Mona/Lisa - Renate Stadlmaier - E-Book

Mona/Lisa E-Book

Renate Stadlmaier

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Beschreibung

Erstes Opfer: Eine junge schwangere Frau, die nichts mehr wollte als Mutter zu werden. Doch dann schlägt das Grauen zu. Zweites Opfer: Eine junge, drogensüchtige Prostituierte die ein ungewolltes Kind trägt und deren fünfjähriger Sohn Joshua, zu einem wichtigen Augenzeugen wird. Warum diese Frauen sterben mussten ist unvorstellbar. Chefinspektor Herbert Quasnitschka, der diese Fälle leitet, muss auf Befehl von ganz oben die beiden Mordermittler Maximilian Shell und Dominik Burkhart hinzuziehen die, wie er sie nennt, seine ganz persönlichen Sargnägel sind und die er so kurz vor seiner Pensionierung so gut gebrauchen kann wie einen Stein im Schuh. Bald darauf decken die smarten Ermittler das bizarre Motiv hinter diesen Morden auf und geraten in eine Situation die einerseits skurril und andererseits brandgefährlich ist.

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Seitenzahl: 663

Veröffentlichungsjahr: 2023

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RENATE STADLMAIER

MONA/LISA

Kriminalroman

1.Auflage

Copyright ©2023 von Renate Stadlmaier

Umschlaggestaltung: Michael Ebner, A-Langenzersdorf

ISBN 978-3-757546-86-1

"Wer das Böse nicht bestraft, befiehlt, dass es getan werde." 

(Leonardo da Vinci)

EINLEITUNG

Er stand da, mit hämmernden Herzen, zog seinen Mantel zu, obwohl er nicht fror, vergrub die Hände tief in den Taschen und starrte auf die Inschrift des Gedenksteines vor ihm.

Der Stein trug keinen Namen und auch kein Datum, nur zwei Worte: In Liebe mit goldenen Buchstaben in den schwarzen Marmor gemeißelt.

Sonst gab es an diesem Stein nichts Besonderes, aber man sah, dass dessen Konturen und die der Schrift redlich und gut ausgeführt waren.

Nur zwei Worte. Zwei Worte, die bestürzende Bilder in ihm heraufbeschworen.

„Nein“, sagte er leise und blickte über den Hof und in den Morgenhimmel hinaus.

Die Kirchturmglocke in der Ferne läutete mit einem kurzen Bong die Sonntagsmesse ein und es folgten weitere hellere Klänge, die aber so leise waren, dass er sie kaum noch hören konnte.

Vor ihm lagen die Gebäude des Dreikanthofes. Rechts, die Garagen, in der Mitte der Teil, den sie immer den Westflügel nannten und links das Haupthaus. Hinter ihm zog sich vom Eingangstor ein langer Kiesweg herauf, gesäumt mit englischen Rosenbüschen durch einen aufwendig gestalteten Garten, in einem Bogen vorbei an den Gebäuden, um sich hinter ihm wieder zu vereinen. In der Mitte dieses Hofes, etwas erhöht, stand ein kleiner Pavillon und in seinem Inneren dieser Stein.

Vor ein paar Tagen hatte sich der Winter zurückgemeldet, noch einmal Kälte gebracht und eine dünne Schneeschicht wie ein weißes Leinentuch übers Land gelegt. Jetzt waren nur noch vereinzelte, kleine Schneenester zu sehen und die Natur schien von einem Tag auf den anderen erwacht zu sein. Er roch es und beinahe hätte er sich daran erfreut.

„Nein“, wiederholte er so leise wie vorhin und richtete seinen Blick wieder auf die kurze Inschrift. „Es gibt vieles, wofür es sich lohnt zu leiden, aber nicht für Worte. Nicht für diese Worte.“

In der Nähe sang ein Vogel ein paar helle Töne, bekam eine Antwort, dann ein kurzes Zwitschern und dann Stille. Und in diese Stille hallten entfernte Erinnerungen in seinem Kopf, während er lange, ohne zu blinzeln, auf die Schrift starrte, bis das Sonnenlicht vor seinen Augen in bunte Streifen zerfiel. Dann kniff er die Augen zu, öffnete sie wieder und kniff sie nochmals zu. Doch es war zwecklos.

So sehr er sich auch bemühte, die schlimmen Gedanken an seinen Vater zu unterdrücken, machte sein Unterbewusstsein ihm einen Strich durch die Rechnung und setzte andere Prioritäten. Er spürte, wie dieses schreckliche Phantom in seinem Hinterkopf emporkroch und diese Erinnerungen ihn immer weiter in die Vergangenheit zogen. Erinnerungen an Schmerzen, Demütigungen und Hass. Und dieser Hass ließ sich nicht unterdrücken. Die vielen Misshandlungen, die er als Kind und auch noch als junger Mann ertragen musste, waren einfach zu massiv. Sie haben tiefe, wunde Stellen auf seiner Seele hinterlassen und jedes Jahr an diesem Tag, dem Todestag seines Vaters, hoffte er, sie würden für immer vernarbt sein, aber nein, jedes Jahr an diesem verdammten Tag, wurden sie erneut aufgerissen.

„Scheißkerl“, sagte er leise und verbittert. „Hol dich der Teufel, Oberleutnant.“

Ein Seufzer drang aus seiner Brust, so tief, dass er leicht schwankte. Er fühlte sich leer. So leer, als hätte man seine Eingeweide entfernt und nur sein verletztes Herz dagelassen. Und das pochte. Jede einzelne der vielen Wunden pochte.

Er rieb sich mit dem Handrücken über die Augen, um alles zu vertreiben. Ein entschlossener Versuch, aber dennoch zu schwach.

„Du wirst doch jetzt nicht losheulen?“

Und da war sie, diese Stimme, diese vermaledeite Stimme seines Vaters in seinem Kopf. Grob, beängstigend und disziplinarisch. Alles, jede einzelne Empfindung, die er mit dieser Stimme verband, legte sich wie ein Sack voll nasser Erde auf seine Schultern. Er machte ein kurzes Geräusch, das wie der Laut eines Schmerzes klang.

Aber da gab es noch ein anderes Gefühl, …… Geborgenheit, … ein Glücksgefühl weit weg und weich, wie eine abgenutzte Wolldecke.

Hör auf, dachte er und ertappte sich dabei, wie er unbewusst ein wenig den Kopf schüttelte. Es war, als würde in seinen Gedanken ein gesondertes Gespräch stattfinden und sein Hirn kurz vorm Explodieren stehen. Wut stieg in ihm hoch. Wut auf alles und sich selbst. Es spielt keine Rolle mehr, was er getan hat. Es spielt einfach überhaupt keine Rolle mehr, sagte er sich, drückte die Handballen gegen seine Augen, dass dunkle und weiße Punkte hinter seinen Lidern tanzten. Er spürte einen leichten Luftzug und diese Luft war warm und sie roch nach verdorrtem Laub, vermischt mit dem Aroma aufsteigender Baumsäfte und der Erde, die von den Strahlen der Sonne erwärmt wurde. Trotzdem lief ihm ein Schauer über den Rücken, der die kleinen Härchen, in seinem Nacken und auf den Unterarmen zu Berge stehen ließ.

Noch einmal atmete er tief ein und wieder aus. Eine drahtige, hochgewachsene Person, ganz in Schwarz gekleidet, so wie er, stand plötzlich neben ihm und legte ihm sanft eine Hand auf die Schulter. Er zuckte leicht zusammen.

„Nie wieder.“ Die Stimme klang tief, mit einem beruhigenden Unterton.

„Er wird dir nie wieder weh tun.“

Er gab keine Antwort, sondern neigte nur langsam den Kopf und schmiegte seine Wange an die große Hand mit langen schlanken Fingern, die auf seiner Schulter lag. Sein erster Impuls, gereizt zu reagieren, verwandelte sich abrupt in ein heftiges Bedürfnis nach Zärtlichkeit. So einfach war es. Eine kleine Berührung, ein wenig Wärme und alles war gut.

„Hast du je darüber nachgedacht“, sagte er mit belegter Stimme, „wie mein Leben verlaufen wäre, wenn er nicht gewesen wäre?“

Die Hand auf seiner Schulter verstärkte kurz den Griff.

„Heute vor zehn Jahren ist er gestorben“, sprach er weiter. „Vater hat immer dafür gesorgt, dass wir wussten, wofür wir Hiebe bekommen.“

Er holte langsam Luft durch die Nase und presste die Lippen aufeinander. Er konnte mit jedem Wort noch einmal empfinden, wie es war.

„Mein Bruder und ich haben nicht nur einmal den Riemen zu spüren bekommen, weil wir unsere Mutter beschützen wollten. Umgekehrt war es genauso. Ich kann dir heute noch sagen, wie sich jeder Schlag mit der Rute oder dem Gürtel angefühlt hat.“

Er sprach, ohne den Blick von dem Stein zu nehmen. Dann lachte er kurz und bitter auf und fuhr voller Selbstironie mit seinen Erinnerungen fort.

„Als mein Bruder und dann meine Mutter starben, ist alles, was mir im Gedächtnis geblieben ist, überwältigende Trostlosigkeit, völlige Hilflosigkeit, das Ende der Welt. Sie hatten mich verlassen.

Jedes Mal an seinem Todestag verspüre ich seltsamerweise Trauer und Erleichterung zugleich, aber auch Wut und Schmerz. Ich stehe hier, quäle mich selbst und bete um Erlösung. Aber dann kommst du“, er seufzte und drehte sich um, „und holst mich weg, bevor ich mich verliere.“

Er sah auf und blickte in ein Augenpaar voller Mitgefühl.

„Ich muss es tun, verstehst du mich?“ Seine Stimme war fest, aber leicht belegt, denn er hatte einen Kloß im Hals.

„Ich muss es besser machen. Ich brauche dieses Kind.“

Ihm wurde bewusst, dass er die Fingerknöchel einer Hand fest an seine Brust gedrückt hielt. Seine Finger umschlossen ein kleines Medaillon, das er an einem Kettchen immer unter seinem Hemd versteckt, um den Hals trug. Er hatte es von seiner Mutter bekommen.

„Ich muss“, wiederholte er, „ich muss“, und mit einer Plötzlichkeit, die sein Gegenüber erschreckte, verschwammen seine Augen.

Ein sengender Schmerz, wie ein Blitzschlag fuhr ihm durch den Kopf, dass er sich kurz festhalten musste, …… und löschte alles aus.

EIN PAAR WOCHEN ZUVOR

Johanna Berger saß geduldig wartend auf dem Stuhl vor Doktor Wallentins Schreibtisch, Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Die junge Frau war am Ende des achten Monats schwanger und für sie und ihre Lebensgefährtin, – wobei dieses Verhältnis beide geheim hielten –, war von Anfang an klar, dass sich Johanna nur bei einem guten Arzt und auch nur in private Behandlung begeben würde. Doktor Viktor Wallentin war der Erwählte und er war nicht nur ein guter Arzt, er war brillant. Zudem war er auch noch gutaussehend und besaß eine charmante Art, mit der er in der Gefühlswelt der Damen in der Vergangenheit – und nicht nur in der Vergangenheit - schon eine Menge Staub aufgewirbelt hatte. Immer noch wurde er häufig umworben, doch blieb er allen Versuchungen der holden Weiblichkeit zum Trotz, standhaft wie die Chinesische Mauer, denn tatsächlich war er seit sieben Jahren, mit seiner großen Liebe Lisa, glücklich verheiratet.

Johanna sah müde aus. Ihr blondgesträhnter Pagenkopf fiel nicht so glatt und exakt wie sonst, ihre runden, bernsteinfarbenen Augen waren leicht geschwollen vom Schlafmangel und um ihren kleinen Mund hielten sich schmale, hartnäckige Falten. Als der Doktor eintrat, reichte er ihr die Hand und begrüßte sie auf seine gewohnte, freundliche Weise.

„Schlafen Sie schlecht, Frau Berger?“ Fragte er und sah ihr besorgt ins Gesicht.

„Ach, nur die letzten Tage.“

Sie winkte abschwächend mit einer Hand und mit der anderen strich sie mit wiederholt kreisenden Bewegungen über ihren schwangeren Bauch. Er nickte verständnisvoll, obwohl er ihr die gespielte Gelassenheit nicht abnahm.

„Na gut“, sagte er, ging zu einem kleinen Tischchen an der Wand und nahm ein paar von den dünnen Einweghandschuhen aus einer Box.

„Dann sehen wir uns erst mal an, wie es dem Baby geht“, sagte er.

Bevor er die Handschuhe anzog, und die Maske über Mund und Nase spannte, nahm er sie bei der Hand und half ihr hoch.

Die Untersuchung war Routine. Er prüfte per Ultraschall Wachstum, den Sitz des Kindes, die Lage der Plazenta, Fruchtwassermenge, die Herzaktivität und konnte nichts Beunruhigendes finden.

Als er danach den Monitor drehte, ihr das Ultraschallbild des Fötus zeigte, während er das kalte Gerät über ihren Bauch manövrierte und sie das regelmäßige Wummern vom Herzen ihres ungeborenen Kindes hörte, begannen ihre Augen zu glänzen. Für einen Moment verflog die Müdigkeit und sie strahlte über das ganze Gesicht.

„Alles ist gut, Frau Berger“, sagte er mit dumpfer Stimme.

Er reichte ihr einen kleinen Stapel Papier, damit sie sich vom Ultraschallgel säubern konnte, streifte sich mit einem leisen Schnalzer die Gummihandschuhe ab und zog den Mundschutz von seinem Gesicht, wodurch seine Worte gleich viel klarer klangen.

„Ich bin sehr zufrieden und Sie müssen sich keine Sorgen machen, falls es das ist, was Ihnen den Schlaf raubt.“

Johanna Berger richtete sich schwerfällig auf und schüttelte den Kopf.

„Das Baby macht mir keine Sorgen“, sagte sie und jetzt verschwand der Glanz aus ihren Augen wieder so schnell, wie Spülwasser im Ausguss.

„Es ist die Zukunft, über die ich mir den Kopf zerbreche.“

„Aber Sie haben doch sicher schon vorher darüber nachgedacht, sonst hätten Sie ja nicht …“

Der Doktor kam nicht dazu, den Satz zu beenden, weil sie das Gesicht verzog und ihn mit einer abwehrenden Handbewegung unterbrach.

„Ja, ja, ich weiß, aber ich hätte nicht gedacht, dass es am Ende doch noch so kostspielig wird.“ Sie lächelte sardonisch.

Doktor Wallentin presste kurz nachdenklich die Lippen aufeinander.

„Sie sollten sich wegen Ihrer finanziellen Lage jetzt nicht so viele Gedanken machen. Besser, Sie nutzen die Zeit und schlafen sich aus. Wenn das Kind einmal da ist, werden Sie die Kraft brauchen“, sagte er, während er sich die Hände wusch.

Dann ging er ins andere Zimmer und nahm hinter seinem Schreibtisch Platz und wartete, bis sie sich angezogen hatte.

Mit dem Zeige- und Mittelfinger wischte er über das Touchpad seines Laptops und der dunkle Bildschirm erhellte sich. Viktor Wallentin tippte auf der Tastatur und rief die Krankengeschichte seiner Patientin auf.

Johanna Berger stand da, zweiunddreißig, ledig, Vater, das war ihm vertraut, unbekannt, Bankangestellte. Sie war eine der Frauen, die ihr Kind allein ohne Vater großziehen wollte, wusste er, warum auch immer. Er trug die heutige Behandlung ein und starrte noch einige Augenblicke ernst auf den Eintrag. Johanna Berger kam und setzte sich ihm gegenüber hin.

Der Sessel knauerte vernehmlich unter ihr.

„Ich bin schon so schwer wie ein Walross“, stellte sie verdrossen fest.

Der Doktor würdigte diese Bemerkung mit einem kurzen Blick und der Nachdenklichkeit, die sie verdient hätte, wäre sie nicht schon etliche Male hervorgebracht worden.

„Bald passe ich nicht mehr durch die Tür.“

„Das geht vorbei“, sagte er beiläufig und lächelte sie an.

Doktor Wallentin lehnte sich zurück, nahm Lippen und Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und stützte den Ellenbogen auf der Lehne seines Sessels ab. Er nickte eine kurze Weile vor sich hin und sah sie dabei an, unverblümt und direkt. Vielleicht ein wenig zu lange, denn sie wurde unruhig. Plötzlich setzte er sich abrupt auf, als hätte ihn etwas in den Rücken gebissen.

Doktor Wallentins Augen funkelten verschwörerisch als er dann zu ihr sagte: „Glauben Sie mir, es gibt für alles im Leben eine Lösung. Ihre Sorgen werden sich ganz bestimmt in Luft auflösen, wenn Sie ihr Baby erst mal in den Armen halten. Aber jetzt gehen Sie nach Hause, meine Liebe und schlafen sich aus.“

Er sagte das sehr bestimmt und sie war zu müde, um zu protestieren. Da stand er auf, ging um den Schreibtisch herum und half ihr hoch.

Die junge Frau war wie ein großes sperriges Paket und er legte die Hand auf ihren Rücken, um sie behutsam zur Tür hinauszuschieben. Ehrliche Verwirrung zeigte sich in Johannas Gesicht, die eventuelle Feinheiten oder Zusammenhänge in Ihrer Unterhaltung jetzt so gar nicht verstanden hatte.

Er hörte gerade noch, wie sie mit leiser Stimme, „also gut, wie Sie wollen, auf Wiedersehen“, murmelte und zwinkerte ihr noch einmal zu, bevor er hinter ihr die Tür schloss. Im Empfangszimmer blieb Johanna kurz stehen, weil ihr die Ordinationshilfe Elvira – Elvira, die für den Doktor alles managte, was es nur so zu managen gab – einen Terminzettel in die Hand drückte, mit dem Datum für die letzte Kontrolle. Die junge Frau zog ihren dicken Mantel an, bezahlte noch mit Kreditkarte und verließ die Ordination an diesem Freitag um sechzehn Uhr fünfundvierzig.

Drei Wochen später, an einem Freitag, verschwand Johanna Berger spurlos mit ihrem ungeborenen Kind.

WAS DANN GESCHAH

Er kauerte auf dem Terrazzoboden, mit dem Rücken an die glatten, weißen Fliesen der Wand gelehnt.

Schweiß rann ihm in kalten und warmen Bächen den Rücken hinunter.

Er ließ den Kopf hängen und fuhr sich immer wieder verzweifelt mit beiden Händen durch das schweißnasse Haar. Die Luft war stickig und so dick wie Honig, dass es ihm schwerfiel zu atmen.

Durch das kleine Kellerfenster quälte sich nur schwaches Tageslicht und Staubteilchen schwirrten vor einem dünnen Lichtstreif.

Er lockerte seine Krawatte.

Sein Vater, ein kräftiger Mann mit kurzem, schon leicht ergrautem Haar, strikten Seitenscheitel und dünnen Oberlippenbart ging zornig vor ihm auf und ab. Er war äußerst korrekt gekleidet, mit einem markant klar geschnittenen Dreiteiler, dessen Jackett, Hose und Weste aus dem gleichen Obermaterial bestanden. Darunter trug er ein blütenweißes Hemd, mit steifen Kragen. Aus der Seitentasche seiner Weste hing, in einem Bogen, das goldene Kettchen seiner Taschenuhr.

„Der Teufel, soll dich holen, du dämlicher Idiot!“ Schrie sein Vater weiter.

„Du hast es wie immer verdorben. Es war alles so gut geplant. Du hättest nur aufpassen sollen, einfach nur aufpassen! Herrgott noch mal, kannst du denn irgendetwas richtig machen?“

Der Vater schritt langsam, mit am Rücken verschränkten Händen, ohne den Kopf von ihm abzuwenden auf und ab. Von den Absätzen seiner polierten Lackschuhe war bei jedem Schritt ein leises Klack zu hören. Die eisblauen Augen waren dunkel vor Wut und sein kalter, unbarmherziger Blick, der keinen Fehler duldete, durchbohrte den am Boden Kauernden und traf ihn bis auf den Grund seiner Seele.

Wie so oft schon, wenn der Vater vor Zorn kochte, spürte er, in seiner Gegenwart Angst, Panik und dieses unangenehme Gefühl von Hilflosigkeit.

„Ich habe es gut gemacht, bei Gott, ich habe es gut gemacht“, wimmerte er wie ein kleines Kind und hob den Kopf. Seine Augen waren rot geweint.

„Du bist ein scheiß Versager! Ich würde dir am liebsten den Schädel einschlagen!“ Schrie sein Vater und holte zum Schlag aus.

Vor lauter Furcht wurde der Druck auf seine Blase fast unerträglich und er kniff die Beine zusammen, um ein Unglück zu vermeiden.

„Bitte, bitte nicht. Ich habe mein Bestes getan“, flehte er, hob schützend die Arme über den Kopf und rollte sich am Boden zusammen, wie ein Wurm.

„Halts Maul!“ Der Vater verzog verächtlich das Gesicht und ließ den Arm sinken. Er sah ihn scharf an und wandte sich dann mit einem kurzen Schnauben ab.

Gleichgültig betrachtete er das leblose Bündel, das vor ihm auf dem Boden lag. Es war in eine blaue Babydecke gehüllt, mit kleinen grauen Elefanten darauf. Ein kleiner fröhlicher Fleck in einer so kalten, düsteren Umgebung.

„Hör auf zu heulen“, brüllte er cholerisch, „und komm mit deinem verdammten Arsch hoch! Du wirst es noch einmal versuchen, aber ich schwöre dir, wenn es das nächste Mal nicht klappt“, er zog während er sprach, seinen Gürtel aus den Schlaufen seiner Hose, faltete ihn einmal und schlug mit dem doppelten Ende klatschend auf die Handfläche, „dann zeig‘ ich dir ein Stück von der Hölle!“

Der Blick, den sein Vater ihm zuwarf, sagte mehr als tausend Worte, trotzdem stieß er unmerklich, aber erleichtert den Atem aus.

„Bring es weg!“ Fauchte der Vater, mit zusammengekniffenen Augen, fächelte mit der Hand und wandte sich ab.

Einen kurzen Augenblick darauf, begann die hochgewachsene Gestalt seines Vaters vor seinen Augen zu flimmern wie ein Trugbild in der Wüste, löste sich auf, kam wieder, verschwand dann vollständig und ließ ihn verängstigt zurück.

Mit zusammengepressten Lippen erhob er sich und schob sich zitternd die Wand entlang zur Tür.

Heftig atmend stieg er die Treppe hoch und trat hinaus ins Freie.

Draußen schien die Sonne und der Himmel umspannte die Welt mit wolkenlosem Blau.

Er musste die Augen zusammenkneifen. Fahrig wischte er sich mit dem Ärmel seines Hemdes übers Gesicht. Dieses Haus, sein Zuhause, stand an einem Ort, der so ruhig, so idyllisch war, doch der Schein trog. Dieses Haus war immer schon seine ganz persönliche Hölle gewesen.

Es war Frühling und alles roch nach neuem Leben. Rund um ihn war die Natur dabei, in den ersten bunten Farben zu erblühen, als würde sie ihm damit trösten wollen.

Bärlauchblätter lugten aus der Erde an der Mauer entlang und die Vogelmiere rankte sich zaghaft von Ritze zu Ritze. Zarte Gänseblümchen hoben ihr gebeugtes Köpfchen der Sonne entgegen und überall sprossen Knospen aus dem Geäst. In diesem Jahr schien alles früher als sonst erblühen zu wollen.

Die Bäume zogen ihre Säfte durch den Stamm und die Vögel begannen überall ihre Nester zu bauen. Doch hier in diesen Hof herrschte Grabesstille.

Er ging ein paar knieweiche Schritte über den Kiesweg, ziellos und verwirrt. Sein Haar war zerzaust, die Krawatte aufgezogen und sein Hemd hing schlampig aus der Hose und zeigte große, nasse Schweißflecken.

Er sah in den weitläufigen Garten vor dem Haus, der wie ein Park angelegt war und auf die sorgfältig aneinander gereihten englischen Rosenbüsche, die erste Knospen ankündigten. Sein Blick streifte nur kurz den Pavillon, der in der Mitte des Hofes stand.

Langsam beruhigte er sich. Die Angst fiel von ihm ab wie getrockneter Schlamm und er zog die frische Luft, tief in seine Lungen. Jetzt musste er nur noch, dass was schiefgelaufen war, wieder in Ordnung bringen.

Er drehte sich abrupt um und ging wieder zurück in den Keller, kniete sich vor dem kleinen Bündel nieder, setzte sich auf die Fersen und verschränkte, ein leises Gebet murmelnd, beide Hände im Schoß. Dann zog er kräftig die Nase auf, wischte sich mit dem Handrücken über die Augen und hob den kleinen Körper vorsichtig hoch.

Die Decke rutschte vom Kopf des Säuglings und gab das winzige Gesichtchen frei. Es war perfekt geformt, wie die Knospe einer Rose. Die Haut war dünn und durchscheinend wie Pergamentpapier, das zarte, lebhafte Rosa aus den Wangen einem stumpfen, toten Grau gewichen.

Durch die geschlossenen Augenlider konnte man das dunkle Labyrinth, feiner Adern sehen. Die Ohren und die Nase waren puppenhaft klein, nur der Mund zeigte die Qualen seines kurzen Lebens.

Das Kind fühlte sich seltsam an in seinen Armen, so leicht, so unheimlich zerbrechlich.

Zärtlich zeichnete er mit der Fingerspitze die trockenen, eingefallenen Lippen nach.

Seine Hand zitterte.

Er drückte ganz sanft seine Stirn gegen die des toten Kindes, tätschelte und wiegte es.

„Es tut mir leid“, schluchzte er.

„Es tut mir so unheimlich leid.“

Ein paar Minuten hielt er das tote Kind so in seinen Armen. Dann bedeckte er es wieder und trug das Bündel die Treppe hoch, leise und vorsichtig, auf jeden Schritt bedacht, als wolle er die Ruhe des verlorenen Menschenlebens nicht stören.

Er trat durch die massive Holztür, ging zielstrebig auf das Nebengebäude mit den fünf Garagentoren zu und öffnete mit einem kurzen Druck auf die Fernbedienung in seiner Hosentasche, das Letzte in der Reihe. Laut quietschend und surrend zog sich das Tor nach oben und gab den Blick auf eine schwarze Horch 830 Pullman Limousine frei.

Er wartete einen Moment, bis er die Autotür öffnete, das Bündel hinter den Fahrersitz auf den Boden legte und unter einem Stück schwarzen Filz verbarg, sodass es sich kaum mehr von der ebenso schwarzen Innenausstattung des Wagens abhob. Seine gepflegten Hände bewegten sich rasch, denn er war es gewohnt, schnell und präzise zu arbeiten. Dann schloss er wieder, sachte die Tür, blinzelte die Tränen weg und ballte die Fäuste.

Er spürte den Blick im Nacken, von dem Augenpaar, das die ganze Zeit auf ihn gerichtet war und aus einem der hofseitigen Fenster des Hauptgebäudes im ersten Stock des Dreikanthofes, jede seiner Bewegungen aufmerksam verfolgte.

Im nächsten Moment stellte sein Verstand völlig unverhofft auf Standbild. Ein paar Wimpernschläge später zoomte das Bild vor seinen Augen vor und zurück.

Ihm wurde wieder heiß.

Ein stechender Schmerz wollte ihm den Schädel zerreißen. Torkelnd, wie ein Betrunkener, ging er ein paar Schritte. Wenig später blieb er vornübergebeugt und schwer atmend stehen. Mit den Händen stützte er sich auf den Knien ab. Nur ein paar Sekunden, dann verschwand der Schmerz so schnell wie er gekommen war. Sein Gehirn begann dünn, und von ganz weit hinten die Realität wieder wahrzunehmen.

Endlich, ganz langsam, bekam sein Wille wieder die Oberhand.

Es war vorbei. Rundherum war alles friedlich und ruhig. Ein einzelner Vogel grüßte und sein Ziepen hallte über den ganzen Innenhof. Er hob den Kopf und sah mit leerem Blick zu dem Teil des großen Hauses hinter sich, und zu dem Fenster hoch, hinter dem sich die Person verbarg. Dann richtete er sich auf, fuhr sich durchs Haar, strich sein Hemd glatt, zog die Krawatte hoch und klopfte die Hose ab. Er griff in seine Taschen und kontrollierte, ob er alles dabeihatte, straffte die Schultern und stieg, als wäre nichts gewesen, in den Wagen.

Er kannte sein Ziel. Er war schon einmal dort gewesen und hatte sich den Platz genau angesehen. Es war eine Stelle im Wald, mit Flechten überzogen, kleinen Felsbrocken und überdacht mit Ästen von Fichten, die kein Wanderer zufällig entdecken würde. Niemand durfte es finden. Es war sein Kind und er wollte es begraben. In Ruhe betten, so dachte er.

Den Leichnam der Mutter dieses Kindes hatte er schon vor ein paar Tagen weggebracht. Er wollte sie weit weg von hier entsorgen, denn an dieser Frau lag ihm nichts. Also fuhr er bis ans andere Ende der Stadt und noch weiter hinaus. Von früher kannte er eine Stelle beim Einlaufwerk in Langenzersdorf, die nachts einsam und verlassen war. Er fuhr unter der Unterführung durch, auf den Parkplatz vor der Brücke, die über das letzte Stück der Donauinsel führte. Dort hielt er an. Er stieg aus, um sich zu vergewissern, dass niemand in der Nähe war und lauschte kurz, vernahm aber nur das Brummen der wenigen Autos, die um diese Zeit über die Autobahn fuhren, das Plätschern des Wassers und das Summen der Stadt, die nie zu schlafen schien. Die Stelle, an der er gehalten hatte, war nur schwach beleuchtet und er zog die Leiche aus dem Wagen. Sie steckte in einen schwarzen Plastiksack, um den Verwesungsgeruch einzudämmen und er warf sich das grausige Paket über die Schulter. Dann trug er es über die Brücke und ohne Mühe auf einem ausgetretenen Pfad über ein kurzes Stück Wiese, an einer Hecke vorbei und über den betonierten Weg zum abfallenden Ufer der Donau. Dort schnitt er, mit einem kleinen Taschenmesser den Sack der Länge nach auf, griff eine Seite, hob sie mit einem Ruck an und die Leiche kullerte, wie eine Gummipuppe über die Steine zum Wasser hinunter. Ein Arm platschte ins Wasser, aber der Rest blieb grotesk verdreht auf den untersten Felsen liegen. Er fluchte leise, setzte sich hin und rutschte ein paar Steinreihen hinunter. Zornig trat er, gegen den geschundenen Leib und durchnässte seinen Schuh. Aber er hatte Erfolg. Der schlaffe Körper der Frau drehte sich noch einmal um die eigene Achse und versank dann im dunklen Gewässer des Flusses. Zufrieden sah er zu, wie die leblose Hülle langsam unterging und sich das Wasser an der Stelle über ihr kräuselte. Mit den Augen verfolgte er einen mitgerissenen Zweig und ein Stück Plastik, das auf den entstandenen Wellen schaukelte, wie Wasserspielzeug in einer Badewanne. Ein nasses Grab für eine junge Frau, die nichts verbrochen hatte. Die nur den tiefen Wunsch hegte, Mutter zu werden, Mutter für ein Kind, das sie vom ersten Moment an innig liebte, aber nie sehen durfte, weil er es für sich wollte.

Langsam versank die Sonne hinter dem Haupthaus und die Luft wurde kalt, als der Horch, knirschend über den Kies fuhr und den Hof verließ. Die Person am Fenster zog die Vorhänge zu und lauschte so lange, bis die Motorengeräusche verklungen waren.

Stille, die nur hie und da von dem Schrei eines Tieres begleitet wurde, folgte. Eine knappe Stunde später brach die Dunkelheit herein und beendete, mit alles umhüllender Schwärze, diesen unheilvollen Tag.

HERBERT QUASNITSCHKA

Die Räumlichkeiten vom LKA in Wien wurden vom Licht der Frühlingssonne durchflutet und legte sich weich auf die geölten Holzdielen des Fußbodens, über das vergilbte Weiß der Wände und die im Raum stehenden Schreibtische der Beamten. Jedes Rascheln von Papier, jedes Gemurmel und jedes Geräusch von Bewegung, blieb in den Ecken und Winkeln hängen und erfüllte die Zimmer mit Leben. An manchen Tagen, so wie heute, ging es hier zu wie in einem Bienenstock.

Chefinspektor Herbert Quasnitschka saß in seinem Büro und war so vertieft in sein Elend, dass er gar nicht bemerkte, wie schnell die Zeit verging. Herbert Quasnitschka war ein schlanker, immer gepflegter Mann, der meist jünger geschätzt wurde, als er tatsächlich war. Er trug sein ergrautes Haar kurz, war stets glattrasiert und achtete auf eine sorgfältig sitzende Kleidung. Normalerweise galt er ja allgemein als umgänglich, aber jetzt war er seit zwei Tagen schon gereizt und nörgelig, bekam zu wenig Schlaf und seine Gedanken befanden sich ständig in Aufruhr. Sein Kopf und Nacken schmerzten und er fühlte sich so abgespannt und entkräftet, wie schon lange nicht mehr.

Der Bericht der Spurensicherung, den er gerade stirnrunzelnd las, tat den Rest, um seine Laune weiter brutal in den Abgrund zu ziehen.

Er holte tief Luft und schnappte dabei unbewusst den Geruch von Möbelpolitur und der frisch ausgedruckten Fotos, die auf seinem Schreibtisch lagen, auf. Dieser Fall, bei dem es um eine, bis zur Unkenntlichkeit verstümmelten Frauenleiche ging, brachte ihn an seine Grenzen und ließ ihn langsam verzweifeln. Der Körper der Frau wurde auf der Höhe der Floridsdorfer Brücke in der Donau in einer Ausbuchtung nahe einer Hundezone gefunden und hatte sich dort am Ufer des Hauptarms in den großen Steinen, mit Ästen und anderem Treibgut verfangen. Sie hatte wohl schon einige Zeit dort im Wasser gelegen und jetzt kam auch noch eine Kinderleiche dazu, genauer gesagt die eines Säuglings, die man in einem abgelegenen Waldstück des Wienerwaldes fand und das war noch schlimmer.

Hin - und hergerissen, zwischen Wut und Abscheu, sah er sich die grausigen Fotos zum dritten Mal an, bevor er die Berichte zur Hand nahm. Wieder huschte ein sorgenvoller Gedanke durch seinen Kopf.

Diese Fälle könnten Wochen, Monate oder gar Jahre dauern, bis sie zur Aufklärung kamen. Vielleicht würde das aber auch gar nicht passieren, dann würden sie bei den ungeklärten Fällen landen und was würde das am Ende, nur zwei Monate vor seiner Pensionierung, für ein Bild auf ihn werfen?

Nein, nur über meine Leiche, dachte er sarkastisch und schob, mit all seiner Willenskraft, diesen Gedanken zur Seite. Dann fiel sein Blick auf die Wand vor ihm.

Er stieß den Schreibtischstuhl nach hinten und stand abrupt auf.

Mit am Rücken verschränkten Händen durchquerte er den kleinen Raum. Er blieb stehen und besah sich mit halb zusammengekniffenen Augen die Diplome.

Ja, er hatte eine lange, erfolgreiche Laufbahn hinter sich und die war bei Gott nicht immer leicht. Seine jetzige Position musste er sich hart erarbeiten und nun konnte er es kaum mehr erwarten, mit seiner Frau, mit der er vierzig Jahre lang kinderlos verheiratet war, die lange ersehnte Europareise in ihrem liebevoll, sehr zeitaufwändig restaurierten alten Campingbus anzutreten.

Für einen kurzen, angenehmen Moment, trat sein Verstand zur Seite, um seiner Fantasie Platz zu machen und er sah sich und seine Frau Theresa, mit ihrem Ersatzkind Kischa, einer Pomsky-Hündin, ein Mix aus Husky und Zwerg spitz, mit schwarz- weißen, wuscheligen Fell und blauen Knopfaugen, mit dem Bus über eine Landstraße fahren, die von blühenden Bäumen gesäumt und von weiten Feldern umgeben war, den alten Kassettenrekorder auf volle Lautstärke gedreht und lauthals die Musik aus den Siebzigern mit johlend.

Das Leben könnte so schön sein, dachte er und dann war sie wieder da, die Realität, schlagartig und mit ihrer ganzen heuchlerischen Unverfänglichkeit.

Er nahm wiederum seinen Platz hinter dem Schreibtisch ein und setzte seine kantige Unterschrift unter die Berichte.

Das Telefon klingelte.

Die Chefin der inneren Abteilung war dran. Sie erkundigte sich nach dem Verlauf der Ermittlungen und forderte schnellstmögliche Aufklärung dieser bestialischen Fälle, wie sie es nannte.

„Es darf nicht sein, dass sich solche, oder solch ein Ungeheuer lange auf freiem Fuße bewegt“, meinte sie und außerdem bekäme er, Herbert Quasnitschka, die beiden besten Ermittler zur Seite, die dem Land zur Verfügung standen. Also solle er sie doch bitte, in Gottes Namen, zu diesen Fällen heranziehen.

„Ich weiß“, meinte sie gelassen, „dass die Beziehung zwischen Ihnen und den beiden, sagen wir einmal, kompliziert ist. Aber, und ich denke auch Sie wissen es, Sie haben keine Alternative. Eine Pressekonferenz ist demnächst angesetzt und bis dahin müssen Sie ausreichende Informationen beschaffen, um den Österreichern das Gefühl einer kompetenten und fähigen Exekutive zu vermitteln. Sie wissen ja, die Wahl zum Bundespräsidenten steht bevor, also …“

Ihre Stimme klang immer noch beherrscht, aber sehr bestimmend.

„Immerhin werden ja Steuergelder für Ausbildung und Material verwendet. Ich setze auf Sie und Ihre langjährige Erfahrung.“

Herbert Quasnitschka bemühte sich um einen ruhigen, gravitätischen Ton. Er begann mit der Erklärung, dass die Flüchtlingssituation an den Grenzen es erforderte, auf einige Kollegen zu verzichten und Personalausfälle anderer Ursachen, seine Abteilung ziemlich schwächten, aber sie schnitt ihm das Wort ab. Sie duldete keine Ausflüchte und forderte Ergebnisse. Herbert Quasnitschka versicherte ihr, sich darum zu kümmern, dann legte sie auf.

Er rang um Fassung. Jetzt hatte er nur noch die Hoffnung, dass seine Nerven, in der nächsten Zeit standhielten und er am Schluss nicht in der Klapsmühle endete.

Mit tonnenschwerem Herzen und widerwillig griff er zum Telefon, um nach Dominik Burkhart und Maximilian Shell schicken zu lassen.

Während er wartete, lief er in seinem Büro auf und ab und wünschte sich sehnlichst eine Zigarette, obwohl er dieses Laster schon seit zehn Jahren abgelegt hatte.

Nervös setzte er sich dann wieder hinter den Schreibtisch und schob wahllos ein paar Dinge herum. Herbert Quasnitschka hatte mit diesen beiden Ermittlern schon einige Male zusammengearbeitet und sie waren zweifellos gut. Sehr gut sogar.

Dominik und Max waren verglichen mit seinem Körpermaß nicht nur wahre Riesen, sondern auch seine ganz persönlichen Sargnägel, außerdem Nervensägen und ewige Querulanten. Sie raubten ihn seine letzten Nerven, weil sie sich nie an die Vorschriften hielten.

Eigentlich hatte er sowieso nie erwartet, dass sie das tun würden, und sie taten es auch bis heute nicht. Aber er musste zugeben, oft nicht ohne Grund. Manches, das so in den Büchern stand, war selbst für ihn veraltet und gewissermaßen untauglich fürs echte Leben, aber es waren nun mal Vorschriften.

Er war es einfach leid ihr Verhalten, wenn sie zusammenarbeiteten, ständig zu decken, doch sie brachten immer die gewünschten Ergebnisse. Schnelle Ergebnisse und darum waren sie in diesem Fall quasi seine letzte Rettung.

Er raufte sich die Haare und sein ganzes Verhalten zeigte, wie diese Entscheidung an ihm nagte.

DOMINIK BURKHARD UND MAXIMILIAN SHELL

„He Kleiner, wach auf, es gibt was zu tun“, erklang Dominiks aufgeregte Stimme und knallte seinem Kollegen, einen Stapel Fotos auf den Schreibtisch.

Die Bilder, auf Papier kopiert und sorgfältig ausgeschnitten, glitten auseinander wie ein Bündel Karten auf einem Spieltisch. Max, der sich seit Tagen mit der Aufklärung kleinerer Delikte langweilte, blickte von seiner Arbeit auf und runzelte die Stirn.

„Der Quasnitschka schickt nach uns,“ sagte Dominik, ein einenmetersiebenundneunzig großer, mit Muskeln bepackter blonder Hüne, die Haare zu einem Dutt gebunden und Vollbart, schmunzelnd.

Er ließ sich lässig, so halb auf der Tischkante nieder, sodass Maxs Schreibtisch unter seinem Gewicht ächzte.

„Woher hast du das?“ Fragte Max und deutete mit dem Kopf auf die Bilder.

„Ich habe so meine Quellen“, antwortete Dominik mit geheimnisvollem Blick.

„Die Berichte von der Spurensicherung und der Obduktion, habe ich auch schon gelesen, bevor sie der Quasnitschka bekommen hat und habe mir Kopien von den Bildern gemacht“, sagte er geradeheraus, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt.

Max sah ihn schief an, aber Dominik ließ sich davon nicht beeindrucken und berichtete seinem Kollegen weiter.

„Die Shirin, von der Autopsie schreibt, dass die Leiche des Babys dort im Wald schon seit ein paar Tagen gelegen hat, ja und das hat dann wohl auch ein paar Tierchen angelockt. Na los, sieh es dir an.“

Er schob seinem Kollegen, mit einer auffordernden Geste den Haufen Bilder noch näher heran.

Max nahm die Fotos und betrachtete eines nach dem anderen.

Er verzog angewidert das Gesicht.

„Der Säugling war erst wenige Tage alt, schreibt Shirin, die die Obduktion durchgeführt hat und hier sieh mal“, Dominik deutete auf eines der Bilder, „sie meinte, er wurde fachmännisch abgenabelt.“

Maximilian Shell, der oft wegen seines Namens belächelt wurde, jedoch nichts, nicht einmal die Schreibweise, mit dem verstorbenen Schauspieler gemeinsam hatte, schob die abstoßenden Bilder von sich.

Max war rein äußerlich Dominiks Gegenstück. Dunkle Haare, moderner, sündteuer Haarschnitt, Spitzbart, Jeans, T-Shirt, Sakko und Sneakers. Er war fast genauso groß wie Dominik (weshalb ihn dieser ständig als „Kleiner“ bezeichnete) etwas schlanker, aber ebenso trainiert.

Im Gegensatz zu Dominik legte Max viel Wert auf sein Äußeres, was nicht heißen soll, dass der blonde Hüne weniger ansehnlich war, im Gegenteil, beide waren echte Kerle und gemeinsam wirkten sie, als wären sie geradewegs aus einem der zahlreichen Hollywood Actionfilme gestiegen.

Auch dass man ihnen so manche Macken durchgehen ließ, lag wohl daran, dass ihnen nicht nur der Ruf vorauseilte, die besten Ermittler des Landes zu sein, sondern auch, weil allgemein bekannt war, dass Dominik vor zwei Jahren auf eigene Kosten drei Wochen in Milwaukee, USA, auf einem Seminar für Kriminalistik war und er und Max ein unschlagbares Team waren, seit sie vor drei Jahren Partner wurden. Beide hatten Ehrgeiz, kannten keine Angst und besaßen das Herz eines Löwen. Wenn sie an einem Fall dran waren, dann blieben sie es beinahe rund um die Uhr, bis sie das gewünschte Resultat hatten.

Dominiks Auftreten tat den Rest, um von den Kollegen, außer vom Brunmaier, der jedes Mal vor Neid platzte, wenn sie einen Fall schnell und erfolgreich beendeten, und so manchen Vorgesetzten, außer dem Quasnitschka, der sie am liebsten in eine andere Abteilung versetzt sehen würde, mehr als respektiert wurden.

Der große Blonde lernte in den Staaten einen Kollegen mit indianischer Abstammung kennen und kam zurück mit dem fast lebensgroßen Tattoo, einer Schildkröte auf der Brust. Dieses Tier sei sein Totem, erklärte er Max knapp. Jeans, handgefertigte Indianerkette, T-Shirt, Staubmantel und hohe braune Boots gehörten seither zu seinem neuen Outfit.

Max, der seit zwölf Jahren bei der Polizei, davon die Hälfte bei der Kriminalpolizeiwar, hatte ja schon einiges an Grausamkeit erlebt und war genauso wenig zimperlich wie Dominik, aber diese Bilder schlugen ihm jetzt doch etwas auf den Magen

„Was noch?“ Fragte er.

„Nichts“, antwortete Dominik mit einem Schulterzucken, „das Kind kam erst kürzlich bei ihr auf den Tisch.“

Max lehnte sich mit dem Schreibtischstuhl zurück, streckte die Beine aus und drehte einen Bleistift zwischen den Fingern. Er hatte, wie Dominik schon im Vorhinein gewusst hatte, angebissen.

„Und seit wann haben wir den Fall?“

„Haben wir noch gar nicht.“ Sagte Dominik ganz beiläufig.

„Die Bilder sind erst vor kurzem geschickt worden. Ich wette mit dir, der Quasnitschka hängt es uns an.“

Er zwinkerte und schnalzte mit den Lippen.

Max sah sich erschrocken um, setzte sich rasch auf und lehnte sich ganz nahe zu Dominik vor.

„Dicker, bist du irre?“, platzte er heraus, er bedachte Dominik als Revanche mit diesem Spitznamen und versuchte seine Stimme, trotz des Ärgers zu dämpfen.

„Wenn der Quasnitschka das erfährt, dann, …“

Er fuhr mit der inneren Handkante quer über seine Kehle.

„Man“, seufzte Dominik, drehte die Handflächen nach oben, zog die Schultern hoch und setzte einen unschuldigen Blick auf.

„Früher wurde den Christen in der Arena auch schon vorher verraten, hinter welchen Toren die wilden Tiere warten. Wir werden die Bilder sowieso bald zu Gesicht bekommen, wetten wir?“

Er hielt die Handfläche hoch und zog fragend die Augenbrauen hoch.

„Um zwei Döner.“

Max legte den Kopf schief und überlegte. Er wusste ja genau, dass Dominik nie wettete, wenn er nicht sicher war zu gewinnen und außerdem war ihm selbst zurzeit alles lieber als diese langweiligen Auto- und Hauseinbrüche.

„Um zwei Döner für dich oder zwei Kaffee für mich“, korrigierte Max und schlug dann grinsend ein.

Max stemmte sein ebenso beachtliches Gardemaß hoch und fragte: „Ich dachte der Brunmaier und der Weigand währen an dem Fall Donauinsel dran“, während er sein hochgerutschtes T-Shirt hinten in die Jeans stopfte und ins Sakko schlüpfte. Er folgte seinem Freund und Kollegen, der sich bereits in Bewegung gesetzt hatte und ihm über die Schulter zurief: „Wir werden bald hören, für wen sich der Quasnitschka entscheidet.“

Dass diese Entscheidung schon längst gefallen war, ahnten die beiden nicht.

Kurz vor dem Büro ihres Chefs drehte sich Dominik zu Max um und hielt ihm die Hand hin.

„Schere, Stein, Papier, wer vorausgeht?“, fragte er kurz und sah seinen Kollegen spitzbübisch an.

Kaum hatte er ausgesprochen, wurde die Tür zum Büro ihres Vorgesetzten von innen aufgestoßen und Herbert Quasnitschka trat heraus. Max und Dominik durchfuhr ein kleiner Schreck. Der Chefinspektor vollführte eine einladende Geste und bat sie förmlich einzutreten.

„Ich weiß, dass ihr bis zum Hals in Arbeit steckt, aber diesen Fall müsst ihr übernehmen.“ Herbert Quasnitschka, der hinter seinem teuren Mahagoni Schreibtisch saß, schob die Fotos und Papiere über die glänzende Tischplatte.

„Sagt mir, was ihr alles braucht, und ich werde euch in jeder Hinsicht unterstützen“, er fügte schnell hinzu, „solange es nicht gegen die Vorschrift ist.“

Dominik und Max, die jeder auf einem Stuhl, breitbeinig, die Arme auf die Lehnen gestützt vor ihm hockten, warfen sich einen kurzen, aber vielsagenden Blick zu. Die Stühle waren aus dem gleichen Holz wie der Tisch und wirkten verschwindend klein unter den Männern.

Dominik beugte sich vor, nahm die Unterlagen und tat, als würde er sie studieren.

„Oh nein, Chef, der Fall Donauinsel?“, sagte er dann und tat überrascht.

„Ja genau, nur geht es nicht mehr nur um die Frau allein. Es wurde auch ein totes Kind gefunden. Ein Säugling.“

„Echt jetzt?“ Bemerkte Max.

Er spielte den Überraschten, aber nicht sehr gut und erntete dafür einen flüchtigen, skeptischen Blick vom Quasnitschka. Etwas verlegen, weil es ihm immer so schwerfiel, die Unwahrheit zu sagen, schlug er die Beine übereinander, fühlte sich in dieser Position aber unwohl und machte alles wieder rückgängig.

„Nun, aus verschiedenen Gründen“, fuhr der Quasnitschka fort und sah dabei misstrauisch von einem, zum andern, „muss ich euch beide Fälle übergeben.

„Aber ich dachte, den Fall Donauinsel hätten der Brunmaier und der Weigand übernommen?“ Sagte Max und deutete mit dem Daumen nach hinten über die Schulter, wo eigentlich niemand stand. Der Chefinspektor verzog das Gesicht und tat den Einwand mit einer winzigen Handbewegung ab.

„Ausdrücklicher Befehl von ganz oben.“ Sagte er nur.

„Na, wenn das so ist …“ Dominik senkte den Kopf und versteckte ein Grinsen.

Herbert Quasnitschka ignorierte es, spürte aber, wie der Ärger in ihm hochkroch.

„Shirin hat vorhin angerufen. Sie ist fertig mit der Obduktion des Kindes und hat ein paar interessante Neuigkeiten. Ihr fahrt hin. Also legt euch ins Zeug.“

Der Chefinspektor fuhr sich durch die Haare, und seufzte. Er wollte die beiden so schnell wie möglich wieder loswerden. Und dann musste er ja noch dem Brunmaier und seinem Kollegen, dem Weigand Bescheid geben, dass ihnen der Fall entzogen, und an Shell und Burkhardt weitergegeben wurde.

Himmel, dachte er, das wird jetzt wieder ein Hallo geben. Der Burkhardt und der Brunmaier sind sowieso wie Hund und Katz.

Ohne Max und Dominik anzusehen, machte er sich an seinem Computer zu schaffen.

„Was ist?“ Und mit einem lässigen Handschlenkerer, „warum sitzt ihr da noch rum? Raus mit euch!“

Max und Dominik sprangen auf, drehten sich wie auf ein Kommando um und wollten gleichzeitig durch die Tür. Dominik trat einen Schritt zurück und ließ Max grinsend und mit einer übertriebenen Geste den Vortritt.

„Danke, Dicker“, sagte Max und grinste synthetisch zurück, weil er genau wusste, was kommen wird, während er sich an seinem Kumpel und Kollegen vorbeidrückte.

„Zwei Döner, zwölf Uhr, keine Minute später“, flüsterte Dominik Max zu und wollte gerade die Tür hinter sich schließen, als er kurz innehielt und kehrtmachte.

Der Quasnitschka sah ihn irritiert an.

„Hätte ich ja beinahe vergessen“, sagte er mit verschmitztem Blick, raffte mit unterwürfiger Haltung die Unterlagen und Fotos zusammen und marschierte zur Tür hinaus. Nur die Berichte vom Brunmaier und vom Weigand ließ er liegen.

Herbert Quasnitschka sah ihm nach und schüttelte den Kopf. Er verspürte ganz deutlich, wie das Auftreten der beiden sein Aggressionspotential steigerte. Äußerlich blieb er zwar gefasst, doch das leise Zittern seiner Hände verriet seine Erregung. Er fragte sich, was den beiden dieses Mal alles einfallen würde, um ihn zu geißeln. Diese Frage umschwirrte ihn wie eine Furie, die ihn lockte und verhöhnte. „Unmöglich“ entsann er sich und knurrte. „Zu meiner Zeit hatten die Beamten in Zivil, sich seriös zu präsentieren. Nicht so wie dieser ...“, und unbewusst traf er da bei Dominik ins Schwarze mit seinem Vergleich, „… dieser Wikinger.”

OPFER 1 UND 2

Der schwarze VW bremste sich vor dem nichtssagenden Betonbau der Gerichtsmedizin in Wien im neunten Bezirk ein und die beiden Ermittler stiegen fast zeitgleich aus dem Wagen. Dominik schlug die Beifahrertür mit einem derartigen Wrums zu, dass Max instinktiv die Augen zukniff, als erwarte er die Druckwelle einer Explosion.

„Herrgott noch mal … Dicker … etwas mehr Gefühl vielleicht beim nächsten Mal“, brummte Max.

Er zielte mit der Fernbedienung auf den Wagen und verriegelte die Türen. Dominik zuckte kaum merklich mit den Schultern und ging zum Eingangsportal des Gebäudes. Bevor er die Klingel drücken konnte, summte der Türöffner und Dominik schob rückwärts mit seinem Körper das Tor auf. Max folgte ihm. Im Entree wartete Dr. med. Shirin Kazami bereits auf die beiden Männer.

Sie trug, über ihrer normalen Kleidung, eine weiße Plastikschürze und OP-Handschuhe. Das tiefschwarze, zu einem dicken Zopf zusammengebundene Haar und die kaffeebraune Haut, verrieten ihre persische Herkunft. Ihre Raubtier ähnlichen Augen strahlten aber angenehme Ruhe aus.

Shirin begrüßte die Ermittler freundlich und forderte sie auf, ihr zu folgen. Sie war von schlanker Gestalt und bewegte sich geschmeidig, was Dominik immer wieder wohlwollend bemerkte.

Shirin führte die Männer in einen der hinteren Räume.

Dominik rümpfte die Nase. Er hasste den Fäulnisgeruch in den Sezierräumen und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass sein Frühstück in seinen Magen bleiben möge.

Auf zwei glänzend geschrubbten Seziertischen lagen zwei, ein Kleiner und ein Großer, mit weißen Laken zugedeckte Körper. Außer den beiden Männern und der Ärztin war niemand da. Alles war aufgeräumt und sauber und es war so ruhig, dass man das leise Summen der Neonröhren hören konnte.

„Sind Sie sicher…“, durchbrach Shirins weiche, abgeklärte Stimme die Totenstille, „…, dass Sie die Leichen sehen wollen?“

Max und Dominik nickten. Sie hatte das erwartet und schon alles vorbereitet.

Shirin sah die beiden Männer kurz schweigend an und schlug dann das Leinentuch der toten Frau aus der Donau zurück. Dominik und Max zuckten gleichzeitig leicht zusammen.

„Oh, verdammte Scheiße!“ Entschlüpfte es Dominik schockiert.

Max blieb gefasst. Der nackte Körper der Leiche war teilweise skelettiert und der T-Schnitt deutlich zu sehen.

„Könnten Sie uns dazu etwas sagen?“ Bat Max.

„Steht alles in meinem Bericht, den ich an Ihren Vorgesetzten geschickt habe“, antwortete sie bestimmt, aber nicht unfreundlich. Es war immer das Gleiche mit den beiden, dachte sie. Egal wie viel Mühe sie sich gab, ausführliche Berichte zu schreiben, Dominik und Max wollten immer noch einmal eine mündliche Berichterstattung von ihr. Als ob sie plötzlich neue Erkenntnisse aus dem Hut zaubern könnte. Aber irgendwie mochte sie die beiden Männer und deshalb gab sie immer wieder nach.

„Und den Rest, die neuen Laborberichte, habe ich hier für Sie bereit.“ Shirin deutete auf einen Stapel Papiere, der am Ende des Seziertisches lag.

„Würden Sie trotzdem so freundlich sein …?“ Fragte Dominik, nachdem er von dem Papierstapel zu ihr sah und mit einem kurzen Kopfnicken auf die Tote deutete. Für Max und Dominik besaß Shirin ohne Zweifel einen „sechsten Sinn“, das hatte sie ihnen schon in früheren Fällen bewiesen. Sie gab oft wirklich brauchbare Hinweise, obwohl sie ihre Vermutungen nicht gerne preisgab, weil es ja nur Vermutungen waren und auch nur ihre persönlichen, trotzdem tat sie es jetzt wieder.

Shirin überlegte kurz bevor sie loslegte, warf Dominik noch einen strengen Blick zu – er sollte wissen, dass sie sich von ihm genötigt fühlte – und lenkte dann, die Aufmerksamkeit der Männer auf einen bestimmten Teil des geschundenen Leichnams.

„Wie Sie sehen, ist der Bauchraum geöffnet. Nicht von uns möchte ich dazu sagen.“

Sie drehte sich zur Seite und entnahm vom Instrumententisch eine Pinzette. Mit dem kleinen Hilfsmittel packte sie fest und exakt den Hautlappen und hob ihn vorsichtig an.

„Der Leiche fehlt der Uterus. Nach der Stellung der Beckenknochen“, sie beschrieb mit dem Zeigefinger der anderen Hand eine wiederholte Linie zwischen den Knochen, „war die Frau schwanger, was man auch an der ausgedehnten Bauchdecke sieht, und stand kurz vor der Niederkunft.“ Sie machte eine kurze Pause.

„Was ich meine ist, es hat keine natürliche Geburt stattgefunden. Die nähere Ausführung dazu lesen Sie, wie schon gesagt, in dem Bericht.“

Sie ließ den Hautlappen wieder los und legte die Pinzette auf eine andere leere Platte. Ein kurzer Blick auf Max und Dominik, dann fuhr sie fort.

„Was noch erschreckender ist, dass die Frau während dieses Eingriffs am Leben war. Sie ist qualvoll verblutet. Das zeigt uns das Blut überall an ihrem Körper. Hätte sie nicht mehr gelebt, hätte sie auch nicht mehr geblutet. Auch Reparatureiweiße waren nicht feststellbar. Die toxikologischen Untersuchungen ergaben, dass sie keine Betäubungsmittel in sich hatte. Kein Alkohol, keine Sedativa, keine anderen Drogen. Das heißt, man hat ihr das bei vollem Bewusstsein angetan.“

Max stellte es die Haare im Nacken auf.

„Sie hat alles mitbekommen?“

„Ja, schrecklicher Gedanke“, sagte sie und kniff die Augen zusammen.

„Wie lange sie diese Qual durchgestanden hat, bevor sie das Bewusstsein verlor, möchte ich gar nicht wissen. Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass etwas unternommen wurde, um ihren Körper wieder zu verschließen. Die arme Frau wurde aufgeschnitten, ausgeräumt und dann liegen gelassen. Es muss eine ziemliche Sauerei hinterlassen haben. Und hier, sehen Sie?“ Sie winkte die beiden Männer heran.

„Mann sieht hier saubere Schnitte. Also wurde ein sehr scharfer Gegenstand verwendet. Ich tippe sogar auf ein Skalpell. Noch dazu muss derjenige, der das getan hat, anatomische Kenntnisse besitzen. Post mortem wurden dann die Zähne entfernt, das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit entstellt und die Fingerkuppen abgetragen. Den Rest haben die Fische getan.“

Max wollte etwas sagen, aber sie winkte ab.

„Sie war jung. Um die Dreißig. Der oder die Täter haben keine Spuren hinterlassen. Nichts, nada, gar nichts.“

Sie wischte über eine imaginäre Fläche.

„Scheint der perfekte Mord zu sein“, sprach sie nach einer kurzen Pause weiter“, aber jetzt kommt`s“, sie hob den Zeigefinger und die wohlgeformten Augenbrauen, als hätte sie gerade einen Geistesblitz,

„Für meine weitere Schlussfolgerung braucht man keinen großartigen sechsten Sinn“, das erwähnte sie beiläufig, weil sie von diesem Gerücht um sie wusste, „also haben wir die DNA der Frau und des Säuglings vergleichen lassen.“

Sie drehte sich um und schlug das Tuch, welches das Kind bedeckte, zurück.

In Wirklichkeit sah der kleine Leichnam noch viel schlimmer aus.

„Oh Gott!“, entfuhr es jetzt auch Max. Er und Dominik wurden gefährlich blass.

„Die Tests ergaben eine Übereinstimmung. Also, wir haben hier Mutter und Kind. Das Baby ist voll entwickelt. Ich schätze, es wurde kurz vor Ende der Schwangerschaft aus dem Mutterleib entfernt. Der Kopf des Babys ist nicht verformt, was bestätigt, dass eine natürliche Geburt noch nicht im Gange war. Ich glaube, es wurde wahrscheinlich mit einer Sectio Caesarea, also per Kaiserschnitt geboren. Allerdings kann ich mir nicht erklären, wozu man dann den Uterus aus der Mutter entfernt hat und das bei lebendigem Leib?“

Shirin deckte die Leichen wieder zu.

„Das ist doch selbst für diese Art von Sadismus ungewöhnlich brutal, oder? Was denken Sie?“ Fragte Max, weil sie ja immer eine passende Vermutung hatte.

Sie sah ihn nachdenklich an.

„Es klingt vielleicht absurd, aber so wie das alles für mich aussieht, würde ich sagen, dieser oder diese Verrückten haben das Kind mitsamt der Gebärmutter herausgeholt.“

Max und Dominik schluckten.

Shirin nahm, völlig ungerührt, den schmalen Stapel bedrucktes Papier vom Fußende des Seziertisches und reichte es Max.

„Hier, mein Bericht mit allen Befunden.“

Danach zog sie sich die weiße Plastikschürze über den Kopf und die Handschuhe aus.

„Danke“, sagte Max mit belegter Stimme. Dominik, der schon seit einer Weile nur mehr sehr sparsam atmete, begann zu hüsteln.

Ein schlechtes Zeichen.

Ein wenig verlegen legte er die Hand über Nase und Mund, fächelte mit der anderen kryptische Zeichen in die Luft, drehte sich um und stapfte eiligst davon.

Shirin sah ihn nur kurz nach, wandte sich aber gleich wieder an Max.

„Ach ja, was ich noch sagen wollte: Die Frau muss lange nichts gegessen haben. Die Untersuchung des Mageninhaltes ergab, dass sie ihre letzte Mahlzeit mehr als 24 Stunden, wenn nicht länger, vor ihrem Tod eingenommen haben muss. Das Baby ist regelrecht ausgetrocknet und starb ziemlich bald, vielleicht drei, vier Tage nach der Geburt.“

Sie wandte sich zum Gehen, drehte sich aber nochmals um.

„Schnappen sie dieses Monster, und um ein solches handelt es sich hier wirklich, traue ich mich nach den Untersuchungen mit Fug und Recht zu behaupten, so schnell es geht.“

Max nickte nur, sah in ihre jetzt kalten Augen und verabschiedete sich mit einem hastigen Handschlag.

Bevor er ging, warf er noch einen letzten flüchtigen Blick auf die beiden Leichen. Er fragte sich im Stillen, warum man dieser armen Frau, das alles auf so schreckliche Weise angetan hatte. Ihr und ihrem bedauernswerten Kind.

Dann wandte er sich ab und lief Dominik hinterher.

Beide schwiegen auf dem Weg zum Wagen. Dort angelangt rammte Dominik die rechte Vorderseite des VWs und fing sich auf der Motorhaube ab.

„Was ist, schläfst du?“ Fragte Max verwundert, während er zur Fahrertür ging.

„Passiert mir oft, wenn ich so in Gedanken bin.

„Sehr spannend“, meinte Max nur und drückte auf die Fernbedienung.“

Die Männer ließen sich in die Autositze fallen und erst nach ein paar tiefen Atemzügen kehrte wieder Farbe in ihr Gesicht zurück.

Max schnüffelte an seiner Kleidung.

„Dieser elende Geruch frisst sich sofort an allem fest. Am meisten in meiner Nase.“

Er ließ das Autofenster summend herunterfahren.

Dominik zog eine Schachtel Tic Tac aus der Manteltasche und schüttete sich einen Haufen der kleinen Bonbons in den Mund.

„Hier das hilft.“

Er reichte Max die kleine Schachtel und der nahm zwei Stück.

„Oh Mann, das war hart“, sagte Dominik und schüttelte sich ab.

„Ich habe ja schon viel gesehen, aber ich werde mich nie daran, vor allem nicht an den Gestank, gewöhnen.“

Max nickte beifällig.

„Shirin meinte noch, das Baby wurde nicht versorgt und sei deshalb gestorben.“

Er schüttelte den Kopf und lutschte schmatzend, weil die Schärfe der Bonbons ihm das Wasser im Mund zusammentrieb.

„Die arme Frau“, und das meinte er ehrlich, „sie muss durch die Hölle gegangen sein.“

Dominik lutschte ebenfalls hörbar und sah ins Leere.

„Aber das Kind? Hast du gesehen, wie winzig es war?“

„Die Welt ist voll von Verrückten. Fahr zurück, auf uns wartet eine Menge Arbeit.“

Es war kurz nach Mittag, als sie von der Gerichtsmedizin an ihre Arbeitsplätze zurückkehrten. Dominik quälte gewaltiger Hunger und das gab sein Magen auch lautstark kund. Er tippte auf das Ziffernblatt seiner imaginären Uhr und sah Max strafend an.

„Ja schon gut, ich geh‘ ja gleich, aber zuerst brauch‘ ich Kaffee.“

„Bist du wahnsinnig!” rief Dominik empört. „Bis du den geschlürft hast, hat sich mein Magen selbst aufgefressen.“

„Dann hol es dir doch selbst und ich bezahle.“

„Habe ich die Wette verloren oder du?“ Protestierte Dominik und nach kurzem Überlegen meinte er resignierend, „na gut“, aber nur, weil er befürchtete, dass sie durch das Hin und Her noch mehr Zeit verplempern würden, „ich geh‘ selbst. Außerdem ist in den Brötchen, wenn du sie holst, immer weniger Fleisch.“

Kaum fertig gesprochen, drehte sich der Große am Absatz um und stapfte so schnell los, dass der Luftzug, den er dabei verursachte, die losen Zettel auf dem Schreibtisch verwehte.

„Bring mir zwei mit, aber nicht scharf“, rief Max ihm hinterher und schüttelte den Kopf.

Es war ihm schleierhaft, dass ein Mann wie Dominik, der unter einem Pyramidendach schlief und ständig irgendwelche Reinigungsrituale praktizierte und auch sonst sehr achtsam mit seinem Körper und Seele umging, so versessen auf dieses Fastfood war.

Aber auch Max knurrte der Magen. Er warf sein Sakko über die Sessellehne und ging zur Espressomaschine. Das Großraumbüro war zur Mittagszeit halb leer und nur wenige Kollegen anwesend. Der Brunmaier und der Weigand waren zwei davon. Kollege Brunmaier zupfte gerade lustlos ein Stück seines mitgebrachten Brotes ab, als sich ihre Blicke trafen und Max froh war, dass diese nur sprichwörtlich tödlich waren. Der Quasnitschka hatte die beiden auf Autobetrüger angesetzt, die havarierte Autos aus Amerika, die dort als Totalschäden nicht mehr verkauft werden durften, nach Litauen verschifften, sie dort teilweise, mit Ersatzteilen von gestohlenen Wagen, pfusch-mäßig wiederherstellen ließen und dann, mit hohem Gewinn und gefälschten Papieren weiter als neuwertig nach Westeuropa verkauften. Ein langwieriger, undankbarer und fast aussichtsloser Job.

Mit der Tasse in der Hand kehrte er an seinen Schreibtisch zurück.

Er nahm die neuen Berichte, die ihm die Gerichtsmedizinerin gegeben hatte und las sie durch. Der DNA-Abgleich ergab einen Treffer in der Datenbank.

„Ich schau‘ mal, was ich da finde“, murmelte er zu sich selbst und sah verstohlen zum Brunmaier rüber, der ihn noch immer mit funkelnden Augen beobachtete. Irgendwie gruselig, dachte er und sah vom Brunmaier weg, auf die Tastatur seines Computers. Konzentriert begann er den Namen Johanna Berger einzutippen.

Ein paar Minuten später piepste sein Bildschirm. Das Programm zeigte mehrere weibliche Personen mit diesen Namen. Max filterte die Frauen heraus, zu denen das Alter passen könnte.

„Hier dein Essen.“

Dominik war zurück und legte zwei verpackte Dönerbrote auf seinen Tisch. Drei weitere behielt er für sich. Er setzte sich an seinen Schreibtisch neben Max, warf ein Bein über die Tischkante und begann das erste Brot aus der Folie zu schälen.

Mit einem Biss verschlang er den halben Döner.

„Was machst du?“ Fragte er mit vollen Backen.

Max deutete auf den Bildschirm und drehte den Monitor zu Dominik.

Ein nicht sehr vorteilhaftes Foto einer jungen Frau mit zurück gekämmtem Haar, leicht verschwommen, war zu sehen. Daneben ein Fingerprint.

„Johanna Berger.“ Las Dominik.

„Zweiunddreißig, Bankangestellte. Sie wird seit einem Monat vermisst und sie war schwanger“.

„Und weiter?“

Dominik verschlang die Hälfte des zweiten Döners, putzte sich die Finger ab und nahm den nächsten in Angriff. Auch Max kippte den Stuhl nach hinten, legte ein Bein quer über das andere, packte sein Brötchen aus und begann zu essen. Nebenbei scrollte er den Bildschirm runter.

Kauend las Max weiter.

„Ledig, keine Geschwister. Ist mal bei einer Drogenrazzia in einem Jugendclub festgenommen worden. War aber sauber. Sie gehörte einer Studentenverbindung an, die bekannt ist für Alkoholexzesse, Demos und so weiter, aber alles Jugendvergehen. War nicht gerade ein Engel in ihrer Jugend diese Johanna“, er biss wieder ab, „die Eltern Agnes und Johan Berger, leben in Niederösterreich, Altlengbach. Kainsteig 50a. Die haben sie auch als abgängig gemeldet.“

Dominik hatte in der Zwischenzeit die drei Dönerbrote verdrückt und strich sich zufrieden über den vollen Bauch, der sich unter seinen großen Händen leicht wölbte.

„Wie lange genau sind die Ladys eigentlich schwanger?“

Max sah ihn irritiert an.

„Keine Ahnung.“

Eine Sekunde war er versucht darüber nachzudenken, fasste sich aber gleich wieder und lenkte seine Gedanken wieder zurück.

„Ich such‘ mal, ob ich ihre aktuelle Adresse finde.“

Er knüllte das leere Verpackungspapier mit einer Hand zu einer Kugel, warf es unter den Schreibtisch in den Kübel und begann emsig den Computer zu bearbeiten, während Dominik keinen Finger rührte.

Der große Blonde befand sich im Verdauungsmodus, hing in seinem Stuhl wie ein nasser Lappen und hatte die Beine am Tisch übereinandergelegt. Die Finger über der Brust verschränkt, sah er entspannt im Raum herum. Sein Mantel hing seitlich bis zum Boden und schien genauso gelöst zu sein, wie sein Träger.

Dominik bemerkte den Brunmaier, der gerade aufstand, um seinen Müll wegzuräumen und als würde der Mann es spüren, wandte er sich ihm zu.

Dominik sah die Verachtung in seinen Augen, hob ein wenig die Hand und winkte verhalten, mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

Der Brunmaier zeigte ihm, weniger verhalten, den Mittelfinger.

„Lass den Quatsch, Dicker“, sagte Max und unterdrückte eine unflätige Bemerkung.

Dominik sah ihn mit Unschuldsmiene an und widmete dann seine Aufmerksamkeit dem Drucker, der summend und klackend das Foto von Johanna ausdruckte.

„Also erfasst ist sie nicht.“

„Wer?“

„Na die Adresse“, antwortete Max und versuchte den Faden wieder aufzunehmen.

„Ich schlage vor, wir beginnen mit den Eltern. Immerhin haben wir dieses schlechte Foto und ersparen uns mindestens zwei Wochen Wartezeit auf die Gesichtsrekonstruktion“, sagte er, fuhr den Rechner hinunter und stand auf. Er schnappte sich sein Sakko, holte seine Waffe aus der Schublade und bevor er sie im Schulterhalfter verstaute, kontrollierte er, ob sie gesichert war. Den Dienstausweis, mit Marke in einer Lederhülle steckte er in die Innentasche seines Sakkos.

„Komm jetzt, wir fahren hin.“

Dominik richtete sich träge auf.

„Was? Jetzt? Spinnst du? Da sind wir doch vor Dienstschluss nicht zurück.“

„Seit wann kümmert dich das und außerdem, Überstunden mein Dicker, die werden wenigstens gut bezahlt“, erklärte Max und setzte sich in Bewegung.

Dominik erhob sich murrend, nahm im Vorbeigehen das Bild aus dem Drucker und folgte seinem Kollegen halbherzig. Ein paar Schritte später blieb Max abrupt stehen, so dass Dominik in ihn hineinrannte. Er ging zurück, nahm den zweiten Döner vom Tisch und warf ihn Dominik zu.

Der große Mann fing das Päckchen mit einer Hand auf.

„Hier, dein Reiseproviant, damit du nicht zu jammern beginnst.“

Im Auto tippte Max die Adresse ins Navi ein und startete den VW, während Dominik sein Handy bearbeitete. Offensichtlich zufrieden steckte er nach wenigen Minuten das Telefon ein und holte eine Mineralwasserflasche aus dem Türfach. Er trank einen riesigen Schluck und der anschließende Rülpser kam vom Herzen.

„Bravo, du Prolet“, sagte Max und verzog das Gesicht.

„Weißt du eigentlich, wie alt dieses Wasser schon ist?“ Ungerührt von Maxs Aussage hielt Dominik die Flasche hoch und sah sie ehrfürchtig an, als wäre der Inhalt aus purem Gold.

„Na ich hoffe nicht allzu sehr.“ Solche Fragen nahm Max nicht immer ernst.

„Ich sag‘ dir nur, Pinkelpause gibt’s keine.“

Dominik grinste breit und kippte den Autositz zurück.

„Alles klar“, grunzte er und machte es sich bequem.

Er schloss die Augen, um gleich darauf wieder ein Auge zu öffnen und auf das Navigationsgerät zu spähen.

„Wie lange ist die Fahrzeit? Vierzig Minuten? Ideal.“

„Dachte ich’s mir ja, du fauler Sack. Aber zurück fährst du.“