Mira reicht's - Alexa Hennig von Lange - E-Book

Mira reicht's E-Book

Alexa Hennig von Lange

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Beschreibung

«Jeden Samstag besuche ich meinen Papa zu Hause. Mit dem war Mama zusammen, als sie zwanzig war. Kurz nachdem ich auf die Welt gekommen bin, hat er uns allerdings im Stich gelassen, weil er sich zu jung für unsere Familie gefühlt hat.» Inzwischen ist Miras Mama mit Jan verheiratet. Ihn mag Mira mindestens so gerne wie ihren echten Papa. Nur blöd, dass sich die beiden überhaupt nicht verstehen. Ständig gibt es Streit – und zwar immer wegen ihr. Als Mira wieder einmal das Gefühl hat, zwischen den Erwachsenen vermitteln zu müssen, hat sie die Nase voll ... Ebenso einfühlsam und liebenswert wie komisch wird hier vom turbulenten Alltag einer Patchwork-Familie aus der Sicht einer 11-Jährigen erzählt.

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Seitenzahl: 149

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Alexa Hennig von Lange

Mira reicht’s

Ihr Verlagsname

Mit Illustrationen von Julia Kaergel

Über dieses Buch

«Jeden Samstag besuche ich meinen Papa zu Hause. Mit dem war Mama zusammen, als sie zwanzig war. Kurz nachdem ich auf die Welt gekommen bin, hat er uns allerdings im Stich gelassen, weil er sich zu jung für unsere Familie gefühlt hat.»

Inzwischen ist Miras Mama mit Jan verheiratet. Ihn mag Mira mindestens so gerne wie ihren echten Papa. Nur blöd, dass sich die beiden überhaupt nicht verstehen. Ständig gibt es Streit – und zwar immer wegen ihr. Als Mira wieder einmal das Gefühl hat, zwischen den Erwachsenen vermitteln zu müssen, hat sie die Nase voll ...

 

Ebenso einfühlsam und liebenswert wie komisch wird hier vom turbulenten Alltag einer Patchwork-Familie aus der Sicht einer 11-Jährigen erzählt.

Über Alexa Hennig von Lange

Alexa Hennig von Lange, 1973 in Hannover geboren, hat bereits mit acht Jahren Geschichten geschrieben. Mit 13 Jahren verfasste sie erste Kurzgeschichten, mit einer davon gewann sie einen Schreibwettbewerb des NDR. Inzwischen hat Alexa Hennig von Lange mehrere Romane veröffentlicht, darunter «Ich habe einfach Glück», ausgezeichnet mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2002.

 

Mehr von und mit der Autorin unter www.alexahennigvonlange.de

Inhaltsübersicht

Mira reicht’s1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel

Mira reicht’s

1

Jeden Samstag besuche ich meinen Papa zu Hause. Mit dem war Mama zusammen, als sie zwanzig war. Kurz nachdem ich auf die Welt gekommen bin, hat er uns allerdings im Stich gelassen, weil er sich zu jung für unsere Familie gefühlt hat. Mama fand das ziemlich schade, und sie hat zu ihm gesagt: «Leo, sei vernünftig! Dein Kind braucht einen Vater.» Da hat er es sich noch einmal anders überlegt und ist zu uns zurückgekehrt. Aber schon nach ein paar Tagen fand er sich wieder zu jung für das Ganze, und irgendwann war Mama so enttäuscht von ihm, dass sie ihn nicht mehr riechen konnte. «Mir ist richtig übel geworden, wenn Leo zur Tür reingekommen ist», hat Mama mir mal erklärt. Das war für sie das Zeichen, dass aus uns niemals eine Familie werden würde. Sie sagt:

«Papa war eben selbst noch ein Kind.»

«Wieso? Wie alt war er denn?»

«Fünfundzwanzig.»

«Aber da ist man doch kein Kind mehr.»

«Da hast du Recht.»

«Ist er noch zur Schule gegangen? Oder was meinst du?»

«Nein. Er dachte, eine Familie zerstört sein Leben.»

Jetzt hat Papa eine Hot-Dog-Bude, und vielleicht ist er damit glücklicher. Auf jeden Fall hat er viel zu tun, und darum sagt er manchmal meinen Besuch ab: «Tut mir Leid, Schnecke. Aber ich muss noch zum Großmarkt, Würstchen besorgen.» Ich mag Papa sehr gerne, auch wenn er «unreif» ist, wie Jan behauptet.

Jan haben wir vor acht Jahren im Baumarkt an der Kasse kennen gelernt. Er stand vor uns in der Schlange, und Mama ist ihm aus Versehen mit dem Einkaufswagen hinten reingefahren. Bums! Da hat er sich zu uns umgedreht und gemeint: «Wir sollten uns kennen lernen.» Einfach so. «Wir sollten uns kennen lernen.» Seitdem behaupten Mama und Jan: «Es war Liebe auf den ersten Blick.» Dabei bekommen sie immer ganz feierliche Gesichter, und mit genau diesem feierlichen Gesichtsausdruck ist Jan damals bei uns eingezogen. Jetzt sind wir eine richtige Familie, weil auch noch mein kleiner Bruder Alfred dazugekommen ist. Der ist vielleicht niedlich! Er lacht den ganzen Tag, und er riecht so gut.

Das Problem ist nur, dass sich Jan und Papa überhaupt nicht leiden können. Papa sagt: «Jan hält sich für was Besseres!» Und Jan sagt: «Leo zieht sich wie ein Clown an!» Es stimmt schon, Papa hat seinen ganz eigenen Kleidergeschmack. Als ich einmal bei ihm war, hat er plötzlich von all seinen T-Shirts die Ärmel abgeschnitten und sich einen davon als Stirnband auf den Kopf gesetzt. Ich habe ihn gefragt, warum er das macht. Da hat er gesagt: «Ich bin eben ein Freak.»

 

Diesen Samstag besuche ich Papa, und Jan bringt mich mit dem Auto hin. Weil Mama nicht dabei ist, darf ich neben ihm auf dem Beifahrersitz sitzen. Wenn es nach Mama ginge, würde ich immer noch in so einer dämlichen Kinderschale auf dem Rücksitz klemmen. So wie Alfred. Sie hat nämlich Angst beim Autofahren, und wenn wir doch mal gemeinsam eine Autofahrt unternehmen, quetscht sie sich zwischen Alfred und mich auf den Rücksitz. Vorne ist es Mama zu gefährlich. Sie sagt: «Da muss nur einer reinfahren. Schon sind meine Beine ab!» Aber Jan meint: «Nicht jeder verliert seine Beine, nur weil er im Auto sitzt.» Ich finde, er hat Recht, und darum sitze ich sehr gerne vorne. Ich gucke raus, wir reden über dies und das, und dann frage ich:

«Was ist ein Freak?»

«So einer wie dein Vater.»

«Aha.»

«Warum?»

«Nur so.»

Vor Papas Haustür gibt mir Jan einen Kuss auf die Stirn und meint: «Viel Spaß, Herzchen!» Dann steigt er schnell wieder ins Auto und fährt davon.

Ich hätte es schöner gefunden, wenn er noch mit reingekommen wäre. Dann hätte ich ihm die Kaninchen im Garten zeigen können. Jan interessiert sich nämlich sehr für Kaninchen, weil er Biologe ist. In seinem Arbeitszimmer hat er sogar ein ausgestopftes neben seinen Aquarien im Regal stehen. Das muss Papa allerdings nicht unbedingt wissen. Ausgestopfte Tiere findet er «unmenschlich». Besonders, wenn sie im Regal stehen. Trotzdem könnte es ja sein, dass sich die beiden plötzlich gut verstehen und sich ein klein wenig anfreunden. Nur so viel, dass sie mal zwei Sätze miteinander reden, wenn sie sich sehen. Das würde ich wirklich schön finden. Und Papa auch. Er sagt immer: «Ich fänd’s toll, wenn wir mal zusammen Weihnachten feiern würden.» Aber daraus wird leider nichts, weil Jan schon nervös wird, wenn mich Papa abends nach Hause bringt und es sich bei uns im Flur neben den Schuhen gemütlich macht. Im Schneidersitz versucht er, Alfred anzulocken. Der krabbelt fröhlich im Flur rum, und bevor er zu dicht an Papa rankommt, hebt Jan ihn hoch und meint: «Es ist Zeit, ins Bett zu gehen!» Und bums, verschwinden die beiden im Kinderzimmer. Jan will nämlich nicht, dass Alfred von Papa «die Krätze» kriegt. Die «Krätze» ist was ziemlich Unangenehmes. Das hat mir Jan mal genau beim Abendbrot erklärt: «Das sind so kleine Tiere, die sich Tunnel unter der Haut graben und dort Eier legen. Außerdem sondern sie Gift ab, was zu Juckreiz führt.» Natürlich merkt Papa, dass er Alfred nicht anfassen soll, und er hat mich schon ein paar Mal darauf angesprochen. Aber ich kann ja nicht sagen: «Mama und Jan wollen nicht, dass Alfred von dir die Krätze kriegt.» Das würde ihn bestimmt sehr verletzen. Ich glaube, die Sache mit der Krätze ist sowieso nur eine Ausrede. Bei mir haben sie ja auch keine Bedenken, dass ich mich bei Papa anstecken könnte. Ich nehme viel eher an, dass sie nicht wollen, dass er sich zu wohl bei uns fühlt und denkt, dass er jetzt endlich zur Familie gehört.

2

Papa wohnt mit seiner Mitbewohnerin Vanessa und ihrem kleinen Sohn Charlie in einem sehr alten Haus, in dem es ordentlich schimmelt. Als Mama das gesehen hat, hätte sie mir am liebsten verboten, weiter hierher zu kommen. Sie sagt: «Das ist schädlich für deine Lunge!» Und kurze Zeit später hatte ich tatsächlich am ganzen Körper Ausschlag, der tüchtig gejuckt hat. Ich dachte natürlich: Ich habe die Krätze! Aber Jan hat mit der Lupe draufgeguckt und festgestellt, dass es nur ein Hautpilz war. Mama hat gemeint: «Den hat sie sich bei Leo geholt!» In allen Zimmern liegen nämlich große Matratzen und ganz viele Kissen auf dem Boden. Und auf den Matratzen liegen Papas Freunde und rauchen Zigaretten. Dazwischen toben Kinder herum, mit denen Papa gerne akrobatische Kunststücke macht. Vor den Fenstern hängen dicke Vorhänge, was Mama auch nicht so recht ist. Sie sagt: «Da muss nur mal einer seine Zigarette nicht richtig ausmachen, schon brennt das ganze Haus.» Manchmal ruft sie sogar an und fragt: «Na, seid ihr schon abgebrannt?» Wenn Papa wieder aufgelegt hat, tippt er sich mit dem Zeigefinger an die Stirn und meint, dass Mama mit ihrem «extremen Sicherheitsbedürfnis nicht mehr alle Tassen im Schrank hat».

In diesen Zimmern verbringen wir meistens den ganzen Tag. Papa probiert mit den Kindern Zirkuskunststücke, und ich gucke zu, weil ich nicht weiß, was ich sonst machen soll. Wenn bei einem Kind die Nase läuft, sagt er: «Los, wisch deinen Schnodder an meinem Ärmel ab!» Das hat er, als ich klein war, auch immer zu mir gesagt. Darum habe ich das mal bei Jan gemacht. Und er hat geschimpft: «Wer hat dir das denn beigebracht?» Ich wusste ja nicht, dass ich das nur bei Papa darf.

Mama hat mich schnell in den Arm genommen und gesagt:

«Nun brüll das Kind doch nicht so an.»

«Ja, aber sie hat ihre Nase an meinem Pullover abgewischt!»

«Mira kann ja nicht wissen, dass sie das nur bei Leo darf.»

Genau! Bei Papa darf ich sowieso eine ganze Menge mehr als zu Hause. Mama meint, das liegt daran, weil er «nie richtig erwachsen geworden ist». Wenn wir früher bei ihm im Garten gespielt haben, hat er immer gesagt: «Kinder müssen sich beim Spielen dreckig machen!» Und schon hat er mich am Arm gegriffen und sich mit mir und meiner neuen rosa Strickjacke über den Rasen gekullert. Eigentlich hatten Mama und Jan schon vorher gesagt, dass ich die besser nicht zu Papa anziehen sollte. Aber ich hatte sie doch neu und wollte sie ihm gerne zeigen. Der fand die Jacke aber «spießig». Und richtig unangenehm ist es geworden, als mich Papa mit der Dreckjacke wieder zu Hause abgeliefert hat. Jan hat uns die Tür aufgemacht und gemeint: «Das war ja zu erwarten.» Und Mama hat gestöhnt: «Mensch, Leo, die Jacke kann man nur mit der Hand waschen!» Seitdem muss ich mir bei Papa immer meine «Rumalberklamotten» anziehen. Eigentlich will ich lieber meine Sachen anbehalten. Aber damit er nicht denkt, ich mag seine nicht, mache ich mit. Papa verliert nämlich schnell mal den Boden unter den Füßen, wenn er sich abgelehnt fühlt. Er kriegt dann einen «Heulkrampf», wie Jan sagt.

 

Heute sitzen wir wieder auf den Matratzen rum. Papas Freund Oliver, Vanessa und ihr kleiner Sohn Charlie sind auch dabei. Charlie ist vier Jahre alt und wird gerade von Papa durch die Luft gewirbelt, damit sich Oliver und Vanessa ein bisschen auf den Matratzen ausruhen können. Die sind nämlich müde. Weil Papa Charlie die ganze Zeit in der Luft rumschleudert, sitze ich im Schneidersitz auf der Matratze und zupfe die kleinen Wollknödelchen von meinem «Rumalberpullover». Dabei denke ich mir, dass es schön wäre, wenn wir beide manchmal auch was alleine unternehmen würden. Ohne die anderen. Vor allen Dingen habe ich ja für heute vorgehabt, etwas mit Papa zu besprechen:

Früher gab es nämlich dort, wo ich mit meiner Familie wohne, einen Kinderbauernhof mit echten Ponys. Da bin ich jeden Tag zum Reiten hingegangen, und Mama und Jan haben gesagt, dass ich ein eigenes Pony kriege, wenn ich aufs Gymnasium komme. Die Sache war so gut wie klar, denn auf dem Kinderbauernhof war noch Platz für ein Pony. Aber dann musste der Kinderbauernhof weg, weil stattdessen ein Einkaufszentrum hingebaut wurde. Seitdem überlege ich, wo man für mich ein Pony hinstellen könnte. In der Stadt ist das gar nicht so einfach. Und gestern Abend habe ich beschlossen: Das Pony kommt in Papas Garten!

Doch wenn man mit Papa etwas besprechen will, braucht man Ruhe. Sonst kriegt der gar nicht mit, worüber man mit ihm redet. Erst hinterher, wenn man ihn nochmal auf die Angelegenheit anspricht, merkt er, dass er gar nicht weiß, worum es ging. Er sagt dann immer: «Oha! Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Hatten wir das so abgesprochen?» Das macht speziell Mama und Jan nervös, weil sie deswegen schon mal die halbe Nacht vor Papas Haus warten mussten. Der hatte nämlich vergessen, dass sie mich abholen wollten, und zusätzlich auch noch sein Handy verloren, sodass Mama und Jan uns nicht erreichen konnten. Unterdessen standen Papa und ich vor unserem Haus und haben uns gewundert, dass niemand die Tür aufmacht. Das Beknackte an der Sache war, dass wir meine Jacke bei Papa liegen gelassen hatten und ich schon ein bisschen erkältet war. Außerdem war es Winter, und hinterher hatte ich eine Lungenentzündung. Darum musste ich Weihnachten auch im Krankenhaus verbringen.

Mit der Pony-Besprechung warte ich also besser, bis Papa aufgehört hat, Charlie durch die Luft zu schleudern. Ich hoffe, er hört bald auf. Charlie heult nämlich schon: «Lass mich runter! Lass mich runter!» Aber Papa ist gut in Fahrt, und plötzlich muss sich Charlie in der Luft kreisend übergeben, was nicht so gut ist, weil wir alle was abbekommen. Die anderen stört das nicht, weil die ja schlafen. Endlich lässt Papa Charlie runter, wischt ihm mit seinem Ärmel das Gesicht ab und meint: «O Scheiße, Kumpel.»

Als Charlie sich ein bisschen beruhigt hat, fällt Papa auf, dass ich schon lange nichts mehr gesagt habe. Darum will er mich auch ein wenig rumschleudern. Er packt mich an den Armen und ruft: «Achtung, Flugzeug!» Aber ich mache mich los und sage: «Ich will nicht!» Irgendwann ist man aus dem Alter auch mal raus. Außerdem ist mir wegen des Charlie-Vorfalls schlecht, sodass ich mich ebenfalls fast übergebe. Leider zündet sich Papa auch noch eine Zigarette an, was die Sache nicht leichter macht. Am besten, ich kneife den Mund zusammen und helfe Charlie aus seinem Pullover. Als das erledigt ist, nimmt Papa mir den Pullover aus der Hand, knüllt ihn zusammen und wirft ihn raus in den Flur. Jetzt riecht es nicht mehr ganz so doll nach Erbrochenem. Das ist schon mal gut.

Papa guckt zu Vanessa rüber, die gemütlich mit Oliver in der Ecke liegt, und seufzt: «Es wäre echt toll, wenn wir alle eine große Familie sein könnten. Na ja. Aber ich passe eben nicht ins Bild. Für Mama und Jan wäre es doch am schönsten, ich würde ganz verschwinden.»

Ich weiß nicht so ganz, was ich dazu sagen soll.

Brauche ich aber auch gar nicht, weil Vanessa sich plötzlich einschaltet. Sie sagt: «Sie hat dich eben nur benutzt, um schwanger zu werden.»

Damit meint sie Mama. Ich bin ja der Meinung, dass man solche Sachen nicht vor den betroffenen Kindern ausbreitet, die können einen Schaden davon kriegen. Das sagt Mama jedenfalls. Auf der anderen Seite interessiert mich schon ein bisschen, was durch meine Geburt alles schief gelaufen ist.

Oliver interessiert das wohl auch. Der ist nämlich auf einmal hellwach, kratzt sich am Kopf und meint: «Manche Frauen sind eben so. Die benutzen dich, um schwanger zu werden, und dann schmeißen sie dich weg. Und du, Leo, du bist genau auf so eine reingefallen.»

Damit ist schon wieder Mama gemeint.

Papa seufzt und nickt, und Vanessa streichelt ihm lieb über den Rücken.

An dieser Stelle könnte ich mal sagen, wie Mama das sieht. Aber das bringt sowieso nichts. Darum gehe ich ins Bad und wasche mir ordentlich die Hände und rubble mit dem Handtuch meine Haare ab, weil da was von Charlie drinklebt. Mir ist echt schlecht, und ich würde mich gerne kurz hinsetzen, nur nicht auf den Boden! Also klappe ich den Klodeckel runter, wische ihn mit feuchtem Klopapier ab und setze mich drauf. Ich sage mir: «Tief durchatmen. Du musst nicht brechen!» Aber das bringt nichts. Also klappe ich den Klodeckel schnell wieder hoch. Meine Hände und meine Knie zittern. Mir ist ganz kalt, und irgendwie will ich wirklich gerne nach Hause. Ins Bett. Zu Mama.

 

Zum Schluss kocht Papa für alle Putenkeule mit Kartoffelbrei und Rotkohl aus dem Glas. Das gibt es jedes Mal. Leider! Putenkeule und Rotkohl aus dem Glas mag ich nämlich überhaupt nicht. Darum esse ich normalerweise auch nur den Kartoffelbrei. Aber darauf verzichte ich heute auch, weil damit ein kleines Unglück passiert ist: In der Küche von Papa ist es ziemlich eng, besonders wenn Vanessa, Oliver und Charlie auf den Stühlen und der Arbeitsfläche hocken. Darum musste Papa vorhin den Topf mit dem Kartoffelbrei auf dem Boden abstellen, und eben ist er aus Versehen reingetreten. Er hatte ganz viel Kartoffelbrei an seinem Fuß. Die anderen stört das nicht. Die teilen sich den Rest vom Kartoffelbrei und sind froh, dass ich keinen will. Die sagen: «Umso besser. Dann ist mehr für uns da.»

3

Nach dem Essen fährt mich Papa mit seinem Lieferwagen, der ein riesiges Würstchen auf dem Dach hat, nach Hause. Ich sitze auf der Rückbank zwischen großen Ketchupflaschen, sauren Gurken und Tüten voller Hot-Dog-Brötchen.

Papa zündet sich eine Zigarette an und meint: «Du bist so still, Schnecke. Was ist los?»

Ich weiß nicht, was ich sagen soll, außer, dass Mama es nicht mag, wenn er mich im Wagen voll raucht. Aber das behalte ich für mich, weil Papa das ziemlich egal ist. Der sagt hinterher nur wieder: «Deine Mutter ist eine Spießerin.» Früher dachte ich immer, das ist eine Frau, die den ganzen Tag mit Spießen rumrennt und andere Leute aufspießt. Aber weil Mama nie mit Spießen rumrennt, habe ich Papa mal gefragt, was eine Spießerin ist. Der hat gesagt:

«Frag mich was Leichteres.»

«Aber du sagst doch immer, dass Mama eine Spießerin ist.»

«Na ja, das ist eben jemand, der alles verbietet, was Spaß macht.»