Mit Rad Und Zelt - immer der Nase nach - Bernhard Inderst - E-Book
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Mit Rad Und Zelt - immer der Nase nach E-Book

Bernhard Inderst

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Beschreibung

Als frisch gebackener Rentner fährt der Autor mit dem Fahrrad von München nach Lissabon und zurück. Diese Strecke, die er in vergangenen Jahren vielfach mit Auto oder Flugzeug zurückgelegt hatte, erlebt er ganz neu: langsam, aus einer anderen Perspektive, nahe an der Natur und inmitten verschiedenster Gerüche und Eindrücke. In seine unterhaltsamen Erzählungen mischen sich Anekdotisches, Lyrisches, erstaunliche Alltagserfahrungen und Reflektionen über die vielfältigen Reize der Natur und Kultur Westeuropas – und über die großen Veränderungen der Städte durch Tourismus und Gentrifizierung. Einen exemplarischen Schwerpunkt bildet der Zielort Lissabon, die Stadt der Kindheit und Jugend des Autors. Im Anhang beschrieben sind die "vier Hauptsätze des Fahrradfahrens" mit praktischen Tipps für Fernradreisende jeden Alters.

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Seitenzahl: 255

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Bernhard Inderst

Mit Rad Und Zelt - immer der Nase nach

Die Neuentdeckung Westeuropas – eine Reise von München nach Lissabon und zurück

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Der Traum

Gerüche als Duftmarken

Neugier als Motivation

Das EuroVelo Netz

Deutschland – Süd, reloaded

Durch die Schweiz – eine eigene Welt

An der Rhône – träge und schön

In Langedoc-Rousillon an der Küste,- endlich das Mittelmeer

Catalunya, das Land zwischen Pyrenäen und Meer

Illes Balears- wundervoll … voll

Communidad Valenciana, im Land… des Reises

Andalucia- ésta es mi tierra

Algarve und Alentejo – Zwischen Lagunen und Stränden

Lissabon, weißt du…?

Stadt meiner Jugend

Zwischen Gentrifizierung und Tourismus

Die Zukünfte Lissabons, die neue Saudade

Fado - Moll oder Dur?

Portugal – das andere, das Landesinnere

Auch das ist zu sehen: Waldbrände

Einschub: Schutzregeln vor Waldbrand

Mittelportugal – das Land der Baudenkmäler

Umweltschutz – ja, aber

Nordportugal- das etwas andere Portugal

Die Rückreise - leider

Der Alentejo – traumhaft und einsam

Estremadura – Eintauchen in die Welt der Weiten und der Geschichte

Castilla y León – auf dem Weg nach Burgos

Euskal Autonomia Erkidegoa – rau und schön

Die Aquitaine, wald, wälder, am wäldesten

Poitou-Charentes – historisch und einsam

Centre, der Adel und der Prunk

Erntezeit

Kommunikationsnetze

Insekten

Le Grand Est, Naturparks und Kanalwege

Deutschland – die letzten Meter

Anhang 1: Die 4 Hauptsätze des Radfahrens

Erster Hauptsatz

Zweiter Hauptsatz

Dritter Hauptsatz

Vierter Hauptsatz

Anhang 2: Strukturwandel in West-Europa

Anhang 3: Warum ist Radfahren so viel anders als Autofahren?

Anhang 4: Gängige Meinungen, die falsch sind

Anhang 5: Ängste, die man bekämpfen sollte

Anhang 6: Das Fahrradnetz

Anhang 7: Meine Wünsche an Lissabon

Blog

Impressum neobooks

Der Traum

Mein Dank gilt den vielen Helferinnen und Helfern, die geduldig den Text verbessert haben, vorne weg meine Frau Eva, meine Tochter Anila, Ulla Hempel, Ana Pires, meiner Familie wegen der Findung eines Buchtitels, Maria Sauheitl wegen der Zeichnungen.

Ich habe einen Blog zu diesem Buch eingerichtet. Anregungen, eigene Erlebnisse sind willkommen:

www. velovici.de/westeuropa-dchfsp

Ein Überblick über die Gesamtstrecke

Schon lange hatte ich davon geträumt, mit dem Fahrrad nach Portugal und wieder zurück zu fahren. Ich wollte die Stätte meiner Kindheit wieder entdecken. Immerhin habe ich im Alter von 6 bis 17 mit einem Jahr Unterbrechung in Lissabon gewohnt, meine Freunde dort gehabt, meine Straßen, meine Parks, später meine Tascas, jene Spelunken, in denen die Geschichten aus der Nachbarschaft ausgetauscht werden und in denen ich mich heimlich mit meinen Brüdern oder Freunden traf. Was hat sich seit 1969 geändert? Da ich in der Zwischenzeit immer wieder in Lissabon gewesen bin, meist nur tageweise, war ich natürlich etwas vorbereitet. Ich wollte aber mal wieder über längere Zeit den ´cheirinho de Lisboa´ riechen, den Geruch von Lissabon. Gibt es ihn überhaupt noch, so wie Amália Rodrigues ihn in einem ihrer berühmten Fados besungen hat? In diesem Lied werden die vielen kleinen Gerüche besungen, wie die Cafés am Rossio - dem Hauptplatz Lissabons, die Trambahn, die gerösteten Kastanien, das Basilikum und auch der Fado riecht - nach Einsamkeit.

Nun ist aber auch der Weg das Ziel. Ich will die Touren an den berühmten Flüssen machen, von denen ich so viel gehört und gelesen habe, die Aare Tour, die Rhône Tour, die Loire Tour, die Pisuerga Tour, die Thouret Tour, die Tour am Kanal Marne-Rhein, die Rhein Tour. Alle diese viel beschriebenen Strecken will ich zumindest teilweise befahren und erleben. Ich will die Länder und Landschaften erleben, die ich so oft mit dem Auto, mit dem Bus, mit dem Zug durchfahren habe und die Sprachen dieser Länder auffrischen, wieder erlernen; Sprachen, die mich seit meiner Jugend begleiten.

Insbesondere seit von der Europäischen Union 1995 das EuroVelo Netz gefördert wird, sind diese Strecken noch attraktiver geworden. Ein bislang fast 56 000 Kilometer langes Fahrradnetz ist in Europa entstanden, von Nord-Norwegen bis Süd-Portugal und Athen, von West-Frankreich bis Odessa am Schwarzen Meer. Das Fahrradnetz führt durch Europas schönste Landschaften, an den schönsten Seen vorbei, durch Naturschutzparks, in die kein Auto hineinkommt, auf speziell angelegten Wegen entlang der Étangs, marismas, rias, Sumpfmeere und Strände des Mittelmeers und des Westatlantik. Die Wege, die ich fahren will, führen auch genau an den Flussläufen entlang.

Meine Tour ist relativ schnell geplant: Ich will über die Südküste Frankreichs und Spaniens in die Algarve nach Portugal einreisen und über die Nordküste Spaniens und Westküste Frankreichs wieder zurückradeln. Da Hotels auf einer sechsmonatigen Reise zu teuer sind, will ich die Nächte auf Campingplätzen verbringen. Die Tour soll nicht zu stressig sein, daher plane ich, immer drei Tage zu fahren, mich einen Tag auszuruhen und dort, wo es besonders schön ist, einen Extra-Pausentag einzulegen.

Dabei ist es eigentlich egal, ob ich manche Gegenden schon mit dem Auto durchfahren habe oder nicht, denn für mich sind Fahrradfahren und Autofahren sehr unterschiedliche und nicht vergleichbare Reiseformen - selbst dann, wenn Autos und Fahrradfahrer auf der gleichen Straße fahren. Denn durch das Fahren auf einem Rad werden auch bereits vertraute Strecken zu einem neuen Erlebnis (siehe Anhang „Warum ist Radfahren so viel anders als Autofahren?“)

Gerüche als Duftmarken

Dennoch ist der größte Teil der Strecke für mich neu, bis auf ein paar Innenstädte, die ich im Laufe meines Lebens schon einmal besucht habe. Meine Vorfreude gilt der Erwartung, frische Luft und die Düfte von Blumen und Bäumen zu riechen, ohne von lästigen Autoabgasen umgeben zu sein.

Gerüche im Allgemeinen werden zum Leitmotiv meiner Tour. Die unterschiedlichen Gerüche zwischen den Ländern Mitteleuropas und des Mittelmeers, zwischen Frühling und Herbst, die Palette der Jahreszeiten und der unterschiedlichen Flora tragen dazu bei, dass diese Reise im Nachhinein so unvergesslich und wertvoll wurde.

In der Tat macht der Geruchssinn eine erstaunliche Wandlung durch, wenn er es wieder erlernt hat, auf die feinen Unterschiede in der Natur einzugehen, wo er vorher als „Stadtnase“ eigentlich nur zwischen Benzin- und Dieselabgasen der Autos und LKWs oder den besonders stinkenden Abgasen der Mopeds unterscheiden musste.

Sie alle sind zu entdecken: die Düfte der Gräser, Blumen, Blüten oder Sträucher, einzeln auf einer Wiese, in der Steppe oder im Wald, wo durch die Vielfalt der Bäume weitere Gerüche hinzukommen.

Zuerst errieche ich Süddeutschland mit seinen vielen Laubbäumen, Fichten und Tannen. All diese Gerüche haben weitere Facetten, je nach Jahreszeit, im Frühling, wenn alles nach Entfaltung strebt oder im Herbst, wenn alle Bäume noch einmal ihr Bestes geben, in den verschiedensten Farben leuchten und ihre Früchte der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Zu diesem Herbst gehören auch die zahllosen Düfte von reifem Obst, bevor die Pflanzen langsam einen vorrübergehenden Rückzug antreten, um im nächsten Frühling wieder ihre Pracht zu entfalten.

Dann rieche ich die Düfte der Schweiz, ein Land, in dem das Klima bereits einzelne mediterrane Pflanzen zulässt, das aber ansonsten noch voll im Einfluss des Binnenklimas liegt. Spätestens in Südfrankreich errieche ich eine Veränderung der Fauna und Flora, wenn Kiefern, Palmen oder Lavendel immer öfters zu sehen sind. Tannen verschwinden langsam aus der Natur, Wälder aus Pinien oder Eukalyptus nehmen zu, am besten riecht jedoch für mich eine Mischung aus allem.

Am Meer schließlich kommt das salzige Meerwasser zu diesen Gerüchen hinzu, jede Meereswelle wird zum Geruchserlebnis, wenn die Gischt ihre gesammelten Duftnoten, die das Meer zu bieten hat, in die Umwelt verströmt.

Alle Pflanzen bekommen eine neue Duftnote. Wer kennt es nicht, die Dinge riechen plötzlich anders, sie schmecken anders und in der Folge ändert sich auch die persönliche Stimmung.

Kann man die Übergänge der einzelnen Vegetationszonen bewusst verfolgen? Ja, man kann, auch wenn sie schleichend stattfinden. Die Veränderungen sind z.B. an den Vorgärten zu erkennen, in denen bestimmte Strauch- oder Baumsorten immer häufiger vertreten sind, z.B. der Oleander, das Wandelröschen als Kletterpflanze oder der Ginster. Man sieht es auch an der Bepflanzung der Felder, wenn plötzlich Olivenhaine auftauchen, oder gar Korkeichen. Um trotz der schrittweisen Veränderungen eine Art Linie zu ziehen: Für mich persönlich ist dieser Übergang der einzelnen Vegetationszonen besonders deutlich auf der Höhe von Valence an der Rhône, bzw. auf der westliche Seite in der Höhe von Bordeaux zu erfahren gewesen. Nördlich dieser Region überwiegt die Flora Mitteleuropas, südlich die des Mittelmeeres.

Aber die reine Beschreibung der Flora als Geruchsträger reicht nicht aus, um die Bandbreite der Düfte und Gerüche zu erfassen. Ein Wald riecht anders, wenn es trocken ist als wenn es vorher geregnet hat. Ein sauberer Wald, einer, aus dem Bodenholz sofort entfernt wird, erzeugt weniger Gerüche als wenn viel moderndes Holz herumliegt. Gemähte Wiesen riechen anders als die Wiesen, auf denen Blumen ihren Duft abgeben. Angelegte Parkanlagen riechen anders als ein Wald. Man erkennt am Geruch der Umgebung, welche Tiere sich in der Nähe befinden.

Auch ob man an Flüssen oder Kanälen entlangfährt, macht einen Unterschied, weil die Feuchtigkeit der Wasserläufe ein anderes Mikroklima erzeugt. Es vermengen sich die Gerüche, die das Wasser mitbringt, mit den Gerüchen der umgebenden Flora. Ob Brackwasser, ob frisches Wasser, ob stehendes, ob fließendes Wasser, ob mit Kloake oder Industrieabwässern verseuchtes Wasser, all diese Faktoren tragen dazu bei, unterschiedliche Erinnerungen an einen gewissen Geruch zu binden. „Ah, das war da, wo es so gut gerochen hat“ oder „Ah, das war da, wo es gestunken hat“ - das sind mögliche Attribute einer bestimmten Radpassage.

Es macht einen großen (Geruchs-)unterschied, ob sich in einer gewissen Entfernung das Meer befindet oder nicht. Ob Mittelmeer oder Atlantik, ob der Wind vom Landesinneren oder vom Meer kommt, all das beeinflusst den Geruch der Gegend.

Es riecht anders, wenn Felder an Straßen entlangführen oder nur durch Feldwege getrennt sind. Weite Gebiete, die sich durch Monokulturen auszeichnen wie Sonnenblumen, Mais oder Raps, riechen anders als wenn diese gleichen Pflanzen in einem Mischanbau gepflanzt werden.

Tiere tragen zur Geruchsvielfalt bei. Eine Schweinezucht riecht schon aus einer großen Entfernung - und das nicht gut-, Kuhherden oder gedüngte Felder durch Kuhmist, Freilandzüchtungen von Gänsen, Enten, Hühnern, Tiertransporte in überholenden LKWs bis hin zu verwesendem Fleisch durch überfahrene Tiere, all das trägt zur Vielfalt von Gerüchen bei.

Menschen, die mir begegnen, die ich überhole oder die einen selbst auf Fahrrädern überholen, hinterlassen Geruchsfahnen, Frauen andere als Männer und Kinder. Manche Parfüms riechen gut, andere sind nicht zu ertragen. Manche Kleidung sollte mal wieder gewaschen werden. Vielleicht habe auch ich das eine oder andere Mal solch eine Geruchsfahne hinterlassen.

Auch Straßen tragen je nach Verkehr entscheidend zur Geruchslage bei. Es gibt eine kritische Dichte des Verkehrs, ab der verschiedene Gerüche der Natur nicht mehr zu unterscheiden sind. Dafür rieche ich die Unterschiede der verschiedenen Abgase. Ich rieche, ob ein Motor vollständig verbrennt, ob es sich um Diesel oder Benzin handelt, ein Moped stinkt besonders stark.

Industrieanlagen verändern die Geruchslage radikal. Ich kann die verschiedenen Fabriken riechen, bei manchen errate ich sofort, was darin produziert wird. Fabriken, die Lebensmittel produzieren, bergen die Gefahr, dass mir die Lust auf dieses Produkt vergeht. So z.B. fahre ich in einer Vorstadt von Sevilla an einer Raffinerie von Olivenöl vorbei, ich kann den Geruch schon von weitem erfassen, er verdirbt mir den Appetit auf Olivenöl. Grausam. Aber auch sonst bin ich froh, wenn die Industriegebiete nicht allzu groß sind und man sie schnell durchradeln kann.

Städte haben natürlich auch eigene Gerüche. Viele dieser Gerüche in einer Stadt setzen sich zusammen aus einem bestimmten Gemisch von Abgasen - und natürlich - zubereitetem Essen, den Cafés, Restaurants. In Frankreich kann man riechen, wo sich die Boulangerie, der Bäcker oder ein Café in der Nähe befindet. Jede Kanalisation riecht anders, manch Gullydeckel und manche Mauerecke als Pissoir veranlassen die sofortige schnelle Flucht. Reine Schlafviertel, tagsüber verlassen, riechen anders als Viertel, in denen tagsüber sichtbar ein buntes Treiben herrscht. Viertel mit mittelständigen Werkstätten, z.B. Autogaragen, riechen anders als reine Industriegebiete.

Insgesamt kann ich sagen, dass kein Geruch zweimal vorkommt; jeder Umgebung wohnt ein eigenes Gemisch von Duftstoffen inne, die einmalig sind und durch ihre Vielfalt als eine unverwechselbare Duftmarke eines bestimmten Orts zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Wetterlage zu einer bestimmten Tageszeit bezeichnet werden kann.

Radfahren stärkt den Geruchssinn und ermöglicht es, diese Duftmarken zu differenzieren und im Gedächtnis zu bewahren. Bei manchen Gerüchen ist man froh, dass sie nur kurzfristig sind und man sie schnell durchradelt hat, bei manchen bleibt man stehen und genießt sie und stellt dann fest, dass der Geruch sich permanent ändert. Spannend.

Ein interessanter Aspekt ist auch das von der Fahrtrichtung abhängige Farbenspiel. Während des Radelns in die Ost-West Richtung sticht die Sonne spätestens ab Mittag in die Augen. Da ich es vermeide, eine Sonnenbrille zu tragen, die mir alle Farben eintönig verändert, werden die Farben heller, blauer, weißer; es ist wie eine Aufbruchsstimmung, die mich ansteckt. Schließlich befinde ich mich ja tatsächlich im Aufbruch, in Richtung meines Zieles Portugal. Auf der Rückfahrt dagegen steht die Sonne entsprechend im Rücken, die Tage werden kürzer und dadurch steht die die Sonne viel schneller tief, was sich im Leuchten des Laubs der verschiedenen Baumsorten wiederspiegelt. Das warme Licht der rot-gelb-grün Gemische von Baum und Wiese, gepaart mit einem Tiefblau einzelner Seen machen wehmütig und unterstreichen, dass die Fahrt bald zu Ende geht.

Und - entsprechend dem Geruchssinn- es ändert sich auch der Geschmacksinn entsprechend. Darauf gehe ich Laufe der Aufzeichnung immer wieder ein. Nur so viel: Es schmeckt immer. Liegt es daran, dass man Fahrrad fährt und alle Sinne auf Aufnahme geschaltet hat, liegt es daran, dass ein guter Côte du Rhône Wein eben an der Côte du Rhône einfach durch seine Umgebung anders, meist besser schmeckt, liegt es daran, dass eine salzige Umgebungsluft Lebensmittel mit anderen Zusätzen versieht als zu Hause?

Alles das gehört auch zu einer sich verändernden Wahrnehmung, zu einer Reiseerfahrung.

Neugier als Motivation

Die Motivation entwickelt sich im Laufe der Reise immer wieder neu. Zur Wiederentdeckung der Stätte meiner Kindheit gesellt sich die Neugier auf die Reise selbst. Man kann zwar nicht bei der Planung bereits alle Eventualitäten überblicken, aber die Aussicht auf etwas Neues, Unplanbares macht ja genau den Reiz der Reise aus. Warum ich das mache? Warum ich die Strapazen auf mich nehme? Am Ende bin ich über 5700 Kilometer geradelt, habe 81 Campingplätze aufgesucht, von den 27 Wochen war ich 22 allein unterwegs. Warum? Genau das wurde ich unterwegs 100-mal gefragt. Warum machst du das? Abgesehen davon, dass z.B. in Portugal viele Leute mir erst gar nicht glauben wollten, dass ich mit dem Fahrrad da bin.

Aber für mich ist der entscheidende Punkt: Nicht warum ich diese Reise mache, soll die Frage sein, sondern wie ich meine Neugier stillen kann. Fühle ich mich zufrieden während meiner Reise? Es sind Chancen des Lebens, die ich nutze. Die Fahrradfahrt führt durch die Landschaften West-Europas. Da man natürlich immer nur einen Pfad, einen Weg befährt, stellt sich immer wieder die Frage: Was verpasse ich, weil ich diesen und nicht einen anderen Weg nehme? Nutze ich die Gelegenheit richtig? Am Ende meiner Reise habe ich viele tolle Wege gefunden, aufregende Landschaften entdeckt, gute Luft genossen, aber auch manche Zersiedelung, manchen Kahlschlag, manchen Waldbrand, manche Umweltverschmutzung gesehen, was mich traurig gemacht hat.

Eben weil ich viele der Gegenden von früher kenne, sehe ich auch Veränderungen - positive wie negative. Ich sehe sowohl die Zerstörung, die ungebremste Urbanisierung, die sich in Form von uniformen Neubausiedlungen darstellt, die Industrialisierung als auch manch neuen Naturpark, manche Wiederaufforstung. Das sind Inseln, Inseln für das gute Gewissen. Aber nicht mehr als das. Ein Wald 200 Meter neben einer stinkenden Papierfabrik kann die schlechten Gerüche nicht auffangen. Ein Strand, neben dem ein Industriehafen gebaut wurde, wird immer Müll und Öle enthalten. Ein Dorf, durch das eine vielbefahrene Nationalstraße führt, ist eigentlich tot. Man merkt auf Schritt und Tritt, dass es scheinbar keinen Plan gibt, wie Natur und Industrialisierung in Einklang zu bringen sind. Insellösungen, einzelne Initiativen und lokale Vorstöße prägen das Bild. Natürlich ist es spannend zu beobachten, wie der vermehrte Druck auf die Politik zum Erhalt der Umwelt und zur Renaturierung die Landschaften verändern, aber die meisten Lösungen enden momentan dort, wo die Touristenhochburgen aufhören. Dort gibt es schöne, ausgeglichene Parkanlagen, bewusste Ökobereiche, die jedem Touristen klarmachen sollen, dass die Politik bereits alles Mögliche unternehme. Ein paar Kilometer weiter aber ist nichts mehr von diesen Lösungen zu sehen. Das ist eine traurige Erkenntnis dieser Reise.

Aber zurück zur Neugier. Natürlich mache ich mir Gedanken, welche Neugier auf welche Dinge nun meine Fahrt prägen wird. Sie wird sich nicht nur auf den Wechsel der Landschaften mit ihren verschiedenen Gerüchen erstrecken, sondern auch darauf, unter welchen Lebensumständen die Menschen leben. Wo sind die sozialen Zentren und wie werden sie gelebt? Was macht eigentlich das Stadt-Land-Gefälle in einer bestimmten Region aus? Interessant ist, dass lokale Zentren in Westeuropa maximal 50 Kilometer auseinanderliegen. Wieviel Felder, Wälder und einsame Gegenden ich auch abfahre, nach spätestens 50 Kilometern treffe ich mindestens auf eine mittelgroße Stadt. Da die meisten dieser Knotenpunkte eine lange Geschichte hinter sich haben, vermute ich, dass die 50 Kilometer auch früher schon eine gewisse Größe war, mit der die Menschen sich vernetzen konnten, als es noch keine Autos gegeben hat.

Für mich als einen Menschen, der relativ oft vereist, ist es ein Türöffner, um die Menschen zu erreichen, eine Sprache soweit zu beherrschen, dass ich mich in einem normalen Small Talk unterhalten kann. Ich versuche während meiner Reise konsequent, meine rudimentären Kenntnisse in Französisch und Spanisch zu nutzen, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und weigere mich, auf Englisch weiterzureden, wenn mein Gegenüber auf Englisch antwortet. Gerade auf den etwas abseits gelegenen Strecken ist es ungemein hilfreich, nicht zu erwarten, dass jeder Englisch oder Deutsch beherrscht. Ich hatte mehr als einmal sehr nette Gespräche dadurch. In Portugal war es aufgrund meiner Geschichte natürlich ein Heimspiel für mich.

Beim Durchfahren einer Landschaft, einer Kleinstadt, einer Großstadt spiele ich die Optionen durch: Wie wäre es, wenn ich hier leben würde? Geht das so einfach, aus dem Kontext einer Großstadt auf das Land zu ziehen? Und umgekehrt? Auf dieser Reise erlebe ich hautnah alle Facetten einer Stadt, eines Dorfes oder des Landlebens. Da ich nicht alleine lebe, beziehe ich meine Familie mit ein. Würde meine Frau da mitspielen? Dazu muss ich sagen, dass ich passionierter Großstädter bin und in meinem ganzen Leben nur einmal aufs Land gezogen bin. Das war beim Umzug von Lissabon nach Bayern. Mein Großvater hatte uns eine Wohnung gesucht, in dem gutem Glauben, uns damit Gutes zu tun, mitten in der Landschaft Oberbayerns, eine Wohnung mit Blick in die Berge, aber weit weg von jeder Disco, jedem Kommunikationszentrum. Es war das, was man allgemein unter Kulturschock versteht. Ich war 17 und meinen etwas jüngeren Brüdern erging es nicht viel anders als mir. Wir blieben nicht lange, aber diese Erfahrung hat mich geprägt. Jetzt, 49 Jahre später, sehe ich die Dinge anders und die Bedürfnisse haben sich geändert. Ähnlich wie mein Großvater, der eigentlich nur aus seiner Perspektive handelte. Damals war der Kontakt mit anderen Jugendlichen wichtiger, heute erfreue mich dagegen mehr an schönen Landschaften. Und dennoch: Ist der Mann, der weit von jeder Metropole an seinem Vorgarten bastelt, ist die Frau, die die Wäsche in diesem Vorgarten auf den Wäscheständer aufhängt, sind diese Menschen glücklich in einer Siedlung neben einem ehemaligen, inzwischen verlassenem Dorfkern und vor allem, könnte ich ihren Lebensstil nachahmen? Mit einem Märchen will ich an dieser Stelle auch aufräumen: das Märchen von der guten Luft auf dem Land. Es gibt sie, die gute Luft, aber abseits von einer großflächig betriebenen Landwirtschaft. In diesen Gebieten, in denen Monokulturen vorherrschen, ist die Luft an mehreren Wochen im Jahr geschwängert mit irgendwelchen Chemikalien, die über die Felder versprüht werden und die dann auch über die Siedlungen hinwegziehen, von Wind getragen. Meine Antwort daher vorweg. Ich bin immer noch Großstadtmensch (und meine Frau auch). Mir liegt an einer lebendigen Stadt mehr als an der Einsamkeit auf dem Land.

Das EuroVelo Netz

Es war die Idee des Europäischen Radfahrerverbands und einiger anderer Verbände, ein europäisches Netzwerk aufzubauen, das dann 2012 vom Europäischem Parlament in das TEN Programm (Transeuropäische Netze) zur Umsetzung und Entwicklung des Binnenmarktes übernommen wurde, auch mit Blick auf die Verbesserung des sozialen Zusammenhaltes Europas. Darüber hinaus dienen die Wege der Weiterentwicklung eines sanften Tourismus in Europa, wie in einer Studie der EU über das EuroVelo Netzwerk festgestellt wurde. Weg vom flächenfressenden Ausbau von Autostraßen und Parkplätzen, hin zu einem Zugang zu den Naturschönheiten ohne zu stark auf sie einzuwirken. Ein wertvoller Beitrag hierfür, finde ich.

Das EuroVelo Netz soll 2020 fertiggestellt sein und dann ca. 70.000 Kilometer umfassen. Derzeit (2019) sind es bereits ca. 56.000 Kilometer. Die Wartung der Wege ist Aufgabe der Gemeinden an der Strecke.

Die Wege sind vielfältig, entspannend und meist gut beschildert – mit Ausnahme in Portugal (leider). Nachdem viele Gemeinden entdeckt haben, welch wirtschaftliches Potenzial im Fahrradtourismus stecken kann, entstehen auch viele neue Pensionen und Campingplätze, öffnen neue Kneipen und Bars entlang diesen Strecken, natürlich hauptsächlich in der (Fahrrad-) Saison. Die beginnt in den meisten Ländern im Mai und hört zumeist Ende September auf.

Ich fahre Teilstrecken vieler dieser EuroVelo Strecken:

Hinfahrt:

EV17 (1100 Kilometer Andermatt bis Montpelier -Rhône ) Lausanne bis Aigues-Mortes

EV8 (5900 Kilometer Athen bis Cadiz) Aigues-Mortes bis Agde, Narbonne bis Barcelona, Valencia bis Gandia,

EV1: (8100 Kilometer Nordkap bis Sagres): Huelva bis Lagos, Aljezur bis Lissabon

Rückfahrt:

EV1: (8100 Kilometer Nordkap bis Sagres): Mérida bis Royan

EV 6 (3600 Kilometer Nantes bis Constanta) Saumur bis Orléans

EV 5 (3300 Kilometer London bis Brindisi) Gondrexange bis Sarrebourg

EV 15 (1200 Kilometer Andermatt Hoek van Holland) Lauterbourg bis Karlsruhe

Für die Radfahrenden, mit denen ich mich unterhalte, ist das EuroVelo Netz ein herausragendes Thema. Man fragt nicht, „Wie fährst du“, sondern „Welche EuroVelo Strecke fährst du?“ „Ich fahre die EuroVelo Sechs nach Wien.“ „Ich fahre die EuroVelo Eins nach Marokko“. Die Streckenführung ist damit festgelegt. Es ist eine Sprache, die verbindet. Der europäische Gedanke lebt. Das, finde ich, ist ein großer Verdienst dieses Netzes. Da EuroVelo ein geschützter Name ist, kommt es auch vor, dass die Wege etwas anders heißen. So heißt die EuroVelo 1 in Frankreich Velodysee, aber gemeint ist das gleiche und jeder versteht es auch, da die Kennzeichnung immer das Europazeichen mit der enthaltenen Nummer der EuroVelo Strecke ist.

EuroVelo hat auch einen bestimmten Anspruch. Anspruch an die Fahrbarkeit der Strecke, an deren Ausbau, an deren Zustand. Und tatsächlich, zumindest für die Strecken, die ich fahre, ist es überwiegend so umgesetzt. Es sind wunderschöne Strecken, wo sogar die Kehrmaschine fährt, damit sich das Laub nicht in eine rutschige Masse verwandeln kann. Das habe ich in Frankreich so erlebt.

Manche Strecken allerdings, die nicht dem Netz angeschlossen sind, lassen mich zweifeln, ob an diesen Orten die Idee des Radfahrens angekommen ist. Da sind z.B. die schnell angelegten Fahrradwege, die aber nie wieder gepflegt worden sind, sodass Sträucher inzwischen mitten auf dem Weg wuchern, oder Wege, die auf jeden Hügel führen, ohne Umgehungen, aber mit Steigungen, bei denen man schieben muss, obwohl nebenan die begradigte Schnellstraße verläuft. Das erzeugt ein Gefühl, dass man als Radfahrer doch nicht so richtig ernst genommen wird. So erlebt in Spanien auf der Strecke San Javier nach Murcia.

Während in Frankreich einige der EuroVelo Strecken ausgediente Eisenbahnstrecken sind, die begradigt und nivelliert sind, sehr schön zu befahren, werden in Spanien durchaus auch einfache Feldwege an das Netz eingeschlossen, Wege, auf denen auch die Traktoren der Bauern verkehren. Oder die Sicherheitsstreifen der Nationalstraßen, breit genug, damit ein bepacktes Fahrrad fahren kann ohne Angst haben zu müssen, dass der LKW dahinter einen erfasst. Die gute Nachricht ist, dass gerade in Spanien etwas dafür getan wurde, um solche Situationen zu vermeiden, viele Straßen bekommen einen breiten Sicherheitsstreifen, ausreichend für die Radlfahrer. Daneben gilt in Spanien die Abstandsregel von 1,5 Metern zwischen Auto und Fahrrad, was die meisten Fahrer auch einhalten. In Portugal dagegen sucht man oft vergebens nach einem EuroVelo Schild, es gibt sie schlicht nicht und auch nicht die Fahrradwege. Doch das wird sich in der Zukunft ändern, hoffe ich. Seitenstreifen für Fahrräder sind ebenfalls selten und so bleibt einem oft nur, mitten auf der Straße zu fahren, in der Hoffnung, dass im nächsten Auto ein spanischer Fahrer sitzt, der die Abstandsregel aus seinem Land mitbringt. In Portugal jedenfalls gibt es keine (sichtbare) Abstandsregel. Ich befahre die Straßen in der Mitte, damit die Autos bremsen und richtig überholen müssen, eine gefährliche Annahme, aber weniger gefährlich, als ganz am Rand der Straße zu radeln. Wann immer es geht, fahre ich auf den weniger gefährlichen Nebenstraßen, warte auf Fahrradwege, die als solche auch zu erkennen sind.

Deutschland – Süd, reloaded

Ich fahre los. Es ist der 16. April 2018. Es nieselt und ich beschließe, schon am ersten Tag ein Hotel zu nehmen, in Seeshaupt, am Ende des Starnberger Sees. Ein super Anfang, denke ich. Es ist eigentlich nicht kalt, aber die Aussicht, nun vielleicht ein halbes Jahr immer wieder im Regen zu fahren, lockt mich wenig. Der Vorteil aber ist, dass ich allein auf den Fahrradwegen bin. Ich fahre durch den Forstenrieder Park, an der Autobahn entlang, runter nach Percha, rauf nach Berg, am Schlösschen Berg vorbei, jenem Schloss, von wo aus der Erzählung nach König Ludwig II am 13. Juni 1886 in das Wasser des Starnberger Sees ging und sich selbst das Leben genommen hat - so zumindest die offizielle Version. Doch diese Version enthält viele Ungereimtheiten, viele Indizienfunde widersprechen der Darstellung, seither blühen die Verschwörungstheorien. König Ludwig II wurde in München in einer Gruft der Michaelskirche in der Fußgängerzone bestattet, sein Herz dagegen kam in die Gnadenkapelle nach Altötting.

Trotz des Nieselregens ist es ein gemütlicher, langsamer Beginn der Fahrt. Doch kurz nach Berg steht ein großer LKW mit einer Hochleiter für Baumfällarbeiten im Weg. Ich schiebe das Fahrrad durch die Stabilisierungsstützen des LKWs. Es gibt keinen anderen Weg, der LKW füllt den kompletten Weg aus. Die Baumfäller fragen mich, wo ich denn hinwill, mit so viel Gepäck. Ich sage, dass ich nach Lissabon radle und dies gerade mein erster Tag sei. Sie lachen. Sie glauben mir nicht, es ist ein freundliches Geplänkel. Als ich im Hotel ankomme, hat es bereits aufgehört zu regnen, aber nun ist es schon gebucht. So übernachte ich die erste Nacht im Hotel.

Bild: Das Märchenschloss Neuschwanstein als Versprechen für die Fahrt

Bei der Weiterfahrt Richtung Alpen fällt mir sofort der große Unterschied zur Stadt auf. Auf einmal tanke ich frische Luft, sehe die grünen Wiesen, durchfahre kleine Dörfer. Welch ein Unterschied zur Isar in München, wo es zwar auch grün ist, die Stadtluft sich aber nicht verleugnen lässt.

Die Landschaften, die kleinen Hügel, das Grün, die Fahrradwege, auf denen ich mich allein befinde, die kleinen Wälder (mehr lässt die Landwirtschaft heute nicht mehr übrig), die kleinen Dörfer mit ihren typischen kleinen Geschäften und Dorfkneipen; fast jedes Haus hat einen Vorgarten, ein angenehmes Radfahr-Wetter um die 25 Grad, hinterlassen starke Eindrücke. Ja, ich radle durch Oberbayern Richtung Berge. Das gibt mir ein neues Gefühl, ein Gefühl, jetzt ein halbes Jahr vor mir zu haben, das mich Großstadtmenschen zu einem Menschen der Landschaft und Natur machen wird. Was wird mich erwarten? Das Gepäck wiegt 24 Kilogramm, das Lenkverhalten des Fahrrads ist durch die zwei Taschen vorne mit je drei Kilogramm verändert und etwas instabiler. Habe ich mich richtig vorbereitet? Hält das Fahrrad? Habe ich etwas Entscheidendes vergessen mitzunehmen?

Meine Route führt durch Wald- und Wiesenwege am Alpenrand entlang am Bannwaldsee, vorbei an den Schlössern Neuschwanstein und Hohenschwangau, Füssen und Niedersonthofen. Die Wiesen sind durchwegs gelb, der Löwenzahn blüht. Das schöne Wetter weckt frühlingshafte Glücksgefühle, auch wenn die Strecken zum Teil anstrengend zu fahren sind.

Im Wald fliegt ein Zitronenfalter eine Zeitlang vor dem Fahrradlicht mit und ist lustig angeleuchtet. Ich bin also nicht allein.

Nach Niedersonthofen ist Schieben angesagt, es ist zu steil mit dem Gepäck (ab elf Prozent Steigung), ich bin auf über 1200 Metern Höhe und die Schneegrenze ist nicht weit. Plötzlich endet die Wegführung meiner Fahrrad-App. Der vermeintliche Fahrradweg ist inzwischen eine Wiese. Ich fahre langsam durch die Grasstoppeln. Glücklicherweise ist 100 Meter weiter wieder ein befahrbarer Feldweg, es geht weiter.

Dann bin ich in Lindau, nahe der österreichischen Grenze. Ich komme auf einen der am meisten befahrenen Fahrradwege Deutschlands - den Bodenseeweg von Lindau nach Konstanz. Hier muss ich aufpassen, denn viele der Radfahrer sind das Fahren nicht gewohnt. Auch sehe ich sehr viele, meist ältere Damen und Herren mit einem E-Bike. Tja, das E-Bike macht es möglich, den Straßen zu entfliehen und relativ gemütlich am Ufer des Sees entlang Ausflüge zu machen, selbst dann, wenn man eigentlich nicht mehr die Kraft hat, ein Fahrrad selbst anzutreiben. E-Bikes verändern die Mobilität im Seniorenalter, E-Bikes verändern das Freizeitverhalten. Eine gute Sache, denn diese Menschen sind dann erst einmal weg vom Auto.

In Meersburg nehme ich die Autofähre nach Konstanz. Einmal über den Bodensee. Ich begreife, dass mich auch Fähren auf meiner Reise begleiten werden: größere Autofähren wie von Meersburg nach Konstanz, Barcelona nach Palma de Mallorca, Palma de Mallorca nach Valencia, kleinere Autofähren wie Ayamonte nach Vila Real de Santo Antonio, Troia nach Setúbal, Trafaria nach Lissabon, Le Verdon Sur Mer nach Royan, über den Rhein mit einer Rheinfähre kurz vor Karlsruhe oder schließlich reine Personenfähren wie Teste-de-Buch nach Le Cap Ferret, das Fahrrad auf das Dach des Bootes gepackt. Auf Autofähren habe ich als Radfahrer immer eine Sonderstellung, das merke ich nicht nur hier, sondern durchweg auf den Fähren. Ich fahre in der Warteschlange vor das erste Auto, bin der erste auf der Fähre, fahre ganz bis nach vorne, bin der erste, der wieder runterfährt. Als Fahrradfahrer komme ich sofort ins Gespräch mit den Leuten, die sich erkundigen, wohin ich denn wolle. Ich muss mehr als einmal mit dem Fahrrad und Montur für ein Foto posieren. Ein Fahrrad kostet in der Regel keine Gebühr- ich habe nur einmal einen Euro für die Mitnahme des Fahrrads bezahlt. Die Ticketkosten berechnen sich lediglich in meiner Person. Und es macht Spaß.

Ich fahre also nach Konstanz und erreiche die Schweizer Grenze in Kreuzlingen. Grenze kann man dazu eigentlich nicht mehr sagen. Es ist ein kleines Schild: Konstanz durchgestrichen, unten drunter: Schweiz. Aha, denke ich, die Schweiz hat also den Status einer Stadt. Zumindest bei den deutschen Behörden. Es gibt keinen Grenzbaum mehr, die Straße führt nahtlos von dem einen Land in das andere.