Miss Bayles und die Nacht der Toten - Ein Fall für China Bayles 2 - Susan Wittig Albert - E-Book
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Miss Bayles und die Nacht der Toten - Ein Fall für China Bayles 2 E-Book

Susan Wittig Albert

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Beschreibung

Hier ist doch etwas faul im Staate Texas? Der humorvolle Krimi »Miss Bayles und die Nacht der Toten« von Susan Wittig Albert als eBook bei dotbooks. Natürlich, an Halloween soll man sich gruseln. Aber jetzt treibt es jemand wirklich zu wild – und versetzt mit seinen makabren Streichen die beschauliche Kleinstadt Pecan Springs in Angst und Schrecken … Miss Bayles hat sich eigentlich geschworen, nie wieder auf eigene Faust zu ermitteln – doch als in der Halloweennacht dann tatsächlich ein Toter gefunden wird, kann die Ex-Staranwältin sich nicht mehr zurückhalten. Die örtlichen Sheriffs stellen sich in diesem Mordfall – selbst für ihre bekannten unterdurchschnittlichen Verhältnisse – wirklich selten dämlich an. Als die Polizei dann auch noch Miss Bayles' beste Freundin Ruby als Hauptverdächtige präsentiert, platzt der Amateur-Ermittlerin endgültig der Kragen: Sie wird Rubys Unschuld beweisen, koste es, was es wolle … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Cosy-Krimi »Miss Bayles und die Nacht der Toten« ist der zweite Band zur amerikanischen Erfolgsserie von Susan Wittig Albert, die Fans von Laura Childs und M.C. Beaton begeistern wird. Alle Bücher können unabhängig voneinander gelesen werden. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 436

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Über dieses Buch:

Natürlich, an Halloween soll man sich gruseln. Aber jetzt treibt es jemand wirklich zu wild – und versetzt mit seinen makabren Streichen die beschauliche Kleinstadt Pecan Springs in Angst und Schrecken … Miss Bayles hat sich eigentlich geschworen, nie wieder auf eigene Faust zu ermitteln – doch als in der Halloweennacht dann tatsächlich ein Toter gefunden wird, kann die Ex-Staranwältin sich nicht mehr zurückhalten. Die örtlichen Sheriffs stellen sich in diesem Mordfall – selbst für ihre bekannten unterdurchschnittlichen Verhältnisse – wirklich selten dämlich an. Als die Polizei dann auch noch Miss Bayles' beste Freundin Ruby als Hauptverdächtige präsentiert, platzt der Amateur-Ermittlerin endgültig der Kragen: Sie wird Rubys Unschuld beweisen, koste es, was es wolle …

Über die Autorin:

Susan Wittig Albert wuchs in dem kleinen Städchen Bismarck, Illinois auf und zog zum Studium nach Berkeley, Kalifornien. Nach einigen Jahren Lehrtätigkeit als Englischprofessorin in New Orleans und Austin konzentrierte sie sich komplett auf das Schreiben ihrer Romane. Susan Wittig Albert erreicht mit ihren Büchern regelmäßig die New York Times-Bestsellerlisten.

Bei dotbooks erscheinen die folgenden Romane aus ihrer Cosy-Krimi-Reihe »Ein Fall für China Bayles«:

»Miss Bayles und die tote Nachbarin«

»Miss Bayles und die Nacht der Toten«

»Miss Bayles und der Mord am Professor«

»Miss Bayles und die üblichen Verdächtigen«

***

eBook-Neuausgabe April 2021

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1993 unter dem Originaltitel »Witches’ Bane« bei Charles Scribner’s Sons, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1995 unter dem Titel »Hexengeflüster« bei Droemer Knaur.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1993 by Susan Wittig Albert

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1995 Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / Rob Hainer / GoodStudio / jax10289

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (CG)

ISBN 978-3-96655-448-0

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Susan Wittig Albert

Miss Bayles und die Nacht der Toten

Kriminalroman – Ein Fall für China Bayles

Aus dem Amerikanischen von Sibylle Schmidt

dotbooks.

Anmerkung der Autorin

Diese Romanreihe spielt in der fiktiven texanischen Stadt Pecan Springs; auch Elemente wie die Central Texas State University und der Pecan River sind erfunden. Leser, die mit dem Hill Country in Mitteltexas vertraut sind, mögen bitte Pecan Springs nicht mit realen Städten wie San Marcos, New Braunfels oder Fredericksburg gleichsetzen. (Diese Orte tauchen ab und zu im Buch auf und sind dann auch gemeint.) Die Figuren und Ereignisse in diesen Büchern wurden von der Autorin zum Vergnügen der Leser geschaffen; Ähnlichkeiten mit wirklichen Menschen oder Begebenheiten sind nicht beabsichtigt.

Kapitel 1

»Manchmal glaube ich fast, du hast recht, China.« McQuaid ging in die Hocke und betrachtete zufrieden den steinernen Brunnen im Garten vor meinem Kräuterladen, den er gerade angeschlossen hatte.

»Womit?« Ich kniete, eine kleine Schaufel in der Hand, hinter dem Brunnen und setzte einen Rosmarinstrauch um.

»Daß Pecan Springs gar nicht so übel ist. Vielleicht sollte ich doch herziehen.«

»Ha, das glaube ich erst, wenn ich’s sehe.«

Ich stand auf und atmete tief die frische Morgenluft ein. Es war Montag, mein freier Tag, und die warme, dunstig goldene Oktobersonne schien auf die silbrigen Hügel von Beifuß und Eselsohren, die ich rund um den neuen Brunnen gepflanzt hatte. Hinter mir befand sich THYME AND SEASONS, mein Kräuterladen. Vor vier Jahren habe ich der Anwaltskanzlei in Houston, für die ich anderthalb Jahrzehnte als Strafverteidigerin gearbeitet habe, den Rücken gekehrt, mir meine Rente auszahlen lassen und mich auf die Suche nach einer Kleinstadt gemacht. Zwischen Austin und San Antonio bin ich fündig geworden, habe ein zauberhaftes uraltes zweistöckiges Haus mit zwei Läden und Wohnräumen gekauft und bin ins Geschäft eingestiegen. Es ist eine Herzensentscheidung. Ich habe vor zu bleiben.

Das Problem ist nur, daß Mike McQuaid auch eine Herzenssache für mich ist, und ich glaube, ihm geht es ähnlich. Wie viele Männer würden schon freiwillig ein Wochenende auf ihre Steckenpferde verzichten, um einen Brunnen zu installieren? Aber schließlich sind wir keine Kinder, die meinen, alles haben zu können, was sie sehen. Wir sind Erwachsene. Wir müssen das Leben des anderen akzeptieren, und ein zentraler Bestandteil von McQuaid ist seine Karriere, die ihm sehr am Herzen liegt. Früher war er bei der Kriminalpolizei; heute ist er Assistenzprofessor für Strafrecht an der Central Texas State University – ein großer, dunkelhaariger, attraktiver, beinahe schöner Excop mit graublauen Augen, einer gezackten weißen Narbe auf der Stirn und einer Nase, die öfter gebrochen wurde, als sie es verdient. McQuaid ist klug und ehrgeizig und hat vierzehn Jahre Berufserfahrung bei der Polizei, hervorragende Zeugnisse und zwei Jahre Erfahrung im Lehrberuf vorzuweisen. Er ist achtunddreißig und auf dem besten Weg, die Karriereleiter emporzuklettern, einen Superposten zu ergattern und als Professor in einem ambitionierten Fachbereich für Strafrecht an der Universität einer Großstadt zu lehren. Außerdem ist er alleinerziehender Vater.

Und da ist der Haken. Ich bin vierundvierzig und habe mich noch nie darauf eingelassen, mit einem Liebhaber zusammenzuleben – von einem Liebhaber samt Kind ganz zu schweigen. Ich habe es gern ruhig und brauche viel Platz für mich alleine. Ich fühle mich wohl mit meinem kleinen Kräuterladen und meinem kleinen Leben in dieser kleinen Stadt. Deshalb mache ich immer dicht, wenn McQuaid von längerfristigen Plänen spricht. Ich bleibe emotional auf Abstand.

McQuaid streckte die Hände in den Brunnen, um sich die Erde abzuwaschen. »Tja, ich muß zugeben, daß das ruhige Leben was für sich hat – wenn es einem nichts ausmacht, sich ab und an zu langweilen.«

»Wer langweilt sich denn?« fragte ich. Ich bin ausgestiegen, weil ich das hysterische Getue, den Dauerstreß, den ewigen Druck nicht mehr aushalten wollte. Aber McQuaid wird den Großstadt-Cop nicht los. Je mehr Action, desto besser. »Ich«, sagte McQuaid mit einem lüsternen Grinsen. »Aber das läßt sich ändern.« Er packte mich und tastete mit naßkalten Händen unter meinem T-Shirt herum.

Ich gab ihm einen Klaps mit der Schaufel. »Beherrsch dich, McQuaid! Das ist eine Hauptstraße hier. Die Leute gucken.«

»Gut. Verkaufen wir Eintrittskarten.« McQuaid drückte mir die Arme auf den Rücken und gab mir einen genüßlichen, fordernden und sehr befriedigenden Kuß.

»Einen Zehner würde ich dafür hinlegen«, sagte eine Stimme bewundernd.

Sie gehörte zu Ruby Wilcox, meiner Mieterin und besten Freundin. Sie hat den einzigen New-Age-Laden von Pecan Springs, die CRYSTAL CAVE. Er ist in dem anderen Geschäft in meinem Haus untergebracht. Ruby ist – mit flachen Schuhen – einsdreiundachtzig groß, hat rotes Haar, Sommersprossen und ist meistens aufgemacht wie Cher in einer Las-Vegas-Show, aber mit ihrer Figur und ihrem Charme kann sie sich das leisten. Sie hat montags auch frei, weshalb sie etwas weniger glamourös zurechtgemacht war – sie trug ein blaugraues Sweatshirt mit breiten Schulterpolstern und knielange, hautenge weiße Leggings, eine Aufmachung, in der sie aussah wie ein Footballspieler.

McQuaid ließ mich los und grinste Ruby an. »Es wird Zeit für mich. Um eins hab ich ein Seminar, und ich muß noch die Arbeiten zensieren.«

»Heiz ihnen tüchtig ein, McQuaid«, sagte Ruby. Als er in seinen alten blauen Ford-Pickup stieg, beäugte sie kritisch den neuen Brunnen. »Hübsch«, meinte sie. »Aber findest du nicht, daß noch was fehlt? Lilien vielleicht? Oder ein steinerner Frosch?«

»Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut, Ruby. Er muß erst ein bißchen bemoost sein.«

Constance Letterman näherte sich auf dem Gehweg. »Ist das Ihr neuer Brunnen?« fragte sie. Constance ist klein und rundlich und hat den Kopf voller Löckchen, die sie sich in Bobby Raes Schönheitssalon machen läßt, wo es die Dauerwelle mittwochs zum halben Preis gibt. Sie war in einen leuchtend orange-gelb karierten Hosenanzug gezwängt und ähnelte stark einem Topfreiniger. Sie nahm den Brunnen in Augenschein. »Sieht irgendwie leer aus.«

»Das hab ich auch gerade bemängelt. Da müssen noch Lilien und ein steinerner Frosch hin«, wiederholte Ruby. Constance blickte Ruby an. »Ich sag’s Ihnen ungern, Ruby, aber Arnold will die Anzeige für Ihren Wahrsagekurs nicht bringen. Er meint, das sei ein schlechter Zeitpunkt für so was, weil die Leute jetzt wegen dieses Satanismuszeugs so aufgeregt sind.«

Constance ist Klatschtante und bauernschlaue Lebensphilosophin zugleich, und sie ist immer auf seiten der Mehrheit. Sie verfaßt die »Nachrichten vom Tage« in der Lokalzeitung Enterprise, die ihrem Cousin, Arnold Seidensticker, gehört. Ich glaube, die Leute lesen die Kolumne nur, um ihren Namen gedruckt zu sehen. Unter den fünfzehntausend Einwohnern von Pecan Springs verbreiten sich Neuigkeiten von selbst. Bis ein Thema in den »Nachrichten« auftaucht, weiß man in der DOUGHNUT QUEEN, in LILLIE’S PLACE und der Hälfte aller Kirchen Bescheid darüber. Alle, die es interessiert, wissen davon, sowie einige, die es nicht interessiert.

»Es ist kein Wahrsagekurs«, entgegnete Ruby. »Es ist ein Tarotkurs. Und mit Satanistensekten hat das gar nichts zu tun.«

»Das wissen Sie und ich vielleicht auch«, sagte Constance bedächtig, »aber von den Zeitungslesern wissen es eben viele nicht. Es ist nur zu Ihrem Besten, Ruby. Wenn die Leute anfangen, sich einzubilden, daß Sie eine Hexe sind, könnten Sie ganz schön in Schwierigkeiten kommen.«

»Heutzutage werden keine Hexen mehr verbrannt«, erklärte ich. »Das ist gesetzeswidrig.«

Constance verschränkte die Arme vor der Brust. »Es geht hier nicht um Verbrennen.« Ruby stöhnte, und ich zog den Kopf ein. Constance schien es nicht zu bemerken. »Und das Gesetz steht auch nicht zur Debatte. Die Leute in Pecan Springs können Hexen einfach nicht leiden, vor allem zur Zeit nicht, da das Geschworenengericht den alten Ellis-Fall untersucht und, Gott weiß was, ausbuddelt.«

Constance meinte den mysteriösen Tod von Ralph Ellis, einem Sechzehnjährigen, dessen Leiche man vor vier Jahren an einem Baum draußen an der Cotton Gin Road gefunden hatte. Da es keine Zeugen gab und jemand von der Schule ausgesagt hatte, daß Ralph von seiner Freundin verlassen worden war, war man von Selbstmord ausgegangen. Aber damit war der Fall nicht abgeschlossen. Gerüchte, eines schrecklicher als das andere, begannen die Runde zu machen. Es hieß, der Junge sei von dreizehn Teufelsanbetern ermordet worden. Außerdem sei er nicht das einzige Opfer gewesen. Der Fremde, den man im Jahr zuvor unter der Brücke gefunden hatte, Leota Rainey, die aus dem Pflegeheim verschwunden und im Straßengraben geendet war – jeder ungeklärte Todesfall der vergangenen zehn Jahre, jeder Fall von Friedhofsschändung, jede Gestalt, die um Mitternacht im Dunkeln gesichtet wurde, mußte etwas mit geheimen Hexen- und Teufelszirkeln zu tun haben, die Pecan Springs ins Verderben treiben wollten.

Das Geschworenengericht schaltete sich ein, als Leota Raineys Tochter (von Leotas Cousin aufgescheucht, der abwechselnd in Bobby Raes Schönheitssalon als Mechaniker und in Watsons Beerdigungsinstitut als Kosmetiker arbeitet) behauptete, die merkwürdigen Kratzspuren auf der Stirn ihrer Mutter sähen genauso aus wie die Kratzer auf der Stirn des Durchreisenden und den Armen vom jungen Ellis. Sie verlangte eine Untersuchung. Bubba Harris, der Polizeichef von Pecan Springs, rollte widerwillig alle drei Fälle erneut auf und legte dem Geschworenengericht die Resultate vor. Niemand wußte Einzelheiten, aber es ging das Gerücht um, daß man Leota und den Durchreisenden ausgraben wolle. Die ganze Chose führte zu dem Ergebnis, daß die Leute nervös nach einer wild gewordenen Satanssekte Ausschau hielten, die nach ihren Kindern griff und alten Damen auflauerte.

»Ich bin keine Hexe«, sagte Ruby nachdrücklich.

Constance gab eine Art grunzendes Schnauben von sich. »Es spielt keine Rolle, ob Sie eine sind oder nicht. Entscheidend ist, ob die Leute glauben, daß Sie eine sind.«

Ich war geneigt, das Thema fallenzulassen, aber Rubys Temperament ist so lodernd wie ihr rotes Haar, und sie kam allmählich in Fahrt. »Sie liegen völlig daneben, Constance«, sagte sie aufgebracht. »Wir leben in den Neunzigern, um Himmels willen. Es regt sich doch niemand mehr über eine Lappalie wie einen Tarotkurs auf. Ich verzaubere weder Kinder, noch führe ich Schlangentänze auf.«

Constance schauderte. »Sagen Sie doch so was nicht, Ruby. Sie müssen vorsichtiger sein. Man weiß nie, wer mithört.«

Sie warf einen nervösen Blick zum Nachbargrundstück. Vida Plunkett, meine Nachbarin, stritt sich mit Duane Redmond, der Besitzerin des Reinigungssalons DUANE’S DRY CLEANERS, darüber, ob die Stadt die Crockett Street zur Einbahnstraße machen sollte. Duane vertrat die Meinung, daß Einbahnstraßen die Touristen entnervten. Vida, eine scharfzüngige, argwöhnische Frau, die beinahe jeden haßt, hielt schroff dagegen, daß man schließlich irgend etwas unternehmen müßte wegen des Verkehrs, egal was, und daß es einerlei sei wegen der Touristen, weil siebzig Prozent sowieso entnervt seien und zwanzig Prozent wegblieben, es also nicht mehr darauf ankäme. Über so etwas streiten sich die Leute hier gern. Pecan Springs, am Rande des Hill Country, lebt gut von den Touristen, und die meisten Leute (inklusive mir) verzichten bereitwillig auf ein oder zwei Vorteile, wenn dafür die Touristen bei Laune bleiben. Vida braucht die Touristen nicht. Ihr gehört der Waschsalon an der Houston Street.

Rubys Augen (die eigentlich braun sind, an diesem Tag jedoch dank farbiger Kontaktlinsen grün schimmerten) verengten sich bei dieser Bemerkung. »Soweit ich weiß, Constance, ist Texas ein freies Land.« Sie wandte sich Unterstützung fordernd an mich. »Es gibt doch kein Gesetz, das Tarot verbietet, oder China?«

Leute, die wissen, daß ich früher Anwältin war, stellen mir die seltsamsten juristischen Fragen – von denen ich nur einige beantworten kann. Die Firma, für die ich arbeitete, war auf dicke Fische spezialisiert: Firmenchefs, die sich aus der Kasse bedienten, Börsenmakler, die mit Insider-Informationen Geschäfte machten, Drogenbosse. Alle Schaltjahr bekam ich einen Fall, an dem mir etwas lag, aber wohler war mir deshalb nicht. Ich hätte zu einer anderen Firma wechseln, mich selbständig machen oder mein Fachgebiet ändern können, aber als ich soweit war, hatte ich den Glauben daran verloren, daß die Justiz für Gerechtigkeit zu sorgen vermag. Ich mußte so viele Kompromisse machen, daß ich den Unterschied zwischen Gut und Böse fast nicht mehr erkennen konnte. Wenn ich noch länger geblieben wäre, hätte ich mich aufgeben müssen – zumindest alles an mir, für das ich Achtung empfinde.

Also habe ich das Weite gesucht. Kräuter faszinieren mich schon seit der Zeit, als ich mit meiner Großmutter China in ihrem Kräutergarten in New Orleans Basilikum ernten durfte. Als Kind wollte ich Botaniker werden, und als ich in Houston wohnte, stopfte ich mein winziges Gewächshaus mit Kräutern voll, las alles darüber, was ich in die Finger bekam, und stattete dem dortigen Kräuterladen wöchentlich einen Besuch ab. Es schien mir genau das richtige zu sein, die Juristerei gegen einen Kräuterladen einzutauschen, vor allem, nachdem ich THYME AND SEASONS entdeckt hatte. Ich zahle immer noch meine Beiträge an die Anwaltskammer und halte die Kontakte aufrecht, für den Fall, daß ich eines Tages wieder als Juristin arbeiten muß. Aber mein früheres Leben liegt weit hinter mir – bis mir jemand eine juristische Frage stellt. Dann erinnere ich mich daran, womit ich einst mein Geld verdient habe.

Rubys Frage war eine der leichten. »Nein«, sagte ich, »es gibt kein Gesetz, das Tarot verbietet.« Ich hob einen Topf mit Heiligenkraut hoch und pflückte ein paar von den silbrigen Blättern ab, die zerrissen waren. »Im First Amendment ist dein Recht auf freie Rede festgeschrieben.«

Ruby wandte sich wieder Constance zu. »Sehen Sie? Aber ich brauche die Anzeige in der Zeitung sowieso nicht mehr. Der Kurs ist schon voll. Er fängt morgen abend an.«

Constances Mund formte sich zu einem empörten, runden O. »Sie wollen jetzt einen Tarotkurs abhalten, da Halloween vor der Tür steht? Ruby, ich hoffe, Ihnen ist klar, daß Sie es geradezu darauf anlegen.«

Ich pflanzte das Heiligenkraut in sechzig Zentimeter Abstand neben den Rosmarin und trat zurück, um das Resultat zu betrachten. Mir war nicht klar, was Halloween mit alldem zu tun hatte, aber Ruby wirkte keineswegs eingeschüchtert. Mit einem wohlwollenden Lächeln hob sie das Kinn.

»Man lernt nur aus dem Leben, Constance. Wenn ich in Schwierigkeiten komme, ist das eine Lektion des Universums, aus der ich etwas lernen soll.« Der Spruch stammte aus Rubys New-Age-Weltauffassung. Wenn sie so daherredet, klingt sie sehr nach Zen, aber Tatsache ist, daß Ruby selten eine Lektion einfach hinnimmt.

Constance schüttelte den Kopf. »Nun, wenn das Universum loslegt, denken Sie bitte dran, daß ich Sie gewarnt habe. Es ist schwer zu sagen, was die Leute tun werden, wenn es sich herumspricht, daß Sie Hexerei lehren.«

Ruby ließ sich nicht beeindrucken. »Sollen sie machen, was sie wollen«, sagte sie mit einem Achselzucken. »Ich bin bereit.«

Constance setzte zu einer Entgegnung an, als ein klappriger Pickup am Randstein hielt und der Fahrer hupte. »Da ist Lester Kyle«, sagte sie. »Der will die Strahler für den neuen Fotografen montieren, der letzte Woche eingezogen ist.« Constance schreibt nicht nur für den Enterprise, sondern ist auch noch Besitzerin des CRAFT EMPORIUM, einem großen viktorianischen Gebäude neben THYME AND SEASONS, das man in kleine Läden und Boutiquen unterteilt hat. »Die Eröffnung ist Mittwoch morgen, gleich nach dem Bibel-Brunch bei der Bürgermeisterin.« Sie klappte die Strohtasche auf, die sie bei sich hatte, und wühlte darin herum. »Ich habe übrigens gehört, daß der Prediger beim Gottesdienst Spezialist für Satanistensekten ist. Er will den Leuten erklären, wie sie erkennen können, ob ihre Kinder an so was beteiligt sind. Und Chief Harris will über das Informationsmaterial sprechen, das er von der Regierung bekommen hat – dreißig Anhaltspunkte zum Erkennen einer Satanssekte oder so was. Falls ihr noch keine Eintrittskarten habt, kann ich euch versorgen.« Sie brachte zwei Karten zum Vorschein und hielt sie hoch.

»Danke, Constance, aber den Brunch werde ich mir wohl entgehen lassen müssen.« Ich legte keinen gesteigerten Wert darauf, siebenfünfzig loszuwerden, um meine Huevos Rancheros in Gegenwart eines Hexenjägers zu verspeisen. »Aber ich komme zur Eröffnung.«

»Wie steht’s mit Ihnen, Ruby?« fragte Constance.

»Ich hab meine Eintrittskarte schon«, sagte Ruby. »Und ich bin der Ansicht, daß man nicht für eine Hexe gehalten wird, wenn man regelmäßig am Bibel-Brunch bei der Bürgermeisterin teilnimmt.«

***

Wenn das ganze Gerede um Hexerei nicht gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich am Dienstag abend nicht an Rubys Tarotkurs teilgenommen. Ich bin nicht so verrückt auf New Age. Ich verstehe nicht viel von Symbolen, und meistens vergesse ich, daß mein Aszendent Zwilling ist und meine Steinbock-Sonne im zehnten Haus steht, bis Ruby mich daran erinnert, daß das bedeutsam ist. Ich erarbeite gern Fakten, bringe sie in eine logische Ordnung und benutze sie. Ich bin rechtshirnig, sagt Ruby, was im New Age bedeutet, daß ich zu analytisch denke. Ruby hat beschlossen, vom Universum den Auftrag erhalten zu haben, meine linke Hirnhälfte zum Leben zu erwecken.

»Ich interessiere mich wirklich nicht fürs Wahrsagen«, erklärte ich Ruby, als sie nachmittags in meiner Küche auftauchte, um mich zu ihrem Kurs zu überreden. Es ist sehr angenehm und erholsam, hinter dem Kräuterladen zu wohnen (die täglichen Kamikaze-Fahrten auf den Highways von Houston fallen weg), doch ich bekomme häufig Besuch. Wenn ich nicht im Laden bin, bin ich eben zu Hause. »Aber das ist nur eine Art, die Karten einzusetzen«, sagte Ruby. »Tarot ist ein Mittel zur Bewußtseinserweiterung. Es hilft dir, deine linearen, starren Ursache-Wirkung-Denkmuster zu durchbrechen. Es wird deinen inneren Führer stärken.«

Ich schob mich von meinem Computer weg, an dem ich gerade arbeitete, und Khat sprang von meinem Schoß herunter. Khat ist ein acht Kilo schwerer narzißtischer Siamkater, der es mir seit einem Jahr gestattet, in seinem Bett zu schlafen und ihm Hühnerleber zu servieren, die so lange gekocht sein muß, bis sie leicht rosa ist. Als er sich mir anschloß, nannte ich ihn Cat. Ruby monierte, daß ein solch prachtvolles Tier doch einen weniger schlichten Namen verdient hätte. Wir einigten uns auf Khat, ausgesprochen wie »Cat«.

Ärgerlich über die Störung, zuckte Khat mit dem Schwanz, starrte Ruby an und stolzierte dann zum Badezimmer, wo er gerne auf dem Waschbecken sitzt und sich im Spiegel betrachtet. Khat steht niemandem als Schmusekatze zur Verfügung, am wenigsten mir. Streicheln darf man ihn nur, wenn man dies genau richtig macht und die richtige Stelle findet. Andernfalls beißt er. Auf »Musch, Musch« hört er nicht.

Den Computer habe ich auf dem Küchentisch stehen, damit ich alles im Auge behalten kann, was auf dem alten grünbeigen Gasherd am Köcheln ist, den ich bei einem Garagenverkauf in Pipecreek, Texas, erstanden habe. An diesem Nachmittag waren das mehrere Dinge. Ich kochte Tomaten für Ketchup und Tee aus Rainfarnwedeln für meine Zimmerpflanzen, und im Ofen steckte ein Pfirsichkuchen. Im Moment beschäftigte ich mich mit der Gewinn- und Verlustrechnung des vergangenen Monats. Sie behagte mir gar nicht. Die Geschäfte waren in letzter Zeit etwas flau, weil die Wirtschaft darniederlag, aber wie flau sie tatsächlich waren, bemerkte ich erst jetzt. Die Endsumme war ernüchternd, ein deftiger Tiefschlag seitens der Wirklichkeit. Ich mußte mir was einfallen lassen, um den Verkauf anzukurbeln – und zwar schnell. Vielleicht einen Kurs anbieten oder diesen Bestellkatalog erarbeiten, über den ich schon länger nachdachte.

»Also«, sagte Ruby und kostete das Ketchup, »ich brauche dich jedenfalls.« Sie verdrehte verzückt die Augen. »Was hast du da bloß drin, China?«

»Zimt und Muskatblüte, unter anderem.« Ich stand auf, um nach dem Kuchen zu sehen. Als ich noch sechs Tage die Woche vierzehn Stunden täglich arbeitete, nahm ich mir kaum Zeit zum Essen, von Kochen ganz zu schweigen. Jetzt sammle ich meine Lieblingsrezepte und Kräuterteevariationen für ein Kochbuch. »Wofür brauchst du mich denn, Ruby? Ich habe keine Ahnung von Tarot.«

Ruby schnüffelte an dem Kochtopf mit dem Rainfarntee. »Was ist das hier?«

»Rainfarn, für meine Zimmerpflanzen. Die Blätter enthalten jede Menge leckeres Kalium. Nun sag schon, wofür du mich brauchst.«

Ruby setzte sich an den Tisch. »Na ja, um ehrlich zu sein, der Kurs ist noch nicht voll. Ich habe das nur behauptet, weil Constance diesen Quatsch über Hexen verzapft hat. Es wäre schön, wenn noch einer käme. Um die Gruppe zu ergänzen sozusagen.«

»Ein Lückenbüßer, meinst du.«

»So ähnlich.«

Ich öffnete den Ofen. Die Kruste war goldbraun. »Wie ist denn die magische Zahl? Dreizehn?«

»Sei nicht frech. Bis jetzt, ohne dich, sind wir zu sechst. Pam Neely ist dabei. Du kennst sie, erinnerst du dich? Sie lehrt Psychologie am College.« Die Central Texas State University am nördlichen Stadtrand von Pecan Springs hat stolze zwölftausend Studenten, aber für die Einheimischen bleibt sie »das College«. Ruby hat sechsundzwanzig von ihren vierundvierzig Lebensjahren hier verbracht und zählt damit zu den Einheimischen. Sie fing an der CTSU an, um Magister zu werden, und wurde statt dessen Ehefrau mit Haushalt. Sie und Ward ließen sich vor vier Jahren scheiden, aber da sie sich hier wohl fühlt, ist sie geblieben.

»Klar kenne ich Pam«, erwiderte ich und griff nach einem Topflappen. »Ich wußte nicht, daß sie was für Tarot übrig hat.«

»Ich habe dir doch schon erklärt, China«, sagte Ruby geduldig, »daß Tarot nichts für Spinner ist. Es ist ein komplexes Symbolsystem, das dich tief in deine nichtrationale Gedankenwelt geleitet. Menschen, die ernsthaft ihr Unbewußtes erforschen, begreifen, daß man mit Tarot die intuitiven Fähigkeiten entdecken kann.«

Ich grinste. Wenn Ruby ihre New-Age-Ansichten verteidigt, bedient sie sich gern mehrsilbiger Wörter. »Und wer ist noch dabei?«

»Judith Cohen hat sich angemeldet, und Mary Richards, Dottie Riddle und Gretel Schumaker.« Ruby legte die Stirn in Falten und zählte an den Fingern ab. »Ach ja, und Sybil Rand.«

»Sind sechs denn nicht genug?«

»Sieben wären besser. Hinterher gibt’s Nachtisch. Du könntest den Pfirsichkuchen mitbringen.« Sie sog tief die Luft ein. »Riecht wunderbar.«

Ich stellte den Kuchen auf den Tisch und wandte mich dann wieder dem Herd zu, um die Tomatensauce umzurühren. Ich fand Tarot nicht spannender als Rubys andere abgehobene Interessen, Kristalle und Runen zum Beispiel. Aber ich mochte Pam Neely, und Judith Cohen hatte immer so viel zu tun, daß man sich kaum sah. Mary Richards kannte ich nicht, doch in der CRYSTAL CAVE standen einige ihrer faszinierenden Gold-und-Silber-Schmuckstücke zum Verkauf, und ich wollte Mary immer schon kennenlernen. Ich zögerte noch, aber dann spielte Ruby ihren Trumpf aus.

»Du würdest doch nicht wegbleiben, nur weil dich jemand als Hexe bezeichnen könnte, oder?«

Kapitel 2

Ich bin nach Pecan Springs gezogen, weil mich die milde, reine Luft, die Kalksteinfelsen des Edwards-Plateaus und der liebliche Pecan River mit seinen mit Zypressen bestandenen Ufern bezauberten, der sich durch das sogenannte Hill Country schlängelt. Nach dem Smog und Lärm und der Hektik von Houston schien mir diese Gegend ein Hort der Ruhe zu sein. Aber Pecan Springs ist eine typische idyllische Kleinstadt. Wenn man einen draufmachen will, kann man mit den Nachbarn grillen oder in der GREUNE (was wie »Green« gesprochen wird) DANCE HALL, deren Tore seit 1878 geöffnet sind, ein beschauliches Tänzchen wagen. Die Menschen hier sind im Prinzip herzlich und freundlich, aber zuweilen auch engstirnig; davon kann man sich überzeugen, indem man beim BOOK NOOK reinschaut und sich die Bücher ansieht, die Madeline Martin in die Regale stellt – und die, die sie unterm Ladentisch versteckt. Constance hat recht, die Menschen hier neigen dazu, Fremden zu mißtrauen. Und das ist verständlich, wenn man sich über den Charakter von Kleinstädten im klaren ist. Sie können beengend, sogar bedrohlich wirken. Doch die Frauen, die es zu Rubys Laden und ihren Kursen zieht, sind anders. Sie haben ein differenziertes Verhältnis zu ihrer Stadt; sie fühlen sich ihr zugehörig, hinterfragen sie aber auch. Sie unterwerfen sich nicht den Konventionen im Umgang mit Menschen, da sie glauben, daß jeder verschlossene Bereiche in sich hat, die es wert sind, entdeckt zu werden. Auch mich erinnern sie daran, daß ich nicht alles über mich weiß.

Als ich mich also am Dienstag abend auf mein Fahrrad setzte und zu Rubys Kurs fuhr, geschah das mehr der Frauen als des Tarots wegen. Aber ich muß zugeben, daß der Kurs interessanter war, als ich erwartet hatte. Eine Stunde lang machten wir uns mit den Karten vertraut und legten sie in diversen Mustern. Um uns die Symbole der Sätze – Kelche, Stäbe, Schwerter und Münzen – zu erklären, zeigte uns Ruby ihre, wie sie sagte, »rituellen Werkzeuge«: einen Kristallkelch, einen Weidenzauberstab mit einer Adlerfeder, ein Ritualmesser mit Knochengriff, in dessen Klinge ihr Name eingeritzt war, und eine Tonschale voller Münzen.

Als ich Ruby bei ihrem Ritus zusah, wurde mir bewußt, daß wir hier mit etwas beschäftigt waren, das viele Leute als Hexerei bezeichnen würden – was uns wiederum in deren Augen zu Hexen machte. Dennoch faszinierte mich Rubys Theorie, nämlich daß der Umgang mit Symbolen etwas in uns anrührt, das unser gewohntes Selbst unterdrückt und verbirgt, weil es sich davon bedroht fühlt. In mir gibt es jede Menge dunkle Bereiche, und wahrscheinlich ginge es mir besser, wenn dort jemand Licht machte. Leatha – meine Mutter – verbanne ich an diese dunklen Orte. Meine Kindheitserinnerungen sind verschwommen, als ob ich sie unter Wasser sähe, aber der Zorn und die Bitterkeit, die ich als Erwachsene empfinde, sind scharf und schmerzhaft. All das Zeug, was man über gestörte Familien zu lesen kriegt? So ist meine Familie, gestört bis ins Mark. Meine Mutter war Trinkerin und mein Vater, auch Rechtsanwalt, auf einem ewigen Machttrip. Er ist aus meinem Leben verschwunden, als er vor zehn Jahren starb. Sie ist nicht daraus verschwunden. Zumindest meint sie das. Mir wäre es lieber, sie wäre es. Das liegt alles sehr im dunkeln.

Nach dem Kurs meldete sich Pam Neely zu Wort. Pam ist die erste schwarze Frau im Fachbereich Psychologie an der CTSU, was kein Zuckerschlecken ist. Aber sie hält sich bestens. Ich habe gehört, daß ihre Seminare voll sind und die akademischen Platzhirsche sich menschlich benehmen, wenn sie mit ihnen Kaffee trinkt. Sie hat auch eine eigene Praxis als Psychologin eröffnet.

»Mein Unterbewußtsein möchte mir dringend etwas mitteilen. Können wir jetzt den Nachtisch essen?«

»Es geht das Gerücht um, daß jemand einen Pfirsichkuchen mitgebracht hat«, sagte Mary Richards. Als Mary sich vorgestellt hatte, hatten wir erfahren, daß sie einen Teilzeitjob im Fachbereich Kunst an der CTSU hat und den Rest ihrer Zeit der Schmuckherstellung widmet. Sie trug einen silbernen Anhänger in Form eines alten Göttinnensymbols – eine üppige weibliche Gestalt mit einer Mondsichel im Arm.

»Ich habe den Pfirsichkuchen mitgebracht«, sagte ich. »Ruby und ich haben die Pfirsiche letzten Sommer in Fredericksburg gepflückt.« Fredericksburg, ein kleiner Ort, hundertzwanzig Kilometer entfernt im Hill Country gelegen, ist berühmt für seine Obstbäume »zum Selbsternten«.

»Dort habe ich letztes Jahr in einem Pflegeheim Stretchingkurse gegeben«, erzählte mir Judith Cohen, als wir Ruby durch den Flur zur Küche folgten. Judith ist jenseits der Fünfzig, aber ihrem schlanken, geschmeidigen Körper sieht man das nicht an – was eine gute Empfehlung für ihre Yogakurse ist. Ihr graues Haar trägt sie immer in einem Knoten, wodurch ihr Gesicht streng und wie gemeißelt wirkt. »Eigentlich habe ich Yoga unterrichtet, aber keiner hat’s gemerkt.«

»Genau«, schaltete sich Dottie Riddle ein. Dottie ist die Katzendame von Pecan Springs. Sie beherbergt Dutzende von Katzen bei sich und füttert zahllose Streuner auf dem Universitätsgelände. Sie nimmt Stunden bei Judith. »Es gibt Leute, die halten Yoga für Teufelswerk, aber wenn du es Stretching nennst, sind sie ganz wild drauf.«

In der Küche nahm Ruby einen Stapel Teller aus dem Schrank. »Du kommst sogar mit Mord davon, wenn du niemandem sagst, was du tust.«

Sybil Rand lachte kehlig. »Mit einigen Dingen kommst du nie davon, zumindest hier in der Gegend nicht.«

Sybil schaute seit einem Jahr regelmäßig beim Kräuterladen rein, aber auf Freundschaft schien sie keinen Wert zu legen. Sie verhielt sich distanziert und arrogant, als ob sie allen klarmachen wollte, daß sie anders, etwas Besonderes war. Sie war Ende Vierzig, hatte wildes schwarzes Haar, und ihre tiefliegenden Augen waren dramatisch geschminkt. Von allen Frauen aus der Gruppe wirkte sie am meisten wie jemand, der sich für das Okkulte interessiert. Sie trug schwarze Hosen, eine schwarze Bluse mit Schalkragen und eine auffallende afrikanische Kette aus Holzperlen mit Schnitzereien, Tierzähnen und polierten Knochenstücken. Ich wußte von ihr nur, daß sie im Lake Winds Resort Village wohnte – einem exklusiven, teuren Feriendorf sieben Kilometer vor der Stadt –, mit einem Mann namens C. W. Rand, dem Geschäftsführer der Anlage, verheiratet war, zu Judith eine freundschaftliche Beziehung hatte und seltsame Pflanzen sammelte. Ich fragte mich, ob ihr Interesse an den Pflanzen etwas mit ihrem Interesse an Tarot zu tun hatte.

Pam nahm sich einen Teller und steuerte auf den Küchentisch zu, auf dem die Süßspeisen warteten. Pam ist zierlich, und ihre Haut ist so braun wie sahniges Mousse au Chocolat. Ihr weicher Georgia-Akzent kaschiert ein brillantes Hirn. »Womit kommst du nicht davon, Sybil?«

Sybil blieb die Antwort einen Augenblick schuldig. Dann hob sie das Kinn und sagte mit ihrer kehligen Stimme in gelassenem, amüsiertem Tonfall: »Gift.« Das Wort fiel in den Raum wie ein Kiesel in ruhiges Wasser und breitete Wellen von Stille um sich aus. Pam zog überrascht die Augenbrauen hoch.

»Ich hab davon gehört«, sagte ich. Sybil hatte mit ihrem Garten am alljährlichen Garden-Club-Wettbewerb von Pecan Springs teilgenommen. Als die Juroren ihn sich ansahen, stellten sie entsetzt fest, daß sämtliche Pflanzen giftig waren. Ich hegte den Verdacht, daß es ihnen nicht aufgefallen wäre, wenn Sybil es ihnen nicht mitgeteilt hätte.

»Aber in der Zeitung stand doch, daß du trotzdem einen Preis bekommen hast«, meinte Gretel Schumaker. Gretel und ihre Mutter haben den Kerzenladen im GRAFT EMPORIUM, wo sie die traditionelle Kunst des Kerzenziehens und -gravierens am Leben erhalten. »Aber ich habe vergessen, für was.«

Ruby goß Kaffee in Becher. »Der originellste Garten, oder?« Sie grinste. »Ich denke, was anderes ist ihnen nicht eingefallen. Sie haben bestimmt keine Kategorie für die besten Giftpflanzen oder die tödlichste Gestaltung.«

Judith nahm sich einen Becher mit Kaffee. »Einer von der Jury sagte zu den Zeitungsleuten, sie sollten Sybil den ersten Schierlingspreis des Garden Club geben. Das sollte vermutlich ein Scherz sein.«

»Da wäre ich nicht so sicher«, erwiderte Sybil, die nicht in unserer Runde am Tisch saß, sondern auf einem Stuhl etwas abseits. Sie will es so, dachte ich. Die anderen hätten sie gern in ihre Mitte genommen, doch Sybil strahlte etwas aus, das sie davon abhielt. »Sie fühlten sich brüskiert, glaube ich; vor allem Wanda Rathbottom.«

»Du hast bestimmt keine von diesen giftigen Pflanzen bei Wanda gekauft«, sagte Gretel. »Deshalb war sie wohl sauer.« Wanda ist die Besitzerin von WANDA’S WONDERFUL ACRES, der führenden Gärtnerei am Platze. Exotisches hat sie nie auf Lager, nur einjährige Sommer- und Herbstpflanzen, mehrjährige Standardgewächse, ein paar Sträucher, den einen oder anderen Baum – Durchschnittspflanzen, die man meist phantasielos in Rabatte und Einfassungen setzt. Fast alle Gärten im Wettbewerb wurden mit Wandas Pflanzen gestaltet.

»Was pflanzt man denn in einen Giftgarten?« wollte Gretel wissen.

»Beziehungsweise«, fragte Pam neugierig, »warum?«

Ich wußte über Sybils Garten Bescheid, da ich ihr zu einigen der Pflanzen verholfen hatte. Vor einem Jahr war sie auf der Suche nach Eisenhut, einem hochgiftigen, zur Familie der Akoniten gehörigen Gewächs, zum erstenmal in den Laden gekommen. Früher steckte man Eisenhut in Fleischstücke, um damit Wölfe zu vergiften. Manchmal verzehrten ihn durch Zufall – oder eines anderen Absicht – auch Menschen. Der englische Herbalist John Gerard entwickelte im 16. Jahrhundert für solche Fälle ein Gegenmittel – angeblich überlebte man eine Eisenhutvergiftung, wenn man eine Mischung aus Olivenöl, Saft aus den Beeren des Lorbeerbaums und mehreren Dutzend toten Fliegen, die sich von Eisenhut ernährt hatten, zu sich nahm. Weil die Fliegen in solchen Fällen selten zur Hand waren, gab es kaum überlebende, die die Wirksamkeit von Gerards Gegenmittel bezeugen konnten. Eisenhut war vermutlich jahrhundertelang das begehrteste Gift, jedoch konnte das erstmals bewiesen werden, als Dr. George Lamson 1882 für schuldig befunden wurde, seinem achtzehnjährigen Schwager eine kräftige Dosis verabreicht zu haben. Die Prozeßakte liest sich spannend, da man hier erstmalig anhand von toxikologischen Untersuchungen ein Urteil fällte. Nach Lamsons Verurteilung hatten es die Giftmörder schwerer, mit dem Einsatz von Eisenhut ungeschoren davonzukommen.

Sybil hatte sich für ihren Giftgarten eine Auswahl edler Gewächse zugelegt – Oleander, Wandelröschen, Berglorbeer, Misteln, Rizinus, Wasserschierling, Weißen Stechapfel, Fingerhut, Zigadenus, Rittersporn, Tollkirsche und Rainfarn. Diese Pflanzen sind schön, aber mit Vorsicht zu genießen. Es hat Todesfälle bei Kindern gegeben, die die hübschen roten Beeren des Wandelröschens gegessen haben, denn sie enthalten ein starkes Alkaloid. Oleander, in dem sich das natürliche Arsen aus der Erde ablagert, ist so giftig, daß ein auf Oleanderholz gebratenes Würstchen tödlich sein kann. Die Tollkirsche ist ein tödlich wirkendes Nachtschattengewächs, und Zigadenus, eine lilienähnliche Pflanze, die in Texas wild am Wegrand wächst, steht ihr, was die Wirkung betrifft, in nichts nach.

Normalerweise kümmern sich die Leute nicht weiter um diese alltäglichen Gewächse. Ich wette, daß einige Mitglieder des Garden Clubs Oleander und Berglorbeer und Rittersporn in ihrem Garten haben, ohne zu wissen, daß es sich um Giftpflanzen handelt. Aber Sybil hat die tödlichen Gewächse gesammelt, weil sie giftig waren. Und sie hatte noch dazu die Kühnheit besessen, damit am Wettbewerb teilzunehmen. Ich dachte mir, daß der Symbolgehalt der Sache die sechs braven Juroren des Garden Clubs verstört und Wanda Rathbottoms aufrechte Seele empört hatte.

Die Stille hatte sich verdichtet. Sybil sah Pam direkt in die Augen. »Warum?« wiederholte sie. »Warum nicht?«

»Ich wollte damit nur zum Ausdruck bringen«, sagte Pam ungerührt, »daß es eine ungewöhnliche Zusammenstellung ist.« Sie setzte sich neben Sybil und lächelte sie an. Sybil erwiderte das Lächeln nicht.

»Giftpflanzen werden seit Jahrhunderten gesammelt«, erklärte ich. Ich schnitt mir ein Stück Brie ab und legte es zu dem Apfel auf meinem Teller. Eigentlich hätte ich lieber ein Stück von meinem Pfirsichkuchen gehabt, aber ich fühlte mich verpflichtet, ihn den anderen zu überlassen. Ich konnte mir ja einen neuen backen. »Die Klostergärten im Mittelalter hatten Massen davon; man benutzte sie meist zu medizinischen Zwecken. Digitalis, das Herzmittel, wird beispielsweise aus Fingerhut gewonnen. Und chinesische Ärzte behandeln mit Eisenhut Rheumatismus und Lungenentzündung.«

»Erzähl das mal Wanda Rathbottom«, sagte Dottie. »Ihr Mann ist Arzt. Wenn die Leute jetzt ihre eigene Medizin anpflanzen, was soll dann aus ihm werden?«

Ruby stellte eine Obstplatte auf den Tisch. »Bestimmt denkt sie, Sybil will WANDA’S WONDERFUL ACRES verhexen.«

Alle lachten, auch ich. Aber man konnte es dem Garden Club nicht verdenken, war man doch rote, weiße und blaue Petunienbeete in Form der amerikanischen Flagge gewöhnt, nicht eine Pflanzensammlung, die genug Gift enthielt, um halb Pecan Springs unter die Erde zu bringen. »Apropos Hexen«, sagte Mary, »ich gebe Samstag nacht bei mir draußen in Deadwood ein Halloween-Fest für Frauen. Ein paar von meinen Wicca-Freundinnen aus Austin sind mit von der Partie. Ihr seid alle herzlich eingeladen.«

»Wiccas?« fragte Gretel besorgt. »Du meinst, echte Hexen?«

»Das ist alles dummes Gerede«, erwiderte Mary. »Wicca ist eine Göttinnen-Religion, die angeblich aus prähistorischer Zeit stammt. Die Wiccas nennen ihre religiösen Gesänge Hexerei. Ihr Samhain, der Beginn des neuen Jahres, findet am selben Tag statt wie unser Halloween, und es ist ein großes Fest. Kommt bitte kostümiert, so verrückt wie möglich. Ruby, ich dachte, du könntest vielleicht aus den Tarotkarten lesen.«

»Gerne«, sagte Ruby. »Und China kann ein paar von ihren berühmten Duftkräutern mitbringen.«

Ruby verfügt gerne über mich. Aber in diesem Fall ging es in Ordnung. Ich war schon länger auf keiner Party mehr gewesen, und ich hatte Lust darauf. Außerdem hatte ich nichts dagegen, mir ein paar echte Wiccas anzusehen.

»Ich bring Samantha mit«, verkündete Dottie und blickte hoffnungsvoll in die Runde. »Sie ist ganz wild auf Partys.« Samantha ist Dotties Lieblingskatze, ein prachtvolles schwarzes Wesen mit grünen Augen.

»Ich bringe Belladonna mit«, erbot sich Sybil mit einem kühlen Lächeln. »Es war Bestandteil von Flugsalben.«

»He«, sagte Gretel, »du kennst dich wirklich aus, wie?«

Wenn Sybil tatsächlich Belladonna zog, mußte sie das im Haus tun. Diese Pflanze gedeiht in unserem heißen, trockenen Klima nicht. Und wenn sie sich die Mühe machte, sie im Haus zu ziehen, mußte sie in der Tat etwas für »Zauber«-Pflanzen übrig haben. Blätter und Wurzeln von Atropa belladonna enthalten Tropan-Alkaloide, genauso wie der Weiße Stechapfel und das Bilsenkraut, Nachtschattengewächse, die auf Schuttplätzen in der Stadt und an Landstraßen wachsen. Mit Belladonna erzeugte man früher bei magischen Ritualen Visionen (der altenglische Name der Pflanze lautete dwale, Wahn, Täuschung), weshalb sie im 16. Jahrhundert auch in den »Flugsalben« Verwendung fand. Julia wurde von ihrer Amme Belladonna verabreicht, um sie mit Romeo zu vereinen. Belladonna ist ein Rauschgift, und in einigen Quellen wird behauptet, daß die zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilten Hexen im Mittelalter es schluckten, um die Qualen des Feuers besser zu ertragen. Wenn Sybil mit diesem Zeug herumexperimentierte, mußte sie vorsichtig sein. Ich hatte schon von Dutzenden von Tropan-Todesfällen gelesen; 1676 zum Beispiel kamen truppenweise Soldaten zu Tode, die man nach Jamestown geschickt hatte, um Bacons Aufstand niederzuschlagen. Sie aßen Stechapfel, wurden wahnsinnig und starben. Tropan ist ein bösartiges Zeug.

»Diese Hexen fliegen nicht«, erwiderte Mary. »Es sind ›weiße Hexen‹ – gute Hexen. Nur die Schwarze Magie ist böse.«

»Ach ja?« fragte Pam trocken. »Nun, ich komme auf jeden Fall, damit mindestens eine schwarze Hexe da ist.« Sie sah Dottie an. »Vermietest du die schwarzen Katzen für den Abend?«

»Du kannst eine haben«, sagte Dottie. »Auch zwei oder drei, falls sie es gut bei dir haben. Da sind ein paar ganz tolle.«

Ruby nahm sich ein Stück von Marys Schokoladenkuchen. »Ich glaube kaum, daß die alten Jungs, die in der DOUGHNUT QUEEN rumhängen, eine weiße von einer schwarzen Hexe unterscheiden können.«

»Was wollen wir wetten?« sagte Pam und gluckste.

»Du weißt, was ich meine.« Ruby ließ sich mit ihrem Kuchen und einem Becher Kaffee auf einem Stuhl nieder. »Die sind der Meinung, eine Hexe ist eine Hexe ist eine Hexe, verzeih, Gertrude Stein. Denen machen alle Hexen angst.«

»Das ist die Geisteshaltung, die zu den Salemer Hexenprozessen geführt hat«, sagte Judith.

»Salem? Das war nur die Spitze des Eisbergs«, entgegnete Pam. »Erinnert ihr euch an die Hexenverfolgung im Mittelalter? In Deutschland gab es Städte, in denen nur noch eine Frau übrig war. Alle anderen hatten die Hexenjäger auf dem Gewissen.«

»Da fragt man sich, wer die war, die sie übrigließen, wie?« meinte Dottie. »Bestimmt hatten all diese Hexen Katzen«, fügte sie düster hinzu. »Ich wüßte gerne, was sie mit den ...«

»Macht es euch was aus, das Thema zu wechseln?« fiel ihr Gretel ins Wort.

»Genau«, sagte Ruby. »Die Zeiten sind vorbei.«

Auf Sybils Gesicht lag ein Schatten. »Seid ihr sicher?«

Ein unbehagliches Schweigen entstand, als wir an das Große Geschworenengericht und den Fall Ellis dachten. Doch gleich darauf schnatterten alle los und redeten über andere Dinge. Das Gespräch dauerte noch eine Viertelstunde, dann verabschiedete man sich voneinander. Nachdem Ruby und ich die Teller und Kaffeebecher gespült hatten, setzten wir uns hin und teilten uns das letzte Stück Pfirsichkuchen.

Ich sah mich in der Küche um, die frisch gestrichen und mit neuen Arbeitsplatten und einer neuen Spüle ausgestattet war. Ruby hatte sich sogar von der alten Neonlampe getrennt, in deren Licht man immer aussah wie eine Wasserleiche. Im letzten Jahr – genaugenommen exakt vor einem Jahr – hatte sie das Haus von Meredith Gilbert gekauft, deren Mutter Jo eine gute alte Freundin von uns gewesen war. Jo war hier ermordet worden, und ich fragte mich oft, ob Ruby vom Geist von Jos unvollendetem Leben heimgesucht wurde – sie hatte das alte Haus neu herrichten wollen. Wenn ja, dann mußte der Geist entzückt sein. Ruby hatte tapeziert und die Balken abgebeizt, die Eichenböden abgezogen und die Außenwände grau und hellblau mit korallenroten Einsprengseln gestrichen. Sie hatte das Haus mit Antiquitäten eingerichtet, von denen einige Jo gehört hatten. Jetzt war sie dabei, die »Heritage Society« von Pecan Springs dazu zu bewegen, das Haus auf die Liste der historischen Gebäude zu setzen. Ich lächelte, als ich daran dachte, daß Ruby, Kind des New Age, mit ihren Karten und Kristallkugeln und ihrem inneren Führer von alten Möbeln umgeben in diesem würdigen, betagten Haus lebte. Der Gedanke hatte etwas wunderbar Paradoxes.

Ruby lehnte sich zurück, und ihr Gesicht wurde weich. »China«, sagte sie bedeutungsvoll wie jemand, der eine wichtige Neuigkeit verkündet, »ich bin verliebt.«

»Ach, wirklich?«

Meines Wissens war Ruby seit ihrer Scheidung mindestens zweimal pro Jahr verliebt. Ihr letzter Freund arbeitete am Großrechner in der CTSU. Sie waren sechs Monate zusammen, als der Typ etwas mit einer dreiundzwanzigjährigen Blondine anfing, die für ihn tätig war. Das Mädchen war gerade zwei Jahre älter als Rubys Tochter Shannon, die dieses Jahr an der University of Texas ihr Studium begonnen hat. Ruby hatte es das Herz gebrochen, aber mittlerweile schien es geheilt zu sein.

»Diesmal ist es was Ernstes, China. Andrew«

Ich hätte es mir denken können. Andrew Drake, der Fotograf.

»Er ist wundervoll«, schwärmte Ruby. Ein sanftes, abwesendes Lächeln lag auf ihrem Gesicht, und ihr Blick war verträumt. »Ich glaube, ich habe meine verwandte Seele gefunden.«

»Ruby«, sagte ich nüchtern, »deine letzte verwandte Seele hat das Mädchen vom Computerservice geheiratet. Die davor ist zu seiner Exfrau zurück, und die davor ...«

»Ich weiß, ich weiß«, unterbrach mich Ruby. »Du mußt mir das nicht erzählen. Ich habe an meinem Koabhängigkeitsthema gearbeitet, und ich glaube, ich habe den Punkt erreicht, an dem ich sehen kann, ob eine Beziehung gesund oder schädlich für mich ist.« Sie beugte sich vor. »Unter astrologischen Gesichtspunkten ist diese hier sehr vielversprechend. Mein Krebs-Mond steht nur ein paar Grade neben seiner Löwe-Sonne, in meinem achten Haus.«

Ich verstehe nicht genug von den Sternen, um Rubys Astro-Analysen einschätzen zu können, aber diese schien mir unstimmig. »Seit wann passen denn Krebs und Löwe zusammen? Ich dachte, Wasser und Feuer vertragen sich nicht.«

»Natürlich«, entgegnete Ruby starrsinnig. »Wie würdest du sonst Dampf kriegen? Und das achte Haus steht für Sexualität. Wir sind sehr hitzig, wenn wir zusammen sind.«

»Ich will nur nicht, daß du wieder einbrichst, daß du verletzt wirst. Ich bin knapp an Kleenex«, sagte ich, doch dann fragte ich mich, was mir eigentlich das Recht gab, gute Ratschläge zu erteilen. In Liebesdingen war ich kein Held. Vielleicht beneidete ich Ruby einfach um ihre Fähigkeit, so intensiv zu empfinden, sich so bedingungslos auf einen Mann einzulassen. Ich hatte eine Reihe heißer Affären gehabt, die mit großem Elan begonnen wurden, aber aufgrund mangelnder Pflege und Fürsorge eingingen. Es ist ziemlich schwer, gleichzeitig die beste Juristin der Welt und die beste Liebespartnerin der Welt zu sein. Eigentlich ist es schon schwer, Juristin und irgend etwas anderes zu sein. In dem Jahr, bevor ich aufhörte, stand ich meinen Klienten achtundfünfzig Stunden pro Woche zur Verfügung – und dann waren da noch die zwanzig Überstunden. Ich hatte zwei Prozesse mit Geschworenen, die sich über sechzig Tage hinzogen, einen über fünfundvierzig Tage und einen Prozeß mit Strafrichter, sowie unzählige Beratungen, Aussagen unter Eid und Verhandlungen. Kein Wunder, daß ich auf Sex verzichtete. Ich hatte ja kaum noch Zeit, auf die Toilette zu gehen.

Aber meine Beziehungsfähigkeit ist mächtig gewachsen, seit ich die Juristerei aufgegeben habe. Als ich nach Pecan Springs zog, schwor ich mir, für alles offen zu sein. Dann fingen McQuaid und ich diese, wie mir scheint, gesunde Beziehung an, und nun bin ich zwar etwas weniger mißtrauisch und etwas offener, aber ich kann mich noch immer nicht auf eine Bindung einlassen. Also liebe ich ihn vielleicht nicht. Oder vielleicht tue ich es und weiß es nur nicht. Vielleicht weiß ich auch noch nicht, was Liebe überhaupt ist. Es gibt offenbar kein Gesetz, nach dem man das Lieben einfach lernt, indem man älter wird.

Deshalb erteilte ich Ruby keine weiteren Ratschläge zum Thema Beziehung, sondern schob meinen Stuhl zurück und stand auf. Sie tat dasselbe. »Danke für die Einladung, Ruby. Wenn ich tapfer übe, komme ich vielleicht sogar in Berührung mit meinem Unbewußten.«

Ruby beugte sich herab und umarmte mich schwesterlich, kameradschaftlich und liebevoll, und ich hatte wieder einmal wie so häufig das Gefühl, daß wir beide vielleicht verwandte Seelen waren. Manchmal ist dieser Gedanke ermutigend. Heute abend fand ich ihn tröstlich.

»Möglicherweise besteht ja noch Hoffnung für dich«, sagte sie.

***

Ich fahre gern mit dem Rad im Dunkeln durch Pecan Springs. In den Wohnzimmern leuchtet das Licht, und manche Leute ziehen ihre Vorhänge nicht zu; vielleicht wollen sie, daß man den neuen Flügel oder das Gemälde sieht, das sie bei der letzten »Hungerkünstler«-Ausstellung in Austin gekauft haben. Ich schaue dann in die Fenster, um zu sehen, wie die Bewohner ihre Abende zubringen. Die meisten sitzen vor dem Fernseher oder lesen die Zeitung oder hängen am Telefon. Einmal habe ich einen Mann beobachtet, der ein Flaschenschiff bastelte. Die Szenen sind ruhig, behaglich, beschaulich – langweilig, würde McQuaid sagen. Das normale Leben in einer normalen Kleinstadt.

Heute abend ging es auch beschaulich zu – wenn man davon absah, daß Shorty Ennis, der Ecke Vine Street, Mayberry Street in einem ungestrichenen Holzhaus wohnt, aus seiner Flasche trank, statt ein Schiff darin zu basteln. Er machte den Eindruck, als wäre diese Flasche nicht die erste des Tages. Drei Häuser weiter überraschte ich zwei Jungs dabei, wie sie vor einer Haustür eine Kürbislaterne zerschmetterten, und als ich vorbeifuhr, warfen sie ein Stück nach mir. Ecke Mayberry, Crockett waren drei als Gespenster verkleidete Teenager damit beschäftigt, mit Rasierschaum Drudenfüße auf Windschutzscheiben parkender Autos zu sprühen. Ich schrie sie an, und sie verschwanden im Dunkeln, aber ich wußte, daß sie weitermachen würden, sobald ich außer Sicht war.

O Frieden. O Beschaulichkeit. Normales Leben in einer normalen Kleinstadt.

Kapitel 3

Die THYME AND SEASONS-Kräuterfirma öffnet um neun ihre Pforten, wenn ich den Schubladeneinsatz in die Ladenkasse schiebe, die Kräuterriegel und die Tees rausstelle und die Ständer mit den Kräutertöpfen auf den Bürgersteig trage. Das Gebäude, das den Laden beherbergt, ist aus rechteckigen weißen Kalksteinquadern gebaut und hat Terrakottaböden, Decken aus Kiefernholz und schwere, von Hand behauene Balken aus dem Holz von Zypressen, die vor mehreren hundert Jahren am Pecan River wuchsen. Bevor ich es kaufte, wurde es von einem intelligenten jungen Architekten umgebaut, der die schlechten Teile ausbesserte und die guten erhielt. Ich habe hinten vier schöne Räume – eine große Küche, ein Schlafzimmer, einen Arbeitsraum, der früher als Büro fungierte, und ein Wohnzimmer. Alle Räume sind mit Steinwänden, Holzbohlenböden und Kiefernholzdecken ausgestattet, die von schweren Zypressenholzpfeilern gestützt werden. Darüber befindet sich ein großer leerer Speicher, in dem ich die Kräuter zum Trocknen aufhänge. Hinten im Garten steht ein ehemaliges Stallhäuschen, das ich als Gästehaus benutze. Letztes Jahr hatte ich einen Gast, Roz Kotner. Ich versuche nicht daran zu denken.

THYME AND SEASONS ist ein kleiner Laden, in dem jedes bißchen Raum genutzt werden muß. Von der Decke hängen getrocknete Kräuterbündel, Schnüre mit Chilischoten, Knoblauchzöpfe und handgeflochtene Kränze von einer Frau, die die Pflanzen in freier Natur pflückt. Wie in einem alten Gemischtwarenladen stehen auf hölzernen Regalen an den Wänden Gläser mit Kräutern und eine große Auswahl an Kräuterprodukten – Essigsorten, Marmeladen, Gewürzmischungen, Seifen, Kräuterkosmetika, Duftkräuter, Öle und Tees. In den Ecken findet man in Körben Meerlavendel und Schleierkraut, verschiedenfarbige Strohblumen, samtigen Hahnenkamm, die papiernen Kugeln des Schwarzkümmel und Mohnkapseln. Die Eingangstür ist immer mit etwas zur Jahreszeit Passendem dekoriert – da Halloween bevorstand, hatte ich einen mit Mais, Weizen, kleinen Kürbissen und leuchtend orangefarbenem Feuerdorn verzierten Hexenbesen aufgehängt. Draußen stehen Tonschalen mit Thymian, Basilikum und Rosmarin, und im Vorgarten habe ich Beete mit Duftkräutern angelegt. Im Herbst gibt es viel zu tun, und Mitte Oktober, wenn die Leute anfangen, sich Gedanken über das Weihnachtsessen und den Adventsschmuck zu machen, gehen die Geschäfte besser.

Am Mittwoch morgen um halb zehn hatte ich sechs Kunden gehabt. Die Leute kaufen hier ein, weil es sie an die gute alte Zeit erinnert, als die Lebensmittel nicht eingeschweißt waren und es keine Strichkodierungen gab. Meiner Meinung nach soll die Einschweißfolie nur die vergammelten Erdbeeren ganz unten verbergen. Die Strichkodierungen sind noch tückischer. Bis ich an der Kasse bin, habe ich den Preis vergessen. Irgend etwas sagt mir, daß dies genau im Sinne der Supermarktbosse ist. Deshalb mache ich meine Einkäufe in der CAVETTE’S GROCERY, einem Lebensmittelladen Ecke Guadalupe Street, Green Street, der seit drei Generationen in Familienhand ist. Der alte Mr. Cavette zeichnet jedes Produkt mit einem Tintenstempel aus. Junior, der jüngste Mr. Cavette, schüttet alle Erdbeeren in einen Korb und läßt einem freie Wahl. Die übriggebliebenen verfüttert er den Hühnern.

Um zehn machte Ruby die CRYSTAL CAVE auf. Ihr Laden ist so groß wie meiner, und es gibt eine Verbindungstür zwischen beiden. Sie verkauft esoterische Bücher, Kassetten, Kristalle, Schmuck, Göttinnenfiguren, Horoskope, Kaleidoskope – alles, was ihrer Ansicht nach »das Bewußtsein erweitert«. Süße Düfte und entspannende Töne schweben durch die Luft. Ruby ist konkurrenzlos in Pecan Springs und macht deshalb gute Geschäfte. In der ersten Stunde an diesem Morgen hatte sie dauernd Kundschaft. Durch die Verbindungstür sah ich Dottie Riddle, die ein Tarotspiel kaufte, ein paar Studenten mit Pferdeschwänzen und eine Dame in mittleren Jahren, die ein teures Kostüm trug und sich ständig nervös über die Schulter schaute, als sie sich nach Astrologiebüchern erkundigte.

Es ist sehr angenehm, zwei Läden in einem Gebäude zu haben, da man immer beide im Auge behalten kann; da fällt einem weniger die Decke auf den Kopf, wenn man acht Stunden am Stück hinter dem Ladentisch stehen muß. Manchmal springt Ruby für mich ein, manchmal ich für sie. An diesem Morgen wollten wir beide zu Andrews Studioeröffnung gehen und baten Laura Wiley, die in meinem Kräuterkurs ist, die Aufsicht zu übernehmen. Kurz vor elf gingen wir ein Haus weiter ins CRAFT EMPORIUM.