, die mir Gott erzeigt, von solchen Eltern, wie die meinigen sind, geboren zu sein, dass er mir nicht mit karger Hand die Gaben der Natur sowie die Güter des Glücks zugeteilt hat, dass ich ihm für diese Geschenke nicht hinlänglich danken kann, vorzüglich aber, weil er mir dich zum Freunde und Camilla zur Gattin gab, zwei Güter, die ich wohl so schätze, wenigstens wie ich kann, wenn auch nicht in dem Grade, wie ich sollte? Doch bin ich, von diesem Glück umringt, das sonst hinreichend ist, den Menschen zufrieden zu machen, der bedrängteste und unglückseligste Mensch, der nur auf Erden zu finden ist: denn ich weiß nicht, seit wie lange mich ein so seltsamer, so äußerst ungewöhnlicher Wunsch quält, und der so sehr von allen gewöhnlichen Dingen entfernt liegt, dass ich mich über mich selbst verwundere, mit mir selber schelte und mich vor meinen eignen Gedanken zu verbergen suche; und doch such ich mein Geheimnis zu entdecken, als wenn es mein Wunsch wäre, dass die ganze Welt es erfahren möchte, und da es nun doch einmal ausbrechen muss, so will ich es in dein geheimstes Vertrauen niederlegen, weil ich glaube, dass deine aufrichtige Freundschaft schnell auf ein Mittel denken wird, mich zu heilen; sodass ich mich von dieser Angst befreit sehe und dein Eifer mich ebenso zur Fröhlichkeit zurückführt, wie mein Wahnsinn mich zum Missvergnügen geführt hat.«

Erwartungsvoll hörte Lotario diese Worte des Anselmo an, weil er sich nicht denken konnte, wohin diese umständliche Vorbereitung führen sollte; er musterte alle seine Vorstellungen, um zu ersinnen, was doch seinen Freund quälen möchte, aber er traf immer sehr fern vom Ziele der Wahrheit; um also aus dieser peinigenden Ungewissheit gerissen zu werden, sagte er, dass seine Freundschaft dadurch empfindlich gekränkt werde, dass er einen Umweg suche, um ihm seine verborgensten Gedanken mitzuteilen; denn er könnte sich von ihm mit Gewissheit entweder Rat oder Hülfe für jedwede Lage seines Lebens versprechen.

»Du hast recht«, antwortete Anselmo, »und auf dieses Vertrauen, mein Freund Lotario, musst du erfahren, dass das, was mich peinigt, der Zweifel ist, ob meine Gattin Camilla wohl auch so tugendhaft und vollkommen sei, wie ich mir vorstelle; ich kann auch von dieser Wahrheit nicht überzeugt werden, wenn ich sie nicht so auf die Probe stelle, dass diese Probe die Echtheit ihrer Güte so beweist, wie das Gold es durch die Läuterung des Feuers tut: denn ich bin der Meinung, mein Freund, dass ein Weib nicht besser ist als das andere, wenn es nicht der Verführung ausgesetzt gewesen, und dass nur das edel zu nennen sei, das keinen Bitten, Geschenken, Tränen und wiederholten Bemühungen eines dringenden Liebhabers weicht; denn wie kann die Frau gut genannt werden, der es ganz an Gelegenheit fehlt, schlecht zu sein? Was bedeutet es, wenn diejenige eingezogen und sittsam ist, der es an Veranlassung fehlt, sich freier zu betragen, oder diejenige, welche weiß, dass der Mann beim ersten Beweise einer Untreue ihr das Leben nehmen würde? So kann ich also diejenige, die nur aus Furcht oder aus Mangel an Gelegenheit tugendhaft ist, nicht so hoch schätzen wie diejenige, die aus Stürmen und Verfolgungen den Siegerkranz davonträgt. Aus diesen und vielen andern Gründen, die ich dir noch mitteilen könnte, um meine Meinung eindringlicher zu machen, wünsche ich, dass meine Gattin Camilla durch diese rauen Wege gehe und im Feuer der Bewerbung geläutert werde und dass um sie werbe, der Wert genug hat, dass er seine Wünsche wohl auf sie richten dürfte; kehrt sie, wie ich es glaube, mit der Palme aus diesem Kampfe, so ist mein Glück ohnegleichen; dann kann ich sagen, dass die Lücke meiner Sehnsucht ausgefüllt ist, dann will ich sagen, dass das Schicksal mir jenes tugendhafte Weib zugeführt habe, von dem der Weise fragt: ›Wer wird sie finden?‹ Kommt es aber anders, als ich mir vorstelle, so wird meine Meinung bestätigt, und ich werde ohne Murren das ertragen, was mich diese gefährliche Probe kosten kann; also vorausgesetzt, dass nichts von alledem, was du mir gegen mein Vorhaben sagen könntest, mich abhalten wird, es ins Werk zu richten, bitte ich dich, Freund Lotario, dass du es seist, der zu meinem Besten dieses Vorhaben unternimmt; denn ich will dir Gelegenheit geben, es zu tun, ohne dass dir irgend etwas mangeln soll, das nötig ist, dich um ein edles, geehrtes, sittsames und uneigennütziges Weib zu bewerben. Was mich außer andern Dingen aber dahin bringt, dir dieses gefährliche Unternehmen zu vertrauen, ist die Überzeugung, dass, wenn Camilla von dir überwunden wird, ihre Besiegung nicht das Letzte nach sich ziehen, sondern nur ein Vorsatz bleiben wird, so wie meine Kränkung in deiner heiligen Verschwiegenheit verborgen bleibt; denn ich weiß, dass sie in allen, was mich betrifft, so stumm wie der Tod ist. Wenn du also willst, dass ich soll leben bleiben – und wie kann es anders sein? –, so musst du sogleich diesen Streit der Liebe beginnen, und zwar nicht lässig und träge, sondern mit all dem Eifer und Fleiß, den mein Vorhaben verlangt, und wie es das Vertrauen auf unsre Freundschaft mich hoffen lässt.«

So redete Anselmo zu Lotario, der immer aufmerksam zuhörte und nicht eher als beim Beschluss seine Lippen zum Sprechen öffnete. Da er nun sah, dass jener nichts mehr hinzufügte, betrachtete er ihn eine Weile wie einen Gegenstand, den er noch niemals gesehen und der ihm Verwunderung und Erstaunen erregte, dann sagte er: »Ich muss glauben, Freund Anselmo, dass du mir alles dieses nur zum Scherze gesagt hast, denn hätte ich es für Ernst gehalten, so würde ich deine lange Rede dadurch unterbrochen haben, dass ich ihr nicht zugehört hätte. Ich bin fest der Meinung: entweder du kennst mich nicht, oder ich kenne dich nicht; aber doch ist es nicht so, denn ich weiß, du bist Anselmo, wie es dir bekannt ist, dass ich Lotario bin; nur muss ich leider denken, du seist nicht derselbe Anselmo, der du warest, wie du mich auch für einen ganz andern Lotario halten musst, als ich sein sollte: denn was du mir sagst, kann mein Freund Anselmo nicht sprechen, und was du von mir forderst, kannst du unmöglich von dem Lotario fordern, den du kennst; denn wie ein Poet sagt, sollen Freunde ihre Liebe und Freundschaft gegeneinander zeigen usque ad aras [die lateinische Redewendung lautet: Amicus usque ad aras. Sie bedeutet Ein Freund bis zum Altar – also ein Freund bis zum Ende]; was soviel sagen will, dass sie ihre Freundschaft nicht in Dingen zeigen dürfen, die gegen Gott sind; wenn nun ein Heide so von der Freundschaft dachte, wieviel mehr ziemt es sich für einen Christen, dem es bewusst ist, dass er die Liebe Gottes für keines Menschen Liebe verlieren darf ? Verlangt aber ein Freund, dass man so sehr das Äußerste tue und dass man den Willen des Himmels beiseite setze, um den des Freundes zu erfüllen, so muss das nicht wegen kleiner, unbedeutender Dinge geschehen, sondern nur für Sachen, welche die Ehre und das Leben des Freundes betreffen. Aber nun sage mir, Anselmo, ist deine Ehre oder dein Leben in Gefahr, dass ich mich wagen sollte, dir Genüge zu tun und etwas so Abscheuliches auszuführen, als du von mir verlangst? Wahrlich, nein, sondern soviel ich begreife, verlangst du, dass ich mir Mühe geben soll, dir Ehre und Leben zu rauben, ja, zu gleicher Zeit es mir zu rauben, denn wenn ich dir deine Ehre stehle, so folgt daraus, dass ich dein Leben stehle, denn ein Mann ohne Ehre ist schlimmer als ein Toter, und da ich, wie du es verlangst, der Urheber deines Elendes bin, werde ich nicht zugleich entehrt und folglich auch des Lebens beraubt? Höre mir zu, Freund Anselmo, und antworte mir nichts, bis ich dir alles gesagt habe, was mir in Ansehung deines Vorhabens einfällt, denn du wirst dann noch Zeit haben, zu antworten, so wie ich, dir zuzuhören.«

»So sei es«, sagte Anselmo, »sprich, was du willst.«

Und Lotario fuhr hierauf so fort: »Es scheint mir, Anselmo, du habest jetzt die Art des Verstandes, die den Mohren eigen ist, denen man durch Stellen aus der Heiligen Schrift nicht den Irrtum ihrer Sekte deutlich machen kann, eben sowenig durch Gründe, die aus der reinen Vernunft genommen oder die auf Glaubensartikel gebaut sind, sondern man muss ihnen handgreifliche und leichte Beispiele geben, die verständlich, beweislich und unwiderleglich sind, wie die mathematischen Demonstrationen, die sie nicht ableugnen können, als wenn man sagt: ›Wenn von zwei gleichen Teilen zwei gleiche Teile abgezogen werden, so ist sich das, was übrigbleibt, gleich‹; und wenn sie das in Worten nicht begreifen, wie sie es denn in der Tat nicht fassen, so muss man es ihnen mit den Händen zeigen und so vor die Augen stellen, und dennoch ist alles dieses noch nicht hinreichend, sie von den Wahrheiten unsrer heiligen Religion zu überführen; derselben Art und Weise, mich zu bedienen, wäre auch bei dir nötig, denn das Vorhaben, worauf du verfallen bist, liegt so sehr von allen dem entfernt, was auch nur noch auf eine Spur von Vernunft Ansprüche macht, dass es mir nur verschwendete Zeit dünkt, wenn man dir deine Torheit deutlich machen wollte; denn ich kann ihm jetzt keinen andern Namen beilegen, und darum dürfte ich dich nur geradezu auf Gefahr deines Verderbens in deinem Wahnsinne verharren lassen. Aber meine Freundschaft leidet nicht, dass ich so hart gegen dich sein könnte, sie gibt es nicht zu, dass ich dich in einer so augenscheinlichen Gefahr darf zugrunde gehen lassen; und damit du dies deutlich einsiehst, so sage mir, Anselmo, hast du mir nicht selbst gesagt, dass ich mich jetzt um eine Sittsame bewerben solle? eine Tugendhafte überreden? einer Uneigennützigen Anerbietungen machen? einer Verständigen aufwarten? Dies hast du gesagt; wenn du nun also weißt, dass deine Gattin sittsam, tugendhaft, uneigennützig und verständig ist, was willst du? Und wenn du glaubst, dass sie aus allen meinen Bestürmungen als Siegerin hervorgehen wird – wie es gewiss geschieht –, mit welchen schöneren Würden denkst du sie denn künftig zu nennen, als sie jetzt schon besitzt? oder was wird sie denn Besseres sein, als was sie jetzt ist? sodass du sie also für was anderes hältst, als du sagst, oder selbst nicht weißt, was du verlangst. Hältst du sie nicht für das, was du von ihr sagst, warum willst du sie anders auf die Probe stellen, als um das Schlimmste, was dir nur einfallen kann, mit ihr vorzunehmen? Ist sie aber so edel, wie du es glaubst, so ist es Fürwitz, eine neue Erfahrung über dieselbe Wahrheit zu machen, die, wenn sie gemacht ist, zu der vorigen Achtung nichts hinzufügen kann; sodass notwendig hieraus folgt, dass Dinge versuchen, aus denen eher Schaden als Vorteil entspringen kann, nur unverständigen und tollkühnen Gemütern eigen ist, besonders