Mit Bike und Boot zur Beringsee - Richard Löwenherz - E-Book

Mit Bike und Boot zur Beringsee E-Book

Richard Löwenherz

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Beschreibung

Mit Fahrrad und Boot bis ans Ende der Welt: Eine atemberaubende Reise nach Tschukotka Im äußersten Nordosten Russlands liegt mitten in der sibirischen Tundra die autonome Grenzregion Tschukotka, eine der abgelegensten und einsamsten Gegenden der Welt: Erklärtes Sehnsuchtsziel des Extrem-Radlers Richard Löwenherz, der mit seinem ersten Buch weit über die Radreiseblog-Szene hinaus als "lonely traveller" bekannt wurde. Mit dem Fatbike und einem Schlauchboot im Gepäck macht sich der Abenteurer im kurzen ostsibirischen Sommer auf ans gefühlte Ende der Welt und bereist einen der am schwersten zugänglichen Landstriche Sibiriens. - Bike-Rafting jenseits des Polarkreises: Eine aufregende Tour durch Russlands abgelegene Region Tschukotka - Eine Abenteuerreise in unberührter Natur und ursprünglicher Landschaft - Packender Reisebericht und einzigartige Fotos vom Extrem-Radler und Solo-Reisenden Richard Löwenherz - Vom Autor des spannenden Abenteurer-Blogs "lonely traveller" - Die Fortsetzung des erfolgreichen Reisebuches "Eis. Abenteuer. Einsamkeit." Abenteuer pur: Bike-Rafting in der Wildnis am russischen Polarkreis Schneestürme, Entkräftung, wilde Schotterpisten und Attacken von Bären – das unbesiedelte Landesinnere Tschukotkas stellt den erfahrenen Radreisenden Richard Löwenherz vor enorme Herausforderungen. "Die spannendsten Wege beginnen dort, wo alle Straßen enden!": Lesen Sie in diesem Reisebuch, wie das überwältigende Naturerlebnis in der Abgeschiedenheit der Wildnis für alle Strapazen der Reise entschädigte.

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Für meine Omi, die mit 92 Jahren noch Auto fuhr und sich jeden Morgen im Garten kalt duschte, bis der nahende Winter das Wasser im Schlauch gefrieren ließ …

RICHARD LÖWENHERZ

MIT BIKE UND BOOT ZUR BERINGSEE

DELIUS KLASING VERLAG

1. Auflage 2023

© Delius Klasing Verlag GmbH, Bielefeld

Folgende Ausgaben dieses Werkes sind verfügbar:

ISBN 978-3-667-12761-7 (Print)

ISBN 978-3-667-12776-1 (Epub)

Text und überwiegende Fotos: Richard Löwenherz

Ergänzende Fotos von Marina Galkina (Cover, S. 14 oben, 76 unten rechts, 134 oben links, 157 obere drei); Steffen Graupner (S. 13); Njurgun Efremov (S. 14 unten, 17, 20, 157 untere zwei); Ivan Barkov (S. 23, 26 unten rechts); Zinaida Nikolaeva (S. 26 oben, unten links); Frank Kienast (S. 31, 33, 36 oben links beide, 43 oben links); Diana Popova (S. 36 oben rechts); Mike Loranty (S. 36 unten); Leavinghomefunktion (S. 56 oben beide); Maks Koroschtsch (S. 56 unten rechts); Natalja Rakitina (S. 61 Mitte rechts); Sergej Lekaj/Jana Lebedechina (S. 76 oben rechts, 155); Timur Achmetov (S. 101 Mitte, unten) Kartografie: Andrea Perkons

Lektorat: René Stein, Stephanie Jaeschke, Andrea Clages

Umschlaggestaltung: Felix Kempf, www.fx68.de

Layout: Felix Kempf, Christine Rölke

Gesamtherstellung: Die Werkstatt Medien-Produktion GmbH, Göttingen

Das Wegenetz Tschukotkas, dargestellt in der vorderen Karte, geht auf die Recherchen des Autors zurück. Die Kartierung erfolgte nach bestem Wissen, aber ohne Gewähr.

Datenkonvertierung E-Book: Bookwire - Gesellschaft zum Vertrieb digitaler Medien mbH

Alle Rechte vorbehalten! Ohne ausdrückliche Erlaubnis des Verlages darf das Werk weder komplett noch teilweise vervielfältigt oder an Dritte weitergegeben werden.

www.delius-klasing.de

PROLOG

1 WIE MAN EINEN EISBÄREN VERTREIBT

2 AN DEN RAND JAKUTIENS

3 ZWISCHENSTOPP PLEISTOZÄN PARK

4 BLUTSPENDEND NACH BILIBINO

5 ÜBER BERGPÄSSE INS BÄRENREICH

6 FURT UM FURT DURCH DIE TSCHAUNEBENE

7 IN DIE BERGE DER EINSAMKEIT

8 OFFROAD DURCHS TSCHAANTALGEBIRGE

9 RENTIERNOMADEN UND WILDWASSERRAFTING

10 ZURÜCK IN DIE ZIVILISATION

EPILOG: WAS WURDE AUS …?

DANKSAGUNG/ANHANG

PROLOG

Steine poltern unter meinen Stiefeln. Es ist das lose Geröll eines Flussbetts, das sich wie eine gepflasterte Straße durch ein menschenleeres Tal zieht. Karge Bergketten umschließen es, mit graubraunen Flanken und schroffen Gipfeln, die umgarnt von mystischen Nebeln den Himmel zu berühren scheinen. Hin und wieder tröpfelt es aus den grauen Wolken, doch der richtige Regen bleibt zum Glück hinter mir und zieht in einzelnen Vorhängen ein fernes Seitental hinauf. Auch die sonst scharenweise über mich herfallenden Mücken gönnen mir ausnahmsweise mal etwas Ruhe. Für einen Moment halte ich inne, bleibe einfach mal stehen und lasse all das, was die Natur hier draußen ausmacht, auf mich wirken: Licht und Farben, Gerüche und Geräusche, den Lufthauch des Windes … Und dann höre ich sie wieder – ganz deutlich. Zwischen dem unmerklichen Säuseln der Blätter und dem leisen Plätschern des Wassers steigt sie vielsagend empor: die Stille!

Unterwegs im menschenleeren Tschaantalgebirge

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Ich befinde mich am Rande Sibiriens, am nordöstlichen Ende Russlands, in der arktischen Bergtundra nördlich des Polarkreises. Alaska – Amerika – ist inzwischen näher als der Startpunkt meiner Radreise. Mehr als 1.000 Kilometer habe ich in den vergangenen vier Wochen zurückgelegt, um dem gefühlten Ende der Welt so nahe wie möglich zu kommen. Die letzte Siedlung, in der ich noch einmal meine Proviantreserven auffüllen konnte, habe ich vor drei Wochen hinter mir gelassen. Und die letzte Piste vor fünf Tagen. Menschen habe ich seitdem keine mehr gesehen. Vollkommen offroad stiefle ich nun durch die Wildnis und schiebe mein schwer bepacktes Fatbike durch die Erlen-Aue eines abgelegenen Flusslaufs. Hier folge ich den freien Korridoren zwischen den Büschen und einzelnen Bäumen. Nur hin und wieder muss ich einen aufgezweigten Flussarm durchwaten. Ich komme gut voran, besser als erwartet. Und doch bin ich erschöpft von den Anstrengungen der zurückliegenden Tage. Bis zum nächsten Fahrweg sind es noch mehr als 200 Kilometer, zu Fuß mit einem mehr als 80 Kilogramm schweren Fahrrad also eine utopische Entfernung – wäre da nicht der Fluss, der schon bald genug Wasser führen wird. Ich habe ein Packraft dabei, ein kleines Schlauchboot, mit dem ich diese gewaltige weglose Distanz überwinden möchte. Ein Bikerafting auf einem unbekannten Wildfluss steht mir bevor!

Und so laufe ich weiter und weiter, fast ohne Pause, denn das Unbekannte zieht mich magisch an. Die Aussicht, etwas zu wagen, das zuvor wahrscheinlich noch niemand probiert hat, lässt mich mit Begeisterung nach vorne schauen. Ich bin überzeugt, dass es gelingen wird. Zu viel spricht dafür, ausgerechnet diese Route gehen zu wollen. Gute zwei Wochen bleiben mir für dieses Offroad-Experiment, denn für genau dieses Zeitfenster habe ich noch Proviant dabei. Und falls es knapp werden sollte, kann ich immer noch meine Angel auswerfen … Plötzlich höre ich ein lautes Rauschen. Ich gehe auf die Stelle zu und sehe vor mir den Flusslauf mit einer kraftvollen Strömung hinabfließen. Hier hat er sich das erste Mal vereint und scheint nun genug Wasser für ein Rafting zu führen. Auch auf das Risiko hin, dass es noch ein paar seichte Stellen geben wird, entscheide ich mich kurzerhand für den Umstieg vom Rad auf das Boot. Aus der Radtour wird nun eine Paddeltour! Ich hole mein zusammengerolltes Schlauchboot heraus, blase es mit einem Pumpsack auf und stecke mein vierteiliges Paddel zusammen. Die Gepäcktaschen und Rucksäcke landen im Bootsinneren, das Rad lege ich längs obendrauf. Für mich selbst gibt es nun kaum noch Platz im Boot, also setze ich mich auf das Heck und klemme meine Füße zwischen das Gepäck. Dann stoße ich meinen überladenen Frachtkahn vom Ufer ab, tauche mein Paddel in das glasklare Element und steuere direkt in das Fahrwasser.

Genau in diesem Moment erfasst mich die Kraft des Stromes, die mich mühelos den Fluss hinunterzieht. Ab jetzt gibt es kein Schieben, kein Waten, kein Schleppen mehr. Ich lasse mich einfach mitnehmen vom Lauf des Wassers – ein großartiges Gefühl! Mit einer berauschenden Geschwindigkeit flitze ich schwerelos über den steinigen Flussgrund. Büsche und Bäume ziehen lautlos an mir vorbei. Ich genieße die neue Perspektive auf das wilde Land und fühle mich auf einmal mittendrin. Doch ich muss auf der Hut sein. Ich bin allein in einer Gegend, in die es bisher kaum einen Reisenden verschlagen hat. So sehr ich auch recherchierte, über die bevorstehende Route zu Fluss konnte ich keinerlei Informationen finden. Ich werde mich also ganz und gar auf meine Erfahrungen und mein Gespür verlassen müssen, um stets die richtigen Entscheidungen zu treffen. Doch dann passiert etwas, das ich an diesem weltabgeschiedenen Ort nie für möglich gehalten hatte …

Das Tal des Gillenumkyveem gibt meine Marschrichtung vor

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Als der Fluss genug Wasser führt, steige ich auf mein Schlauchboot um

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1

WIE MAN EINEN EISBÄREN VERTREIBT

Sie hat mich wieder gepackt: die Sehnsucht nach Weite, Wildnis und Wanderleben, nach neuen Erfahrungen, Begegnungen und Herausforderungen. Sehnsucht – nach neuen Abenteuern, auf eigene Faust, zu unbekannten Orten … Gut ein Jahr nachdem ich mit dem Fahrrad in die sibirische Arktis bis an das gefrorene Polarmeer fuhr, zieht es mich erneut an den Rand Eurasiens. Ich will nach Tschukotka, dem nordöstlichsten Zipfel Russlands, gleich gegenüber von Alaska! Viele Jahre schon träume ich davon, in diesen geheimnisvoll abgelegenen Landstrich einzutauchen, ihn wie ein Pionier selbst zu entdecken und zu erkunden, und mich mitnehmen zu lassen vom ursprünglichen Leben der einheimischen Bevölkerung. Dort gibt es sie noch: Menschen, die im großen Stil mit ihren Rentieren umherziehen und das ganze Jahr über in Zelten aus Tierhäuten leben. In einem riesigen Gebiet, das vollkommen abgeschnitten ist von der Außenwelt, erreichbar nur aus der Luft oder über das Wasser. Oder im Winter über den Zimnik „Arktika“, einer mehrere Tausend Kilometer langen Eispiste über gefrorene Flüsse und Sümpfe, die nur von Dezember bis April eine direkte Landverbindung zum russischen Kernland bildet. Einige Autoexpeditionen sind dieser winterlichen Route bereits gefolgt, um ans Ende aller Wege zu gelangen. Manche von ihnen sogar bis an die Beringstraße, jene schier unüberwindbare Meerenge, die den eurasischen vom amerikanischen Kontinent trennt. Ihr verheißungsvolles Ziel: das Kap Dezhnev, der östlichste Punkt Eurasiens, benannt nach dem russischen Seefahrer Semjon Dezhnev, der 1648 als erster Europäer hierher gelangte. Diese letzte Landmarke befindet sich so weit im Osten, dass sie schon wieder im Westen liegt: auf 169 Grad und 39 Minuten westlicher Länge. Hier endet nicht nur der Kontinent, hier endet auch der Landweg, das Weiterkommen, die Weltkarte, die Zeitzone, das Datum. Es ist in vielerlei Hinsicht das sprichwörtliche Ende der Welt.

Neugieriger Eisbär an der Nordküste Tschukotkas

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Die zwei Lebenswelten der Tschuktschen: Die einen leben von der Rentierzucht, die anderen von der Waljagd

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Als ich vor etwa zehn Jahren das erste Mal über eine Radreise in diese abgelegene Region nachdachte, glaubte ich, dass eine solche nur im Winter auf Eispisten möglich sei. Doch irgendwann entdeckte ich beim Reinzoomen in die Google-Maps-Satellitenbilder, dass es inzwischen einen aufgeschotterten Fahrweg gibt, der sich durch das komplette Land der Tschuktschen zieht: vom Dorf Anjujsk im Westen bis zur Küstensiedlung Egvekinot im Osten. Ein über 1.300 Kilometer langer Weg quer durch das weitgehend unbesiedelte Landesinnere nördlich des Polarkreises, der bis heute in keinem Atlas und keiner Karte verzeichnet ist, da er ganz offensichtlich erst nach der Jahrtausendwende gebaut wurde. Damit wurde mir auf einen Schlag klar, dass eine Radreise durch Tschukotka auch im Sommer möglich sein sollte. Anstelle einer Winterreise, eine nicht minder spannende Variante, dieses abgeschiedene Land zu erkunden – vielleicht sogar die spannendere, da fast niemand von ihr weiß. In zehn Jahren der aufmerksamen Recherche fand ich lediglich zwei Berichte, die eine sommerliche Befahrung dieser mysteriösen Schotterpiste dokumentieren. Von einem russisch-polnischen Radreiseduo, das 2006 von Egvekinot teilweise trampend bis zur Polarhafenstadt Pevek fuhr[1]. Und von einer polnischen Motorradgruppe, die es drei Jahre später schaffte, die komplette Strecke von Anjujsk bis nach Egvekinot zu fahren, nachdem sie mit Frachtschiffen über den Fluss Kolyma an den Startpunkt der Schotterpiste gelangte[2]. Zwei Berichte, die mich regelrecht anstachelten, es ihnen gleichzutun …

Und so wandert mein Finger dieser einen imaginären Linie folgend über die Landkarte des nordöstlichen Sibiriens: vom Dorf Anjujsk am Rand der Kolyma-Sümpfe nach Bilibino, der einzigen größeren Siedlung im fast unbesiedelten Landesinneren, von dort weiter durch das Tschaun-Tiefland und über das Tschuktschengebirge bis hin zum Küstenort Egvekinot an der Beringsee. Es ist die längste direkte Strecke, die ich mit dem Fahrrad durch Tschukotka fahren könnte! Doch dann blitzt mir eine verrückte Idee durch den Kopf. In Gedanken spinne ich ein paar wagemutige Alternativen durch. Gibt es da vielleicht noch die Möglichkeit einer lohnenswerten Verlängerung? Unweigerlich wandert mein Finger weiter nordwärts: von Egvekinot zu einer alten Bergbausiedlung namens Iul’tin – entlang einer Stichstraße, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg von Gulag-Häftlingen erbaut wurde. Kurz vor Iul’tin kreuzt diese Straße einen größeren Fluss, der wie eine Fortsetzung des Fahrweges weiter nach Norden strebt: die Amguema. Mit einem kleinen Schlauchboot im Gepäck wäre ich in der Lage, diesen Fluss bis an die Küste der Tschuktschensee hinab zu paddeln, und könnte dann noch offroad am Strand bis zum Walfängerdorf Vankarem oder gar Nutepel’men radeln. Das wäre doch ein Hammerfinale! Zumal so etwas bestimmt noch keiner gemacht hat. Denke ich mir … Bis ich Ende April 2018, etwa zwei Monate vor meinem geplanten Tourstart, eine E-Mail mit kyrillischem Text eines mir unbekannten Absenders erhalte.

Hallo Richard! Mein Name ist Njurgun. In den Jahren 2006 bis 2013 reiste ich mit Fahrrad und Kajak von Jakutsk bis zur Beringstraße (Kap Dezhnev). Ich war aber nicht durchgängig unterwegs, sondern sechsmal, für jeweils zwei Monate, als ich Urlaub bei der Arbeit bekam. Wenn du Fragen hast zu den einzelnen Teilen der Route, werde ich sie gerne beantworten. Mit freundlichen Grüßen, Njurgun Efremov[3].

Im Anhang eine Übersichtskarte mit seiner grob skizzierten Route, auf der klar zu erkennen ist, dass er im Sommer 2011 von Egvekinot nach Vankarem und Nutepel’men ging, also genau die Strecke, die ich eben noch für meine eigene, total verrückte Schnapsidee hielt. Dieser Teufelskerl! … Wie sich herausstellt, hatte er in Jakutsk von meinem Plan erfahren, und zwar von Michail Mestnikov, dem Chef der lokalen Tourfirma inYakutia, den ich vor drei Jahren im Vorfeld meiner ersten Wildnisexpedition zum Ochotskischen Meer kennenlernte. Michail hilft aus, wo er kann, und hat meine ambitionierten Touren seither gerne unterstützt. Diesmal bat ich ihn, eine Sondergenehmigung beim russischen Geheimdienst FSB für den Ort Tscherskij zu erwirken, der sich in der Nähe meines geplanten Startpunkts Anjujsk befindet und über einen leicht zu erreichenden Flughafen verfügt. Dieser Ort liegt nämlich in der streng kontrollierten arktischen Grenzzone Jakutiens, in die man nur mit einem sogenannten Propusk gelangt, einem Permit, das vom FSB genehmigt werden muss. Da sich der Antrag dafür nur vor Ort in Jakutsk einreichen lässt, war ich auf seine Hilfe angewiesen. In diesem Zusammenhang schrieb ich ihm auch ein paar Details zu meiner geplanten Route durch Tschukotka und skizzierte ebenso die Idee mit der Verlängerung nach Vankarem. Und dann fand der Plan irgendwie zu Njurgun und Njurgun zu mir.

Der Jakute Njurgun Efremov war schon dort, wo ich hinwill: mit Bike und Boot an der Nordküste Tschukotkas

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Aber ist das jetzt schlecht für die Reisemoral, wenn eine vermutete Erstbegehung gar keine mehr ist? Nein, natürlich nicht! Ganz im Gegenteil: Dass jemand meinen verwegenen Plan schon in die Tat umgesetzt hat, bestätigt doch auf eine wunderbare Weise, dass auch verrückt erscheinende Ideen es verdienen, ernst genommen zu werden. Das Wissen darüber befeuert mich sogar in meinem Vorhaben! Zumal ich jetzt die Möglichkeit habe, aus erster Hand mehr über die Herausforderungen dieses Streckenabschnitts zu erfahren. Ein Thema lässt mich nämlich schon seit Längerem nicht mehr los: Wie ist dort die Eisbärensituation im Juli und August? Bisher schätzte ich die Lage so ein, dass sich im Hochsommer das Meereis und damit das Jagdrevier der Eisbären so weit von der Küste entfernt, dass eine Begegnung mit dem König der Arktis eher unwahrscheinlich ist. Allerdings hatte ich auch schon davon gelesen, dass sich einige Eisbären immer wieder dazu entscheiden, am Festland zu bleiben, und sich nicht wie üblich mit dem Eis aufs offene Meer hinaustreiben lassen. Durch die allgemeine Erwärmung der Arktis und das zunehmende Zurückweichen des Eises, könnte sich diese Situation durchaus verschärft haben. Njurguns Antwort darauf fällt unerwartet deutlich aus:

Schon direkt an der Mündung des Flusses Amguema kannst du auf Eisbären treffen! Sie sind immer da, sie treiben nicht weg mit dem Eis, sondern ernähren sich von toten Meerestieren am Strand. Überall an der gesamten Küste nach Vankarem kann es Eisbären geben! Auch Braunbären laufen am Strand entlang. Ein- oder zweimal am Tag wirst du mit Sicherheit diesen oder jenen begegnen.

Die Eisbären sind tagsüber gut zu erkennen, sie sind fast immer weiß, schreibt mir Njurgun weiter. Steige auf jede Anhöhe an der Küste und inspiziere den Strand mit einem Fernglas. Wenn du einen großen weißen oder gelbgrauen Stein siehst, der seine Position ändert, dann ist es ein Eisbär. Da du ihn natürlich nicht stören oder bedrängen solltest, vor allem wenn er etwas frisst, ist es ratsam, ihn entlang der Tundra oder auf der Lagune zu umgehen. Auf dem Seeweg wirst du nicht vor ihm davonschwimmen können, auf der Jagd schwimmt er kurze Strecken schnell wie ein Motorboot! Wenn du ihn im Wasser triffst, solltest du nicht dein Paddel schwingen, es ist besser, sich von Wind und Strömung an ihm vorbeitreiben zu lassen. Im Meer schwimmend drückt er seine Ohren an den Kopf und verschließt seine Augen, deshalb kann es sein, dass er dich in der Ferne nicht bemerkt. Falls du keine Möglichkeit hast, den Eisbären zu umgehen, warte, bis er von alleine verschwindet oder vertreibe ihn von Weitem mit Schüssen aus der Raketnitsa (Signalstift zum Abfeuern von Leuchtpatronen). Sei ansonsten vorsichtig, wenn du dich Gruben oder Hügeln näherst – dort verstecken sich gerne Eisbären mit ihren Jungen vor dem Wind, um die Nacht zu verbringen.

Das sind schon mal eine Menge hilfreiche Tipps. Aber was, wenn es doch mal zu einer direkten Konfrontation kommt? Ich hake nach, und nun folgt eine lange Antwort mit sehr detaillierten Verhaltenstipps. Schon ein Jahr zuvor hatte sich Njurgun die Mühe gemacht, all sein Wissen für eine allein reisende Frau zusammenzutragen. Doch die Korrespondenz verschwand unwiederbringlich, und so muss er sich noch einmal von Neuem erinnern, was ihm die Tschuktschen einst beigebracht hatten:

Wenn ein Eisbär plötzlich in deiner Nähe erscheint, dann raten die Tschuktschen, einen hellen Stock in einem Winkel von 45 Grad vor sich in die Höhe zu heben, damit er den Walrosszähnen ähnelt, die zur Verteidigung erhoben werden. Der Bär wird dann versuchen, dich von der Seite anzuspringen. Dementsprechend drehst du dich zu ihm, mit dem Stock in seine Richtung. Ein Eisbär springt übrigens nicht ohne Vorbereitung. Wenn er springen will, legt er sich flach auf den Boden, die Ellbogen seitlich ausgestreckt, den Kopf nach unten geneigt und die Ohren an den Kopf gepresst. Fast genau wie eine Katze, die sich zum Sprung bereitmacht. Ein Eisbär springt bis zu 20 Meter weit. Aber meist schnüffelt er zuerst und nähert sich dabei auf zehn bis fünf Meter, von dort kann er dann versuchen, dich anzuspringen. In diesem Fall ist es notwendig, laut zu zischen, halb zu pfeifen und dabei in die Hocke zu gehen, um einen unangenehmen Ton zu erzeugen. Kombiniere diesen Trick mit dem erhobenen Stock (es kann auch ein Paddel sein). Oder schreie mit unangenehmer Stimme und schlage auf einen Topf oder anderes Metall – Eisbären mögen keine metallischen Klänge. Du kannst auch versuchen, Steine auf ihn zu werfen. Persönlich habe ich keine Steine geworfen. Es ist Kotschnev, der so verfährt, er tritt sie mit seinen Füßen.

»In der offenen Tundra halte für die Nacht besser nicht an. Gehe, bis du eine Hütte vorfindest, gehe notfalls einen ganzen Tag ohne Schlaf, aber versuche, eine Hütte zu finden. Wenn du dich einer Hütte näherst, wirf Steine auf sie und schreie.«

Anatoli Kotschnev ist in Russland ein bekannter Wissenschaftler, ein Spezialist, was Eisbären und Walrösser in Tschukotka angeht. Schon seit 35 Jahren widmet er sich der Erforschung dieser Tiere, ihres Verhaltens und ihrer Lebensräume. Zehn Jahre war er auf der Wrangelinsel stationiert, einem großen Inselreservat höchster Schutzkategorie, das sich nördlich von Tschukotka inmitten der Tschuktschensee befindet und als größte Geburtsstube der Eisbären gilt. Auch ihn schreibe ich an, frage nach Abwehrmethoden und wo man welche Abwehrmittel bekommen kann. Ein freundlicher Kerl, der mir auf Englisch antwortet und mich ebenfalls animiert, eine Raketnitsa mitzunehmen. Unzählige Stunden verbringe ich auf seinem Blog, in dem er viele nützliche wie geistreiche Beiträge zum Thema Eisbärenabwehr verfasst hat[4]. Bemerkenswert ist: In all seinen Forscherjahren hat er nie eine tödliche Waffe gegen einen Eisbären einsetzen müssen, oft hatte er auch gar keine dabei. Und er lebt noch! Wahrscheinlich hat auch Njurgun ihn konsultiert, bevor er zu seiner letzten Etappe aufgebrochen ist.

Ich bitte Njurgun noch um Informationen, ob die Bären auch nachts auf Nahrungssuche gehen, ich am Strand mein Zelt aufbauen kann oder ob es irgendwelche Fischerhütten gibt.

In der offenen Tundra halte für die Nacht besser nicht an. Gehe, bis du eine Hütte vorfindest, gehe notfalls einen ganzen Tag ohne Schlaf, aber versuche, eine Hütte zu finden. Wenn du dich einer Hütte näherst, wirf Steine auf sie und schreie. Sehr oft graben die Küstenbären Löcher unter die Hütten und verstecken sich darin vor dem Wind oder übernachten dort. Bereite viel Brennholz für die Nacht vor. Wenn ein Bär kommt, besonders bei schlechtem Wetter, kann es sein, dass er die ganze Nacht herumläuft und aus der Dunkelheit knurrt, wütend, dass du seine Hütte besetzt hast. Vor allem Bären mit Jungtieren mögen es gar nicht, wenn man ihre Hütte in Beschlag nimmt. Einmal habe ich die Bären die ganze Nacht mit einem hellen Lagerfeuer vertrieben. Sobald das Feuer schwach wurde, versuchten sie, näher an ihre Hütte heranzukommen. Es ist auch nicht ratsam, in besonders gemütlichen Ecken, in den trockenen Rinnen eines Baches oder an gut vor dem Wind geschützten Orten ein Zelt aufzuschlagen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ein Bär kommt und dort übernachten wird.

Von Njurgun erfahre ich, dass im Sommer viele Eisbären an der Küste bleiben, um sich von toten Meerestieren zu ernähren

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Ansonsten: Leg dich nicht in die Tundra! Jedes liegende Objekt wird von einem Eisbären als Robbe oder Walross wahrgenommen, und sein Jagdinstinkt wird ausgelöst. Daher legen sich die Tschuktschen und Eskimos auf der Jagd niemals auf Schnee oder Eis, in der Nähe kann immer ein Eisbär sein. Die Jäger schlafen sogar an einen Hügel gelehnt, sie liegen niemals waagerecht! Und ihren Platz zum Schlafen umgeben sie mit einem dünnen Seil, das ungefähr in einer Höhe von einem Meter gespannt ist. Nach landläufiger Meinung steigt der Bär nicht darüber und kriecht auch nicht darunter. Er schnüffelt daran und versucht, es zu umgehen.

Ich bin total fasziniert von Njurguns Erzählungen! Während ich seine Zeilen lese, fliege ich in Gedanken über diese fremde Welt im arktischen Norden, immer und immer wieder, um sie in meiner Vorstellung vertrauter werden zu lassen. Bis ins letzte Detail versuche ich mich in all die beschriebenen Situationen hineinzuversetzen, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, auf was ich alles vorbereitet sein muss. Und doch bleibt ein gewisses Unbehagen, denn erst die reale Begegnung mit einem Eisbären wird zeigen, wie gut ich diesen Kosmos an Ratschlägen und Tipps verinnerlicht haben werde. Andererseits: Ein Restrisiko wird es immer geben, man kann nicht auf alles eine unmittelbare Antwort haben. Sich genau damit zu arrangieren – das ist der Kern eines jeden Abenteuers.

Dann frage ich Njurgun noch, ob er Ende Juni in Jakutsk sein wird, denn hier werde ich während meines Hinflugs meinen ersten Zwischenstopp einlegen. Es wäre eine tolle Sache, ihn auch mal persönlich kennenzulernen. Doch dann schreibt er mir, dass er schon längst in den Bergen ist, wo er den Sommer und Herbst über als Geologe arbeitet. Ich denke, wir können uns immer noch eines Tages auf diesem Planeten treffen – Menschen mit solchen Hobbys, wie du und ich, gibt es nur einmal unter zig Millionen!, fügt er hinzu. Damit deutet er etwas an, das mir noch nicht in den Sinn gekommen ist, die bevorstehende Zeit aber nachhaltig prägen wird. Denn es werden vor allem die zufälligen Begegnungen sein, die diese Reise zu einer unvergesslichen werden lassen – Begegnungen mit außergewöhnlichen Menschen, die sich vom nordöstlichen Ende der Welt gleichsam magisch angezogen fühlen.

2

AN DEN RAND JAKUTIENS

Als im 17. Jahrhundert die Kosaken in das ferne Sibirien kamen und am Ufer der Lena einen Außenposten für den Pelzhandel errichteten, war der Grundstein für die Stadt Jakutsk gelegt und mit ihr eine weitere Expansion des Russischen Zarenreiches. Jakutsk diente fortan als Ausgangspunkt für all jene Expeditionen, die noch tiefer in den unerschlossenen Nordosten des Landes führen sollten, und war damit von Beginn an sowohl strategisch als auch logistisch von Bedeutung. Im Grunde ist das immer noch so, denn wer in den nordöstlichsten Winkel Russlands reisen möchte, kommt auch heute nicht umhin, einen Zwischenstopp in der Hauptstadt Jakutiens einzulegen. Und so quartiere auch ich mich hier für ein paar Tage ein, um mich bestmöglich für die Weiterreise nach Tschukotka vorzubereiten.

Schamanische Zeremonie beim Sonnenfest Ysyach

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Mein Gepäck besteht aus drei Teilen: aus meinem Fahrrad und zwei randvollen wasserdichten Tragesäcken, in denen sich meine gesamte Ausrüstung befindet. Mit dem Handgepäck, das ich in eine der vier Radtaschen verfrachtet habe, sind das insgesamt 75 Kilogramm. Etwa acht Kilogramm gehen auf meine Paddelausrüstung, die neben dem Packraft und dem vierteiligen Paddel noch einen Trockenanzug, ein russisches Watstiefel-Paar und eine aufblasbare Schwimmweste enthält. Das alles lasse ich in einer Gepäckaufbewahrung direkt im Flughafen zurück, da ich in Jakutsk noch nichts davon brauchen werde. Ich möchte hier nur ein paar wichtige Dinge besorgen und dann weiter nach Tscherskij fliegen. Das Ticket für diesen Anschlussflug kaufe ich mir an der nächstbesten Aviakassa.

Dann verlasse ich das Gebäude und begebe mich zum Busplatz. Die Linie 4 bringt mich in die sieben Kilometer entfernte Innenstadt. Den ersten Tag bin ich bei Tatjana und ihren Töchtern Sina und Aljona eingeladen, die ich vor elf Jahren während meiner ersten Jakutien-Reise kennengelernt habe. Als ich ankomme, ist der Tisch schon gedeckt, es duftet nach landestypischen Köstlichkeiten. Aljona bereitet gerade einen Tee vor. Beim Essen kommen wir ins Gespräch. Tatjana spricht kein Deutsch und auch kein Englisch, also versuchen wir uns auf Russisch auszutauschen. Hin und wieder springt Aljona ein und übersetzt, denn sie arbeitet an der Schule als Englischlehrerin. Ich erfahre, dass es ein Fest gibt – das Ysyach (jakutisch „Ыhыах“). „Ja, es ist das wichtigste Fest des Jahres. Eine Art Neujahrsfest oder auch Sommerfest, das immer während der längsten Tage des Jahres stattfindet. Du solltest es dir unbedingt anschauen! Sina ist schon dort und erwartet dich. Wenn du gegessen hast, rufen wir ein Taxi, das dich hinbringt.“ Sie selbst wollen nicht mitkommen, also mache ich mich kurz darauf alleine auf den Weg.

BEIM SONNENFEST YSYACH

Es geht nach Norden aus der Stadt heraus. Bis zur Festwiese Us Chatyn sind es etwa 20 Kilometer, gegen 18 Uhr komme ich an. Vom staubigen Parkplatz führt eine Fußgänger-Holzbrücke direkt aufs Festgelände. Im ersten Moment bin ich regelrecht erschlagen von den Menschenmassen, es geht zu wie auf einem überdimensionierten Rummel. Neben etlichen Verkaufsständen mit traditionellem Kunsthandwerk werden Sportwettkämpfe, Pferderennen und Tanzaufführungen geboten. Ein Großteil der Besucher kommt in traditionellen farbenfrohen Gewändern. Auch Sina hat sich festlich gekleidet und trägt ein langes weißes Kleid. Wir treffen uns wie vereinbart in einem Bereich mit prächtigen Holzhütten und schlendern gemeinsam über den riesigen Platz.

Überall schmücken bunte Bänder die Hütten, Jurten und Totems, um sie vor den bösen Geistern zu schützen. Zwischen diesen sehen wir eine größere Gruppe an Menschen, die sich zum Sonnentanz Osuochaj zusammengefunden hat. Mehrere Kreise bildend, fassen sie sich an die Hände und tanzen singend Runde um Runde ihren Reigen. Ganze zwei Tage soll dieser Tanz andauern – ununterbrochen, ohne Pause! Er symbolisiert den Kreislauf des Lebens und die Einheit der Menschen. In unmittelbarer Nähe befindet sich auch ein riesiges hölzernes Abbild des Weltenbaums Aal Luuk Mas, der in der jakutischen Mythologie das Zentrum der Welt verkörpert. Hier legen die Besucher ihre Hände auf und schreiten mit teils geschlossenen Augen im Uhrzeigersinn herum, um sich etwas zu wünschen. Auch ich begebe mich zu diesem Baum und wünsche mir gutes Gelingen bei der Umsetzung meines Reiseplans.

Wir bleiben bis in die Nacht hinein, denn um zwei Uhr morgens soll hier noch ein besonderes Ritual abgehalten werden. Als es so weit ist, begeben wir uns zu einem abgegrenzten Platz am Rand der Festwiese, etliche Menschen haben sich hier schon versammelt. Im fahlen Dämmerlicht sehen wir eine Handvoll junger Frauen in farbigen Gewändern andächtig über den kreisrunden Platz schreiten. Jede von ihnen trägt ein Schälchen in den Händen, aus denen rauchige Schleier emporsteigen, die sich allmählich zu einem mystischen Nebel verdichten. Rhythmische Trommeln ertönen, begleitet von archaischen Naturlauten aus menschlichen Kehlen. Eine weitere Gruppe junger Frauen erscheint, blütenweiß erstrahlen ihre luftigen Gewänder. Mit grazilen Bewegungen schweben sie über die vernebelte Wiese und imitieren voller Anmut den Tanz der Schwäne. Nach einer Weile weichen sie an den Rand und es kommen entschlossenen Schrittes ein paar Männer hinzu. Sie tragen helle lange Mäntel mit spitzen Zipfelmützen und positionieren sich um einen Haufen Holzscheite im Zentrum des Platzes. Ehrfürchtig recken sie ihre Arme dem Firmament entgegen, murmeln ein paar Gebetsformeln und entfachen schließlich ein Feuer. Lichterloh steigen die Flammen in den Himmel, während plötzlich Tausende Menschen schweigend ihre Hände erheben – der aufgehenden Sonne entgegen.

Rhythmische Trommeln ertönen, begleitet von archaischen Naturlauten aus menschlichen Kehlen. Eine Gruppe junger Frauen erscheint, blütenweiß erstrahlen ihre luftigen Gewänder. Mit grazilen Bewegungen schweben sie über die vernebelte Wiese und imitieren voller Anmut den Tanz der Schwäne.

Es ist der Höhepunkt des Ysyach-Festes. Mit dieser Sonnenaufgangszeremonie huldigen die Jakuten den Göttern und Geistern des Landes, der Wiederbelebung der Natur, dem Höhepunkt des Lichts. Es ist faszinierend zu sehen, wie sich eine halbe Stadt zu einem heidnischen Zeremoniell versammelt und dieses voller Stolz und Überzeugung feiert – Junge wie Alte, Reiche wie Arme, Menschen aus allen Schichten der Gesellschaft, Jakuten vor allem, aber auch einige wenige Russen. Westliche Touristen sehe ich so gut wie keine, zumindest sind sie nicht erkennbar für mich.