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The book is in German and English language. Am Mai 2016 fuhr ich das erste mal nach Japan. Allein. Keine Sprachkenntnisse. Geplant hatte ich eine Reise aus beruflichen Gründen. Mir wurde jedoch schnell klar, dass mich diese Reise mit ganz anderen Themen als erwartet konfrontierte. In meinen Tagebuchaufzeichnungen schreibe ich über spontane Begegnungen, Anekdoten, Charaktere, Biografien. Von Verlorengehen, verrückten Situationen, Hilfsbereitschaft. Über Politisches, Historisches, Gesellschaftliches. Über alles, was mir die Menschen, denen ich begegnete, erzählten. Über Kunst, Kultur, Architektur, aufregende Städte, beschauliches Landleben. Von spirituellen Erlebnissen an Sehenswürdigkeiten wie dem Steingarten Ryoanji in Kyoto oder dem Tempel in Nagano. Über Natur, Laute und Farben.
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Seitenzahl: 324
Veröffentlichungsjahr: 2021
Sabrina d‘Agliano
Mokume und die Kunst des Reisens
Für Simon
© 2021 Sabrina d’Agliano
Herausgeber & Autor/editor & author:
Sabrina d’Agliano
www.sabrinadagliano.de
www.sabrinadagliano.blog
Umschlaggestaltung & Satz/cover & design: Tina Simon
Korrektorat/Übersetzung/proofreading/translation:
Sabrina d’Agliano
Fotos/pictures: Sabrina d’Agliano
Verlag & Druck/publishing & printing:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN Paperback 978-3-347-32810-5
ISBN e-Book 978-3-347-32811-2
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INHALTSVERZEICHNIS
Mokume und die Kunst des Reisens
Vorab
Vorbereitungen
Die Reise
Bilder/Pictures
Mokume and the art of traveling
In advance
Preparations
The Journey
Danke/Thanks
Über die Authorin/Author
VORAB
Die Reise führte mich zwar durch Japan – der Bericht ist jedoch eher eine allgemeine Beschreibung höchst unterschiedlicher Erfahrungen und Erlebnisse: von spontanen Begegnungen, Anekdoten, Charakteren, Biografien; von Verlorengehen, verrückten Situationen, Hilfsbereitschaft; von Politischem, Historischem, Gesellschaftlichem; von Allem, was mir die Menschen, denen ich begegnete, erzählten; von Kunst, Kultur, Architektur, aufregenden Städten, beschaulichem Landleben; von spirituellen Erlebnissen an Sehenswürdigkeiten wie dem Zengarten Ryoanji in Kyoto oder dem Tempel in Nagano; von Natur, Wärme, Lauten und Farben; von all dem, was die meisten Reisenden gar nicht wahrnehmen, weil sie nur auf die spektakulären Dinge achten; von eigenen Befindlichkeiten und Stimmungen.
Seit vielen Jahren arbeite ich mit der japanischen Schmiedetechnik Mokume Gane1, welche die Grundlage meines künstlerischen Schaffens geworden ist. 2015 entschied ich, das Ursprungsland des Mokume Gane zu bereisen, zu versuchen, einige Meister, Akademien und Studios, zu besuchen, um das traditionelle Umfeld, die Arbeitsweise, die Atmosphäre, den Geist zu atmen. Die schwierige Suche nach Kontakten begann. Nach Monaten der Vorbereitung ging es am 26. Mai 2016 los.
Ich fuhr alleine, hatte keine Sprachkenntnisse.
Geplant hatte ich eine Reise aus beruflichen Gründen. Mir wurde jedoch schnell klar, dass diese Reise mir noch weitere Aufgaben stellte, mich mit ganz anderen Themen als erwartet konfrontierte – emotionaler Art, Beziehungen, Lebensweise und Sinn hinterfragend.
Es wurde eine Reise voller Neugier, Sehnsucht, Lust auf das Unbekannte, sich einlassen auf unerwartete Situationen.
Ich ließ viel Raum für Unerwartetes, Spontanes, überlies mich dem Lauf der Dinge.
In meinen Tagebuchaufzeichnungen wird die Subjektivität und Spontaneität meiner Erfahrungen deutlich. Die englischen Texte sind meine Facebook Eintragungen, die ich zusammen mit Fotos gepostet habe. Sie fassen unmittelbar und prägnant meine Erlebnisse und Besichtigungen zusammen.
Viel Vergnügen beim Lesen!
Sabrina d’Agliano
1 Die Schweiß- und Schmiedetechnik Mokume Gane wurde im 17. Jhdt. von Denbei Shoami erfunden. Es ist eine japanische Variante des Damast. Übersetzt bedeutet es in etwa: Metall wie Holz. Ich verschweiße meist 15 Lagen unterschiedlicher Edelmetalle. In dieses Lagenpaket fräse ich einfache, archaisch anmutende Zeichen. Anschließend wird das Mokumepaket dünn ausgeschmiedet. Immer wieder gefräst, erhitzt, gehämmert. Durch die Verarbeitung entstehen dekorative Muster ähnlich wie Baummaserung, amorphe wie in Bewegung festgehaltene Linien und Flächen. In Japan wurden in dieser Technik zuerst Beschläge für Schwertgriffe (Tsuba) hergestellt. Ich nehme das Mokume Gane Material als Ausgangspunkt für Schmuckstücke oder Wandobjekte.
VORBEREITUNGEN
Im Herbst 2015 begann ich mit meinen Vorbereitungen. Wochenlang versuchte ich beinahe täglich über offizielle Einrichtungen, wie Konsulate, Botschaften, Goethe Institute, deutsch-japanische Kultureinrichtungen, Kontakte zu knüpfen. Niemand hatte je etwas von Mokume Gane gehört, niemand konnte helfen. Ich war ganz frustriert und kurz davor, die ganze Unternehmung „Japan“ aufzugeben.
Da bekam ich eines Tages per Mail eine Einladung zu einem japanischen Abend mit Lesung aus einem Gedichtband von Bashō2 und Flötenmusik im „Kunstraum“ in einem winzigen Dorf in der Nähe, am Rande der Eifel. Ich kannte diesen Ort nicht, wohl aber ein wenig die Organisatorin. Es interessierte mich und so fuhr ich an einem Freitagabend dorthin. Jeanne Lessenich las aus der deutschen Übersetzung dieses ungewöhnlichen Reiseberichtes vor, einer Vermengung von Prosa und Poesie, in der Bashō seine tiefe Hochachtung vor der Natur ausdrückte und er das Wandern, Reisen als Symbol des Lebens beschrieb.
Ein Musiker spielte meditative Stücke auf einer traditionellen japanischen Flöte. In der Pause konnte ich mich mit meiner Nachbarin, die ich zuvor nicht gekannt hatte angeregt darüber unterhalten. So kam natürlich auch die Rede auf meine Japan Reisepläne. Sie erzählte von ihrem Onkel, Bernhard Naab, der in München lebt und Japanisch für Deutsche unterrichtet und umgekehrt.
Sie bot an, ihn zu fragen, ob sie den Kontakt herstellen dürfe. Nach Ende der Veranstaltung nahm ich mir ein Herz und sprach die Vorleserin an, erzählte ihr, dass ich erfolglos seit Wochen versucht hatte, Kontakte zu Mokume-Gane-Meistern zu knüpfen und fragte sie, ob sie wohl eine Idee habe, an wen ich mich wenden könne. Sie erzählte, dass sie viele Jahre immer wieder längere Zeit in Japan gelebt hatte, noch Kontakte dorthin habe. Eine Freundin von ihr, Miho, die auf einer Südinsel in Japan lebt, wollte sie kontaktieren und fragen, ob sie etwas darüber wisse.
Bei meinem nächsten Aufenthalt in München, wo ich öfters Goldschmiede- und Mokume-Gane-Workshops gebe, durfte ich Ursels (die ich bei der Lesung kennen gelernt hatte) Onkel besuchen. Er war vor einigen Jahren in Japan gewesen und gab mir viele Tipps für die Reise. Was man als Gastgeschenke mitnimmt. Dass die Verpackung für Geschenke oder Geld für einen Workshop genauso wichtig ist wie der Inhalt selbst. So kaufte ich später in einem japanischen Geschäft in Düsseldorf ein paar hübsche bedruckte Briefkuverts für Präsente. Jedoch überlegte ich, dass ich selbst Briefumschläge individuell bedrucken könnte. Ich begann also, Umschläge in meinem Stil, mit fließenden Linien und Formen zu bedrucken und zu zeichnen. Sie gefielen mir sehr gut und ich weitete es aus und fertigte auf schönen handgeschöpften Papieren kleine Drucke als Gastgeschenke.
Zwischenzeitlich bekam ich Nachricht von Miho aus Japan. Sie hatte auch noch nie von Mokume Gane gehört. Tagelang recherchierte sie für mich, wollte unbedingt darüber lernen, da es ein Teil ihrer Kultur ist. Sie fand nicht nur ein paar Meister, Schulen und Institute sondern stellte auch die Kontakte für mich her. Einfach aus Hilfsbereitschaft, ohne dass wir uns kannten. Ich wäre ohne sie gescheitert, da fast alle Websites nur auf Japanisch waren. Leider habe ich sie noch immer nicht persönlich kennen gelernt, da meine Wege zu den Meistern mich nicht in den Süden des Landes führten. Es war, als sei an jenem Abend in diesem kleinen Eifeldorf der Knoten gelöst worden. Danach geschahen die erstaunlichsten Dinge und Verbindungen. Auf verschlungenen und unerwarteten Umwegen entstanden interessante Kontakte und Möglichkeiten.
So schrieb ich Carmen, einer italienischen Malerin, die in Nizza lebt, zum Neuen Jahr 2016 die besten Wünsche und dass ich sie leider in diesem Jahr nicht sehen könne, da ich nach Japan reise. Etliche Wochen später antwortete sie, dass sie eine Freundin in Mailand habe, die wiederum eine japanische Freundin in Kyoto habe, die ein traditionelles Apartment vermiete, in dem ich wohnen könne. Und das Beste: sie sei auch Malerin, in Tuschetechnik, und freue sich auf meinen Besuch, werde sich um mich kümmern. Kurz vor meiner Abreise stellte Carmen noch einen weiteren Kontakt in Kyoto her: Tomoko, auch sie die Freundin einer Freundin aus Italien. Auch sie Malerin und Fotografin. Sie war ebenfalls bereit, sich mit mir zu treffen.
Durch diese Erfahrungen ermutigt, beschloss ich, jedem, dem ich begegnete, von meiner bevorstehenden Reise zu erzählen. Wer weiß, welch wundersame Dinge sich ergeben? Bei einem Treffen mit Freunden in Köln fragte ich nebenbei, ob sie vielleicht jemanden kennen würden, der Kontakte nach Japan hat oder dort lebt.
Ich wusste, dass sie vor vielen Jahren einmal kurz Japan besucht hatten. Frage doch mal Wolfgang, er hat acht Jahre in Tokyo gelebt.
Ich war ihm zuvor schon ein paarmal auf Partys und Literatur – oder Musikabenden bei den Freunden begegnet. Wir hatten uns immer unterhalten, jedoch wusste ich nichts von seinem Japanaufenthalt. Ich konnte ihn einige Male im japanischen Viertel in Düsseldorf treffen, mit ihm japanisch essen gehen, auf diese Weise schon mal einstimmen auf die Reise. Er spricht fließend Japanisch und half mir sehr bei den Kontakten und Vorbereitungen, gab mir Tipps, was ich alles ansehen solle. Wo ich in Tokyo ein Hotel finden könne. Dass ich am besten in Deutschland einen Railway Pass besorgen und mit dem Shinkansen3 fahren solle. Er erzählte begeistert von den Menschen dort. Dass ich zum Ausgehen am besten in die Izakaya4 (landestypische Bars) gehen solle und viele weitere nützliche Hinweise. Er telefonierte sogar für mich mit Meister Mazusawa, der abgelegen am Lake Suwa lebt und nur wenig Englisch kann. Fragte ihn, ob ich ihn besuchen dürfe, wie ich ihn finden könne. Wolfgang erzählte außerdem von einem internationalen Netzwerk, bei dem er Mitglied ist, das in vielen großen Städten weltweit Gruppen hat. Sie unternehmen gemeinsam viele Dinge, je nachdem, welche Interessen die jeweiligen Mitglieder haben, Ausgehen, Dinner, sportliche und kulturelle Aktivitäten…
Einmal monatlich bieten alle Gruppen das „monthly meeting“ an, eine Party in unterschiedlichen Clubs und Locations, an der alle Mitglieder teilnehmen können. Ich kontaktierte daraufhin die Gruppen in Osaka und Tokyo, schrieb, wann ich käme, was ich dort vorhabe, dass ich Museen, Architektur, Gärten besuchen wolle und ob jemand Lust hätte, mich zu begleiten. Einige antworteten und wollten sich mit mir treffen. Oder schrieben von den bevorstehenden Events. An meinem ersten Abend in Osaka fand das monatliche Treffen statt. Ich konnte quasi vom Flughafen zur Party gehen. Auch in Tokyo konnte ich am 2. Abend am monthly meeting teilnehmen.
Auf „arte“ sah ich zufälligerweise eines Abends einen Beitrag über den Künstler Sumusu Shingu5 und seine Frau. Ich hatte zuvor noch nie von ihm gehört, war aber sofort fasziniert von der Kunst und ihrer Lebenseinstellung, ihrer gemeinsamen Geschichte und Arbeit als Paar. In der Gegend von Kobe, abseits auf dem Land gibt es einen „Windpark“ mit ihren beweglichen Objekten. Das wollte ich mir unbedingt anschauen.
Ein Freund aus meiner fränkischen Heimat, Harri, war im Oktober das erste Mal in Kyoto gewesen. Bei einem Treffen berichtete er von den Gärten, Tempeln, Museen. Er empfahl mir, auf jeden Fall auf die Kunst-Inseln Naoshima6 und Teshima zu fahren. Dort gäbe es einzigartige Museen, die er gesehen hatte. Seine Begeisterung steckte an. Seine frischen Eindrücke ließen die Reise schon realer werden, schon etwas vom Geschmack dieses Landes spüren.
Ich plante jetzt, von Osaka aus zuerst auf diese Inseln zu fahren. Er nannte mir ein Hostel auf Naoshima, in dem ich eine Übernachtung buchen konnte. So erweiterten sich die Reisepläne und wurden gleichzeitig konkreter. Noch waren nur die ersten und letzten Tage und Übernachtungen festgelegt, der Rest sehr vage. Ich wollte alles um den Workshop bei Meister Mazusawa organisieren, der mir aber noch keinen festen Termin geben konnte. Unterkünfte wollte ich so oft als möglich privat buchen, um die Menschen dort näher kennen zu lernen. Über eine Website, von der ich kürzlich erfahren hatte, konnte ich die ersten Nächte in Osaka bei Chie wohnen. Zwei Wochen vor Abreise nahm ich noch an einem vier Tage Crash-Kurs für japanische Sprache in Bonn teil. Wenigstens ein Gefühl für den Klang der Sprache bekommen, ein paar Begrüßungsvokabeln, Höflichkeitsfloskeln lernen.
In dem Kurs erhielt ich Informationen für einen Taiko7- Trommelkurs in der Nähe. Das interessierte mich schon lange. Ich konnte spontan am Wochenende vor Abflug in der Nagare Daiko Schule von Jürgen Klatt bei einem Workshop die Grundlagen lernen. Machte viel Spaß. So war ich schon gut eingestimmt. Im Laufe der Vorbereitungen hatte ich so freundliche und hilfsbereite Menschen kennengelernt, wie eine Art Netz spannten sich die Informationen und Kontakte. Es war, als ob die Reise unter einem Zauber läge. Dennoch hatte ich zwei Tage vor Abflug eine Panikattacke. Fünf Wochen als Frau allein reisen? In ein mir unbekanntes Land. Ohne Sprachkenntnisse. Großraum Tokyo mit ungefähr 42 Millionen Einwohnern größte Stadt der Welt. Ich zweifelte an meiner Zurechnungsfähigkeit und spielte ernsthaft mit dem Gedanken, diese Unternehmung abzubrechen. Da aber schon so viele Menschen für mich tätig waren, dachte ich dann doch: OK – kein Zurück mehr. Mach das Beste draus.
Ich habe mich entschieden, diese Reise wie ein Kunstwerk von Mokume Gane zu machen. In meiner Kunst ein Dialog zwischen Idee, Metall, Werkzeugen, Zufall. Die Reise ein Dialog zwischen mir, vagen Strukturen, Ideen, Begegnungen, Situationen, Kunst, Architektur, Zufall.
Eine Nacht Schlaf, morgen Abflug nach Osaka
How will it be?
I am excited. I have decided to make this trip like an artwork of Mokume Gane. In my art works a dialogue between idea, metal, tools, coincidence. Traveling a dialogue between me, rough structures, ideas, encounters, situations, art, architecture and coincidence.
One night of sleep – tomorrow leaving to Osaka!
2 Bashō lebte im 17. Jhdt. Und ist einer der bedeutendsten Vertreter der japanischen Versform Haiku. Die Struktur seiner Haiku spiegelt die Einfachheit seiner meditativen Lebensweise wider. Er versah viele seiner Verse mit einer mystischen Qualität und versuchte, die großen, weltbewegenden Themen durch einfache Naturbilder auszudrücken. Er gab dem Haiku eine ganz neue Anmut und vertiefte im Haiku den Zen-Gedanken. Er begriff Poesie als einen eigenen Lebensstil. Bashō war der festen Überzeugung, Poesie könne eine Quelle der Erleuchtung sein. „Erlange Erleuchtung, dann kehre zurück in die Welt der normalen Menschlichkeit“, riet Bashō. Und weiter: „Tritt nicht in die Fußstapfen der alten Meister, aber suche, was sie suchten“.
3 Shinkansen sind die legendären Hochgeschwindigkeitszüge, die bis zu 320 km/h fahren.
4 Izakaya bedeutet so viel wie „Sake-Laden zum Sitzen“. Sie bieten immer eine Auswahl von Speisen oder sogar eine umfangreiche Speisekarte, da Japaner üblicherweise immer auch zumindest eine Kleinigkeit essen, wenn sie Alkohol trinken.
5 Susumu Shingu ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen japanischen Künstler. Er liebt die Natur, spricht von seiner „langen Freundschaft mit dem Wind“. Shingu und seine Frau arbeiten kinetische Skulpturen mit Naturkräften, sei es Wind oder auch Wasser. Berühmt sind seine kleinen und großen Windskulpturen, die nur von natürlicher Energie angetrieben werden.
6 „Benesse Art Site“ ist der Sammelbegriff für alle kunstbezogenen Aktivitäten der Benesse Holdings Inc. und der Fukutake Foundation auf den Inseln Naoshima, Teshima und Inujima, deren Ziel es ist, bedeutende Räume zu schaffen, indem zeitgenössische Kunst und Architektur in Einklang mit der unberührten Natur des Seto Inland Sea gebracht werden. Bei allen Aktivitäten wird bestrebt, eine Beziehung des gegenseitigen Wachstums zwischen Kunst und Region zu fördern, um einen positiven Beitrag für die lokalen Gemein-schaften zu leisten. Quelle: www.besesse-artsite.jp
7 Taiko, „dicke Trommel“ (auch „daiko“ ausgesprochen) bezeichnet in Japan eine Gruppe von großen, mit Schlägeln geschlagenen Röhrentrommeln.
DIE REISE
26. Mai
The adventure „Japan“ begins.
–
27. Mai
Just at the start of my trip at Kansai Airport in Osaka a very fine art work of Sumusu Shingu. In the evening then a warm and friendly welcome from InterNations members.
On the way home a nice bar with livemusic and crazy atmosphere.
What a beginning…
–
28. Mai, morgens
Erster Morgen in Osaka.
Gestern war eine wunderschöne Nacht. In Downtown mit den InterNations gefeiert. Ezza, mit der ich erst seit kurzem Mail Kontakt habe, war so nett und holte mich am S-Bahnhof Fukushima Station ab. Ich wäre verloren gegangen ohne sie. Sie zeigte mir, wie man Tickets in der S-Bahn zieht, wieviel eine Fahrt kostet. Die Bahnhöfe sind riesig, viele Bahnsteige, Ausgänge. Während der Fahrt erklärte sie mir das Bahnsystem. Was man in welchem Stadtteil findet – nützliche Tipps. Auf dem Weg zur Party erzählte sie, dass sie ursprünglich aus Kanada kommt, ein paar Jahre hier und dort lebt. Sie hat keinen festen Freund, aber doch hat sie Sehnsucht, eine Liebe zu finden. Sie war direkt, sehr offenherzig.
In der Bar des Swissotel, in der die Party stattfand, stellte sie mich Steve vor, der mich herzlich begrüßte. Mit ihm hatte ich schon ein paar Monate gemailt. Er hatte mich zu diesem Treffen eingeladen. Ich fühlte mich dennoch ein wenig fremd. Die Musik war laut, die Unterhaltung ein bisschen schwierig. Wir tanzten ein wenig. Ich konnte eine Japanerin, Chieko, etwa in meinem Alter, kennenlernen. Wir mochten uns vom ersten Augenblick an. Um uns besser unterhalten zu können, gingen wir raus auf die Terrasse. Herrliche Aussicht hier auf der 10. Etage über das Lichtermeer der Stadt. Sie und einige andere, zu denen wir uns gesellten, wollte wissen, was mich nach Japan führte, ob ich das erste Mal hier sei. Ja, das erste Mal hier, alleine, ohne Japanisch Kenntnisse.
Ich wollte Kunstwerke von Sumusu Shingu sehen, Architektur von Tadao Andō8, die Kultur, Kunst, dieses Landes. Vor allem aber kam ich, um Meister und Schulen, Ateliers für Mokume Gane, eine japanische Metalltechnik, die ich selbst seit vielen Jahren praktiziere, zu besuchen, das traditionelle Umfeld erleben, den Geist dieser Technik atmen. Das öffnete das Gespräch, die Herzen, sie waren beeindruckt, dass ich diesen Weg auf mich nehme, mit einer solchen Technik arbeite und alles darüber wissen möchte, bei den Meistern studieren. Sie wollten mehr von dieser Technik und meiner Kunst erfahren. Chieko hatte schon hobbymäßig Schmuck angefertigt, und bot an, mich zu Meister Masuzawa, weit entfernt am Lake Suwa, als Übersetzerin zu begleiten. Heute Abend treffe ich mich mit ihr zum Dinner.
Etwas später kam Alain hinzu. Er war auch das erste Mal bei einem Treffen dieser Gruppe. Wir unterhielten uns lange. Er lebt schon seit elf Jahren in Osaka. Kam, um in Japan zu studieren, ohne ein Wort Japanisch zu können. Ohne genaue Vorstellung, was ihn erwartet, was er dort suchte – einfach nur das vage Gefühl, das sei der richtige Platz für ihn – und wagte den Schritt, zog es durch. Er taucht ganz in die Geschichte und Kultur hier ein, hat fundierte Kenntnisse, ist begeistert, vor allem von den Matsuri9, den Festivals, die er der Reihe nach alle besucht, dokumentiert; in der Saison fährt er jede Woche, neben seiner Arbeit, zu einem oder auch mehreren Festivals. Manches Mal fährt er einen ganzen Tag über die Dörfer für 10 Minuten Matsuri.
Ezza begleitete mich nicht nach Hause, da sie noch länger bleiben wollte. Aber es ging auch so. Einige Menschen in der U-Bahn waren sehr hilfsbereit und zeigten mir den Weg.
Schon bei der Ankunft am Flughafen erklärte man mir freundlich, wie ich in die Stadt kommen kann, an welcher Station ich aussteigen musste, eine Angestellte zog das Ticket für mich und brachte mich zum richtigen Bahngleis. Die Skulptur von Shingu konnte ich nur von weitem sehen. Sehr schön jedenfalls. Aber ich hatte zu sehr Organisatorisches, Bahnlinien und Ticket in die Stadt, im Sinn. Wie finde ich die Unterkunft? Wie hier zum Bahnhof? Wie weiter? Japanische Schriftzeichen überall. Alles fremd hier.
Dann Quartiersuche, den richtigen Ausgang im unübersichtlichen S-Bahnhof finden, die richtige Richtung zu meinem gebuchten, privaten Zimmer. Ich musste etliche Leute fragen.
Zuerst war ich von Chies Wohnung erschreckt. Sie lebt auf ungefähr 30 m² mit ihrem Sohn, vielleicht zehn Jahre alt -– zu zweit, so wenig Platz. Sie schlafen, leben, kochen, essen in einem Raum. Tags werden die Decken und Matratzen notdürftig weggeräumt. Der Junge spielte an seinem Handy, sie saß am Laptop. Keinerlei Privatsphäre möglich, für beide. Welch ein Luxus, Platz zu haben. Mein kleines Häuschen in Andernach erscheint riesig, luxuriös im Vergleich. Chie ist freundlich und geduldig, liebenswert, machte keinen unzufriedenen Eindruck.
Nachdem ich mein Gepäck dort abgestellt hatte, machte ich mich auf den Weg nach Downtown. Die Stadt selbst gefällt mir bisher nicht, keine auffälligen, schönen, modernen Gebäude, langweilige Architektur. Aber hier in der Umgebung von Fukushima Station sehr nette kleine Izakaya (Bars) und Restaurants. Vor dem Treffen mit Ezza hatte ich ein wenig Zeit gehabt, mich umzuschauen. Das Viertel erinnerte mich an Frankreich, mit seinen Bistros, ein wenig auch an Chinatown, mit Tarot – und Handlesern auf der Straße, Losverkäufern.
Geschäftiges Leben, heitere Ausgehstimmung, kein bisschen Großstadthektik. Ich warf bei einigen Restaurants einen Blick auf die Speisekarten. Schwierig für Vegetarier, einkaufen und essen zu gehen. Das meiste nur auf Japanisch ausgezeichnet. Ich werde überwiegend bei Sushi und Reis bleiben müssen.
Auf dem Nachhauseweg nach Mitternacht nahm ich an der S-Bahn Station den falschen Ausgang und kam an einer Mini Bar auf der Straße vorbei. Dort spielte Live-Musik, Blues, Jazz, Rock. Ich überlegte, ob ich mich trauen sollte, dorthin zu gehen. Es waren nur sehr junge Leute dort. Ich überwand meine Scheu und fragte, ob ich mich dazu gesellen dürfe. Klar, kein Problem.
Lächeln, Freundlichkeit, Offenheit. Sie fragten, woher ich käme. Ein einziger Ausländer war anwesend, ein Deutscher. Sie stellten mich zu ihm. Die Stimmung war locker, Feierlaune, fröhlich. Alle unterhielten sich mit mir als gehörte ich dazu. Ich gab eine Runde Zigarillos aus. Die Freude war groß. Zum Teil waren es Arbeitskollegen des Deutschen, der vor einem Jahr schon einmal hier war. Die gleichen Leute hier wie vor einem Jahr, meinte er, sozusagen Stammgäste. Man fühlte sich heimisch und willkommen. Auch die Musiker sehr nett. Heute Abend wird Mika, mit der ich mich kurz unterhielt, Saxophon spielen.
Ich bin sehr dankbar, dass der erste Abend so schön, so familiär war. Man wird so herzlich aufgenommen.
Ich bin richtig erleichtert. Ich fühle mich gelassen, habe keine Angst mehr, verloren zu gehen oder einsam zu sein.
28. Mai, abends
This Bar is such a lovely place in Osaka. Good music, Mika Irie played wonderfully Saxophone, sweet people and atmosphere.
Ich habe verschlafen. Es war gestern Nacht doch sehr spät geworden – und davor der lange Flug. Chie spielte mit ihrem Sohn. Sie unterbrach um am PC nachzuschauen, wie ich zu Museum und anschließend nach Downtown, Namba Station, fahren musste. Heute war ihr freier Tag. Sie wollte mit ihrem Sohn zu einem Baseballspiel.
Das Museum von Tadao Ando liegt im Vergnügungsviertel am Hafen. Es war leider geschlossen, aber auch von außen interessant – klare Linien, betongrau und anthrazit, eine große Glasfront. Daneben das Aquarium in Rot und Grau, zwischen den Beiden im Hintergrund das Rund des Riesenrads.
Eine Windskulptur von Sumusu Shingu an der Treppe vor dem Museum. Als Freundschaftszeichen zwischen Kopenhagen und Osaka sitzt eine kleine Meerjungfrau auf einem Stein im Wasser. Irgendwie berührend in ihrer Sehnsucht und Melancholie.
Ich machte eine längere Pause am Aquarium und beobachtete einen Mann in Uniform, der lautstark mit dem Mikrophon etwas ansagte, einen Augenblick später im Stehen, ohne Anzulehnen, schlief, dann wieder ansagte. Im Wechsel – ich war fasziniert. Am Hafen lag ein großes, altes Segelschiff, heute Ausflugsboot, anachronistisch zwischen dieser modernen Architektur.
Danach fuhr ich zum Treffen mit Chieko. Ich wurde jedoch zuerst in die falsche S-Bahn geschickt, fuhr in die entgegengesetzte Richtung. Dann die unübersichtlichen riesigen Bahnstationen. Zum Glück führte mich ein Paar, eine Japanerin und ein Australier, zum richtigen Ausgang. Ich werde hier nicht verloren gehen. Ich kam viel zu spät, aber Chieko war geduldig. Sie wusste, dass es keine Absicht war und es einfach langedauert, sich zurecht zu finden.
Sie führte mich downtown aus. Lichtermeer. Reklametafeln, farbig, bunt, leuchtend, wie man es sich vorstellt von den japanischen Großstädten. Wasserspiegelungen im Kanal, um die Dotonbori-Brücke. Herrlich bunte Welt. Der berühmte „Running man“, eine meterhohe Leuchtreklame mit einem Läufer vor roter Sonne, durch wechselnde Beleuchtung entsteht der Eindruck, als ob er läuft. An den Häuserfronten der Restaurants oft Reliefs, farbig leuchtend, man kann gleich erkennen, welche Spezialitäten es dort gibt.
Ein riesiger roter Oktopus, freundlich lächelnd, ein wassergrün leuchtendes Schiff mit roten Schriftzeichen. Menschenmassen. Gute Stimmung, sanft, freundlich, trotzdem betriebsam, voller Energie, ohne Aggressionen. Vorgestern noch in einer beschaulichen Kleinstadt am Rhein, jetzt in dieser pulsierenden Metropole in Japan. Es gefiel mir sehr.
Wir ließen uns durch das Gewühl treiben. Ich machte Fotos. Chieko lud mich sogar zum Essen ein. Sehr gutes Tenzaru10, Tempura11 und Soba12 Nudeln. Im Restaurant schlagartig eine ganz andere Stimmung.
Kontrast. Ruhe, Gelassenheit. Auch Ruhe für die Augen. Gepflegte Atmosphäre, dezente Farbigkeit, japanische traditionelle Einrichtung, Naturfarben. Wir unterhielten uns lange und verabredeten uns für den nächsten Tag zu einem gemeinsamen Museumsbesuch. Ich war so froh, Chieko kennen gelernt zu haben, eine so nette Begleiterin gefunden zu haben. Sie zeigte mir Orte, die man normalerweise als Tourist nicht sieht, erzählte vom Leben, von Gebräuchen, von Eigentümlichkeiten hier.
Nach dem Essen schlenderten wir weiter durch schmale Gassen. Eine Minute um die Ecke ganz anderes Leben als auf der Hauptstraße, ruhig. Ein kleiner Buddha Tempel, bemooste Statue und Steine. Schöne leuchtende Papierlampions mit japanischen Schriftzeichen. Ich besprühte den Buddha mit Wasser und sprach einen Wunsch aus – wie man das hier macht. Gerade die krassen Gegensätze machen das Land und die Menschen so spannend. Selbst in dieser Riesenstadt gibt es zwar sehr betriebsame Gegenden, modernes Leben, Schrillheit. Sobald man um die Ecke in kleine Seitenstraßen biegt, eine Gegenwelt, Tradition, Gelassenheit.
Nach Mitternacht ging ich auf dem Nachhauseweg zu der kleinen Bar. Die Musik war schon beendet aber man trank noch, redete, fröhliche Stimmung. Ich konnte mich mit Mika, der Saxophonistin, die ich vom Abend zuvor kannte, mit rudimentärem Englisch unterhalten. Dann verschwand sie plötzlich und kam mit ihrem Saxophon zurück, spielte extra für mich noch einen Song. Überwältigend. Alle waren so freundlich, dass ich mich wie zuhause fühlte und eigentlich nicht mehr weg mochte.
–
29. Mai
Am Morgen erst mal Umzug in ein nahe gelegenes Hostel. Ich hatte nur zwei Nächte bei Chie gebucht, da ich nicht wusste, ob es mir in Osaka gefallen würde. Ich hatte ein wenig Angst gehabt vor diesen Riesenstädten. Leider konnte ich nicht länger bei ihr wohnen, da sie schon die nächsten Gäste erwartete. Obwohl sie eine Arbeit hat, muss sie einen Teil ihres kleinen Apartments ständig vermieten. Die Mietpreise sind hoch hier. Chie half mir bei der Suche nach einer neuen Unterkunft und brachte mich dorthin.
Am Nachmittag traf ich mich mit Chieko im National Museum of Art. Die Architektur sehr ungewöhnlich – viele dynamische Linien aus Metall, am Boden noch geordnet, wie ein Geflecht, nach oben hin sich auflösend, wild durcheinander, wie im Wind schaukelndes Schilfrohr. Im Hintergrund die strengen vertikalen Linien der Hochhäuser. Die Ausstellungsräume selbst liegen unterirdisch. Irgendwie konnte mich die Kunst nicht berühren. Aber die Plakate von Tanaka13 waren eindrucksvoll, präzise, ausdrucksstark, kraftvoll, eine Verbindung von japanischer Kunst und Kultur und westlichem modernen Design.
Nach der Ausstellung saßen wir noch lange im Café im Innenhof des Museums. Chieko sprach von sich, ihrer Trauer über den Tod ihres Ehemannes. Sie hatte 20 Jahre mit ihm in New York City gelebt. Letztes Jahr verstarb er, ohne Vorzeichen, Vorwarnung, Herzinfarkt – einfach weg. Das warf sie aus ihrer Bahn. Sie zog in ihren Heimatort, Osaka, zurück, wo sie seit einem dreiviertel Jahr lebt. Um darüber hinweg zu kommen, sich wieder selbst zu definieren, zu finden, hat sie angefangen zu singen und Klavier zu spielen. Sie überlegt, wie und wo sie leben möchte, in New York oder Osaka. Jedenfalls möchte sie unbedingt in einer Stadt mit großer Energie leben. Landleben nur bei Ausflügen. Wir sprachen über unsere Lebenseinstellungen, unsere Entscheidungen, erst sein Leben zu leben. Wenn dann ein Mann dazu kommt, wäre es schön. Einfach offen sein. Sie bezeichnete mich als Abenteurerin. Seltsam. So hatte mich kürzlich schon mal jemand genannt. Ich selbst hatte mich vorher nie so gesehen. Aber es stimmt schon. Ich suche nicht unbedingt Abenteuer, aber ich bin offen dafür, wehre mich nicht dagegen.
Am Abend schlenderte ich durch die Straßen um Fukushima Station. Meine Lieblingsbar geschlossen, Sonntag einziger Ruhetag. Ich kehrte in einem Restaurant ein, bestellte Gemüse Tempura. Dank Chieko kannte ich mich ja schon ein wenig aus mit der japanischen Küche. Ging dann recht früh auf mein Zimmer und ließ die vielen Eindrücke dieser ersten Tage in mich sinken.
30. Mai
With the ferryboat to Naoshima, Contemporary Art-Objekts in the port. Wonderful calm atmosphere, small traditional houses. I am curious about the museums, the architecture and artworks there – I will see tomorrow.
War den ganzen Tag unterwegs Richtung Naoshima, einer kleinen Insel im Seto-Binnensee14, ein paar Stunden nur entfernt. Es war für mich nicht machbar, den Weg zur Bushaltestelle in Osaka zu finden, von wo aus der Bus nach Uno abfahren sollte. Ich hatte geplant, von dort aus mit der Fähre nach Naoshima überzusetzen. Die Menschen verstehen kaum Englisch. Jeder schickte mich in eine andere Richtung. Irgendwann gab ich es auf und überlegte, was ich machen könnte um diesen Tag zu retten, um meine Nerven zu schonen. So ging ich zum Bahnhof zurück. Verließ mich auf die Informationen in der Auskunft dort, die mir einen anderen Bus, an einen anderen Ort, empfahlen. Irgendwie Richtung Naoshima, hatte ich ihnen erklärt. Streckenweise überlegte ich, ob ich tatsächlich im richtigen Bus säße, da die Küste überwiegend rechts lag, obwohl sie links hätte sein müssen. Auch der Zielort war mir nicht bekannt. Die Landschaft ist gebirgig, zerklüftet, sehr reizvoll. Ich genoss die Fahrt.
Irgendwo an einem schönen Ort werde ich schon ankommen – wenn nicht Naoshima, dann eben anderswo.
Am Nachmittag erreichte ich Takamatsu. Von hier aus sollte tatsächlich eine Fähre nach Naoshima übersetzen. Die Frauen in der Touristeninformation waren außerordentlich freundlich und hilfsbereit. Sie telefonierten für mich mit der Pension, damit mein reserviertes Zimmer nicht verfiel, da ich dort spät ankommen würde. Ich war sehr zufrieden mit mir, dass ich mich in Osaka nicht der Verzweiflung hingegeben und entschlossen meine Pläne geändert hatte.
Die Überfahrt war herrlich. Wunderbare Insellandschaft. Schönes Licht. Vorfreude auf mein nächstes Ziel.
Sonnenuntergang über den Inseln. Am Hafen angekommen, machte ich zuerst ein paar Fotos der Skulpturen, ein Riesenkürbis in Rot mit schwarzen Punkten, ein bunt beleuchtetes Objekt und etwas sehr zart Wirkendes. Aus der Ferne schien es wie eine Kokon Hülle, halbtransparent, fast schwebend. Ich fühlte mich „angekommen“. Wie eine andere Welt hier. Sehr ruhig, kleine traditionelle Häuschen. Abendstimmung. Das kleine Hostel ist OK – schlicht, in japanischem Stil eingerichtet. Die Wirtin spricht perfekt Englisch. Sie hatte einige Jahre in US gelebt.
Dann ging ich nochmals Richtung Hafen. Auf der Insel dreht sich alles um zeitgenössische Kunst und Architektur, im Zusammenspiel mit der Umgebung, Landschaft, schon bei der Ankunft am Hafen. Entsprechend interessant sind auch die Besucher. Auf der Suche nach einem Restaurant begegneten mir ein Schotte und ein Kolumbianer, Arbeitskollegen, die zusammen reisten und begleiteten mich ein Stück. Wir schauten uns den „Kokon“ an, saßen eine ganze Weile darin. Er wirkt nur aus der Ferne, und beleuchtet, so zart, fragil. Ist aus Metallgeflecht gebaut, recht bequem zum Sitzen. Der Schotte war so witzig, wenngleich für mich schlecht zu verstehen, mit seinem Dialekt, den er demonstrativ pflegte. Der Kolumbianer suchte nach Kräften, zu übersetzen und wir hatten viel Spaß. Sie waren für einen Kongress in Japan, haben beruflich mit Architektur zu tun. Nun reisten sie noch etwas durch das Land. Sie waren begeistert von den drei Museen hier auf der Insel, die sie heute besucht hatten. Sie haben es tatsächlich geschafft, über Uno hierher zu fahren. Ist also möglich, mit einigem Umsteigen. Es war ein erfrischendes Gespräch, ein besonderer Moment. Sie mussten aber auf die Hauptinsel zurück, die letzte Fähre nehmen. So verabschiedeten wir uns.
Ich wollte gerne noch etwas essen. Mehrere Fischrestaurants. Natürlich – ich war ja auf einer Insel. Ein kleines Restaurant zog mich an. Nach einigen Erklärungen bekam ich dort etwas Vegetarisches, einfachen weißen Reis, Tofu, Salat – sehr schlicht. Zur Feier des Ankommens beschloss ich einen japanischen Whiskey zu trinken. Neben mir saß David, ein Ire, der sich über die Zusammenstellung des Menüs köstlich amüsierte. Ich teilte den großzügig eingegossenen Whiskey mit ihm. David überlegt, Kunst zu studieren. Derzeit macht er neben seinem Beruf hauptsächlich Radierungen15. Begeistert erzählte er von dieser Technik. Und ich war begeistert, jemanden getroffen zu haben, der auch diese Technik liebt. Ich zeigte ihm auf dem Handy einige meiner Mokume Gane Drucke16, meine ganz spezielle Form der Radierung. Er reist viel, blieb auch länger zum Arbeiten in einigen Ländern. Dabei kam er mir so jung vor. Aber er meinte auch, entweder reisen oder Kunst produzieren, beides zusammen gehe nicht. Man benötige eine gewisse äußere Stabilität, um Kunst machen zu können, und erst mal zu sich zu finden, klar zu sehen, sich zu konzentrieren, in sich einen Punkt zu finden, von dem aus man arbeiten kann. Auch ein Atelier, ein Platz, wo alles bereit liegt, sei wichtig. Material, das einen in die kreative Stimmung bringt, Skizzen, andere Werke. Von Tokyo war er nicht begeistert. Die Menschen zu hektisch, zu arbeitsam, nur mit sich selbst beschäftigt. Er war mit einem irischen Freund, der dort lebt, auf eine Surferinsel zum Entspannen gefahren. Wir rauchten dann noch eine zusammen und ich verabschiedete mich.
Im Hotel kümmerte ich mich noch um die Übernachtungen für die Zeit, in der ich mich bei Meister Masuzawa auf dem Land aufhalten würde. Den Termin für den Workshop bei ihm konnte ich erst kurz vor meiner Abreise erfahren und ich musste jetzt improvisieren. Auch alle folgenden Verabredungen mit Meistern und Manufakturen konnte ich erst jetzt organisieren, Übernachtungen, Fahrten planen.
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31. Mai
Am Morgen nahm ich mir viel Zeit zum Frühstücken, da ich wenig geschlafen hatte. Ich brauchte Zeit um mich zu sammeln. Ich lief ein Stück die Küste entlang. Hochsommerlich heißes Wetter, schwere Düfte. Intensives Vogelgezwitscher, Stimmen, die ich noch nie gehört hatte. Wunderschöne zerklüftete Küstenlandschaft, herrliches Licht. So kam ich entspannt, gestärkt am Chichu Museum an.
Vor dem Gebäude ist ein Teich mit Seerosen, vielen Blumen, Bäume, Sträucher, Büsche, ein paradiesischer Garten – angelegt wie ein Garten Monets. Grüne üppige Pracht. Man fühlte sich wie in ein Gemälde von Monet hineinversetzt. Ein vieldimensionales Gemälde, mit Vogelstimmen, Düften. Ein Kunstwerk für sich. Und doch ein Stück Natur. Dann der Durchgang zum Museum. Als ich zurückblickte, leuchtete die Sonne hinein. Ein Strahlen wie aus einer anderen Dimension. Im Inneren Klarheit, strenge Geometrie. Ein Innenhof, grau, sehr hohe Wände, Sachlichkeit, Minimalismus. Am Boden lebendiges Grün. Dicke Stängel eines grasähnlichen kurzgewachsenen Gewächses, auch Strenge, aber frisches Grün, Leben.
Der Raum, in dem die Monets hängen, späte Waterlilies, die ich besonders liebe, nur von Tageslicht beleuchtet. Die Farben brillant. Ein Rausch von Farben, Strukturen, Wirbeln, wie ein Tanz, Partituren, Musik. Der Boden dämpfte den Schall. Man musste Pantoffeln anziehen, wie in einem Tempel, um die Atmosphäre nicht zu stören, die Heiligkeit der Bilder. Noch nie hatte ich Monets so passend, so schön präsentiert, gesehen. Dann ein Raum mit einem kleinen Sechseck von James Turell, blau beleuchtete Fläche, reines Licht, über die Ecke hinweg projiziert. Ein Bild aus Licht. Blaue Energie.
Eine spirituelle Dimension. Danach ein Raum mit einer Öffnung in der Decke, ein Trapez, das den Himmel frei gibt. Der Himmel als Bild, das sich ständig verändert, das auch die Stimmung, Licht und Schatten des gesamten Raumes ständig verändert.
Weiter zum großen Turell Raum. Man musste in einer Schlange warten. Ruhe, Flüstern. Nur wenige Besucher durften zusammen hineingehen. Die Wärter waren wie Priester, die einen auf eine Initiation vorbereiten. Wie in einem Tempel. Einstimmen auf das große Ereignis. Und es war überwältigend.
Man ging eine Treppe hoch, betrat den blau leuchtenden Raum. Fast wie schwebend, die Begrenzungen kaum mehr wahrzunehmen. Ein Raum aus Licht, ein Rausch aus Blau. Wenn man sich umdrehte, blickte man auf eine orange beleuchtete Wand, wie die aufgehende Sonne. Raum. Die zweidimensionale Wahrnehmung wurde erweitert. Man steht mitten in der 3. Dimension, lebendig, kein Außen, kein Innen, alles Licht, Energie. Unten an der Treppe, am Erdboden wieder angekommen, schaute ich mir den Raum nochmal von außen an. Die orange leuchtende Außenwand wie ein Rahmen, ein Durchblick in das reine Nichts, in Energie, Raum, Unendlichkeit.
Schließlich noch der Raum von Walter de Maria. Der ganze Raum eine Treppe im oberen Teil eine riesige Kugel aus poliertem Stein. An den Wänden, oberhalb der Augenhöhe goldfarbene Stelen. Klarheit, Strenge, gewaltig – wie in einem ägyptischen Tempel.
Wieder draußen, brauchte ich eine Pause um das alles sinken zu lassen. Ich ruhte etwas am Monet-Garten aus, fuhr dann mit dem Bus weiter zum Lee-Ufan-Museum. Ausstieg. An einer grauen Betonwand vorbei.
Dann auf dem Grün des Rasens ein frei liegendes riesiges Rechteck aus dunklem Stahl, davor ein wuchtiger heller Naturstein, im Hintergrund sanfte Hügel, Grün, das Blau des Wassers, in der Ferne Inselchen. Das Museum eine graue Wand, vor einer grauen großen, ebenen Fläche. Darauf eine hohe, dünne, graue Säule, eine Linie in den Himmel. Daneben wieder ein großer hellbrauner Naturstein. Graue Sachlichkeit, Wucht, inmitten grüner Landschaft.
Den Bus zum nächsten Museum lies ich diesmal vorbei fahren, ging die Straße entlang den Hügel hinauf in Richtung des Dorfes Honmura, musste meine Augen, meine Seele ausruhen lassen. Der Weg führte an einem Teich im Wald vorbei – darin, wie Schmetterlinge auf der Wasseroberfläche, etliche kleine Skulpturen, weiß, zart, sich im Wind wiegend. Der Pfad schlängelte sich weiter den Hügel hinab ins Dorf. Ich ging Richtung Hafen, passierte Künstlerateliers, die Häuser selbst schon wie Kunstwerke. Eines wie aus Fundstücken, rostigen Blechen, Schwemmhölzern – zusammen gezimmert. Am Meer der traditionelle Ort, Tempel, Holzhäuser, weitere Museen und Ateliers. Von hier aus nahm ich den Bus ins dritte Museum, Benesse House, auch von Tadao Andō entworfen. Im Dorf waren alle Restaurants geschlossen. Ich war sehr hungrig. Auf der Terrasse des Museums konnte ich bei herrlichem Ausblick über die Bucht und die Inselwelt mein sehr spätes Mittagessen genießen.
Danach schlenderte ich noch ein wenig durch die Räume. Es gibt unterschiedlichste moderne und zeitgenössische Kunst von Giacometti, Christo, Pollock, bis hin zu Landart von Richard Long. Aber es waren zu viele Eindrücke heute, ich konnte nichts mehr aufnehmen. Schade, dass ich für Naoshima nicht mehr Zeit eingeplant hatte. Allein hier könnte man schon Tage verbringen. Ich muss wohl nochmal wieder kommen.
Auf dem Rückweg zu meinem Hostel lag noch ein gelber Riesenkürbis der japanischen Künstlerin Kusama auf einem Steg am Meer. Überall Kunst.
Am Abend telefonierte ich mit Chieko. Wir hatten eigentlich geplant, uns übermorgen in Nara wiederzusehen. Das schaffte ich nun aber doch nicht. Die Fahrt hierher und danach wieder zurück dauerte länger als erwartet. Ich wollte unbedingt noch die Nachbarinsel, Teshima mit seinen Museen, besuchen. Nara ginge vielleicht von Kyoto aus. Sie meinte, ich müsse es sehen, die Atmosphäre dort sei einzigartig, mit den 1200 Hirschen, die dort überall spazierten. Wir wollten uns auf jeden Fall noch einmal treffen. Sie schlug vor, mich in Kyoto zu besuchen und zusammen Museen oder Tempel, Schreine zu besichtigen.
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1. Juni
„Teshima art museum“
„Look at this line“
Breathtaking place in Teshima art museum. Perfect art-architecture-environment. The Yokoo Museum a greatcontrast, amazing, too. All within the wonderful surrounding of Seto Inland Sea, hundreds of islands, splendid light.
Die Wartezeit am Morgen für die Fähre zur Insel Teshima nutzte ich, um in der Bucht spazieren zu gehen. Ich ließ mein Gepäck einfach am Strand liegen. In Japan muss man sich nicht sorgen, dass etwas geklaut wird – sicheres, gutes Gefühl. Ich zog Schuhe aus, band meinen Rock hoch und watete im Pazifik. Genoss das warme Wasser, den feinen Sand an den Füßen, das sanfte Rauschen. Ich war die Einzige dort – alles war sehr ruhig. Einige Quallen schwebten im Wasser wie zarte Blütenblätter, fast transparent, mit feinsten roten Linien überzogen.
Die Überfahrt auf dem kleinen Schiff dauerte nicht lange, vielleicht eine Stunde, vorbei an der Küste Naoshimas und vielen weiteren Inseln. Ruhiges Gewässer. Man saß im Freien. Nur ein paar Passagiere. Blauer Himmel. Wärmende Sonne auf der Haut. Sanftes Licht.