Missverstehen Sie mich richtig! - Martin Buchholz - E-Book

Missverstehen Sie mich richtig! E-Book

Martin Buchholz

4,9

Beschreibung

In diesem satirischen Wörterbuch dreht der bekannte Kabarettist Martin Buchholz allerhand Begriffe aus Politik und Alltag durch die dialektische Sprachmangel. Dabei rettet er unter anderem das "islam-gefährdete Abendland", fragt sich, wo bei aller "Brüderlichkeit" die Schwestern bleiben, erklärt, wie Platon die "Glotze" erfunden hat, was "Handy" mit Handicap zu tun hat und warum "rechts" und "links" so schwer auseinanderzuhalten sind. Am Ende wird klar, dass Sinn und Un-Sinn oftmals nahe beieinanderliegen.

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Seitenzahl: 280

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Martin Buchholz

MissverstehenSie mich richtig!

Ein satirisches Lexikon

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten.

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen, Verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung auf DVDs, CDROMs, CDs, Videos, in weiteren elektronischen Systemen sowie für Internet-Plattformen.

ebook im be.bra verlag, 2016

© der Originalausgabe:

edition q im be.bra verlag GmbH

Berlin-Brandenburg, 2015

KulturBrauerei Haus 2

Schönhauser Allee 37, 10435 Berlin

[email protected]

Lektorat: Matthias Zimmermann, Berlin

Umschlaggestaltung: Ansichtssache, Berlin

ISBN 978-3-8393-2120-1 (epub)

ISBN 978-3-86124-692-3 (print)

www.bebraverlag.de

Gelobt sei der Zweifel!

Ich rate euch, begrüßt mir

Heiter und mit Achtung den

Der euer Wort wie einen schlechten Pfennig prüft!

Bertolt Brecht: Lob des Zweifels

Liebwerte Leserin, geschätzter Leser!

Das Vor-Wort in einem Wörterbuch, wie dieses zweifelhafte Machwerk eins zu sein behauptet, sollte eigentlich gleich mit einem einfachen, klaren A beginnen. Doch damit begännen sofort meine Schwierigkeiten. Heißt es doch: Wer A sagt, muss auch B sagen.

Warum eigentlich? Man kann zum Beispiel das A auch wiederholen, also verdoppeln, wie ich es als Kleinstkind von meiner Mutter gelernt habe. Dann musste ich auch etwas. Allerdings musste ich nicht B sagen, sondern A-a.

Total a-a-albern, ich weiß. Aber mit dem zweifachen A halte ich es noch heute: Sowohl beim Aha als auch beim Haha. Das zumindest strebe ich an in meinem lachhaften Gewerbe: Aha-Erlebnisse mit Haha-Ergebnissen.

Wenn ich A sage, muss ich nicht zwangsläufig B sagen. Zumal schon das A etwas Irrtümliches sein kann, das sich dann fortsetzt beim B und beim C. Im schlimmsten Fall führt das zu ABC-Waffen. Ein besonders perverses Beispiel der zwanghaften ABC-Logistik.

Es ist dieses Muss, diese gnadenlose Wenn-dann-Logik, diese Zwangsjacke, in die unser Denken gepresst wird, die uns das Leben und das Lieben oft so schwer macht.

In der Philosophie nennt man dieses Verfahren, von einer Ur-Sache sofort zu einem abschließenden Ur-Teil zu kommen, Deduktion. Ein Denkprozess, bei dem das Verursacherprinzip gilt. Ein Glied schließt sich an das andere.

De-Duktion bedeutet wörtlich: die Ab-Führung. An eine Beweiskette gefesselt, wird das Denken abgeführt – in den Gedanken-Knast. Oder in schweren Fällen: in die geschlossenen Abteilungen der herrschenden Ideologien und Ogottologien und Igittologien …

Und ich denke nicht dran, mich da reinzudenken. Ich denke mich da unrein lieber raus, obwohl auch das nicht ganz einfach ist, wenn man denk-gewohnheitsmäßig befangen ist. Immerhin: Es ist zumindest der Versuch eines befreienden Denkens, im schönsten Fall ergänzt durch ein befreiendes Lachen, das die Enge (im Wortsinn: die Ängste) in unseren Gehirn- und Herzenswindungen fröhlich wegpustet.

In einem früheren, längst vergriffenen Buch habe ich einen Gedanken aus Christa Wolfs »Kassandra« zitiert – und ich werde noch vielfach aus meinen vielen gestammelten Werken zitieren in diesem Sammelsurium von längst vergriffenen Gedanken. Das christa-wolfsche Motto, das ich dem damaligen Buch voranstellte, war ein mich Berührendes:

»Miteinander denken aus Liebe.

Und um der Liebe willen.

Denkend, erkennend nicht von sich selber absehen.

Mit der Sprache spielen.

Neue Wörter finden.«

Ein solches spielerisches, liebevolles Denken ist für klare logische Denker undenkbar. Für die funktioniert Denken nur in geschlossenen Systemen. Keine Frage darf offen bleiben. Jeder Gedanke muss sofort mit einer Regel abgeschlossen werden – abgeregelt und abgeriegelt. Von wegen: Die Gedanken sind frei! Die kommen alle in Einzelhaft. Dafür stehen uns da oben genügend Zellen zur Verfügung. So heißt es denn auch: Unser Denken ist in diesem System verhaftet.

Und wenn man die Gedanken verhaftet hat, dann kann man das Gewissen gleich mitverhaften. Das nennt sich in der Wissenschaft: Gewissenhaft. Und wenn das Gewissen verhaftet ist, ist man endlich das Gewissen los. Dann kann man auch eine gewissenlose Wissenschaft schaffen. Und die schafft oft ein gewisses Wissen, das uns schafft – möglicherweise sogar: ab.

Sie merken, was ich hier tue – und was ich vielfach in diesem Buch tun werde: »Dieser Buchholz verdreht die Wörter bis hin zur Kenntlichkeit.« So hat’s die »ZEIT« mal geschrieben. Ich hoffe, dass ich das schaffe: Das Wort, wie es in dem von mir gewählten Brecht-Motto für dieses Buch heißt, wie einen schlechten Pfennig zu prüfen, es voller Zweifel hin- und herzuwenden. Ein Versuch herauszufinden, ob es sich bei dem, was da als bare Münze ausgegeben wird, nicht um einen falschen Fuffziger handelt.

Herzlich und hirnlich grüßt Sie

Martin Buchholz

Berlin, im Mai 2015

! Aber – ein Wörtchen, das ich mitzureden habe

Ungezählte Male taucht dieses kleine, unscheinbare Wörtchen »aber« in diesem Machwerk auf. Es ist das Wörtchen, das ich mitzureden habe. Zwei Sätze, mit einem »aber« verbunden, sind Gegen-Sätze, aber keine totalen Widersprüche. Aus eheweiblichem Munde gesprochen, hört sich das für mich zuweilen so an: »Du bist zwar ein Arsch, aber ich liebe dich trotzdem.« Einerseits eine offen ausgesprochene Liebeserklärung, andererseits eine ausgesprochene Gemeinheit. Doch was zwischen mir und meiner Liebsten gelegentlich an verbalem Aber-Witz tobt, geht Sie überhaupt nichts an. Ich hoffe, Sie haben das überlesen.

Hier eine andere, weniger private Liebeserklärung im Zwar-aber-Sound: »Ich hab’s zwar nicht so doll mit meinem Vaterland, aber ich liebe meine Muttersprache.« Zwar – das hieß im alten Deutsch ze ware – in Wahrheit. Aber ist hergeleitet von aba – weg, ab, hinfort. Weg damit! Dieses zweifelnde Widerwort war stets denen zuwider, die im Namen der Herrschenden die herrschende Meinung ansagten. Eine uralte Tradition bei Regierungssprechern. Deren Verkündigungen hat man zu glauben und nichts als zu glauben. Denn sie sprechen die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Und wer es wagt, ein ungläubiges Aber einzuwenden, der ist dem Aber-Glauben verfallen.

Aber selbst so ein Aber-Glauben muss nicht ewig währen. Man kann auch davon bekehrt werden – vorausgesetzt, man ist ein mit-regierender Sozialdemokrat. Wie oft haben wir es schon erlebt: Wann immer die CDU/CSU etwas fordert, das früheren Kernaussagen der Sozialdemokratie diametral entgegengesetzt ist – so hört man von der SPD zunächst ein verquältes »Ja, aaaber«.

Und bei der Schlussabstimmung heißt dieses »Ja, aaaber« garantiert: »Aaaber jaaa!«

! Abfackeln – so macht man die Politik heiß

In gewissen kahlhirnigen Kreisen ist das Abfackeln eine bewährte Methode, um vaterländischen Politikern Feuer unter ihrem Gesäß zu machen, damit deren mitfühlendes Verständnis weiter angeheizt wird für die brennenden Bedürfnisse einer nazi-onalen abendländischen Volksgemeinschaft.

(→ Asylrecht – längst schon ausgeräuchert)

! Abhärtung – nur was für Kaltduscher

Also sprach Zarathustra: »Gelobt sei, was hart macht!« Dieser Spruch zeugt eher vom schwer durchweichten Bregen des Herrenmenschen Nietzsche. Für kruppstahlharte Zuchtmeister wurde er aber zum wichtigsten Dogma bei der Aufzucht von deutschen Nachwuchs-Helden.

Mein Opa Oskar war auch so ein Hart-Macher. In meiner Knabenzeit, als ich noch ein hilfloses Objekt der deutschen Erziehungsberechtigung war, wurde ich des Öfteren in den Schulferien bei ihm zwangsinterniert. In irgendeinem brandenburgischen Kaff an der Spree war das. Mein Großvater war ein strenggläubiger Evangele der fundamentalistischen Art. Ein protestantischer Ayatollah. Nur der Wortlaut der Bibel galt für ihn. Er wollte noch nicht einmal vom Affen abstammen. Das war mir auch ganz recht. Ich wollte gar keine gemeinsamen Vorfahren mit ihm haben.

Opa Oskar wollte aus mir nicht nur unbedingt einen frommen Knaben machen, sondern zugleich auch einen richtigen Jungen. Das war ich offenbar nicht. Ich sei viel zu weibisch, meinte er, also ein falscher Junge.

Ich weiß nicht, ob mein Opa den alten Platon kannte. Wohl eher nicht, denn den hatte es nie ins Brandenburgische verschlagen. Jedenfalls hätten sich die beiden gut verstanden. Denn wie hat es Platon angedroht: Jene Männer, die sich zu Lebzeiten nicht mannhaft zu beherrschen wissen, werden zur Strafe nach ihrem Tode als Weiber wiedergeboren.

Vor diesem femme-fatalen Geschick versuchte mich Opa Oskar zu bewahren, als er mir keine Verweichlichung durchgehen lassen wollte. Denn Verweichlichung hieß auch für ihn: Verweiblichung.

»Sei ein Mann!« Der ständige Tagesbefehl meines Opas Oskar klingt mir noch in den Ohren. Die Frage, ob ich überhaupt ein Mann sein wollte, kam da erst gar nicht auf. Mit gruftigem Nachhall höre ich die Stimme des Groß- und Übervaters: »Du musst lernen, hart zu sein gegen dich selbst.«

Zur Zeit meiner Pubertät zerrte er mich jeden Abend kurz vor dem Schlafengehen unter die Gartenpumpe, und dann musste ich zehn Minuten lang einen Schwall eiskalten Wassers über mich ergehen lassen. Abschreckung nannte er das. Eine Methode, die man sonst eher bei Frühstückseiern anwendet. Jedenfalls weiß ich seither, was Masochismus ist.

Inzwischen bin ich allerdings ein entwickelter Masochist. Weiß ich doch, dass sich ein Masochist am brutalsten dadurch straft, dass er sich selbst die Strafe verweigert. Also dusche ich jeden Morgen warm.

Gut, dass mein Großvater diese Schmach nicht mehr erleben musste. Dabei hat er sich doch solche Mühe gegeben, mir auf einem wahrhaft männlichen Lebensweg voranzuhelfen.

(→ Helden – wollt ihr ewig leben?)

! Abholen – ein demokratischer Party-Service

Nehmen wir an, ein richtig friedlicher Sonntagmorgen wäre in deutschen Gauen angebrochen und Sie lassen sich von diesem Anbruch nicht weiter stören, weil Sie endlich einmal richtig ausschlafen können. Doch plötzlich wummert es an der Wohnungstür. Und weil Sie gerade das unkommunikativste Wesen auf dem ganzen Erdenrund sind, ziehen Sie sich das Kopfkissen über beide Ohren und wälzen sich unter die Daunen. Und so passiert Unerhörtes: Ein Splittern, ein Holzen, ein Krachen! Die Axt vorm Haus erspart den Wohnungsschlüssel. Ein Einsatzkommando verschafft sich ohne weitere Einladung freien Eintritt in ihre Behausung. Brutal werden Sie von Ihrer Matratze gezerrt – und der Ihnen eventuell beigelagerte Partner bzw. die beigelagerte Partnerin (Nichtzutreffendes bitte streichen) gleich mit. Im eindeutig klargetexteten Amtston wird Ihnen der Befehl zugebellt: »Leisten Sie keinen Widerstand! Ziehn’se sich was über. Sie werden abgeholt!«

Und dann fällt es Ihnen ein – nicht siedend heiß, sondern nudistisch unterkühlt, wie Sie da nackt und bloß vor Ihrer Staatsmacht stehen: »Oh, Scheiße, heute ist ja irgend’ne Wahl!« Und in den Wochen zuvor ist Ihnen oft genug von parteilicher Seite angedroht worden: »Wir müssen den Wähler da abholen, wo er ist.« Sie hätten drauf hören sollen. Jetzt sind Sie dran.

Allerdings stellt sich für die Staatsgewalt in jedem Einzelfall die entscheidende Frage: Wo ist der Wähler am Wahlsonntagmorgen? Schließlich kann er überall sein. Wenn Sie an diesem Morgen gar nicht bei sich zu Hause im eigenen Bette gelegen hätten, sondern irgendwo aushäusig, wäre es schwierig geworden für den Abschlepp-Dienst.

Bei den Parteien hat man deshalb ständig Angst, dass der Wähler fremdgehen könnte. Dann müssen die Fahnder vom Abhol-Service immer erst bei der NSA in Amerika um Amtshilfe bitten, denn dort weiß man natürlich, wo Sie als Schläfer Ihre Koordinaten gerade gebettet haben. Aber das ist schon wieder ein anderes Thema.

(→ Datenschutz – am sichersten im Vorratsspeicher)

! Alpha-Tiere – rechte Ochsen

Führungskräfte, die einer Herde vorantrotten, nennen sich gern Alphatiere. Alpha, der erste Buchstabe im griechischen Alphabet, leitet sich her von Aleph. So benannten die Erfinder unserer Schrift, irgendwo im alten Phönizien, das Zeichen, das am Anfang stand. Der wichtigste Wirtschaftszweig war damals die Viehzucht und so stellten die phönizischen Alphabetisierer das für sie Wichtigste voran. Das Wichtigste war der Aleph, auf gut Deutsch: der Ochse. Heute ist der Ochse nicht mehr das Wichtigste, sondern der Wichtigste – eben ein Alpha-Tier.

Führungskraft ist also Ochsenstärke. Nur leider fehlt dem Ochsen etwas zu wirklicher Potenz. Solche Andeutung versteht der Ochse allerdings als eine hodenlose Gemeinheit.

Wie sang es schon der junge Mozart in einem frühen Lullaby-Song (im Original nicht ganz jugendfrei): »Bona nox, bist a rechter Ochs.«

Und rechte Ochsen haben wir auch heute noch zur Über-Genüge.

! Alt-Achtundsechziger – schon wär’s, wenn man’s noch wäre

Ein paar Wochen nach dem Mauerfall – im Januar 1990 – bin ich zum ersten Mal im deutschen Osten aufgetreten, und zwar in Leipzig. Die »Leipziger Volkszeitung« hatte zuvor ein Fahndungsfoto von mir veröffentlicht und in der Bildunterschrift ihre Leser gewarnt: »Der Alt-Achtundsechziger Martin Buchholz kommt in die Stadt.« Ich kam nach Leipzig: Die Straßen menschenleer, alle Geschäfte mit Brettern vernagelt. Die Bürger hatten sich in den Häusern verrammelt. Aber einige ganz Mutige haben sich dann doch in die Vorstellung getraut. Und danach kam dann eine ältere Dame auf mich zu, eine Ossin – möglicherweise auch kommunistisch genetisch vorbelastet, also eine Gen-Ossin –, und die meinte: »Herr Buchholz, ich habe in der Zeitung gelesen, dass Sie ein Alt-68er sind. Da muss ich ganz ehrlich sagen: Für 68 haben Sie sich gut gehalten.« Und damals war ich noch nicht einmal 60.

Das ist nun weit über 25 Jahre her. Von einem Alt-68er kann bei mir – seufzjammerstöhn! – schon längst keine Rede mehr sein.

! Alternative – für Deutschland?

Wenn man von einer Alternative spricht, ist damit eine andere Möglichkeit gemeint, eine Ersatzlösung. Als ich zum ersten mal von einer »Alternative für Deutschland« hörte, fragte ich mich verwundert, welche Ersatzlösung diese Leute denn alternativ anstelle Deutschlands anstreben? Nordkorea? Weißrussland? Wohl eher nicht. Da gibt es viel zu viele Ausländer, die man erst einmal ausweisen müsste. Und es bliebe die Frage: Wohin mit denen? Nun ja, wenn die AfDler aus Deutschland weg wären, böte sich für diese Ausländer natürlich Deutschland als Alternative an.

! Alternativlos – keine Qual mehr mit der Wahl

Ein Begriff, der alternativlos das Begreifen verhindern soll – nämlich das Begreifen von Zusammenhängen und von demokratischen Möglichkeiten. Die angebliche Alternativlosigkeit duldet keinen kritischen Einwand: Mal ist die Alimentation notleidender Deutsch-Bänker alternativlos, mal die pangermanische Spar-Diktatur in Rest-Europa, dann wieder die Ausweitung der a-sozialpolitischen Herumhartzerei. Und, und, und.

Alternativlos soll heißen, dass man keine andere Wahl hat, was logischerweise bedeutet, dass man überhaupt keine Wahl hat. Nun kennt die derzeitige (und offenbar allzeitige) Kanzlerin diesen Zustand noch aus ihren realsozialistischen FDJ-Tagen. In der DDR hatte man schließlich auch keine Wahl. Eine alternativlose Errungenschaft, die Angela Merkel in die realkapitalistischen Zeiten erfolgreich hinüberzuretten versuchte.

Und die meisten Wähler haben inzwischen auch begriffen, wovon die Kanzlerin schon lange überzeugt ist – eben, dass sie absolut alternativlos ist.

Eine post-demokratische Regierungsform: der alternativlose Absolutismus.

! Amateur – aber liebend gerne

Die heilige Dreieinigkeit von Schimpf, Scham & Schande komme über den, der kein Profi ist in seinem Gewerbe, sondern »nur ein Amateur«. Der Profi ist eigentlich ein Pro-fessor, ein öffentlicher Verkünder. Einer, der ein gemeinsames Bekenntnis kundtat, eine Kon-fession, ein Glaubensbekenntnis.

Und ich bekenne, ich bin kein Bekennender, viel mehr ein Fragender. Ich bin auch kein Professor. Ich habe noch nicht einmal einen Doktortitel, obwohl ich ständig plagiiere – allerdings nur bei mir selbst (ansonsten mit Quellenangabe). Also bin ich kein Profi, sondern ein Amateur. Und das bin ich gerne. Ist doch der Amateur (her- und angeleitet von amare, also vom Lieben) ein Liebhaber. Geschmäht, aber nicht verschmäht – zumindest nicht von seiner Liebsten. Als Liebhaber betreibe ich meine Wortwerkerei aus Liebhaberei, aus Liebe zur Sprache. Und das tue ich liebend gern. Lieben ist nun mal ein Tu-Wort.

Doch wer das Berufliche mit Liebesangelegenheiten vermischt, verhält sich unprofessionell. Als Profi, als Verkünder, hat man der Sprache mächtig zu sein, man hat sie zu beherrschen und nicht zu lieben. Ein Machthaber kann nun mal kein Liebhaber sein. Deshalb gehört es sich auch nicht, mit der Sprache zu spielen, wie ich es so schamlos tue. Mein Wortspiel ist ein Liebesspiel, zugleich ein Lustspiel. Wenn ich es in aller Öffentlichkeit mit der Sprache treibe (und sie tut es gleichermaßen umtriebig mit mir), dann ist das ein- und zweideutig ein unsittliches Verhalten. Denn im öffentlichen Sprachraum ist es Sitte, der Sprache immer wieder Gewalt anzutun. Dass sie tagtäglich vergewaltigt wird, stört keinen amtlichen Sittenwächter. Ich finde, unsere Sprache, die Schöne, hat viel mehr Liebe und Zärtlichkeit verdient. Ich weiß, so peinlich gefühlvoll redet man nicht als Profi. Doch, wie gesagt und geschrieben: Ich bin ja nur ein Amateur.

(→ Manneswort – logisch gemault)

! Anfang – etwas verspätet

Dem Alphabet ist es geschuldet, dass der Anfang an dieser Stelle relativ spät dran ist. Allerdings spielt nicht nur das ABC, sondern auch meine Vorsicht bei dieser Verspätung eine Rolle. Denn der, der etwas anfängt, kann hinterher schwer unter Anklage geraten. Das fängt schon im Kinderzimmer an mit der lauthals geplärrten Anschuldigung: »Aber der hat angefangen!« Das wollte ich mir nicht von Ihnen vorwerfen lassen.

Deshalb schleicht sich der Anfang mit deutlicher Verzögerung in dieses Buch. Aber das haben Anfänge so an sich. Meist fragt man sich ja erst hinterher: Wie hat das eigentlich alles angefangen?

»Wehret den Anfängen!« Ein Imperativ, der immer zu spät kommt – nämlich dann, wenn die Anfänge schon längst passé sind und die Fortsetzung mit ihren Folgen kaum noch zu stoppen ist.

Außerdem: Warum sollte man mit Anfängen überhaupt so abwehrend umgehen? Heißt es doch: »Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.« Hermann Hesse wird für diesen Satz in Lyrik-Kursen der Volkshochschulen heftig beseufzt – meist von nicht mehr ganz anfänglichen Mädels, die zwecks Sinnsuche auch gerne mal was Besinnliches in Endreimen absondern.

»Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.« Oft genug ist es ein fauler Zauber.

(→ Sinnsuche – ziemlich vergebens)

! Anfangen – mit rein gar nichts

Anfängen sollte man grundsätzlich misstrauen. Das fängt schon in der Bibel an. »Am Anfang« (griechisch Genesis) stand der Herrgott bekanntlich vor dem Nichts. Mehr war da nicht. So hat ER eben mit Nichts angefangen. Eine Creatio ex nihilo, eine Schöpfung aus dem Nichts heraus, nennen das die Theologen. Da war also nichts als Nichts.

Allerdings war der göttliche Schöpfer offenbar schon da. Sonst hätte ER ja nichts mit dem Nichts anfangen können. Andererseits: Wenn ER schon da war, kann das mit dem angeblichen Nichts nicht so ganz stimmen. Schließlich ist so ein Gott mehr als nur ein Nichts. Also muss schon vor dem angeblich nichtigen Anfang ein Etwas da gewesen sein, und zwar ein göttliches Etwas. Mithin war der Anfang kein Anfang. Aber wer so nachfragt, dem bescheinigt ein gläubiger Mensch bestenfalls einen Urknall. (Nebenbei stellt sich beim Urknall dasselbe Problem wie bei der Genesis: Wie kam der Urknall zustande? Was war davor? Wo lag der Anfang vor dem Anfang? Kann es überhaupt einen Anfang geben?)

Anfangen: auf Alt-Germanisch ana-fahan, das heißt: etwas an-fassen. Dieses alte Verb fahan lebt in Begriffen wie fähig und Fähigkeit weiter: Einer, der zufassen kann, ist eben fähig.

Der An-Faher, der An-Fasser, der An-Fänger, braucht etwas Fassbares, was er in An-Griff nehmen kann. Wenn da anfangs angeblich nur das Nichts ist, hat er auch nichts Greifbares, nichts An-Fassbares, also nichts An-Fängliches. Das Un-Fassbare ist zugleich etwas Un-Anfängliches.

Nicht zu fassen, der An-Fang.

! Arbeitnehmer – gemeine Wesen im Gemeinwesen

Massenhaft tönt und stöhnt ein Klagelied durch deutsche Lande. Hunderttausende von Menschen jammern, dass man ihnen die Arbeit weggenommen habe. Aber, bitte sehr, wer ist denn daran Schuld, wenn jemand die Arbeit gemeinerweise weggenommen wird? Logischerweise sind es jene, die sie den anderen wegnehmen. Diese gemeinen Wesen heißen deshalb – Arbeitnehmer.

Hingegen sind es die Arbeitgeber, die uns die Arbeit geben. Soll heißen: Sie lassen ihre Arbeit uns verrichten, indem sie herzensgut darauf verzichten. Mehr an Umverteilung kann man von den Arbeitgebern nun wirklich nicht verlangen. Sie sind keine Klasse; sie haben Klasse. Schon deshalb ist es bösartig, hier einen Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital zu konstruieren.

Natürlich existiert ein gewisser Unterschied, aber der existiert eben ganz natürlich, also in keiner Weise gesellschaftlich. Er liegt nicht in der sozialen Klasse, sondern in der biologischen Masse, genauer: in der Erbmasse, in den Genen.

Das haben neuere biologische Forschungen endgültig erwiesen. Der genetische Beweis ist einfach zu führen. Nehmen wir zum Beispiel den schon erwähnten Arbeitnehmer, auch als Kapitalist bekannt. Warum wohl heißt der Kapitalist Kapitalist? Ganz klar: Weil er Kapital hat.

So! Und was ist das Kapital? Ebenso klar: In den meisten Fällen ist es ererbt. Also: Das Kapital ist eine Erbanlage. Es ist reineweg genetisch bedingt.

Jeder Kampf gegen das Kapital ist mithin etwas Widernatürliches, ja fast schon so etwas wie eine Gen-Manipulation. Das sollte jeder Arbeitnehmer bedenken – und einstimmen in das Hohelied auf die Arbeitgeber:

Es ist das Geben seliger denn Nehmen.

Und wir Arbeitnehmer sollten uns was schämen.

(→ Kapitalisten – bitte nicht weinen)

! Arbeitslose – alles faule Schmarotzer

Das verhartzte Heer der Arbeitslosen ist ständig auf Empfang geschaltet: eben Hartz-IV-Empfänger. Der Staat beschenkt sie in seiner Güte mit Arbeitslosengeld II, also mit Almosen zweiter Güte. Von diesem Geld kauft sich der Arbeitslose dann die BILD-Zeitung, wo er nachlesen kann, dass er eigentlich gar kein Arbeitsloser ist, sondern ein Arbeitsscheuer. Und wo BILD recht hat, hat BILD recht: Es gibt in diesem Lande viel zu viele Arbeitsscheue. Das Arbeitslosengeld, das diese Arbeitsscheuen beziehen, nennt man allerdings Dividende.

(→ Job-Center – wo man die Arbeit los ist

→ Kapitalisten – bitte nicht weinen!)

! Asylrecht – längst schon ausgeräuchert

Während ich dies schreibe – im Frühjahr 2015, brennen mal wieder Asylheime in Deutschland. Mal in der nahöstlichen Tundra, mal in der wildwestlichen Geisteseinöde. Dann hört man von deutschen Ortschaften, die bis dahin kaum jemand gekannt hat und die eigentlich auch keiner kennen muss. Es gibt zu viele solcher Orte in Deutschland. Und es gibt zu viele brave Bürger, die den Brandstiftern gerne auch noch ein paar Liter aus ihrem Benzintank spendieren würden.

Aber schließlich muss man Verständnis haben »für die Ängste der Bevölkerung«. So hörte man es immer wieder nach den Zusammenrottungen von Dresdner Abendländlern. Und wenn dann mal wieder ein Ausländer-Wohnheim in Flammen aufgeht – dann haben diese Vor- und Nachläufer von Pegida damit natürlich rein gaaaar nichts zu tun. Hinterher wird fürs Fernsehen das übliche Betroffenheits-Geseier herunter geleiert.

Das war schon kurz nach der Wende so, nachdem eine Große Koalition von BILD/WELT/FAZ/CDU/CSU/SPD/FDP lange genug gezetert hatte über die »Scheinasylanten«. Wobei der Begriff Scheinasylant im Feuerschein der brennenden Asylheime erst seinen wahren deutschen Sinn bekam.

Für die richtige Mordsstimmung sorgten schon damals Tausende von Biedermännern und Biederfrauen, die als Publikum die Brandstifter anfeuerten. Was heißt da: Solche Leute müsse man verachten? Im Gegenteil: Das ist ein nicht zu verachtendes Potenzial an Wählern. Schließlich machen die irgendwann wieder ihr Kreuz – auch wenn sich hinterher herausstellen sollte, dass an dem Kreuz ein kleiner Haken war.

Aber erst einmal musste man den Volkswillen dazu bringen, dass er so richtig aufflammen konnte. Das war beim Thema Asyl zunächst gar nicht so einfach – gerade in den neuen Bundesländern. Im Oktober 1990 zum Beispiel war das deutsche Volk im Osten noch längst nicht reif genug für das Thema Asyl. In einer Umfrage erklärten gerade mal 16 Prozent der Bevölkerung, dass sie durch ein »Asylanten-Problem« beunruhigt seien. Nun gab es dort allerdings einen Ausländeranteil von nur 0,8 Prozent (und sehr viel höher liegt der auch heute nicht). Da muss man die Ausländer schon mit der Fackel suchen. Was man dann auch immer wieder tat und tut.

Doch welche politische Mühsal, welcher publizistische Aufwand war notwendig, um das Thema so hochzukochen, dass endlich auch die Volksseele ins Kochen kam, damit der Funke überspringen konnte. Besonders die CDU/CSU war Feuer und Flamme für dieses Thema.

Mit brand-aktuellen Reden, begleitet von anfeuernden Schlagzeilen, konnte man schließlich das hitzige Interesse des Volkes so weit entfachen, dass nun nicht mehr lange gefackelt wurde.

Endlich funktionierte die Verständigung zwischen Politik und Bürger. Aus so manchem flammenden Satz, der tagsüber im Bundestag fiel, wurde nächtens ein Brandsatz. Das nennt man ausführende Gewalt. Ein auch in der Nacht weithin sichtbares Fanal für den Willen des Volkes.

Die Folge, wir wissen’s, war eine fortlaufende Verschärfung des Asylrechts, beginnend 1993. Die vorerst letzte Änderung – eine »Perfidie in Paragraphenform« (so Heribert Prantl in der »Süddeutschen Zeitung«) – erfolgte im September 2014; wie üblich mit Zustimmung der SPD, aber diesmal auch vom grünen Oberschwaben Kretschmann abgenickt.

So hat man das Asylrecht schon längst ausgeräuchert. Die Asylheime folgen nach und nach.

! Atom-Ausstieg – aber wohin?

Im Jahre des Unheils 2011 nach der Katastrophe von Fukushima erspürte eine deutsche Kanzlerin dank ihrer demoskopischen Geigerzähler, dass ihre Wähler in der Mehrzahl nicht mehr richtig tickten. Soll heißen: Sie tickten nicht mehr in ihrem Sinne. Plötzlich herrschte unter dem Wahlvolk eine ja-panische Angst vor dem Atom. Und prompt leitete die schon immer sehr wendige Kanzlerin kernenergisch eine neue Wende ein: die Energiewende.

Das sei die wahre Katastrophe, zeterte die Reaktor-Reaktion sofort. Und damit hatte sie in der Substanz durchaus recht, zumindest was die substantive Historie des Wortes Katastrophe angeht:

Im Sprechgesang des frühen griechischen Theaters nannte man es eine Wende, wenn sich der Chor, also das Volk, dem Akteur zuwandte – auf Griechisch: strophe. Wenn sich der Chor dann aber vom Akteur völlig abwendete, war diese totale Wende eine kata-strophe.

Als die Cheer-Leaderin im Kanzleramt sich plötzlich im Namen ihres Wahlvolks (gewissermaßen im vermuteten Chor-Geist) von den nuklearen Chef-Akteuren abwandte, war die Katastrophe für die Atom-Konzerne zu einem finanziellen Super-GAU geworden. GAU bedeutet: der Größte Anzunehmende Unfall. Im hier besprochenen konkreten Fall war es gerade wegen der vielen früheren Gefälligkeiten der CDU/CSU zugunsten der Atom-Industrie ein GNAU: Ein Geschäftlich Niemals Annehmbarer Umfall.

So weit, so katastrophal. Aber es kam noch schlimmer: Denn dass sich Vattenfall und Co. den atomaren Kilowatt-Verfall nicht gefallen lassen würden, war zu erwarten. Aber was sollten sie machen gegen eine deutsche Kanzlerin, die ihre frisch gelegten Eier in einem Tempo bebrütete, das auch ein Schneller Brüter da nicht mehr mitgekommen wäre.

So holten die Herren aus Onkel Atoms Hütte in ihrer Verzweiflung einen lange vergessenen römischen Lobbyisten namens Pluto aus der Versenkung hervor. Genauer: Sie holten ihn aus der Unterwelt, wo Pluto einst als zuständiger EU-Kommissar für das Totenreich seinen griechischen Amtskollegen Hades abgelöst hatte.

Pluto war für die Atom-Konzerne auch deshalb so wichtig, weil er eine ganz elementare Beziehung zum Plutonium hat. Er ist nämlich dessen Patenonkel, und er hatte seinem Patenkind ein quasi unkündbares Beschäftigungs-Verhältnis bei den Energie-Konzernen versprochen – zumindest für vorläufig 24.110 Jahre (in Worten: vierundzwanzigtausendeinhundertundzehn Jahre). Für eine strahlende Zukunft ist das zumindest die Halbwertzeit. Danach schwächelt das Plutonium erfahrungsgemäß ein bisschen und geht in Rente.

Patenonkel Pluto, immerhin der Gott der Unterwelt, versuchte nun, in dieser Angelegenheit eine vertrauliche Audienz bei der Kanzlerin zu erreichen. Aber im Kanzleramt wurde er schroff abgewiesen: Man könne nicht jedem Lobbyisten aus irgendeinem längst untergegangenen Paralleluniversum Vertraulichkeiten mit der Kanzlerin gewähren.

Außerdem drohte man längerfristige Sanktionen an, falls der Atomausstieg nicht irgendwann in absehbarer Zeit erfolgen würde, also wenn das Plutonium nicht unverzüglich aus all seinen Atomen aussteigen würde. Wenn es diesem Ultimatum nicht Folge leisten würde, dann werde man es auf ewig einsperren im Gorlebener Salzstock.

Angesichts dieser Drohung war das böse, böse Plutonium ganz nuklear abgeschreckt und versprach, seine Halbwertzeit noch einmal rigoros zu halbieren. Seither ist es zusehends verfallen – und eigentlich schon gar nicht mehr richtig vorhanden, vorausgesetzt, dass man nicht leichtsinnigerweise aus Versehen in Asse oder anderswo in Plutos Unterwelt ein Fass aufmacht.

Man sieht: Selbst ein Pluto als Gott des Todes kann diese Kanzlerin nicht erwischen. Sie steigt ein, sie steigt aus, sie steigt um. Nirgends kriegt man sie zu fassen. Sie ist einfach zu wendig. Deshalb habe auch ich mich längst gewendet beziehungsweise gewandt – und zwar weg von ihr. Für sie müsste das eigentlich eine Kata-strophe gewesen sein. Doch ich fürchte, sie hat das gar nicht bemerkt.

! Auschwitz – und das gegenseitige Verzeihen

Ein deutscher Papst, inzwischen ein längst gewesener, fand vor Jahren bei einem Besuch in Auschwitz versöhnliche Worte: »Lasset uns alle gemeinsam beten, damit die Wunden des vergangenen Jahrhunderts heilen mögen durch das Genesungsmittel des gegenseitigen Verzeihens.« Das ist wahrhaft großzügige Versöhnungsbereitschaft, die auch heute noch für viele Deutsche Gültigkeit hat, weshalb dieser Satz in Gedenkartikeln gerne zitiert wird.

»Das Genesungsmittel des gegenseitigen Verzeihens«: ein Verzeihen auf der Basis von Gegenseitigkeit in Sachen Auschwitz. Das heißt im Klartext: Wenn die Juden den Deutschen verzeihen, dass die Deutschen sie umgebracht haben, sind die Deutschen möglicherweise auch bereit, den umgebrachten Juden zu verzeihen, dass es sie überhaupt gab.

Schließlich: Ohne Juden hätte es keinen Judenmord gegeben. Wer also ist letztlich schuld an Auschwitz? Wird man doch wohl mal fragen dürfen im Sinne des gegenseitigen Verzeihens.

(→ Nazis – gab’s die?; → Vergangenheit –

sie könnte vergangener nicht sein)

! Auto-Suggestion – Erkenntnis für Selbst-Entsorger

»Gnothi se auto(n)«: Diesen Werbespruch am Tempel zu Delphi (→ Rating-Agenturen) würde man beim ADAC wahrscheinlich übersetzen mit: »Erkenne dein Auto.« Die korrekte Übersetzung ist allerdings: »Erkenne dich selbst.«

Nun bilden das Auto und das Selbst für viele deutsche Männer ohnehin eine auto-nome Einheit. Einer Umfrage zufolge identifizieren sich 73 Prozent der männlichen Selbst-Fahrer voll mit ihrem Auto. Ihre Automarke und ihr Autotyp seien der direkte Ausdruck ihrer Persönlichkeit, ein typisches Merkmal ihrer selbst. Das nennt man eine Auto-Suggestion: die Einbildung, ein unverwechselbares Selbst zu besitzen, obwohl Hunderttausende dasselbe Marken-Zeichen ebenfalls für sich selbst reklamieren. Zugleich ist das Auto für viele ein Schutz für ihr Selbst: Da bringt sich das Ich des modernen Menschen in eine vermeintliche Selbst-Sicherheit. Es verkriecht sich in einer Zelle, in diesem Fall in einer sogenannten Fahrgastzelle. Dort ist das Ich total abgeschottet in seinen vier Blechwänden, völlig unfähig zur Kommunikation mit der Außenwelt, bis auf ein paar mechanische Signale optischer oder akustischer Art.

Das Auto: ein metallener Kokon für den modernen Autisten. Und Autismus führt ja oft zur totalen Erstarrung, zu einer völligen Bewegungslosigkeit, zu einem Verharren im absoluten Stillstand. Da ist nichts mehr auto-mobil.

So steht denn der moderne Autist auch meistens im Stau, ohne sich selbst von der Stelle rühren zu können mit seinem ringsum in Blech eingeschweißten Ich. Ein Zustand, den schon Gottfried Benn beschrieb in einem Gedicht über die Sinnlosigkeit jeglicher Fortbewegung mit dem sinnigen Titel »Reisen«. Da heißt es in der letzten Strophe als Trost für den Autisten:

»Ach, vergeblich das Fahren!

Spät erst erfahren Sie sich:

bleiben und stille bewahren

das sich umgrenzende Ich.«

Da sehen Sie mal, wie viel abgedichtetes Blech in der großen Dichtung zum Ausdruck kommen kann: Das sich umgrenzende Ich in seiner auto-risierten Einzigartigkeit verharrt Auspuff an Auspuff mit all den tausend anderen autistischen Ichs – also total individuell in kollektiver Auto-Nomie.

Aber gelegentlich löst sich der Stau doch auf, und dann führt die plötzliche Entlassung des Autisten aus seinem schizophrenen Stillstand zu einer nicht minder krankhaften, unkontrollierten Enthemmung, also zur völligen Raserei.

Das geschieht gewissermaßen auto-matisch, also im rasenden Selbst-Lauf auf freier Auto-Bahn – um sich selbst beim Rasen unter denselben zu bringen. So landet der Auto-Autist schließlich auf dem Auto-Friedhof.

»Fahre zu! Ich mag nicht fragen,

Wo die Fahrt zu Ende geht!«

So kommentiert es der Dichter (in diesem Fall Joseph Eichendorff, der allerdings sogar als herum-kutschierender Taugenichts die Mitgliedschaft im ADAC vollinhaltlich abgelehnt hat).

Der Automobil-Club nennt solche Selbst-Mörderei: »Freie Fahrt für freie Bürger!« Eine selbst-verständliche Forderung: Schließlich ist die Überführung der Leiche schon im ADAC-Mitgliedsbeitrag enthalten. So unterstützt man die finale Selbst-Losigkeit. Auch über den ADAC-Tempeln sollte Apollons imperative Botschaft eingemeißelt stehen, wenn auch leicht abgewandelt: »Entsorge Dich selbst!«

(→ Sinnsuche – ziemlich vergebens)

! Bahnreisen – ein Genuss in vollen Zügen

Auf meinen Tourneen bin ich immer mit der Bahn unterwegs. Oder leider nicht immer, wenn die Bahn mal wieder auf sich warten lässt. Im Winter ist das besonders cool. Da steht man im Zug – und zwar auf dem Bahnsteig und lässt sich von den Minusgraden umbibbern. »Wir bitten um Ihr Verständnis!« So werde ich nach jeder Verspätungs-Durchsage von einer Lautsprecherin angeheischt. Mit der Zeit hat man mir soviel Verständnis abgebettelt, dass mein Vorrat ziemlich aufgebraucht ist.

Und das nicht nur zur Winterszeit, nein auch im Sommer, wenn’s nicht schneit. Mal vereisen die Weichen, mal zerschmelzen sie in der Hitze. Und dafür, dass im Winter die Heizungen waggonweise ausfallen, geht zum Ausgleich im Sommer die Belüftung gar nicht erst an. Frühjahrs- und Herbstwinde tun ein Übriges: Sie werfen als Gegenwinde jeden Fahrplan um Stunden zurück. Wehmütig erinnere ich mich an die Zeiten, als die Bahn mit dem kessen Slogan warb: »Alle reden vom Wetter. Wir nicht.« Heute ist die angeblich real existierende Bahn, die man immer seltener realiter an einem Bahnsteig sieht, auf dem Status des ehemals angeblich real existierenden Sozialismus angekommen. Denn auch in der DDR kannte man einst nur vier Hauptfeinde: Frühling, Sommer, Herbst und Winter …

Eins ist sicher: Die Bahn kommt – vielleicht. Vielleicht auch nicht. Letzteres ist wahrscheinlicher. Da fällt mir einer meiner Lieblingswitze ein. Den muss ich noch loswerden. Also: Ein alter Mann, hoch an Greisenjahren, sitzt in einem Zug der Deutschen Bahn. Als der Fahrkartenkontrolleur kommt, reicht er ihm mit zittriger Hand einen vergilbten Wisch. Der Kontrolleur schaut drauf und meint verwirrt: »Entschuldigen Sie bitte, das ist ein Schülerausweis.« Sagt der alte Mann: »Was kann ich denn für Ihre Verspätungen.«

! Banken – durch die Bank weg wurmstichig

Die internationale Finanzwelt hatte ihren Start im finsteren Mittelalter. Sie wurde auf einem Marktplatz in der Toskana erfunden. Da baute eines Tages ein pfiffiger Händler seinen Stand auf und pries den durchreisenden Geschäftsleuten seinen Sicherheits-Service an. Künftig müssten sie auf ihren Geschäftsreisen keine Angst mehr haben, dass ihnen die Räuber ihre Goldstücke rauben könnten. Sie sollten ihr Bargeld einfach bei ihm, dem Geldhändler, deponieren. Dafür bekämen sie dann einen Travellerscheck, den sie in anderen Städten bei einem seiner Gewährsleute wieder gegen Bares eintauschen könnten. Der Vorteil für den Händler war klar: Er ließ das hinterlegte Kapital in der Zwischenzeit arbeiten, und zwar ganz allein für sich.

Das ist ja das Tolle am Kapital: Im Gegensatz zu dem arbeitsscheuen Hartz-IV-Gesindel arbeitet es, und zwar 24 Stunden lang am Tag, 365 Tage im Jahr, ohne Urlaubsanspruch. Daran sollten sich mal die Gewerkschaften ein Beispiel nehmen bei ihren maßlosen Forderungen. (→ Arbeitslose – alles faule Schmarotzer)

Diese ersten Kapitalverwerter auf den Marktplätzen von Siena und Florenz hatten eine lange Bank vor sich stehen, auf denen sie sich die Barschaft vorzählen ließen. Nach diesem Möbelstück wurde ihr Finanzgeschäft dann benannt – sie waren Inhaber einer Bank. Manchmal war diese Holzbank auch wurmstichig und brach plötzlich zusammen. Das nannte man dann einen Bankrott.

Grundsätzlich hat sich bis heute nicht viel geändert, denn im gesamten Finanzsystem steckt der Wurm. Der Unterschied ist, dass damals bei einer zusammengebrochenen Holzbank niemand auf die Idee einer Bankenrettung gekommen wäre.

! Bankenkrise – der Ossi war schuld!

Sie haben was gegen die großen Bänker? Sie sind gar ein überzeugter Anti-Kapitalist? Sie fordern, dass man endlich damit beginnen sollte, eine Großbank zu sozialisieren?