17,99 €
Die Lebensgeschichte einer Frau, die als kleines Kind missbraucht wurde. Sie war noch zu klein, um zu verstehen, was mit ihr geschah. Das Geschehen wurde in ihrem Unterbewusstsein verankert. Es holte sie einige Jahre später auf bittere Art und Weise ein. Nach dem Erkennen verschloss sie ihr Herz. Es begegnete ihr die große Liebe mit einem noch größeren Geheimnis. Ihr war nicht bewusst, was es bedeutet, wenn ein Mann sagt "ich bin ein Fetischist", welche Bedeutung dieses Wort im Leben von Liebenden hat. Sie sollte es aber erfahren ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 202
Veröffentlichungsjahr: 2024
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.
Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.
© 2024 novum publishing gmbh
Rathausgasse 73, A-7311 Neckenmarkt
ISBN Printausgabe: 978-3-99130-621-4
ISBN e-book: 978-3-99130-622-1
Lektorat: Lucas Drebenstedt
Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh
www.novumverlag.com
Prolog
Die Lebensgeschichte einer Frau, die als kleines Kind missbraucht wurde. Sie war noch zu klein, um zu verstehen, was mit ihr geschah. Das Geschehen wurde in ihrem Unterbewusstsein verankert. Es holte sie einige Jahre später auf bittere Art und Weise ein. Nach dem Erkennen verschloss sie ihr Herz. Es begegnete ihr die große Liebe mit einem noch größeren Geheimnis. Ihr war nicht bewusst, was es bedeutet, wenn ein Mann sagt „ich bin ein Fetischist“, welche Bedeutung dieses Wort im Leben von Liebenden hat. Sie sollte es aber erfahren …
Teil I
1950–1982
Mein Name ist J. R. Reichel. Ich bin am 25.8.1950 in einem kleinen Dorf in der Eifel geboren. Wenn ich heute auf mein Leben zurückschaue, dann sehe ich Momente, Augenblicke, Erlebnisse, tragisch, emotional, bewegend, interessant und immer wieder wunderschön. Es ist schon klar, dass jeder Mensch sein Päckchen zu tragen hat, jeder auf seine persönliche Art und Weise.
Das Haus, in dem ich geboren wurde, steht heute noch, nur innen ist es umgebaut. Vor und hinter dem Haus befanden sich zwei große Gärten, die meine Mutter mit Obst, Gemüse und Salat bepflanzte. Große Obstbäume mit Äpfeln, Birnen und Zwetschgen sowie alle Sorten von Beeren waren vorhanden. Auch pflegte sie ihr schönes Blumenbeet. Das Haus befand sich oben auf einem Berg, es waren insgesamt nur neun Häuser und wir Kinder aus diesen Häusern waren eine Rasselbande.
Ich hatte noch vier Geschwister, eine Schwester, zwei Jahre älter als ich, und drei Brüder, die 10, 13 und 15 Jahre älter waren. Ich war also die Jüngste, das sogenannte Nesthäkchen, jedoch wurde ich nicht als ein solches behandelt. Meine Brüder probten an mir die Vaterrolle aus.
Wenn ich mich beschreiben soll, sage ich heute immer, ich bin ein in die Jahre gekommenes Mädchen, denn ich habe trotz allem das Lachen eines Kindes nicht verloren, kann auch über mich selbst lachen. Auch Lachen und Weinen zusammen gelingt mir immer noch.
Wir Kinder aus diesen Häusern waren eine kleine Rasselbande. Wir spielten noch Räuber und Gendarm, der Plumpsack geht herum, Klicker, auch als Murmeln bekannt, Hula-Hoop und Hochzeit in Nachbars großem Hühnerstall. Der Brautschleier war eine alte, große Gardine, der Brautstrauß Gänseblümchen von der Wiese. Mutter Franziska machte uns ein schönes Hochzeitsmenü, bestehend aus Weißbrotstullen mit Marmelade. Es wurde ja schließlich Hochzeit gefeiert. Ob die Kinder der heutigen Zeit so etwas noch kennen, bezweifle ich.
Im Winter gab es zu dieser Zeit noch viel Schnee. Wir hatten einen großen Lenkschlitten, Hermann, einer von der Rasselbande, war der Lenker und wir anderen Kinder saßen auf dem langen Anhänger. Wenn es bergab ging, ging es natürlich auch oft in den Schnee. Es war lustig, wir hatten Spaß und zu dieser Zeit war dies noch möglich.
Ich selbst hatte auch einen kleinen Schlitten nur für mich, ein Einsitzer sozusagen. Einer meiner Brüder hatte mich fürchterlich verprügelt, ich weiß nicht mehr, warum, und mir anschließend diesen kleinen Schlitten gebaut. Mit ihm düste ich den Berg hinunter und war glücklich. Wenn ich durchgefroren und hungrig war, ging ich nach Hause und meine Mutter brachte mir eine Tasse heißen Kakao und ein Butterbrot, was ich auf der Haustreppe verzehrte. Ich weiß noch, ich trug eine gelbe Mütze mit schwarzen Streifen. Dann ging es wieder in den Schnee.
Im Sommer gingen wir Kinder mit den Bauern aufs Feld zur Ernteeinbringung. Wir machten ein kleines Lagerfeuer und grillten frisch geerntete Kartoffeln. Sie waren köstlich. Unsere Hände und Gesichter waren schwarz vom Ruß. Wir sahen aus wie kleine Klabautermänner. Dann fuhren wir auf dem voll beladenen Leiterwagen, gezogen von zwei wunderschönen Kaltblütern, nach Hause. Ich erinnere mich, es waren Füchse, also hellbraun, mit heller, mächtiger Mähne.
An einem Nachmittag, der nicht so schön für mich endete, schickte meine Mutter meine Schwester zum Bauern, Milch holen. Sie weigerte sich und meinte, meine Mutter solle mich schicken. Ich hatte das gehört und beschwerte mich, dass nun ich gehen müsse. Dann musste ich natürlich erst recht gehen. Auf dem Rückweg stolperte ich am Berg, fiel hin und die ganze Milch floss den Berg hinunter. Unter Tränen kam ich nach Hause und berichtete von meinem Unglück. Was geschah, war, dass man mir nicht glaubte. Es wurde mir unterstellt, dass ich die Milch extra verschüttet habe, und ich bezog heftige Prügel mit dem Kochlöffel. Ich bezog also Prügel für etwas, was ich wirklich nicht getan hatte, und sie blieben mir bis heute in Erinnerung. Dieses Erlebnis sollte später noch eine wichtige Rolle spielen und die Grundlage sein für eine Entscheidung, die ich zu treffen hatte.
Einmal habe ich in meinem Leben einen Rosenkranz gebetet, der erste und auch der letzte, den ich je gebetet habe. Ich war etwa 7 Jahre alt. Meine Schwester lag krank im Bett und ich wurde zum Einkaufen geschickt. Ich stand im Lebensmittelladen und vor mir standen unter einer Glasglocke wunderschöne Schokoküsse. Unerlaubterweise kaufte ich 5 Stück, auch für meine Schwester, und genoss nach Verlassen des Geschäfts einen davon. Just in diesem Moment kam einer meiner Brüder mit dem Auto vorbei. Er nahm mich mit und zu Hause bekam ich für den unerlaubten Kauf wieder einmal Prügel. Über dem Ehebett meiner Eltern hing ein großes Kruzifix. Als zusätzliche Strafe musste ich mich am Fußende der Betten hinstellen und vor dem Kruzifix laut, natürlich unter bitterlichen Tränen, einen Rosenkranz beten und man hörte mir dabei zu. An ein Entkommen war also nicht zu denken.
Eigenartigerweise hat es mich nicht hart gemacht, ich bin auch nicht daran zerbrochen, es hat mich stark gemacht. Ich habe und werde nie wieder einen Rosenkranz beten.
Es sind einschneidende Erlebnisse, die ich nie vergessen, aber das Beste daraus gemacht habe. Wie bereits gesagt, es hat mich stark gemacht.
Ich war ein Wald- und Wiesenkind, liebte die Natur und die Tiere. Mein Vater war Jäger, wir hatten einen Rauhaardackel für die Jagd und eine Katze. Ich übte an dieser Katze meine Mutterrolle aus, fuhr sie im Puppenwagen spazieren. Ich sehe das alles noch vor mir, als wäre es gestern gewesen.
Im Sommer war mein Fortbewegungsmittel ein kleiner Holzroller. Zu dieser Zeit war ich ein glückliches Kind. Es geschah in diesen Jahren jedoch etwas mit mir, was mich später heftig einholen sollte.
Wir hatten ein relativ großes Haus mit mehreren Räumlichkeiten. Ich weiß nicht mehr, um welchen Anlass es sich handelte, aber es hatte sich viel Besuch angekündigt. Damit alle Gäste bei uns übernachten konnten, mussten wir alle zusammenrücken. Meine Mutter legte mich zu einem Mann ins Zimmer, dachte sicher nicht im Traum daran, dass mir etwas in der Nacht angetan würde.
Ich weiß nicht mehr, wie alt ich erst war, aber ich weiß noch genau, dass ich noch nicht in die Schule ging. Ich war ein kleines Mädchen, besser gesagt, ein kleines Kind.
In unserer Rasselbande war auch meine beste Freundin Marianne, von mir „Mariellchen“ genannt. Bis heute haben wir, obwohl ich seit 1959 nicht mehr dort lebe, den innigsten und herzlichsten Kontakt, den man sich vorstellen kann.
Jedes Jahr bekam ich von ihrer Mutter Franziska, die für mich wie eine zweite Mutter war, ein Weihnachtspäckchen. Nach deren Tod übernahm meine Freundin diese Rolle und ich bekomme immer noch selbst gebackene Plätzchen, eine Kerze und Wurst aus der Eifel. Wer kann schon sagen, dass er mit 72 Jahren immer noch Weihnachtspäckchen aus der alten Heimat bekommt. Meine Wege führen mich immer wieder zu ihr und es steht immer ein Bett für mich bereit. Es ist so bezaubernd und ich bin dankbar dafür.
Wir haben auch lustige Sachen unternommen. Als Mariellchen und ich im Dorf unterwegs waren, kamen wir zur Dorfkirche. Sie war nicht verschlossen, also beschlossen wir, in die Kirche zu gehen, wir wollten auf der Kanzel predigen. Es war sonst niemand in der Kirche und eine setzte sich in die Bank und die andere ging auf die Kanzel und predigte. Natürlich haben wir nicht gebetet, wir haben nur Blödsinn erzählt. Heute noch sehe ich uns auf der Kanzel stehen und predigen. Heute noch beschert es uns ein herzhaftes Lachen.
Wir Kinder mussten alle 4 Wochen zur Beichte. So ein Blödsinn, was sollen Kinder denn immer beichten? Wir beschlossen, nachdem die Beichte für uns ja Pflicht war, bei der nächsten Beichte zu sagen: „Ich habe gelogen, ich habe gestohlen und die Katz am Schwanz gezogen.“ Dass wir auf der Kanzel gepredigt haben, haben wir nicht gebeichtet. Die Entscheidung war getroffen und wurde ausgeführt. Wir hatten schon tolle Ideen, man stelle sich vor, Kinder würden heute in einer Münchner Kirche auf der Kanzel predigen. Unvorstellbar!
Um die Seelenverbindung dieser Freundschaft und die Liebe zwischen uns deutlich zu machen, greife ich etwas vor. Es war im Jahre 1982, ich lag sehr krank in der Klinik. Mariellchen war mit ihrem Ehemann Rainer in Urlaub, sagte zu ihm „wir müssen nach Hause fahren, die Koffer neu packen“, sie müsse nach München, mit mir sei etwas nicht in Ordnung.
Völlig unerwartet, denn sie wusste nicht, dass ich krank war, stand sie an meinem Krankenbett. Eine Nachbarin, die sie gefragt hatte, wusste, wo ich zu finden war. Sie weinte bittere Tränen, ich bat sie, wenn ich sterbe, solle sie mich nach Hause holen, mein Grab pflegen und dafür bekomme sie meinen Sportwagen, einen Triumph Spitfire. Eine Woche saß sie bei mir am Bett und wir lachten und weinten auch bittere Tränen. Aber ich schaffte es und wir beide waren wieder glücklich. Wenn wir uns sehen, fließen heute noch Freudentränen. Sie ist und bleibt ein Schatz und in meinem Herzen tief verankert.
1959 zogen wir in die Stadt und hier begann ein anderes Leben. Das Kindsein war vorbei. Meine Eltern eröffneten ein Speiserestaurant und natürlich war nun Küchendienst angesagt. Nach der Schule hieß es, Schulranzen in die Ecke und Küchendienst leisten. Ich hatte eine Stunde Freizeit, von 14.30 Uhr bis 15.30 Uhr. Dann geschah Folgendes:
Wir hatten in der Schule Sportfest und neben der Sportanlage befand sich ein Reitstall. Ich hatte alle meine Prüfungen abgelegt und ging in den Reitstall. Ich werde es nie vergessen. Im Vorraum zur Reithalle stand ein wunderschönes schwarzes Pferd, ging zu ihm und streichelte seine Nüstern. Eine ganze Weile beschäftigte ich mich mit diesem wunderschönen Pferd, als plötzlich ein alter Herr aus dem Hintergrund kam, mich sah und sagte: „Mädchen, du musst reiten lernen.“ Es war sein Pferd, hieß Schwalbe und die Liebe zu den Pferden war geboren.
Die Frage war nun für mich, wie kann ich es bewerkstelligen, das Reiten zu erlernen, es kostete ja schließlich Geld. Meine Eltern zu fragen, ein Ding der Unmöglichkeit. Auch hatte ich ja nur eine Stunde Freizeit, dann war wieder Küchendienst angesagt. Guter Rat war teuer.
Unsere Angestellten bekamen damals, es war 1961, bereits einen Stundenlohn von 8,-- DM. Eine Reitstunde kostete 5,-- DM, täglich gearbeitet habe ich circa 8 bis 10 Stunden, am Wochenende noch mehr, da hatte ich ja am Sonntag keine Schule. Auch putzte ich sonntags noch zusätzlich mit meiner Schwester das Restaurant, das Büfett, die Toiletten. Oft stand ich um 3.00 Uhr in der Nacht auf der Straße und putzte den Eingang.
Die Reitstunde kostete 5,-- DM und ich gab mir selbst einen Stundenlohn von 0,50 DM. Ich nahm mir also von Dienstag bis Freitag immer 5,-- DM aus der Kasse. Ich sagte mir, ich stehle nicht, ich nehme mir nur meinen spärlichen Lohn für harte Arbeit.
Nun stand aber noch die Zeitfrage an, denn ich würde eine weitere Stunde Freizeit benötigen, um überhaupt eine Reitstunde nehmen zu können. 20 Minuten mit dem Fahrrad zum Reitstall, von 15.00 Uhr bis 16.00 Uhr Reitstunde, so könnte ich dann pünktlich um 16.30 Uhr wieder meinen Küchendienst antreten. Meine Rückfrage wegen einer zusätzlichen Freistunde blieb, wie erwartet, erfolglos. Ich hatte keine andere Wahl, ich machte Arbeitsverweigerung.
Meine Mutter und ich, wir blieben beide hartnäckig. Niemand konnte mich dazu bewegen, auch nur einen Finger zu rühren.
Eine unserer Angestellten hatte Erbarmen mit mir, sagte zu meiner Mutter, wenn sie mir nicht eine weitere Stunde Freizeit bewilligen würde, komme sie nicht mehr zu uns arbeiten. Der Kampf war gewonnen, mein Durchhaltevermögen hatte sich gelohnt. Jetzt hatte ich von 14.30 Uhr bis 16.30 Uhr meine Freistunden. Ich radelte zum Reitstall, von 15.00 Uhr bis 16.00 Uhr ging ich in die Reitstunde, stand also pünktlich um 16.30 Uhr wieder in der Küche. So lebte ich mein Leben, Schule, Arbeit, Pferde. Sie waren meine Welt und mein Halt. Es war natürlich eine Flucht in eine andere Welt, die mich aber überleben ließ. Als ich mein erstes Geld verdiente, nahm ich keinen Pfennig mehr aus der Kasse.
Dann kam ein Tag in der Schule, der mich im Tiefsten meiner Seele getroffen hatte. Ich war ungefähr 11 oder 12 Jahr alt. Damals war es noch üblich, dass wir in der Schule aufgeklärt wurden.
Es war wie ein Schlag ins Gesicht und augenblicklich traf es mich in meiner tiefsten Seele. Mir wurde klar und ich erkannte, was als kleines Kind mit mir geschehen war. Geschockt schlug ich die Hände vor mein Gesicht und der Film des Missbrauchs lief immer wieder vor meinen Augen ab. Ich war wie gelähmt, konnte kaum atmen, hatte das Gefühl, ich ersticke. Seinen alkoholisierten Atem konnte ich wieder riechen, den er mir stöhnend ins Gesicht keuchte. Mein Vater war es nicht, der hätte so etwas nie getan. Er hätte den Täter erschossen, wenn er das erfahren hätte.
Es war ekelhaft, widerlich, schmerzlich, wehrte mich immer wieder, aber der Täter ließ mich nicht schlafen. Ich trocknete mich immer wieder mit meinem Nachthemd ab, legte mich weg, weg von ihm.
Aber er zog mich immer wieder zu sich, sodass ich von vorne oder mit dem Rücken eng bei ihm liegen musste. Ich erkannte, dass es sein Penis war, mit dem er mich immer wieder schmerzlich drangsaliert hatte.
Eine Chance hatte ich nicht, bis der Täter sein Ritual vollzogen hatte, und das nicht nur einmal. Er quälte mich die ganze Nacht, immer wieder. Ich erlitt das alles nochmals in diesem Moment, immer und immer wieder. Es war ein gewaltiges Trauma, was mich getroffen hatte.
Was hat ein kleines Mädchen für eine Chance?
Da gibt es nur eine Antwort: Keine, es hat keine Chance.
Wer kann es glauben, wer kann es verstehen, dass ein kleines Mädchen das Geschehen im Unterbewusstsein verankert und nach einigen Jahren knallhart damit konfrontiert wird. Das Unterbewusstsein ist unberechenbar, nicht manipulierbar und im entscheidenden Moment ehrlich. Durch irgendeine Situation hervorgerufen, meldet es sich irgendwann. Dann hat man die Wahl, daran zu zerbrechen, oder es zu verarbeiten, um dann doch noch glücklich leben zu können.
Ich hatte erkannt, was mit mir geschehen war, was ich als kleines Kind nicht hatte erklären können. Ich erinnerte mich daran, dass meine Mutter mich morgens – ich trug ein Nachthemd mit kleinen bunten Blümchen – aus dem Bett holte und ich ihr etwas aus der Nacht erzählen wollte, konnte es aber nicht, wusste nicht, was ich sagen sollte, verstand ja nicht, was in der Nacht mit mir geschehen war.
Ich erinnerte mich, dass meine Mutter mein Nachthemd ansah und ich glaube, sie hat den Missbrauch vermutet. Fragen konnte sie mich nicht, ich war noch zu klein. „Ich habe nicht ins Bett gemacht“, wollte ich sagen, tat es aber nicht, ich hatte ja auch nicht ins Bett gemacht.
Ich hatte Angst, sie würde mich schimpfen, dass ich ins Bett gemacht hätte. Welch eine Ironie des Schicksals. Gott sei Dank tat sie es nicht. Ich wollte etwas sagen, wusste aber nicht, was ich sagen sollte. Konnte das ja nicht erklären, was in der Nacht geschehen war.
Immer wieder lief der Film des Missbrauchs vor meinen Augen ab und es wurde der härteste Weg von der Schule nach Hause, an den ich mich erinnern kann.
Schweigsam, wie gelähmt, machte ich mich auf den Weg nach Hause, hatte ja Küchendienst, konnte kaum laufen, setzte mich auf eine kleine Mauer, hielt inne und fragte mich: „Was soll ich jetzt tun?“ Mir wurde klar, dass, wenn ich das jetzt zu Hause erzähle, mir keinen Glauben geschenkt, ich mit Sicherheit einer Lüge bezichtigt, dann auch noch Prügel beziehen würde. Schon einmal hatte ich Prügel für etwas bezogen, was ich nicht getan, man mir aber nicht geglaubt und mich der Lüge bezichtigt hatte. Meine Gedanken gingen zurück zu dem Ereignis mit der Milch, die ich nicht absichtlich verschüttet hatte, man mir dies aber unterstellte.
Eine andere Wahl, als zu schweigen, hatte ich nicht, denn man würde mir ja doch nicht glauben, es waren ja auch einige Jahre vergangen.
Aber ich schwor mir in diesem Moment mit geballter Faust vor Gott, dass mich nie wieder ein Mann benutzen darf. Das war mein Plan und mein Herz verschloss sich mit diesem Schwur. Traurig setzte ich meinen Heimweg fort, hatte ja Küchendienst. Ich verdrängte das Erlebnis, um zu überleben und nicht daran zu zerbrechen. Es sollte mich aber wieder einholen.
Nach circa weiteren 10 Jahren, 1973, gaben meine Eltern das Restaurant auf und ich bildete mich beruflich weiter. Ich wollte frei, nie von einem Mann abhängig sein und ging beruflich in die Großstadt, baute mir meine kleine eigene Welt auf. Ich hatte Freunde, aber sie konnten mein Herz nicht berühren oder erreichen. Warum, wusste ich nicht, erkannte es nicht, dass ich eine Schutzmauer um mich gebaut hatte. Später erkannte ich, dass ich nicht lieben konnte, da ich mein Herz mit meinem Schwur verschlossen hatte. Es sollte mich aber ein harter Weg dahin führen, zu spüren, dass ich lieben konnte und was es bedeutet, zu lieben.
Dann kam ein Mann in mein Leben, meine große Liebe. Ich vertraute ihm so sehr und öffnete mein Herz, ich glaubte ihm. Meine Freunde hatten mir in den Jahren zuvor oft gesagt, ich sei höflich, korrekt, aber ich hätte eine Mauer um mich, man komme nicht wirklich an mich heran. Es stimmte, aber dieser Mann hatte meine Schutzmauer durchbrochen. Erstmals in meinem Leben hatte ich mein Herz geöffnet. Ich gab ihm all meine Liebe, die ich so lange verwehrt hatte.
Die großen Lieben enden meistens traurig, so auch meine. Trotzdem war sie wichtig für mich, um mich selbst zu erkennen. Als es zu Ende war, verstand ich die Welt nicht mehr.
Nach einem Jahr der Trauer und Verzweiflung, mit der ich nicht fertig wurde, setzte ich mich hin und fing an zu schreiben. Ich wusste nicht, dass es ein kleines Buch werden würde, das stellte ich erst hinterher fest.
Man möge mir meine Reaktionen und Verhaltensweisen verzeihen, aber es waren Reaktionen einer verletzten Seele, die nach Hilfe, Heilung und Liebe schrie. Ich hatte die Wahl zwischen Leben und Sterben, was ich damals nicht erkannte.
Es war 1982, als ich ein nachträgliches Tagebuch schrieb. Namen und Örtlichkeiten habe ich frei erfunden, den Text und das Erlebnis gebe ich wortgetreu wieder.
Teil II
1982
Genau ein Jahr ist vergangen, als alles begann. Mir ist aber, als wäre das, was am 11.3.1981 so wunderschön begonnen hatte, erst gestern gewesen. Nicht nur heute erinnere ich mich, beschäftige ich mich mit diesem Erlebnis, das habe ich, seit es zu Ende ist, immer wieder getan und werde es auch bestimmt noch öfter tun.
Warum, frage ich mich? Warum kann ich nicht einfach sagen: „Was soll es, aus, Schluss, vorbei?“ Nein, ich kann es nicht, weil ich ihn und auch mich selbst zu verstehen versuche. Ich möchte herausfinden, warum wir beide so gehandelt haben. Heute, wo ich all das in meinen Gedanken noch einmal durchlebe, möchte ich versuchen, dieses Erlebnis mit all meinen Erinnerungen und Gefühlen von gestern und heute festzuhalten und dabei vielleicht ein Ergebnis zu finden. Auch soll die Selbstkritik nicht außer Acht bleiben.
Heute sehe ich viele Dinge anders, Worte klingen anders, haben eine andere Bedeutung gewonnen.
Wenn ich mich in meiner kleinen Wohnung umschaue, sehe ich bestimmte Gegenstände, die mich an schöne Stunden erinnern. An Augenblicke, von denen ich sagen kann, dass ich sehr glücklich war. Was aber bleibt mir davon? Eine Flasche französischer Wein, sein Eau de Toilette und meines, das Feuerzeug, das er mir schenkte, zwei schöne Kleider, die Unterwäsche, der Bikini. Wenn ich all das anschaue, überfällt mich Traurigkeit und ich denke, oh mein Gott, was habe ich von diesen Dingen? Nichts? Doch, es bleibt mir etwas, die Erinnerung an ihn, den ich so sehr liebte, und dann denke ich, was war das, was ich da erlebt habe.
Peter, so möchte ich ihn in meiner Geschichte nennen, bin ich schon früher einmal begegnet. Dass wir uns überhaupt begegnet sind, habe ich Bonny, meiner Freundin, zu verdanken. Es war im Sommer 1980, als sie ihn mir als guten Zahnarzt empfahl. Ich rief ihn damals an und fragte ihn, ob er eine begonnene Behandlung übernimmt, da ich mit der damals konsultierten Zahnärztin nicht zufrieden war. Bei diesem ersten Gespräch bereits hatte ich ein Gefühl der Sicherheit und des Vertrauens. Es lag etwas wie ein Zauber zwischen uns. Damals wusste ich nicht, welch tiefere Bedeutung das für mich hatte. Ich brannte darauf, diesen Mann zu sehen. Das Gefühl der Sicherheit, das er mir am Telefon gegeben hatte, gab er mir auch während der Behandlung. Nach Abschluss versprach ich ihm, ihn in einem halben Jahr wieder aufzusuchen, tat es aber nicht.
Dann kam der 11.3.1981. Am Sonntag, den 8.3.1981, verbrachte ich den Nachmittag bei meinem Pferd „Flämmchen“, genannt „süßer Hase“. Ich liebte mein Pferd, er war mein Ein und Alles. Sein Unterhalt war im Laufe der letzten Zeit sehr teuer geworden. Aber ich kämpfte für ihn, denn ich wollte ihn behalten. Knuffi, mein kleiner Hund, eine Mischung aus Dackel und Pudel, begleitete mich auf Schritt und Tritt.
Seit geraumer Zeit fühlte ich mich gesundheitlich schon nicht mehr so recht wohl. Ich magerte ab und hatte in Wirklichkeit nicht mehr die Kraft, die ich nach außen hin zur Schau trug. Aber es sollte niemand wissen. Nun kamen auch noch Zahnschmerzen dazu. Ich dachte, wenn sie morgen nicht weg sind, rufe ich lieber Peter, damals für mich noch Herr Dr. M., an. Die Zahnschmerzen blieben.
Am Montag, gleich in der Früh, rief ich in der Praxis an, konnte auch sofort kommen. Eigentlich waren meine Schmerzen noch gar nicht so schlimm, dass ich es nicht hätte aushalten können, aber ich wollte zu ihm, und ich dachte, wenn du bei ihm bist, ist alles gut.
Viel früher als gewöhnlich und auch als es erforderlich gewesen wäre, verließ ich mein Büro, denn ich wollte noch nach Hause fahren, um mich schön zu machen. Heute frage ich mich, warum eigentlich? Ich wollte ihm doch nicht bewusst gefallen, sondern nur zur Behandlung zu ihm. Ich zog ein weinrotes Bouclé-Kostüm an und machte mich auf den Weg. Bis zu seiner Praxis waren es fast 40 Kilometer und ich freute mich darauf, ihn wiederzusehen. Schade, dachte ich, ich kann ihn noch nicht einmal richtig begrüßen, denn ich hatte mir beim Reiten die rechte Hand verletzt, sie war dick geschwollen und schmerzte.
Viel zu früh war ich dort, aber das war mir gleich. Mittlerweile hatten sich meine Zahnschmerzen auch verstärkt und die Wartezeit kam mir viel länger vor, als sie in Wirklichkeit dauerte. Dann wurde ich in eines seiner Sprechzimmer gerufen. Ich betrat es, aber er war noch nicht da. Ich nahm schon einmal Platz und wartete. Als er dann vor mir stand und mich sehr herzlich begrüßte, antwortete ich ebenfalls sehr herzlich. Er fragte mich nach meinen Beschwerden und meinte, nach der Behandlung müsse es vorbei sein. Wenn nicht, kämen spätestens nach drei Tagen die Schmerzen wieder, dann solle ich sofort kommen.
Er ließ sich Zeit und fing noch an, mit mir über das Reiten und mein Pferd zu sprechen, denn er wusste, dass ich eines besaß. Als die Behandlung beendet war, stand ich auf, um mich von ihm zu verabschieden, sagte, er möge bitte entschuldigen, dass ich mich nicht richtig von ihm verabschieden könne, aber ich hätte mir meine Hand verletzt. Ich reichte ihm die linke Hand, meinte dazu, dass die aber von Herzen komme.