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Wir schreiben das Jahr 2077. Lukka, zwölf Jahre alt, lebt mit ihren Eltern auf dem Mars. Geboren auf dem Roten Planeten, kennt sie nur ihr Habitat und den nahegelegenen Raumhafen. Zusammen mit Jen und Loran, den einzigen anderen Jugendlichen, die wie sie auf dem Mars zur Welt gekommen sind, bildet sie eine unzertrennliche Einheit. Doch als zwei neue Bewohner ankommen, verändert sich ihr früher ruhiges Leben dramatisch. Lukka entdeckt, dass ihre bisherige Welt viel größer und mysteriöser ist, als sie je dachte. Zusammen mit ihren Freunden begibt sie sich auf die Spur von Rätseln und Geheimnissen, die ihre Gemeinschaft umgeben. Plötzlich finden sich die Kinder in einem Abenteuer wieder, das sie an die Grenzen ihrer Vorstellungskraft und darüber hinaus führt.
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Seitenzahl: 156
Veröffentlichungsjahr: 2024
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.
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© 2024 novum publishing
ISBN Printausgabe: 978-3-7116-0109-4
ISBN e-book: 978-3-7116-0110-0
Lektorat: Emma J. Dharmaratne
Umschlag- & Innenabbildungen: Angie Schneider
Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh
www.novumverlag.com
Anmerkung
Mission Futura
(Name der Marsmission 2051, bei der die heutigen Siedler
des Habitat 2 zum Mars flogen)
Im Auftrag der IMB
(Internationale Marsbehörde)
Im Jahr 2077
Die Reise zum Roten Planeten
Seit Monaten fliegt das Raumschiff ruhig und ohne auch nur die kleinste Kursabweichung auf sein Ziel zu: einen leuchtenden Punkt, da wo der Horizont sein müsste. Doch im All gibt es keinen Horizont. Es gibt kein Oben und kein Unten und Zeit scheint es auch nicht zu geben. Es ist schwer zu sagen, ob gerade Tag oder Nacht ist, die Sonne scheint pausenlos durch die Dunkelheit der Galaxie. Nur dort, wo sie auf einen Himmelskörper trifft, zaubert sie auf einer Seite Tag und auf der anderen Seite Nacht.
An Bord des Raumschiffs sind außer der Vier-Mann-Besatzung noch weitere sechs Personen: vier Techniker und Programmierer zum Unterhalt der Roboter und Maschinen in der Industrie sowie ein junges Paar, ein Pilot und eine Biologin.
Sie werden noch zehn Erdentage unterwegs sein, dann haben sie endlich ihr Ziel erreicht: ihre neue Heimat, den Roten Planeten Mars.
Das Projekt der Internationalen Marsbehörde begann im Jahr 2034, als eine Crew von Robotern auf dem Mars landete und die Raumstation Erebus H1 aufbaute. Dafür war ein kleines, durch Felsen geschütztes Tal in den Erebus Montes in den mittleren Breiten der Nordhalbkugel ausgesucht worden. Hier gibt es im Boden gefrorenes Wasser, eine Grundlage für die spätere Siedlung. Es gab immer wieder Pannen und Rückschläge und die Vorbereitungen dauerten länger als geplant.
Erst sechs Jahre später flogen die ersten sieben Astronauten zum Roten Planeten und blieben fast zwei Jahre dort. Der Raumhafen um H1 wurde ausgebaut und zwei Kilometer weiter entstand über die Jahre das Habitat 2. Dieses wurde zur Hauptsiedlung in den Erebus Montes. Zwei Jahre später kamen sechs weitere Menschen zum Mars und zwei kehrten zurück zur Erde. Sie begannen mit dem Fördern der Bodenschätze, die zur Erde gebracht werden sollten. Dort entstand etwa hundert Kilometer entfernt das Industriegebiet Erebus H3.
2045 kamen erste Siedler an, die den Mars als ihre neue Heimat gewählt hatten und nie wieder zur Erde zurückkehren würden. Sie erweiterten und verschönerten das Habitat 2, um dort bequem leben zu können.
Gleichzeitig begann ein reicher Visionär, auf der anderen Seite des Planeten eine Stadt zu bauen. Ein wahnwitziges Riesenprojekt, das bald Tausende von Siedlern aufnehmen sollte.
Doch die Unruhen auf der Erde wurden immer schlimmer und Terroranschläge machten das Großprojekt vorläufig zunichte.
2051 starteten die zunächst letzten Raketen der Internationalen Marsbehörde. An Bord befanden sich fünfzehn sehr junge Wissenschaftler, die den Mars erforschen wollten und den Roten Planeten als ihre neue Heimat ansahen.
Ein Weltkrieg wütete auf der Erde, der Kontakt zum Heimatplaneten brach ab. Die Siedler waren fast ein Jahr lang ohne Nachricht.
Sie mussten allein klarkommen. Die Raketenbasen der Erde waren zerstört worden und es dauerte fast zehn Jahre, bis wieder ein Frachtschiff der Erde auf dem Mars landete.
Die Siedler in Habitat 2 waren in dieser schweren Zeit zu einer festen Gemeinschaft mit einem eigenen Rat und eigenen Regeln zusammengewachsen und sie wollten sich jetzt nicht mehr von den Menschen auf der Erde herumkommandieren lassen.
Dies führte unweigerlich zu Konflikten mit der Internationalen Marsbehörde.
Erebus Montes
Alltag im Habitat 2
Lukka, Jen und Loran legen ihre VR-Brillen ab und schalten ihre Lernprogramme aus. Genug Schule für heute.
„Ich mag keine höhere Mathematik“, stöhnt Lukka, indem sie eine gequälte Grimasse schneidet. „Wozu brauchen wir das? Dafür gibt es doch Rechner!“
Jen lacht nur. „War doch einfach. Ich liebe Mathe.“
Dabei zieht er das Mädchen vom Stuhl hoch und kitzelt sie am Bauch, um sie aufzuheitern.
„Komm mit in den Trainingsraum, eine Runde boxen!“
„Oh, nein!“ stöhnt Lukka. Sie will jetzt lieber ihre Ruhe haben.
Jen, Lukka und Loran sind Marskinder. Sie sind auf dem Roten Planeten zur Welt gekommen.
Linda, die sich um die Ausbildung der Kinder kümmert, kommt gerade aus dem Kontrollraum.
„Räumt noch eure Sachen weg, bevor ihr zum Sport geht. Und macht nicht zu lang, ihr habt nachher noch Astronautentraining.“
Jen räumt schnell alles weg. „Kommt ihr?“
Loran nickt begeistert, doch Lukka schüttelt den Kopf.
„Keine Lust und außerdem habe ich Hunger. Ich hol mir jetzt lieber etwas zu essen und ruhe mich ein wenig aus.“
„Wie du willst“, meint Jen achselzuckend und verlässt mit Loran den Gemeinschaftsraum.
Lukka schlendert durch die Halle zum Wohnbereich, hält ihre Hand auf eine leuchtend grüne Platte an der Wand und die Tür zur Wohnung schiebt sich zur Seite. Ihre Mutter ist nicht da.
Sie tritt an den Spender und drückt ihren Code. Die Maschine gibt nur das Essen frei, das sie jetzt auch essen darf, außer das Ding ist gerade kaputt.
„Dir stehen heute noch eine Portion Müsli und eine Portion Snackbällchen zu“, sagt die Stimme aus dem Apparat.
„Müsli ist fein“, antwortet Lukka und gleich darauf öffnet sich die Klappe.
„Das Essen ist fertig! Guten Appetit!“
„Danke, liebe Maschine“, lacht Lukka und denkt an Marty, der in der Küche alles vorbereitet, die Maschinen füttert und programmiert.
Dann macht sich das junge Mädchen auf den Weg zu einem Ort, den sie vor Kurzem entdeckt hat.
Im Sportraum balgen sich die beiden Jungs auf dem Trampolin. Jen ist etwas älter und viel größer als der elfjährige Loran, doch der zappelt schneller herum und Jen kriegt ihn einfach nicht zu fassen.
„Wie machst du das nur?“ fragt Jen keuchend. „Du weißt immer schon, wo ich angreife. Kannst du meine Gedanken lesen?“
„Ich brauch dich nur anzusehen. Deine Blicke verraten dich immer!“, lacht der Kleine.
Jen befreit sich aus den Gummibändern, in denen sie hängen und steigt vom Trampolin.
„Ich kann nicht mehr“, keucht er. „Und wir sollen ja auch noch zu Linda rüber.“
Lukka hat die Augen geschlossen und atmet tief ein. Die Luft ist außergewöhnlich feucht und riecht eigenartig, nach Pflanzen und Gemüse. Dann schaut sie sich um. Lange Leuchtröhren tauchen das ganze Gewächshaus in ein pinkfarbenes Licht. Nur am hinteren Ende des tunnelartigen Raumes gibt es ein Fenster, aus dem man heraus sehen kann.
Eigentlich haben hier nur wenige Leute Zugang, doch vor etwa zwei Wochen hat wohl jemand vergessen, eine Tür zu schließen und die steht seither unbemerkt immer noch offen.
Lukka sitzt an ihrem neuen geheimen Lieblingsort, in der hintersten Ecke des Gewächshauses, wo dicke Stauden und hängende Tomaten ein gutes Versteck bieten. Sie schaut durch die mehrschichtige Kunststoffscheibe hinaus auf die steinige, öde Landschaft ihres Heimatplaneten Mars.
Das Mädchen ist etwa zwölf Erdenjahre alt und lebt mit ihren Eltern im Habitat 2, auch Erebus H2 genannt, einer Siedlung auf dem Planeten Mars, dem vierten Planeten des Sonnensystems am Rande der Milchstraße.
Verträumt lässt sie den Blick über die roten Felsen gleiten. Es bahnt sich ein Staubsturm an. Sie erkennt es an den rötlichbraunen Staubwölkchen, die sanft über die Steine wehen und an der riesigen Staubwelle, die sich am Horizont auftürmt.
Staubstürme sind keine Seltenheit und können ein paar Tage anhalten, manchmal sogar Monate. Die Luft auf dem Mars ist sehr dünn und es kommt nur wenig Wind auf, aber der Staub ist sehr fein und setzt sich überall ab. Sie wird tagelang nicht sehr weit sehen können.
Der Mars ist ein sehr lebensfeindlicher Planet, sehr kalt, verstrahlt und mit einer sehr dünnen Atmosphäre aus Kohlendioxyd. Diese Bedingungen sind für Lebewesen wie Menschen absolut tödlich.
Und doch ist dies die Welt, in die Lukka hineingeboren wurde.
Am Fenster
Ihr junges Leben spielt sich ausschließlich im Inneren dieser Station ab. Hier lebt sie in einer kleinen Gemeinschaft von Marssiedlern mit ihren Eltern und zwei weiteren Jugendlichen, die, wie sie, auf dem Mars zur Welt gekommen sind. Andere Kinder gibt es nicht.
Manchmal stellt sich das neugierige Mädchen schon einige Fragen. Wieso wird diese kleine Gemeinschaft nicht größer und wieso sind Loran, Jen und sie die einzigen Kinder dort? Aber auf diese Fragen können oder wollen ihr die Erwachsenen nicht so recht antworten. Stets weichen sie geschickt aus oder geben eigenartige und unlogische Erklärungen ab.
Vor dem Fenster sieht sie Fußabdrücke auf dem sandigen Boden. „Die müssen von Linda sein“, denkt sie. Die Frau im Alter ihrer Mutter kümmert sich um den Kontrollraum und den nahen Außenbereich der Station, aber auch um die Ausbildung der Kinder zu Astronauten. Und jetzt endlich werden sie auf ihren ersten Ausgang vorbereitet.
Ungeduldig wartet das Mädchen auf den Tag, an dem sie als Astronautin die Station verlassen und den Planeten endlich selbst betreten darf.
Sie lässt den Blick noch eine Weile über den felsigen Horizont gleiten. In der Ferne steigt der rote Staub schon höher auf, bald wird es dunkel werden. Die Lichtstrahlen der weit entfernten Sonne sind zu schwach, um sich gegen den feinen, roten Sand durchzusetzen.
Sie sieht sich um, denn sie will nicht erwischt werden. Nichts regt sich. Es rattern lediglich die kleinen Roboter durch die langen Reihen der Gemüseplantage. Langsam steht sie auf und gleitet unbemerkt an den Salatbeeten entlang, duckt unter den hängenden Erdbeerpflanzen durch und schaut sich nochmal um. Es ist niemand da. Sie huscht hinter die Blaubeerbüsche, dann zwischen den niedrigen Obstspalieren durch, bis zur Schleuse und betritt unauffällig den Gemeinschaftsgarten.
Hier braucht sie sich nicht mehr zu verstecken, denn hier dürfen die Bewohner der Station spazieren gehen, frische Luft atmen, auf der Sonnenwiese liegen und am Brunnen das Wasser plätschern hören.
Die meisten Bewohner sind ältere Erwachsene, die vor 26 Jahren von der Erde kamen und täglich hier im Garten ein wenig Nähe zu ihrem Heimatplaneten suchen.
Lukka sieht ihre Mutter, zögert einen Augenblick und beschließt, sich kurz neben sie zu setzen.
„Warst du wieder am Fenster?“ fragt ihre Mutter sanft. Ihre Augen sind immer so traurig.
Lukka antwortet nicht, sondern lächelt verlegen. Zart streicht ihre Hand über die Blumen im Beet neben ihr. Der Brunnen gurgelt leise in der Mitte des Gartens und sorgt für etwas Luftfeuchtigkeit. Ein schöner Ort für sie, die nie etwas anderes gesehen hat.
Doch ihre Mutter erzählt ihr immerzu von der Erde, auf der die Blumen wild wachsen, Wasser in Bächen und Flüssen fließt und hohe Bäume in den Himmel ragen. Wo der Regen, die Sonne und der Wind die Haut berühren.
Bilder von der Erde hat Lukka schon oft gesehen, aber so richtig kann sie es sich doch nicht vorstellen. Sie ist ja selbst nie dort gewesen. Seit ihrer Geburt kennt das Mädchen nur die Station Habitat 2, den Blick durch die Kuppel auf die rote, felsige Wüste um sie herum und den weit entfernten Blauen Planeten, der als sehr heller Stern am Nachthimmel leuchtet.
Ihre Mutter hat wieder Heimweh und Lukka weiß dann gar nicht, was sie ihr sagen könnte, um sie ein wenig aufzumuntern.
„Ich habe noch Astronauten Training“, flüstert sie und drückt ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange.
Dann steht sie auf und verlässt unbekümmert den Garten, geht hüpfend durch den Rundbogen zur Halle, dann durch die zweite Röhre rechts zu den Iglus. So nennen sie die kleinen Wohnbereiche, in denen sich die Schlafräume befinden.
Lukkas Vater kommt nur selten nach Hause. Er arbeitet etwa hundert Kilometer weiter nördlich in der Erebus-Industrie H3, einer anderen Station, in der Wasser und Bodenschätze aus tieferen Bodenschichten gewonnen werden. Dabei ist er oft wochenlang weg.
Lukka und die anderen Kinder sind jetzt alt genug für die zweite Lernstufe. Sie haben vor ein paar Wochen mit dem Weltraum-Training begonnen, was heißt, dass sie bald auch in einem Schutzanzug die Station verlassen dürfen.
Sie legt ihre Hand auf den Sensor in der Wand und die Tür zu ihrem Wohnbereich gleitet surrend zur Seite.
Hungrig sucht sie wieder den Spender auf. Sie drückt einige Tasten und summt diese fernöstliche Melodie, die sie wohl im Garten aufgefangen hat.
„Essen ist fertig!“, ertönt wieder die freundliche Stimme aus dem Automaten. Lukka nimmt den Behälter, schnuppert kurz daran, holt eines der grünen Bällchen heraus und schiebt es in den Mund. Gleichzeitig zieht sie sich um. Ihre leichte, dunkelgrüne Hose und den Pullover tauscht sie gegen einen enganliegenden türkisfarbenen Kombianzug.
Dann geht sie zurück zur Halle und fällt dabei fast über einen der kleinen Reinigungsroboter, die ständig den Boden wischen. Dann bleibt sie kurz vor einer verschlossenen Tür stehen. Sie legt wieder ihre Hand auf die grünlich-leuchtende Platte in der Wand und die Tür öffnet sich.
Der Raum dahinter ist hell, Maschinen summen und es leuchten überall kleine Lämpchen. Es ist der Kontrollraum und dahinter befindet sich das Tor zur Hölle, so wird der Ausgang hier genannt.
Auf der rechten Seite ist eine Verbindungstür zum Gemeinschaftsraum. Sie steht meistens offen.
An der Wand geradeaus hängen Raumanzüge verschiedener Größen. Dahinter führt eine Treppe hinauf in die Kuppel. Von da aus kann man bis zum zwei Kilometer entfernten Raumhafen sehen.
„Da bist du ja. Wie geht es dir?“, fragt eine freundliche Stimme.
Es ist Linda, eine schlanke, doch für Marsverhältnisse gut trainierte Frau, etwa so alt wie ihre Mutter und auch schon genauso lange auf der Station.
Linda sucht Lukkas Anzug heraus und hilft ihr beim Anziehen.
„Du kommst spät“, meint sie. „Die beiden Jungs sind schon drin.“
Mit,drin‘ meint sie den Zwischenraum, nicht drinnen und nicht draußen, der auch als Trainingsraum für die angehenden Astronauten genutzt wird.
„Na komm, ich helfe dir beim Anziehen.“
Erst werden die Instrumente kontrolliert, wie bei einem richtigen Ausgang. Das massige Paket auf ihrem Rücken enthält Sauerstoff und Geräte, die sie draußen zum Überleben braucht. Im Anzug wird die Temperatur geregelt, denn auf dem Mars ist es bitterkalt. Einen besonderen Schutz braucht sie gegen die kosmischen Strahlen. Dann braucht sie Druck im Anzug, denn auf dem Mars gibt es nicht mal ein Prozent des irdischen Luftdrucks. Ohne den Raumanzug würde sie draußen sofort sterben.
Lukka kann sich kaum noch bewegen. Langsam schreitet sie zu dem Ausgang am anderen Ende des Raumes. Die Schiebetür öffnet sich und sie tritt in den abgedunkelten Trainingsraum. Hier ist der Boden sandig und uneben, sie kämpft mit dem Gleichgewicht, um nicht gleich umzukippen.
Die beiden Jungen sind schon im Raum. Da ist Jen, nur ein paar Wochen älter als sie selbst. Er versucht gerade schwerfällig, einen kleinen Felsen zu erklimmen. Mit dem riesigen Tank auf dem Rücken sieht er aus wie eine Schnecke auf Beinen.
Langsam setzt sie einen Fuß vor den anderen. Vor ihr liegen Steine. Sie versucht es über den sicheren Weg, an den Steinen vorbeizukommen.
„Steig drüber“, ermuntert sie die Stimme im Helm. „Manchmal hast du da draußen keine Wahl, dann musst du drübersteigen.“
Lukka zögert, hebt dann den linken Fuß und kommt ins Wanken.
„Ich kann nicht!“, flüstert sie ängstlich. Sie will nicht stolpern oder das Gleichgewicht verlieren.
„Du willst doch irgendwann nach draußen, oder?“, raunt Linda. „Dann musst du dir jetzt schon ein bisschen Mühe geben. Und wenn du hinfällst, stehst du eben wieder auf.“
In dem Augenblick rollt Jen vom Felsen runter. Der ist zwar nicht besonders hoch, aber da liegt er jetzt auf seinem übergroßen Rückenpaket und rudert mit den Armen.
Linda hilft ihm wieder auf die Beine und ruft das kichernde Mädchen zur Stelle.
„Wenn das draußen passiert, kann es lebensgefährlich sein. Schau dir den Tank an. Ist er intakt? Gibt es Risse im Anzug?“
Es scheint alles in Ordnung zu sein.
Auch Loran, der Jüngste von ihnen, wackelt unsicher hinter dem kleinen Felsen hervor und stellt sich dazu.
Nach Lindas Sicherheitsanweisungen machen die drei Weltraumschüler weiter. Sie müssen mehrmals über Steine steigen und Gegenstände aufheben, ohne dabei aus dem Gleichgewicht zu kommen. Linda hat einen richtigen Hindernislauf für sie vorbereitet.
Lukka soll Gesteinsproben in einen Kasten packen und diesen zum Raumschiff bringen. Das klingt einfach, doch die Steine gleiten ihr immer wieder aus den Händen und schließlich fällt sie rückwärts über den Kasten.
Das sieht so drollig aus und die Jungs krümmen sich vor Lachen.
So lernen sie langsam, sich in den schweren Anzügen sicher zu bewegen und kleine Arbeiten gekonnt auszuführen. Irgendwann wird’s schon klappen.
Linda ruft sie schließlich zurück in den Kontrollraum. Dort legen sie die Anzüge ab, hängen sie zur Reinigung auf und reden noch eine Weile über das, was sie gerade gelernt haben.
Dafür sitzen sie in der oberen Kuppel, mit Blick über die wunderschöne Marslandschaft. Die Sonne steht tief, doch der blaue Sonnenuntergang ist getrübt durch den herannahenden Sturm. Große Staubwolken verschlingen die Berge und Felsen um sie herum. Bald wird er auch die Station erreichen.
Lukkas Mutter Karen sitzt in ihrem Arbeitsraum. Sie ist Psychologin und für das geistige Wohlsein auf der Station zuständig. Dabei fühlt sie die Melancholie in sich aufsteigen und kann sich selbst nicht helfen. Die Erde fehlt ihr so sehr. Immer wieder kommen die Bilder ihrer frohen Kindheit ungebeten in ihren Kopf. Sie versucht mit anderen darüber zu reden und sich mit positiven Gedanken abzulenken, aber sie vermisst die Natur ihres Heimatplaneten, die Waldspaziergänge mit ihrem Hund oder mit Freunden draußen am Feuer sitzen, im Meer baden, in der Sonne liegen. Sie vermisst den kühlen, prasselnden Regen und den Sonnenschein auf ihrer Haut. Und sie vermisst ihre Familie und früheren Freunde.
Seufzend steht sie auf, es ist Zeit fürs Abendessen.
Zweimal am Tag wird gemeinsam gegessen. Das hilft gegen die Einsamkeit, meint Karen.
Die Bewohner von Habitat 2 sind zu einer großen Familie geworden. Sie helfen sich gegenseitig und versuchen, Probleme gemeinsam zu lösen.
Der Gemeinschaftsraum, in dem auch gegessen wird, ist, neben dem Garten, der größte Aufenthaltsort der Station. Hier wird abends auch gespielt, ferngesehen und manchmal sogar getanzt.
Lukka lässt sich auf den Stuhl fallen und schaut hungrig auf die Behälter mit dem Essen.
Es gibt heute ein Stück Pâté, eine proteinreiche Masse aus Fleischzellen oder Pilzen, die aus einem streng kontrollierten Anbau irgendwo im Treibhaus kommen. Im Labor war Lukka noch nie, die Tür ist stets verschlossen und nur wenige Leute dürfen hinein.
Jeden Tag gibt es frisches gegartes Gemüse, heute sind es Zucchini.
Lukka isst hastig, sie ist sehr hungrig.
Leo sieht sie fragend an. „Bekommst du genug zu essen? Du bist groß geworden und bewegst dich viel. Soll ich deine tägliche Nahrungsmenge erhöhen?“
Leo ist einer der beiden Ärzte auf Erebus Montes. Er führt regelmäßige Tests an den Bewohnern durch, kontrolliert das Essen und versorgt kleinere Wunden.
Auf dem Mars gibt es keine Krankheitserreger wie auf der Erde, niemand hat Grippe oder andere ansteckende Krankheiten, aber einige sterben an Krebs durch die hohe Strahlen