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Minato lädt Shin zu einer Grillparty seines Geschäftsviertels ein. Dort gewinnen sie beim Bingo zwei geflochtene Armbänder. Als die beiden damit einschlafen, finden sie sich plötzlich in einer ganz anderen Welt wieder. In dieser sind sie gleichalt und gehen zusammen auf die Highschool. Verwirrungen und Turbulenzen lassen nicht lange auf sich warten. Doch wie steht es um die Liebe, nun wo der Altersunterschied nicht mehr vorhanden ist? Band 1 der Light Novel zur beliebten Boys Love-Reihe Minato's Coin Laundry!
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Seitenzahl: 175
Veröffentlichungsjahr: 2025
Kapitel 1
Die Kartoffeleintopf-Party des Keyaki-Einkaufsviertels
Kapitel 2
Akira Minatos Traum
Kapitel 3
Shintaro Katsukis Traum
Epilog
Bonusgeschichte
Minatos Traum in Shins Traum
Nachwort
Kapitel 1 Die Kartoffeleintopf-Party des Keyaki-Einkaufsviertels
Shin und ich waren heute zum ersten Mal außerhalb des Waschsalons verabredet.
Es war Sonntagnachmittagg. Der Fluss Hirose plätscherte leise vor sich hin und wenn man nach oben schaute, war da nur endloser blauer Himmel. Ein Altweibersommertag wie aus dem Bilderbuch. Zeitweise wehte ein kalter Wind über die Wiese am Flussufer, doch auch der war nicht imstande, das Gelächter der Menschen, die hier einen schönen Tag miteinander verbrachten, zu dämpfen.
Kartoffeln, Schweinefleisch, Konjakwurzel, Lauch, Karotten und noch weiteres Gemüse – das alles brodelte in einem großen Kessel und verströmte einen warmen, appetitlichen Duft. Es war ein Kesseleintopf, wie er in dieser Gegend immer im Herbst gekocht wurde.
»Danke, dass du mich eingeladen hast«, sagte Shin und lächelte mich fröhlich an.
»Ach, nicht der Rede wert«, murmelte ich zurück. »Ich meine, ich wollte dich ursprünglich nur als Gast dabeihaben, aber jetzt hilfst du sogar mit …«
Es hatten sich vor allem die jüngeren, aber auch ein Teil der älteren Mitglieder der Händlervereinigung des Keyaki-Einkaufsviertels zu einer Party versammelt, die wir jedes Jahr im Herbst hier am Fluss veranstalteten. Dabei gaben wir die ganzen Zutaten in einen großen Kessel, kochten den Eintopf nach einem traditionellen Rezept unserer Gegend und verbrachten eine schöne Zeit miteinander. Niemand wusste genau, wie und wann diese Tradition der Kartoffeleintopf-Party entstanden war. Es gab verschiedene Theorien über den Ursprung, doch sie alle waren nur Legenden und letztendlich war es auch gar nicht so wichtig. Hauptsache, wir konnten uns jedes Jahr im Herbst hier treffen, zusammen kochen und Spaß haben.
»Jedenfalls bist du uns echt eine Hilfe, Shin«, sagte ich.
Eigentlich hatte ich ihn wirklich nur eingeladen, weil ich dachte, dass er sich so ein bisschen vom Lernen erholen könne. Ich hatte nicht die Absicht gehabt, ihn mit anpacken zu lassen. Stattdessen hatte ich mich sogar gefragt, ob ihm hier zwischen den ganzen älteren Männern nicht langweilig werden würde – aber dann war mir eingefallen, dass ja auch Asuka und andere junge Leute in seinem Alter kommen würden.
Dennoch hatte Shin von Anfang an beim Kochen geholfen und sich als richtig talentiert herausgestellt. Er konnte so hervorragend Gemüse schneiden, dass die älteren Restaurantbetreiber aus unserer Straße ihn einer nach dem anderen fragten, ob er nicht bei ihnen in die Lehre gehen und später ihr Geschäft übernehmen wolle.
»Er übernimmt keinen eurer Läden, ihr Trottel! Shin wird nämlich mal ein großartiger Arzt, merkt euch das!«, hatte ich laut gerufen und die gierigen alten Säcke vertrieben.
Sakaki, der die Gruppe der jungen Leute der Händlervereinigung anführte und ein Jahr älter war als ich, hatte mir daraufhin locker auf die Schulter geklopft und gemeint: »Na, Akira, du hast aber einen ganz schönen Beschützerinstinkt, wenn es um Shin geht, was?«
Ich war sofort rot angelaufen und hatte entrüstet widersprochen: »D… Das stimmt gar nicht …!«
Zu mehr Widerworten war ich jedoch nicht fähig gewesen und hatte daher Angst bekommen, unglaubwürdig zu wirken. Shin hatte gegrinst und mir strahlend zugerufen: »Danke, Minato!«
Ich musste auch ein bisschen lachen, denn ja – ich hatte mich in der Tat als Beschützer aufgespielt. Ich konnte es einfach nicht zulassen, dass jemand versuchte, Shin von seinem großen Traum abzubringen. Schließlich lernte er dafür jeden Tag so fleißig.
Shin hieß mit vollem Namen Shintaro Katsuki. Er war vor ein paar Monaten an einem Sommertag zum ersten Mal in meinen Waschsalon gekommen und hatte mir kurz darauf plötzlich gestanden, dass er mir gegenüber sexuelles Verlangen hegte.
Laut ihm waren wir uns im Waschsalon auch gar nicht zum ersten Mal begegnet. Wir hätten uns vor zehn Jahren schon einmal getroffen, aber daran konnte ich mich leider überhaupt nicht erinnern.
»Shin, für dich eine Cola?«, fragte ich ihn jetzt.
»Ja … Danke, Minato! Hey, soll ich dir beim Verteilen der Getränke helfen?« Erfreut nahm Shin die Cola entgegen.
»Wenn das für dich kein Problem ist, gern. Fang am besten drüben auf der anderen Seite an«, entgegnete ich und reichte Shin eine der Kühltaschen mit Getränken darin. Er nickte und fing vom anderen Ende her an, Getränke an die Partyteilnehmer zu verteilen, die um den riesigen Kessel herumsaßen.
Wie gut, dass ich ihn eingeladen hatte. Beeindruckt von seinem jugendlichen Eifer und der Energie, die er ausstrahlte, setzte ich meine Getränkerunde fort.
»Asuka, für dich auch eine Cola?«
»Jo! Danke, Akira!«
Nachdem ich Asuka eine kleine Colaflasche gegeben hatte, wandte ich mich den drei neben ihm sitzenden jungen Männern zu, die in der Schule eine Klasse unter mir und auch im Schwimmklub gewesen waren – Hayato, Takafumi und Kaname.
»Na, und für euch drei Bier?«
»Aber klar doch!« Hayato und Kaname grinsten und nahmen jeweils ein Bier von mir entgegen. Nur Takafumi winkte mit trübseliger Miene ab.
»Für mich ein alkfreies, bitte«, sagte er. »Ich muss die zwei später nach Hause fahren.«
»Ach so? Dann darfst du ja heute als Einziger von euch nicht trinken?!«
Hayato und Kaname nickten grinsend, was mich dazu veranlasste, sie für ihre fehlende Dankbarkeit zu belehren.
»Habt ihr denn kein Mitleid mit ihm, oder was? Wieso muss er die ganze Verantwortung tragen, während ihr euch vergnügt?« Ich streckte meine Hände aus und schnipste Hayato und Kaname zur Verdeutlichung meiner Worte kräftig gegen die Stirn.
»Die Verantwortung trägt er schon nicht allein, nicht wahr?«, gab Hayato schnell zurück und blickte Takafumi hilfesuchend an.
»Lass gut sein, Akira«, meinte der daraufhin. »Du weißt doch, wenn ich möchte, kann ich jederzeit Alkohol trinken.«
Seinen Eltern gehörte nämlich das Spirituosengeschäft »Shizuka«. Takafumi schob mit einem Finger seine Brille hoch und lächelte mild.
»Na, wenn du meinst … Dann sag ich halt nichts mehr.« Ich verzog kritisch die Augenbrauen, bevor ich weiterging. Denn auch der Rest der gut vierzig Gäste wollte mit Getränken versorgt werden.
Als irgendwann jeder eine Flasche oder Dose in der Hand hielt, atmete ich erleichtert auf. Etwa zur selben Zeit war Shin auf der anderen Seite auch fertig geworden und kam zu mir zurück.
»Hier, Minato, hab ich für dich aufgehoben.« Grinsend hielt Shin mir ein Dosenbier hin.
»Super, genau das wollte ich trinken! Du kennst mich schon echt gut, was?« Dankbar lachend griff ich nach dem Bier.
Genau in dem Moment räusperte sich Sakaki laut und rief: »Sooo, damit kann die diesjährige Kartoffeleintopf-Party des Keyaki-Einkaufsviertels wohl offiziell beginnen!«
Shin und ich drehten uns in seine Richtung und stimmten in den Beifall der anderen ein.
Für mich war der größte Teil meiner Aufgaben hiermit erledigt und ich konnte entspannt die Party genießen – dachte ich jedenfalls.
»Doch bevor wir anstoßen, kurz ein paar Worte von Akira, der letztes Jahr aus Tokyo zurückgekommen ist! Akira, wenn ich bitten darf?«
»Was, ich?!«
Ich hatte mich darauf eingestellt, dieses Jahr nur im Hintergrund mit anzupacken, und war ziemlich überrumpelt.
»Ja, du! Wer denn sonst? Na los, komm schon!«
Sakaki hielt lachend sein Dosenbier hoch. Er war in der Schule ein Jahr über mir gewesen und hatte vor Kurzem die Nachfolge in der Bäckerei seiner Eltern angetreten. Kennengelernt hatte ich ihn ebenfalls im Schwimmklub.
Zu Streichen wie diesem war er meist nur aufgelegt, wenn er Alkohol intus hatte. Dass er jetzt mit einem Bier in der Hand redete, deutete stark darauf hin, dass er zuvor beim Aufbau einen von den Jungs dazu überredet – oder wohl eher gezwungen hatte – ihm eins zu geben.
Vorwurfsvoll schaute ich zu Hayato und den anderen hinüber, die mich verlegen angrinsten und ihre Hände zu einer stillen Entschuldigung aneinander legten. Aha, sie hatten Sakaki also das Bier gegeben.
Ablehnen konnte ich die Bitte um einen Trinkspruch leider schlecht und so hob ich mit einer Mischung aus Unlust und Pflichtbewusstsein meine Bierdose in die Höhe.
»Hey, Leute! Ich bin Akira Minato aus dem Waschsalon, den ihr alle kennt und immer brav besucht, nicht wahr? Dafür ein großer Dank an dieser Stelle … Übrigens soll es nächste Woche viel regnen, also wascht und trocknet eure Wäsche gern wieder bei mir!«
Alle lachten schallend.
»Ihr hört es, der stellvertretende Leiter der jungen Leute der Händlervereinigung kann hervorragend Eigenwerbung machen! Aber sag mal, Akira, täusche ich mich oder hast du in letzter Zeit etwas zugelegt?!«, rief Sakaki.
Ich ignorierte seine freche Bemerkung und fuhr fort.
»Ich habe für einige Jahre in Tokyo gelebt, doch das Leben hat mich aus verschiedenen Gründen zurück in die Heimat geholt und ich habe vor, mich ab jetzt in der Händlervereinigung als stellvertretender Leiter der jungen Leute zu engagieren und natürlich ein guter Waschsalonbetreiber im Keyaki-Einkaufsviertel zu sein! In diesem Sinne …«
»Red nicht so lang, Akira! Wir wollen trinken!«
»Genau, du altes Waschweib!«
»Wie bitte?! Oh Mann, okay, wie ihr wollt, stoßen wir an!«, beschloss ich schnell, als vor allem die älteren Herren ungeduldig wurden. »Also, habt viel Spaß und genießt das Essen! Prost!«
»Prooost!!«
Seufzend ließ ich meine Hand sinken. Heute wollte ich Shin doch meine beste Seite präsentieren, aber das war mir jetzt überhaupt nicht gelungen. Ich verfluchte die alten Männer insgeheim und trank zur Ablenkung mein Bier. Das heißt, ich stürzte fast die ganze Dose in einem Zug herunter. Das erfrischende Prickeln und der Hefegeschmack breiteten sich wohltuend in meinem Körper aus.
»Pfuaaah, schmeckt das gut!«, rief ich erleichtert.
So ein Bier unter freiem Himmel war schon etwas Tolles. Genüsslich leckte ich mir den Bierschaum von der Lippe, als ich Shin neben mir leise kichern hörte.
»Was lachst du jetzt, Shin?« Ich funkelte ihn ein wenig böse an.
Shin lächelte jedoch und fragte zurück: »Soll ich dir echt sagen, was ich lustig fand?«
Daraufhin wandte ich verlegen den Blick ab. Ich wollte den Grund lieber nicht hören, da Shin mir wahrscheinlich bloß wieder einmal sagen würde, dass ich total süß sei oder so etwas in der Art. Das würde mein Herz nur schwer ertragen.
»Minato, hier«, hörte ich wieder Shins Stimme.
Als ich zu ihm hochschaute, hielt er mir eine Plastikschale mit Kartoffeleintopf hin, die er offensichtlich von jemandem am Kessel gereicht bekommen hatte. Ich nahm die Schale an und begann sofort, den warmen, noch dampfenden Eintopf zu essen. Zwischendurch schlürfte ich auch von der Brühe, die all die Nährstoffe aus dem Fleisch und Gemüse in sich aufgenommen hatte, und spürte, wie sie meinen Körper von innen wärmte.
»Hach, lecker …«
Auch das Essen schmeckte an der frischen Luft besser als sonst und ich fragte mich, warum das wohl so war.
»Magst du auch etwas?«, fragte ich Shin. »Probier doch mal die Reisbällchen, die ich selbst geformt habe … Und dann gibt’s da drüben noch Fleischspieße mit Lauch, frittierte Hähnchenstücke, Salat und so weiter.«
»Die Reisbällchen hast du geformt?«
Der Ton von Shins Frage ließ mich aufhorchen, während mein Finger noch erklärend auf den Campingtisch mit den Reisbällchen und weiteren Kleinigkeiten zeigte. Shin sah mich so intensiv an, dass mich sein Blick verwirrte.
»Ja, das habe ich, wieso? Glaubst du, sie schmecken nicht, weil sie von mir sind? Probier doch erst mal – einige sind mit Lachs gefüllt, einige mit Bonito-Flocken und der Rest mit Seetang.«
Die jungen Mitglieder der Händlervereinigung hatten sich heute Morgen getroffen, lange bevor Shin und die anderen Gäste gekommen waren, und hatten Reisbällchen gemacht sowie andere Vorbereitungen getroffen. Weil es allerhand zu tun gab, hatte ich letztendlich die meisten Bällchen allein geknetet. Im Kochen war ich zwar nicht besonders gut, aber Reisbällchen formen, das kriegte auch ich noch hin.
»Welche genau sind von dir?«, wollte Shin wissen. »Ich esse sie alle.«
»Das schaffst du bestimmt nicht, denn ich hab fast alle gemacht, die du siehst … Ha ha, wieso guckst du jetzt so feindselig?«
Als ich zum Auflockern der Stimmung lachte, wurde Shins Blick noch düsterer.
»Ich will nicht, dass jemand außer mir deine Reisbällchen isst«, sagte er.
Für einen Moment konnte ich nichts erwidern. Dann schaffte ich es, mich zu überwinden und noch einmal zu lachen.
»Du hast aber ganz schön viel Hunger mitgebracht, was?«
»Ich glaube, du weißt, wie ich das meine …« Shin sah mich halb böse, halb traurig an.
Tapfer hielt ich mein Grinsen aufrecht, ohne auf seine Anklage einzugehen. Ich hatte durchaus verstanden, wie er das gemeint hatte, aber das konnte ich jetzt auf keinen Fall zugeben.
Mein Herz verkrampfte sich immer etwas, wenn Shin mir gegenüber auf seine jugendliche Art, aber doch so offen, Besitzansprüche erhob. Ich bekam dadurch das Gefühl, etwas Besonderes für ihn zu sein. Das war angenehm und beängstigend zugleich. Beängstigend deshalb, weil ich es nicht zu sehr genießen wollte, es dann aber trotzdem irgendwie tat.
Ich war zurück aufs Land gezogen, nachdem meine Arbeit in der Großstadt mich ausgelaugt und ich körperliche Probleme bekommen hatte. Mit Anfang dreißig hatte ich mir somit das neue Ziel gesetzt, in meiner Heimat ein friedliches und gewöhnliches Leben zu führen. Es versprach Langeweile pur zu werden, doch nun wurde mein Herz sehr von diesem Highschool-Schüler Shintaro Katsuki aufgewühlt …
»Ich mach dir demnächst noch einmal Reisbällchen, okay?«, sagte ich.
»Echt? Das heißt, du machst dann welche nur für mich?«, rief Shin erfreut.
Ich musste wieder fast lachen, weil Shin die Aussicht auf selbstgeknetete Reisbällchen von mir so begeisterte. Seine Reaktion war echt süß. Aber wenn ich jetzt lachte, würde Shin sich noch mehr freuen, und das wäre zu viel für mich. Darum nickte ich nur.
»Ja, ich mach demnächst noch einmal Reisbällchen nur für dich. Also sag nichts mehr und iss, okay?
Ich griff nach einem Reisbällchen und reichte es Shin. Er nahm es mit einem verdrießlichen Blick und biss davon ab. Sofort entspannte sich sein Gesicht, was mich erleichterte.
»Schmeckt gut! Ich glaube, ich habe noch nie etwas Selbstgemachtes von dir gegessen. Das freut mich gerade total.«
Na ja, die Reisbällchen zu kneten, war echt nicht so schwer gewesen – das wollte ich gern erwidern und dann sagen, dass Shin bestimmt der viel bessere Koch von uns beiden war. Reisbällchen waren keine große Kunst. Aber weil Shin sich ehrlich zu freuen schien, dass sie gut schmeckten, hob das auch meine Laune und ich beschloss, nichts zu sagen.
Stattdessen aß ich weiter den Kartoffeleintopf, der mich schön wärmte, und guckte Shin verstohlen beim Essen des Reisbällchens zu. Es war ein ziemlich großes Exemplar, doch Shin verschlang es mit nur drei Bissen und streckte mir kauend seine Hand entgegen.
Da hielt ich es doch nicht mehr aus und prustete los. »Du willst noch eins, oder …?!«
Shin nickte stumm. Also nahm ich ein weiteres Reisbällchen vom Tisch und sagte: »Hier, das ist mit Seetang.«
Ich kam mir ein bisschen wie beim Füttern eines zutraulichen Tiers vor.
Shin verspeiste auch das zweite Reisbällchen mit großen Bissen. Es schien ihm wirklich zu schmecken. Bald war auch das dritte genauso schnell in seinem Magen verschwunden. Als ich Shin so sah, erinnerte ich mich daran, was ich manchmal beinahe vergaß: Dass er im Grunde ein normaler Highschool-Schüler war. Ich hatte zu seiner Zeit wohl auch genauso viel oder noch mehr gegessen und war trotzdem nie satt geworden …
»Minato, brauchst du Nachschlag?«
Shins Frage holte mich aus meinen Gedanken zurück und ich merkte, dass meine Plastikschale inzwischen leer war. Und Shin hatte schon wieder ein Reisbällchen verputzt.
»Ja, gern. Wenn wir uns schon alle hier versammelt haben, müssen wir auch viel essen, nicht wahr?«, meinte ich enthusiastisch.
Wir saßen zu zweit in der Nähe eines Tischs, an dem die älteren Männer Bier tranken und sich lautstark Witze erzählten. Shin ging zu dem großen Kessel hinüber, schöpfte mir eine neue Portion Kartoffeleintopf in die Schale und brachte sie mit einem leicht andächtigen Blick zurück.
»Pass auf, dass du dich nicht verbrennst«, meinte er, als er sie mir reichte.
»Danke«, entgegnete ich.
»Ach ja, brauchst du Salz und Pfeffer?«
»Das wäre in der Tat nicht schlecht.«
»Ich glaube, ich hab die Streuer auf einem anderen Tisch drüben gesehen. Warte, bin gleich wieder da.«
»Ah, hey …!«
Doch ehe ich Shin aufhalten konnte, hatte er sich schon lächelnd umgedreht und ging zu einem weit entfernten Tisch. Ich kratzte mich verlegen am Kopf, während ich ihm hinterherschaute. Nur wegen Salz und Pfeffer hätte er sich nicht extra auf den Weg machen müssen, aber für mich legte Shin sich immer so ins Zeug. Und ich wusste nie richtig, wie ich das finden sollte.
»Na, hier herrscht aber strenges Flirtverbot, das ist dir schon klar, oder?«
Um ein Haar hätte ich mir den heißen Kartoffeleintopf über die Beine gekippt, als direkt hinter mir Asukas witzelnde Stimme erklang. Ich drehte mich um und da stand tatsächlich der Junge, den man wohl aus jeder Entfernung sofort erkennen würde.
»Boah, Asuka! Hast du mich erschreckt«, rief ich. »Sag doch nicht ständig irgendwelche Sachen, die gar nicht stimmen!«
»Wieso Sachen, die nicht stimmen? Ich hab mich nur auf das bezogen, was ich gesehen habe, hi hi …«
»Da musst du dich aber schwer verguckt haben, du! Ich bin ein Mann Anfang dreißig und neben mir saß ein Schüler!«
Ja, genau so war es. Aus diesem Grund durfte ich mir auch nicht ausmalen, in irgendeine Art von Verhältnis mit Shin zu treten.
»Das mag sein, aber was wäre, wenn du auch noch zur Highschool gingest? Würdest du dann etwas mit Katsuki anfangen?« Asuka verzog seinen Mund zu einem frechen Grinsen, während er einen Fleischspieß mit Lauch von dem großen Teller auf dem Tisch nahm.
Für eine Sekunde tauchten vor meinem inneren Auge Shin und ich in Highschool-Uniformen auf. Wir standen nebeneinander und lachten fröhlich, als seien wir beste Freunde. Doch dieses Bild vertrieb ich schnell aus meinem Kopf. Meine Highschool-Zeit lag schon über zehn Jahre zurück. Es brachte also nichts, mich auf Asukas Gedankenspielchen einzulassen, das er sowieso nicht ernst gemeint hatte.
»Red keinen Unsinn und iss lieber ordentlich. Wehe, du lässt wieder nur den Lauch übrig, ist das klar?«
»Waaaas? Aber du weißt doch, dass ich keinen Lauch mag!«
»Genau darum sollst du ihn essen. Oder nimm dir halt keinen Spieß, an dem Lauch dran ist.«
»Aber die sind doch alle mit Lauch! Und ich will das leckere Fleisch essen!«
»Du könntest dich nur von Fleisch ernähren, was? Das ist nicht gut.«
»Ach, komm, Akira! Iss doch wie immer den Lauch für mich, bitte. Du bist jetzt schon Anfang dreißig, da musst du auch Gemüse essen!«
Asuka schnappte sich einen leeren Pappteller, streifte geschickt den Lauch vom Spieß und hielt ihn mir grinsend hin.
»Dann habe ich wohl keine andere Wahl …« Seufzend ergab ich mich.
Asuka kannte mich einfach zu gut. Ich hatte mit ihm schon gespielt und die Rolle eines großen Bruders übernommen, seit er ganz klein gewesen war. Also brummte ich jetzt nur wie üblich, dass er beim nächsten Mal auch den Lauch essen solle, und ließ alle Lauchstücke auf einmal vom Teller in meinen Mund gleiten. Der arme Lauch, der verschmäht worden war – ich hatte richtig Mitleid mit ihm. Dabei war er doch so lecker. In Gedanken entschuldigte ich mich beim Lauch für Asukas Verhalten.
»Danke, Akira, ich liebe dich! Heiratest du mich bitte?«
»Was? Nur weil ich immer deinen Lauch esse? Hast du sonst keine Ansprüche, oder wie?«
»Doch, ich mein’s ernst! Möchtest du ab jetzt immer den Lauch für mich essen?!« Asuka griff nach einem neuen Fleischspieß und streckte ihn mir theatralisch entgegen. Ich fühlte mich an eine gewisse TV-Show erinnert, in der für einen Kandidaten eine Heiratspartnerin gesucht wurde und er seiner Angebeteten auf genau diese Weise eine Rose hinhielt, um ihr einen Antrag zu machen.
»Nein, so kriegst du ganz sicher kein Jawort von mir … Da musst du schon überzeugender sein!« Ich lachte abwehrend und klaute Asuka geschickt den Fleischspieß aus der Hand. Sofort begann ich, ihn zu essen – er war echt lecker, sowohl das Hühnerfleisch als auch der in süße Sojasoße getränkte Lauch.
Asukas Abneigung gegen Lauch war natürlich etwas, das mich störte, aber gerade war ich froh, dass wir erfolgreich das Thema gewechselt hatten. Asuka sollte mir bloß mit seinen komischen Ideen fernbleiben.
Nichtsahnend hob ich den Kopf – und blickte direkt in das finstere Gesicht eines jungen Highschool-Schülers, der hinter Asuka aufgetaucht war und nun so aussah, als wolle er ihn niederschlagen.
»Sh… Shin! Ach ja … Konntest du Salz und Pfeffer holen?«
Er zeigte mir stumm die Streuer mit den Gewürzen. Ich verstand nicht, warum, aber irgendwie sah Shin schrecklich wütend aus. Das bemerkte auch Asuka.
»Okay, ich geh dann mal zu Hayato und den anderen rüber«, meinte er und verzog sich rasch.
Ich sah ihm kopfschüttelnd nach, als er zum Nachbartisch ging und dort eifrig mit Hayato und den anderen zu reden begann. Asuka war ein Meister darin, die Stimmung aufzuwühlen und wieder zu verschwinden, sobald es brenzlig wurde.
Aber jetzt musste ich erst einmal dafür sorgen, dass Shin nicht auch noch etwas Komisches sagte.
»Shin … Danke, dass du Salz und Pfeffer geholt hast! Das hat mir echt gefehlt … Ha ha, es schadet sicher auch nicht, ein wenig die Fleischspieße damit zu würzen, nicht wahr? Hier, probier doch mal …«
»Hat er dir gerade einen Antrag gemacht?«
»H… Hä, was?!«
»Ich hoffe sehr, dass du ihn nicht heiratest. Nicht Hanabusa.«
Shin sah mich weiterhin düster, aber irgendwie auch recht tiefgründig an und ich spürte, wie mein Gesicht rot anlief.