Mit Yoga zur Selbstheilung - Anna Trökes - E-Book

Mit Yoga zur Selbstheilung E-Book

Anna Trökes

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Beschreibung

Yoga ist ein Übungsweg, der in die Selbstwirksamkeit führt. Die Mind-Body-Medizin hat in den letzten Jahren erforscht und erprobt, wie wir mit Yoga unsere Selbstheilungskräfte aktivieren und schulmedizinische Ansätze unterstützen können. Der wichtigste Beitrag des Yoga ist sicherlich, dass es uns darin unterweist, im stressigen Alltag Entspannungsantworten zu finden. Damit wird ein direkter Zugang zur Regulation des vegetativen Nervensystems möglich, was sich nachhaltig stärkend auf unser Immunsystem auswirkt. In diesem Buch findet sich alles Wissenswerte über die Wirkweisen des Yoga auf das Nerven- und das Immunsystem. Es bietet viele Körper-, Atem- und Achtsamkeits-Übungen sowie Meditationen an, die eine wirkungsvolle Stressantwort und Heilunterstützung bewirken.

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Anna Trökes

MIT YOGA ZUR SELBSTHEILUNG

Übungen zur Stärkung unseres Immunsystems

Mit einer Einführung von Dr. Holger Cramer

Wichtiger Hinweis

Die in diesem Buch vorgestellten Techniken, Methoden und Informationen ersetzen nicht den Rat und die Begleitung durch eine(n) erfahrene(n) Yogalehrer/in, Arzt/Ärztin oder Heilpraktiker/in. Eine Haftung für den Eintritt des Erfolges oder eine Haftung für Personen-, Sach- oder Vermögensschäden, die sich aus dem Gebrauch oder Missbrauch der in diesem Buch dargestellten Methoden oder sonstigen Hinweise ergibt, ist für den Verlag, die Autorin und/oder deren Beauftragte ausgeschlossen.

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2019

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: agentur Idee

Umschlagmotiv: © sirirak, AdobeStock; kozyrina, Adobe Stock; Ms.Moloko, Adobe Stock

Illustrationen und Grafiken: Katharina Middendorf

Satz: Felicitas Holdau, Gräfelfing

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, www.le-tex.de

ISBN 978-3-451-81854-7

Inhalt

Die zentrale Rolle von Immun- und Nervensystem

Wie funktioniert das Immunsystem?

Verschiedene Abwehrmechanismen

Unspezifische und spezifische Abwehrsysteme

Einblicke ins Nervensystem

Das Ende der Trennung von Körper und Geist

Die vier Instanzen des Nervensystems

Das zentrale Nervensystem (ZNS)

Bewusstsein und Großhirn

Funktionsfelder der Großhirnrinde

Das »Ich« und das Frontalhirn

Emotionen und Reflexe: weitere wichtige Hirnregionen

Fühlen und Verhalten – und die Botenstoffe im Gehirn

Das vegetative Nervensystem (VNS)

Der Sympathikus und die Stressreaktion

Der Parasympathikus und die Erholung

Warum Stress die Systeme schwächt – und wie Yoga helfen kann

Wie das Notfallprogramm auf Dauer krank macht

Wieso ist chronischer Stress so gefährlich?

Stressempfinden und die Entspannungsantwort

Von der inneren Haltung zur Heilung – und wie Yoga dabei hilft

Zur Einsicht kommen: Was uns krank macht – und was uns heilt

Stressoren der Neuzeit

Ständige Überforderung macht krank

Gesundheit durch inneres Gleichgewicht

Über Homöostase und Allostase

Warum eine mentale Entspannungsantwort wichtig ist

Entscheidend: Der achtsame Ruhe- oder Default-Modus

Wir sind, was wir fühlen und denken

Stressgefühle entstehen durch Bewertungen

Wie unsere Gedanken und Gefühle auf unseren Körper wirken – und umgekehrt

Das Konzept der »somatischen Marker«

Über die Vernetzung von Körper und Geist

Emotionale Reaktionstypen: Wie unser Gehirn Gefühle und Gedanken bestimmt

Das Stirnhirn: Zentrale Schaltstelle für Gefühle und Entscheidungen

Die emotionalen Reaktionstypen nach Davidson

Wie Gedanken und Gefühle die Heilung beeinflussen

Die förderliche Ausprägung der emotionalen Stile stärken

Achtsamkeit als Schlüssel zur Selbstwirksamkeit

Die Polyvagal-Theorie und die drei Aspekte des vegetativen Nervensystems

Die zwei Äste des Parasympathikus

Stephen Porges und sein erweitertes Modell des vegetativen Nervensystems

Die »Vagus-Leiter« und der Totstellreflex im dorsalen Modus

Regulativ: Die vagale Bremse

Die Vagus-Leiter im Alltag

Wie sich Stress aufs Immunsystem auswirkt

Chronischer Stress schwächt das Immunsystem

Erkenntnisse der Psychoneuroimmunologie

Ein tieferes Verständnis dafür, was uns krank macht und was uns heilt

Selbsterforschung dient der Forschung

Die psychosomatische Reaktion bei Stress

Chronisch krank durch Kindheitstraumata

Hilfreich: das kognitiv-behaviorale Stressmanagement

Wege zu einem stabilen und resilienten Nerven- und Immunsystem

Wieder flexibel und anpassungsfähig werden

Achtsamkeit entwickeln

Achtsamkeit: der Begriffskontext

Achtsamkeit im Alltag

Körperbewusstsein entwickeln

Wie wir »körperblind« werden

Die Selbstwahrnehmung mit Yoga schulen

Selbstmitgefühl entfalten

Von Perfektionismus, mangelnder Selbstsicherheit und alten Glaubenssätzen

Selbstmitgefühl wagen

Gefühle annehmen statt ablehnen

Die Einübung einer individuellen Yogapraxis

Klarheit gewinnen mithilfe der vier heilsamen Geistesqualitäten

Das passende Yogaprogramm finden

Der Körper als Ort der Wahrheit

Meditieren lernen

Ein sich selbst organisierender Prozess

Sich Schritt für Schritt dem Zustand der Meditation annähern

Die Selbstheilungskräfte mit Yoga stärken

Durch Gleichmut und Gelassenheit ins innere Gleichgewicht

Yoga – ein Erkenntnisweg

Über Leid und Selbsterkenntnis

Atma Vidya: Yogapsychologie und echtes Wissen

Wer bin ich?

Vom Opfer der Umstände zum Gestalter des eigenen Seins werden

Achtung: Stress kann uns zurückwerfen!

Wege aus dem Leid am Beispiel der Bhagavadgita

Arjunas Erkenntnisweg

Mit Herausforderungen anders umgehen

Wege aus dem Leid mit den Mitteln des modernen Yoga

Wie der Yoga helfen kann

Die yogische Lebenshaltung

Entspannung im Stress finden

Die Wirkung auf der psychoneuroimmunologischen Ebene

Worum es beim Yogaüben geht

Die Yogamatte als Versuchslabor

Die Selbstwahrnehmung schulen

Guten Yogaunterricht erkennen

Durch Gelassenheit in den Entspannungsmodus finden

Immunsystem und Salutogenese stärken

Einführung in die Yogapraxis

Über die Wirkung der Übungen

Der körperliche Aspekt

Der mentale Aspekt

Über das Üben

Die Übungspraxis gestalten

Lächeln

Bewegungsabläufe & Asanas zur Stärkung der Selbstheilungskräfte

Dynamische Kundalini-Übungen für mentale Entlastung und Stressabbau

Die Arme entspannt um den Körper schwingen lassen

Die Arme nach hinten oben schwingen

Arme und Beine über Kreuz schwingen

Rhythmisches Heranziehen des Beins

Rhythmisches Drehen mit den Armen in der Grußhaltung

Übungen und Bewegungsabläufe mit dem Fokus auf Durchlässigkeit

Flankendehnung im Vierfüßlerstand

Bewegungsablauf Kind – Katze – Kind

Bewegungsablauf Kind – Katze – Hund

Der Hund, der sich dehnt (Adho mukha shvanasana)

Übungen zur Entspannung des Zwerchfells

Beckenkreisen im Vierfüßlerstand

Das freudige Hündchen

Krokodil-Varianten

Übungen zur Faszienentspannung im unteren Rücken

Beckenkreisen in der Rückenlage – Füße am Boden

Seitliches Schwingen der Beine

Beckenkreisen in der Rückenlage – Beine am Bauch

Päckchenhaltung (Apanasana-Variante)

Die acht Bewegungsrichtungen der Wirbelsäule

Bewegungsabläufe, die Erde und Himmel verbinden

Himmel und Erde verbinden

Kleiner Sonnengruß

Asanas als Stressantwort

Sich mit der Symbolik verbinden

Asanas als Erfahrungsfelder

Grundhaltungen

Bequemer Sitz (Muktasana) · Fersensitz (Virasana)

Berg (Tadasana)

Haltungen, die stabilisieren

Machtvolle Haltung (Utkatasana)

Allgliederhaltung (Purvottanasana)

Boot (Navasana)

Haltungen für Weite und Kraft

Kobra (Bhujangasana)

Schwalbe (Shalabhasana-Variante)

Heldenhaltung (Virabhadrasana)

Gestreckte Flankendehnung (Utthita Parshva Konasana)

Haltungen, die ausgleichen

Schulterbrücke (Dvi pada pittam)

Umkehrhaltung (Viparita Karani Mudra)

Variante: Gestützter Schulterstand

Hund, der nach unten und innen schaut (Adho mukha shvanasana)

Gedrehter Sitz (Parivrittasana)

Halber Drehsitz (Ardha Matsyendrasana)

Baum (Vrikshasana)

Haltungen, die beruhigen

Vorbeuge in der Grätsche (Prasarita Padottanasana)

Kopf-zum-Knie-Haltung (Janu Shirshasana)

Schildkröte (Kurmasana)

Kindhaltung (Yoga Mudra)

Pranayamas zur Stärkung der Selbstheilungskräfte

Den Geist mithilfe des Atems beruhigen

Der Atem im Yogasutra

Atem und Bewegung mit Betonung der Ausatmung

Betonung der Ausatmung mit einer Bewegung der Arme – in der Rückenlage

Betonung der Ausatmung mit einer Bewegung der Arme – im Stand oder Sitz

Ausatmend in die Vorbeuge kommen

Verfeinerung des Atems

Den Atem entspannen

Atmen mit einem inneren Lächeln

Lächelnd den Atem entspannen

Variante: Lächelnd Heilenergie verströmen

Klassische Atemübungen des Hatha-Yoga

Reinigungsatmung (Kapalabhati light)

Die Atmung mit dem Reibelaut (Ujjayi)

Wechselatmung (Nadi shodhana)

Wechselatmung mit Reibelaut (Pratiloma Ujjayi Pranayama)

Herzatem (Sitkarin)

Bienensummen (Bhramarin)

Variante gemäß der Gheranda-Samhita

Tiefe-Ruhe-Atmung (Murccha)

Subtiles Atmen (Kevala Pranayama)

Entspannung und Meditation

Entspannungshaltungen

Wichtig für die Übungspraxis

Entspannung in der Rückenlage (Shavasana)

Entspannung in der Bauchlage (Makarasana)

Entspannung in der Bauch-Seitenlage

Entspannungshaltung für den Rücken

Entspannungsübung für den Bauch

Entspannungshaltung für den Brustraum

Entspannungshaltung für den Geist

Ruhende/gestützte Schildkröte (Salamba Kurmasana)

Kutschersitz

Mentale Entspannungsübungen

Sich selbst wahrnehmen (Mini-Bodyscan)

Wahrnehmen, was ist (Bodyscan)

Entspannen der Haut

Yoga Nidra

Meditationen

Achtsamkeitsmeditation

Dankbarkeitsmeditation

Meditation für Selbstmitgefühl (Maitri-Meditation)

Maitri-Meditation für andere

Mit dem Herzen atmen

Meditation auf das Licht im Herzen, das von Leid unberührt ist

Meditation über das Selbst

Meditation über die innere Achse

Meditation über die Intelligenz und Kraft des Lebens

Naturmeditation – ein meditativer Morgenspaziergang

Gehmeditation

Gesund werden – gesund bleiben

Dank

Hilfreiche Adressen

Sachregister

Literatur

Über die Autoren

Einleitung

Wir leben in einer Welt, in der einerseits der Standard unserer Gesundheitsversorgung immer besser wird und andererseits der Krankenstand allgemein immer weiter ansteigt. Gleichzeitig erlebt jeder von uns, dass viele der Ärzte, denen wir uns seit Jahren anvertrauen, immer weniger Zeit für uns haben, weil sie mit Bürokratie und Kostenfaktoren kämpfen. Und wenn wir wirklich einmal ins Krankenhaus müssen, können wir plötzlich am eigenen Leib spüren, was das Wort »Pflegenotstand« bedeutet.

Dies gehört wahrscheinlich mit zu den Gründen, warum immer mehr Menschen ihre Heilung und Gesundheitsvorsorge selbst in die Hand nehmen wollen und nach Möglichkeiten suchen, sich wirksam um ihr eigenes Wohlergehen zu kümmern. Und Yoga ist dafür ein Übungsweg, der mit seinen gut erforschten und seit Langem bewährten Methoden helfen kann, die Selbstheilungskräfte zu unterstützen, die in jedem von uns angelegt sind.

Der Begriff der »Selbstheilung« gewinnt offensichtlich gerade sehr an Bedeutung, und viele Vertreter der Mind-Body-Medizin wie Anna Paul, Tobias Esch und Andreas Michalsen finden mit ihren Büchern ein großes Echo.

Die Vorstellung, dass unser Körper, unsere Seele und unser Geist starke Selbstheilungskräfte besitzen, ist seit der Antike in allen naturheilkundlichen Systemen fest verankert. Und irgendwie weiß auch jede und jeder von uns aus eigener Erfahrung, dass wir die meisten Erkrankungen irgendwann hinter uns lassen, auch ohne genau zu verstehen, was die Heilung begünstigt oder manchmal auch verzögert hat.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Mind-Body-Medizin ergänzen heute diese Erfahrungsmedizin und helfen uns, mehr und besser zu verstehen, welche Faktoren wichtig sind, damit unser Körper seine Selbstheilungs- und Regenerationsprogramme starten und erfolgreich durchführen kann. Als besonders wichtig erweisen sich dabei die Forschungen der Psychoneuroimmunologie, die deutlich gemacht haben, wie machtvoll, ungünstig und schädlich Stress auf uns wirkt. Noch vor einigen Jahren wurden stressbedingte Beschwerden fast abschätzig als »einfach (nur) psychosomatisch« abgetan, und wenn es uns nicht gut ging, kam noch das ungute Gefühl hinzu, dass wir uns unsere Symptome nur einbilden. Heute wird Stressbelastung mit ihren komplexen biochemischen Wirkweisen, die bis tief in die Zellen hineinreichen, zunehmend in ihrem umfassenden Krankheitswert erkannt.

Und wir können erkennen, was uns krank macht! Es ist tatsächlich fast immer Stress – also das allumfassende Phänomen, das die Weltgesundheitsorganisation WHO zur »bedeutendsten Seuche des 21. Jahrhunderts« erklärt hat! Es ist der Stress, den wir uns in unserer Arbeitswelt erschaffen haben, die den Bedürfnissen der Leistungs- und Konsumgesellschaft – und nicht des einzelnen Menschen – gehorcht. Es ist der Stress, der entsteht, weil so viele von uns verinnerlicht haben, dass es unabdingbar sei, immer zu funktionieren, immer gut dazustehen und leistungsfähig und stressresistent zu sein.

Die Stressforschungen der letzten Jahre zeigen sehr deutlich, dass unser Nervensystem nicht unterscheiden kann zwischen einem Gedanken, der uns Stress macht (»Oh Gott! Werde ich den Abgabetermin schaffen?«), oder dem immer wieder gern zum Leben erweckten Säbelzahntiger. Während wir die Gefährdung durch den Säbelzahntiger in grauer Vorzeit aber zumeist durch Kampf oder Flucht lösen konnten, sind wir unserem eigenen Denken in der Regel ständig ausgeliefert. Wenn uns der Abgabetermin »nicht mehr aus dem Kopf geht« – wie man so treffend sagt –, dann ist das Stresssystem des Körpers ständig aktiviert. In der Folge bekommt der Körper Probleme, weil seine Reparatursysteme unter Stress nicht wie benötigt arbeiten, das Immunsystem schwächelt, die Verdauung stockt oder zu aktiv wird, die nächtliche Ruhe gestört ist und so weiter.

Unser Stress beginnt also im Kopf! Folglich muss Selbstheilung auch genau dort beginnen. Und hier kommt der Yoga ins Spiel. Sein Übungsweg und seine Konzepte sind inzwischen auch klinisch gut erforscht und werden zunehmend im Rahmen der Mind-Body-Medizin eingesetzt.

Yoga hat sich – wie der Buddhismus – von alters her als ein Weg der Selbsterforschung verstanden. Die Meister des Yoga haben über die Jahrhunderte hinweg eine Vielzahl von Konzepten entwickelt, die uns verstehen lassen, warum wir Leid (im Yoga Duhkha genannt) erfahren und welche Möglichkeiten es gibt, dieses Leid zu lindern und zu vermeiden. Die Meister wussten auch, dass leidvolle Gedanken dazu führen, dass wir uns schlecht fühlen, und dass uns eine innere Ausrichtung, die wir als belastend erfahren, auf Dauer krank macht.

Deswegen gilt im Yoga schon immer der Grundsatz: Wenn Stress und Leid im Kopf beginnen, dann enden sie auch dort! Yoga schaut in seinen vielen Lehrtexten genau darauf, wie unser Geist und unser Gemüt funktionieren und unter welchen Bedingungen Duhkha, das Leid (wörtlich: ein dunkler, enger Raum), entsteht. Die Texte bieten uns Erkenntnisschritte aus dem Leid an und Übungsmethoden, die uns ermöglichen, über die Wiedererlangung unseres mentalen Gleichgewichts zu dem körperlichen Gleichgewicht zurückzufinden, das wir Gesundheit nennen.

Yoga setzt dabei immer auf die Kräfte der Selbstheilung. Seine Konzepte helfen uns, zur Einsicht zu gelangen und zu verstehen, wie wir uns unseren eigenen Geist zum Freund machen können (Chitta Prasadana), damit er uns darin unterstützt, dem Leben mit mehr Gelassenheit (Vairagya) und Zufriedenheit (Santosha) zu begegnen – denn beides baut uns innerlich auf und macht uns dadurch stressresistenter.

Yoga betrachtet uns immer als eine Geist-Seele-Atem-Körper-Einheit und hat deswegen immer ganzheitliche Heilung beziehungsweise ein Heilwerden an sich im Blick. Der Yogaweg beginnt mit Erkenntnis (Jñana-Yoga). Dann sollen wir uns mit dem Erkannten – mit unseren Einsichten – Zeit nehmen für die Selbstreflexion (Dhyana-Yoga), um zu überdenken, wie wir sie in unser Leben integrieren können. Und dann erst kommt das Handeln (Karma-Yoga) – ein Handeln, dass sich bewusst nicht an Erwartungen und Resultaten ausrichtet. An diesem bewährten Weg orientiert sich auch der Aufbau dieses Buches.

Zuerst werden Dr. Holger Cramer und ich erläutern, wie unser Nervensystem, unser Immunsystem und vor allem unser Geist und Gemüt funktionieren, damit wir erkennen können, warum sich bestimmte Denk-, Gefühls-, Verhaltens- und Handlungsmuster in uns entwickelt haben – und wie sie sich in jeder und jedem von uns auswirken.

Ich werde die Grundlagen der Selbstheilung mit dem modernen Konzept der Allostase (Selbstregulation des Organismus) erklären und erläutern, warum wir immer dann, wenn unser Körper auf eine Stresserfahrung antwortet, zwingend eine Entspannungsantwort brauchen, um ihm zu helfen, das innere Gleichgewicht wiederherzustellen.

Ich möchte Ihnen helfen zu verstehen, warum genau unser Körper so stark darauf reagiert, was wir denken, und in welche Richtungen unsere inneren Einstellungen und Haltungen weisen. Dabei werden uns die Erkenntnisse von Antonio Damasio (unter anderem über die »somatischen Marker«) ebenso hilfreich sein wie das Konzept der »emotionalen Reaktionstypen«, das der Neurowissenschaftler Richard Davidson entwickelt hat.

Beide Wissenschaftler arbeiten schon lange, vermittelt durch das Mind & Life Institute, mit dem Dalai Lama zusammen, und beide lassen uns wissen, über welch unglaubliche Gestaltungskraft unser Geist verfügt – wenn wir sie nur erkennen und richtig einzusetzen wissen.

Für mich persönlich war die Erkenntnis, dass unser Vagusnerv in seinen Funktionen eindeutig zweigeteilt ist, äußerst wichtig, weswegen ich ausführlich auf die Polyvagal-Theorie von Stephen Porges eingehen werde. Sie half mir nicht nur, meine Reaktionen auf bestimmte Situationen (überhaupt erst einmal!) zu verstehen, sondern auch, die wahre Rolle des sympathischen Anteils unseres vegetativen Nervensystems im Stress zu erkennen. Daher kann ich es heute mehr als einen Mobilisator sehen und nicht nur als eine Kraft in mir, die nichts anderes kann, als mich zur Flucht oder zum Kampf zu bewegen.

Und ich habe sehr von der Selbsterforschung meines persönlichen Stress- und Wohlfühlprofils profitiert: Ich kenne jetzt die Faktoren, die mich stressen und die mir guttun, und die Ressourcen, die mir, wenn ich Stress erfahre, zur Verfügung stehen, um mich ganzheitlich zu unterstützen (zum Beispiel Yoga machen ☺).

Bei der Durcharbeitung der Lehrbücher und beim wiederholten Hören der Vorträge von Christian Schubert, der führend in der Erforschung der Psychoneuroimmunologie ist, habe ich plötzlich verstanden, warum ich wann (seit meiner Kindheit) krank war und warum meine Eltern sich in Krankheiten verstrickten, die sie kein sorgloses Alter erfahren ließen. Aber auch Prof. Schubert weiß, dass jede und jeder von uns zu jedem Zeitpunkt beginnen kann, besser für sich zu sorgen und so die eigene Gesundung und Gesundheitsvorsorge zu unterstützen. Er setzt dabei – neben Yoga – darauf, dass schon die Erkenntnis krankmachender Muster hilfreich ist, denn erst dann können wir sie durch gesundheitsfördernde Muster ersetzen.

Mit diesen Erkenntnissen im Gepäck werden wir uns schließlich der praktischen Umsetzung zuwenden, aber noch nicht gleich auf der Matte. Das würde nichts nützen, weil erst noch die so wichtige Phase folgen muss, in der das Erkannte integriert wird.

Wichtig ist daher nun die Frage, wie wir üben sollten, damit wir uns damit wirklich etwas Gutes tun. Heute wissen wir, dass in dieser Hinsicht Achtsamkeit die Haupttugend jeder Übungspraxis sein muss. Nur sie kann uns von unseren Automatismen erlösen und uns zu vertiefter und genauer Körper- und damit Selbstwahrnehmung führen. Wir werden auch erfahren, warum Selbstfürsorge und Selbstmitgefühl unverzichtbar sind, damit wir nicht immer wieder unbewusst in die Falle unserer eigenen Erwartungen tappen, und dass uns nur aus diesen heilsamen Geisteskräften wahre innere Entspannung erwachsen kann.

Ich werde dann alles, was wir bis dahin an Erkenntnissen, Einsichten und Wissen gesammelt haben, noch einmal eng mit den Yogakonzepten verknüpfen – und dann geht es ab auf die Matte.

Sie werden erfahren, warum bestimmte Asanas, Bewegungsabläufe und Atemübungen (Pranayamas) Ihre Selbstheilungskräfte besonders effektiv unterstützen und warum die Meditation als die Königsdisziplin für jede Form des Heilwerdens angesehen wird. Ich werde versuchen, Ihnen den Weg dahin immer so leicht und zugänglich wie möglich zu machen, sodass Sie Yoga in seiner Gesamtheit genießen können.

Möge Ihre Übungspraxis Sie unterstützen, auf allen Ebenen Heilung zu erfahren. Mögen Sie gesund und sicher sein. Mögen Sie glücklich und frei von Leid sein.

Lokah samastah sukhino bhavantu – OM!

Die zentrale Rolle von Immun- und Nervensystem

von Dr. Holger Cramer

Wir Menschen sind überaus komplexe Wesen, in denen ununterbrochen die Kräfte der mentalen Ebene (Geist, Gemüt), der Umwelt und der Innenwelt unseres Nerven-, Hormon- und Immunsystems aufeinander wirken – und damit auf alle Zellen unseres Körpers. Allmählich beginnen wir, viele dieser engmaschigen Wirkzusammenhänge zu verstehen. Aus dem Verständnis heraus, was unser Organismus braucht, um gesund zu werden und zu bleiben, erwächst uns zunehmend Selbstkompetenz. Und wir lernen dadurch auch zu verstehen, wie und warum die Methoden des Yoga uns helfen können, selbstverantwortlich und selbstwirksam etwas für unsere Gesundung und Gesundheit zu tun.

Dr. Holger Cramer arbeitet als Forschungsleiter an der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin (Kliniken Essen-Mitte) und damit an einer Schnittstelle zwischen Schulmedizin und Mind-Body-Medizin. Viele der Patienten, die diese Klinik aufsuchen, leiden unter den Folgeerkrankungen von chronischem Stress und suchen ganzheitliche Heilung. In diesen Rahmen eingebettet wird uns Dr. Holger Cramer nun – gut verständlich – in die komplexen Zusammenhänge unseres Immun- und Nervensystems einführen. (A.T.)

Wie funktioniert das Immunsystem?

Wir leben in einer gefährlichen Welt. Über unsere Haut und Schleimhaut sind wir beständigen Angriffen von Viren, Bakterien und sonstigen Mikroorganismen ausgesetzt. Milliarden jeden Tag. Vielleicht haben Sie davon gehört, dass allein beim Händeschütteln mehr Bakterien übertragen werden als bei einem innigen Kuss. Umso bedrohlicher, wenn man weiß, dass beim Küssen schon ca. 80 Millionen Bakterien von einem Körper zum anderen wechseln.1 In und auf unserem Körper tragen wir ca. zwei Kilogramm dieser unsichtbaren Organismen mit uns herum. Die meisten sind ungefährlich, sogar nützlich, aber bei weitem nicht alle. Dass wir trotz all dieser blinden Passagiere gesund bleiben können, verdanken wir unserem Immunsystem.

Das Immunsystem ist das Abwehrsystem des Menschen. Es sorgt dafür, dass Krankheitserreger nicht zu Schäden führen. Allerdings ist das nicht seine einzige Aufgabe, denn unser Körper braucht gar keine äußeren Einflüsse, um in Gefahr zu geraten. So kommt es durch wiederholte Zellteilungen zu Fehlfunktionen in unseren Körperzellen, die dann durch das Immunsystem beseitigt werden müssen. Da unsere Zellen sehr sozial eingestellt sind – schließlich können einzelne Zellen ohne ihren Organismus nicht überleben –, rufen geschädigte Zellen selbst mittels Botenstoffen das Immunsystem um Hilfe, bitten also darum, zum Wohle des Ganzen vernichtet zu werden.

Verschiedene Abwehrmechanismen

Es gibt eine Reihe von Mechanismen zur Abwehr von Gefahr: Im Ideal- und Normalfall scheitern Mikroorganismen bereits beim Versuch, in den Körper einzudringen, an Haut oder Schleimhaut. Neben mechanischen Barrieren spielen hier auch weitere Schutzfaktoren wie die Magensäure, die Keime abtöten kann, und die gesunde Bakterienflora zum Beispiel im Darm oder im Mundraum eine Rolle, die eine Einnistung krankheitserregender Keime verhindert. Zahlreiche Körperflüssigkeiten enthalten darüber hinaus Stoffe, die die Zellwand von Bakterien angreifen und diese so vernichten.

Das eigentliche Immunsystem besteht aus sogenannten zellulären und humoralen Bestandteilen. Der Begriff humorale Abwehr leitet sich von lateinisch humor ab, was flüssig bedeutet und tatsächlich auch Ursprung des Begriffs Humor ist. Als humorale Abwehr bezeichnet man Immunbestandteile wie Eiweiße und Antikörper, die gelöst in den Körperflüssigkeiten enthalten sind. Die zelluläre Abwehr umfasst bestimmte Abwehrzellen, die im Knochenmark gebildet und anschließend in spezifischen Organen des Immunsystems weiterentwickelt und für ihre Abwehraufgaben trainiert werden. Solche Organe sind zum Beispiel die Milz, die Lymphknoten sowie die Mandeln, die man aus diesem Grund bei Entzündungen heutzutage nicht mehr so leichtfertig entfernt wie noch vor einigen Jahrzehnten.

Die Abwehrzellen gehören zu den sogenannten weißen Blutzellen (Leukozyten). Diese Zellen entwickeln sich aus Stammzellen, den Vorläufern aller Blutzellen, im Knochenmark, spezialisieren sich dann weiter und patrouillieren im Körper auf der Suche nach Eindringlingen. Sind diese aufgespürt, steigt die Zahl an Abwehrzellen im betroffenen Gebiet an, was sich zum Beispiel durch tastbar geschwollene Lymphknoten bemerkbar macht, aber auch durch Entzündungen mit ihren typischen Schwellungen und Rötungen. Auch wenn wir Entzündungen eher als Krankheitssymptome wahrnehmen, sind sie – genauso wie Fieber – eher Ausdruck der Immunabwehr. Entzündungen und Fieber zu unterdrücken kann daher zum Teil mehr schaden als nützen – schwere oder chronische Entzündungen und sehr hohes Fieber natürlich ausgenommen.

Unspezifische und spezifische Abwehrsysteme

Funktionell kann man zwischen unspezifischen und spezifischen Abwehrsystemen unterscheiden. Die unspezifische Abwehr reagiert schnell und unabhängig vom jeweiligen Erreger, sie ist sozusagen die erste Front im Kampf gegen Eindringlinge. Dazu gehören die äußeren Barrieren des Körpers sowie Fresszellen, die Mikroorganismen umfließen und verdauen können. Der humorale Anteil der unspezifischen Abwehr ist das Komplementsystem, ein System aus Eiweißen, die sich gegenseitig aktivieren und wie eine Kettenreaktion zu einer massiven Ausbreitung der Abwehrreaktion führen. Dabei werden zum Beispiel schädliche Mikroorganismen »markiert«, die dadurch für Fresszellen noch schmackhafter sind und eher gefressen werden.

Die spezifische Abwehr ist langsamer als die unspezifische, aber viel treffsicherer. Sie geht enorm effektiv gegen Eindringlinge vor, braucht aber Tage bis Wochen, um zu reagieren. Diese Zeitverzögerung ist der Grund, warum wir uns auch bei banalen Infektionen zunächst einmal richtig krank fühlen – zumindest beim ersten Mal. Doch die spezifische Abwehr besitzt eine Art Immungedächtnis, das sich die Erreger merken kann und dann bei der nächsten Konfrontation so schnell reagiert, dass es oft gar nicht erst zu Krankheitssymptomen kommt. Dieses Gedächtnis ist der Grund, warum wir an Masern oder Windpocken nur einmal erkranken, und auch, warum Impfungen vor vielen Infektionskrankheiten schützen. Wie genau funktioniert das?

Die spezifische Abwehr bedient sich spezifischer Zellen, der Lymphozyten. Diese Zellen lernen zunächst, fremd von eigen zu unterscheiden, also nur Eindringlinge und keine körpereigenen Zellen zu bekämpfen. Einige dieser Zellen spezialisieren sich auf die Erkennung des Feindes. Haben sie einen spezifischen Erreger identifiziert, so vermehren sie sich und geben Botenstoffe ab, die andere Zellen aktivieren. Diese bilden sogenannte Antikörper, große Eiweiße, die genau auf – Antigen genannte – Eiweiße auf den Mikroorganismen passen. Die Antikörper aktivieren die unspezifische Abwehr, vor allem Fresszellen und das Komplementsystem, können aber auch selbst große Mengen an Erregern binden, verklumpen und so unschädlich machen. Außerdem werden sogenannte Gedächtniszellen gebildet, damit beim nächsten Mal alles schneller geht und wir (im Idealfall) immun gegen diesen spezifischen Erreger werden.

Grippeviren und das Immungedächtnis

Dass das nicht immer funktioniert, kann zum Beispiel – wie im Fall der Grippeviren – daran liegen, dass die Erreger sich jedes Jahr leicht verändern und so von den Gedächtniszellen nicht erkannt werden. Darum wirkt eine Grippeimpfung auch nur eine Saison lang, und es ist immer ein bisschen Glückssache, ob der aktuelle Impfstoff genau dem tatsächlichen Erreger entspricht. Dass Gedächtniszellen zur spezifischen Abwehr gehören, ist übrigens auch der Grund, warum Grippeimpfungen nicht vor Erkältungen schützen: Erkältungen sind zwar ebenfalls meist durch Viren bedingt, aber eben durch andere Virenstämme, die die Gedächtniszellen für Grippeviren nicht als Gefahr erkennen.

Viren sind sowieso sehr interessante Strukturen, die streng genommen gar nicht zu den Mikroorganismen, nicht einmal zu den Lebewesen gehören, da sie sich nicht selbst vermehren können. Dazu müssen sie sich in Körperzellen einnisten und diese dazu bringen, die Vermehrung für sie zu übernehmen. Dadurch sind sie theoretisch auch vor der Immunabwehr geschützt, da diese ja köpereigene Strukturen nicht angreift. Allerdings können virenbefallene Zellen eine Art SOS-Flagge hissen und sich selbst als infiziert outen, wodurch die spezifische Abwehr auf sie aufmerksam wird.

Gestörte Abwehr bei Autoimmunerkrankungen

Der gerade beschriebene Schutz körpereigener Strukturen ist bei den Autoimmunerkrankungen, also bei Krankheiten, die durch das eigene Immunsystem verursacht werden, gestört. Aufgrund genetischer Dispositionen und Umweltbedingungen greift die spezifische Abwehr hier körpereigene Zellen an, die fälschlich für Erreger gehalten werden. Folgen können zum Beispiel rheumatische Gelenkentzündungen, chronisch entzündliche Darmerkrankungen oder auch Multiple Sklerose sein, eine Krankheit, die durch Angriffe des Immunsystems auf das eigene Nervensystem bedingt ist.

Dass starker oder chronischer Stress unser Immunsystem länger und vor allem auch langfristig schwächen kann, zeigen die Forschungen der Psychoneuroimmunologie in großer Deutlichkeit und Dringlichkeit. Auch ohne ein besonderes Fachwissen ist nachvollziehbar, dass dann, wenn unser Immunschutz geschwächt ist, seine Akteure Krankheitskeime und Entzündungsstoffe nicht gut in Schach halten können.

Ebendiese Forschungen machten aber auch deutlich, dass wir unseren Immunstatus bedeutend verbessern können, wenn wir immer wieder zu einer Grundentspannung von Geist, Gemüt und Körper zurückfinden. Die damit erfahrene Muße stärkt unser Immunsystem ebenso wie eine selbstwirksame und mit Freude ausgeführte Yogapraxis.

Einblicke ins Nervensystem

Damit uns unser Immunsystem immer angemessen schützen kann, braucht es die Unterstützung unseres vegetativen Nervensystems. Es verarbeitet jeden der unablässig auf uns einwirkenden äußeren und inneren Reize und erkennt so, ob sie unser Wohlbefinden bedrohen oder unterstützen. Wenn uns etwas irritiert, verunsichert oder beunruhigt, fährt das Vegetativum sicherheitshalber das Stresssystem hoch. Solange diese Funktion aktiv ist, sinkt die Abwehr des Immunsystems und damit die Chance auf Selbstheilung. »Stress ist einer der größten Saboteure der Selbstheilung, er ist so etwas wie ihr natürlicher Gegenspieler«, bringt es Dr. Cramers Kollege, der Arzt und Neurowissenschaftler Tobias Esch, auf den Punkt.

Es ergibt also Sinn, wenn wir lernen, die Funktionsweisen unseres vegetativen Nervensystems besser zu verstehen, damit es nicht ständig in den Stressmodus umschalten muss. Gleichzeitig wird uns Dr. Camers Einführung helfen, auch den Ansatz des Yoga zur Selbstheilung besser zu verstehen. Wie eng das für den Yoga so typische Stressmanagement mit dem sicheren Funktionieren unseres Immunsystems zusammenhängt, wird später noch genauer im Kapitel »Erkenntnisse der Psychoneuroimmunologie« (ab Seite67) betrachtet werden. (A.T.)

Das Ende der Trennung von Körper und Geist

Die modernen Neurowissenschaften sind dabei, unser Menschenbild – und damit unser Selbstbild – grundlegend zu verändern. Unsere Alltagssicht auf Körper und Geist geht auf den Philosophen René Descartes zurück, der im 17. Jahrhundert den sogenannten Dualismus von Körper und Seele begründete. Descartes postulierte, Körper und Geist seien zwei völlig voneinander unabhängige Instanzen, die jeweils ohne die andere existieren könnten.2 Anders, ohne dieses Postulat, wäre zum Beispiel eine unsterbliche Seele schwer vorstellbar. Und auch im Alltag erscheint ja der Geist als autonom. Zwar »fühlen« wir unser Denken vor allem im Kopf und nicht zum Beispiel in den Füßen, aber dennoch empfinden wir, dass »wir« hier denken und nicht unser Gehirn. Diese Sichtweise aber und viele daraus folgende ethische Annahmen werden von der Neurowissenschaft in Frage gestellt.

Schon in den 1990er-Jahren argumentierte der Nobelpreisträger Eric Kandel, Gehirn und Geist bedingten sich gegenseitig, seien nur die Kehrseiten einer Medaille. Die Neurowissenschaften rütteln an den Grundfesten unseres Selbstverständnisses. Nicht nur soll es keinen Geist unabhängig vom Körper, insbesondere vom Nervensystem, geben, auch wird die Rolle des Bewusstseins als zentrale Instanz, sogar der freie Wille in Frage gestellt. Nicht nur in der Neurobiologie und Neurologie, sondern vermehrt auch in der Psychologie spiegelt sich diese Sicht auf Vorgänge im Gehirn und im sonstigen Nervensystem auch in einem Aufstieg bildgebender Verfahren wider. Diese schaffen die Möglichkeit, bunte Bilder der Gehirnfunktionen zu erzeugen, also Gehirnaktivitäten und damit auch psychische Vorgänge sichtbar zu machen. Vermeintlich reicht schon ein roter Fleck auf einem Gehirnscan, um Emotionen, Schmerzen und Denkprozesse zu verstehen.

Betrachten wir im Folgenden dieses neue Lieblingsobjekt der Erforschung des Menschen, das Nervensystem, einmal im Detail.

Die vier Instanzen des Nervensystems

Grundlegend unterscheidet man, sowohl anatomisch als auch funktionell, das zentrale Nervensystem vom periphären Nervensystem.

Das zentrale Nervensystem (ZNS) umfasst das Gehirn und das Rückenmark. Für viele überraschend bildet das Rückenmark mit dem Gehirn eine Einheit, beide sind sowohl vom Aufbau als auch von der Funktion her untrennbar miteinander verbunden und entstammen einer gemeinsamen Anlage im Embryo. Das zentrale Nervensystem ist die Steuerzentrale des Körpers wie auch des Geistes, es nimmt Sinneseindrücke auf, interpretiert sie und setzt sie in Handlungen um, steuert Bewegungen, soziale Interaktion und Entscheidungsfindung. Die Bedeutung des ZNS für unsere bewussten und unbewussten Handlungen zeigt sich zum Beispiel im Bild der Querschnittslähmung, bei der die Verbindung vom ZNS zum restlichen Körper unterbrochen ist: Ohne die impulsgebende Instanz des ZNS ist der Rest des Körpers handlungsunfähig, selbst wenn er vielleicht ansonsten völlig intakt ist.

Das periphäre Nervensystem (PNS) wird auch als Wahrnehmungs- und Ausführungsorgan des ZNS bezeichnet.3 Es umfasst die Nerven, die den gesamten Körper durchziehen. Diese Nerven leiten entweder Wahrnehmungen aus dem ganzen Körper zum ZNS oder umgekehrt Bewegungsimpulse aus dem ZNS zum Körper. Man sieht: Ohne das periphäre Nervensystem ist auch das zentrale Nervensystem nicht handlungsfähig, die Zusammenarbeit beider Systeme ist wichtig, um mit der Umwelt interagieren zu können.

Entsprechend gibt es eine weitere, mehr auf die Funktion bezogene Einteilung: Die Unterscheidung zwischen willkürlichem Nervensystem und vegetativem (oder autonomem) Nervensystem. Beide Systeme umfassen sowohl zentrale als auch periphäre Anteile. Willkürlich heißt in diesem Zusammenhang nicht etwa zufällig, unsystematisch oder auf Willkür beruhend (wie der Duden das Wort definiert), willkürlich bedeutet hier einfach, dass diese Abschnitte des Nervensystems dem menschlichen Willen unterworfen sind, dass hier mehr oder weniger bewusst gefasste Entscheidungen in willentliche Handlungen übersetzt werden. Das vegetative Nervensystem, auf das wir im Weiteren noch etwas genauer eingehen werden, ist nicht der willentlichen Steuerung unterworfen – deshalb wird es auch autonom genannt. Über dieses System werden unter anderem Herzschlag, Atmung und Verdauung gesteuert, die wir zum Glück nicht immer bewusst kontrollieren müssen.

Das zentrale Nervensystem (ZNS)

Bewusstsein und Großhirn

Das Großhirn ist die äußerste Hirnoberfläche und befindet sich direkt unter unserem Schädelknochen. Es ist der primäre Sitz des Bewusstseins, also aller bewussten Empfindungen, Handlungen, des Willens, der Kreativität und des Gedächtnisses. Die Großhirnrinde, die Oberfläche des Großhirns, ist optisch durch die Hirnwindungen charakterisiert. Das sind Auffaltungen der Gehirnoberfläche, die insbesondere der Oberflächenvergrößerung dienen. Weiterhin fällt die Aufteilung in zwei Hälften auf, die sogenannten Großhirnhemisphären, die wiederum in jeweils vier Großhirnlappen unterteilt sind.

Wie das gesamte Nervensystem besteht die Großhirnrinde aus Nervenzellen, den Neuronen. Obwohl die Großhirnrinde im Vergleich zu anderen Nervenstrukturen relativ klein ist, liegen hier ca. 70 Prozent aller Neurone dichtgepackt beieinander. In anatomischen Schnittpräparaten erscheint die Großhirnrinde grau, daher der Ausdruck »graue Zellen« für den Sitz des Denkens. Nervenzellen bestehen – grob gegliedert – aus drei Anteilen: den eigentlichen Zellkörpern sowie den Dendriten (was von griechisch dendron für »Baum« kommt, da die Dendriten sich astartig verzweigen) und dem Axon, einem einzelnen langen Zellfortsatz. Neurone sind die kleinsten Einheiten der Informationsverarbeitung und -weiterleitung. Die Informationen werden im Neuron als elektrische Impulse geleitet, in den Dendriten von anderen Nervenzellen aufgenommen und über das Axon an seiner Synapse an andere Zellen weitergeleitet.

An der Synapse passiert Erstaunliches: Hier werden die elektrischen Impulse in chemische Signale umgewandelt; die Synapse schüttet Neurotransmitter aus, also Botenstoffe, die jeweils ganz eigene Funktionen haben, von der nächsten Nervenzelle aufgenommen und wiederum in elektrische Signale umgewandelt werden. Störungen einzelner Neurotransmitter stehen mit verschiedenen neurologischen, aber auch psychischen Erkrankungen in Zusammenhang.

Allein die Großhirnrinde besteht aus Milliarden von Neuronen, jede über Tausende, zum Teil mehr als 20 000 Synapsen mit anderen Zellen verschaltet. Nur durch diese gewaltigen neuronalen Netzwerke wird die Funktion des Gehirns und damit unser menschliches Handeln und Erleben erst möglich. Dies ist auch anatomisch der große Unterschied zwischen ZNS und PNS: Im Gehirn und Rückenmark findet man im Allgemeinen die gesamte oben beschriebene Struktur der Nervenzellen, während in der Peripherie überwiegend Nervenfortsätze gefunden werden, die gebündelt als Nerven den Körper durchziehen. Die Zellkerne dieser Fortsätze liegen meist im ZNS.

Funktionsfelder der Großhirnrinde

Zurück zur Großhirnrinde. Hier unterscheidet man nach den Funktionen bestimmter Bereiche sogenannte Funktionsfelder:

Im primären motorischen Rindenfeld liegen sämtliche Nervenzellen zur Steuerung bewusster Bewegungen (unserer Motorik) gebündelt beieinander. Jede Körperregion hat dort ihren eigenen Abschnitt. Interessanterweise ist die Größe dieser Abschnitte (und damit die Anzahl der Nervenzellen) aber nicht von der tatsächlichen Größe der Körperregion abhängig, sondern von der bei der Bewegung benötigten Präzision. So sind zum Beispiel die Gehirnregionen riesig, welche die Bewegungen der Finger, der für das Sprechen notwendigen Muskeln oder der Augen steuern, während der anatomisch große, aber eher grobmotorische Rumpf aus einem sehr kleinen Gebiet gesteuert wird.

Neben dem primären gibt es auch noch sekundäre Funktionsfelder sowie prämotorische Felder, die für die Bewegungsplanung zuständig sind. Hervorzuheben ist hier das motorische Sprachzentrum, das interessanterweise fast immer in der linken Gehirnhälfte liegt, und zwar sowohl bei Links- als auch bei Rechtshändern.

Das primäre sensorische Rindenfeld ist das Gegenstück zum primären motorischen Feld, hier wird die bewusste Tastempfindung verarbeitet. Die beiden Felder liegen sich genau gegenüber vor und hinter der Zentralfurche. Das ist die von links nach rechts verlaufenden Einkerbung, die jede Gehirnhemisphäre teilt. Auch in diesem Feld hängt die Größe der Bereiche nicht von der tatsächlichen Größe der jeweiligen Körperregion ab, sondern von der Dichte der Wahrnehmungszellen, auch Rezeptoren genannt. Der Bereich, der die Wahrnehmungen der sehr tastempfindlichen Lippen verarbeitet, ist entsprechend viel größer als der des wiederum recht unempfindlichen Rumpfes.

Neben der primären sensorischen Rinde hat jedes Sinnesorgan ein weiteres eigenes Feld, etwa das Sehzentrum, welches ganz hinten im Hinterhauptslappen liegt. Es fügt die extrem reduzierten Impulse aus den einzelnen Neuronen (die für sich allein nur »Ein« oder »Aus« signalisieren können) zu den komplexen Wahrnehmungen zusammen, die wir »Sehen« nennen. Hier wird auch deutlich, dass alle Wahrnehmungen der Welt letztlich nur ein Abbild sind: Unsere Sinnesorgane bestehen aus einzelnen Zellen, die die Außenwelt in kleinste Happen Information zerlegen und in Richtung Großhirn schicken, das daraus wiederum ein Abbild des Gesehenen erzeugt. Ob dieses Abbild nun genau der Wirklichkeit entspricht oder ob es für jeden Sehenden genau gleich ist – diese Fragen beschäftigen Philosophen seit Jahrhunderten.

Das »Ich« und das Frontalhirn

Wo in unserem Gehirn liegt denn nun das »Ich«, das »Selbst«, wo bin ich in meinem Gehirn? Die Antwort kann eigentlich nur »überall« lauten. Oder »nirgends«. Auch wenn Neurowissenschaftler gern mit Gehirnregionen arbeiten und diesen abgegrenzte Funktionen zuordnen, sind gerade an der Entstehung des Bewusstseins große Teile des Gehirns gemeinsam beteiligt. Bewusste Wahrnehmungen und Handlungen entstehen wie dargestellt in bestimmten Arealen, die aber immer gemeinsam aktiv werden. So sind in einem Gespräch immer sensorische und motorische Felder beteiligt.

Gleichzeitig sind aber auch die Exekutivfunktionen aktiv. Diese Funktionen helfen uns, unser Verhalten unter Berücksichtigung der Umwelt und unserer Lebenserfahrungen zu steuern. Wichtigste Region ist hier das Frontalhirn, also der Bereich direkt hinter der Stirn, auf den wir uns schlagen, wenn uns endlich ein Licht aufgeht.

Überraschenderweise ist einer der wichtigsten Aspekte der Exekutivfunktionen die Reaktionshemmung, also die Fähigkeit, nicht immer der ersten spontanen Reaktion nachzugeben, sondern vorausschauend die möglichen Folgen unserer Handlungen abzuschätzen.

Menschen, deren Frontalhirn zum Beispiel durch einen Unfall geschädigt ist, erscheinen oft völlig normal; da sie aber die Folgen ihrer Handlungen nicht abschätzen und Reaktionen nicht hemmen können, handeln sie oft aus den Gefühlen heraus und stürzen sich so ins Unglück. Ein berühmter Fall war Phineas Gage, ein Eisenbahnarbeiter im amerikanischen Vermont des mittleren 19. Jahrhunderts. Bei einer Sprengung schoss ihm eine drei Zentimeter dicke Eisenstange durch den Kopf und verursachte massive Verletzungen vor allem des Frontalhirns. Gage war nach der Verletzung körperlich schnell wiederhergestellt, nur auf einem Auge erblindet. Auch seine Intelligenz, sinnliche Wahrnehmung, Motorik und Gedächtnisleistung waren in keiner Weise beeinträchtigt. Nur war Gage nicht mehr derselbe Mensch. Der besonnene, zuverlässige Gage wurde kindisch, impulsiv und aggressiv. Manche Patienten, die wie Gage unter einem Frontalhirnsyndrom leiden, verändern vollständig ihre Persönlichkeit, verlassen ihre Familie, geben ihre Karriere auf und leben nur noch ihre unmittelbaren Impulse aus.

Kein Wunder, dass die Neurowissenschaften das Wesen des Menschen im Gehirn verorten.

Emotionen und Reflexe: weitere wichtige Hirnregionen

Aus Teilen des Großhirns, aber auch anderer Gehirnregionen wird das limbische System gebildet, dem viele der Impulse entstammen, die das Frontalhirn dann regulieren muss. Hier ist vor allem der Mandelkern (Amygdala) vielfach untersucht worden, der Emotionen wie Furcht, Wut, Aggression, aber auch Freude oder Lust, erzeugen kann. Daneben gehören Strukturen zum limbischen System, die an der Gedächtnisbildung beteiligt sind. Durch diese räumliche, vor allem aber funktionelle Nähe erklärt sich auch, warum Erinnerungen so oft Emotionen und umgekehrt Emotionen oft Erinnerungen auslösen.

Unterhalb des Großhirns liegen mit dem Zwischenhirn und dem Hirnstamm weitere wichtige Hirnregionen. Bedeutsame Strukturen sind hier zum Beispiel der Thalamus und der Hypothalamus. Der Thalamus nimmt als »Tor zum Bewusstsein« eine erste Filterung der unfassbaren Menge an Sinneseindrücken vor, die uns in jedem Augenblick zu überfluten droht. Die Informationen, die er als relevant für den Gesamtorganismus einstuft, leitet er weiter. Der Hypothalamus sorgt in vielen Körpersystemen für Balance und kontrolliert zum Beispiel den Wasserhaushalt, die Körpertemperatur, aber auch Hunger- und Durstempfindungen. Noch weiter unten finden sich im verlängerten Rückenmark Steuerungszentren für lebenswichtige Regelkreise wie das Herz-Kreislauf- und das Atemzentrum.

Schließlich findet sich als letzte Instanz des ZNS, oder auch als erste – je nachdem, aus welcher Richtung man schaut – das Rückenmark, das innerhalb des Wirbelkanals der Wirbelsäule verläuft und zwischen dem Gehirn und dem PNS vermittelt. Es verschaltet aber auch besonders schnell benötigte Reaktionen direkt in Form von Reflexen, ohne dass diese von uns bewusst auszulösen oder zu verhindern wären. So ziehen wir automatisch unsere Hand weg, wenn sie eine heiße Herdplatte berührt, da hier der Körper vor Schäden bewahrt werden soll. Langes Nachdenken wäre in den meisten Fällen kontraproduktiv.

Fühlen und Verhalten – und die Botenstoffe im Gehirn

Bei der Beschreibung der Synapse, der Schaltstelle zwischen zwei Nervenzellen, haben wir bereits die Neurotransmitter angesprochen. Diese Botenstoffe vermitteln die Signale zwischen zwei Nervenzellen. Ganz grob kann man zwischen erregenden und hemmenden Neurotransmittern unterscheiden, je nachdem, ob sie die Aktivität der nachgeschalteten Zelle steigern oder senken. Es gibt zahlreiche verschiedene Neurotransmitter, die in unterschiedlicher Weise auf unser Erleben und Verhalten einwirken. Die wichtigsten sollen im Folgenden kurz beschrieben werden:

Acetylcholin ist der wichtigste Botenstoff im PNS und wirkt grundsätzlich erregend. Im Gehirn ist Acetylcholin an der Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit und an der Gedächtnisbildung beteiligt.

Noradrenalin ist ein erregender Botenstoff, der im Hirnstamm unseren Wachzustand steuert. Insbesondere ist Noradrenalin aber auch an der Anpassung an psychische Belastungen und an der unmittelbaren Reaktion auf akuten Stress beteiligt.

Serotonin ist an der Regelung der Körpertemperatur und des Schlaf-Wach-Verhaltens beteiligt, insbesondere wird es aber auch mit unserer Stimmung in Verbindung gebracht. Serotonin bewirkt eine gelassene, zufriedene Stimmungslage und hemmt Impulsivität und Aggressivität. Serotoninmangel wird als eine mögliche Ursache von Depressionen diskutiert, auch wenn hier nie nur ein Faktor auslösend ist. Allerdings zeigen Medikamente, die die Wirkungsdauer von Serotonin zwischen den Synapsen verlängern, bei vielen depressiven Personen stimmungsaufhellende Wirkungen. Auch hier ist allerdings die rechte Balance das Maß der Dinge: Halluzinogene Drogen wie LSD simulieren die Wirkung von Serotonin – ein Übermaß an Serotonin führt also nicht zu übermäßiger geistiger Gesundheit, sondern zu Halluzinationen, Unruhe und Bewusstseinsstörungen.

Dopamin ist ein erregender Botenstoff, der emotionale und geistige Reaktionen sowie unsere Bewegungsplanung steuert. Dopamin wird oft als Glückshormon bezeichnet, was nicht ganz korrekt ist, da Dopamin einerseits gar kein Hormon ist und andererseits auch mehr mit Belohnung als direkt mit Glück zu tun hat. So kündigt Dopamin im »Belohnungssystem« im Gehirn eine Belohnung an. Dies bewirkt, dass wir Dinge, die uns Lust und Freude verschaffen, genau mit diesen Empfindungen verbinden. Dopamin bewirkt also Lerneffekte über freudvolle Empfindungen – und spielt dadurch auch bei Suchterkrankungen eine wichtige Rolle, indem bei Rauchern zum Beispiel bereits das Halten einer Zigarette Belohnungsgefühle auslösen kann. Die Spannweite der Dopaminwirkungen zeigt sich an den damit verknüpften Krankheiten: So liegt bei Schizophrenie ein Überschuss an Dopamin vor, bei der Parkinsonerkrankung mit ihren typischen motorischen und psychischen Symptomen ein Dopaminmangel.

Neben Neurotransmittern gibt es noch die Neuropeptide, die die Wirkung der Neurotransmitter beeinflussen und daher auch Neuromodulatoren genannt werden. Bekannt sind hier vor allem die Endorphine, die durch die Feinabstimmung vieler Nervenfunktionen eine wichtige Funktion für alle körperlichen und psychischen Abläufe haben. Sie werden aber auch in Extremsituationen ausgeschüttet und ermöglichen hier zum Beispiel zielgerichtetes Verhalten nach schweren Unfällen und bewirken Glücksgefühle bei großen körperlichen Anstrengungen (das »Runner’s High«).

Wenn wir gleich das vegetative Nervensystem genauer betrachten, werden Sie erkennen können, dass chronischer Stress – so wie ihn viele von uns heute erfahren – unserem Nervensystem bis in die Zelle hinein zusetzt. In einem Zustand vegetativen Ungleichgewichts (einer Dysbalance), können wir uns auf der Zellebene nicht mehr erholen und deshalb auch nicht heilen. Wie wir später sehen werden, kann eine angemessene, ruhige Yogapraxis hier wahre Wunder bewirken und uns wieder in die vegetative Balance zurückführen.

Das vegetative Nervensystem (VNS)

Das vegetative (oder: autonome) Nervensystem dient der automatisierten Steuerung lebenswichtiger Funktionen und ist nicht direkt willentlich zu beeinflussen. Trotzdem ist es ein wichtiger Ansatzpunkt für Meditation und Yoga. Das vegetative Nervensystem umfasst sowohl zentrale als auch periphäre Anteile und ist in einen aktivierenden Anteil, den Sympathikus, und einen eher entspannenden Anteil, den Parasympathikus, aufgeteilt.

Der Sympathikus und die Stressreaktion

Der Sympathikus dient der Vorbereitung von nach außen gerichteten Aktivitäten und ist Teil der Stressreaktion (Stressantwort): Akuter Stress versetzt unseren Körper in einen Zustand, der es uns ermöglicht, auf bedrohliche Situationen zu reagieren. Evolutionär bedeuten Reaktionen auf Stress immer vor allem körperliche Reaktionen, entsprechend versetzt der Sympathikus uns in Alarmbereitschaft, die eine körperliche Aktion – Kampf oder Flucht – begünstigt: Die Pupillen erweitern sich, die Muskulatur wird vermehrt mit Blut versorgt, die Eingeweide dafür weniger, die Atemwege werden weitgestellt und das Immunsystem aktiviert (mehr über diese »Stresskaskade« ab Seite 70).

Problematisch ist die Stressreaktion heute vor allem, weil viele stressauslösende Situationen eher psychischer als körperlicher Natur sind und Kampf eine denkbar schlechte Antwort auf verspätete Straßenbahnen oder unfaire Chefs darstellt. Deshalb bleibt der Körper weiter im Stressmodus. Doch für chronischen Stress ist unser Körper nicht ausgelegt; chronischer Stress kann, wie wir im Folgenden noch zeigen werden, krank machen.

Der Parasympathikus und die Erholung

Der Parasympathikus ist der Gegenspieler des Sympathikus. Er verringert die Herztätigkeit und die Durchblutung der Muskulatur und verengt die Atemwege. Dafür steigert er die Tätigkeit der Verdauungsorgane und geht generell mit einem Entspannungsmodus einher. Entsprechend dient der Parasympathikus der Erholung des Organismus, der Wiederherstellung nach Stress, Kampf oder harter Arbeit. (Auf die vielfältigen Funktionsweisen des Parasympathikus wird ab Seite 70 noch genauer eingegangen, im Besonderen auf die Differenzierungen des zu diesem System gehörenden Vagusnervs.)

Das Faszinierende ist, dass diese Entspannungsantwort, wie sie der Harvard-Kardiologe Herbert Benson in den 1970er-Jahren als Gegenentwurf zur physiologischen Stressantwort genannt hat4, zwar nicht willentlich gesteuert werden kann – wir können also unserem Herz nicht befehlen, ruhiger zu schlagen –, sie kann aber durch willentliche Handlungen ausgelöst werden. Besonders geeignet scheinen dafür repetitive, also sich wiederholende, ruhige Aktivitäten zu sein, die mit einer starken Fokussierung der Aufmerksamkeit einhergehen – wie Meditation und Yoga.

Warum Stress die Systeme schwächt – und wie Yoga helfen kann

Wie wir gesehen haben, reagiert der menschliche Organismus auf Stress mit der Aktivierung des Sympathikus, rüstet sich also für Kampf oder Flucht aus der Situation. Diese Reaktion ist evolutionär hoch sinnvoll, da sie uns in die Lage versetzt, in bedrohlichen Situationen adäquat zu reagieren. Ohne dieses Notfallprogramm hätte die Menschheit kaum bis heute überlebt.

Wie das Notfallprogramm auf Dauer krank macht

Wo Kampf aber sozial nicht akzeptiert und Flucht bei chronischer Belastung nicht möglich ist, schädigen diese Notfallprogramme den Organismus selbst, führen zu Störungen der Funktion und schließlich auch der Struktur des Körpers. Das Ergebnis sind Krankheiten, bei chronischem Stress oft chronische Krankheiten. Das umfasst nicht nur das berühmte Magengeschwür, sondern auch sehr schwerwiegende Erkrankungen wie Bluthochdruck, Herzinfarkt, Krebs und Autoimmunerkrankungen.

Englische Wissenschaftler konnten zeigen, dass schon eine leichte Stressbelastung das Risiko, innerhalb der nächsten Jahre zu versterben, gegenüber gar nicht gestressten Personen um 20 Prozent erhöht. Mittlere Stressbelastung erhöht es um 40 Prozent und starke Stressbelastung sogar um mehr als 90 Prozent – unabhängig vom sonstigen Gesundheitsverhalten der Person. Stress führt dabei nicht nur zum Tod durch naheliegende Ursachen wie Herzinfarkte, er erhöht auch das Risiko, durch Krebs zu versterben und sogar durch Unfälle und andere äußere Bedingungen.5 Besonders gefährlich ist hier chronischer Stress, insbesondere wenn er psychosozialer Natur ist, also zum Beispiel im Beruf oder in der Familie auftritt und daher kaum gemieden werden kann. Dadurch gelingt die Balance zwischen Anspannung und Entspannung nicht mehr von allein.

Stress ist nicht gleich Stress

Wichtig ist hier auch, zwischen objektivem und subjektivem Stress zu unterscheiden. So sind manche Menschen auch bei größter Arbeitsbelastung und schwierigsten familiären Verhältnissen, selbst nach schwersten Schicksalsschlägen frohgemut und optimistisch, andere hingegen verzweifeln bereits an kleinsten Belastungen. Krank macht vor allem der subjektiv wahrgenommene Stress, unabhängig von den objektiven äußeren Faktoren. Schließlich ist Stress primär eine Bewertung der gegenwärtigen Situation, keine objektive Bestandsaufnahme, und Bewertungen sind immer hochgradig subjektiv.

Wieso ist chronischer Stress so gefährlich?

Was passiert im Körper, wenn wir nachhaltig gestresst sind? Kurzfristig aktiviert akuter Stress das Immunsystem, steigert also die Abwehrkräfte. Die Stressreaktion ist an sich ja sinnvoll, stärkt den Organismus und erhöht die Leistungs- und Widerstandsfähigkeit. Längerfristiger Stress scheint hingegen hemmend auf das Immunsystem zu wirken.6 Trotzdem gibt es auch Hinweise, dass chronischer Stress Entzündungsprozesse fördern kann. Insbesondere wenn das Immunsystem akut oder chronisch krankhaft verändert ist, kann Stress dieses weiter negativ beeinflussen. So bilden gestresste Menschen, die mit Krankheitserregern infiziert werden, weniger Antikörper aus als Nicht-Gestresste, laufen also verstärkt Gefahr zu erkranken.

Abgepuffert werden kann die hemmende Wirkung des Stress’ auf das Immunsystem durch ein tragendes soziales Netz – das heißt, in Freundes- und Familienkreis sozial eingebundene Menschen sind weniger anfällig für Stresswirkungen bei Infektionskrankheiten.