Mister West - Vi Keeland - E-Book
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Mister West E-Book

Vi Keeland

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Beschreibung

Rachel Martin macht ihren Doktor in Musiktherapie und arbeitet nebenher mit ihrer besten Freundin Ava in einer angesagten Bar in Brooklyn. Als Avas verlogener Exfreund das Lokal betritt, sieht Rachel rot und sagt dem Fremden gründlich die Meinung. Leider stellt sich heraus, dass sie den falschen attraktiven Mann vor allen Gästen anfährt. Wie peinlich! Doch es kommt noch schlimmer. Am nächsten Tag betritt ihr neuer Professor und Doktorvater, der berüchtigte und brillante Caine West, den Hörsaal – und es ist niemand anders als der gutaussehende Mann aus der Bar ...

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Buch

Rachel Martin macht ihren Doktor in Musiktherapie am Brooklyn College und arbeitet nebenher mit ihrer besten Freundin Ava in einer angesagten Bar. Als Avas verlogener Exfreund das Lokal betritt, der ihr verschwiegen hatte, dass er verheiratet ist, kann Rachel sich nicht zusammenreißen. Wutentbrannt stapft sie zu dem fremden Mann hinüber und sagt ihm gründlich die Meinung. Leider wird schnell klar, dass Rachel den falschen attraktiven Fremden angefahren hat. Wie peinlich! Doch am nächsten Tag kommt alles noch schlimmer. Denn ihr neuer Professor und Doktorvater, der brillante Caine West, ehemaliges Mitglied einer berühmten Rockband und am ganzen Campus gefürchtet für seine Strenge und Übellaunigkeit, ist niemand anderes als der gutaussehende Mann aus der Bar …

Weitere Informationen zu Vi Keeland

sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin

finden Sie am Ende des Buches.

Vi Keeland

Mister West

Roman

Aus dem Amerikanischen

von Babette Schröder

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel »Beautiful Mistake« bei EverAfter Romance.

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Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Copyright © der Originalausgabe 2017 by Vi Keeland

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2019

by Wilhelm Goldmann Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Published by arrangement with Brower Literary & Management

Covergestaltung: UNO Werbeagentur, München

Covermotiv: Getty Images/Andrea Cappelli/Picture Press

Redaktion: Antje Steinhäuser

MR · Herstellung: kw

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-23660-1V004

www.goldmann-verlag.de

Manchmal suchen wir uns unseren eigenen Weg.

Manchmal ist er schon vorherbestimmt,

und wir können ihm nur folgen.

1. Kapitel

Rachel

Es musste irgendeine logische, wissenschaftliche Erklärung dafür geben, dass sich mit guten Genen gesegnete Menschen meist wie Arschlöcher benahmen.

Erneut betrachtete ich den Grund für den Vollrausch meiner Freundin, der vor der Herrentoilette herumstand. Natürlich wartete vor der Damentoilette eine Schlange von fünf Frauen. Irgendwie war nur Männern das Vergnügen vergönnt, sich nach Belieben zu erleichtern. Der verheiratete Typ gab eine Nachricht in sein Smartphone ein – wahrscheinlich belog er gerade eine andere ahnungslose Frau. Während er eifrig tippte, musterte ich den Ringfinger seiner linken Hand. Kein Ring. Wie im schlechten Film. Mit einem glänzenden Goldreif, dem Symbol für eine dauerhafte Bindung, wäre es natürlich schwieriger, einer Frau weiszumachen, dass man Single war und auf der Suche nach der Traumfrau.

Was für ein Idiot.

Ich mochte Ava, aber ich glaube, ich wäre bei jedem Dreißigjährigen misstrauisch geworden, der mir beim ersten Date so einen Quatsch erzählt hätte.

Als er aufsah, glitt mein Blick gerade von der Hand des verheirateten Typen zu seinem Gesicht. Wenn Blicke doch nur tatsächlich töten könnten. Wütend taxierte ich den Mistkerl. Ich hätte mir denken können, dass er zurückgrinste.

Idiot.

Wahrscheinlich dachte er, ich fände ihn interessant.

Um mich abzulenken, holte ich ebenfalls mein Handy aus der Tasche und richtete den Blick auf das Display, um meine Nachrichten zu checken. Nur dass ich ohne Brille leider die verdammten Buchstaben nicht erkennen konnte. Während ich das Telefon wieder wegsteckte und geduldig wartete, spürte ich seine Blicke auf mir. Ein missmutiges Gesicht beansprucht deutlich mehr Gesichtsmuskeln als ein Lächeln, und dieser Idiot war mir keine Falte wert.

Nachdem ich von der Toilette zurückkam und mich beim Händewaschen fast verbrüht hätte – am Waschbecken im O’Leary’s gab es nur eine Temperatur, und zwar knallheiß –, wollte ich nach Hause. Meine Schicht war seit über einer Stunde zu Ende und seit der Fremdgeher aufgetaucht war, hatte Ava schlechte Laune. Darum würde sie vermutlich nichts dagegen haben, den Abend früh ausklingen zu lassen.

Auf dem Rückweg von der Damentoilette hielt mich ein wohlklingender Bariton auf. »Kennen wir uns nicht irgendwoher?«

Als ich mich umdrehte, stieß sich der verheiratete Typ von der Wand ab, als hätte er dort auf mich gewartet. Ignoriere ihn, Rachel. Der ist deine Zeit nicht wert. Ich sah ihm in die Augen, damit er begriff, dass ich ihn durchaus gehört hatte, dann wandte ich ihm den Rücken zu und ging durch den langen Korridor in Richtung Bar.

Doch er verstand den Hinweis nicht. Er folgte mir und wollte gerade etwas sagen, als ich abrupt stehen blieb und mich zu ihm umwandte: »Sie sind ein Riesenarschloch, wissen Sie das?«

Er besaß die Frechheit, überrascht auszusehen. »Ich? Dann kennen wir uns also?«

»Ich kenne Typen wie Sie.«

»Was um alles in der Welt soll das heißen?«

Ich verdrehte die Augen. »Sie meinen, nur weil Sie umwerfend aussehen, könnten Sie die Leute nach Belieben über den Tisch ziehen und sich immer mit einem Lächeln aus der Affäre ziehen. Ich hoffe inständig, dass Sie eines Tages die Quittung dafür bekommen. Dass Ihre hübsche kleine Frau halb New York vögelt und eine Geschlechtskrankheit anschleppt, von der Ihnen Ihr großer Schwanz abfällt.«

Er hob die Hände. »Ich weiß nicht, für wen Sie mich halten, Süße, oder was mein großer Schwanz verbrochen haben soll, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie mich mit jemandem verwechseln.«

Ich machte ihm mit meinem Blick unmissverständlich klar, dass er sich diesen Quatsch sparen konnte. »Ich bin mit Ava hier.«

»Ach. Ava. Das erklärt natürlich alles.«

Ich knurrte ihn buchstäblich an. »Grrrrr … nun, das sollte es.«

Dieser Idiot setzte ein strahlendes Lächeln auf. »Sie sind süß, wenn Sie so fauchen.«

Ich dachte, ich höre nicht richtig. »Versuchen Sie etwa, mit mir zu flirten?«

»Das wäre nicht okay, stimmt’s? Wenn man bedenkt, dass Sie … über mich und … Ava … und das alles Bescheid wissen.«

»Sie sind wahrhaftig ein Mistkerl.« Ich wandte mich zum Gehen.

»Warten Sie.« Er ergriff meinen Arm und hielt mich zurück. »Darf ich Sie nur etwas fragen?«

»Was?«

»Wer ist Ava?«

Unfassbar. Doch bei einem Kerl wie ihm war es durchaus möglich, dass er sich nicht mehr an die Namen der Frauen erinnerte, die er flachgelegt hatte. Schließlich war es schon ganze zwei Wochen her, seit die beiden zum letzten Mal miteinander geschlafen hatten. »Gehen Sie nach Hause zu Ihrer Frau, Owen.«

Ich ließ den verheirateten Owen im Flur stehen und kehrte an den Tisch zurück, an dem Ava stumm ihr Leid in Alkohol ertränkte.

»Wollen wir los? Ich bin müde und muss morgen früh aufstehen.«

Ich hielt es für das Beste, ihr meine kurze Begegnung mit Owen zu verschweigen. Das hätte alles noch schlimmer gemacht. Leider hatte sich Ava total in den Dreckskerl verliebt. In dem einen Monat, den sie zusammen waren, hatte er ihr total den Kopf verdreht – ihr etwas von einer Zukunft mit zwei Kindern und einem Mops erzählt.

Ironischerweise sollte er in gewisser Weise recht behalten. Die Zukunft hielt tatsächlich zwei Kinder und einen Mops für Ava bereit: Als sie ihm zufällig im Park über den Weg lief, führte er einen Hund an der Leine und war mit seinen beiden kleinen Töchtern unterwegs. Er hatte lediglich zu erwähnen vergessen, dass in dieser Zukunftsvision seine Frau mit einem einen Monat alten Säugling an seiner Seite war.

Ava schwankte leicht, als sie vom Barhocker sprang. »Ich sollte auf den Tresen steigen und alle Frauen vor diesem Stinktier warnen.«

Normalerweise hätte ich ihr zugestimmt, doch ich war mir ziemlich sicher, dass sie heute Abend nach einer solchen Aktion in der Notaufnahme landen würde.

»Das ist er nicht wert.« Ich zog ihren Pullover von der Rückenlehne des Hockers und hielt ihn ihr hin, damit sie hineinschlüpfen konnte. Sie seufzte und scheiterte die ersten beiden Male bei dem Versuch, den Arm in die Öffnung zu stecken.

Charlie, der uns fast den ganzen Abend über zugehört hatte, zapfte hinter dem Tresen ein Bier. »Jetzt reicht’s. Ab sofort will ich Namen wissen.« Er knallte das volle Glas auf den Holztresen, sodass das Bier überschwappte. »Ich werde jedem Arschloch auf den Zahn fühlen, mit dem eine von euch beiden ausgeht.« Charlie O’Leary, einem pensionierten Polizisten, gehörte der Pub in Brooklyn, in dem Ava und ich jobbten.

Ich grinste. »Okay. Aber dir ist schon klar, dass ich dir am liebsten die Namen verdächtiger Serienmörder nennen möchte – nur um zu sehen, wie deine Ohren diesen süßen Lilaton annehmen. Den bekommen sie immer, wenn du dich ärgerst.« Ich beugte mich über den Tresen und küsste ihn auf die Wange. »Gute Nacht, Charlie-o.«

Er grummelte, wie dankbar er sei, keine Töchter zu haben, und scheuchte mich fort.

»Können wir durch die Hintertür verschwinden?«, fragte Ava. »Ich will ihm beim Rausgehen nicht begegnen.«

»Na klar.«

Ich hakte sie unter, damit sie beim Gehen nicht schwankte. Nach ein paar Schritten blickte ich auf und sah den verheirateten Typen neben dem Hinterausgang stehen.

»Äh, Ava, wir sollten doch besser den Vorderausgang benutzen. Er steht jetzt an der Hintertür.«

Sie blickte sich im Raum um. »Nein, er steht vorne und redet mit Sal, dem neuen Kellner.«

Sie war betrunkener als vermutet. Ich deutete zum Hinterausgang und auf Owen. »Da ist der Hinterausgang, Ava.«

»Ich weiß. Aber Owen steht am Vorderausgang.«

Ich zog die Brauen zusammen. »Ist das nicht Owen? Der in dem blauen Hemd?«

Sie prustete betrunken. »Ich habe doch gesagt, es ist der gutaussehende Kerl in dem blauen Hemd. Nicht der Model-Typ, der aussieht wie ein griechischer Gott.«

Ich riss den Kopf herum und blickte in den vorderen Teil der Bar. In der Nähe der Vordertür stand nur ein Typ, den ich nicht kannte, und der unterhielt sich gerade mit Sal. »Owen spricht gerade mit dem neuen Kellner?«

Sie drehte sich noch einmal um und nickte seufzend. »Ich sollte Sal bitten, ihm eine reinzuhauen.«

»Ava – der Typ, der in diesem Augenblick mit Sal spricht, das ist Owen?«

»Ja.«

»Das Hemd ist braun, Ava. Nicht blau.«

Wieder wandte sie sich zur Vordertür, blinzelte und zuckte mit den Schultern. »Kann sein. Ich sehe gerade nicht so gut. Von der Schminke und vom Weinen sind meine Kontaktlinsen verschmiert.«

Als sie gesagt hatte, ihr Ex habe soeben die Bar betreten, und dabei zum Eingang zeigte, war da nur ein einziger Typ in einem blauen Hemd gewesen.

Mist.

Ich hatte den Falschen beschimpft.

Weil ich Ava schlecht überreden konnte, durch die Vordertür hinauszugehen, wo der echte Owen stand, biss ich die Zähne zusammen. Natürlich grinste der falsche Owen und ließ mich den ganzen Weg zur Hintertür nicht aus den Augen.

Als wir an ihm vorbeikamen, nickte er meiner Freundin zu. »Gute Nacht, Ava. Nacht, Wildkatze.«

Bis wir aus der Tür waren, sah ich stur geradeaus und wich dem Blick des Typen feige aus.

Ava war weniger willensstark. Sie drehte sich um und starrte den falschen Owen selbst dann noch an, als wir schon draußen in der kleinen Gasse standen. Sie mochte betrunken sein und verschmierte Kontaktlinsen haben, aber blind war sie nicht.

»Meine Güte. Hast du den Typen gesehen? Hat der etwa meinen Namen gesagt?«

Als gerade die Tür zuging, blickte ich mich noch einmal um. Mit einem frechen Grinsen im Gesicht winkte der falsche Owen mir zum Abschied.

»Das bildest du dir nur ein.«

O Gott, ich kam zu spät.

Als wären Seminare am Montag nach einer Doppelschicht am Sonntag nicht schon schlimm genug, hatte ich auch noch einen Kaffeefleck auf der Bluse, weil mich ein alter Mann in einem riesigen Cadillac zu einer Vollbremsung gezwungen hatte. Er war urplötzlich links abgebogen … und zwar von der rechten Spur aus.

Der erste Unitag war immer ein Albtraum. Die Leute wanderten auf dem Campus umher und standen mitten auf der Straße, um ihren Kommilitonen den Weg zu den diversen Gebäuden zu beschreiben. Ich hupte zwei Erstsemester an, die mich daraufhin ansahen, als sei ich hier diejenige, die nervte.

Na los. Bewegt euch, Leute.

Nachdem ich dreimal um den Parkplatz gekurvt war, stellte ich den Wagen schließlich auf einem reservierten Stellplatz ab. Dann beugte ich mich vor und durchwühlte das Handschuhfach, wobei die Hälfte des Inhalts auf den Boden fiel, bis ich fand, was ich suchte.

Da ist er ja.

Ich klemmte einen alten Strafzettel hinter den Scheibenwischer und machte mich auf den Weg zu Hörsaal Zweihundertacht. Ich hatte einen ziemlichen Druck auf der Blase, doch das musste jetzt bis nach der Vorlesung warten. Davon abgesehen, dass er Komposition lehrte, wusste ich drei Dinge über Professor West. Erstens: Er hatte seine letzte Assistentin abgesägt, weil sie sich weigerte, seiner strengen Benotung zu folgen. Zweitens: Wann immer ich letzte Woche Leuten erzählte, dass ich Professor West zugeteilt worden war, verzogen sie das Gesicht und sagten, er sei ein Arschloch und vor ein paar Jahren fast gefeuert worden. Und drittens: Er hasste es, wenn sich Studenten verspäteten. Es hieß, er schließe die Tür ab, sobald er mit dem Unterricht begonnen habe, damit ihn Zuspätkommende nicht unterbrechen konnten.

Für mich verhieß das nichts Gutes. Aber was für eine Wahl blieb mir? Meine Assistenzstelle bei Professor Clarence war gestrichen worden, nachdem er vor drei Wochen plötzlich an einem Aneurysma gestorben war. Momentan konnte ich froh sein, dass ich überhaupt noch eine Assistenzstelle bekommen hatte. Ohne die konnte ich unmöglich die Semestergebühren des Musikkonservatoriums finanzieren. Um meine Miete und die ermäßigten Studiengebühren zahlen zu können, kellnerte ich bereits Vollzeit im O’Leary’s.

Als ich den Hörsaal erreichte, war die Tür zu. Schweißperlen rannen in mein Dekolleté. Rasch versuchte ich, mich halbwegs salonfähig zu machen, und strich meine dunklen, widerspenstigen Locken glatt, sofern das bei der Feuchtigkeit überhaupt möglich war. Etwas gegen den Kaffeefleck zu unternehmen, der fast meine ganze rechte Brust überzog, war hoffnungslos. Also verschränkte ich einfach die Arme und bedeckte ihn mit der Ledermappe, die ich bei mir trug. Dann atmete ich tief durch und fasste den Türgriff.

Abgeschlossen.

Mist.

Was jetzt? Ich sah auf meinem Handy nach der Uhrzeit. Ich war nur acht Minuten zu spät, und es war der erste Tag des Herbstsemesters, trotzdem hörte ich den Professor drinnen bereits dozieren. Sollte ich klopfen und den Unterricht stören, obwohl ich wusste, dass er in dem Punkt besonders empfindlich war? Oder sollte ich mich gleich am ersten Tag gar nicht erst auf meinem neuen Posten blicken lassen?

Zu spät kommen war das geringere Übel.

Dachte ich zumindest.

Ich klopfte ein paarmal sachte an die Tür und hoffte, dass es einer der Studenten in den hinteren Reihen hörte, damit ich unbemerkt hineinschleichen konnte.

Die dröhnende Professorenstimme verstummte genau in dem Moment, in dem die Tür aufging. Die Sitzreihen in dem Hörsaal fielen nach unten ab – ich betrat den Raum ganz oben, der Professor stand ganz unten. Zum Glück sah er gerade in die andere Richtung und schrieb etwas an die Tafel, als ich auf Zehenspitzen hineinschlich. »Danke«, flüsterte ich einem Studenten zu, setzte mich auf den nächsten freien Platz und atmete erleichtert aus.

Doch offenbar hatte ich mich zu früh gefreut. Während er weiter an die Tafel schrieb, fragte der Professor: »Wer ist da zu spät gekommen?«

Ups.

Am liebsten wäre ich in meinem Stuhl versunken und hätte so getan, als sei ich es nicht gewesen. Aber ich war die Assistentin, keine Studentin. Es war wichtig, dass man mich respektierte, denn ich sollte in diesem Kurs gelegentlich unterrichten.

Ich räusperte mich. »Ich, Professor.«

Er drückte die Kappe auf den Marker und drehte sich um.

Ich blinzelte ein paarmal. Meine Augen mussten mir einen Streich spielen. Ich zog die Brille aus der Tasche und setzte sie auf – dabei konnte ich in der Ferne wunderbar sehen. Als ob das Aufsetzen der Lesebrille ein Wunder vollbringen und den Mann da vorn im Saal in einen anderen verwandeln könnte.

Doch er blieb derselbe.

Ein Irrtum war ausgeschlossen. Dieses Gesicht vergaß man nicht.

Verdammt gutaussehend.

Er war es.

Herr im Himmel.

Er war es wirklich.

Geliefert.

Ich war total geliefert.

Der Professor sah sich in dem Saal mit über zweihundert Studenten um und konnte die Stimme nicht orten. Ich flehte zum Himmel, dass er es auf sich beruhen ließ und nur eine generelle Warnung abgeben wollte, dass er keine Verspätungen duldete.

Doch das Glück war mir nicht wohlgesinnt. Das war es nie.

»Aufstehen. Wer da zu spät gekommen ist, soll bitte aufstehen.«

O Gott.

Ich spürte, wie mir die fünfundzwanzigtausend Dollar Ermäßigung bei den Studiengebühren, die mir als Assistentin zustanden, urplötzlich wie Blei im Magen lagen. Wodurch es mir schwerfiel, mich von meinem Platz zu erheben. Doch er wartete. Es führte kein Weg daran vorbei. Das gab Ärger.

Zögernd stand ich auf und hoffte mit angehaltenem Atem, dass er mich nicht erkannte.

Vielleicht hatte er gestern Abend zu viel getrunken und konnte sich nicht mehr an unseren kurzen Wortwechsel in der Bar erinnern.

»Ich toleriere es nicht, wenn Studenten zu spät kommen. Das stört meinen Unterricht.«

»Verstanden.«

Das Deckenlicht beleuchtete sein Gesicht wie ein Bühnenscheinwerfer einen Schauspieler, sodass er Schwierigkeiten hatte, die obersten Reihen des Hörsaals zu erkennen. Er hob schützend eine Hand über die Augen. Ich stand zwanzig Sitzreihen über ihm – zwischen uns mussten knapp fünfzig Meter liegen –, doch als sich unsere Blicke trafen, war es, als gebe es nur uns zwei im Raum.

Mir war sofort klar, dass er mich erkannte. Alles spielte sich wie in Zeitlupe ab. Ein laszives Grinsen erschien auf seinem attraktiven Gesicht, allerdings kein freundliches. Es erinnerte mich mehr an einen Hund, der ein Kätzchen in die Ecke getrieben hatte und nun mit der armen, kleinen Mieze seinen Spaß haben wollte.

Ich schluckte. »Es kommt nicht wieder vor. Ich bin Rachel Martin, Professor. Ihre Assistentin.«

2. Kapitel

Rachel

Der Saal war völlig leer. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ihm klar war, dass ich noch auf meinem Platz saß. Falls ja, gelang es ihm gut, mich zu ignorieren, während er seinen Laptop einpackte.

»Entgegen der Gerüchte, die Sie wahrscheinlich über mich gehört haben, beiße ich nicht.«

Ich zuckte zusammen. Weil der große Hörsaal jetzt leer war, hallte seine tiefe Stimme von allen Wänden wider.

Ich stand auf und begab mich auf den peinlichen Gang nach unten. Ich schuldete dem Mann auf jeden Fall eine Entschuldigung. Selbst wenn er kein Professor gewesen wäre – ein Professor, der für die nächsten fünfzehn Wochen mein neuer Chef sein sollte. Ich hätte mich in den Hintern beißen können, dass ich mich nicht schon gestern Abend beim Verlassen der Bar bei ihm entschuldigt hatte. Jetzt sah es so aus, als täte ich es nur, weil die aktuelle Lage es erforderte.

Was zwar stimmte, nicht, dass wir uns da falsch verstehen, aber ich wollte nicht, dass es so aussah.

Ich atmete tief durch. »Was gestern Abend vorgefallen ist, tut mir sehr leid.«

Seine Miene war undurchdringlich. »Ich dachte mir schon, dass es Ihnen jetzt leidtut.«

»Ich habe Sie ganz offensichtlich mit jemandem verwechselt.«

»Das hatte ich vermutet. Sie dachten, ich wäre das Arschloch. Der mit dem großen Schwanz, stimmt’s?«

Ich schloss die Augen. In den vergangenen neunzig Minuten war ich im Geiste wieder und wieder unseren gesamten Wortwechsel von gestern Abend durchgegangen. Ich dachte, ich hätte mich an jedes meiner Worte erinnert, doch das war anscheinend ein Irrtum. Als ich die Augen wieder öffnete, taxierte mich Professor West noch immer. Sein Blick war äußerst intensiv.

»Meine Freundin Ava war ungefähr einen Monat lang mit diesem Owen zusammen«, plapperte ich los. »Er hat ihr von Anfang an nur Blödsinn erzählt, aber das hat sie nicht gemerkt. Eines Abends, als sie von der Arbeit heimgehen wollte, hat er sie doch tatsächlich gefragt: ›Hast du was dagegen, wenn ich dich nach Hause bringe? Meine Mutter hat immer gesagt, ich solle meinen Träumen folgen.‹ Sie ist darauf reingefallen, auf das ganze Getue, vom ersten Tag an. An einem Samstag, an dem er angeblich aus geschäftlichen Gründen nicht in der Stadt war, machte sie Besorgungen für ihre Mutter. Auf dem Rückweg nahm sie eine Abkürzung durch den Madison Square Park und lief ihm dabei über den Weg. Er war mit seiner Frau und seinen Kindern unterwegs.«

»Und für den haben Sie mich gehalten?«

Ich nickte. »Sie ist in meiner Schicht vorbeigekommen und hat Long Island Iced Teas getrunken. Als Owen hereinspazierte, zeigte sie in seine Richtung und behauptete, er sei der im blauen Hemd.«

»Und wir trugen beide blaue Hemden?«

Ich musste unwillkürlich grinsen, als ich daran dachte, in welchem Zustand Ava gestern Abend gewesen war. »Eigentlich nicht. Ava trinkt kaum Alkohol. Es stellte sich heraus, dass sie angetrunkener war, als ich dachte. Owens Hemd war braun – nicht einmal schwarz, sodass man es etwa für marineblau hätte halten können.«

Professor Wests Mundwinkel zuckten.

»Jedenfalls tut es mir wirklich leid. Ich habe Sie kaum zu Wort kommen lassen. Als ich dann gemerkt habe, was passiert war, habe ich mich so geschämt, dass ich nicht einmal stehen geblieben bin, um mich zu entschuldigen.«

»Ich nehme Ihre Entschuldigung an. Auch wenn Sie nicht allein zu einem Mann in einem Flur gehen und ihn beschimpfen sollten, hatten Sie ehrenwerte Absichten.«

Ich hätte die Klappe halten und dankbar sein sollen, dass er meine Entschuldigung annahm. Hätte ich. »Warum sollte ich nicht in einem Flur zu einem Mann gehen?«

Er warf mir einen kühlen Blick zu. »Weil Sie anderthalb Meter und einen Keks groß sind und in der lauten Bar niemand gehört hätte, wenn ich Sie in die Herrentoilette geschleift und die Tür zugesperrt hätte.«

Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich kann sehr gut auf mich aufpassen.«

»Etwas anderes habe ich auch gar nicht behauptet. Ich sagte nur, Sie sollten sich nicht in solche Situationen bringen.«

»Das impliziert aber, dass ich nicht auf mich aufpassen kann.«

Er zog den Reißverschluss seiner Ledertasche zu. »Miss Martin, ich habe gerade Ihre Entschuldigung akzeptiert, weil Sie mich gestern Abend als Arschloch bezeichnet haben. Möchten Sie, dass ich das wieder rückgängig mache?«

Gott, ich benahm mich wirklich idiotisch. In Gegenwart dieses Mannes schien ich mich in eine Psychopathin zu verwandeln. »Nein, tut mir leid. Ich habe mich mies verhalten und möchte, wenn möglich, gern noch einmal von vorne anfangen.«

Er nickte. »Alles, was vor heute Morgen passiert ist, ist vergessen.«

»Danke.«

»Aber der heutige Morgen nicht. Ich dulde kein Zuspätkommen. Sehen Sie zu, dass das nicht wieder vorkommt.«

Ich schluckte. »Ja.«

Er hängte sich die abgewetzte braune Laptoptasche aus Leder über die Schulter. »Wir treffen uns hier morgen Nachmittag um siebzehn Uhr. Dann gehen wir den Lehrplan durch, besprechen die Stunden, die Sie geben werden, und mein Bewertungssystem.«

Der Termin lag mitten in meiner Schicht, aber irgendwie musste ich das hinkriegen. »Okay.«

»Sind Sie für heute fertig?«

»Ja. Und eigentlich muss ich jetzt zur Arbeit. Ich übernehme Avas Schicht, weil sie sich nach gestern Abend nicht besonders gut fühlt. Wir arbeiten beide im O’Leary’s.«

»Kellnern Sie dort?«

»Ich kellnere, stehe hinter der Bar, und manchmal beschimpfe ich auch die Gäste.«

Daraufhin schenkte mir Professor West ein strahlendes Lächeln. Wow, das sollte er öfters tun. Nein, streichen. Das sollte er auf gar keinen Fall tun.

»Ich komme mit Ihnen nach draußen.«

Wir liefen gemeinsam durch die Flure und hinaus auf den Parkplatz. Neben meinem Wagen blieb ich stehen. »Das ist meiner. Also … morgen Nachmittag um siebzehn Uhr?«

Professor West betrachtete meinen heruntergekommenen alten Subaru. »Sie stehen auf dem Parkplatz, der für den Hochschulleiter reserviert ist. Sie haben einen Strafzettel.« Er kniff die Augen zusammen. »Vielmehr sieht es so aus, als hätten Sie zwei Tickets. Ist Ihre Zulassung abgelaufen oder so etwas?«

Mist. »Äh … nein. Ich bewahre einen alten Strafzettel im Handschuhfach auf und klemme ihn hinter den Scheibenwischer, wenn ich illegal parken muss.«

Er zog die Brauen hoch. »Einfallsreich.«

»Offensichtlich funktioniert es nicht immer.«

»Offensichtlich.«

»Es gibt hier zu wenig Parkplätze. Wenn man spät dran ist, findet man keinen mehr.«

Er musterte mich. »Hört sich an, als kämen Sie regelmäßig zu spät?«

»Das ist leider richtig.«

»Dann sollte ich meiner Bemerkung von vorhin noch etwas hinzufügen.«

»Oh nein, das ist nicht nötig. Zu Ihrem Seminar werde ich pünktlich sein.«

Er trat einen Schritt auf mich zu und beugte sich vor. »Gut zu wissen, Miss Martin. Aber das meinte ich nicht.«

Ich schluckte. Gott, riecht der gut.

»Ich sagte, dass ich keine Studenten beiße.« Er grinste, und zwar dermaßen anzüglich, dass ich es an ein paar interessanten Stellen spürte. »Das stimmt auch. Aber was das Beißen von frechen Assistentinnen anbetrifft, kann ich nichts versprechen.«

Manche Mädchen hatten Väter, die ihr Gewehr durchluden, wenn Jungs ihre Töchter zu Hause abholten. Ich hatte Charlie.

Obwohl die New Yorker Stadtverwaltung schon vor mindestens zehn Jahren das Rauchen in Speiselokalen untersagt hatte, zündete sich Charlie hinter dem Tresen immer noch eine an. Benson & Hedges ohne Filter. Wer wollte das einem stämmigen Expolizisten auch verbieten?

»Also, wer ist dieser Mann, mit dem du dich heute Abend triffst?« Er holte den Baseballschläger hervor, den er hinter der Bar aufbewahrte, und legte ihn auf den Tresen. »Der bleibt hier liegen, bis er kommt.«

Lachend nahm ich das Tablett mit Getränken. »Ich komme schon klar, Charlie. Es ist ein zweiunddreißigjähriger Buchhalter von der Upper East Side.«

»Lass dich davon nicht blenden. Das Äußere kann täuschen. Salz verwechselt man leicht mit Zucker, Süße.«

Ich wusste gar nicht recht, weshalb ich überhaupt jemanden daten wollte. Seit vor acht Monaten die Sache mit Davis gescheitert war, befand ich mich in einer selbst auferlegten Dating-Auszeit. Ich hatte weder Zeit noch Energie für eine Beziehung. Ganz zu schweigen davon, dass ich im Allgemeinen kein großes Glück mit Männern hatte. Hauptsächlich tat ich es, um Ava einen Gefallen zu tun. Im letzten Winter hatten sie und ihr Freund sich an ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag nach sieben Jahren getrennt. Die beiden waren seit dem letzten Jahr an der Highschool ein Paar gewesen. Monatelang sah ich zu, wie sie schmollte, dann überredete ich sie schließlich, sich bei einer dieser Dating-Websites anzumelden. Aus Solidarität registrierte ich mich ebenfalls, allerdings mit dem Vorsatz, nicht wirklich mit jemandem auszugehen. Ich hatte ganze Arbeit geleistet: Auf jener Dating-Website lernte Ava den verheirateten Owen kennen. Mit einer Freundin wie mir würde sie sicher bald zu Antidepressiva greifen müssen.

Ich servierte die Drinks und nahm eine Bestellung von Tisch acht auf, obwohl meine Schicht eigentlich schon zu Ende war. Im Grunde hatte ich nur keine Lust, mich umzuziehen und für meine Verabredung fertig zu machen. Tischbedienung gab es im O’Leary’s nach zwanzig Uhr nur, solange wir Lust hatten. Für jeden, dem das nicht passte, hatte Charlie einen Standardspruch parat: Die Straße runter gibt es einen Burgerladen. Pass auf, dass du beim Gehen nicht die Tür ins Kreuz kriegst.

Nachdem ich mein Kellnerinnen-Outfit abgelegt hatte, machte ich mich im Waschraum etwas frisch, tuschte mir die Wimpern, trug Lipgloss auf meine Lippen auf und betrachtete mich im Spiegel. Ich hatte das Glück, den hellen Porzellanteint meiner Mutter geerbt zu haben, sodass ich mich nie stark schminken musste. Ich erwog, meine grünen Augen mit einem schwarzen Eyeliner zu betonen, überlegte es mir dann jedoch anders. Das reicht, dachte ich. Etwas mehr Engagement wäre bei einem ersten Date vermutlich angezeigt gewesen.

Mason schien mir nach dem anfänglichen E-Mail-Austausch ganz nett zu sein, und so hatte ich während der letzten Wochen weiter mit ihm geschrieben. Er erfüllte alle Punkte, die ihn dazu qualifizierten, mit mir auszugehen: gute Anstellung: ja. Höflich: ja. Über dreißig, aber noch lange keine vierzig: ja. Benutzte in den E-Mails keine peinlichen, angesagten Ausdrücke: ja. Gutaussehend. Gute Frisur: ja, ja. Ich hätte aufgeregter sein müssen. Seit Davis war viel Zeit vergangen, jetzt konnte etwas Neues kommen.

Ich bemerkte ihn, bevor er mich entdeckte. Ich war ins Lager gegangen, um für Charlie ein paar Flaschen Tequila zu holen, und sah, wie Mason sich umschaute. Er sah wie auf den Fotos aus, was auf jeden Fall ein Pluspunkt war. Vielleicht ein wenig dünner, als ich erwartet hatte, aber der Unterschied war nicht so drastisch, dass es mich überraschte. Er war mittelgroß, mittelkräftig und sah gut aus, aber nicht so, dass man davon Schmetterlinge im Bauch bekam. Auch Mason trug ein blaues Hemd, was mich an Professor West und den gestrigen Abend erinnerte. Merkwürdigerweise war das etwas, was die Schmetterlinge in meinem Bauch aufflattern ließ.

Was das Beißen von frechen Assistentinnen anbetrifft, kann ich nichts versprechen.

Ich schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können, und atmete tief durch, bevor ich mich auf den Weg zu Mason machte.

Kennt ihr das Gefühl, wenn man erwartet, etwas Bestimmtes zu schmecken, und dann stellt es sich als etwas anderes heraus? Zum Beispiel Stilles Wasser anstatt Mineralwasser mit Kohlensäure? Es ist nicht unbedingt so, dass man eines von beiden nicht mag, aber man hat sich auf etwas Geschmacksneutrales ohne Kohlensäure eingestellt, und stattdessen erlebt man ein unerwartetes Bitzeln – ein heftiges Bitzeln.

Mason war Bitzeln, als ich Leitungswasser erwartete. Vielleicht hatte das Wort Buchhalter bei mir bestimmte Vorurteile geweckt, er war weitaus selbstbewusster und direkter, als ich angenommen hatte.

»Du siehst wirklich toll aus. Nach deinem Profilbild habe ich natürlich nichts anderes erwartet, aber da war nur dein Kopf zu sehen. Ich habe nicht damit gerechnet, dass es vom Hals abwärts mit Megan Fox weitergeht.«

»Danke … glaube ich.« Es war zwar ein Kompliment, aber die Art, wie er mich beäugte, gefiel mir nicht. Wir waren ein paar Häuser weiter zum Essen gegangen und dann für einen Drink ins O’Leary’s zurückgekehrt. Seine Blicke wanderten über meinen Körper, während er an seinem vierten Whisky-Cola nippte. Für mich ein weiteres Alarmsignal – drei hochprozentige Drinks zum Abendessen bei der ersten Verabredung? Mit jedem Drink wurde er auf eine Weise dreister, die mir nicht gefiel.

»Du sagtest, du bist eine hundertprozentige Italienerin, stimmt’s?«

»Nein, ich habe auch etwas Deutsches in mir.«

Er beugte sich vor und legte eine Hand auf mein Knie: »Wie wär’s, wenn du heute Nacht ein bisschen mehr Deutsches in dir spüren würdest?«

Uhh. Ich wollte dem Idioten gerade sagen, dass er heute Nacht an sich selbst herumspielen sollte, als Charlie dazwischenging. Mit dem Baseballschläger. Er knallte ihn zwischen uns auf den Tresen, woraufhin Mason zurückzuckte.

»Alles in Ordnung bei euch? Mein Mädchen sieht nicht gerade glücklich aus.«

Ich wollte keine Szene machen. Das miese Date sollte einfach schnell vorbei sein.

»Ist das dein Vater?«, fragte Mason.

Ich ignorierte ihn und redete mit Charlie. »Alles in Ordnung. Wir wollten sowieso gerade gehen.«

Das verstand Mason prompt falsch. Er kippte den Rest seines Drinks herunter und stand auf. »Zu mir oder zu dir?«

»Du gehst zu dir. Ich zu mir.«

Er wollte nach mir greifen, und ich machte einen Schritt nach hinten. »Geh nach Hause, Mason. Bevor es dir Charlie mit dem Knüppel besorgt.«

Als er begriff, dass er heute keinen Sex haben würde, zahlte Mason seinen Deckel und zog ab. Nachdem er gegangen war, grinste ich Charlie an. »Hast du den Preis für Whisky-Cola verdoppelt?«

»Arschlochzulage.«

Ich lachte. Weil ich nicht gleich nach Mason vor die Tür gehen wollte, blieb ich eine Weile bei Charlie am Tresen sitzen.

»Daten nervt«, schnaubte ich. »Kein Wunder, dass ich das nicht öfter mache.«

»Ich bin froh, dass das Daten zu meiner Zeit nicht so war wie heute. Sonst hätte ich meine Audrey nie kennengelernt.«

Charlies Frau war vor über zehn Jahren verstorben – Herzinfarkt mit Anfang fünfzig.

»Wie habt ihr beide euch eigentlich kennengelernt?«

»Auf die altmodische Art. Im Supermarkt.«

»Wie süß. Seid ihr mit den Einkaufswagen zusammengestoßen? Wie im Film?«

»So ähnlich. Audrey war in der Obst- und Gemüseabteilung und legte ihre Sachen in den falschen Wagen. Sie war schon halb den Gang hinunter, ehe sie es bemerkte. Als sie zu ihrem Wagen zurückging, fiel ihr auf, dass in dem Wagen, den sie genommen hatte, ein handgeschriebener Einkaufszettel lag.

»War das dein Wagen?«

»Ja. Sie gab mir den Zettel zurück und sagte: ›Ich habe den falschen Wagen genommen. Ich möchte doch nicht, dass Sie etwas von den wichtigen Sachen auf Ihrer Liste vergessen.‹«

»Was stand auf deinem Einkaufszettel?«

Charlie zuckte mit den Schultern. »Da stand: ›Käse und der übrige Kram‹.«

Ich runzelte die Stirn. »Buchstäblich? Käse und der übrige Kram? Keine Liste von dem übrigen Kram?«

»Mir war es nur wichtig, mich an den Käse zu erinnern. Abends vor dem Zubettgehen esse ich gerne eine Scheibe Cheddar. Der übrige Kram stand für den Rest und war nicht so wichtig.« Charlie starrte ins Leere. »Na, jedenfalls lächelte Audrey mich an, und mein Herz machte diesen verrückten Doppelschlag, den es vorher noch nie gemacht hatte. Ich dachte, ich werde ohnmächtig. Ich musste mich gleich neben die Auberginen setzen, um wieder zu Atem zu kommen. Am Ende habe ich an dem Tag nicht nur Käse und den übrigen Kram aus dem Supermarkt mitgenommen.«

»Vielleicht sollte ich das mit dem Supermarkt auch mal ausprobieren. Ich glaube, Online-Dating ist nichts für mich.«

»Ich habe das nie gemacht, aber es kommt mir dumm vor. Im Geiste erstellt man eine Liste, was man von einem Partner erwartet, und sucht dann nach jemandem, der all die Punkte auf der Liste erfüllt. Doch im Grunde spielt es überhaupt keine Rolle, ob die Punkte erfüllt sind. Wenn du den Richtigen triffst, spürst du es in deinem Herzen.« Er zwinkerte mir zu. »Und noch an anderen Körperstellen.«

3. Kapitel

Rachel

Ich kam nicht ein bisschen zu spät, ich kam gnadenlos zu spät.

Außerdem brauchte ich eine Dusche, einen Automechaniker, eine Flasche Wein und sehr wahrscheinlich auch einen neuen Job – allerdings nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Und dabei war ich extra eine halbe Stunde vorher aufgebrochen, um die nur vier Blocks bis zum College zu fahren. Jede Menge Zeit, um einen Parkplatz zu finden und eine Viertelstunde vor unserem Termin hineinzuspazieren, um Professor Pünktlich zu zeigen, dass ich mich durchaus an Zeiten halten konnte. Aber dann … platzte mir ein Reifen. Ein lauter Knall, gefolgt von einem langen Pfffft. Ich versuchte, es zu ignorieren und fuhr zunächst weiter, doch der Wagen geriet immer wieder ins Schlingern und zog so stark nach rechts, dass ich anhalten musste.

Es nervte. Doch ich hatte noch Zeit, und mein Ex-Mitbewohner und Was-auch-immer er für kurze Zeit gewesen war – Davis – hatte mir beigebracht, wie man einen Reifen wechselte. Alles war gut … zunächst. Ich holte den Wagenheber heraus, kurbelte wie ein Profi das Auto hoch und machte mir an dem platten Reifen zu schaffen. Es lief prima, bis ich zur letzten Radmutter kam. Das verdammte Ding klemmte. Und zwar total. Da sich die Radmutter auf drei Uhr befand, setzte ich irgendwann den Schraubenschlüssel an und versuchte, ihn mit dem Fuß herunterzudrücken. Aber das Ding rührte sich nicht. Dann hatte ich die brillante Idee, mein gesamtes Gewicht einzusetzen und auf den langen Griff des Schraubenschlüssels zu springen, in der Hoffnung, das verdammte Teil durch den plötzlichen Druck zu lösen. Doch irgendwie rutschte der Schlüssel ab und knallte mir voll gegen das Schienbein.

Jetzt war ich zwanzig Minuten zu spät, und mein Bein tat höllisch weh. Bei drückenden zweiunddreißig Grad war ich in die Uni gehumpelt und roch nach Wagenschmiere. Ich konnte nur hoffen, dass Professor West womöglich selbst einen Platten gehabt hatte und ebenfalls zu spät kam. Es war nur eine vage Hoffnung, aber an irgendetwas musste ich mich klammern, um keinen völligen Nervenzusammenbruch zu erleiden, während ich durch die Flure hetzte.

Als ich den Hörsaal erreichte, spähte ich zunächst vorsichtig durch die Tür, bevor ich sie ganz öffnete. Natürlich saß Professor West schon am Pult.

Ich atmete tief durch und trat ein, um mich dem Donnerwetter zu stellen.

»Bevor Sie etwas sagen – ich war eine halbe Stunde früher dran als sonst. Ehrlich.«

Er schrieb gerade etwas in einen Terminkalender, und als er den Kopf hob, sah ich ihn zum ersten Mal mit Brille. Mann. Damit sieht er noch schärfer aus. War ich geistesgestört, dass ich sogar seinen bösen Blick irgendwie heiß fand?

»Und was ist heute passiert, Miss Martin? Ist Ihnen, seit Sie Ihren Wagen vor einer halben Stunde im Parkverbot abgestellt haben, auf dem Weg zu meinem Hörsaal etwas dazwischengekommen? Haben Sie vielleicht Halt gemacht, um noch ein bisschen im Matsch zu spielen?«

»Wie bitte?«

Er musterte mich von oben bis unten. »Sie haben im Gesicht und überall auf der Kleidung Dreck.«

Ich hob die Hand und rieb mir über die Wange. »Oh. Das ist kein Schlamm. Das ist Schmiere.«

»Das ist natürlich viel besser.«

»Mir ist auf dem Weg hierher ein Reifen geplatzt.« Ich hatte keine Ahnung, wo sich der Dreck befand, doch aus Nervosität rieb ich mir beim Sprechen willkürlich durchs Gesicht. »Die Reifenmutter klemmte, und ich konnte sie nicht lösen. Ich habe versucht …«

»Miss Martin«, unterbrach er mich. »Lassen Sie das.«

»Es stimmt aber. Ich habe wirklich versucht, früh hier zu sein. Ich hatte extra einen Puffer eingebaut, und dann peng – platzt der Reifen. Diesmal war es nicht meine Schuld.«

»Ich meinte nicht Ihre ausführliche Geschichte. Hören Sie auf, sich im Gesicht herumzuwischen. Sehen Sie sich mal Ihre Hände an.«

Ich betrachtete meine Handflächen. Mist. Die waren voller Schmiere. »Habe ich mir das überall in meinem Gesicht verteilt?«

Er holte ein paar Taschentücher aus dem Schreibtisch, stand auf und kam zu mir. »Ihr Gesicht ist voller Schmiere. Gehen Sie auf die Damentoilette und waschen Sie es ab.«

Ich nickte und drehte mich um, doch auf dem Weg zur Tür kam mir ein Gedanke. »Sind Sie noch da, wenn ich zurückkomme?«

Professor West lächelte. »Ja, Rachel. Ich warte hier. Das ist anscheinend unser Ding.«

Nachdem ich mir die Schmiere von den Händen und aus dem Gesicht geschrubbt hatte, überlegte ich, ob ich versuchen sollte, den großen Fleck aus meiner Bluse zu waschen, aber das war hoffnungslos. Dreimal war ich meinem neuen Chef bisher begegnet. Beim ersten Mal hatte ich ihn beschimpft, beim zweiten Mal störte ich seinen Unterricht und trug eine Bluse mit einem Kaffeefleck, und beim dritten Mal ließ ich ihn fast eine halbe Stunde warten, und als ich endlich kam, war ich dreckverschmiert und sah verheerend aus. Es wurde wirklich immer besser.

Als ich in den Hörsaal zurückkehrte, hatte Professor West schon zusammengepackt.

»Tut mir leid. Haben Sie jetzt ein Seminar?«

»Nein. Aber es wird bald dunkel, deshalb sollten wir lieber aufbrechen.«

Dunkel? »Ähhh … okay. Können wir einen neuen Termin ausmachen? Vielleicht kann ich morgen vor dem Seminar vorbeikommen, und Sie erklären mir schnell, was ich für Sie erledigen soll?«

»Nein. Das machen wir heute Abend.« Er legte seine Hand auf meinen Rücken und führte mich zur Treppe des Hörsaals. »Sie müssen doch nicht in Ihrem anderen Job arbeiten, oder?«

»Nein. Ich habe mir heute Abend freigenommen.«

»Heute Abend sind hier keine Vorlesungen mehr. Wenn wir fertig sind, können wir zurückkommen.«

»Wenn wir fertig sind?«

»Mit Ihrem Wagen. Ich montiere den Ersatzreifen und folge Ihnen mit meinem Wagen zum Reifenhändler. Danach können wir wieder herkommen und alles durchgehen, was wir zu besprechen haben.«

»Sie wollen meinen Reifen wechseln?«

»Ich kann Sie doch nicht hängenlassen, Rachel.«

»Das müssen Sie nicht tun, Professor West.«

»Doch, natürlich. Und nennen Sie mich Caine.«

Caines Muskeln passten zu seinem perfekt geschnittenen Gesicht. Das weiße Anzughemd hatte er ausgezogen, bevor er sich daranmachte, meinen Reifen zu wechseln. In einem dünnen weißen Unterhemd bearbeitete er den Radmutternschlüssel, während ich mich auf seine Muskeln konzentrierte, die jedes Mal hervortraten, wenn er sie anspannte. Mit einiger Anstrengung gelang es ihm, die verklemmte Radmutter zu lösen. Er hatte unglaubliche Bizeps, modelliert und gebräunt – und aus der Mitte trat eine Vene hervor, die bis hinunter zu seinen Unterarmen lief. Falls es so etwas wie einen Arm-Porno gab, sah ich ihn gerade auf meinem ganz persönlichen Privatsender. Es fühlte sich nicht richtig an, ihn derart anzustarren, aber meine Güte, ich genoss den Anblick.

Irgendwann war es so weit, er zog den Reifen ab und hob ihn hoch, um ihn in den Kofferraum zu wuchten. Dabei rutschte sein Unterhemd nach oben und entblößte zwei tiefe Einkerbungen, die am Abschluss seiner klar definierten Bauchmuskeln v-förmig zusammenliefen. Ich verspürte das starke Verlangen, seinen Bauch zu berühren und mit den Fingern über die feinen Härchen zu streichen, die vom Bauchnabel zu dem hervorlugenden schwarzen Bund seiner Unterwäsche verliefen und dort verschwanden.

Er legte den platten Reifen in meinen Kofferraum und machte sich daran, den kleinen Reservereifen zu montieren.

»Sie sollten wirklich einen Ersatzreifen haben, der gleich groß ist«, sagte er, während er das neue Rad montierte. »Diese kleinen Reservereifen sind gefährlich. Sie bringen den Wagen aus dem Gleichgewicht, und wenn man damit einen Unfall hat, ist die Gefahr größer, dass man sich überschlägt.«

Ab und zu sah er zu mir hoch und erwischte mich fast dabei, wie ich ihn beäugte. Ich musste mich dringend ablenken, also stieg ich in den Wagen und schnappte mir mein Smartphone, um den nächsten Reifenhändler ausfindig zu machen.

Als er den Wagenheber in den Kofferraum zurücklegte und die Klappe zuschlug, ging die Sonne bereits unter. Obwohl es sich etwas abgekühlt hatte, war die Luftfeuchtigkeit noch immer sehr hoch. Caine war verschwitzt und sein Unterhemd eindeutig ruiniert.

»Ich glaube, ich schulde Ihnen ein Unterhemd«, sagte ich und betrachtete die Wagenschmiere, die überall auf dem Stoff verteilt war.

Er sah an sich herunter. »Wenn es sowieso hinüber ist, kann ich das auch ausnutzen.« Er wischte sich die schmutzigen Hände an der Brust ab und verteilte die Schmiere über die noch sauberen Stellen. Dann griff er sich in den Nacken und zog sich das schmutzige Unterhemd über den Kopf.

Ich glaube, als ich freie Sicht auf seinen unglaublichen Körper hatte, klappte mir der Kiefer herunter. Keine Ahnung, ob er merkte, wie ich ihn angaffte. Ich schaffte es nicht, den Blick von ihm loszureißen. Er wischte sich mit dem T-Shirt den Schweiß aus dem Gesicht und säuberte anschließend noch einmal seine Hände. Obwohl ich mich körperlich nicht im Geringsten verausgabt hatte, begann ich, ebenfalls zu schwitzen.

»Wissen Sie, wo der nächste Reifenhändler ist?«

»Ähh … nur drei Straßen von hier entfernt.«

»Ich ziehe mir nur schnell mein Hemd wieder an, dann fahre ich hinter Ihnen her.«

Schade. »Okay. Vielen Dank.«

Ich saß einen Moment im Auto und war froh, mich kurz sammeln zu können, bevor ich losfahren musste. Wie lange war es her, seit ich das letzte Mal Sex hatte? Acht Monate? Herrje, wahrscheinlich hätte ich es letzte Nacht mit Mason treiben sollen, nur um meine Libido zu besänftigen. Ein kurzer Blick auf ein Sixpack und Muskeln, schon bekam ich ein feuchtes Höschen. Ich fühlte mich wie eine liebestolle Siebzehnjährige.

Als wir den Wagen beim Reifenexpress ablieferten, war es schon fast halb acht, und es hieß, ich sollte den Wagen am nächsten Morgen abholen. Caine stand mir die ganze Zeit zur Seite und sorgte sogar dafür, dass ich einen einigermaßen erschwinglichen Reifen bekam. Der Verkäufer wollte mir einen verkaufen, der mehr kostete, als ich im O’Leary’s in einer Woche an Trinkgeld verdiente.

»Ich komme mir vor wie eine hängengebliebene Schallplatte«, sagte ich, als wir schließlich in Caines Auto saßen. »Entweder entschuldige ich mich bei Ihnen, oder ich bedanke mich.«

»Kein Problem. Haben Sie noch Lust, den Lehrinhalt durchzugehen und einen Plan für das Semester auszuarbeiten?« Er schaute auf die Uhr. »Es ist schon ziemlich spät. Ich kann Sie auch zu Hause absetzen, falls Sie müde sind.«

»Ich bin eine Nachteule. Ich habe eher mit dem Aufstehen Probleme.«

Er nickte. »Okay, dann los.«

Kurz bevor er den Motor anließ, ließ mein Magen ein entsetzliches Knurren ertönen. Ein lautes, gurgelndes Rumoren hallte durch den stillen Wagen. Es hatte keinen Zweck, so zu tun, als sei nichts gewesen.

Caine grinste. »Wie wäre es, wenn wir unsere Pläne beim Essen durchsprechen?«

Ich hatte einen Mordshunger. Eigentlich wollte ich nach der Schicht bei der Arbeit etwas essen, aber dann war so viel zu tun gewesen, und unterwegs hatte ich nirgendwo halten wollen, damit ich nicht zu spät kam. Tolle Planung.

»Sehr gern.«

Er startete den Wagen. »Worauf haben Sie Appetit?«

»Ich bin für alles offen. Was immer Sie wollen.«

»Wie wäre es mit einem Burger? Essen Sie Fleisch?«

Zum Glück war es schon dunkel genug, dass man nicht sah, wie ich rot anlief. »Ähm … ja. Ich esse Fleisch.« Anscheinend war es genau das, wonach es meinen Körper und meinen Geist gerade verlangte.

4. Kapitel

Rachel

»Nur um das klarzustellen: Das war nicht nur ein Spruch, als wir uns das erste Mal gesehen haben. Sie kommen mir tatsächlich bekannt vor.« Caine trank einen Schluck Bier.

Dass er ein Bier bestellt hatte, überraschte mich. Ich hätte etwas Ausgefalleneres von ihm erwartet – teuren Wein vielleicht oder alten Scotch. Als ich ihn entspannt mit einem Bier in der Hand sah, erschien mir der konservative Professor in einem ganz anderen Licht. Vielleicht hatten aber auch seine Bauchmuskeln meine Sichtweise verändert.

»Vermutlich sind wir uns schon auf dem Campus begegnet«, sagte ich, obwohl ich mir ziemlich sicher war, ihn nie zuvor gesehen zu haben. An einen Mann mit seinem Aussehen hätte ich mich erinnert.

»Kann sein.«

»Sind Sie öfter im O’Leary’s?«, fragte ich.

»Neulich Abend zum ersten Mal. Ich war auf dem Heimweg von einem Freund, der gerade in die Nähe gezogen ist.«

»Also, eigentlich bin ich entweder im O’Leary’s oder auf dem Campus oder zu Hause, um zu schlafen oder zu lernen. Momentan bleibt mir kaum Zeit für etwas anderes.« Ich zielte mit einem Mozzarella-Stick auf ihn und grinste ironisch. »Und das wird sich wohl auch nicht ändern. Dem People-Magazin zufolge wird dies ein arbeitsreiches Jahr ohne Vergnügen.«

»Ach ja? People-Magazin? Das klingt nach einer seriösen Quelle.«

»Finde ich auch. Ich musste fünf Fragen beantworten, also ist die Vorhersage ziemlich zuverlässig. Nur eine einzige falsche Antwort, und ich wäre vielleicht zu einem Jahr voller Abenteuer oder meditativer Selbsterkenntnis verdammt gewesen.«

Caine lachte. »Na, versuchen Sie, ein bisschen Freizeit dazwischenzuschieben. Sie kennen doch das alte Sprichwort: Arbeit allein macht auch nicht glücklich. Das ist langweilig.«

»Gegen langweilig habe ich nichts. Ich bemühe mich nicht mehr um Aufregung.«

»Nichts Aufregendes mehr? Wie alt sind Sie eigentlich? Zweiundzwanzig, dreiundzwanzig?«

»Fünfundzwanzig.« Ich zuckte die Achseln. »Als Teenie habe ich genug Abenteuer erlebt, da war ich außer Rand und Band. Jetzt versuche ich, erwachsen zu werden. Es ist gut, wenn man etwas zu tun hat. Es ist gut, sich wie eine Erwachsene zu benehmen.«

Caine kratzte sich am Kinn. »Außer Rand und Band? Wie zum Beispiel?«

»Auf keinen Fall, Professor. Ich habe mich schon genug blamiert. Diese Geschichten spare ich mir auf, bis ich Ihnen bewiesen habe, wie intelligent und begabt ich bin.«

Caine lächelte. Es war das erste offenherzige Lächeln, das er zuließ. Dann lehnte er sich zurück und legte lässig einen Arm über die Rückenlehne der Sitzbank. »In Ordnung. Dann erzählen Sie mir etwas über sich und die Musik. Ich würde gern ein bisschen mehr über Ihre Stärken und Ihre Begabung erfahren. Das hilft mir auch bei der Frage, welche Stunden ich Ihnen überlasse.«

»Was möchten Sie wissen?«

»Warum Musik?«

»Sie meinen, warum ich Musik als Hauptfach gewählt habe?«

»Nein. Ganz offensichtlich haben Sie sich für das Hauptfach entschieden, weil Sie die Musik lieben. Aber warum lieben Sie die Musik?«

»Das ist eine sehr weitreichende Frage und schwer mit wenigen Sätzen zu beantworten.«

»Versuchen Sie’s. Es gibt keine falsche oder richtige Antwort.«

»Okay.« Ich dachte einen Augenblick nach. »Weil Musik all die Dinge ausdrückt, die Menschen ausdrücken müssen, aber nicht in Worte fassen können.«

Er ließ meine Antwort einen Moment sacken. »Singen Sie, oder spielen Sie ein Instrument?«, fragte er schließlich.

Ich lächelte. Schon im Grundstudium war Musik mein Hauptfach gewesen, darum wusste ich, dass meine Antwort stets für Verwirrung sorgte. »Weder das eine noch das andere. Ich kann einen Ton halten, aber ich singe nicht besonders gut, und es gibt kein Instrument, das ich sonderlich gut beherrsche. Anders als die meisten, die Musik im Hauptfach studieren.«

Fünfundachtzig Prozent aller Musikstudenten sangen oder spielten Klavier oder Gitarre. Die übrigen fünfzehn Prozent setzten sich überwiegend aus Schlagzeugern und Saxophonisten zusammen.

»Ich kann nicht behaupten, dass ich das oft höre.«

»Ich weiß. Im Grundstudium habe ich gelernt, ein paar Instrumente ganz ordentlich zu spielen, aber ich will weder Musikerin noch Rockstar werden. Ich mache meinen Master in Musiktherapie.«

Die Kellnerin kam und servierte uns riesige Burger. Ich hatte gehofft, das würde Caine ein wenig von mir ablenken, doch offenbar hatte er die wenigen Teile, die ich preisgegeben hatte, bereits zu einem Puzzle zusammengesetzt.

»Ich vermute, was immer Sie mit Musik ausdrücken mussten und nicht in Worte fassen konnten, ist dasselbe, was dazu geführt hat, dass Sie einige Jahre außer Rand und Band waren.«

»Bin ich so leicht zu durchschauen, oder haben Sie so eine gute Menschenkenntnis?«

Er sah mir prüfend in die Augen. »Weder noch. Sagen wir, ich kann es sehr gut nachvollziehen.«

Ich nickte. »Was ist mit Ihnen? Wollten Sie Rockstar werden?«

»So ähnlich.«

Ich grinste, ehe ich mir den Burger in den Mund schob. »Wow. Danke, dass Sie mir das alles anvertrauen. Sie sind ja ein offenes Buch.«

Caine lachte. »Sind Sie immer so ein Schlaumeier?«

»Antworten Sie immer so vage und ausweichend, wenn man Ihnen eine klare Frage stellt?«

Er musterte mich eine Weile, während er kaute und schluckte. »Na schön. Als ich jünger war, wollte ich Rockstar werden. Ist die Antwort klar genug?«

Ich grinste. »Singen Sie, oder spielen Sie ein Instrument?«

»Ich habe Schlagzeug gespielt.«

»Früher oder immer noch?«

»Sie stellen ganz schön viele Fragen.«

»Stört Sie das?«

Er lachte. »Und schon wieder eine. Essen Sie Ihren Burger, Miss Martin.«

Danach aßen wir schweigend weiter. Aber es war eine angenehme Stille. Caine leerte seinen Teller, ich stocherte noch in meinen Pommes, als sein Handy klingelte. Als er den Namen auf dem Display sah, entschuldigte er sich und verließ den Tisch, um ungestört zu telefonieren. Dies war zwar kein Date, dennoch frage ich mich, ob er verheiratet war und nicht wollte, dass seine Frau erfuhr, mit wem er gerade zusammen war. Der Fremdgeher Owen war mir noch frisch im Gedächtnis.

Als Caine zurückkam, entschuldigte er sich. »Tut mir leid.«

»Kein Problem.« Trotzdem war ich völlig ungerechtfertigt gereizt. »Ich habe aufgegessen. Wir können loslegen. Ich habe schon genug von Ihrer Zeit beansprucht.«

Sobald die Bedienung den Tisch abgeräumt hatte, holte Caine eine Mappe aus der Tasche, und wir gingen den Lehrplan durch. Wir steckten grob den Inhalt meiner ersten Unterrichtsstunden ab und vereinbarten, uns nach dem nächsten Seminar zu treffen, um die Planung abzuschließen. Ich sollte ihm bei drei seiner fünf Seminare assistieren und ein Seminar selbst halten. Caine erkundigte sich nach meinen Arbeitszeiten und plante die Termine für meine Assistenzstunden vor oder nach meinen Schichten im O’Leary’s ein. Sehr rücksichtsvoll. Als wir fertig waren, bestellte er sich einen Kaffee.

»Und? Was für Gerüchte haben Sie über mich gehört?«, fragte er und lehnte sich auf der Sitzbank zurück.

»Wollen Sie das wirklich wissen?«

»Die meisten davon kenne ich bestimmt schon. Aber packen Sie sie ruhig auf den Tisch, dann sage ich Ihnen, ob sie stimmen oder nicht.«

»Okay. Man erzählt sich, dass Sie ein Pünktlichkeitsfanatiker sind. Ich brauche wohl nicht erst zu fragen, ob das stimmt.«

»Wohl kaum.« Er lächelte. »Was sonst noch?«

»Sie haben Ihre letzte Assistentin gefeuert, weil sie nicht streng genug benotet hat.«

Er nickte. »Das stimmt auch. Allerdings ist die Geschichte so nicht ganz vollständig. Sie hat ihrenFreund nicht streng genug benotet. Vielmehr hat sie Noten für das vergeben, was er mit ihr anstellen wollte … da war er sehr einfallsreich. Ich stellte irgendwann fest, dass sich daraus seine Antworten in den Tests zusammensetzten. Was er schrieb, hatte nichts mit Musik zu tun, aber er bekam für alles Topnoten.«

»Oh.«

»Sonst noch etwas?«

Keine Ahnung, warum, aber das letzte Gerücht schmückte ich aus, um meine Neugierde zu befriedigen: »Sie sind verheiratet und wären fast entlassen worden, weil Sie mit Ihren Studentinnen geschlafen haben.«

Seine Miene verriet, dass ich einen wunden Punkt getroffen hatte. Caine biss die Zähne zusammen, seine vollen Lippen wurden zu einem schmalen Strich. »Ich bin nicht verheiratet und habe nach dem ersten Jahr aufgehört, mit meinen Studentinnen zu schlafen.«

Ich zog die Nase kraus. »Dann haben Sie also mit Ihren Studentinnen geschlafen?«

»Ich war jung und dumm. In meinem ersten Jahr als Dozent verbrachte ich fast die ganze Zeit auf dem Campus. Es war der einzige Ort, an dem ich Leute kennenlernte.«

»Schon mal was von Dating-Websites gehört?«

»Natürlich, Schlauberger. Aber die Menschen sind selten so, wie sie online wirken.«

»Das kann man wohl sagen«, schnaubte ich.

Caine zog eine Braue hoch. »Klingt, als würden Sie aus Erfahrung sprechen.«

»In der Tat. Gerade gestern Abend.«

»Und …?«

»Er hatte nur eines im Sinn.«

»Sex?«

Ich nickte. »Männer können solche Arschlöcher sein. Nichts für ungut.«

Sein verflixter Mundwinkel zuckte schon wieder. »Kein Problem. Es sei denn, Sie bezeichnen mich als Arschloch – was nicht das erste Mal wäre.«