Modermoor Castle – Die Jagd nach dem verschwundenen Löffel - Chris Priestley - E-Book

Modermoor Castle – Die Jagd nach dem verschwundenen Löffel E-Book

Chris Priestley

0,0
12,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein Wikinger auf dem Schulgelände?Ein Werwolf auf dem Dachboden?Ein Geschichtslehrer, der plötzlich nicht mehr langweilig ist?Mufford und sein Freund Sponge sind Schüler von Modermoor Castle, der Schule für die nicht besonders hellen Kinder aus nicht besonders reichem Hause, – und einiges an Kummer gewohnt! Doch in letzter Zeit treten hier selbst für ihren Geschmack etwas zu viele Seltsamkeiten auf. Vor allem, als plötzlich der silberne Löffel, eine wertvolle Schulinsignie, gestohlen wird. Wenn sich der Dieb nicht findet, werden den Schülern die Weihnachtsferien gestrichen! Das darf auf keinen Fall passieren, beschließen die zwei und tauchen ein in das haarsträubendste Rätsel, das Modermoor Castle, dieses finster-trostlose Ungetüm von Schule, je gesehen hat!Der erste Band der herrlich skurrilen und unerhört komischen neuen Serie von Schauergeschichtenstar Chris Priestley.Mit zahlreichen Illustrationen vom AutorBei Antolin gelistet

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 163

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Chris Priestley

Modermoor Castle – Die Jagd nach dem verschwundenen Löffel

Aus dem Englischen von Sigrid Ruschmeier

Mit Illustrationen des Autors

FISCHER E-Books

Inhalt

[Widmung][Karte][Schüler- und Lehrergalerie]Ein Wikinger im Ha-HaGedrängel im FlurEine Büste von SpongeEnderpenny sieht ein GespenstDetektiv MuffordAschgrauEine Liste der VerdächtigenMr Luckless wird ins Vertrauen gezogenGespensterjagdEine neue LateinlehrerinDas TemporotransnavigationsfahrzeugWeihnachten fällt ausIn der Stunde der Not lässt Mufford sich selbst im StichMufford isst ein sehr altes BrötchenMufford heimst den Löffel einZwei deutlich vernehmbare Geräusche, keines gutDer Schrei eines jungen MädchensSchmantzSchmantz, der RetterSponge, noch einmal RetterSponge kehrt aus dem Misthaufen zurückZwei in einer ZeitmaschineSündhaft teure KekseLord ModermoorDer Löffel taucht wieder aufMr Luckless kommt zur VernunftEin Fossil

Ein Wikinger im Ha-Ha

Mufford und sein Freund Sponge brauchten dringend ein Atempäuschen und blieben stehen. Sie nahmen am Rennen auf den Pig’s Pike teil, das zweimal in der Woche stattfand. Keuchend schauten sie zu ihrer Schule hinunter: ein trübsinniges, rußgeschwärztes, mit grässlichen Steinfratzen gespicktes Ungetüm.

Modermoor Castle, die Schule für die nicht besonders hellen Kinder aus nicht besonders reichem Hause, befand sich genau zwischen den Zwillingshügeln Pig’s Pike und Pug’s Peak im winddurchtosten Cumberland hoch oben im Norden Englands. Wie eine protzige Brosche aus schwarzem Bernstein am Busen einer griesgrämigen Gräfin lag das Gebäude dort im Tal eingeklemmt.

Mufford hieß mit Vornamen Arthur, aber in Modermoor Castle sprach man sich nicht mit Vornamen an. Seine Familie war uralt, doch Mufford als ihr jüngster Spross gar nicht muffig, nur ein bisschen unsportlich. Sponge hieß mit vollem Namen Algernon Spongely-Partwork und war ebenfalls von vornehmer Herkunft, doch alle nannten ihn einfach nur Sponge, was ihm gefiel, denn er merkte sich nicht gerne lange Worte.

Den beiden Freunden ging es in diesem Augenblick nicht besonders gut.

»Mir geht’s nicht gut, Sponge«, japste Mufford.

»Mir auch nicht«, schnaufte Sponge.

Mufford half Sponge, den Rucksack abzunehmen, den sie auf Anordnung ihres absolut unzurechnungsfähigen Sportlehrers Mr Stupido bei den Rennen den Berg hinauf- und hinabschleppen mussten, damit sie zur noch schlimmeren Folter wurden. Mufford stöhnte vor Anstrengung und ließ den Rucksack zu Boden fallen.

»Was um alles in der Welt hast du da drin?«, fragte er. »Der wiegt ja eine Tonne.«

»Stupido hat mich erwischt, als ich wieder nur Socken reingetan habe, und gezwungen, den gesamten Inhalt meines Schrankkoffers hineinzukippen.«

Mufford öffnete den Rucksack und erblickte Kleidungsstücke, Schuhe, mehrere Bücher und ein Messingfernrohr.

»Warum um alles in der Welt hast du denn ein Fernrohr?«, fragte er.

»Weiß ich eigentlich nicht«, erwiderte Sponge. »Ein Weihnachtsgeschenk meines Onkels Tarquin. Ehrlich gesagt, hatte ich schon vergessen, dass ich es überhaupt besitze. Zu blöd!«

»Ja, ziemliches Pech, es ist ganz schön schwer.«

»Ich weiß. Aber sag mal, Mufford – warum hast du einen Verband um den Arm? Hast du in den Herbstferien einen Unfall gehabt?«

»Ich habe dreimal versucht, es dir zu erzählen, Sponge. Doch jedes Mal hast du angefangen, vor dich hinzusummen, und das hat mich irritiert –«

»Zack, zack, Mufford!«, schrie Mr Stupido, dessen Glatzkopf glänzte wie ein hartgekochtes, gepelltes Ei. Er strich sich über seinen grauenhaft buschigen Zwirbelbart und prahlte: »In deinem Alter habe ich ein totes Schaf über den Kopf gestemmt, ohne auch nur einen Tropfen Schweiß zu vergießen.«

Mr Stupido war als Kraftakrobat im Zirkus aufgetreten, doch dann hatte er tragischerweise am Leben eines Sportlehrers Gefallen gefunden.

»Aber, Sir, meine Knie«, wandte Mufford ein.

»Papperlapapp«, rief Mr Stupido und verpasste ihm eine solche Ohrfeige, dass Mufford kopfüber ins Farngestrüpp flog. »Du bist viel zu jung, um Knie zu haben. Los! Der letzte auf dem Gipfel ist ’ne Lusche!«

Während Mr Stupido nun in großen Sprüngen den Pfad hinaufsetzte, rappelte Mufford sich auf. Rings um ihn herum stöhnten auch andere Jungs erbärmlich, und als ihr unglückliches Jammern kaum mehr ein Ende nehmen wollte, kam ihm eine Idee.

»Alle mal herhören!«, schrie er und reckte die Faust in die Luft. »Was haltet ihr davon, wenn wir Stupido zeigen, dass wir auch Kerle sind, und das alte Walross noch vor dem Gipfel abfangen?«

»Halt die Klappe, Mufford, du Pestbeule«, sagte sein Mitschüler Kennington und verpasste ihm, natürlich nur aus Spaß, eine Kopfnuss. Wieder landete Mufford kopfüber im Farn.

Als er sich auch diesmal wieder aufrappelte, sah er die Jungs nur noch gerade über den Pfad verschwinden. Er spuckte ein paar Zweiglein heimischer Pflanzen aus und schaute auf Modermoor Castle hinunter. Wolkenschatten verdunkelten die ohnehin schon rußgeschwärzten Mauern mit den steinernen Fratzen. Eine schlimmere Schule gibt es wirklich nicht, dachte er.

»Alles in Ordnung?«, fragte Sponge.

»Glaub schon«, sagte Mufford mit einem Seufzer, der hoffentlich verriet, dass er zutiefst verzweifelt war.

»Irgendwer muss Kennington mal eine Lektion erteilen«, sagte Sponge. »Meine Mutter meint, er –«

»Pssst!«, unterbrach ihn Mufford und zeigte hinunter zum Schulgelände. »Vergiss die Kellerratte Kennington und deine Mutter. Schau lieber, was das ist.«

»Was?«

»Das da unten! Da rennt jemand durch den Ha-Ha.«

»Den Ha-Ha?«

»Ja. Den Ha-Ha.«

»Den Ha-Ha?«

»Hör auf, immer Ha-Ha zu sagen.«

»Aber was meinst du? Wovon redest du?«

»Von dem Graben am Ende des Sportplatzes, du Trottel. Das ist ein Ha-Ha.«

»Oh. Tatsächlich? Wozu ist er gut?«

»Um Schafe vom Schulgelände fernzuhalten.«

»Und warum sollten Schafe aufs Schulgelände kommen?« Sponge schüttelte den Kopf und lächelte. »Wenn ich ein Schaf wäre, würde ich niemals –«

»Das interessiert jetzt nicht«, unterbrach ihn Mufford. »Schau! Dort!«

Sponge blickte brav in die angezeigte Richtung, und wirklich rannte ein Mann durch den Ha-Ha. Das fand er insofern ungewöhnlich, als der einzige Mann in Modermoor Castle, der überhaupt Gefallen an schnellerer Bewegung fand, über ihnen den Berghang hochjagte und einen Jungschor anführte, der »Mufford ist ’ne Lusche! Mufford ist ’ne Lusche!« brüllte.

Noch ungewöhnlicher allerdings war, dass der Mann im Ha-Ha offenbar einen Flügelhelm trug und – wenn auch mit einiger Mühe – etwas mitschleppte, das selbst aus dieser Entfernung deutlich als große Axt zu erkennen war.

»Warte«, sagte Mufford, wühlte in Sponges Rucksack und zog das Fernrohr heraus.

Es dauerte eine Weile, bis er es richtig auf die zunächst verschwommene Gestalt eingestellt hatte. Dann sagte er: »Im Ha-Ha ist ein Wikinger.«

»Ein Wikinger? Das kann nicht sein.«

»Doch, kann es doch.« Mufford gab Sponge das Fernrohr.

Staunend und ohne ein Wort zu sagen, beobachteten die Jungs, wie der Wikinger hinter einem Goldregenbusch verschwand. Bevor sie allerdings über das Geschehene reden konnten, kamen ihre Schulkameraden vom Pig’s Pike heruntergetrampelt, rissen sie wie die Kegel um, und manche traten sogar auf sie drauf.

»Wer als Letztes unten ankommt, ist ’ne Tranfunzel!«, höhnte Mr Stupido im Vorbeispringen.

Gedrängel im Flur

Mufford und Sponge gingen zurück in die Schule, um zu duschen und sich umzuziehen. Wenn überhaupt, dann fürchteten sie sich mehr vor dem Duschen als vor dem Turnunterricht. Denn das eiskalte Duschwasser kam direkt aus dem Bach, der den Pug’s Peak herunterfloss, und zwar erheblich schneller, als die Jungs rennen konnten.

Als sie sich in Windeseile angezogen hatten, suchten sie sich ein ruhiges Plätzchen, wo sie über die geheimnisvolle Beobachtung sprechen konnten. Direkt vor dem Trophäenraum fanden sie es.

»Wem sollen wir als Erstes von dem Wikinger erzählen, Mufford?«, sagte Sponge, als ihm endlich nicht mehr vor Kälte der Kiefer klapperte. »Die Frage ist natürlich, ob man es uns abnimmt.«

»Aber sicher doch«, erwiderte Mufford. »Warum denn nicht?«

»Na ja, ich habe es selbst gesehen und doch kaum geglaubt.«

»Ah, ich verstehe, was du meinst. Wir müssen den richtigen Augenblick abpassen. Wir wollen ja nicht, dass die anderen sich über uns lustig machen.«

»Jedenfalls nicht mehr als sonst auch.«

»Genau. O nein, da kommt Kennington. Schnell – hier rein.«

Kennington schlenderte mit ein paar Kumpeln durch den Flur auf sie zu, doch Mufford und Sponge gelang es, sich rechtzeitig im Trophäenraum zu verstecken. Mucksmäuschenstill hörten sie zu, wie die Schritte verhallten.

Die Trophäensammlung war ein trauriger Anblick. Denn was sportliche Erfolge betraf, hatten sich die Schüler von Modermoor Castle seit jeher als ziemliche Nieten erwiesen. Hätte es nicht die schuleigenen Wettkämpfe gegeben, etwa das gefürchtete Bergrennen um den Gipfelpokal, wäre der Raum so gut wie leer gewesen. Bis auf ein paar Gegenstände, die wie der hoch in Ehren gehaltene Schullöffel für die Geschichte der Schule bedeutungsvoll waren, gab es dort nichts zu bewundern.

»Hast du das gehört?«, fragte Sponge.

»Was?«

»Es klang wie Atmen.«

»Atmen?«

»Ja, hier drin. Aber nicht wie unser eigenes Atmen.«

Die Jungs sahen sich gründlich im Raum um, entdeckten aber niemanden.

»Hier ist keiner, Sponge«, sagte Mufford. »Du hast dir was eingebildet.«

Überzeugt wirkte Sponge nicht.

»Können wir gehen, Mufford? Mir gefällt’s hier nicht.«

»Natürlich«, lächelte sein Freund. »Was bist du nur für ein –«

Plötzlich ertönte ein lautes Niesen, und die Jungs zuckten zu Tode erschrocken zusammen.

»Iiiik!«, quiekte Sponge und fiel gegen Mufford, der wiederum gegen eine der Vitrinen fiel und sie beinahe umstieß.

Ohne auch nur noch einen Blick zurückzuwerfen, rasten sie zur Mathestunde mit Mr Painly, der gerade zur Tafel schritt und mit Kreide etwas daraufschrieb.

Fast zwei Stunden später wankten die Jungs wie immer nach dem Matheunterricht hohläugig, grenzenlos gedemütigt und verzweifelt aus dem Klassenzimmer.

»Pause!«, keuchte Mufford, als käme er nach vielen Jahren aus dem Gefängnis, wo er wegen eines Verbrechens gesessen hatte, das er nicht begangen hatte. »Wir müssen reden, Sponge. Über vieles.«

Doch bevor sie das nun endlich tun konnten, wurden sie von einem heftigen Gedrängel im Flur abgelenkt.

»Schau«, sagte Sponge.

»Ja«, sagte Mufford. »Was um alles in der Welt ist da los?«

Die Schüler von Modermoor Castle wurden in die Aula gescheucht. Mufford musste an durcheinanderhoppelnde Kaninchen denken. Er packte eins am Arm.

»Bottleneck«, fragte er. »Was ist los?«

Bottleneck reckte seinen dünnen langen Hals und zuckte dann die knochigen Schultern, woraufhin seine Haare zitterten wie eine erschreckte Spinne.

»Niemand weiß es, Mufford«, erwiderte er. »Wir sollen uns aber alle in der Aula versammeln.«

»Vielleicht haben nicht nur wir den Wikinger gesehen«, flüsterte Sponge, während Bottleneck weiterging.

»Gut möglich«, flüsterte Mufford zurück.

Dann wurden sie vom Strom der Jungen mitgerissen, bis sie in der Mitte der Aula zum Stehen kamen. Alle schnatterten laut mit ihren Nachbarn. Was war wohl passiert?

»Ruhe!«, befahl Pastor Brimstone mit Donnerstimme und beugte sich, die Augen in dem feuerroten Gesicht sperrangelweit aufgerissen, übers Rednerpult auf der Bühne. Wie wildgewordene Stachelschweine sprangen ihm die Augenbrauen auf und nieder.

Sofort herrschte Stille. Flintlock, Oberaufseher über die Parkanlagen und den Sportplatz, hob sich, die Flinte in der Hand, schemenhaft vor einem Fenster ab.

»Was macht der denn hier?«, flüsterte Mufford, der sich fest einbildete, dass Flintlock ihn im Visier hatte.

Sponge zuckte die Achseln.

»Danke, Pastor«, sagte der Direktor und begab sich zum Pult.

Pastor Brimstone stieß ein letztes Knurren aus und trat ab. Die ersten Schülerreihen wichen fiepend zurück.

»Meine Jungen«, begann der Direktor und lächelte wehmütig. »Meine, lieben, teuren Jungen. Wie ihr wisst, seid ihr für mich wie meine eigenen Kinder. Ja, um der Gerechtigkeit Genüge zu tun, muss ich sagen, dass ich so manchen von euch lieber mag als meine eigenen Kinder.«

Ein Klagelaut entfuhr seinen beiden Söhnen, die auch die Schule besuchten. Doch ihr Vater nahm keine Notiz davon und fuhr mit gütiger Miene fort: »Euch ist bekannt, dass es vor den Herbstferien eine Serie von Diebstählen gab. Die verschiedensten Gegenstände wurden entwendet – der Sessel von Pastor Brimstone, die Uhr aus der Aula und dergleichen. Sehr rätselhaft.«

Dem guten Pastor quollen bei der Erwähnung seines gestohlenen Sessels vor Empörung die Augen aus dem Kopf, und er rückte beängstigend einen weiteren Schritt vor.

»Was genau hinter diesen Vorfällen steckt«, fuhr der Direktor fort, »ist schwer zu ergründen. Aber lasst euch eins gesagt sein: Wir werden es aufklären! Heute allerdings – und ich bringe es kaum über die Lippen – verblasst der Diebstahl der Uhr angesichts einer neuen Gräueltat zur Bedeutungslosigkeit …«

»Was ist denn jetzt verschwunden?«, flüsterte Mufford mit einem höhnischen Seitenblick zu Sponge. »Der Knauf von der Lehrerzimmertür?«

Sponge kicherte.

»Halt den Mund, Mufford«, sagte Kennington und stieß ihm mit dem Ellenbogen ins Ohr. Natürlich aus Versehen.

Der Direktor redete weiter.

»Leider muss ich euch sagen, dass …« Er hielt inne und schüttelte den Kopf, als könne er die Worte, die er gleich aussprechen würde, eigentlich auch nicht fassen. »… erst heute Morgen ein oder mehrere Jungen wahrhaftig den Schullöffel gestohlen haben!«

Auf diese Bekanntmachung folgte ein allgemeines heftiges Nachluftschnappen, und die Fensterscheiben klirrten. Mufford drehte sich zu Sponge um.

»Das Niesen, Mufford«, flüsterte Sponge.

Der Direktor warf ihnen einen tiefbetrübten Blick zu.

»Schwer vorstellbar, wie jemand, der noch ganz bei Verstand ist, überhaupt nur den Gedanken an eine solch abgefeimte Schurkerei fassen kann – der Gipfel an Verderbtheit! Ich muss euch wohl nicht daran erinnern, dass der Schullöffel unserem geliebten Stifter Lord Marzipan Modermoor gehörte, dem siebten Grafen von Modermoor, und wie glücklich wir uns schätzen können, dass wir im Stammhaus dieser Familie wohnen dürfen. Und dass er, da er als Letzter seines edlen Geschlechts keine Kinder beziehungsweise Erben hatte, in seinem Testament verfügte, in diesen erlauchten Hallen möge eine ruhmreiche Schule gegründet werden. Der Schullöffel ist vielleicht das großartigste Andenken an Seine Lordschaft, denn er bekam den Löffel von keinem Geringeren als dem Herzog von Wellington, dem großen Feldherrn, und König George III. höchstpersönlich geschenkt.«

Wie immer, wenn den Schülern das mal wieder aufgetischt wurde, drückten sie ihre Bewunderung dadurch aus, dass sie einmal ehrfürchtig durchschnauften. Warum allerdings der Herzog von Wellington und George III. Lord Modermoor den Löffel verehrt hatten, oder was für eine Bedeutung dieses Geschenk für einen der Beteiligten besaß, wurde nie erklärt.

»Jemand – oder mehrere – von euch wissen garantiert, wer für dieses himmelschreiende Verbrechen verantwortlich ist, und ich möchte jeden, der Informationen dazu hat, ermutigen, jetzt vorzutreten.«

Ein langes Schweigen folgte, das nur von dem schnalzenden Geräusch sich drehender Augäpfel unterbrochen wurde, als alle einander anschauten. Niemand ergriff das Wort.

»Wenn sich jetzt jemand meldet«, sagte der Direktor, »dann kann er – und ich betone: kann er – mit einem gewissen Maß an Nachsicht rechnen. Aber das ist eure letzte Chance.«

Der Direktor schaute erwartungsvoll in die Runde, wurde jedoch herbe enttäuscht.

Da stürmte Pastor Brimstone wie ein tollwütiger Elch zum Bühnenrand. »Wenn ihr euch jetzt nicht meldet, aber später als schuldig entlarvt werdet, werdet ihr zur üblichen Stätte geführt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt!«

Ein paar phantasiebegabtere Jungen begannen zu schluchzen. Der Direktor tippte den Pastor am Arm und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Gottesmann wirkte verwirrt, ja sogar regelrecht baff.

»Man hat mir gerade mitgeteilt, dass wir keine Jungen mehr auf dem Scheiterhaufen verbrennen«, sagte er bedauernd. »Offenbar gab es eine Änderung im Regelwerk der Schule. Warum ich immer der Letzte bin, der davon erfährt, geht über mein Begreifen, aber sei’s drum. Wo war ich? Ach ja. Seid versichert, wenn der Schullöffel nicht gefunden wird, hat das für alle üble Konsequenzen. Sehr üble! Auf jeden Fall werden die Eltern herbeizitiert.«

Den Jungs schauderte. Eine ärgere Drohung gab es nicht. Und vor die Wahl gestellt, ihr Leben auf dem Scheiterhaufen auszuhauchen oder einen Besuch ihrer Erziehungsberechtigten zu erdulden, würden sie sich immer für den Tod auf dem Scheiterhaufen entscheiden. Schon der bloße Gedanke, dass der Direktor die Eltern einbestellte und diese egal, warum und wann, in der Schule antanzen und sie küssen und bitten würden, sie mit ihren besten Kumpeln bekannt zu machen, war grauenhaft.

»Jetzt möchte ich, dass wir uns alle verbeugen und einen Moment lang unseres teuren verstorbenen Kollegen und verehrten Physiklehrers Mr Particle gedenken, der leider nach kurzer, schwerer Krankheit in den Herbstferien verschieden ist …«

Mufford fiel auf, dass der Direktor und Flintlock einen merkwürdigen Blick tauschten. Er hätte vielleicht noch mehr gesehen, wenn ihm Kennington nicht mal wieder eine Kopfnuss verpasst hätte, damit er Mr Particle auch ja recht freundlich gedachte.

»Was machen wir?«, flüsterte Sponge nach der Versammlung. Er hatte eine krankhafte Angst vor jeglichem Kontakt mit seinen Eltern.

»Keine Ahnung«, erwiderte Mufford nachdenklich. »Aber etwas lassen wir uns einfallen.«

Eine Büste von Sponge

Beim Verlassen der Aula versuchten die beiden Freunde immer noch, die furchtbare Drohung mit dem Elternbesuch zu verdauen. Da bemerkten sie in der Eingangshalle der Schule etwas Neues.

»Was um Himmels willen …?«, sagte Sponge, ging erstaunt auf die Marmorbüste eines Knaben zu, die auf einem Holzsockel stand, und betrachtete sie.

»Du zeigst ein eigenartiges Ausmaß an Begeisterungsfähigkeit, Sponge«, sagte Mufford. »Bisher hast du für die Bildhauerei noch nie Interesse bekundet.«

»Aber siehst du es denn nicht?«, antwortete Sponge, während ihre Mitschüler in den Klassenräumen verschwanden und es im Flur leiser wurde. »Das ist eine Büste von mir, Mufford.«

»Von dir? Wohl eher nicht. Das Kinn ist viel zu heldenhaft vorgestreckt.«

»Aber sie sieht genauso aus wie ich.«

Mufford musterte die Büste, musterte Sponge, dann wieder die Büste.

»Ja, eine schwache Ähnlichkeit besteht«, gab er zu.

»Schwache Ähnlichkeit? Das bin ich, Mufford! Ich! Lass es dir gesagt sein!«

»Beruhige dich, Sponge. Hast du in letzter Zeit einen Bildhauer aufgesucht, der eine Büste von dir angefertigt hat?«

»Äh, nein …«

»Ja, bist du überhaupt jemals in Marmor verewigt worden?«

»Genau genommen nicht …«

»Wunderschön, findet ihr nicht?«, sagte eine Stimme hinter ihnen. Der Direktor war vollkommen lautlos zu ihnen getreten. Wegen dieser Angewohnheit war er in der ganzen Schule gefürchtet.

»Wir … wir … wir haben die Büste gerade bewundert, Sir«, sagte Mufford.

»Wir müssen annehmen, dass sie ein lange verloren geglaubtes Kleinod aus Modermoor Castle ist. Mr Flintlock hat sie draußen im Park gefunden. Als er Mr Particle vergraben hat.«

»Wie bitte, Sir?«, sagte Sponge.

»Als er den Rosenstrauch zum Gedenken an Mr Particle beerdigt hat.«

»Sie meinen nicht zufällig, gepflanzt, Sir?«, sagte Mufford.

»Doch, doch natürlich«, sagte der Direktor und schickte sie mit den Worten »Jetzt ab mit euch in den Unterricht« fort.

»Siehst du«, sagte Mufford. »Die Büste ist ausgegraben worden. Wer weiß, wie lange sie im Boden gelegen hat. Da kannst du es nicht sein, meinst du nicht auch?«

»Nein, wahrscheinlich nicht«, bestätigte Sponge, aber es leuchtete ihm noch keineswegs ein.

Die Jungs liefen zur nächsten Stunde. Geschichte mit Mr Luckless. Mr Luckless war einer der sehr wenigen Lehrer, vor dem Mufford und Sponge sich nicht aus vollster Überzeugung fürchteten oder den sie aus tiefstem Herzen hassten. Oder beides.

Er war ein liebenswürdiger, kleiner alter Zausel. Was leider dazu führte, dass viele Jungs ihn entweder gar nicht beachteten oder ihm Papierkügelchen an den Kahlkopf schnipsten, wenn er zum Beispiel eine Karte von Gallien an die Tafel zeichnete.

Auch jetzt schwatzten und quasselten sie wie gelangweilte Äffchen und nahmen von seinem Unterricht keinerlei Notiz – jedenfalls die ersten fünf Minuten nicht. Dann aber beobachteten Mufford und Sponge ungläubig, wie einer nach dem anderen zuzuhören begann.

Denn seltsamerweise hatte sich Mr Luckless vollkommen verändert. Wider Erwarten war er auf einmal richtig interessant!

Wie die anderen Jungs hörten Mufford und Sponge mit gebannter Aufmerksamkeit zu, was er ihnen von der Geschichte des Landes erzählte. Er nahm sie mit in eine Zeit, als noch keiner an die mit modrig feuchten Flecken übersäten Mauern von Modermoor Castle gedacht hatte. Die alten Briten, Wikingersiedler, mittelalterliche Bauern – alle ließ er vor ihnen quicklebendig werden.

Er redete so eindringlich und mitreißend, dass sie den Eindruck gewannen, er habe alles selbst miterlebt.

Ganz besonders spannend erzählte er ihnen von dem Leben in einer römischen Villa, die vor vielen, vielen Jahrhunderten genau dort gestanden hatte, wo heute die Schule war.