Mitternachtstango mit dem Boss - Trish Morey - E-Book

Mitternachtstango mit dem Boss E-Book

Trish Morey

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Beschreibung

Der Boss will sie heiraten, um seiner Mutter den letzten Wunsch zu erfüllen? Mari ist fassungslos über diesen unverschämten Vorschlag. Schließlich waren sie und Dominico früher ein Paar, bis er sie kalt abservierte. Doch eine finanzielle Notlage zwingt sie, Ja zu sagen. Sex schließt sie vertraglich aus, und nach der Hochzeitsfeier in San Sebastián ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie sich wieder scheiden lassen, glaubt Mari. Aber schon damals hat Dominico sie wehrlos vor Liebe gemacht. Und als er mit ihr um Mitternacht sinnlich Tango tanzt, hat sich daran nichts geändert …

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Seitenzahl: 203

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Trish Morey

Mitternachtstango mit dem Boss

IMPRESSUM

JULIA erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/82 651-370 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© Deutsche Erstausgabe 2025 in der Reihe JULIA, Band 2708 Übersetzung: Irmgard Sander

© 2025 by Trish Morey Originaltitel: „After-Hours Proposal“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Abbildungen: Harlequin Books S.A., hirun, thanasus / Getty Images, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2025 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751534925

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Jegliche nicht autorisierte Verwendung dieser Publikation zum Training generativer Technologien der künstlichen Intelligenz (KI) ist ausdrücklich verboten. Die Rechte des Autors und des Verlags bleiben davon unberührt. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Erfolg.

Dominico Estefan blickte auf die Skyline von Melbourne und sonnte sich in der Freude über seinen jüngsten Kauf. Wer immer gesagt hatte, Erfolg sei süß, hatte sich gründlich geirrt. Erfolg war viel fundamentaler. Elementarer. Erfolg war wie Sex. Berauschend.

Erfolg machte süchtig.

Dom Estefan liebte das Gefühl, wenn sich ein Plan erfolgreich zusammenfügte. Nach wochenlangen zähen Verhandlungen war sein Angebot endlich akzeptiert worden. Cooper Industries, die kleine, aber vielversprechende pharmazeutische Firma, die er zu einer globalen Macht umzuformen gedachte, gehörte jetzt ihm.

Er warf einen Blick auf die Uhr. Kaum neun Uhr morgens, und es versprach bereits ein perfekter Tag zu werden. Später, wenn sich all der Staub gelegt hatte und sämtliche Meetings absolviert waren, würde sich die Gelegenheit zum Feiern ergeben. Auch wenn er sich in Melbourne und damit am anderen Ende der Welt befand, von seiner Heimat San Sebastián aus betrachtet, so hatte er noch nie Mühe gehabt, eine Begleitung zu finden.

Und er mochte die australischen Frauen. Oder hatte sie zumindest gemocht. Vor langer Zeit.

Marianne.

Mit dem Namen kamen die Erinnerungen wie aus weiter Ferne, der Name so frisch und lebendig wie das Mädchen. Noch keine zwanzig, ein Freigeist mit wildem braunem Haar und blitzenden grünen Augen. Ihre wenigen gemeinsamen Monate waren das Beste an seiner Zeit in Sydney gewesen. Es war ihm sehr schwergefallen, nach Spanien zurückzukehren – nicht, dass er eine Wahl gehabt hätte.

Dom stützte sich mit einer Hand gegen den Fensterrahmen und blickte hinunter, wo ein Touristenboot auf den Wellen des Flusses tanzte, bis es unter einer Brücke aus seinem Blick entschwand.

Was wohl aus ihr geworden war? Bestimmt war sie inzwischen verheiratet mit einer ganzen Schar Kinder im Schlepptau. Ein Mädchen wie sie war für ihn etwas völlig Neues gewesen, eine Traumtänzerin, den Kopf voller Pläne und so ganz anders als die Töchter und Nichten der señoras der Gesellschaft, die ihm ständig angepriesen worden waren.

Sein Handy vibrierte. Ein Blick auf das Display ließ ihn erstarren. Der Arzt seiner Mutter in San Sebastián rief an? Zu dieser Stunde? Es musste dort ein Uhr nachts sein.

„Hola?“

„Es tut mir leid, Sie zu stören …“

„Meine Mutter“, schnitt Dom alle Höflichkeitsfloskeln ab. „Wie geht es ihr?“

„Ich möchte es nicht beschönigen“, sagte der Arzt. „Die letzten Behandlungen hatten nicht den erhofften Erfolg. Leider muss ich Ihnen sagen, dass sich ihr Zustand verschlechtert. Ich möchte empfehlen, auf eine palliative Behandlung umzusteigen.“

Palliative Behandlung? Aber das bedeutete …

„Wie lange …?“ Dom brachte die Worte nicht über die Lippen. Wie viel Zeit würde er brauchen, um nach Hause zurückzufliegen? Kein Gedanke mehr ans Feiern.

Seit ihrer schlimmen Diagnose hatte er ja gewusst, dass dieser Moment kommen würde. Gewusst, dass seine Mutter den Kampf gegen ihren inoperablen Krebs letztendlich verlieren würde. Doch dieses Wissen bedeutete nicht, dass er auch bereit war, sie zu verlieren.

„Wie lange, glauben Sie, bleibt ihr noch?“

„Es können Wochen oder auch nur Tage sein. Niemand kann das sagen.“

Wochen? Tage? Er war nicht bereit.

Im Hintergrund hörte er die schwache Stimme seiner Mutter. „Worüber redet ihr beiden? Geben Sie mir das Telefon.“

„Mamá?“

Der Arzt seufzte resigniert. „Rosaria hat darauf bestanden, dass ich Sie heute Nacht noch anrufe. Sie verlangt, mit Ihnen zu sprechen.“

„Sollte sie nicht schlafen? Es ist doch mitten in der Nacht bei euch.“

„Rosaria schläft schon lange nicht mehr richtig. Und heute will sie gar nicht zur Ruhe kommen, bis sie mit Ihnen gesprochen hat.“

„Hören Sie auf zu palavern, und geben Sie mir endlich das Telefon!“

Normalerweise hätte der Befehlston seiner Mutter Dom ein Lächeln entlockt. Aber nicht in diesem Moment, da er wusste, wie sehr bei aller geistigen Stärke ihr Körper sie im Stich ließ. Unvorstellbar. Für Dom war sie immer eine Quelle der Kraft gewesen. Stark. Unverwüstlich. Nur ein einziges Mal hatte er sie schwächeln sehen, als sein Vater gestorben war und sie ihren geliebten Roberto verloren hatte. Damals hatte sie lange und schwer getrauert. Aber sie war gestärkt aus dieser Zeit hervorgegangen. Mit klugem Rat hatte sie ihm zur Seite gestanden, während er in seine neue Position als Chef von Estefan Inc. hineingewachsen war. In Doms Vorstellung war sie eine Naturgewalt. Umso grausamer, was die Natur ihr jetzt antat.

„Mein Sohn“, hörte er sie jetzt sagen. „Bist du das?“

„Ja, ich bin es, Mamá.“

Sie seufzte. „Endlich. Ich dachte schon, ich würde sterben, ehe der verwünschte Doktor mir das Telefon gibt.“

Dom war nicht nach Scherzen zumute, aber er verkniff es sich, das zu sagen. „Dr. Rodríguez ist der Beste seines Fachs, das weißt du genau.“

„Mag sein, aber darüber wollte ich mit dir nicht sprechen.“

„Worüber wolltest du denn mit mir sprechen?“

„Ich sterbe, Dominico.“

Ein Dolchstoß mitten ins Herz. „Sag das nicht.“

„Warum nicht, wenn es doch wahr ist? Ich will, dass du dich darauf konzentrierst.“

Als ob er im Moment an irgendetwas anderes denken könnte. Alle Gedanken an seinen jüngsten Erfolg, geschweige denn ans Feiern waren ihm vergangen.

„Weshalb glaubst du, dass ich es nicht weiß?“

„Weil du mir andernfalls schon längst gegeben hättest, was ich mir wünsche. Wenn du ein guter Sohn wärst, hättest du mir die Enkelkinder geschenkt, die ich mir so sehr gewünscht habe.“

„Mamá“, protestierte er. „Es ist doch nicht so, als hätte ich dir die Enkelkinder bewusst verwehrt. Ich konnte nicht ahnen, dass du krank wirst. Es lässt sich jetzt nicht mehr ändern.“

„Nein, was geschehen ist, ist geschehen.“ Sie schniefte. „Oder, in diesem Fall, was nicht geschehen ist, ist nicht geschehen.“

Dom ließ den Kopf sinken. All das Hochgefühl von zuvor hatte sich verflüchtigt. Vor allem wegen des niederschmetternden Urteils, dass er als guter Sohn versagt habe. Offenbar schien für seine Mutter überhaupt nicht ins Gewicht zu fallen, dass er das Unternehmen, das ihm sein Vater im zarten Alter von zweiundzwanzig Jahren hinterlassen hatte, um das Zehnfache vergrößert hatte. Seine schier endlose Erfolgsgeschichte zählte nicht. Nein, er hatte seiner Mutter die Erfahrung verweigert, Großmutter zu sein, und nur danach wurde er beurteilt.

„Dominico!“ Die brüchige Stimme seiner Mutter traf ihn wie ein Klaps auf den Hinterkopf. „Bist du noch da?“

„Ich bin hier.“

„Gut. Denn ich bitte dich jetzt um diese eine Sache. Bevor ich sterbe.“

Dom schluckte. „Was willst du, Mamá?“

Sie seufzte und klang plötzlich resigniert. „Ich will meinen Sohn verheiratet sehen, bevor ich sterbe.“

„Wie bitte?“

„Immerhin“, fuhr sie fort, als hätte er nichts gesagt, „wirst du auch nicht jünger. Du bist jetzt zweiundvierzig. Das ist doch nicht zu viel verlangt, oder? Schließlich hattest du genug Zeit, dir eine Frau zu suchen. Auf jedem Foto, das ich in den Zeitungen von dir sehe, bist du in Begleitung irgendeiner Schönheit. Wann wirst du endlich mit einer von ihnen eine Familie gründen?“

Caramba! Seit über einem Jahrzehnt hatte seine Mutter versucht, ihn zu verkuppeln. Ohne Erfolg. Er war einfach nicht gewillt gewesen, irgendeine Frau zu heiraten, nur um seine Mutter glücklich zu machen. Zumal all diese Frauen in der Regel mehr an seinem Geld interessiert waren als an ihm.

Aber es hatte keinen Sinn, jetzt mit seiner Mutter darüber zu streiten. Warum sie aufbringen, wenn sie sowieso schon Mühe hatte, Schlaf zu finden? „Und wer sagt, dass ich nicht schon längst jemand gefunden habe?“, erwiderte er deshalb betont sanft.

„Tatsächlich?“ Seine Mutter klang plötzlich ganz aufgeregt. „Warum hast du mir nichts davon erzählt?“

„Weil es noch ziemlich frisch ist und ich sie nicht verschrecken möchte.“

„Wer ist sie? Kenne ich sie?“

Gute Frage, dachte Dom. Ja, wer zur Hölle war sie? „Wie wär’s, wenn ich dir das alles erzähle, sobald ich nach Hause komme? Jetzt ist es schon spät bei euch, und du solltest wirklich schlafen.“

„Und du wirst wirklich heiraten? Du hast die Richtige gefunden?“

„Sie sollten sich jetzt ausruhen, Rosaria“, war im Hintergrund die Stimme des Arztes zu hören.

„Ja, jetzt kann ich mich ausruhen.“ Seine Mutter seufzte müde. „Mein Sohn wird heiraten.“

„Wir reden, wenn ich nach Hause komme.“ Ein trauriges Lächeln huschte über Doms Gesicht. „Dann erzähl ich dir alles. Te quiero, Mamá.“

„Mein Sohn … te quiero.“

Er hörte, wie der Arzt seiner Mutter das Telefon abnahm. „Un momento, Dominico.“

Offenbar half er seiner Patientin, es sich bequem zu machen, verließ das Zimmer und zog die Tür leise hinter sich zu. „Danke, dass Sie mit ihr gesprochen haben“, sagte er dann.

„Sind Sie sicher, dass ihr nicht mehr viel Zeit bleibt, Doktor? Sie klang so energisch und eigenwillig wie immer.“

„Lassen Sie sich nicht täuschen. Sie ist eine starke Frau, und wenn ich so sagen darf, eine Frau mit einer Mission. Sie hat sich geweigert, zu schlafen, bis sie nicht mit Ihnen gesprochen hatte. Aber nun wird sie schlafen … wegen der Zusicherung, die Sie ihr gegeben haben.“

Nur würde Dom schlafen können? Es war eine Sache, ein Versprechen abzugeben, und eine ganz andere, es zu halten, wenn man keine Ahnung hatte, wie.

„Ach ja, und meinen herzlichen Glückwunsch“, fügte der Arzt hinzu.

„Gracias“, erwiderte Dom heiser, bevor er das Gespräch beendete. Falls der Arzt den Verdacht hegte, dass sein Versprechen nur ein Versuch war, seine Mutter zu beschwichtigen, verriet er es nicht.

Dom lehnte sich in seinem Sessel zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Im Geiste überschlug er, was er noch unbedingt persönlich zum Abschluss bringen musste, bevor er nach Spanien fliegen konnte, um seiner Mutter in den verbleibenden Tagen oder Wochen zur Seite zu stehen. Da war ein Meeting um zehn mit seiner Anwältin zur Klärung der letzten Details und ein weiteres Meeting um elf, das nur fünf Minuten in Anspruch nehmen sollte. Mit anderen Worten, er konnte bereits am Nachmittag in seinem Jet sitzen.

Und in der Zwischenzeit musste er eine Braut finden.

Nichts leichter als das.

Fast hätte er laut gelacht. Es war ja auch zum Lachen, wenn es nicht so ernst gewesen wäre.

Denn eine geeignete Braut zu finden, war natürlich nicht annähernd so einfach wie eine Bettgenossin für die Nacht. Im Lauf der Jahre war er einigen Frauen begegnet, die sich ihm mehr oder weniger subtil für die Rolle seiner Ehefrau angeboten hatten. Keine davon hatte ihn hinsichtlich ihrer Beweggründe überzeugt. Im Gegenteil, mit jeder fühlte er sich mehr in seiner Entscheidung bestärkt, besser gar nicht zu heiraten.

Und natürlich gab es noch mehr Frauen, die nur zu gern bereit wären, vorübergehend die Rolle seiner glücklichen Braut zu spielen, vor allem, wenn er ihnen einen entsprechenden finanziellen Anreiz dazu bot. Denn er würde die Frau, die dafür sorgte, dass seine Mutter erleichtert und friedlich sterben konnte, selbstverständlich großzügig entlohnen. Aber auch bei dieser Variante drohten Komplikationen.

Und Dom hasste Komplikationen. Er wollte keine Frau, die ihn unbedingt heiraten wollte, aber genauso wenig wollte er eine Frau, die sich bereit erklärte, die Rolle seiner Ehefrau nur begrenzt zu spielen, und die womöglich ihre Meinung änderte, wenn ihre Zeit abgelaufen war. Er hatte keine Lust, am Ende noch vor Gericht gehen zu müssen.

Nein, was er brauchte, war eine Frau, die nicht mit ihm verheiratet sein wollte. Eine Frau, die ihn nur notgedrungen heiraten würde, weil er ihr einen Anreiz bot, den sie nicht ausschlagen konnte, finanzieller oder anderer Art. Eine Frau, die nach Beendigung eines genau auszuarbeitenden Vertrags in die Scheidung einwilligte.

Wo, verdammt noch mal, sollte er eine solche Frau finden?

Als Mari Petersons sogenannter Schnellzug endlich vierzig Minuten zu spät auf der Flinders Street Station in Melbourne einfuhr, kochte sie innerlich. Sie hasste es grundsätzlich, zu spät zu kommen, aber besonders an einem so wichtigen Tag wie diesem. Nun blieb ihr vor dem Meeting um zehn Uhr dreißig kaum noch Zeit, die nötigen Unterlagen, geschweige denn, ihre Gedanken zu sammeln. Cooper Industries brauchte diesen Kredit dringend, um seine Expansion auf Weltmarktniveau zu finanzieren. Was für einen Eindruck würde es machen, wenn die Finanzmanagerin der Firma zu spät kam?

Fairerweise musste Mari sich eingestehen, dass sie schon bei Antritt der Zugreise nicht bester Laune gewesen war. Sie hatte eine unruhige Nacht hinter sich nach dem gestrigen Anruf, als die Pflegerin ihrer Schwester die Bombe hatte platzen lassen, dass sie ohne eine beträchtliche Lohnerhöhung nicht würde bleiben können. Wo sollte sie eine neue Valerie finden? Haushälterin, Köchin und treue Kameradin in einem, war diese Frau ein Geschenk des Himmels. Vor allem aber liebte Suzanne sie. Valeries Verlust würde ihr das Herz brechen.

Nicht, dass Mari es der Pflegerin verübeln konnte. Das Leben war für alle Menschen teurer geworden, und Valerie hatte in den vergangenen zwei Jahren keine Lohnerhöhung erhalten. Weil Mari es sich nicht hatte leisten können.

Was sollte sie nur machen, verdammt?

Vor dem Bahnhof fuhr schon ihre Bahn an der Haltestelle vor. Im Laufschritt eilte Mari die Stufen hinunter. „Gütiger Himmel“, stieß sie aus, als die Bahn ohne sie abfuhr. Dieser Tag entwickelte sich zu einem einzigen Desaster.

Atme.

Es war die beruhigende Stimme ihrer Großmutter, die durch das Hämmern ihres Herzens und den Lärm des Verkehrs zu ihr vordrang. Die gelassene, ruhige Stimme, mit der sie stets auf Marianne eingeredet hatte, wann immer sich diese als Teenagerin über ein echtes oder vermeintliches Unrecht in Rage gebracht hatte … sei es in ihrer Verzweiflung über den tragischen Tod ihrer Eltern bei einem Verkehrsunfall oder wegen eines brutalen Despoten, der in irgendeinem fernen Land sein Volk terrorisierte, oder auch nur, weil ihre kleine Schwester sie wieder einmal in den Wahnsinn trieb.

„Atme“, lautete dann unweigerlich der Rat ihrer Großmutter. „Nimm dir einen Moment. Konzentriere dich darauf, was du kontrollieren kannst, und nicht auf das, was du nicht kannst.“

Also atmete Mari tief ein, wandte den Blick ab von all der Hektik ringsum und richtete ihn nach oben in den blauen Himmel, blendete den Verkehrslärm aus, konzentrierte sich ganz auf ihr Atmen, atmete die klare Herbstluft. Sie war mehr als ein halbes Leben entfernt von dem leicht entflammbaren, leidenschaftlichen Teenager von damals, aber der Rat ihrer Großmutter war noch genauso wirksam.

Denn genau wie jener Teenager von damals war sie auf bestem Weg, sich in die Erschöpfung zu treiben. Richtig, sie war zu spät zur Arbeit und sie würde sich sehr bald um eine neue Pflegerin für Suzanne kümmern müssen. Aber an ihrer Verspätung ließ sich sowieso nichts mehr ändern. Sie konnte nur dem CEO eine Nachricht mit ihrer aktualisierten Ankunftszeit schicken und um Entschuldigung bitten. Eine neue Pflegerin für ihre Schwester zu finden, war da schon eine größere Herausforderung, aber auch die würde sie irgendwie meistern.

Mari schickte ein dankbares Lächeln zum Himmel. Diesen Moment der Ruhe und Sammlung hatte sie gebraucht. Natürlich war der Tag nicht schon völlig ruiniert. All ihre bösen Vorahnungen lagen einzig und allein daran, dass sie so schlecht geschlafen hatte. Nichts, was ein starker Kaffee nicht richten konnte.

Rasch schickte sie eine Nachricht mit ihrer neuen Ankunftszeit an den CEO.

Zug ist endlich angekommen. Warte auf die Bahn. Bin um zehn da.

Die Antwort kam fast umgehend.

Keine Eile. Meeting abgesagt. Erklärung, sobald Sie hier sind.

Abgesagt? Was sollte das? Die Bank hatte dieses Meeting doch selbst verlangt als Voraussetzung vor dem endgültigen Entscheid über die Kreditzusage. Man wollte Mari persönlich befragen und die eingereichten Bilanzen Zeile für Zeile mit ihr durchgehen.

Es sei denn, die Bank hätte den Kredit bereits zugesagt? Sie wagte es kaum zu glauben, dass sie es geschafft haben könnten, Cooper Industries wieder ins Geschäft zu bringen. Andererseits bewiesen die eingereichten Bilanzen zusammen mit den von Mari verfassten ausführlichen Finanzberichten, dass die Firma grundsolide dastand. Jeder Banker, der sein Geld wert war, konnte das sehen.

Nachdenklich blickte sie auf ihr Handy. Eric Cooper würde außer sich vor Freude sein, wenn der Kredit bewilligt worden war. Aber seine kurze Nachricht verriet nichts dergleichen. Es sei denn, er wollte ihr die guten Neuigkeiten persönlich überbringen? Ja, das würde zu Eric passen.

Mari atmete auf, als die Ampel auf Grün wechselte, und ging mit nun leichterem Herz zu der Haltestelle. Denn plötzlich hatte sie nicht mehr das Gefühl, dass sich alles in ihrem Leben gegen sie verschworen hatte. Im Gegenteil, jetzt blieb ihr sogar noch Zeit, sich auf dem Weg einen guten Kaffee von ihrem Lieblingsbarista mitzunehmen. Dieser Tag wurde immer besser.

Zehn Minuten später, den Becher mit dem duftenden Kaffee in einer Hand, zog Mari die Gittertür des altehrwürdigen Lifts in dem Backsteinlagerhaus hinter sich zu und drückte den Knopf für den dritten Stock. Ratternd fuhr sie nach oben in das kleine Halbgeschoss, wo die Büros untergebracht waren und das sie gern als Penthouse bezeichnete. Natürlich war es nichts dergleichen Luxuriöses. Aber zwischen den schicken Apartmentblocks und Hotels, die mittlerweile das Hafenviertel prägten, bot das schmale Fenster in ihrem Büro immerhin einen winzigen Blick auf die Port Phillip Bay von Melbourne.

Sie nippte an ihrem Kaffee, als sie aus dem Lift trat, bereit, Carol zu begrüßen, aber die Rezeption war verwaist. Alles wirkte ungewohnt still. Auf dem Weg in ihr Büro begegnete sie keiner Menschenseele. Der winzige Meeresausschnitt in der Ferne glitzerte und funkelte in der Sonne. Sie blieb einen Moment am Fenster stehen und genoss das Lichtspiel. O ja, sie liebte es, hier zu arbeiten.

„Sie sind hier, Mari, gut“, sagte jemand hinter ihr.

„Eric.“ Lächelnd drehte sie sich zu ihm, um ihn zu begrüßen. „Ich hoffe, Sie haben gute Nachrichten …“ Aber etwas im Gesicht ihres Bosses ließ sie verstummen. Eric schien seit gestern um zehn Jahre gealtert, tiefe Falten um Nase und Mund, die Augen müde und ausdruckslos. Er sah aus, als trüge er alle Last der Welt auf seinen Schultern. Mari schluckte. „Sie haben den Kredit abgelehnt.“ Es war keine Frage.

Doch er schüttelte den Kopf. „Nein.“

„Was dann …?“

Seufzend hockte er sich auf die Kante ihres Schreibtischs und sah sie traurig an. Fast entschuldigend. „Ich habe den Antrag zurückgezogen.“

„Aber warum? Wir waren doch so zuversichtlich.“

Ihr Boss deutete auf ihren Schreibtischsessel. „Vielleicht setzen Sie sich lieber.“

Benommen nahm Mari Platz. Wie es aussah, sollte die emotionale Achterbahnfahrt, die gestern Abend mit Valeries Anruf begonnen hatte, noch nicht zu Ende sein. „Was ist los?“

Eric atmete tief ein. „Der Kredit ist nicht länger erforderlich.“

„Aber die geplante Expansion …“

„Wird ein anderer in die Hand nehmen.“

„Das begreife ich nicht. Wer? Sie haben diese Firma gegründet, Eric. Sie ist Ihr Baby, ihr ganzer Stolz. Es war doch Ihr Traum, Cooper Industries zu einem Weltunternehmen auszubauen.“

„War ist das entscheidende Wort.“

„Aber was hat sich denn geändert?“

„Es tut mir leid, Mari, aber ich habe die Firma verkauft. Seit heute Morgen um neun Uhr gehört mir Cooper Industries nicht mehr.“

„Wie? Das verstehe ich nicht.“ Es hatte keinerlei Andeutungen oder Gerüchte hinsichtlich eines Verkaufs gegeben. Nach Maris Wissensstand fehlte nur noch das O. K. der Bank, um mit den Expansionsplänen loszulegen.

Eric schien in sich zusammenzusinken. „Ich fürchte, es gibt keinen leichten Weg, Ihnen das beizubringen, also sage ich es geradeheraus. Bei mir wurde Bauspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert.“

„Nein!“ Undenkbar. Eric war ihr Mentor und eine Vaterfigur gewesen, seit sie vor zehn Jahren in der Firma angefangen hatte. Und auch wenn er die siebzig schon eine Weile hinter sich hatte, lief er noch regelmäßig Halbmarathons. „Sie sind der fitteste Mann, den ich kenne.“

Er schüttelte den Kopf. „Ich wünschte, es wäre so. Aber ich habe nach der Ursache für diese Rückenschmerzen gesucht, die ich seit einiger Zeit hatte, und sie gefunden.“ Er lachte ironisch. „Wie sich gezeigt hat, waren es wohl doch nicht die falschen Laufschuhe.“

Ungeachtet seines Galgenhumors war es Mari natürlich klar, dass diese Diagnose ein Todesurteil sein konnte. Sie suchte nach den richtigen Worten.

Aber Eric war ihr einen Schritt voraus. „Drei Monate, vielleicht sechs, wenn ich Glück habe“, beantwortete er die Frage, die ihr am meisten auf der Seele brannte. Diesmal erstarb ihm das Lachen im Hals. „Helen hofft natürlich auf sechs. Seit Jahren hat sie mich gebeten, weniger zu arbeiten und mehr Zeit für sie und die Familie zu haben. Sie hat eine Liste, was sie noch mit mir machen will, die länger ist als mein Arm. Ich habe das schreckliche Gefühl, dass ich in den nächsten Monaten viel mehr beschäftigt sein werde als je zuvor.“ Er rang sich ein zittriges Lächeln ab, bevor er ein Taschentuch hervorzog und sich die Augen abtupfte. „Vielleicht hätte ich wirklich schon früher kürzertreten sollen.“

Mari schaffte es nicht, ihre Tränen zurückzuhalten. „Eric, was für schlimme Nachrichten. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“

Er winkte ab. „Es gibt nichts, was man sagen könnte. Aber es war mir wichtig, dass Sie wissen, warum ich die schwere Entscheidung treffen musste, die Firma zu verkaufen.“

Sie schniefte. „Das verstehe ich doch.“

„Danke, Mari, dass Sie mir nicht noch ein schlechteres Gefühl geben, als ich es sowieso schon habe. Sie haben so viel von sich in diese Firma eingebracht, ganz zu schweigen von Ihrer vielen Arbeit mit dem Kreditantrag. Ich habe das Gefühl, Sie im Stich zu lassen.“

„Nein, das dürfen Sie nicht denken, Eric! Sie müssen jetzt sich und Ihre Familie an erster Stelle setzen. Ich bin sicher, dass der Käufer, wer immer es auch ist, das große Potenzial der Firma erkennt. Und genauso sicher bin ich, dass die Firma auf dem Weltmarkt groß einschlagen wird, egal, wer ihr vorsteht.“

Eric Cooper beugte sich vor und drückte ihre Hand. „Das wäre schön. Anscheinend hat er Cooper Industries schon die letzten zwölf Monate im Blick gehabt, sich aber erst in den letzten Wochen gezeigt und dann versucht, mich zu einem Verkauf zu überreden.“

Mari blickte auf. „Sie haben mir nichts davon gesagt. Keine Andeutung …“

„Warum hätte ich Sie beunruhigen sollen? Ich war ja fest entschlossen, nie zu verkaufen, und nur darauf fokussiert, wie wir alle, diesen Kredit an Land zu ziehen.“ Er verstummte kurz. „Zumindest war das mein Fokus bis zu der Diagnose.“

Er wich ihrem Blick aus und schüttelte den Kopf. „Leider kommt es oft anders, als man denkt. Man glaubt, das Beste zu tun, und muss feststellen, dass sich die Dinge möglicherweise nicht wie geplant entwickeln.“ 

„Was soll das heißen?“

„Ich war der Ansicht, ich würde das Geschäft mit allem Drum und Dran verkaufen. Nur ein Eigentümerwechsel, mit einer Jobgarantie für sämtliche Angestellten. Wie es sich herausstellt, hat der neue Eigentümer aber eine andere Vision.“

„Ach ja?“

„Er will das Laborpersonal weiterbeschäftigen. Zumindest fürs Erste.“

Mari schluckte. Die Antwort auf ihre nächste Frage wollte sie eigentlich gar nicht hören. „Und was ist mit der Verwaltung?“

„Er bringt sein eigenes Team mit. Als ich das herausfand, wollte ich es nicht dabei belassen, dass jeder eine unpersönliche E-Mail mit der Kündigung erhält. Deshalb habe ich mich von jedem Einzelnen persönlich verabschiedet, sowie sie hereingekommen sind.“

Sie dachte an Carol und all die anderen langjährigen Angestellten, denen er die traurigen Neuigkeiten hatte mitteilen müssen. Was erklärte, warum die Büros bei ihrer Ankunft so verwaist gewesen waren. Aber sie, Mari, gehört ja auch zum Verwaltungspersonal. Wollte Eric ihr auf schonende Weise beibringen, dass sie auch gehen musste?

Himmel, bitte nicht.