Mike - Sylvia Pranga - E-Book

Mike E-Book

Sylvia Pranga

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Beschreibung

Als Damian Lancaster in der Werkstatt ihres Vaters auftaucht, verwandelt sich Mike Callahans so geregeltes, zufriedenes Leben von einem Tag auf den anderen in ein emotionales Chaos. Anfangs verflucht sie Damian dafür, doch gerade als ihr die Aufregung, die er in ihren Alltag bringt, zu gefallen beginnt, wirft eine Erkenntnis über ihre Familie sie vollkommen aus der Bahn. Auf der Suche nach Antworten begibt sie sich mit ihrer Harley auf eine Irrfahrt die Route 66 hinunter. Immer an ihrer Seite, Damian. Schon bald kann sie sich seiner Anziehung nicht mehr entziehen und ihre aufkeimenden Gefühle nicht länger leugnen.

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MIKE

Sylvia Pranga

Mike

Sylvia Pranga

© 2017 Sieben Verlag, 64823 Groß-Umstadt© Covergestaltung Andrea Gunschera

ISBN Taschenbuch: 9783864437342

ISBN eBook-mobi: 9783864437359

ISBN eBook-epub: 9783864437366

www.sieben-verlag.de

Für die megastarken MädelsGudrun, Ilka, Ina und Kerstin

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Epilog

Die Autorin

Kapitel 1

Seine Füße waren das Erste, was Mike von ihm sah. Sie steckten in schweren Stiefeln. Die linke Spitze war abgewetzt, wie vom vielen Schalten eines Motorrades. Also ein Biker wie sie. Mike reckte den Hals, um über den Rand der Reparaturgrube zu spähen. Aber er war zu schnell und verschwand mit Mikes Vater in dessen Büro.

Sie stieß ihren Bruder an, sodass er vor Schreck fast ein paar Schrauben fallen ließ. „Chris, wer ist das?“

Chris knurrte und rieb sich die Stelle, an der Mikes Faust auf seinen Oberarm getroffen war. „Sei nicht immer so grob.“ Er langte nach oben und rüttelte an der Auspuffhalterung des Autos über ihnen. „Der Auspuff ist hin. Sieh dir den Rost an. Jetzt müssen wir den Besitzer anrufen, weil er einen neuen braucht. Das gibt wieder Geizhals-Diskussionen.“

Mike schnaufte und boxte Chris gegen die Schulter. Warum hörte er ihr nie zu? „Ich habe dich was gefragt. Wer ist der Typ?“

Chris hörte auf, am Auspuff des Mustangs zu rütteln, dessen Rostkrümel seinen blonden Schopf nun wie Schokostreusel zierten.

„Was für’n Typ?“ Dieses Mal wich Chris Mikes Faust aus, stieß sich dafür aber die andere Schulter an der Wand der Reparaturgrube. Er verzog das Gesicht und sah Mike stirnrunzelnd an. „Kann einer sein, der sich bewirbt. Dad will noch jemanden einstellen.“

Mike warf den Kopf so ruckartig nach hinten, dass ihr falsch herum aufgesetztes Käppi verrutschte. Davon hatte ihr Vater ihr nichts erzählt. Sie konnte sich den Grund dafür vorstellen. Ihre Finger bebten, als sie ihr Käppi wieder zurechtrückte. „Warum denn? Wir brauchen niemanden. Denk mal dran, was letztes Mal passiert ist.“

Chris ächzte, verstaute die Schrauben in einer Tasche seines Arbeitsoveralls und inspizierte ein weiteres Mal den Auspuff über ihm. Er sah Mike beim Sprechen nicht an. „Das war Pech. Der letzte Kerl hatte ‘ne Macke. Aber wir brauchen dringend jemanden. Adam steckt in den Hochzeitsvorbereitungen, und Alex und ich wollen nicht jeden Tag zwölf Stunden arbeiten.“

Mike presste die Zähne so fest aufeinander, dass sie knirschten. Nur weil ihr ältester Bruder sich im Romantik-Nirwana befand und die Zwillinge ihren Spaß haben wollten, sollte sie einen Fremden im Familienbetrieb ertragen. Dazu war sie nicht bereit. Zu deutlich stand ihr vor Augen, was sie sich das letzte Mal eingehandelt hatten. Kurzentschlossen kletterte sie aus der Grube.

Chris rief ihr nach: „Wolltest du mir nicht helfen? Der Mustang wird morgen abgeholt.“

Mike ignorierte ihren Bruder, obwohl sie hörte, dass er ihr folgte. Mit festen Schritten und vorgerecktem Kinn ging sie auf das Büro ihres Vaters zu. Durch die Scheibe in der Tür sah sie ihn an seinem Schreibtisch sitzen und sein Gegenüber anlächeln. Der Mann wandte ihr den Rücken zu. Dunkelblondes Haar fiel wellig bis über den Kragen seines Hemdes, das sich um breite Schultern spannte. Neben ihrem Vater saß Mikes ältester Bruder Adam und hämmerte auf die PC-Tastatur ein. Er stellte doch nicht etwa einen Arbeitsvertrag aus? So schnell?

Mikes Finger schossen auf den Türknauf zu. Doch jemand riss ihren Arm zurück. Erschrocken schrie sie auf und wirbelte herum. Vor ihr stand ihr Bruder Alex und schüttelte den Kopf.

„Da kannst du jetzt nicht rein. Dad und Adam führen ein Bewerbungsgespräch.“

Mike riss sich von ihrem Bruder los, würdigte ihn keiner Antwort und wollte wieder nach dem Knauf greifen. In diesem Moment wurde die Tür von innen geöffnet und ihr Vater wäre fast mit ihr zusammengestoßen. Er lachte ausgelassen und zog den Mann hinter ihm an seine Seite. Wie üblich viel zu laut, begann er mit einer Vorstellungsrunde.

„Damian, das sind meine anderen drei Kinder. Alex, Mike, und der mit dem Rost im Haar ist Chris. Kinder, das ist Damian Lancaster. Er wird ab jetzt bei uns arbeiten, hat gerade den Vertrag unterschrieben.“

Reglos starrte Mike den Mann vor ihr an und sagte kein Wort, während die Zwillinge ihn begrüßten. Das war eine noch größere Katastrophe, als sie befürchtet hatte. Wie konnte ihr Vater so einen Mann einstellen? Der sah kein bisschen wie ein hart arbeitender Mechaniker, sondern eher wie ein Wochenend-Biker oder Surfer aus. Sein rauer Bariton ließ Mikes Trommelfelle vibrieren. Die Wellen schienen sich bis in ihren Brustkorb fortzusetzen und den Herzschlag zu beschleunigen, während er mit den Zwillingen sprach.

„Euch kann ich bestimmt nicht auseinanderhalten. Außer Chris hat immer Rost auf dem Kopf und Alex nicht.“

Die Männer lachten und fanden sofort einen Gesprächseinstieg. In Mike jedoch flackerte Unsicherheit und ein Anflug von Angst auf. Sie wollte nicht mit Damian sprechen. Sein Vorgänger hatte anfangs auch nett und harmlos gewirkt. Doch dann hatte er sein wahres Gesicht gezeigt und sie gestalkt. Das wollte Mike nicht noch einmal erleben. Sie beschloss, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit mit ihrem Vater zu reden. Irgendwie musste sie ihn überzeugen, den Mann wieder zu feuern.

Jetzt wandte sich Damian ihr mit einem breiten Lächeln zu. In den nächsten Sekunden nahm Mike Augen wahr, die sich nicht entscheiden konnten, ob sie grün, blau oder grau sein wollten, ebenmäßige Zähne und ein Muttermal über dem linken Mundwinkel. Dann setzte er zum Sprechen an und Mikes Atem und Herzschlag stockten. Das hielt sie nicht aus. Sie wirbelte herum. Im Laufschritt stapfte sie in den hinteren Bereich der Werkstatt, wo zwei Harleys auf ihre Reparatur warteten.

Im Rennen hörte sie Damian ihre Brüder fragen: „Was ist denn jetzt los?“

Alex’ Antwort gefiel ihr nicht. Das würde sie ihn noch spüren lassen.

„Ach, mach dir nichts draus, Damian. Mike ist manchmal launisch. Morgen ist das vergessen.“

Oh ja, das wäre es. Denn ab morgen würde Damian nicht mehr hier sein. Dafür musste Mike sorgen. Während der nächsten beiden Stunden arbeitete sie an einer der Harleys, die sie so platziert hatte, dass sie das Büro ihres Vaters im Auge behalten konnte. Er telefonierte, sprach mit einem Kunden, rief Adam zu sich, telefonierte noch einmal. Dabei brodelte die Wut in Mike immer heißer. Das machte er absichtlich. Er wusste, dass sie mit ihm über den Neuen reden wollte, und ging dem Gespräch aus dem Weg. Manchmal war ihr Dad wirklich ein Feigling.

Endlich legte er den Hörer auf. Mike ließ die Ratsche fallen und sprintete los. Kurz vor dem Büro rempelte sie versehentlich Alex an, der sie anschnauzte.

„Pass doch auf, Mike!“

Sie kümmerte sich nicht um ihn, riss die Bürotür auf, stürmte hinein und schlug sie hinter sich zu. Dann baute sie sich mit vor der Brust verschränkten Armen vor dem Schreibtisch ihres Vaters auf. Der sah sie mit seinen baby-blauen Augen unschuldig an, was ihren Puls in ungeahnte Höhen trieb.

„Mike, was ist denn …“

Sie unterbrach ihn. „Du weißt sehr gut, warum ich hier bin! Wie konntest du das tun, Dad?“

Ihr Vater lehnte sich mit einem Seufzen zurück, schloss die Augen und rieb sich die Nasenwurzel. Ohne die Lider zu heben, sagte er: „Du klingst, als wollte ich dich in der Wüste aussetzen. Wir brauchen jemanden, Mike.“ Er öffnete die Augen und ließ die Hand in seinen Schoß sinken. Mike bemerkte erschrocken, wie erschöpft er plötzlich wirkte. „Ich schaffe das nicht mehr nur mit euch, mein Liebes. Wir haben seit Monaten mehr Arbeit, als wir bewältigen können. Ich muss Kunden vertrösten, oft bis in die Nacht arbeiten. Und du bist für meinen Geschmack auch viel zu viele Stunden in der Woche hier. Jetzt fällt auch noch Adam immer wieder aus …“

Mike ließ sich auf den Besucherstuhl sinken und stützte die Ellbogen auf dem Tisch ab. Sie musterte ihren Vater, sah die Ringe unter seinen Augen, den angespannten Zug um seinen Mund und die Blässe unter seiner gebräunten Haut. Ihre Brust zog sich zusammen. Wieso war ihr das nicht aufgefallen? Wie hatte sie so egoistisch sein können? Ihr Vater war nicht mehr dreißig und hinter ihm lagen anstrengende Jahre. Und trotz aller Schwierigkeiten war er immer für sie und ihre Brüder da gewesen, hatte sich geduldig ihre Probleme angehört und sich bemüht, bei der Lösung zu helfen. Irgendwie hatte er es geschafft, ihnen die Mutter zu ersetzen. Zumindest beinahe. Dafür verdiente er ihren Respekt, ihre Liebe und selbstverständlich auch ihre Rücksichtnahme. Mike atmete tief ein.

„Okay, Dad. Das sehe ich ein. Aber wenn es Probleme gibt …“

Mit einem strahlenden Lächeln beugte sich ihr Vater über den Tisch und platzierte einen feuchten Schmatzer auf ihre Stirn. Mike verzog das Gesicht, konnte ein Lächeln aber nicht unterdrücken. Es tat ihr gut, die Erleichterung in den Zügen ihres Vaters zu sehen, als er sich wieder zurücksetzte.

„Wenn er sich auch nur ansatzweise danebenbenimmt, fliegt er sofort. Das verspreche ich dir.“

Sie stand auf, nickte ihrem Vater kurz zu und ging zu der Harley zurück. Auf dem Weg dorthin warf sie einen Blick in die Reparaturgrube. Damian hatte ihren Platz neben Chris eingenommen. Offenbar hatte er keine Scheu, sich die Finger schmutzig zu machen. Öl, Rost und einige verirrte Farbspritzer befanden sich auf Haaren, Gesicht und Kleidung. Er arbeitete konzentriert und schien zu wissen, was er tat. Mike seufzte. Gut für ihren Dad, schlecht für ihre Argumente gegen Damian.

Nach einigen weiteren Stunden hatte sie die Reparaturen an beiden Harleys und auch ihre Lieblingsaufgabe erledigt. Die Probefahrten. Schließlich musste sie prüfen, ob mit den Maschinen alles in Ordnung war, bevor die Kunden sie wieder abholten. Es konnte ihr nicht einmal die Laune verderben, als sie die Zwillinge mit Damian näherkommen sah. Chris wies auf die Nasszelle ein paar Meter von ihr entfernt.

„Da ist die Dusche. So kannst du nicht in dein Motelzimmer gehen. Handtücher liegen im Regal.“

Die Zwillinge lachten, doch Damian verzog angewidert den Mund. Er sah aus, als hätte er in Dreck gebadet. Mike kannte das Problem. So sah sie auch immer aus, wenn sie mit Chris in der Reparaturgrube gearbeitet hatte. Ihrem Bruder war es egal, wie viel Schmutz er machte, solange es andere traf.

Sie räumte einige Werkzeuge auf und beobachtete aus den Augenwinkeln, wie Damian sein Hemd über den Kopf zog. Okay, er war wohl doch kein Wochenend-Biker. Solche Muskeln bekam man von harter körperlicher Arbeit. Sie erhaschte einen Blick auf ein Tattoo auf seinem Schulterblatt und sah genauer hin, trat sogar unauffällig einen Schritt näher. Das Motiv interessierte sie, denn sie wollte sich zu ihrem Geburtstag ihr erstes Tattoo stechen lassen.

In diesem Moment streifte Damian seine Jeans ab und ließ unbekümmert die Boxershorts folgen. Splitternackt stand er vor ihr und streckte die Hand nach der Tür der Duschkabine aus. Er musste wissen, dass sie ihn sah. Anders konnte es nicht sein. Mike spürte, wie ihr das Blut heiß ins Gesicht schoss. Er wollte sie in Verlegenheit bringen – und es gelang ihm. Sie ärgerte sich über ihre teeniehafte Scheu und ließ es ohne Nachzudenken an Damian aus. Ihre Stimme bebte. „Was soll das? Willst du hier ne Show abziehen?“

Ihre Brüder grölten. Damian erstarrte. Seine Augen wurden groß, die Lippen bildeten ein O. Er stierte sie an. Dann kam plötzlich Bewegung in ihn. Er riss ein Handtuch vom Regal und schlang es um seine Hüften. Seine Züge spannten sich an. Und dann sagte er Worte, die sich anfühlten, als hätte er Säure über ihre Seele gegossen.

„Verdammt, du bist ja eine Frau!“

Ein paar Sekunden starrte sie ihn schwer atmend an. Nicht schon wieder. Es tat jedes Mal so weh. Sie wirbelte herum und rannte.

Das Rauschen des Blutes in Damians Ohren wurde vom Gelächter der Zwillinge übertönt. Die beiden konnten sich gar nicht beruhigen, schlugen sich gegenseitig auf die Schultern und schnappten nach Luft. Damian hingegen war kein bisschen zum Lachen zumute. Wie hatte ihm das passieren können? Warum hatte er nicht erkannt, dass Mike eine Frau war? Jetzt war sie sauer auf ihn. Er schien ihr ohnehin nicht willkommen zu sein und nun war sie endgültig im Kampfmodus. Seine Faust verkrampfte sich noch mehr um das Handtuch, sein Kiefer spannte sich an. Er spürte, dass sein Gesicht glühte. Ein leidiges Überbleibsel aus seiner Kindheit. Wenn er verlegen war, sah er aus, als hätte er einen schweren Sonnenbrand. Er hasste das. Und diese beiden Blödmänner grölten weiter und machten es damit noch schlimmer. Damian hätte am liebsten ihre Köpfe zusammengeschlagen, begnügte sich aber damit, sie anzuschreien.

„Warum habt ihr nichts gesagt? Wie stehe ich jetzt da?“

Die Zwillinge glucksten und ihre Mienen sagten Damian, dass sie nicht die leisesten Gewissensbisse hatten. Er spannte sich so sehr an, dass seine Nackenmuskeln mit Protestschmerz reagierten. Wie konnten sie in ihrem Alter noch so kindisch sein? Bevor er sie weiter anschreien konnte, kam Chris ihm zuvor.

„Na komm, von Stehen kann keine Rede sein. Eher von Hängen.“

Beide prusteten wieder los. Damian zwang sich, tief durchzuatmen. Dann verknotete er das Handtuch, stemmte die Hände in die Hüften und starrte die Zwillinge finster an. Davon ließen sie sich nicht beeindrucken. Also versuchte Damian es mit Argumenten. „Ist euch das Betriebsklima egal? Wie soll man mit einer wütenden Frau zusammenarbeiten?“

Alex riss sich soweit zusammen, dass er antworten konnte. „Mach dir keinen Kopf. Mike ist manchmal mürrisch und hat eine Aversion gegen Fremde in der Werkstatt. Hat nichts mit dir persönlich zu tun.“

Damian schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Die beiden begriffen nicht, dass er gerade deswegen einen möglichst guten ersten Eindruck hätte hinterlassen müssen. Er hob die Lider und bemerkte mit einem Aufatmen, dass Alex und Chris endlich ernst geworden waren. „Warum nennt ihr sie Mike? Und wieso trägt sie einen drei Nummern zu großen Overall? Mit mir gesprochen hat sie auch nicht. Verdammt nochmal, wie soll ich da wissen, dass sie eine Frau ist?“

Chris machte eine wegwerfende Handbewegung und zog dann Zigaretten und Feuerzeug hervor. Er hielt Damian und seinem Bruder die Schachtel hin. Damian schüttelte den Kopf und rieb an einem Ölfleck auf seinem Handrücken. Chris steckte sich unter einem Rauchen-verboten-Schild eine Zigarette an und blies den ersten Rauch aus, bevor er antwortete.

„Gar nicht. Sie macht es Männern nicht leicht. Liegt vielleicht daran, dass sie ohne Mutter aufgewachsen ist, nur unter Kerlen. Jetzt will sie auch einer sein.“

Damians Brauen schossen nach oben. Seine Neugier war geweckt. Aber er musste vorsichtig sein. Er konnte den beiden keine aufdringlichen Fragen stellen, weil sie sich kaum kannten. Trotzdem wollte er mehr über Mike erfahren. „Es ist für eine Frau immer noch ungewöhnlich, als Mechanikerin zu arbeiten. Schon deswegen bin ich davon ausgegangen, dass sie ein Mann ist. Und dann ihr Name.“

Alex hielt die Glut seiner Zigarette an ein Spinnennetz und beobachtete, wie die Fäden verkohlten. Damian hoffte, dass die Spinne von einem sicheren Platz aus auf die Gelegenheit wartete, sich in Alex’ blondes Haar fallen zu lassen. Denn Alex behandelte das Thema genauso unbekümmert wie sein Bruder. Sie nahmen ihn nicht ernst. Dabei war es Damian unangenehm, sich versehentlich vor einer Frau entblößt zu haben. Das machte man einfach nicht.

„Mike hat schon als Teenager ihre ganze Freizeit in der Werkstatt verbracht. Dad wollte nie, dass sie hier arbeitet. Zu anstrengend für eine Frau, meinte er. Aber Mike hat einen Dickkopf. Ach ja, sie heißt eigentlich Michaela.“

Den letzten Satz betonte Alex merkwürdig und warf seinem Bruder einen schnellen Blick zu. Der sah weg, bevor Damian etwas in seiner Mimik lesen konnte. Mehr würde er vorerst wohl nicht aus den beiden Kindsköpfen herausbekommen. „Okay, dann dusche ich jetzt.“ Damian wollte den Knoten aus dem Handtuch lösen, hielt aber inne. „Oder gibt es hier noch mehr Frauen, von denen ich nichts weiß?“

Albernes Gelächter im Duett. Aber wenigstens bekam er eine Antwort. „Nö, im Moment nicht. Wir haben eine Tante und zwei Cousinen, die manchmal hier sind. Doch bei denen sieht man sofort, dass es Frauen sind.“

Damian seufzte, als Chris’ Worten noch mehr Gelächter folgte und war froh, als die Brüder sich verabschiedeten. Nach der Dusche musste er unbedingt mit ihrem Vater Jack oder Adam reden. Er wollte Mike erklären, wie es zu dem Zwischenfall gekommen war. Sie sollte nicht denken, dass er es absichtlich getan hatte. Das Missverständnis wollte er aus der Welt schaffen, und zwar schnell. Doch dafür musste er wissen, wo Mike wohnte.

Das heiße Wasser entspannte seine verkrampften Muskeln. Die harte körperliche Arbeit fiel ihm immer noch schwer. Und die langen Fahrten auf seiner Harley waren zwar schön, aber auch anstrengend. Doch er hatte es selbst so gewollt, um seinem alten Leben eine Zeitlang zu entfliehen. Also biss er die Zähne zusammen.

Die Dusche tat seinem Körper gut, vertrieb jedoch nicht seinen Ärger über sich selbst. Warum hatte er nicht den Mund halten und vorgeben können, Mike nicht gesehen zu haben? Ein ‚sorry’, verlegenes Lachen, und die Sache wäre erledigt gewesen. Jetzt war Mike sauer und das Betriebsklima vergiftet. Er hatte das mehr als ein Mal erlebt. Eine unbedachte Bemerkung und ein Kollege war beleidigt und versuchte, dem Neuen zu schaden, wo er nur konnte.

Damian seufzte und verteilte Seife auf seinen ölverschmierten Unterarmen. Er hatte sich sein neues Leben anders vorgestellt. Wie ein Vagabund auf der Harley durchs Land zu donnern und einen Gelegenheitsjob nach dem anderen anzunehmen, bedeutete eben nicht nur Freiheit, wie es Filme wie Easy Rider vorgaukelten. Aber er brachte immer alles zu Ende, was er sich vorgenommen hatte. Dieses Mal auch. Er würde weiterhin als Mechaniker arbeiten, obwohl er es finanziell nicht nötig hatte.

Damian stellte das Wasser ab, schob die Tür der Duschkabine ein Stück zur Seite und spähte hinaus. Es war niemand zu sehen oder zu hören. Er beeilte sich mit dem Abtrocknen und Anziehen. Ein weiteres Mal würde ihm ein Fauxpas wie mit Mike nicht passieren.

Beim Kämmen stellte er fest, dass es keine gute Idee war, sein zu lang gewordenes Haar mit billiger Seife zu waschen. Er hörte auf, an den Strähnen zu zerren, als sein Handy klingelte. Bestimmt wieder jemand aus seinem alten Leben, der wissen wollte, wann er endlich diesen Wahnsinn aufgeben und zurückkommen würde. Ungeduldig schnappte er das Handy und wollte den Anruf wegdrücken. Beim Blick auf das Display erstarrte er mitten in der Bewegung. Audrey. Das Handy klingelte immer weiter. Kaltes Wasser tropfte aus Damians Haar auf seine Hand, auf das Display. Dann schaltete sich seine Mailbox ein.

Damian atmete tief durch und schob das Handy in seine Hosentasche. Warum rief sie ihn nach so langer Zeit wieder an? Sie hatten sich nichts mehr zu sagen. Er wollte damit abschließen, vergessen. Das würde nicht gelingen, wenn sie ihn nicht in Ruhe ließ.

Schritte, die sich aus dem vorderen Teil der Werkstatt näherten, lenkten seine Gedanken in die Gegenwart zurück. Wenn das Mike war, würde er mit ihr reden. Morgen waren sie wieder von ihren Brüdern und Kunden umgeben. Er strich sich das zerzauste Haar hinter die Ohren, straffte die Schultern und überlegte, wie er das Gespräch beginnen sollte.

Aber nicht Mike kam um die Ecke, sondern ihr ältester Bruder Adam. Das schicke Jackett und der Duft nach Aftershave zeigten, dass Adam seinen Feierabend bestimmt nicht mit seinen Brüdern verbringen würde, die vor der Werkstatt lautstark Basketball spielten. Damian fiel ein, dass Adam verlobt war und lächelte. Adam erwiderte das Lächeln strahlend.

„Wie war dein erster Tag? Haben sich meine Brüder benommen?“

Damian zerrte an seinen verknoteten Haarsträhnen. Kalte Wassertropfen verteilten sich auf seinem T-Shirt. Er nickte. „Es hat allerdings einen Zwischenfall gegeben. Mir war nicht klar, dass Mike deine Schwester ist … und nicht dein Bruder.“

Adams Lächeln verblasste. Seine Brauen wanderten nach oben. „Was hast du gemacht?“

Damian schluckte hart und erzählte Adam dann den Vorfall. Als er sah, dass Adam Mühe hatte, ein Lachen zu unterdrücken, bereute er ein paar Sekunden, damit angefangen zu haben. Doch dann lächelte Adam und klopfte ihm auf die Schulter.

„Das ist keine Tragödie, Mann. Ist nicht zum ersten Mal passiert. Mike trägt mit ihrem Outfit und Verhalten in der Werkstatt dazu bei. Keine Sorge, sie ist nicht nachtragend.“

Damian runzelte zweifelnd die Stirn. Vor seinem inneren Auge sah er Mike nach seiner blöden Bemerkung davonstürmen. Sie war verletzt und würde das daher nicht so schnell vergessen. „Okay. Trotzdem will ich ihr sagen, dass es keine Absicht war. Möglichst noch heute Abend, um das schnell aus der Welt zu schaffen. Wo wohnt sie?“

Adam wischte den Beschlag vom Spiegel neben der Duschkabine und überprüfte den Sitz seiner Haare. Offenbar war er nicht ganz bei der Sache, was Damian ihm nicht verdenken konnte.

„Hier.“

Reflexartig sah Damian sich in der Werkstatt um, als rechne er damit, irgendwo eine Pritsche zu entdecken. Adam hatte ihn im Spiegel gesehen und lachte.

„Nicht in der Werkstatt. Im Haus nebenan.“ Adam drehte sich zu ihm um, ein breites Lächeln im Gesicht. „Ich wollte dich sowieso in die Richtung mitnehmen.“

Damian runzelte verwirrt die Stirn. „Warum?“

Mit einem Winken bedeutete ihm Adam, dass er ihm folgen sollte. Vor der Werkstatt empfingen ihn die letzten Sonnenstrahlen und das Geschrei der Zwillinge, die sich um den Basketball balgten. Es hatte sich merklich abgekühlt. Damian fröstelte in seinem T-Shirt, ließ sich aber nichts anmerken. Zum Glück musste er es nicht lange im Freien aushalten. Adam schloss eine der beiden Türen des Wohnhauses neben der Werkstatt auf und ging eine Treppe hoch. Damian folgte ihm neugierig.

Oben angekommen stieß Adam die Wohnungstür auf. „Da wären wir. Komm rein, Damian.“

Er folgte Adam. Nach wenigen Schritten stand er in einem Wohnzimmer mit integrierter Küche. Es war kaum genug Platz für eine Sitzecke, Fernseher und Schrank. Die Abendsonne beleuchtete verstaubte Oberflächen. Damian hatte den Eindruck, dass hier niemand wohnte, weil persönliche Gegenstände wie Fotos und Bücher fehlten. „Wo sind wir hier? Und warum?“

Adam lächelte und lehnte sich gegen die Fensterbank. „Das ist meine Wohnung – offiziell. Tatsächlich bin ich vor drei Monaten mit Ruby in ein Haus ein paar Straßen weiter gezogen. Die Wohnung ist nur noch ein Abstellraum für Möbel, die ich nicht mehr brauche.“

Damian nickte, verstand jedoch nicht, warum Adam mit ihm hierhergekommen war. „Sieht gemütlich aus.“

Adam stieß sich mit einem strahlenden Lächeln von der Fensterbank ab und trat zu ihm. „Freut mich, dass es dir gefällt. Komm, ich zeige dir Schlafzimmer und Bad.“

Bevor Damian etwas sagen konnte, riss Adam eine Tür auf und machte eine einladende Handbewegung. Damian tat ihm den Gefallen und warf einen Blick in das Zimmer dahinter. Ein schmales Bett, ein winziger Schrank und dazwischen kaum Platz, um sich zu drehen. „Adam, warum …“

„Nebenan ist das Bad. Das ist besser als das Schlafzimmer, versprochen.“

Adam riss die nächste Tür auf und lächelte Damian so erwartungsvoll an, dass er nachgab, obwohl er langsam ungeduldig wurde. Eine Eckbadewanne, Dusche, glänzende Armaturen, ein Dachfenster, durch das man den aufgehenden Mond sehen konnte. „Gefällt mir. Aber jetzt sag mir …“

„Oh, gut. Du nimmst sie also?“

Was hatte er nicht mitbekommen? Wovon redete Adam? „Ich nehme was?“

„Na, die Wohnung. Wäre doch praktisch für dich. Die Miete ist niedrig. Dad geht es eher darum, dass sich jemand drum kümmert.“

Das kam unvorbereitet. Damian hatte erst einen Tag für Jack gearbeitet. Wer wusste schon, ob er ihn noch in der Werkstatt haben wollte, wenn er von der Geschichte mit Mike hörte. Und dann hätte Damian eine Wohnung am Hals.

„Äh, ich denke, dass das etwas verfrüht ist. Ich bleibe lieber im Motel.“

Adam legte den Kopf schief und sah ihn nachdenklich an. „Du glaubst, dass Dad dich wegen Mike rausschmeißt? Wird er nicht. Außerdem können wir uns auf eine wöchentliche Miete einigen. Dann könntest du jederzeit abhauen.“

Damian ging durch das Wohnzimmer, sah sich genauer um. Es war wirklich gemütlich hier. Motelzimmer hatte er in den letzten Wochen genug gesehen. Sie waren unpersönlich und der häufige Lärm aus anderen Zimmern nervte. „Wie viel wollt ihr dafür?“

Adam grinste triumphierend. „Fünfzig Dollar pro Woche.“

Damian riss die Augen auf und starrte Adam an. „Was? Das deckt kaum die Betriebskosten.“

Adam zuckte mit den Schultern. „Weiß ich. Dad will eigentlich nur, dass jemand hier wohnt und die Zwillinge davon abhält, in der Wohnung wilde Partys zu feiern.“

Kein Fahrweg zum Arbeitsplatz, eine gemütliche Wohnung für eine lächerlich niedrige Miete, vielleicht ein bisschen Familienanschluss – worauf wartete er eigentlich noch? Er streckte Adam die Hand hin. „Deal.“

Adam ergriff mit einem breiten Lächeln seine Hand. „Super. Den Schlüssel gebe ich dir sofort. Dann kannst du deinen Krempel holen und schon heute Nacht hier pennen.“

Adam löste den Schlüssel vom Bund und reichte ihn Damian. Als er danach griff, setzte Saxophonspiel ein. Die Musik drang durch die Wohnzimmerwand zu ihnen. Damian runzelte die Stirn und sah Adam fragend an. Der trat verlegen von einem Bein aufs andere.

„Mike spielt nicht mitten in der Nacht oder früh am Morgen. Keine Sorge. Und wenn sie dich mal stört, klopf einfach gegen die Wand. Dann hört sie nach ein paar Minuten auf.“

Er wollte gerade nachhaken, da rannte Adam durch die Tür zur Treppe. Damian stürmte hinterher und rief: „Hey! Mike ist meine Nachbarin? Keine gute Idee. Wir lassen das lieber …“

Adam war schon unten angelangt und rief nach oben: „Ich muss los. Ruby wartet auf mich. Mach dir wegen Mike keine Gedanken.“ Dann knallte die Haustür.

Verdammt. Damian schlug mit der Faust gegen das Treppengeländer und ging dann langsam ins Wohnzimmer zurück. Die Jazzklänge des Saxophons vermischten sich mit dem Geschrei der Zwillinge im Hof. Jetzt wusste er zumindest, wo Mike wohnte. Und dass sie zu Hause war. Was stand er noch hier rum?

Minuten später hatte er seine Lederjacke aus der Werkstatt geholt und die Metalltreppe entdeckt, die zu Mikes Wohnungstür führte. Oben angekommen, stellte er fest, dass sie nicht mehr Saxophon spielte. Stattdessen sprach sie mit jemandem. Ihre Stimme und ihr Lachen drangen durch die Tür. Sie hatte Besuch. Keine gute Gelegenheit für seine Erklärungen. Eine neugierig lauschende Freundin konnte er nicht gebrauchen. Damian wollte gerade wieder gehen, als sich die Tür öffnete.

Vor ihm stand eine junge Frau, deren blonde Locken ihr bis auf die Schultern fielen. Ihr Lächeln verblasste schlagartig, als sie ihn sah. Was sehr schade war, denn es war umwerfend gewesen. Ein Kläffen erschreckte ihn. Als sein Blick nach unten zu einem Hund wanderte, der wie die Miniversion eines verfilzten Bettvorlegers aussah, fielen ihm ihre langen, schlanken Beine in engen Blue Jeans auf. Der Mischling drehte bei seinem Anblick fast durch und riss an seiner Leine. Es wurde Zeit, etwas zu sagen, bevor das Kerlchen noch an einem Herzschlag verschied.

„Hi, ich bin Damian. Ist Mike zu Hause?“

Sie starrte ihn an. Sagte nichts, regte sich nicht. Der Hund kläffte sich heiser. Ihre hellbraunen Augen, die sich gerade erst geweitet hatte, verengten sich nun zu Schlitzen. Es hätten auch Schießscharten sein können, bei der Munition, die sie daraus auf ihn abfeuerte. Was hatte er jetzt schon wieder gemacht? Was war mit den Frauen hier bloß los? Ihre Stimme ließ ihn zusammenzucken. Und das lag nicht nur an der Lautstärke.

„Findest du das witzig?“

Mike drängte sich an ihm vorbei, lief die Metalltreppe hinunter und zerrte den immer noch kläffenden Bettvorleger an der Leine hinter sich her. Damian sah den beiden fassungslos nach. Er hatte sie wirklich nicht erkannt. Die Verwandlung von der burschikosen Mechanikerin in eine sexy Blondine war einfach zu extrem. Damian brauchte ein paar Sekunden, um sich von seiner Überraschung zu erholen. Dann lief er die Treppe hinunter und folgte Mike – und dieses Mal waren irgendwelche Erklärungen nicht sein einziges Ziel.

Mit schnellen Schritten ging Mike die Tucker Street entlang, Richtung Historic Route 66. Neben ihr hechelte Lemmy. Ihr Tempo war nach der Aufregung, in die ihn Damian versetzt hatte, zu schnell.

Damian. Dieser verdammte Kerl. Nachdem er herausposaunt hatte, dass er sie für einen Mann hielt, hatte sie vor Frust und Hilflosigkeit so gezittert, dass sie über eine Stunde brauchte, bevor sie zu ihrem Saxophon greifen konnte. Das Musizieren hatte sie abgelenkt. Danach fühlte sie sich entspannt und bereit für einen Spaziergang mit Lemmy auf ihrer Lieblingsstrecke. Und dann stand Damian vor ihrer Tür. Starrte sie an, als wäre sie eine kostbare Seltenheit wie eine Harley Davidson Panhead von 1948. Ein paar Sekunden hatte sie tatsächlich geglaubt, dass ihm gefiel, was er sah. Dass sie ihm gefiel. Und sie hatte sich darüber gefreut.

Doch dann machte er diesen kindischen Scherz. Tat so, als würde er sie nicht erkennen, nur weil sie keinen Overall und kein Käppi trug. Als ob sie sich in einen weiblichen Clark Kent ohne Brille verwandelt hätte.

Lemmy stieß ein keuchendes Husten aus. Sofort verlangsamte Mike ihr Tempo. Sie war fast gerannt, als sie Damian vor ihrem inneren Auge wieder vor ihrer Tür stehen sah. Der arme Hund. Er war nicht mehr der Jüngste und hatte Asthma. Mit gemächlichen Schritten schlenderte sie die Tucker Street entlang. Warf dabei hier und dort einen Blick in die Schaufenster. Viel Neues gab es in der kleinen Stadt nicht zu sehen. Aber wer brauchte das schon, wenn man die historische Route 66 direkt vor der Nase hatte? Viele Geschäftsinhaber hatten sich die 66 als Motto gesetzt. Es gab Restaurants mit Bildern von Bikes, eins hatte sogar ein Motorrad als Deko. Nicht zu reden von den Shops für Biker-Bedarf und dem Route 66-Museum. Einen besseren Ort konnte es für eine fanatische Bikerin wie Mike nicht geben.

Sie betrachtete versonnen eine viel zu teure Lederjacke in einem der Schaufenster, als sie jemanden ihren Namen rufen hörte. Lemmy kläffte. Es war Damians Stimme. Mike fluchte unterdrückt. Sie konnte nicht losrennen. Das würde Lemmy nicht durchhalten. Und der Hund ließ sich nicht gern tragen.

Resigniert blieb sie stehen und wartete, bis Damian sie eingeholt hatte. Es wäre kindisch, vor ihm wegzulaufen. In der Werkstatt konnte sie ihm sowieso nicht aus dem Weg gehen.

Damian schloss zu ihr auf. Sein Haar war feucht und zerzaust, sein Atem ging schwer. Offenbar war er gerannt, um sie einzuholen. Was sollte das? Konnte er sie nicht in Ruhe lassen? Es war schlimm genug, dass sie ihn ihrem Vater zuliebe in der Werkstatt ertrug. Sie musste ein für alle Mal klarstellen, dass sie keinen privaten Kontakt mit ihm wünschte. Er brachte sie nur durcheinander und störte damit ihre liebgewonnene Routine. Sie konnte eben nicht mit Männern umgehen, die nicht mir ihr verwandt waren.

„Warum läufst du weg, Michaela? Ich will doch nur mit dir reden.“

Es war, als hätte er ihr mit einem Taser einen Schlag versetzt. Alle Härchen richteten sich auf, ihr Kiefer spannte sich so an, dass ihre Zähne knirschten, ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Sie verabscheute ihren Vornamen, seit sie im Kindergarten damit aufgezogen worden war, weil eine Cartoon-Figur so hieß.

„Nenn mich nicht so. Ich hasse meinen Namen!“

Sie ging und zerrte den widerstrebenden Lemmy hinter sich her. Damian rief sie. Dieses Mal mit ihrem zweiten Namen. Trotzdem hielt sie nicht an. Aber dieser sture Kerl gab nicht auf. Er folgte ihr, legte ihr eine Hand auf den Arm und brachte sie damit zum Anhalten. Neben ihr keuchte Lemmy.

„Mike! Ich wusste das doch nicht. Alex und Chris haben mir deinen Namen genannt. Ich dachte, es sei dir lieber, von Leuten, die nicht zu deiner Familie gehören, so angesprochen zu werden.“

Es sah ihren Brüdern ähnlich, diesen Eindruck zu vermitteln und Damian damit geradewegs in ein Fettnäpfchen zu schubsen. Das war ihre Art von Humor. Mike beruhigte sich. „Nenn mich einfach nicht so. Alle sagen Mike zu mir.“

Er nickte und wich ihrem Blick aus. Im Licht einer Laterne konnte sie sehen, dass seine Wangen gerötet waren. Hatte sie ihn verunsichert? Oder lag es nur daran, dass er gerannt war? Es wäre zur Abwechslung schön, wenn nicht nur sie sich vom anderen Geschlecht aus dem Konzept bringen ließe. Aber sie konnte es sich nicht vorstellen. Damian wirkte dafür zu selbstsicher.

Plötzlich breitete sich ein Lächeln auf Damians Gesicht aus. Er ging in die Hocke und begrüßte mit freundlicher, sanfter Stimme Lemmy, der skeptisch an seinen Knöcheln schnupperte. Was war in ihren misanthropischen Hund gefahren? Er mochte nur sie und ihren Dad. Ihre Brüder akzeptierte er widerwillig. Einen Fremden hatte er noch nie in seiner Nähe geduldet. Doch jetzt begann er zögernd mit dem Schwanz zu wedeln, tapste dichter an Damian heran und … ließ sich von ihm streicheln. Mike merkte, dass sie mit offenem Mund auf die beiden hinunterstarrte. Das hatte es noch nie gegeben. Nun leckte Lemmy Damian die Finger und wedelte wie wild mit dem Schwanz. Warum mochte er diesen Mann? Es musste daran liegen, dass Damian nach der Seife roch, die auch Mike benutzte. Ja, anders konnte es nicht sein.

Damian sah zu ihr hoch. Sein Lächeln und das Licht der Straßenlaterne ließen seine Augen blau leuchten. „Wie heißt der kleine Kerl?“

Mike verschränkte die Arme vor der Brust. Ihre Antwort kam als unwilliges Knurren heraus. „Lemmy.“

Damian stutzte, sah auf den Hund hinunter, dann wieder zu ihr hoch. „Etwa wie Lemmy Kilmister? Der Sänger von Motörhead?“

Mike merkte, wie sich ein Schmunzeln auf ihr Gesicht stahl. Damian kannte sich mit Hardrock aus. Sie nickte und beobachtete, wie Damian mit einem Lachen ihren Hund kraulte und ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit dem schnurrbärtigen Rocksänger bestätigte.

Dann richtete er sich auf und schob die Hände in die Taschen seiner schwarzen Jeans. Sein Blick traf kurz ihren. Dann sah er schnell wieder weg und Mike bildete sich ein, dass sich die Röte auf seinen Wangen vertiefte. Aber das war wahrscheinlich nur Wunschdenken. Trotzdem merkte sie, wie ihr Widerwillen gegen seine Gesellschaft schmolz. Er hatte Lemmy geknackt, und das hieß schon etwas. Ein schlechter Kerl war er also mit Sicherheit nicht.

Sie umfasste die Hundeleine fester und wollte wieder losgehen. Doch Damian legte ihr ein weiteres Mal die Hand auf den Arm und hielt sie auf. Die Wärme seiner Finger auf ihrer Haut ließ sie erschauern – und seine Berührung verunsicherte sie. Darum klangen ihre nächsten Worte ruppiger als beabsichtigt. „Was soll das?“

„Ich will immer noch mit dir reden … über den Vorfall in der Werkstatt.“

Mike merkte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. Sie hasste es, wenn man sah, dass etwas sie verlegen machte. Dieser verdammte Kerl. Sie wollte doch nur ihre Ruhe haben. „Was ist damit?“

Damian fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. Nun standen die dunkelblonden Strähnen in alle Richtungen ab. „Das war keine Absicht. Ich bin kein Exhibitionist. Leider war ich den ganzen Tag so beschäftigt, dass ich dich nicht richtig angesehen habe. Darum hielt ich dich in diesem zu großen Overall für einen Mann. Kommt nicht wieder vor.“ Damian lächelte mit entwaffnendem Charme.

Irgendwie gefiel es Mike nicht, dass er sie den ganzen Tag nicht angesehen hatte. Aber sie konnte sich einreden, dass es daran lag, dass er sie wegen ihres Namens und ihrer Kleidung für einen Kerl gehalten hatte. Hätte er gewusst, dass sie eine Frau war, hätte er bestimmt einen Blick riskiert. Klar, und Brad Pitt stand auf Ellen DeGeneres. Mike zwang sich zu einem Lächeln. „Okay.“

Sie ging weiter, und er begleitete sie. Das ließ schon wieder Unsicherheit in ihr aufkeimen. Wenn sie mit Männern redete, waren es fast ausschließlich ihre Verwandten oder Kunden. Damit konnte sie umgehen. Aber worüber sprach eine Frau mit einem attraktiven Fremden? Sie wusste es nicht. Also schwieg sie und hielt ihren Blick auf Lemmy gesenkt, der jeden Laternenpfahl auf ihrem Weg beschnüffelte.

Damian sagte auch nichts, was sie noch nervöser machte. War es normal, dass man sich anschwieg? Oder lag es daran, dass Damian nicht mit ihr sprechen wollte und nur aus Höflichkeit neben ihr herging? Widerwillen verdrängte ihre Unsicherheit. Warum ging er nicht einfach? Sie räusperte sich und sagte das Erste, was ihr in den Sinn kam – und es klang leider wieder einmal nach einem Vorwurf. „Vor meiner Tür hast du aber wieder Wahrnehmungsstörungen gehabt.“

Damians Kopf ruckte zu ihr herum. Seine Augen weiteten sich. Mike bereute ihre Worte umgehend. Doch dann nickte er und seine Mundwinkel zuckten.

„Stimmt. Ich hatte dich hinter der Tür sprechen hören. Daraus schloss ich, dass du Besuch hast. Dann bist du so unvermutet vor mir aufgetaucht. Ich habe dich für deine Besucherin gehalten. Ehrlich gesagt siehst du mit den offenen Haaren wirklich ganz anders aus als in der Werkstatt. Ich gelobe Besserung.“

Wieder dieses entwaffnende Lächeln. Aber es war charmant und nicht selbstherrlich wie bei vielen anderen Männern, die vor lauter Selbstbewusstsein kaum gehen konnten. Die gaben Fehler nie zu und entschuldigten sich nur dann, wenn sie sich einen Vorteil davon versprachen – zum Beispiel Sex. Doch Damian schien wirklich etwas daran zu liegen, die Missverständnisse zwischen ihnen auszuräumen – und das auch noch mit unglaublichem Charme. Und seine Tricolor-Augen und das kleine Muttermal über seinem linken Mundwinkel faszinierten sie. Endlich fiel ihr auf, dass er auf ihre Reaktion wartete. Sie seufzte leise. „Alles klar. Ich gehe jetzt nach Hause. Mir wird kalt.“

Er nickte und ging neben ihr und Lemmy her. So hatte sie das nicht geplant. Aber wie sollte sie ihm klarmachen, dass sie allein weitergehen wollte, ohne dass er dachte, dass sie doch noch sauer auf ihn war? Eine kleine Teufelsstimme in ihr höhnte, dass sie gar nicht wollte, dass er verschwand. Dass sie ihn interessant fand.

„Magst du Motörhead? Oder hieß der Hund schon so, als du ihn bekommen hast?“

Mike warf ihm einen Blick zu. Er hatte die Hände tief in den Taschen der Jeans vergraben. Seine dunkelbraune Lederjacke glänzte im Licht der Straßenlaternen an einigen Stellen speckig. Sie war genauso abgenutzt wie ihre eigene.

„Ich habe ihn aus dem Tierheim geholt. Keiner wusste, wie er vorher hieß. Also habe ich den Namen ausgesucht. Ich stehe auf Motörhead.“

„Das wundert mich.“

Mike fühlte sich schon wieder provoziert. Das machten ihre Brüder schon den ganzen Tag mit ihr, abends wollte sie das nicht mehr hören. „Warum? Weil ich eine Frau bin und deswegen auf schmalzige Popsongs abfahren muss?“

Er zerrte die Hände aus den Hosentaschen und hob sie beschwichtigend. „Nein, nein. Weil ich dich auf dem Saxophon Jazz spielen gehört habe. Ist eher ungewöhnlich, dass jemand Jazz und Hardrock mag.“

Mike runzelte verwirrt die Stirn. „Wann hast du …“

„Huhu, Mike!“

Sie zuckte zusammen und riss den Kopf herum. Oh nein. Auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig kamen ihnen zwei Blondinen mit ihren Chihuahuas entgegen. Ihre Cousinen Tiffany und Amber. Die hatten ihr gerade noch gefehlt. Mikes Laune rutschte ins Untergeschoss. Erfahrungsgemäß nützte der Versuch, vor den beiden wegzulaufen, nichts. Sie kreischten dann solange ihren Namen, bis sie anhielt. Also tat sie es lieber gleich.

Zwei Paar Pumps klackerten hektisch auf dem Bürgersteig, hämmerten über die Tucker Street und stoppten vor ihr. Ein Hauch von exklusivem Parfüm, zum Glück bei beiden dieselbe Marke, umwehte Mike. Der auffrischende Wind spielte mit blonden, perfekt frisierten Löwenmähnen. Tiffany zeigte bei ihrem strahlenden Lächeln gebleichte Zahnreihen. Aber das Lächeln galt nicht Mike. Die in Wimperntusche und Kajal fast untergehenden Augen ihrer Cousine waren fest auf Damian gerichtet – und funkelten raubtierhaft. In ihrer Stimme meinte Mike ein Schnurren zu hören. Jagdmodus.

„Sei nicht unhöflich, Mike. Stell uns vor.“

Das wollte Mike nicht. Sie wusste, was dann passieren würde. Lemmy knurrte die Fellknäule ihrer Cousinen an, die sich als Hunde ausgaben. Mike war neidisch auf ihn. Am liebsten hätte sie die beiden Frauen auch angeknurrt und wäre dann weggerannt. Warum nur hatte ihr Vater ihr beigebracht, sich wie ein zivilisierter Mensch zu benehmen? Sie seufzte. „Das ist unser neuer Mechaniker Damian Lancaster. Damian, das sind meine Cousinen Tiffany und Amber.“

Tiffany näherte sich Damian wie eine Gepardin einer bedauernswerten Antilope. Dabei streckte sie gleichzeitig ihre Brust und ihre Hand vor, deren Nägel tiefrot glänzten. Wie in Trance griff Damian danach. Er konnte den Blick nicht mehr von Tiffany nehmen. Diese hypnotische Wirkung hatte ihre Cousine schon immer auf Männer gehabt. Leider funktionierte sie auch bei Damian, der gerade Sympathiepunkte bei Mike gewonnen hatte – und sie nun wieder verlor.

„Hallo, Damian.“

Tiffanys raues Wispern schabte über Mikes Nerven. Aber Männer fanden das sexy, wie sie wusste. Unwillig beobachtete sie, wie Tiffany sich an Damian drückte, seine Hand nicht losließ und ihm tief in die Augen sah.

„Was verschlägt einen Mann wie dich in das Kaff Kingman?“

Mike schnaubte und riss den Blick von den beiden los. Das konnte sie nicht mehr mitansehen. Stattdessen konzentrierte sie sich auf Lemmy. Der hob sein Bein an einem der Chihuahuas. Leider wich das Fellknäuel mit einem Winseln aus. Sie hätte sich noch wochenlang über den Gedanken amüsieren können, wie Tiffany Lemmys Hinterlassenschaft aus dem Fell ihres Lieblings wusch.

Damians Stimme. „Ich brauchte einen Job – und Jack einen Mechaniker.“

Kurz und knapp. Das gefiel Mike. Seine Stimme klang … abweisend? Mike schielte in seine Richtung. Er hatte seine Hand aus Tiffanys Umklammerung gelöst und war von ihr zurückgewichen. Das gefiel Mike noch besser. Doch jetzt drängelte Amber sich an ihr vorbei und rückte Damian auf seiner anderen Seite auf die Pelle. Zwei Raubkatzen, die ihre Beute in die Zange nahmen. Mike bekam Mitleid mit Damian, der die Hände in die Jackentaschen gestopft hatte, um sie aus der Gefahrenzone zu bringen. Seine Wangen waren gerötet, sein Blick zuckte hin und her, als würde er nach einem Fluchtweg suchen. Das reichte. Mike griff ein.

„Wie läuft es mit den Hochzeitsvorbereitungen, Tiffany?“

Der Laut, den ihre Cousine von sich gab, klang wie ein Fauchen. Mike verkniff sich das Lachen. Glaubte Tiffany, sie einschüchtern zu können? Das hatte noch nie funktioniert. Leider hatte aber auch ihre Bemerkung nicht die von Mike gewünschte Wirkung. Tiffany rückte keinen Zentimeter von Damian ab.

„Gut.“

Mike musste ihrer Cousine lassen, dass niemand sonst so viel Wut und Kälte in eine Silbe packen konnte. Und sich so schnell von einem fauchenden Drachen in ein schnurrendes Kätzchen zurückverwandeln konnte.

„Bleibst du länger in Kingman, Damian?“

So wie der arme Mann sich zurückbeugte, um ihren Cousinen auszuweichen, würde er irgendwann hintenüberkippen. Seine Stimme klang gepresst.

„Mindestens den ganzen Sommer.“

Mike freute sich über seine Antwort ebenso sehr wie ihre beiden Cousinen – was sie verwirrte. Sie sollte doch eigentlich froh sein, wenn Damian wieder verschwand. Er brachte sie nur durcheinander. Amber und Tiffany verbargen ihre Begeisterung nicht und drängten sich noch dichter an Damian. Ihnen hatte offensichtlich niemand zivilisiertes Benehmen beigebracht. Die nächste Frage kam von Amber.

„Und wo wohnst du? Doch bestimmt nicht die ganze Zeit in einem Hotel.“

Damian wich vor Tiffany zurück, die ungeniert eine Hand über seinen Brustkorb wandern ließ – unter seiner Lederjacke. Mike schüttelte den Kopf. Jetzt klang Damians Stimme kühl und distanziert.

„Nein. Ich ziehe in Adams ehemalige Wohnung.“

Mike fuhr zurück und stieß sich die Schulter an einem Laternenpfahl. Sie starrte Damian an. Das konnte doch nicht sein. Er war jetzt ihr Nachbar? Schlief Wand an Wand mit ihr? Das war zu viel. „Wann habt ihr das entschieden? Warum habt ihr mich nicht gefragt? Da sollte doch Chris einziehen …“

Sie wusste nicht, was sie noch sagen oder tun sollte. Ihr Puls raste und ihre Wangen waren so heiß, dass sie im Dunkeln leuchten mussten. Mike wirbelte herum und rannte mit Lemmy die Tucker Street zurück.

Damian schloss frustriert die Augen. Das Schicksal hatte ihn dazu verdammt, jedes Fettnäpfchen zu finden, das es in Mikes Nähe gab. Er war froh gewesen, dass er alle Missverständnisse aus der Welt geschafft hatte. Und dann kamen diese beiden lebenden Schaufensterpuppen und machten alles wieder kaputt. Genau in dem Moment, als er ihr erzählen wollte, dass sie Nachbarn sein würden.

Aber was hätte er auf Ambers Frage antworten sollen? Dass er vorerst im Motel wohnte? Zerknirscht gestand er sich ein, dass das die beste Antwort und nicht einmal eine Lüge gewesen wäre. Seine Sachen waren noch dort, und er hatte für die nächste Nacht bezahlt. Warum waren seine Reaktionen in Mikes Gegenwart immer so unüberlegt?

Tiffany drängte sich schon wieder viel zu dicht an ihn. Ihm lief ein unbehaglicher Schauder nach dem anderen den Rücken hinunter. Was dachte sie sich dabei? Sie war verlobt. Wenn er an Stelle ihres Zukünftigen wäre, würde es ihm nicht gefallen, dass sie so ungeniert mit einem anderen Mann flirtete. Wie konnte er sie loswerden? Er konnte sie nicht einfach wegschieben. Dabei könnte er ihr wehtun, was er trotz ihres unmöglichen Benehmens nicht wollte. Sein Blick fiel auf ihre rechte Hand, die über seinen Bizeps strich. „Schöner Verlobungsring. Wann ist die Hochzeit?“

Tiffany schob die Unterlippe vor und zog sich ein paar Zentimeter von ihm zurück. Damian bildete sich ein, plötzlich wieder freier atmen zu können. Statt der schmollenden Tiffany antwortete ihm Amber.

„In sechs Wochen. Ich werde Brautjungfer sein. Mike auch.“

Mike. Er musste sie einholen, bevor sie in ihrer Wohnung verschwand. Dann würde sie ihm bestimmt nicht öffnen, damit er seine Handlungen ein drittes Mal erklärte. Behutsam zog er seine Arme aus der Umklammerung der beiden Blondinen und achtete beim Zurückweichen darauf, nicht auf einen dieser winzigen Hunde zu treten. Er zwang ein Lächeln auf sein Gesicht. „Freut mich für dich, Tiffany. Ich muss jetzt los. Man sieht sich.“

Damian drehte sich auf dem Absatz um und eilte im Laufschritt die Tucker Street hinunter. Um diese Zeit waren nicht mehr viele Leute unterwegs. Die meisten Geschäfte hatten geschlossen. Ein paar Jugendliche hingen vor einem Fast Food Restaurant herum. Er zwängte sich an ihnen vorbei. Jetzt war eine Frau mit Rollator vor ihm. Ihre Begleiterin unterhielt sich so laut mit ihr, dass sie nicht hörte, dass Damian vorbei wollte. Er machte ein paar Schritte auf die Tucker Street, um sie zu überholen. Sofort gellte eine Autohupe. Er warf dem Fahrer einen finsteren Blick zu, sprang wieder auf den Bürgersteig und lief weiter.

Wo war Mike? So weit konnte sie sich nicht entfernt haben. Nicht mit dem schwächelnden Lemmy an ihrer Seite.

Da.

Sie war auf den gegenüberliegenden Bürgersteig gewechselt. Damian hielt an und wurde sofort von einem älteren Mann angerempelt und in eine Schweißwolke gehüllt. Trotzdem hielt er den Blick auf Mike gerichtet, um sie nicht wieder aus den Augen zu verlieren.

Sie hatte ihn noch nicht bemerkt. Regungslos stand sie vor dem Schaufenster eines offensichtlich leeren Ladens. Was tat sie da? Damian nutzte eine Lücke im Verkehr und rannte über die Straße. Mike hatte ihn immer noch nicht bemerkt. Sie schirmte ihr Gesicht mit den Händen ab und starrte in das leere Geschäft. Vorsichtig trat er neben sie. Er wollte sie nicht erschrecken und gleichzeitig herausfinden, was sie an dem Laden so faszinierend fand. Lemmy schnüffelte an seinem Hosenbein und wedelte mit dem Schwanz.

„Hey, Damian!“

Er zuckte bei dem Ruf zusammen. Mike ebenso. Sie drehte sich zu ihm um und sah ihn mit großen Augen an. Auf der anderen Straßenseite winkten Amber und Tiffany ihnen hektisch zu. Tiffanys Geschrei drang mühelos bis zu ihnen.

„Warte auf uns. Wir wollen was mit dir besprechen.“

Darauf hätte Damian gern verzichtet. Aber er erinnerte sich daran, dass es sich bei den beiden Frauen um die Nichten seines neuen Chefs handelte. Er wusste nicht, wie eng ihre Beziehung zueinander war und ob sie viel Einfluss auf Jack hatten. Nach den drei Missgeschicken mit Mike wollte er es sich nicht mit weiteren Familienmitgliedern verderben, denn er hatte keine Lust, schon wieder einen neuen Job zu suchen.

Also drehte er sich zu Mike um, statt die Flucht zu ergreifen. Sie war verschwunden. Schon wieder. Nein, halt. Lemmy war vor einem Schnellrestaurant ein paar Meter weiter angebunden. Bevor Damian einen Schritt in Richtung des Hundes machen konnte, umklammerte eine Hand mit tiefroten Fingernägeln seinen Arm. Mit einem Seufzen drehte er sich um.

Sekunden später klebte links und rechts jeweils eine Blondine an ihm wie Metallspäne an einem Magneten. Eine Duftwolke hüllte ihn ein. Finger umklammerten seine Bizepse, blaue Augen sahen unter künstlichen Wimpern zu ihm auf. Damian unterdrückte ein weiteres Seufzen und vergrub die Hände so tief wie möglich in seinen Jackentaschen. Mit dieser merkwürdig hauchenden Stimme, die typisch für Tiffany zu sein schien, fragte sie:

„Hebst du Gewichte? So kräftige Oberarme habe ich schon lange nicht mehr gefühlt.“

Und Damian hatte seit seiner Teenagerzeit nicht mehr eine so kindische Frage gehört. Was war mit dieser Frau los? Wusste ihr Verlobter, was er sich an Land gezogen hatte? Damian bekam Mitleid mit dem Mann. Er ignorierte Tiffanys Frage und verrenkte sich fast den Hals, als er über die Schulter in das Schaufenster des leeren Ladens sah. Ein Zettel am Rand der Scheibe fiel ihm ins Auge. Mit Mühe konnte er den Schriftzug lesen. Zu vermieten. Wollte Jack vielleicht seine Werkstatt erweitern?

„Damian, hörst du mir überhaupt zu?“