Mister Park Lane - Louise Bay - E-Book

Mister Park Lane E-Book

Louise Bay

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Beschreibung

Wenn dein Teenagerschwarm dein neuer Mitbewohner ist

Als Ärztin Hartford Kent aus einem Auslandseinsatz zurück nach London kommt, braucht sie dringend eine Wohnung. Dass ihre Eltern sie im Luxusapartment von Joshua Luca einquartieren, gehörte allerdings so gar nicht zu ihrem Plan. Als Teenager war der beste Freund ihres Bruders der Traum ihrer schlaflosen Nächte. Bis ein schlimmer Unfall sie ihre Zukunft kostete und sie ihr altes Leben - und Joshua - hinter sich lassen musste. Ihre Gefühle für ihn sind Geschichte. Dass der mittlerweile millionenschwere Geschäftsmann ihr neuer Mitbewohner ist, macht keinen Unterschied. Oder dass er immer noch dieses charmante Lächeln besitzt. Hartford ist komplett über ihn hinweg. Oder doch nicht?

"Bisher war wirklich jeder Roman von Louise Bay ein wahres Lesevergnügen!" BOOK_HEART_LOVE

Band 4 der MISTER-Reihe von SPIEGEL-Bestseller-Autorin Louise Bay

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Seitenzahl: 411

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Leser:innenhinweis

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

Epilog

Die Romane von Louise Bay bei LYX

Die Autorin

Leseprobe

Impressum

LOUISE BAY

Mister Park Lane

Roman

Ins Deutsche übertragen von Wanda Martin

ZU DIESEM BUCH

Hartford Kent lebt für ihren Beruf als Ärztin. Daher ist sie alles andere als begeistert, als ein gebrochenes Bein sie dazu zwingt, ihren Auslandseinsatz im Jemen abzubrechen und nach London zurückzukehren. Wovon sie allerdings noch weniger begeistert ist, ist die Tatsache, dass ihre Eltern sie im Luxusapartment von Joshua Luca einquartieren. Als Teenager war der beste Freund ihres Bruders der Traum ihrer schlaflosen Nächte. Bis ein schlimmer Unfall sie ihren Platz an der Ballettschule kostete und sie ihr altes Leben – und Joshua – hinter sich lassen musste. Ihre Gefühle für ihn sind Geschichte. Dass der mittlerweile millionenschwere Geschäftsmann ihr neuer Mitbewohner ist, macht keinen Unterschied. Ebenso wenig, dass er immer noch dieses charmante Lächeln besitzt und sogar noch attraktiver geworden ist. Und erst recht nicht, dass er ihr dabei hilft, eine Wohnung in London und Anschluss in seinem Freundeskreis zu finden. Je mehr Zeit Hartford mit ihm verbringt, desto schwieriger wird es für sie zu leugnen, dass ihre Gefühle für Joshua stärker denn je sind …

Liebe Leser:innen,

in diesem Buch sind exklusive Deleted Scenes aus der Originalausgabe enthalten. Die Bonusszenen findet ihr in den Kapiteln 7, 9 und 38.

Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen!

Euer LYX-Verlag

1. KAPITEL

HARTFORD

Mit neunundzwanzig Jahren hatte ich als Ärztin einige der trostlosesten Orte der Welt bereist und dort gearbeitet, aber allein der Gedanke an Joshua Luca ließ mich meine schwitzigen Handflächen an der Jeans abwischen und wünschen, ich bekäme meinen rasenden Herzschlag unter Kontrolle.

Zwar hatte ich ihn seit über einem Jahrzehnt nicht gesehen, doch Joshua konnte mich immer noch nervös machen – was ich hasste.

Nicht, dass wir je zusammen gewesen wären.

Nicht, dass ich mich die ganzen Jahre nach ihm verzehrt hätte.

Nicht, dass er mir überhaupt je Beachtung geschenkt hätte. Jedenfalls ganz sicher nicht auf die Art, wie ich sie ihm geschenkt hatte.

Joshua war fast schon wie eine Manie gewesen, bis ich mir mit siebzehn das Bein brach und den Teenagerschwärmereien endgültig abschwor. Über Nacht wurde ich erwachsen und verabschiedete mich von meiner albernen Verknalltheit.

Ich hatte diese alten Gefühle ganz vergessen, bis meine Mum verkündete, sie habe dafür gesorgt, dass ich ein paar Monate bei Joshua wohnen könne, bis ich wieder »auf die Beine« käme – eine unbeabsichtigte Ironie angesichts des Gipses an meinem linken Bein. Ich fing keine Diskussion an. Es lohnte sich nicht, ihr zu erklären, dass es, nachdem ich es auch geschafft hatte, in einem Kriegsgebiet zurechtzukommen, ja wohl das reinste Zuckerschlecken sein dürfte, mich in London einzuleben.

Zucker. Mein schmerzlich vermisster Freund. Zuckerzeug hatte es in dem Außenposten von Médecins Sans Frontières im Jemen, wo ich im Einsatz gewesen war, selten bis gar nicht gegeben. Sobald ich meine Tasche abgestellt und geduscht hätte, würde ich mich auf die Jagd nach so etwas wie Zitronenkuchen machen. Mit Streuseln obendrauf.

Ich sollte versuchen, mich ganz auf Gebäck und solche Dinge zu konzentrieren. Alles, nur nicht die Erinnerung an Joshuas sonnengesträhntes Haar im Sommer. Seine langen, schlanken, gebräunten Beine. Daran, wie immer ein Grübchen auf seiner linken Wange erschien, wenn meine Schwester in der Nähe war. Das stets die Lippen umspielende Lächeln, das andeutete, dass er immer für einen Scherz zu haben war. Und wenn er mal Ärger hatte, schaffte er es mit seinem gelassenen Selbstvertrauen, sich herauszureden, bis ihm verziehen wurde. Meinem Teenager-Ich war er wie ein Gott vorgekommen.

Ich war mir nicht sicher, ob er sich überhaupt an mich erinnern würde. Vielleicht an die Monobraue? Die Zahnspange?

Unsere Eltern waren schon so lange ich denken konnte miteinander befreundet. Joshua war genauso alt wie mein Bruder. Meine Schwester war ein Jahr jünger, und zu meinem ewigen Frust war ich das Küken. Das Küken, das in den besten Freund des großen Bruders verknallt war.

Bei ihren Tennismatches und Gesprächen über Mädchen war ich bloß die Zuschauerin am Rand gewesen. Fast schon so, als gehörte ich zur Ausstattung – zur Kulisse von Joshuas und meines Bruders Sommern. Ganz im Gegensatz zu meiner älteren Schwester Thea, die sich den Jeansminirock-Trend zu eigen gemacht hatte, als wäre sie ein fünfundzwanzigjähriges Supermodel. Thea stand immer im Mittelpunkt. Ich sah zu, wie sie kichernd vor Joshua herumwirbelte, der darauf mit frechem Gegrinse und vorgeschobenen Schmolllippen reagierte. An Thea würde er sich auf jeden Fall erinnern. Im Gegensatz zu meiner leicht zu vergessenden, unscheinbaren Wenigkeit.

Nie hatte ich einer Menschenseele von meiner Schwärmerei für Joshua erzählt. Und mit siebzehn schluckte ich sie hinunter, entschlossen, sie für immer an einen dunklen Ort tief in meinem Innersten zu verbannen.

Jetzt wo ich am Flughafen stand und ihm gleich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen würde, lief ungewollt ein Schauer über meine Haut und brachte meinen Puls ins Stocken.

Mein Handy brummte. Ich verließ die Warteschlange, um das Handyverbot nicht zu missachten. Der Anruf kam von meiner Mum. Ich ließ die rechte Krücke los und entsperrte das Smartphone.

»Bist du gelandet, Darling?«

Wenn man in Kriegsgebieten arbeitete, sorgten sich die Eltern ständig um einen. Mir machten Kriegsgebiete keine Angst. Wiedersehen hingegen schon.

»Yep. Geh gleich mein Gepäck holen. Kann ich dich anrufen, wenn ich bei Joshua zu Hause angekommen bin?«

»Natürlich. Marian meinte, die Wohnung sei wunderschön. Er ist so ein lieber Junge. Besitzt sein eigenes Unternehmen, eine Marketingagentur. Hat ihnen übrigens gerade ein neues Auto spendiert.«

Ich hatte inzwischen schon mindestens dreimal von dem neuen Auto erzählt bekommen. »Ja. Der Lexus. Ich weiß.« Ich würde nie eine Tochter sein, die ihren Eltern ein brandneues Auto spendierte. So viel Geld verdiente ich nicht. Und selbst wenn – sie brauchten gar keins.

»Er ist überaus erfolgreich. Absolut verlässlich. Sicher wartet er schon auf dich.«

»Ich hätte doch mit dem Heathrow Express in die Stadt fahren können.« Die Vorstellung, dass Joshua sich meinetwegen Umstände machte, passte mir gar nicht. Sicherlich hatte er mitten an einem Dienstag Besseres zu tun, als für mich den Chauffeur zu spielen.

»Du hast ein gebrochenes Bein, Hartford«, sagte Mum in ihrem Keine-Widerrede-Tonfall. Sobald ich meinen Eltern verkündet hatte, dass ich nach London zurückkehren würde, hatte meine Mutter mit ihrem ständigen Einmischen noch einen Gang höher geschaltet. Ich wusste, dass es ein Ausdruck ihrer Erleichterung war. Nach drei Jahren im Ausland würde ich nur noch ein paar Stunden entfernt sein statt mehrere Zeitzonen weit weg. Jetzt wo ich wieder zurück war, würde ich besser darin werden müssen, ihren gut gemeinten Hilfsattacken zu entkommen.

Über die Schulter blickte ich zu der Menschenmenge, die den Gang entlang Richtung Warteschlange drängte. Soeben musste ein Flug gelandet sein, und ich wollte nicht hinter all diesen Leuten feststecken. »Ich sollte ihn nicht warten lassen. Ich melde mich später bei dir.«

»Richte Joshua liebe Grüße aus, und ruf mich an, wenn du angekommen bist.«

Da hatte ich meinen Gesprächseinstieg mit Joshua. Ich konnte ihm sagen, dass ich mit meiner Mutter telefoniert hatte und ihm liebe Grüße von ihr ausrichten solle.

Ich stellte mich wieder in die Warteschlange und sagte mir, wenn ich es schaffte, bei brütender Hitze kranke Kinder auf Feldbetten zu behandeln, käme ich auch mit Joshua Luca klar.

Gar. Kein. Ding.

Als die Türen hinaus zum Ankunftsbereich aufglitten, suchte ich den Halbkreis aus Taxifahrern mit Schildern in den Händen und Menschen, die auf ihre Angehörigen warteten, ab. Ein Stück hinter der Menge, als wäre ein Scheinwerfer auf ihn gerichtet, stand Joshua mit gesenktem Kopf an einen Pfeiler gelehnt und guckte konzentriert auf sein Handy.

Heiß knisterndes Verlangen keimte in meiner Brust auf. Ich musste mich daran erinnern weiterzuatmen. Er war immer noch umwerfend. Und das machte mich rasend. Ich hatte meine Schwärmerei für Joshua vor langer Zeit abgelegt und wollte weiß Gott nicht wieder damit anfangen. Das konnte nur Ärger einbringen. Neuen Ärger.

Seine Schultern waren breiter geworden, aber das dunkelblonde Haar neigte noch immer dazu, perfekt verwuschelt auszusehen. Und dieses unwiderstehliche Selbstvertrauen? Das war immer noch aus zehn Metern Entfernung wahrnehmbar.

Er schaute hoch und sah mir direkt in die Augen, als könnte er meine Gedanken hören. Ich spürte sein schiefes Lächeln zwischen den Beinen.

Vagina, du Verräterin.

Ich grinste und ging auf ihn zu, als hätte ich ihn gerade eben erst in der Menge entdeckt und würde nicht von ihm angezogen werden wie der Blitz von einem Metallmast.

»Hallo.« Ich legte den Kopf in den Nacken, um ihn anzusehen.

Er nahm sich Zeit, den Blick langsam und ungeniert über meinen Körper wandern zu lassen, einmal von Kopf bis Fuß und wieder hinauf, wobei er auf dem Rückweg bei meinen Lippen und Wangen verweilte. »Hartford?«

Sollten wir uns Küsschen geben? Auf eine Wange oder auf beide? Uns umarmen? Warum kam ich mir so unbeholfen vor?

Neunundzwanzig, rief ich mir in Erinnerung.

Ärztin.

Sich in Joshua Luca zu verknallen bringt nichts als Ärger.

Ich zog ihn in eine einhändige Umarmung, wobei ich mich ungelenk mit einem Bein auf die Zehenspitzen stellte, damit ich seinen Hals umfassen konnte. Er versteifte sich kaum merklich, ehe er die Umarmung erwiderte.

»Schön, dich zu sehen«, sagte ich in Richtung seines Haaransatzes.

Ich konnte durch die Jacke spüren, wie seine große Hand fast meinen gesamten unteren Rücken umspannte. Und dieser Duft? Den hatte ich vergessen. Was war das, und wie konnte es sein, dass der in all den Jahren unverändert geblieben war?

Ohne zu fragen, nahm er mir den Rucksack ab, als wöge er nichts, und schwang ihn sich über die Schulter. »Ist das alles? Sonst kein Gepäck?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Nope. Nur ich.«

Er nickte Richtung Ausgang, und ich folgte ihm. »Was ist mit deinem Bein passiert?«

Ich blickte hinunter auf meinen Gips, als müsste ich nachsehen, welches Bein er meinte. »Ach, nichts. Bloß ein Unfall.« Ich wollte nicht näher darauf eingehen. Ich wollte nur, dass es verheilte. Und zwar schnell. Damit ich wieder arbeiten konnte. »Erzähl mir von dir, Joshua Luca. Was hast du so gemacht, seit wir uns zum letzten Mal gesehen haben?«

Wieder warf er mir sein typisches Lächeln zu. »Wann haben wir uns denn das letzte Mal gesehen?«

»Ich weiß nicht mehr …«

Ich wusste es ganz genau. Ich weigerte mich, daran zu denken, was nach meinem Unfall passiert war. Noch jahrelang grübelte ich über die Nacht nach, in der ich mir das Bein gebrochen hatte. Joshua war meinen Bruder abholen gekommen, bevor sie zu einer Silvesterparty loszogen. Er war im zweiten Studienjahr an der Uni gewesen und gerade zwanzig geworden. Dank der neuen Bartstoppeln an seinem Kinn und des flachen, durchtrainierten Bauchs, den er unabsichtlich zur Schau gestellt hatte, als er nach der Jacke meines Bruders griff, war mir unser Altersunterschied so bewusst wie noch nie gewesen, während ich ihn vom oberen Ende der Treppe aus beobachtete. Er war zum Mann geworden, und ich kam mir immer noch vor wie ein Kind. Höchstens dreißig Sekunden lang hatte ich einen Blick auf ihn erhascht, aber der war in mein Gedächtnis eingezeichnet wie ein Tattoo. Diese paar Sekunden waren meine letzte schöne Erinnerung an Joshua gewesen.

»Du bist ja deine Zahnspange los.«

Klar, dass er sich an die erinnerte.

»Unfassbar, was? Ich dachte schon, ich müsste die ewig tragen. Die Augenbrauen habe ich mir auch gezupft, keine Monobraue mehr. Außerdem habe ich nebenbei den einen oder anderen Abschluss gemacht.« Menschen konnten sich ändern. Ich war nicht dieselbe wie damals. »Ist lange her.«

»Stimmt.« Er schaute zu mir herüber und runzelte die Stirn, ehe er wieder wegsah. »Da wären wir.«

Als er eine Taste auf seinem Autoschlüssel drückte, öffnete sich der Kofferraum eines teuer aussehenden Wagens. Er warf meinen Rucksack hinein, ehe er die falsche Richtung einschlug und zur Beifahrerseite ging.

Und dann machte er sie auf. Die Beifahrertür. Für mich.

Ich schüttelte den Kopf. War er etwa in den Fünfzigern groß geworden? Das gehörte fest zu jenem Joshua-Luca-Charme, den er schon an sich hatte, seit er aus dem Mutterleib geschlüpft war. Ich wollte nichts damit zu tun haben.

»Was denn?« Er wirkte ehrlich verwirrt.

»Ich kann selbst die Tür aufmachen«, sagte ich, während ich auf meinen Krücken zum Fahrzeug humpelte und auf einen butterweichen Ledersitz sank. Wegen so einer kleinen ritterlichen Geste würde ich nicht gleich dahinschmelzen. Nicht dass ersich bemüht hätte, mich zum Dahinschmelzen zu bringen. Mich hatte er gar nicht auf dem Schirm. Joshua brauchte sich nicht zu bemühen, Frauen zum Dahinschmelzen zu bringen.

Er zuckte mit den Schultern und machte die Tür zu, ehe er zur Fahrerseite herumging.

»Sorry, falls ich nach Jemen rieche. Könnte sein, dass du nach dieser Fahrt hier drin einen Lufterfrischer brauchst.«

Er setzte aus der Parklücke zurück, und wir begannen, uns durch das enge mehrstöckige Parkhaus zu schlängeln. »Jemen? Ich dachte, du kämst aus Saudi-Arabien.«

»Es gibt keine Direktflüge aus dem Jemen.«

»Sollte man denn Länder bereisen, die keine Direktflugverbindung haben?«

Ich lachte. »Du hörst dich an wie Patrick. Ich habe dort keinen Urlaub gemacht, sondern für Médecins Sans Frontières gearbeitet. Aber danke, dass du einen auf großer Bruder machst.«

»Okay«, sagte er, wobei das Stirnrunzeln wieder auftauchte. »Möchtest du ein Wasser?« Er klappte die Armlehne zwischen uns hoch, unter der anscheinend eine Kühlbox eingebaut war, und nahm eine Flasche heraus.

»Danke. Hast du da auch Kuchen drin?«

»Wir sind hier zwar nicht im Supermarkt, aber kann sein, dass du darin einen Apfel findest.«

»Ich habe seit dreizehn Monaten keinen Apfel mehr gegessen.« Ich kramte in dem Fach und fand einen bilderbuchmäßig grünen Apfel. »Willst du mal abbeißen?« Ich hielt das Obst hoch, zog es dann jedoch abrupt weg, als meine Fantasie ein Bild davon darbot, wie er die Zähne in … mir versenkte.

Ob er wohl jemand war, der gern knabberte? Für einen Sekundenbruchteil spulten sich versaute Szenen in meiner Vorstellung ab: Joshua im Bett, nackt. Joshua über mir, die Arme angespannt, den Blick auf meine Lippen gerichtet. Die Hüften vorschiebend –

Stopp.

Ich musste mich dringend zusammenreißen, Bleiche fürs Hirn besorgen und den Schmetterlingen in meinem Bauch eine Dosis Propofol verabreichen. Ich würde für einige Monate bei diesem Kerl wohnen. Da konnte ich ihm nicht sabbernd nachlaufen wie ein verknallter Teenager. Außerdem wusste ich, von Joshua besessen zu sein, war gefährlich. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Ich musste um mich herum ein undurchdringliches Joshua-Luca-Abwehrschild errichten.

Wir waren nur Freunde, nichts weiter.

Ich wusste nicht, was ich zuerst bewundern sollte: den umwerfenden Hundertachtzig-Grad-Ausblick auf das London Eye, das riesige Wohnzimmer mit Sofas, die wie weiche Marshmallow-Wölkchen aussahen, oder das nervige Grübchen in Joshuas linker Wange, das mich schon faszinierte, seit ich zwölf war.

»Hier wohnst du?«, fragte ich in dem Versuch, so zu tun, als wäre mir das Grübchen gar nicht aufgefallen. »Du hast einen ausgesprochen guten Geschmack für jemanden, der als Kind den größten Spaß daran hatte, meinem Bruder die Unterhose in die Poritze zu ziehen, wenn er am wenigsten damit rechnete. Hier sieht es aus wie in einem riesigen Hotelzimmer.«

Er schob die Hände in die Hosentaschen und senkte den Blick zu Boden, ganz genauso wie früher, wenn er mit Thea geflirtet hatte. Er schaffte es, eine Mischung aus Selbstvertrauen und Verlegenheit an den Tag zu legen, die ich immer total süß gefunden hatte. Joshua war kein bisschen schüchtern, und so fragte ich mich, wann genau er wohl gemerkt hatte, wie sexy ein Hauch Bescheidenheit sein konnte. »Das Lob für die Einrichtung kann ich nicht einstecken. Das Apartment gehört zum Park Lane International.«

»Zum Park Lane International? Also lebst du in einer Wohnung, die zu einem Hotel gehört? Du kannst den Zimmerservice bestellen, wann immer du willst? Und das Fitnessstudio nutzen und so?«

»Und so, genau«, bestätigte er nickend.

»Wow.« Ich hatte das ganze letzte Jahr unter einem Zeltdach auf einem Feldbett geschlafen. An Fünf-Sterne-Luxus würde ich mich erst einmal gewöhnen müssen. Nur, dass ich nicht vorhatte, mich daran zu gewöhnen. Ich schaute mich um und überlegte, wo ich wohl meine Sachen ablegen könnte. Es schien nur eine Tür zu geben. Vielleicht würde ich auf dem Sofa übernachten. »Wo schlafe ich denn?«

»Im Herd? Oder in der Badewanne?« Joshua grinste. »Oder vielleicht im Schlafzimmer im Bett? Ist eine ziemlich konventionelle Wahl, aber definitiv die bequemste.«

Joshua ragte über mir auf, die Brust breiter und voluminöser als beim letzten Mal, als ich ihn gesehen hatte. Er besaß immer noch den Humor eines Siebzehnjährigen. »Ich lache innerlich. Im Ernst, Joshua. Wo?«

Er zuckte mit den Schultern. »Ich war noch nie hier drin. Ich wohne nebenan in Apartment P1. Ich schätze, es ist da drüben.« Er durchschritt den Wohnbereich und drückte eine Tür auf. »Yep. Hier ist das Schlafzimmer.«

»Moment mal, du wohnst hier gar nicht? Ich dachte, ich würde in deinem Gästezimmer übernachten.«

»Hattest du gehofft, mich morgens in Boxershorts zu sehen zu kriegen?« Er grinste und riss zweideutig die Augen auf.

Ich konnte nicht abstreiten, dass ich mich während der sechzig Minuten, seit wir vom Flughafen losgefahren waren, gefragt hatte, wie er wohl in Boxershorts aussah, aber das würde ich ganz bestimmt nicht zugeben. »Mum meinte, du hättest ein freies Gästezimmer.«

»Das hier ist sozusagen das Gästezimmer des Penthouse. Eine separate Wohnung, die nur Gästen von mir zugänglich ist. Das ist, als hätte man ein Poolhaus oder so was in der Art.«

Aus der Männersprache übersetzt hieß das, er wollte ungestört bleiben. »Joshua, wenn du nicht willst, dass ich bei dir wohne, dann brauchst du das nur zu sagen. Ich habe auch noch andere Freunde.«

Ich war mir gar nicht sicher, ob ich tatsächlich so viele Freunde in London hatte. Die meisten lebten quer im Land verstreut. Und in der ganzen Welt. Aber Joshua musste kein Mitleid mit mir haben – ich hätte schon was gefunden. Meine Mutter hatte mich angefleht, bei ihm zu wohnen – mir gesagt, er sei einsam in London und brauche Gesellschaft. Eindeutig hatte sie nur ihren Kopf durchsetzen wollen. Aus Erfahrung hätte ich gewarnt sein sollen, doch ich war zu erschöpft gewesen, um mit ihr zu diskutieren, und hatte mich einverstanden erklärt, so lange bei ihm unterzukommen, bis ich eine eigene Wohnung gefunden hätte.

»Du tust ja so, als würde ich von dir verlangen, in meinem Kofferraum zu schlafen.« Meine Reaktion ließ ihn völlig unbeeindruckt. »Ich habe die Wohnung für drei Monate gemietet. Ist kein Ding.«

»Moment mal, du hast sie für drei Monate gemietet?« Ich ertrug es nicht, mir vorzustellen, wie viel das wohl kostete. »Gib den Schlüssel zurück. Das kann ich mir nie und nimmer leist–«

Joshua trat vor mich und streichelte meinen Arm, als müsste er ein wildes Pferd zähmen. Ich versuchte, die Wärme auszublenden, wie seine Finger sich mit Nachdruck in meine Haut zu drücken schienen, wie unglaublich gut er aus nächster Nähe duftete.

»Es ist kein Ding. Ich erwarte nicht, dass du für irgendwas bezahlst.«

Ich schüttelte seine Hand ab. Der Körperkontakt drohte meine Schwärmerei wieder zu entflammen, wie wenn man ein Streichholz an Zunder hielt. »Joshua!« Er verstand es überhaupt nicht. »Das macht es noch schlimmer. Ich erwarte doch nicht, dass du meine Miete übernimmst. Der ganze Sinn dahinter, warum man bei jemandem übernachtet, der ein Zimmer freihat, ist doch, dass gar keine Kosten entstehen.«

»Aber du hast die Kosten doch nicht. Wenn es dir damit besser geht, kannst du ja so tun, als wäre das mein Gästezimmer.«

»Ich brauche eine Dusche.« Ich ließ mich aufs Sofa fallen, weil mich mit einem Mal der Jetlag, die Reiseanstrengung und die letzten dreizehn Monate einholten. Als ich in die Marshmallow-Kissen sank, fragte ich mich, ob ich mich wohl je wieder rühren könnte. »Hast du schon bezahlt? Kannst du das Geld erstattet bekommen?«

»Nein. Ich habe einen Vertrag unterschrieben. Und überhaupt, wo willst du denn sonst hin? In jemandes Gästezimmer schlafen oder, schlimmer noch, auf einer Couch, wenn du genauso gut hierbleiben kannst?« Er nickte in Richtung der Panoramaaussicht. »Du warst in der Ferne und hast dort kranke Menschen geheilt. Betrachte es doch als deine Belohnung.«

Ich wollte weder Lob noch ein Dankeschön. »Du machst dich lächerlich.«

Er grinste. »Gern geschehen. Ich nehme mal an, du hast Hunger.« Er swipte auf seinem Handy herum. »Aus dir ist doch nicht so eine weltverbessernde Veganerin geworden, oder?«

»Ja, ich habe Hunger, und nein.« Ich träumte schon ein ganzes Jahr davon, einen Burger von der Größe meines eingegipsten Beins zu essen. Gemüse kam in meinen Wunschvorstellungen nicht vor.

»Gott sei Dank. Dann also Burger?«

Trotz meiner Verärgerung über Joshua schlich sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen. In Sachen Lebensstil mochte er zwar das genaue Gegenteil von mir sein, aber in Sachen Essensvorlieben hätten wir anscheinend bei der Geburt getrennte Zwillinge sein können. Und vielleicht noch ein Stück Torte, verkniff ich mir zu sagen. Wenn es um Biskuitböden ging, war ich wählerisch, und ich wollte mir erst noch in Ruhe überlegen, was mein erstes Stück nach der Zeit im Jemen werden sollte. »Für einen Burger würde ich gerade so ziemlich alles tun.«

»Interessant«, sagte er und warf mir einen Blick zu, während er auf seinem Handy tippte. Dann setzte er sich auf das Sofa gegenüber. »Da würde mir eventuell das eine oder andere einfallen.« Keine Ahnung, wie es ein Grübchen hinbekam, doppeldeutig zu wirken, aber Joshuas schaffte das.

Noch nie hatte sein offensives Geflirte mir gegolten. Irgendwie war es schmeichelhaft, doch ich musste mir in Erinnerung rufen, dass er das immer so machte. Er konnte nicht nicht flirten. Für Joshua war Flirten eine Art unbewusste Angewohnheit, so automatisch wie das Atmen.

»Schön zu sehen, dass du dich kein bisschen verändert hast.«

»Schön zu sehen, dass du dich sehr wohl verändert hast.« Er hielt für einen Sekundenbruchteil inne und sah mich an, als wären wir ein langjähriges Paar und nicht etwa praktisch Fremde. Er blinzelte zweimal, räusperte sich dann. »Nur dass der missbilligende böse Blick immer noch derselbe ist.«

»Hey«, sagte ich und bewarf ihn mit einem teuren Kissen. Er wehrte es ab wie Zuckerwatte. »Ich gucke nicht böse.«

Er lachte in sich hinein. »Keine Sorge. Das ist süß.«

Süß?

Ich würde mein Abwehrschild ordentlich aufrüsten müssen.

2. KAPITEL

JOSHUA

Ich schaute hoch zum blassgrauen Londoner Himmel und überlegte, welchen Monat wir noch gleich hatten. In England war der Sommer nie garantiert, aber heute fühlte es sich eher nach November an als nach Juni. Eindeutig hatte Hartford die Hitze des Nahen Ostens nicht mit hergebracht, als sie am Vormittag gelandet war. Während ich in die Piccadilly einbog, durchforstete ich mein Gehirn nach Erinnerungen an Hartford. Ich erinnerte mich an ihre Zahnspange, schlaksig lange Gliedmaßen und an zum Dutt zusammengebundene Haare. Ihre ganze Familie hatte sich immer beschwert, sie sei eine Tagträumerin und mit den Gedanken ständig woanders. Abgesehen davon stieß ich nur auf unheimlich viele Leerstellen. Sie war eigentlich immer da gewesen; ich konnte mich bloß an wenig Konkretes erinnern.

Da schwebte ein Detail an die Oberfläche – ein Spitzname. Irgendwas mit Feen oder Ballett … Ach genau, sie hatte Ballett getanzt. Ein Riesenunterschied zu der ernsten, doch unbestreitbar wunderschönen Ärztin, die ich heute vom Flughafen abgeholt hatte. Ich schüttelte den Kopf – ich konnte jetzt nicht über sie nachdenken. Es gab anderes, worauf ich mich konzentrieren musste.

Ich schlug den Kragen meines Jacketts hoch, damit mir die kalte Luft nicht mehr den Rücken hinunterströmte. Ich hätte für den kurzen Fußweg zu dem Restaurant, in dem ich meinen größten Kunden treffen würde, einen Mantel mitnehmen sollen. Als Marketingchef von GCVB war Eric einer der einflussreichsten Menschen der Luxusgüterbranche, was bedeutete, dass er das Restaurant aussuchen durfte. Dasjenige, das er gewählt hatte, war beliebt und hatte die passende Anzahl Sterne für Eric. Ich fand es ein bisschen protzig, selbst für meinen Geschmack. Wenigstens schmeckte das Steak dort fantastisch. Geduckt wandte ich mich in eine Seitengasse, und der Türsteher in roter Uniform begrüßte mich. Ich ging hinein.

Ich war fünf Minuten zu früh da, Eric würde noch nicht hier sein. Er kam gern die berühmte Viertelstunde zu spät.

»Guten Tag, Mr Luca.« Die blonde Empfangsdame neigte den Kopf, als sie mich begrüßte. »Ihr Gast hat bereits Platz genommen. Darf ich Sie zu Ihrem Tisch führen?«

Obwohl ich nun im Warmen war, stellten sich mir die Nackenhaare auf. Ich starrte sie an, während ich verarbeitete, was sie gerade gesagt hatte. Wieso war Eric so früh dran? Das kam sonst nie vor.

Die Dame vom Empfang führte mich zu einem Tisch in der Ecke, an dem Eric in einem blitzsauberen weißen Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln saß, das Jackett lässig über die Stuhllehne gehängt. Er war nicht nur früh dran – er war schon so lange hier, dass er es sich bereits bequem gemacht hatte.

»Schön, Sie zu sehen«, sagte ich, schüttelte Eric die manikürte Hand und setzte mich dann.

»Joshua. Ich nehme das Kalbsbries und dann das Steak. Und Sie?« Erics Englisch war nahezu perfekt, aber im Restaurant kam immer sein französischer Akzent zum Vorschein. Vielleicht, weil er normalerweise ein entspannter Gast war, der sich mit den Servicekräften über die Speisekarte austauschte. Er besprach gern die Weinauswahl mit dem Sommelier. Heute nicht. Heute hatte Eric bereits bestellt, und sein französischer Akzent war nicht zu hören.

»Hervorragende Wahl, Eric. Das nehme ich auch.« Ich hatte nicht vor, Zeit damit zu verschwenden, erst einen Blick in die Speisekarte zu werfen, wenn ich mich genauso gut gleich darauf konzentrieren konnte, was Eric mir mitzuteilen hatte. Denn er hatte mir eindeutig etwas mitzuteilen.

»Wir waren schon eine Weile nicht mehr zusammen Mittag essen«, sagte er. »Im Head Office war mächtig viel zu tun.«

»Wenn man schon viel zu tun hat, dann doch am besten in Paris.«

Luca Brands war auf die Zusammenarbeit mit Luxusmarken spezialisiert, und der größte Luxuskonzern war GCVB. Wir waren für das Branding und Marketing aller dreißig Marken der GCVB Group verantwortlich, welche von Hautpflege über Parfum und Champagner bis hin zu elf der größten Modehäuser reichten. GCVB war nicht nur Luca Brands’größter Kunde, sondern sorgte für rund vierzig Prozent unserer Umsätze.

»Wie lange arbeiten wir jetzt schon zusammen?« Er trank einen kleinen Schluck von dem Wein, den ihm der Sommelier hingestellt hatte. »Sechs oder sieben Jahre?«

»Nächsten Monat werden es sieben Jahre.« Ich lehnte mich zurück und streckte die Beine aus, um den Eindruck zu vermitteln, dies wäre nur eines unserer gewöhnlichen Lunchtreffen. Doch wir wussten beide, dass dem nicht so war.

»Und mir gefällt Ihre Arbeit. Das wissen Sie.« Er brauchte das »Aber« nicht hinzuzufügen, ich nahm es dennoch wahr.

»Das freut mich. Ihr Geschäft ist unser Geschäft.«

Er hörte gar nicht zu. Er tat so, als interessierte ihn der Brotkorb zwischen uns unheimlich. Viel eher war er schon auf das konzentriert, was er gleich sagen würde. »Ja, ja. Und in all der Zeit hat Luca Brands nie in Betracht gezogen, zu expandieren und außerhalb der Luxusbranche tätig zu werden?«

Ich holte Luft und überlegte, ob ich darauf antworten sollte. »Was bewegt Sie zu der Frage?«

Er sah hoch und präsentierte sein typisches spitzbübisches Grinsen, das sagte: Ich weiß etwas, was du nicht weißt.

»Also«, sagte er, wobei er das Wort in die Länge zog. »Sie wissen doch, dass GCVB gern Unternehmen aufkauft.«

Seit Beginn der Zusammenarbeit mit Luca Brands hatte GCVB eine Übernahme nach der anderen gestartet. Immer wenn ein Unternehmen neu zur Gruppe hinzukam, veranstaltete Eric einen Pitch zwischen den Branding- und Marketingagenturen in der frisch erweiterten Gruppe sowie Luca Brands. Wer den Pitch gewann, durfte die nun vergrößerte Unternehmensgruppe exklusiv vertreten. Wir hatten jeden Pitch problemlos gewonnen. Bisher jedenfalls.

»Wie Sie wissen, ist GCVB im Luxussegment führend. In letzter Zeit hatten wir das Gefühl, alle Unternehmen der Branche aufgekauft zu haben, an denen wir interessiert waren. Daher …«

Er genoss das hier. Ich konnte nicht sagen, ob er lediglich von der neuen Übernahme begeistert war oder ob er es genoss, mich zappeln zu lassen.

»Also haben wir die Fühler in Richtung Pharmaindustrie ausgestreckt.«

Es war, als hätte er einen Mülleimer auf den Tisch ausgeleert. Seine Verkündung war ebenso unerwartet wie unerfreulich. »Tatsächlich?« Es schien sich um eine Strategieausweitung zu handeln, und zwar auf eine Branche, in der Luca Brands überhaupt keine Erfahrung hatte.

»Ja. Hohe Gewinnspannen. Ein Wachstumssektor. Auf den ersten Blick scheint eine Expansion in diese Branche kein logischer Schritt für uns zu sein, aber die Aktionäre wollen Wachstum sehen, und unser CEO kommt ursprünglich aus der Pharmaindustrie. Es ergibt durchaus Sinn.« Eric warf sich ein dickes Stück Brot in den Mund und kaute. Nachdem er geschluckt hatte, fragte er: »Also, welche Erfahrungen hat Luca Brands im Bereich Pharma?«

Eric konnte ein richtiger Arsch sein. Er wusste, dass wir keinerlei Pharma-Erfahrung hatten. Luca Brands war eine spezialisierte Agentur, unser Erfolgsmerkmal bestand gerade darin, nicht zu viele konkurrierende Schwerpunkte zu haben. »Soll eine einzige Branding- und Marketingagentur die ganze, nun neu erweiterte Unternehmensgruppe betreuen? Oder wollen Sie Spezialisten für die einzelnen Bereiche?« Ich wollte endlich zur Sache kommen.

»Heutzutage gibt es viele Agenturen, die alle Branchen bedienen.«

»Das stimmt«, erwiderte ich. »Aber wir sind keine ›Einheitsbrei für alle‹-Agentur. Wir haben uns spezialisiert. Auf unsere Kernkompetenz. Und wir sind die Besten auf unserem Gebiet.«

Eric nickte energisch, während er sein Kalbsbries schnitt. »Ich schätze Ihre Arbeit. Deshalb biete ich Ihnen auch an, trotz Luca Brands’ mangelnder Erfahrung mit um die erweiterte Unternehmensgruppe zu pitchen.«

Das klang, als glaubte er nicht, dass wir Aussicht auf Erfolg hatten. Ich bemühte mich, einen ruhigen Tonfall und eine unbewegte Miene beizubehalten. »Haben Sie nicht Sorge, dass Sie Abstriche in Sachen Qualität machen müssen – egal, wen Sie beauftragen werden?«, fragte ich.

»Nein.« Sein Tonfall war entschieden, so als wüsste er, dass er sich mit diesem Vorwurf herumschlagen müssen würde. »Ich bin zuversichtlich, dass, wer auch immer den Zuschlag bekommt, genauso gut im Luxussegment arbeiten wird wie im Pharmabereich und umgekehrt.«

Ich nickte.

»Sie wirken besorgt.« Eric präsentierte ein weiteres wölfisches Grinsen, bevor er einen Schluck von dem teuren Wein trank, den ich bezahlte. Unterdessen hatte er die Zukunft meines Unternehmens in der Hand.

»Ist das so?« Mein Pokerface war perfekt. Ich wirkte nicht besorgt. Eric hoffte nur, ich wäre besorgt. »Wenn Sie sich keine Sorgen machen, dann tue ich das auch nicht. Schließlich arbeiten Sie schon seit zwanzig Jahren als Marketingchef für Luxusmarken. Wenn Sie mit der Pharmabranche klarkommen, dann werden wir das auch.«

In Wahrheit wusste ich, wenn ich heute diesen Lunch verließ, würde ich tausend Sorgen haben, die ich vor meiner Ankunft in diesem Restaurant noch nicht gehabt hatte. Sollte Luca Brands GCVB als Kunden verlieren, würden wir fast die Hälfte unseres Geschäfts einbüßen – ganz zu schweigen von unserer Dominanzstellung im Luxusmarkensegment. Alles, was ich aufgebaut hatte, könnte verloren sein, und Hunderte Stellen und Lebensunterhalte wären dahin.

Eric erhob sein Glas. »Es ist eine Wachstumschance. Sagt man das nicht so?«

Ich erhob ebenfalls mein Glas. »Zweifellos werden wir beide mit der Herausforderung wachsen.«

Verdammt. Ich wollte das Mittagessen ausfallen lassen, ins Büro zurückkehren und anfangen, mir eine Strategie zu überlegen. Zuerst mal würde ich gute Kräfte aus dem Pharmabereich einstellen müssen. Ich brauchte Leute, die sich in der Branche auskannten. Topleute. In Gedanken fing ich an, meine Kontakte durchzugehen. Wen kannte ich alles?

»Ich dürfte Ihnen das eigentlich nicht verraten, aber dieser Pitch wird nicht nur die übliche Präsentation der Referenzen umfassen. Ich werde Sie bitten, eine konkrete Kampagne für ein spannendes neues Medikament zu entwerfen, das Merdon bald herausbringt.«

Mein Herz pochte, als würde ich von der einen schlechten Nachricht zur nächsten sprinten. »GCVB hat das Unternehmen bereits gekauft?«

»Ja. Es wird heute bekannt gegeben. Merdon. Sie haben jede Menge großartige Ideen zur Demokratisierung der Medikamentenverfügbarkeit.«

Was zum Teufel sollte das heißen? »Demokratisierung?«

Er zuckte mit den Schultern, als wäre doch klar, was er meinte. »Besonders für den US-Markt, wo die Pharmakonzerne bis zum Auslaufen der Patentrechte astronomische Preise verlangen.«

Ich nickte vieldeutig. Ich hatte kaum einen Durchblick, wovon er da redete. Der US-amerikanische Pharmaziemarkt entzog sich komplett meiner Fachkenntnis.

»Merdons Strategie lautet, extrem überteuerte Medikamente, die noch patentgeschützt sind, zu überarbeiten, damit sie zu einem erschwinglichen Preis produziert werden können. Dann vertreibt das Unternehmen sie nach Möglichkeit rezeptfrei. So schaltet es den Mittelsmann aus: gierige Ärzte, die einen dicken Teil vom Umsatz einstreichen. So bringt es die Medikamente viel günstiger an die Menschen, die darauf angewiesen sind. Ist das nicht wunderbar?«

So, wie er es erklärte, klang es beeindruckend. Auch wenn ich mich nicht erinnern konnte, schon jemals das Wort erschwinglich aus Erics Mund gehört zu haben. Es kam mir einfach total merkwürdig vor, dass GCVB in eine Branche einstieg, die sich dermaßen von Luxusgütern unterschied. Aber ich war auch nicht der CEO von GCVB oder einer der Aktionäre. Mein Job bestand darin, mit der Situation, mit der ich konfrontiert wurde, umzugehen, statt sie zu hinterfragen.

»Ein Großteil der Arbeit wird auf die USA abzielen, aber Luca Brands hat auf diesem Markt ja großartige Erfolge vorzuweisen. Wer immer diesen Pitch gewinnt, wird Gutes für die Menschen tun, Joshua. Statt sich also darauf zu konzentrieren, die Welt noch stylisher und schöner zu machen, ist das hier die Chance für Luca Brands, etwas wirklich Bedeutsames zu leisten.« Damit versuchte er zum ersten Mal, mir die Idee schmackhaft zu machen, was in mir den leisen Hoffnungsschimmer weckte, dass er uns als Sieger sehen wollte.

»Klingt spannend«, sagte ich mit aufrichtigem Interesse. Ich hatte Spaß an meiner Arbeit. Ich liebte die Luxusgüterbranche und die Kreativität, die mit ihr einherging, aber ich mochte Herausforderungen und setzte mir gern höhere Ziele. »Mir gefällt der Gedanke, Gutes bewirken zu können – jenen Medikamente verfügbar zu machen, die sie am dringendsten brauchen.«

»Ganz genau«, sagte Eric. »Gut zu wissen, dass Sie die Vorstellung, in einem Bereich außerhalb Ihrer Expertise tätig zu werden, nicht völlig abschreckt.«

»Unsere Expertise sind einzigartige, qualitativ hochwertige Leistungen im Bereich Branding und Marketing. Wir wären hocherfreut, Sie bei Merdon sowie mit dem gesamten Portfolio von GCVB zu unterstützen. Wer pitcht außer uns noch?« Ich wäre ein Trottel, wenn ich nicht nach der Konkurrenz fragen würde.

Eric grinste. »Außer Ihnen sind es noch zwei aktuell für Merdon tätige Agenturen, zudem werde ich zwei neue Agenturen zu dem Pitch einladen. Sie wissen schon, damit Sie auch ganz sicher auf Zack bleiben, Joshua.«

Ich lächelte so langmütig ich konnte. Ich würde mehr als nur auf Zack sein müssen, um den Auftrag für einen Kunden aus einer Branche zu bekommen, mit der ich keinerlei Erfahrung hatte. Aber es gab keine Alternative. Ich musste diesen Pitch gewinnen, sonst würde ich mit ansehen müssen, wie mein Unternehmen und meine Angestellten litten. Verlieren war keine Option.

3. KAPITEL

JOSHUA

Während Dexter am Tresen bestellte, ging ich gedanklich meinen heutigen Tag durch. Zuerst Hartfords Ankunft, die mich … verwirrt hatte. Dann beim Lunch die Neuigkeiten von Eric, die das Potenzial hatten, meinem Unternehmen immens zu schaden und den Hunderten von Angestellten, die sich auf mich verließen. Es war gerade mal Dienstag. Was hatte diese Höllenwoche noch in petto?

Ich wusste nicht recht, ob ich mich nach einem Bier und einem Gespräch mit meinen Kumpels besser fühlen würde. Aber bestimmt auch nicht schlechter.

»Du wirkst nachdenklich.« Dexter, einer meiner besten Freunde, stellte mir ein Glas hin und setzte sich. »Hast du etwa vorgeschlagen, was trinken zu gehen, weil du über deine Gefühle reden willst?«

»Woher weißt du das?« Ich grinste und versuchte, so zu tun, als spürte ich den Druck nicht, unter den mich Erics Ankündigung setzte. Ich mochte zwar nicht darüber reden, aber nach Hause gehen und deswegen Trübsal blasen kam auch nicht infrage. Es war ungewöhnlich, dass ich unserer Gruppe spontan an einem Dienstag vorschlug, etwas trinken zu gehen. Normalerweise arbeitete ich dienstags lange und traf mich dann mit Kelly auf einen Drink, bevor wir bei ihr landeten. Oder in einem Hotel. Ich hatte nicht gern Leute bei mir zu Hause, deshalb war meine Wohnung quasi tabu für Frauen. Auch aus dem Grund hatte ich für Hartford die Wohnung nebenan angemietet. Ich hatte zwar ein Gästezimmer, aber Hartford war im Grunde eine Fremde für mich.

Hartford.

»Hast du heute die Kleine vom Flughafen abgeholt?«, fragte er und erriet damit beinahe meine Gedanken.

»Yep.« Bei unserem Kneipentreffen letzte Woche hatte ich mich bei meinen Jungs darüber beschwert, dass ich eine neue Nachbarin bekam. Aber diese Neuigkeit war im Vergleich zu der, die ich beim Mittagessen erfahren hatte, in den Hintergrund getreten.

»Ist sie der Grund für … deine Laune?«

Ich hatte keine schlechte Laune. Ich war bloß angespannt, was nicht meinem Normalzustand entsprach. Nicht nur, dass mein Unternehmen auf der Kippe stand, ich konnte auch diese Unruhe nicht abschütteln, die Hartfords Ankunft in mir ausgelöst hatte. Für gewöhnlich würde ich nach Hause gehen und mich in die Badewanne legen. Aber da sich Hartford nebenan aufhielt, kamen mir meine üblichen Gewohnheiten wenig verlockend vor. Ich hatte erwartet, ich würde ein mir vage bekanntes Mädchen in die Stadt fahren, ihm die Schlüssel für die Nachbarwohnung in die Hand drücken und dann zur Tagesordnung übergehen. Aber als sie auftauchte … war sie eine Erscheinung. Wider Erwarten.

Trotz meiner verschwommenen Erinnerungen war Hartford sofort wiedererkennbar. Sie strahlte eine Herzlichkeit und Vertrautheit aus, die eigentlich angenehm sein müsste. War sie auch. Und zugleich nicht.

»Ich habe keine Laune.«

»Hat Miss Dienstagabend dir den Laufpass gegeben?«

Ich konnte nicht genau sagen, was mich so daran nervte, dass Dexter und mein restlicher Freundeskreis Kelly »Miss Dienstagabend« nannten. Vielleicht die Tatsache, dass sie sich dadurch nach einer Routineübung anhörte beziehungsweise ich mich wie ein Gewohnheitstier. Sex war niemals bloß Routine und ich kein Gewohnheitstier. »Mach dich nicht lächerlich.«

»Ach, stimmt ja, sie kann dir gar nicht den Laufpass geben, denn dazu müsstet ihr ja überhaupt erst mal eine Beziehung führen.« Seit Dexter mit Hollie zusammen war, hatte er sich in einen dieser Männer verwandelt, die fanden, eine feste Freundin täte jedem gut. Diese Erfahrung hatte ich allerdings schon hinter mir und nicht vor, sie zu wiederholen.

»Falls du es vergessen haben solltest: Ich habe es lange vor dir mit einem Antrag probiert.«

Er versuchte nicht mal, sein Zusammenzucken zu überspielen. »Ich weiß, Kumpel.«

Tristan unterbrach uns beide, indem er nach dem für ihn bereitstehenden Bier griff, ohne uns auch nur Hallo zu sagen. Nach einem großen Schluck setzte er sich auf den kleinen Barhocker zwischen uns.

»Durstig?«, fragte Dexter.

»Doch bloß nach Aufmerksamkeit.« Ich grinste über meinen eigenen Witz, während Tristan die Augen verdrehte.

»Joshua wollte uns gerade von Hartford erzählen«, sagte Dexter.

»Nein, wollte ich eigentlich nicht. Ich habe nicht vorgeschlagen, einen trinken zu gehen, damit wir über Frauen reden. Ihr solltet mich besser kennen.« Ich wollte mich mit Menschen umgeben, die auf meiner Seite standen. Menschen, auf deren Unterstützung ich zählen konnte.

»Ich dachte, Miss Dienstagabend heißt Kelly«, wunderte sich Tristan. »Hat sie mit dir Schluss gemacht?«

»Stimmt, normalerweise treffe ich mich dienstags mit Kelly. Und nein, wir haben nicht Schluss gemacht. Wir führen überhaupt gar keine Beziehung.« Das zwischen Kelly und mir war vollkommen unverbindlich. Keiner von uns beiden erhoffte sich mehr. So gefiel es ihr und mir.

»Na gut, Mr Schmollerich. Hat Kelly dir gesagt, dass sie dienstagabends keinen Sex mehr mit dir haben möchte?«

»Nein. Sie hat heute Abend bloß keine Zeit.« Das war gelogen. Ich hatte ihr abgesagt und nicht umgekehrt. Ich war einfach nicht recht in der Stimmung zum Vögeln.

»Wer ist dann Hartford?«, fragte Tristan.

Wieso war das denn immer noch Thema?

»Joshua, wer ist Hartford?«, ließ Tristan nicht locker.

»Die Tochter einer Freundin meiner Mutter.« Damit spielte ich unsere Verbindung herunter. Meine Mum und Marion – Hartfords Mutter – telefonierten mindestens fünfmal am Tag miteinander. Unter Garantie wusste die beste Freundin meiner Mutter sogar darüber Bescheid, wie oft mein Dad am Tag Stuhlgang hatte. Und ich war mit den Kent-Kindern zusammen aufgewachsen. Genauer gesagt war Patrick mein bester Freund gewesen, und an Thea hatte ich meine Flirtkünste geübt. Und dann war da noch Hartford.

Hartford, das schlaksige, verträumte Mädchen, aus dem nun eine Frau geworden war, die auf mich zukam und mich umarmte, als wären wir beste Freunde. Ihre pragmatische Ärztekluft verbarg einen Körper, der sich ziemlich erwachsen anfühlte. Ich hatte mich bemüht, an etwas anderes zu denken, als ihre Brüste gegen meinen Oberkörper drückten, dann aber festgestellt, wie meine Gedanken von ihrem Busen zur Wahrnehmung ihrer Lippen ganz dicht an meinem Hals wanderten.

»Gut, und warum unterhalten wir uns über sie?«, wollte Tristan wissen.

»Joshua hat sie vom Flughafen abgeholt und steht seitdem neben sich«, sagte Dexter. Es war im Scherz gemeint, kam der Wahrheit für meinen Geschmack aber einen Tick zu nah.

»Ist sie heiß?« Das war mal wieder typisch Tristan.

»Nicht mein Typ.« Das stimmte. Nichts an Hartford erinnerte an die Frauen, mit denen ich sonst Zeit verbrachte. Ich war Frauen gewohnt, die aussahen, als wären sie gerade der Vogue entstiegen – und manchmal traf das auch zu. Glamouröse, wunderschöne Frauen.

Hartford dagegen war ihr Aussehen eindeutig völlig schnurz. Ihr Haar sah aus, als hätte eine Katze fünf Runden lang damit gekämpft, bevor es auf ihrem Kopf zusammengebunden worden war, und sie trug weder eine Spur Make-up noch ein sorgsam ausgewähltes Outfit.

Aber sie war zweifellos schön.

Ich mochte keine Überraschungen. Doch alles an Hartfords hohen Wangenknochen, vollen rosa Lippen und sehr erwachsenem Körper hatte mich umgehauen. Ich konnte nicht sagen, ob es daran lag, dass sie so offen und natürlich war, oder daran, dass ich sie eindeutig unbeeindruckt ließ, aber irgendetwas an ihr hatte mich aus der Bahn geworfen.

Auf der Fahrt vom Flughafen nach Hause hatte sie viel erzählt. Ich hatte unterdessen herauszufinden versucht, was genau mich an ihr so verwirrte. Als sie dann in ihren Apfel biss und genüsslich stöhnte, fuhr mir der Laut geradewegs in die Lenden. Mir schossen Bilder durch den Kopf, wie sie nackt auf mir hockt und mich mit in den Nacken geworfenem Kopf reitet, während sie ihre Fingernägel in meine Brust gräbt.

Genau das war so beunruhigend. Ich stellte mir Hartford nackt in meinem Bett vor.

Hartford, die schlaksige kleine Schwester eines Mädchens, mit dem ich meine Flirtkünste geübt hatte.

Hartford, die Tochter der engsten Freundin meiner Mutter.

Hartford, meine neue Nachbarin.

Ich musste ihr ihren Freiraum lassen. Oder besser gesagt brauchte ich Abstand von ihr.

Auf keinen Fall würde ich mit Hartford diese Grenze überschreiten. Es gab allzu viele Gründe, warum das keine gute Idee wäre. Erstens mal war sie dermaßen nicht mein Typ, dass es schon einem Scherz gleichkam. Zweitens hatte ich nicht vor, mit jemandem Gelegenheitssex zu haben, der am Ende womöglich verletzt sein würde, insbesondere nicht, wenn diese Person eine dermaßen feste Verbindung zu meiner Familie hatte. Vor allem aber ging ich keine Beziehung ein. Niemals.

Hartford würde bloß die nächsten drei Monate nebenan wohnen, danach wäre sie wieder weg. Bis dahin würde ich vollauf damit beschäftigt sein, zu verhindern zu versuchen, dass meine Firma unterging.

Ich schaute hoch, als sich Andrew an unseren Tisch setzte. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er es schaffen würde.

»Also, worum geht’s?«, fragte er, während er sein Jackett auszog und es sorgfältig über einen freien Hocker hinter sich hängte.

»Ich überlege, wie ich mein Unternehmen vor dem Kollaps retten kann.«

»Kollaps?«, fragte Dexter. »Was ist denn passiert?«

»Mein wichtigster Kunde hat gerade ein Pharmaunternehmen gekauft.«

»Wer? GCVB?« Tristan griff nach seinem Bier. »Wieso sollte ein Luxusgüterkonzern ein Pharmaunternehmen kaufen?«

»Vielleicht wollen sie den Muskelrelaxanzien ein neues Packaging verpassen?« Es war der falsche Zeitpunkt für Dexters Witze. »Mal abgesehen davon, dass es unternehmerisch keinen Sinn ergibt – wieso ist das ein Problem für dich?«

»Es ist sogar ein riesengroßes Problem.« Ich berichtete ihnen von Erics Plan, den gesamten erweiterten Konzern von einer einzigen Agentur betreuen zu lassen.

»Gut«, sagte Andrew, »aber du hast solche Pitches doch bisher jedes Mal gewonnen. Am Ende wirst du Merdons Markenaufbau und Werbung ebenso übernehmen wie für die übrigen Unternehmen des Konzerns.«

»Wir etablieren und vermarkten Luxuswaren«, sagte ich. »Keine Pharmaka. Damit haben wir null Erfahrung. Nie im Leben lässt Eric uns das Branding und Marketing für Merdon machen.«

»Dann musst du wohl mal Vollzeit arbeiten und dir was überlegen«, sagte Dexter.

Ich konnte mir ein Augenrollen nicht verkneifen. »Ich arbeite bereits Vollzeit. Ich bin in der Kreativbranche tätig, da lässt sich die Produktivität nicht an den Arbeitsstunden hinterm Schreibtisch messen.« Ich hatte keine Lust, mir von Dexter vorhalten zu lassen, ich würde nicht genug arbeiten. Ich musste versuchen, einen Plan zu entwerfen, eine Rettung vor dem sicheren Untergang.

»Heuere als ersten Schritt Leute an, die sich in der Pharmabranche auskennen«, sagte Andrew. »GCVB kennt und mag euch. Es ist keine ausgemachte Tatsache, dass sie euch fallen lassen werden. Ich kenne da ein paar Leute. Mit denen bringe ich dich in Kontakt.«

Luca Brands war im Luxusgütersegment absolute Spitze. Eric wusste das. Aber er wusste auch, dass ich keine Ahnung von Pharma hatte. Wiederum wäre ich nicht so weit gekommen, wenn ich immer gleich aufgeben würde. Luca Brands würde nicht kampflos aufgeben.

»Du gewinnst am Ende doch immer jeden Pitch«, sagte jetzt auch Dexter. »Stimmt schon, hier geht’s um eine andere Branche, aber deine Arbeit bleibt unterm Strich die gleiche. Du kriegst das hin. Da habe ich keinen Zweifel.«

Ich stieß den Atem aus. Genau darum hatte ich Kelly abgesagt. Ich musste von jemandem hören, dass es machbar war. Wer wäre da geeigneter als die Männer, die mich besser kannten als ich mich selbst – und allesamt selbst Titanen in ihrem Beruf waren?

»Und bis dahin hast du noch eine sexy neue Nachbarin, die dich auf andere Gedanken bringt«, sagte Tristan.

»Ich kann dir jetzt schon sagen, dass ich Hartford niemals anrühren werde. Nicht so. Überhaupt nicht.«

Es gab jede Menge vernünftige Gründe, warum ich mich von Hartford fernhalten sollte, hauptsächlich welche, die mit ihrer Verbindung zu meiner Familie zu tun hatten. Abgesehen davon war der Hauptgrund, warum ich vorhatte, ihr aus dem Weg zu gehen, dass ich mir heute auf der gemeinsamen Autofahrt mit ihr nach Hause wieder wie ein Teenager vorgekommen war. Wie damals, bevor ich Luca Brands gegründet hatte. Bevor ich meine erste Million gemacht hatte. Bevor mich meine Verlobte abserviert hatte. Es war verwirrend – als würde man im eigenen Körper in der Zeit zurückreisen –, und das konnte ich im Moment so gar nicht gebrauchen. Wenn ich meine Firma und meine Angestellten retten wollte, musste ich absolut fokussiert sein. In den nächsten Monaten würde kein Platz für verwirrende Frauen sein, die nebenan wohnten. Ich würde um mein berufliches Überleben kämpfen. Hartford mochte zwar Ärztin sein, aber mein Leiden konnte sie nicht heilen.

4. KAPITEL

JOSHUA

Als ich am Samstagmorgen nach dem Training im hauseigenen Fitnessstudio aus dem Fahrstuhl kam, konnte ich den Blick nicht von Hartfords Tür lassen. Obwohl mich in jeder wachen Stunde allein die Sorgen um mein Unternehmen beschäftigen sollten, waren meine Gedanken in den letzten Tagen immer wieder zu Hartford gewandert. Was machte sie gerade? Wie kam sie mit dem gebrochenen Bein zurecht? Hatte ich mir die Gefühle, die sie in mir wachgerüttelt hatte, vielleicht nur eingebildet? Aber vor allem: Warum bekam ich diese Frau nicht aus dem Kopf?

Gerade als ich den Schlüssel im Schloss drehte, ging ihre Tür auf, und Hartford erschien, an ihrer rechten Krücke hing eine zugeknotete Tüte.

»Joshua!«, sagte sie und lächelte dabei so breit, dass mein Herz in meiner Brust ins Stolpern kam. »Wie geht’s dir?«

»Brauchst du Hilfe damit?« Ich nickte zu der Tüte. Wie egoistisch ich Depp gewesen war, nicht nach ihr zu sehen. Sie hatte ein gebrochenes Bein und hätte wahrscheinlich Hilfe beim Auspacken und Sich-Einrichten gebrauchen können.

Sie lachte. »Das ist bloß Müll. Ich bringe ihn zum Müllschacht. Ehrlich gesagt bin ich ein bisschen besessen von dem Teil. Ich such schon Vorwände, ihn zu benutzen.«

»Du bist besessen davon, Sachen wegzuschmeißen?«

Sie rümpfte die Nase. »Nein, bloß vom Müllschacht. Aufklappen, reinwerfen und voilà, alles weg.«

Ich musste lachen. »Okay.«

Sie zuckte mit einer Schulter, als wäre ihr völlig egal, was ich davon hielt. »Es ist total praktisch.«

Heute trug sie nicht mehr ihre pragmatische Arztkluft, sondern hatte sie gegen etwas getauscht, das nach Pyjama aussah. Bei mir verfestigte sich der Eindruck, dass Hartford irgendwie keine normale Kleidung besaß.

»Hast du schon ausgepackt?«

»Ja. Das hat nicht lange gedauert. Ich wollte gerade zum Supermarkt. Willst du mitkommen?«

Ich sollte reingehen, ein Bad einlassen, Musik anmachen und mich entspannen – damit ich fit für die chaotische nächste Woche wäre –, aber ich hatte Hartford ein paar Tage nicht gesehen und … Na ja, ich hatte meiner Mutter doch versprochen, ich würde dafür sorgen, dass es ihr gut ging. »Gibt es denn einen in der Nähe?«

Sie kniff die Augen zusammen. »Joshua Luca, bitte sag mir, dass du deine Einkäufe selbst erledigst.«

Diese Frau hatte irgendetwas an sich, was mich zum Lächeln brachte, selbst wenn sie halb mit mir schimpfte. »Kann ich nicht, denn das wäre gelogen.«

»Dann bestehe ich darauf, dass du mitkommst.« Als sie an mir vorbeihumpelte, nahm ich einen Duft nach Zimt wahr. »Ich gehe nur eben zum Müllschacht, dann können wir los.«