Missing Piece - Drucie Anne Taylor - E-Book

Missing Piece E-Book

Drucie Anne Taylor

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Beschreibung

Eine schicksalhafte Nacht. Eine unerwiderte Liebe. Eine Flucht. Und auf einmal ist dein Leben ganz anders. Harper Ich habe ihn immer geliebt, aber er hat mir gedroht. Aus Angst vor ihm lief ich weg, doch geriet ich an einen Mann, der mich und unseren gemeinsamen Sohn schrecklich behandelt hat. Noch einmal musste ich weglaufen, mein Ziel war meine Heimatstadt, aus der er mich damals vertrieben hat, und ich hoffe immer noch, ihm nie wieder zu begegnen. Grant Stevens war dennoch immer tief in meinem Herzen, aber ich habe Angst, dass er seine Drohung wahrmachen wird, wenn wir einander über den Weg laufen. Grant Meine Schwester war tot und ich hatte ihre beste Freundin dafür verantwortlich gemacht. In der anfänglichen Trauer und Wut über Marys Ableben habe ich Harper die Schuld gegeben und ihr gedroht, weshalb sie weglief. Als sie mir im Supermarkt begegnet, kommt all das, was ich damals für sie empfunden habe, zurück. Harper ist nicht mehr die lebenslustige Siebzehnjährige, sondern eine Frau, die eine Mauer um sich herum gebaut hat. Sie lässt niemanden an sich heran, geht mir aus dem Weg, aber ich habe mir in den Kopf gesetzt, um sie zu kämpfen. * * *

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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MISSING PIECE

DRUCIE ANNE TAYLOR

Copyright © 2020 Drucie Anne Taylor

Korrektorat: S.B. Zimmer

Satz & Layout © Modern Fairy Tale Design

Umschlaggestaltung © D-Design Cover Art

Angelwing Verlag / Paul Dahl

6 Rue Saint Joseph

57720 Obergailbach / Frankreich

angelwing-verlag.de

Alle Rechte, einschließlich das, des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Dies ist eine fiktive Geschichte, Ähnlichkeiten mit lebenden, oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Alle Markennamen, Firmen sowie Warenzeichen gehören den jeweiligen Copyrightinhabern.

DIESES BUCH

Eine schicksalhafte Nacht.

Eine unerwiderte Liebe.

Eine Flucht.

Und auf einmal ist dein Leben ganz anders.

Harper

Ich habe ihn immer geliebt, aber er hat mir gedroht. Aus Angst vor ihm lief ich weg, doch geriet ich an einen Mann, der mich und unseren gemeinsamen Sohn schrecklich behandelt hat. Noch einmal musste ich weglaufen, mein Ziel war meine Heimatstadt, aus der er mich damals vertrieben hat, und ich hoffe immer noch, ihm nie wieder zu begegnen. Grant Stevens war dennoch immer tief in meinem Herzen, aber ich habe Angst, dass er seine Drohung wahrmachen wird, wenn wir einander über den Weg laufen.

Grant

Meine Schwester war tot und ich hatte ihre beste Freundin dafür verantwortlich gemacht. In der anfänglichen Trauer und Wut über Marys Ableben habe ich Harper die Schuld gegeben und ihr gedroht, weshalb sie weglief.

Als sie mir im Supermarkt begegnet, kommt all das, was ich damals für sie empfunden habe, zurück. Harper ist nicht mehr die lebenslustige Siebzehnjährige, sondern eine Frau, die eine Mauer um sich herum gebaut hat. Sie lässt niemanden an sich heran, geht mir aus dem Weg, aber ich habe mir in den Kopf gesetzt, um sie zu kämpfen.

Für meinen Mann und meine Kinder

Weil ihr meine Puzzleteile seid

Alleine bin ich nur ein Puzzleteil, gemeinsam sind wir ein vollkommenes Bild.

— © Giusi Verre

INHALT

Prolog

1. Harper

2. Grant

3. Harper

4. Grant

5. Harper

6. Grant

7. Harper

8. Grant

9. Harper

10. Grant

11. Harper

12. Grant

13. Harper

14. Grant

15. Harper

16. Grant

17. Harper

18. Grant

19. Grant

20. Harper

21. Grant

22. Harper

23. Grant

24. Harper

25. Grant

Epilog

Danksagung

Über die Autorin

Weitere Werke der Autorin

Rechtliches

PROLOG

GRANT

Sechs Jahre zuvor

»Hast du schon wieder einen Brief von deiner gruseligen Freundin bekommen?«, fragte ich meine jüngere Schwester, die grinsend einen Briefumschlag in den Händen hielt.

»Harper ist nicht gruselig, Geoff und du seid es«, konterte Mary und ließ mich im Flur stehen. Sie eilte nach oben in ihr Zimmer, dann knallte die Tür – die danach definitiv geschlossen war. Ihre beste Freundin und sie telefonierten nicht nur ständig, sondern schrieben sich auch noch Briefe, obwohl sie sich täglich in der Schule sahen und meistens auch nachmittags miteinander abhingen. Eine altmodische Spinnerei, die Harper ihr in den Kopf gepflanzt hatte, nachdem sie vor sechs Jahren in unsere Gegend gezogen war. Seit unsere Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen waren, kümmerten Geoff und ich uns um unsere Schwester. Ständig hatten wir Mitarbeiter des Jugendamts im Haus, die sichergehen wollten, dass es Mary an nichts fehlte. Meine Schwester war sechzehn, ich neunzehn und Geoff vierundzwanzig. Wir verstanden uns nicht immer gut, aber wir arrangierten uns miteinander, damit wir nicht voneinander getrennt wurden. Weil wir es uns nicht leisten konnten und ich kein Stipendium bekommen hatte, hatte ich auf den Besuch des Colleges verzichtet. Stattdessen arbeitete ich bei John, der einen Handwerksbetrieb sein Eigen nannte. Ich mochte es, mich körperlich zu betätigen, außerdem konnte ich mich bei der Arbeit verausgaben. Geoff, der sein Studium bereits abgeschlossen hatte, arbeitete in einer Werbeagentur, die ihn gut bezahlte. Ich hätte nicht einmal arbeiten müssen, aber ich wollte nicht den ganzen Tag auf der faulen Haut liegen.

»Grant?«

»Was?«, rief ich Mary zu.

»Darf ich an deinen Computer?«

»Warum?«

»Weil ich mit Harper quatschen will.«

»Nimm das Telefon.«

»Geoff hat mir wegen der letzten Telefonrechnung verboten, zu telefonieren!«, antwortete sie, als sie die Treppe herunterkam. »Ich darf nur noch skypen, mein Computer ist aber das alte Teil von Geoff und das bewältigt das Programm nicht.«

»Sonst stört es dich auch nicht, wenn er dir etwas verbietet.«

»Ich störe mich diesmal auch nur daran, weil morgen Abend die Party bei Jackson Stuart ist und ich hingehen will. Geoff würde es mir verbieten, wenn ich mich nicht an die Telefonregel halte.«

Ich schnaubte. »Na schön. Geh nach oben, ich komme sofort in mein Zimmer.«

Mary grinste bis über beide Ohren. »Alles klar. Danke, Grant.«

»Kein Ding«, erwiderte ich, war aber nicht besonders begeistert, meine Schwester für eine Weile in meinem Zimmer sitzen zu haben. Heute war mein erster freier Tag seit Langem. Nachdem ich mir eine Flasche Coke aus dem Kühlschrank geholt hatte, machte ich mich auf den Weg in mein Schlafzimmer. Stacy hatte mir für heute abgesagt, was mich ankotzte, aber dann würden wir uns eben nächstes Wochenende sehen. Sie war auf dem College in Chicago und kam nur selten nach Hause, dieses Wochenende hatte sie es nicht geschafft, weil sie für eine anstehende Klausur lernen musste.

»Kannst du das Passwort eingeben?«, fragte Mary, kaum dass ich mein Zimmer betreten hatte.

»Klar«, brummte ich und ging an den Schreibtisch. Von meinem Gehalt hatte ich mir einen neuen Laptop gekauft, weil Geoff nur darauf bestand, dass ich für mich selbst sorgte, damit er die Kosten für sich und Mary decken konnte. Für sie zahlte er sogar weiter in den Collegefonds ein, den Mom und Dad eingerichtet hatten.

Mary startete ihren Skype-Account auf meinem Computer und ich legte mich aufs Bett. »Kannst du nicht rausgehen, während ich mit ihr spreche?«

»Nein, kann ich nicht«, entgegnete ich gelassen.

Sie seufzte, dann vernahm ich schon das Geräusch eines eingehenden Anrufs. »Hey, hey, Süße«, grüßte sie ihre Freundin.

Ich fand Harper Grayson gar nicht so unheimlich, aber sie war komisch. Sie trug eine viel zu große Brille, ihre langen braunen Haare stylte sie stets auf die gleiche langweilige Weise und ihre Kleidung stammte gefühlt aus dem letzten Jahrtausend. »Hey, du«, erwiderte Harper mit ihrer rauchigen Stimme. »Du bist nicht in deinem Zimmer.«

»Ja, ich habe meinen Bruder gefragt, ob ich an seinen Computer darf, weil meiner unsere Skype-Sessions nicht auf die Reihe kriegt«, sagte meine Schwester.

»Welchen?«

»Grant.«

»Hey, Grant«, rief Harper.

»Hey, Schreckschraube«, konterte ich.

»Charmant wie immer«, stieß Harper sarkastisch aus.

»Eigentlich sagt man ja, dass man sich liebt, wenn man sich neckt.«

Harper lachte gezwungen auf. »Ja klar.«

Ich griff zu meinem MP3-Player, steckte mir die Kopfhörer in die Ohren und schaltete die Musik ein, um das Gespräch der Mädchen nicht mitanhören zu müssen. Ich befürchtete, dass mir sonst der Schwanz abfallen und Brüste wachsen würden.

Es war Samstagnacht, ich war gerade auf dem Weg ins Bett, als es klingelte. Irritiert ging ich an die Tür. Mary hatte ihren Schlüssel dabei und ich konnte mir nicht erklären, wer mitten in der Nacht bei uns aufschlug. Ich machte die Haustür auf und sah mich zwei Cops gegenüber.

»Mister Stevens?«

Ich nickte. »Ja, ist etwas passiert?«

Die Männer nahmen ihre Mützen ab. »Es geht um Mary Stevens, sind Sie mit ihr verwandt?«

»Sie ist meine jüngere Schwester.«

»Dürfen wir einen Moment hereinkommen?«

»Ja sicher.« Ich trat einen Schritt zur Seite.

»Wer ist das, Grant?«

»Zwei Polizisten«, antwortete ich meinem Bruder verwirrt, der am Kopf der Treppe aufgetaucht war.

Geoff kam näher. »Guten Abend, was kann ich für Sie tun?«, erkundigte er sich.

»Sie sind?«

»Geoff Stevens, das ist mein Haus, ich lebe hier mit meinen Geschwistern«, erklärte mein Bruder – bis auf die Tatsache, dass das Haus uns dreien gehörte, war es die Wahrheit.

»Es geht um Ihre Schwester Mary Stevens.«

Geoff sah mich besorgt an. »Kommen Sie bitte mit ins Wohnzimmer.«

»Danke, Mister Stevens.« Sie folgten meinem Bruder, ich schloss die Haustür und lief ihnen hinterher.

»Was ist mit meiner Schwester?«, wollte Geoff wissen, als ich den Raum betrat.

»Es tut uns leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihre Schwester in einen schweren Verkehrsunfall auf der Waldstraße verwickelt war«, begann einer von ihnen und ich erstarrte.

»Geht’s Mary gut?«, schaltete ich mich heiser ein.

»Ihre Schwester wurde von einem Pkw erfasst und beinahe bis in die Stadt mitgeschleift, als man uns anrief. Sie war bereits tot, als die Rettungskräfte am Einsatzort ankamen.«

Geoff erstarrte zur Salzsäule.

Ich wusste nicht, wie mir geschah. Meine Welt brach binnen eines Wimpernschlags zusammen.

Mary war tot.

Tot.

Meine kleine Schwester war tot.

Meine Beine gaben unter mir nach.

»Wir müssen Sie bitten, uns zur Identifizierung ins Krankenhaus zu begleiten«, vernahm ich die Stimme des Cops.

Mein Oberkörper schaukelte vor und zurück. »Sie war doch mit Harper unterwegs. Wie geht’s Harper?«, fragte ich tonlos. Die kleine Schreckschraube ging mir zwar regelmäßig auf den Keks, wenn sie Mary besuchte, aber ich hoffte, dass ihr nichts passiert war.

»Harper?«, hakte der Cop nach.

Ich nickte hektisch. »Harper Grayson, sie ist Marys beste Freundin.«

»Ihre Schwester war augenscheinlich alleine unterwegs. Sie ging zu Fuß.«

Warum hatte Mary mich nicht angerufen, damit ich sie abhole? Warum hatte sie das Risiko in Kauf genommen, diese scheißdunkle Straße entlang zu streunen?

In dieser Nacht konnte ich nicht schlafen. Immerzu dachte ich an Marys Worte, dass sie keinen Alkohol trinken und gemeinsam mit Harper nach Hause kommen würde.

Es war vier Uhr morgens, als ich die Beine aus dem Bett schwang, Jeans und Shirt anzog und mein Zimmer verließ. Im Flur zog ich meine Boots an, die Lederjacke über und verließ das Haus.

Meine Schritte führten mich zu meinem Motorrad, das vor der Garage stand. Ich setzte mich drauf, pfiff auf den Helm und startete die Maschine.

Dann fuhr ich los.

Ich parkte vor dem Haus von Harpers Mutter und eilte zur Tür. Immer wieder drückte ich die Klingel, auch noch, als ich durch die Buntglasscheiben sah, dass jemand die Treppe herunterkam.

»Was ist denn los?«, fragte Mrs. Grayson alarmiert, nachdem sie die Haustür geöffnet hatte.

»Wo ist Harper?«, wollte ich wissen.

»In ihrem Bett und schläft. Ist etwas passiert?«

»Nicht jetzt!«, herrschte ich sie an, betrat das Haus und rannte nach oben. »Harper!«, brüllte ich durch den Flur. Hoffentlich würde Mr. Grayson nicht kommen und mir den Kopf abreißen. Nein, was dachte ich denn da? Harpers Vater war vor fünf Jahren abgehauen und hatte Frau und Kind im Stich gelassen. Ich schaute hinter jede Tür und schließlich sah ich sie in ihrem Bett liegen. Ich schaltete das Licht ein, ging zu ihr und riss die Decke von ihrem Körper. »Wach auf, verdammt!«

Harper drehte sich blinzelnd auf den Rücken. »Was ist denn?«, fragte sie verschlafen.

Ich beugte mich über sie und starrte in ihre blauen Augen. »Warst du bei Jacksons Party?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, warum?«

»Du wolltest sie begleiten!«, herrschte ich sie an und griff an den Kragen ihres Schlafshirts. Ich zog sie ins Sitzen.

»Was ist denn passiert?«, fragte Harper leise, ich sah die Angst in ihren Iriden.

»Mary ist tot! Du wolltest mit ihr zu dieser Party, aber bist nicht mit ihr gegangen. Deinetwegen ist Mary tot! Sie wurde überfahren und beinahe bis in die Stadt mitgeschliffen! Mary. Ist. Deinetwegen. Tot!«, schrie ich sie an.

»Das reicht jetzt, Grant!«, mischte Mrs. Grayson sich ein. »Harper fühlte sich nicht gut und ist hiergeblieben. Mary wollte trotzdem zu der Party und wurde hier von irgendwelchen Jungs aus der Oberstufe abgeholt.«

»Mary ist tot?«, hakte Harper schwer atmend nach.

Ich sah sie vernichtend an. »Am besten kommst du mir nie wieder unter die Augen, denn das nächste Mal, werde ich dich mit meiner Scheißkarre mitschleifen, damit du weißt, was Mary für Schmerzen durchlitten hat, bevor sie erlöst wurde!«

»Grant!«, schrie Mrs. Grayson mich an.

»Ich gehe!«, schoss ich zurück, stieß Harper zurück auf ihr Bett und verließ das Haus der Graysons.

Sie war schuld. Wäre sie dabei gewesen, würde Mary noch leben.

In diesem Moment gab es keinen Menschen, den ich mehr hasste als Harper Grayson.

1

HARPER

SECHS MONATE ZUVOR

»Bleib im Schrank, Baby«, beschwor ich Elijah und schloss die Türen des Wandschranks.

»Wo bist du nur, mein kleines hässliches Entlein?«, rief Jonas. Er war betrunken, dann wurde er immer unfair – und handgreiflich. Beim letzten Mal musste ich Elijah ins Krankenhaus bringen, weil Jonas ihn die Treppe hinuntergeworfen hatte. Von dort aus war ich mit ihm weggelaufen, aber Jonas hatte uns gefunden, kaum dass wir die erste Rast gemacht hatten. Seit fast sechs Jahren waren wir ein Paar, lebten in einem Haus, das seine Eltern uns gekauft hatten, und ich wollte nur noch fort.

Er behauptete immer, dass er uns lieben würde, aber das bezweifelte ich. Ein liebender Partner und Vater würde niemals Hand an seine Freundin und seinen Sohn legen. Ich hatte das alleinige Sorgerecht, weil wir nicht verheiratet waren, aber Jonas behauptete immer wieder, dass er mich trotzdem wegen Kindesentführung drankriegen könnte. Und aus Angst davor, dass man mir Elijah wegnehmen und in seine Obhut übergeben würde, blieb ich.

Ich trat auf den Flur. »Du bist schon wieder betrunken, Jo.« Meine Stimme troff vor Verachtung, aber nichts anderes verdiente er.

Er kam gerade die Treppe hoch und sah mich aus glasigen Augen an. »Warum bist du schon wieder so frech?«

»Ich bin nicht frech, sondern ehrlich«, entgegnete ich fest, obwohl mir das Herz bis zum Hals schlug. Ich hatte Angst vor ihm, weil ich genau wusste, wozu er imstande war. Er machte keinen Halt vor mir, schlimmer war aber, dass er auch keinen vor Elijah machte.

Jonas stolperte auf mich zu, doch ich wich zurück, damit er mich nicht so schnell schnappte. Allerdings blieb er vor der Tür zu Elijahs Zimmer stehen und musterte diese. »Ich glaube, ich unterhalte mich mal mit unserem Sohn.«

»Ich warne dich. Geh zu ihm und ich bringe dich um«, sagte ich unruhig.

»Dann komm her, du kleines Miststück!«, schrie er mich an.

Ich atmete tief durch, dann ging ich zu ihm. Lieber zog ich seinen Zorn auf mich, als dass er ihn an Elijah ausließ.

Kaum hatte ich ihn erreicht, baute er sich zu seiner vollen Größe auf und sah mich aus verengten Augen an. »Das nächste Mal kommst du sofort zu mir!«, schrie er mich an, ballte die Faust und trieb sie mir ins Gesicht.

Mit einem dumpfen Laut stolperte ich nach hinten, aber er packte rechtzeitig mein Handgelenk und bewahrte mich so vor einem Sturz. Dummerweise hatte es mich zu früh erleichtert, denn er schlug gleich noch einmal zu. Wenn es nicht seine Faust war, die mich traf, waren es Ohrfeigen.

Das Finale war sein Knie, das er mir in den Magen rammte. Ich erbrach mich auf das Parkett und fiel auf alle Viere, nachdem er mich losgelassen hatte.

»Mach das sauber, du nutzloses Stück Scheiße!«

Meine Arme zitterten, ich konnte mich kaum halten und Jonas legte seine Hand in meinen Nacken. Er drückte mein geschundenes Gesicht in mein Erbrochenes, was mir abermals die Galle die Speiseröhre hochtrieb.

Ich hatte saubergemacht und die Nacht bei Elijah verbracht. Wir hatten uns in sein Zimmer eingeschlossen, damit Jonas uns nichts mehr antun konnte. Wenn er morgen zur Arbeit fuhr, würde ich Elijahs und meine Sachen packen und nach Hause fahren. Mom lebte in einer Kleinstadt, die ich wegen des Todes meiner besten Freundin verlassen hatte.

Ich würde in meine Heimat zurückkehren und hoffen, ihm niemals zu begegnen, denn seine Drohung war es damals, die mich vertrieben hatte.

»Wohin fahren wir, Mommy?«, fragte Elijah, den ich am Vormittag in mein Auto gesetzt hatte. Mit zwei Rucksäcken voller Kleidung hatte ich die Hoffnung, ein neues Leben mit meinem Sohn anzufangen.

»Wir fahren zu deiner Grandma, Eli«, erwiderte ich und schenkte ihm ein Lächeln, obwohl mein Gesicht höllisch schmerzte. Mit Make-up hatte ich versucht, die Spuren der letzten Nacht vor den Augen anderer zu verbergen, aber es war kaum möglich gewesen. Hämatome schienen durch die Schichten der Foundation und des Make-ups, nichts half, dennoch hoffte ich, dass sie meiner Mutter nicht auffallen würden.

Ich hatte die Haushaltskasse geplündert, später an einem Geldautomaten meine Kreditkarte ausgereizt und sie dann zerschnitten, zwei weitere Stunden später hatte ich mein Auto verkauft und ein Stück die Straße herunter ein anderes gekauft. Zwar hatte ich für den VW, den ich von Jonas bekommen hatte, nicht so viel Geld bekommen, aber es hatte für einen alten Dodge gereicht, mit dem wir weitergefahren waren.

Schließlich parkte ich zwölf Stunden später vor Moms Haus. Es war später Abend und das Licht war bereits ausgeschaltet, dennoch musste ich es versuchen. Ich atmete tief durch und schaute zu Elijah, der auf dem Beifahrersitz schlief. Dann stieg ich aus, ging um den Dodge herum und öffnete die Beifahrertür. Vorsichtig schnallte ich meinen Sohn ab, hob ihn aus dem Wagen und trug ihn zur Haustür. Er war schwer geworden und ich hatte Schmerzen, dennoch wollte ich ihn bei mir haben. Ich schluckte. »Wird schon schiefgehen«, sagte ich leise und drückte auf die Klingel.

Vor sechs Jahren war ich weggelaufen und hatte mein Leben, sogar meine Mutter hinter mir gelassen. Sicher hatte ich ihr das Herz gebrochen, doch hoffte ich, dass sie uns beide aufnehmen würde, bis ich etwas Eigenes gefunden hatte.

Nichts geschah.

Ich klingelte noch einmal. »Komm schon, Mom.«

Es dauerte einige Atemzüge, bis ich noch einmal den Knopf drückte und das Glockengeläut durch das Haus schallte. Dann ging das Licht an.

Ich machte mich darauf gefasst, dass sie mich abweisen würde.

Die Haustür wurde geöffnet und meine Mutter stand mir gegenüber. »Harper?«, fragte sie sichtlich überrascht.

»Hi, Mom«, erwiderte ich mit Tränen in den Augen.

Sie sah Elijah und mich überfordert an, dann musterte sie mich intensiver. »Wa-was machst du hier?«

Ich holte tief Luft. »Dürfen wir reinkommen?«

»Sicher.« Sie trat einen Schritt zur Seite.

Zurückhaltend trug ich Elijah hinein und blieb mitten im Eingangsbereich stehen.

»Wer ist das?« Sie kam näher und betrachtete meinen Sohn ausgiebig. Dann schnappte sie nach Luft. »Ist er … dein Kind?«

Ich nickte. »Ja.«

Elijah bewegte seinen Kopf und drehte sein Gesicht von ihr weg, was ich daran merkte, dass sein Atem nun meinen Hals streifte.

Mom seufzte leise, etwas, was sie früher immer nur getan hatte, wenn sie unzufrieden war. »Warum bist du zurückgekommen?«

»Darf ich Elijah in mein altes Zimmer legen? Wir waren wirklich sehr lange unterwegs und er ist schwer.«

Daraufhin nickte sie.

»Danke, Mom.«

»Du kennst ja den Weg.«

Nachdem ich Elijah ins Bett gebracht hatte, fiel mein Blick auf das Foto von Mary und mir, das immer noch auf dem Nachttisch stand. Es wirkte wie eine Aufnahme aus einem anderen Leben, so schwach beleuchtet, wie es dastand. Ich riss mich von dem Anblick los, erhob mich von der Bettkante und verließ mein altes Schlafzimmer. Die Tür lehnte ich an, damit ich Elijah hörte, sollte er aufwachen.

Ich fand Mom in der Küche, wo sie an der Kaffeemaschine stand und eine Kanne vorbereitete. »Danke.«

Sie schaute zu mir. »Wo hast du gesteckt?«

Ich schluckte. »Als ich damals weggelaufen bin, habe ich in Chicago einen Mann kennengelernt, in den ich mich verliebt habe«, begann ich leise. »Er hat dort studiert und ich kam bei ihm unter.« Ich holte tief Luft. »Ich wurde ziemlich schnell schwanger und seine Eltern kauften uns ein Haus in Springfield. Vor einer Weile fing er an zu trinken und ließ seine Wut an Elijah und mir aus.«

»Er hat euch geschlagen?«

Ich nickte langsam.

Mom fasste sich ans Herz und schloss die Augen. »Warum hast du ihn nicht früher verlassen?«

»Weil ich immer gehofft habe, dass er aufhört, außerdem hat er mir gedroht, mich verhaften und mir das Sorgerecht entziehen zu lassen, sollte ich ihn verlassen.«

»Hast du das alleinige Sorgerecht für den Jungen?«

»Ja.«

»Dann kann er dir überhaupt nichts.« Mom schaltete die Kaffeemaschine ein und kam zu mir. Sie legte ihre Hände auf meine Schultern, betrachtete mich mit prüfendem Blick. Danach nahm sie ein Küchentuch, befeuchtete es und wischte das Make-up von meiner Haut. Mom schluckte, als sie das Ausmaß von Jonas‘ letztem Ausbruch sah. »Er wird dich suchen, das ist dir bewusst, oder?«

Ich holte tief Luft. »Ich habe mein Auto verkauft und ein wenig später den Dodge vor der Tür gekauft. Jonas weiß nicht, woher ich komme. Er hat mich nie danach gefragt und ich weiß auch nicht, wie er mich finden soll.«

»Du musst diesen Mann anzeigen.«

»Ich weiß, aber dann erfährt er, wo wir sind.«

Sie schob mich zum Esstisch. »Setz dich.« Dann zog sie einen Stuhl zurück.

»Danke.« Ich plumpste auf den Stuhl und schaute zu ihr hoch. »Ich habe Angst vor ihm und Elijah ist in sich gekehrt, seit Jonas ihn krankenhausreif geprügelt hat. Ich weiß nicht, wie ich mich gegen ihn wehren soll.«

»Du musst ihn anzeigen«, wiederholte Mom. »Und eine Bannmeile erwirken, damit er sich euch nicht mehr nähern darf.«

Ich nickte. Sie hatte recht, aber würde ich es tun, würde Jonas erfahren, wo wir waren.

Das durfte ich keinesfalls riskieren.

2

GRANT

HEUTE

Ich saß auf meinem Motorrad vor dem Supermarkt der Stadt. Während ich so dasaß und mich umsah, hatte ich das Gefühl, meine Schwester vor mir zu sehen.

Auch noch sechs Jahre später schmerzte es mich, meine Schwester verloren zu haben. Seufzend stieg ich von meinem Bike, legte den Helm ins Fach unter dem Sitz und schloss es ab. Danach betrat ich den Supermarkt. Geoff hatte mich gebeten, den Einkauf zu übernehmen. Seine Freundin war noch unterwegs und er arbeitete immer ziemlich lange und somit war ich der Einzige, der es heute übernehmen konnte.

Mein Blick fiel auf den Zettel, bevor ich mir einen Korb schnappte. Ich holte das Gemüse, das Emma aufgeschrieben hatte, anschließend machte ich mich auf den Weg zum Fleisch.

»Danke, Liebes«, hörte ich Mrs. Peabody sagen und hob den Blick. Eine junge Frau lächelte ihr entgegen und sie schien zum Personal zu gehören, da sie auch diese hässliche hellblaue Weste trug wie alle anderen. Ich wusste gar nicht, dass Charles jemand Neues eingestellt hatte, dabei sprach sich hier alles schnell herum. Sie kam mir bekannt vor, allerdings war ich mir sicher, sie nicht zu kennen.

»Gern, Mrs. Peabody«, erwiderte sie lächelnd und sogar ihre Stimme meinte ich, schon einmal gehört zu haben. Wer war sie? Die Mitarbeiterin wandte sich ab und räumte weiter Konservendosen ins Regal.

»Du erkennst sie nicht, oder?«

Ich drehte mich um. »Wen?«

»Die Kleine da vorn«, antwortete Danny, einer meiner Kindheitsfreunde.

»Sie kommt mir bekannt vor, aber ich kann sie nicht zuordnen«, gab ich zu.

»Harper Grayson«, sagte er und in mir krampfte sich alles zusammen. »Ist vor einem halben Jahr zurückgekommen und lebt bei ihrer Mom.«

Skeptisch schaute ich noch einmal zu ihr. »Das kann unmöglich Harper sein.«

»Sie ist es.«

Ich schnaubte. »Ich dachte, ich hätte sie damals vertrieben.«

»Hast du auch – zumindest für ein paar Jahre –, aber sie kam zurück … mit einem Kind, das man ihr angehängt hat.«

Das sah zumindest der früheren Harper nicht ähnlich, sie war immer diejenige, die Mary davon abgehalten hatte, Dummheiten zu machen. Meine Schwester hatte sie damals dafür gehasst, dass sie Danny vertrieben hatte, als er sich Mary nähern wollte. Dabei war meine Schwester immer in ihn verknallt gewesen. Ich stieß geräuschvoll die Luft aus, griff nach den Steaks aus der Kühltheke und ließ Danny stehen. Als ich an Harper vorbeikam, warf ich ihr nur einen kurzen Blick zu und dann erkannte ich sie auch. Ihr Gesicht hatte sich kaum verändert, bloß die Lebensfreude war aus ihren damals funkelnden blauen Augen gewichen.

Als sie mich sah, wandte sie sich sofort ab.

Kopfschüttelnd holte ich die restlichen Sachen und ging an die Kasse.

»Ach verdammt, es steht kein Preis auf den Steaks«, sagte Charles und verdrehte die Augen, anschließend griff er zum Mikrofon, mit dem er die Durchsagen machte – dabei hatte der Laden gerade mal die Größe von einem halben Fußballfeld. »Ich brauche einen Preis für die Rinderhüftsteaks«, sprach er ins Mikrofon und ich tippte ungeduldig auf den Holztresen vor mir.

Wenig später hörte ich schnelle Schritte. »Welche Packung?«, vernahm ich eine weibliche Stimme und drehte mich um. Sie schluckte und wich abermals meinem Blick aus.

»Die Großpackung.«

Sie griff in die Tasche ihrer Weste. »Die Gro-groß-packung … i-ist für sieben Dollar neunundneunzig im Angebot«, stammelte sie.

»Danke, Harper.«

»K-kein Thema.«

»Danke«, wandte ich mich an sie, woraufhin Harper nickte und sich schnellstmöglich aus meiner Reichweite begab. Ich hatte ihr damals Unrecht getan, aber in jener Nacht war es mir richtig vorgekommen. Harper war genauso unschuldig an Marys Tod wie ich oder Geoff. Allerdings hatte ich vor sechs Jahren in jedem einen Schuldigen gesehen, sogar meinem Bruder hatte ich Vorwürfe gemacht, dass er nicht auf sie aufgepasst hatte. Dennoch waren jene, die ich mir machte, am schlimmsten.

»Hast sie damals ziemlich erschreckt«, sagte Charles, woraufhin ich ihm einen finsteren Blick zuwarf.

»Das ist mir auch klar.«

»Sie hat um sechs Feierabend und fährt immer sofort nach Hause. Vielleicht solltest du dich bei ihr entschuldigen.«

Ich winkte ab, auch wenn die Idee nicht so schlecht war. Jedoch war ich fest davon überzeugt, dass Harper nicht mit mir sprechen würde. Früher oder später würden wir einander über den Weg laufen und dann, hoffte ich, würde sie nicht vor mir wegrennen. In den letzten paar Jahren hatte ich ihrer Mom immer wieder bei Reparaturen im Haus geholfen, um mich wegen Harpers Verschwinden nicht schuldig zu fühlen – geholfen hatte es nie, aber Adaline Grayson hatte es mir nicht ein einziges Mal zum Vorwurf gemacht.

Sie war der Meinung, dass Harper nicht mit Marys Tod konfrontiert werden wollte. Aber das glaubte ich nicht, denn damals hatte ich die Angst in Harpers Augen gesehen – heute auch wieder. Wahrscheinlich glaubte sie immer noch an meine Worte. Sie fürchtete sich immer noch vor mir.

Ich nahm die Einkäufe an mich und verließ den Laden. Zunächst wollte ich nach Hause, um sie abzulegen. Vielleicht würde ich mal bei Adaline, Harpers Mutter, vorbeifahren. Aber wie konnte es sein, dass Harper mir in den letzten Monaten nicht aufgefallen war? Ich war doch immer wieder im Haus, um irgendwelche Kleinigkeiten zu reparieren. Möglicherweise hatte Adaline es immer so gelegt, dass ich zu ihr kam, wenn Harper unterwegs war.

Das schien mir die einzig mögliche Lösung zu sein.

»Dir auch einen schönen Tag«, sagte Emma, als ich brummend an ihr vorbeimarschierte.

»Hm«, gab ich bloß zurück und brachte die Lebensmittel in die Küche.

»Ist dir eine Laus oder eine Elefantenherde über die Leber gelaufen?«, wollte sie wissen, als sie mir folgte.

»Weder noch.«

»Sondern?«

»Eine Begegnung mit der Vergangenheit«, antwortete ich und stellte die Tasche ab, die ich anfing, auszuräumen. »Hat mich eiskalt erwischt.«

Emma kam zu mir und nahm mir die Steaks aus der Hand. »Wem bist du denn begegnet?«

»Harper Grayson.«

»Wer ist das?«

»Sie war die beste Freundin meiner Schwester«, erwiderte ich und räumte die Konserven weg. »Ich habe ihr damals Vorwürfe gemacht, nachdem ich erfahren hatte, dass Mary umgekommen ist.«

»Hast du ihr die Schuld gegeben?«

Ich nickte knapp.

»Das war aber sicher nicht alles, oder?«

Mit einem Seufzen drehte ich mich zu ihr um. »Ich sagte ihr, dass ich sie genauso überfahren würde wie Mary, sollte sie mir noch einmal unter die Augen treten, weil ich ihr die Schuld gab.«

Emma verzog das Gesicht. »Das war daneben.«

»Ich weiß. Danach lief sie weg und sie ist wohl vor einiger Zeit zurück in die Stadt gekommen und hat ein Kind.«

»Moment, Harper Grayson sagtest du, oder?«

»Ja genau.«

»Adaline Graysons Tochter?«

»Richtig«, stimmte ich zu.

»Dann ist ihr Enkel in meiner Tagesgruppe.«

Ich hob eine Augenbraue. »Sie hat wirklich einen Sohn?«

»Ja, sein Name ist Elijah, ein ziemlich in sich gekehrter Junge. Er lässt niemanden an sich heran, warum auch immer. Harper erklärte bei seiner Anmeldung bloß, dass sie eine schwere Zeit hinter sich hätten«, antwortete Emma. »Wenn du mich fragst, hat der Junge etwas Schreckliches hinter sich.«

»Ich frage dich aber nicht und es interessiert mich noch weniger, was dem Kind dieser Frau zugestoßen ist«, entgegnete ich entschieden. Es musste nicht sein, dass sie erfuhr, was mir durch den Kopf ging. Klar machte ich mir Gedanken darüber, ob ich mich bei Harper entschuldigen sollte oder nicht, aber ich war unsicher. Was sollte ich denn tun? Sie um Verzeihung bitten oder so tun, als wäre niemals etwas geschehen?

Ich wusste es nicht.

»Du hast mit dem Thema angefangen, nicht ich«, hielt sie dagegen. »Wenn dich die Begegnung mit ihr so sehr aus der Bahn geworfen hat, solltest du andere nicht blöd von der Seite anmachen, Grant.«

»Hm«, gab ich zurück und schloss den Kühlschrank. »Ich bin oben.«

»Alles klar.«

Emma wohnte mehr oder weniger hier und mir war bewusst, dass Geoff und sie womöglich den nächsten Schritt gehen könnten. Wahrscheinlich war es an der Zeit, mir eine eigene Bleibe zu suchen. Ich war fünfundzwanzig Jahre alt, Geoff dreißig und für ihn war es an der Zeit, eine Familie zu gründen. Ich hingegen hatte keine Lust auf eine Frau, geschweige denn auf Kinder. Nachdem meine Ex mich damals so mies hintergangen hatte, hatte ich nur noch flüchtige Bekanntschaften, die im Bett endeten und am nächsten Morgen waren entweder diese Frauen oder ich verschwunden. Mehr wollte ich vom weiblichen Geschlecht nicht.

Als ich in meinem Zimmer war, ließ ich mich rücklings aufs Bett fallen. Ich starrte die Decke an, atmete tief durch und fragte mich, ob Harper meine Worte von damals immer noch ernst nahm.

Es gab nur einen Weg, es herauszufinden.

Am Abend war ich mit dem Motorrad zu Adaline gefahren. Ich hatte vor dem Haus geparkt und sah es an. Im Wohnzimmer brannte Licht und als ich den Blick hob, erkannte ich, dass jemand in Harpers Zimmer war. Ich sah sie ans Fenster kommen, dann wurden die Vorhänge geschlossen. »Jetzt oder nie«, sagte ich leise. Ich stieg von meinem Bike und stellte den Helm ins Fach, das ich verschloss, anschließend lief ich zur Haustür.

»Harper, kannst du mir die Rohrzange bringen?«, hörte ich Adaline rufen.

»Was ist denn jetzt schon wieder kaputt?«

»Der Abfluss tropft und da du nicht willst, dass ich Grant bitte, ihn zu reparieren, muss ich es erledigen!«

»Ruf einfach einen Klempner, Mom!«

»Bring mir die gottverdammte Rohrzange!«

»Ja sofort!«

Ich schnaubte amüsiert. Normalerweise rief Adaline mich für solche Reparaturen an, aber das hatte sie seit ein paar Wochen nicht mehr getan. Also lag es wirklich an Harpers Rückkehr, dass sie mich auf einmal nicht mehr brauchte. Sie hatte sich selbst darum gekümmert oder andere Handwerker gerufen, die ihr Geld dafür abknöpften. Ich tat es nie. Nachdenklich klingelte ich.

»Es hat geklingelt, Harper!«

»Komme.«

Schnelle Schritte ertönten und dann wurde die Tür geöffnet. Sie starrte mich mit großen Augen an, anschließend knallte sie die Haustür wieder zu.

»Wer war das, Liebes?«

»Hat sich in der Tür geirrt«, antwortete Harper.

Ich drückte noch einmal auf die Klingel.

Wieder näherten sich Schritte, diesmal öffnete Adaline. »Grant, wie schön, dich zu sehen.« Sie kam heraus und umarmte mich fest. »Wie geht’s dir?«

»Danke, gut. Ich glaube, ich habe Harper erschreckt.«

Sie löste sich von mir. »Sie hatte bloß einen stressigen Tag.« Adaline schenkte mir ein Lächeln.

»Ich habe mitbekommen, dass der Abfluss tropft, soll ich mal danach sehen?«

»Würdest du? Ich wollte dich nicht anrufen, weil ich nicht wusste, wie Harper und du aufeinander reagiert«, sagte sie.

»Sonst würde ich es dir nicht anbieten«, erwiderte ich gut gelaunt.

»Komm rein, Grant, möchtest du einen Kaffee oder ein Glas Cola?«

»Der Kaffee klingt gut.« Ich folgte ihr in die Küche, wo Harper am Tisch saß und hinausschaute. »Ist er weg?«

»Nein«, antwortete ich ruhig.

Harper erstarrte. »Ich gehe ins Bett.«

»Es ist erst halb neun, Harper«, warf Adaline an.

»Es war ein stressiger Tag und Elijah war vorhin unruhig, ich lege mich zu ihm, damit er ruhiger schläft.«

»Komm schon, Liebes, bleib hier und trink einen Kaffee mit uns«, bat Adaline ihre Tochter, die ich musterte. Harper trug nicht mehr diese grauenvolle Brille, ihr Haar war nicht mehr langweilig braun, sondern blond gesträhnt. Sie sah gut aus, obwohl sie ungeschminkt war und einen Messie-Bun trug.

»Na schön, ich gehe ins Wohnzimmer.« Harper erhob sich und kam auf uns zu, allerdings vermied sie es, mich anzusehen. »Bis nachher, Mom.«

Adaline seufzte. »Bis nachher.«

Kaum hatte Harper den Raum verlassen, räusperte ich mich. »Hast du eine Rohrzange für mich?«

»Ich hole sie dir«, antwortete sie und ließ mich allein.

Ich zog meine Jeansjacke aus und legte sie über einen der Stühle. Danach sah ich mir die Sauerei unter der Spüle an. Der Abfluss tropfte wohl schon ein wenig länger, das sah und roch man.

»Hier ist die Rohrzange. Ich weiß nicht, was passiert ist, dass er schon wieder tropft.«

Ich räusperte mich. »Warum hast du mich nicht angerufen?«

»Wie ich schon sagte: Ich war mir nicht sicher, wie Harper und du aufeinander reagiert«, antwortete sie. »Seit sie wieder hier ist, hat sie Angst, auf dich zu treffen.«

»Weil ich sie damals so fertiggemacht habe?«

»Richtig. Sie denkt, dass du ihr immer noch die Schuld gibst.«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe sie ihr damals auch nicht wirklich gegeben. Ich war bloß so unendlich wütend, weil Mary verunglückt war.«

Adaline legte ihre Hand auf meine Schulter. »Ich weiß, aber Harper hat damals wahnsinnige Angst vor deiner Drohung gehabt. Sie war auf einmal weg und du weißt selbst, wie lange wir nach ihr gesucht haben. Sie wollte nicht gefunden werden und vor sechs Monaten stand sie auf einmal mit meinem Enkel vor mir.«

»Emma sagte, dass er in ihre Kindergartengruppe geht.«

Sie nickte. »Ja, ich habe Harper empfohlen, sie zu Emma zu schicken, weil sie so eine nette Person ist. Sie hat nach einigem Zögern Elijahs auch einen Zugang zu ihm gefunden.«

»Ist er so verschlossen?«, hakte ich interessiert nach.

»Leider ja, aber das liegt an seinem Vater. Der Mann muss die beiden wie Dreck behandelt haben«, entgegnete sie bedrückt. »Ich wünschte, ich hätte mein Kind beschützen können.«

Ich schaute zu ihr hoch, da ich bereits vor der Spüle kniete. »Wenn sie immer noch so wie früher ist, hätte sie dir niemals etwas davon gesagt. Harper war damals schon eher der verschwiegene Typ.«

Adaline nickte. »Ich weiß.«

Ich erkannte die Tränen in ihren Augen, wusste aber nicht, wie ich mich verhalten soll. Ich nahm ihr die Rohrzange aus der Hand und kümmerte mich um den Abfluss.

»Tropft es noch?«, fragte Adaline zehn Minuten später.

»Das kann ich dir sagen, wenn du das Wasser aufdrehst«, erwiderte ich und wartete.

»Es läuft.«

»Ich hör’s.« Ich sah mir den Siffon an, er hielt. »Er tropft nicht mehr.« Danach kletterte ich aus dem Unterschrank und stand auf.

»Du bist ganz nass«, stellte Adaline fest. »Gib mir dein Hemd, ich werfe es in den Trockner.«

»Das ist nicht nötig. Ich mache mich jetzt gleich auf den Heimweg.«

»Nun mach schon«, drängte sie mich amüsiert.

»Na schön«, gab ich mich geschlagen und zog das Shirt aus.

»Mom, ich … Was läuft hier?«, fragte Harper und sah uns ebenso überfordert an, wie ich sie.

»Grants Shirt ist nass geworden, ich werfe es in den Trockner«, antwortete Adaline und ließ mich stehen.

Harper blickte zu ihrer Mutter, mich ignorierte sie. »Oben sind doch bestimmt noch Hemden von Dad, oder?«

»Ja, Liebes, sie sind im Kleiderschrank, das weißt du doch.«

»Dann hole ich ihm eines, nicht dass Eli sich noch erschreckt, weil ein unrasierter Gorilla in der Küche steht«, sagte Harper trocken und wandte sich ab. »Das gibt’s doch nicht«, fuhr sie leise fort, als sie die Küche verließ.

Adaline lachte leise. »Ich fürchte, sie interpretiert mehr in diesen Anblick hinein.«

»Kann gut sein«, stimmte ich zu und setzte mich an den Tisch.

3

HARPER

Aus Moms Kleiderschrank holte ich eines von Dads alten Hemden, die sie nie weggeworfen hatte. Ich konnte kaum glauben, dass Grant Stevens im Haus war. Warum hatte Mom ihn hereingelassen? Sie wusste genau, wie sehr ich ihm aus dem Weg gehen wollte, sonst hätte ich ihm auch nicht die Tür vor der Nase zugeschlagen. Und ich wäre ihm auch auf der Arbeit nicht ausgewichen. Mir war bewusst, dass wir uns früher oder später begegnen würden, allerdings hatte ich es sechs Monate lang geschafft, ihm aus dem Weg zu gehen – heute war er mir gleich zweimal über selbigen gelaufen. Noch immer hallte seine Drohung in meinen Gedanken wider. Zwar glaubte ich heute nicht mehr daran, dass er sie wahrmachen könnte, aber Angst hatte ich immer noch. Hätte er mir damals nicht gedroht, hätte ich mir Marys Beerdigung nicht aus der Ferne angesehen, sondern wäre wirklich dabei gewesen. Ich hatte meine beste Freundin ebenso verloren, wie er die Schwester, die ich immer in ihr gesehen hatte. Mary fehlte mir unheimlich und ich wäre dankbar für jede Minute, in der ich ihr noch einmal sagen könnte, wie wichtig sie mir war. Hätte ich damals keine Migräne gehabt, wäre ich mit ihr zu Jacksons Party gefahren und hätte nicht kurzfristig abgesagt. Wir wären gemeinsam nach Hause gegangen oder gefahren und es wäre womöglich niemals zu diesem folgenschweren Unfall gekommen. Niemals.

»Harper?« Mom.

Mit einem Kopfschütteln vertrieb ich die Gedanken, nahm das Hemd vom Kleiderbügel und machte mich auf den Weg in die Küche. »Du weißt, dass er schläft«, sagte ich ruhig.

»Tut mir leid, aber Grant friert sicher.«

Ich schaute kurz zu ihm, dann sofort wieder zu ihr. »Sieht nicht so aus, in diesem Haus fühlt man sich wie im Regenwald.« Anschließend gab ich Mom das Hemd. »Ich setze mich ein wenig nach draußen.«

Sie nickte mir zu. »Vielleicht kann Grant dir Gesellschaft leisten.«

»Nein, ich will allein sein«, gab ich sofort zurück. Danach verließ ich die Küche. Ich ging auf die hintere Veranda und setzte mich auf die Hollywoodschaukel. Nachdenklich schubste ich mich leicht mit dem Fuß an. Ich blickte hinauf zu den Sternen und fragte mich, ob es wirklich einen Himmel gab, in den wir nach unserem Leben aufsteigen würden. Wenn es tatsächlich so war, so war ich mir sicher, war Mary dort und würde den Laden gehörig aufmischen. Bei diesem Gedanken musste ich unwillkürlich lächeln.

»Steht dir besser, als der verunsicherte Ausdruck.«

Ich drehte den Kopf zur Seite und schaute Grant an.

»Deine Mom meinte, dass du sicher durstig bist.« Er kam näher und gab mir ein Glas von Moms selbstgemachten Eistee.

»Danke.« Ich stellte es auf den Tisch neben der Hollywoodschaukel.

»Darf ich mich setzen?«

»Wir leben in einem freien Land.« Ich hörte auf zu schaukeln, damit er sich setzen konnte. Zwar fühlte ich mich in seiner Gegenwart unwohl, aber ich wollte nicht, dass Mom sauer wurde, weil ich ihm gegenüber unfreundlich war.

»Das ist keine Antwort, Harper.«

»Setz dich einfach.« Ich rutschte so weit zur Seite, dass mir das Gestell in die Seite drückte.

»Danke.« Grant nahm Platz, sodass Mom noch problemlos zwischen uns gepasst hätte. »Du hast ein Kind?«

»Ja.«

»Wie alt?«

»Fünf.«

»Junge oder Mädchen?«

»Ein Junge, sein Name ist Elijah.«

»Du bist sehr jung Mutter geworden«, stellte er fest.

Ich atmete tief durch. »Kommt jetzt irgendeine Spitze? Wenn ja, spar sie dir, du kannst mich nicht mehr fertigmachen.«

»Nein, ich habe nicht vor, dich zu beleidigen«, erwiderte Grant. »Ich dachte bloß, dass du nicht so früh Mutter werden würdest. Eigentlich war ich davon ausgegangen, dass du es als Einzige aus diesem Nest rausschaffen würdest.«

Ich räusperte mich. »Es kommt immer anders, als man denkt.«

»Das ist wohl wahr.« Er holte tief Luft. »Warum bist du damals weggelaufen?«

»Warum wohl?«, wollte ich wissen.

»Meinetwegen?«

Ich nickte langsam. »Du hast mir Todesangst gemacht. Nachdem du mich dann noch vor der Beerdigung auf dem Friedhof zur Schnecke gemacht und mich wieder bedroht hast, hatte ich Angst, in der Stadt zu bleiben.

---ENDE DER LESEPROBE---