Monstertal - Jessica Weichhold - E-Book

Monstertal E-Book

Jessica Weichhold

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Beschreibung

Sergeant Lucifer Green ist angepisst. Nicht nur, dass er mit seinem Team einen sogenannten Babysitter-Job übernehmen muss, führt dieser ihn auch noch direkt in den sumpfigen Dschungel Venezuelas. Genauer gesagt ins Orinoco Delta. Es ist heiß, schwül und die Gesellschaft könnte auch besser sein. Damit allerdings würde er zurechtkommen, wären da nicht noch die viel größeren Probleme, mit denen er und seine Leute plötzlich konfrontiert werden. Sie sind gigantisch, unglaublich schnell und furchtbar tödlich.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Autorin: Jessica Weichhold

Titelgestaltung: Jessica Weichhold

Umschlaggestaltung: Dominik Bloch und Jessica Weichhold

© Jessica Weichhold 2024

1. Auflage, 2024

Titel: Monstertal

Personen und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- und Bildteile sowie der Übersetzung in andere Sprachen.

Impressum: Jessica Weichhold – Ellernstr. 71 – 45326 Essen

Prolog

Fünf Wochen zuvor. Orinoco-Delta, Venezuela

Der Knall war ohrenbetäubend laut, die Detonation erschütterte die Erde noch einige Sekunden später, in einer Entfernung von mindestens zweihundert Metern. Das Echo hallte durch das Orinoco-Delta, Vögel schreckten aus den Baumwipfeln auf und flogen schreiend davon. Die Sprengung hatte die massive Höhle zum Erzittern gebracht, loses Geröll aus mittelgroßen Steinen bahnte sich seinen Weg, ohne Rücksicht auf Verluste. Staubwolken stoben ins Freie, wie ein Wall aus weißem Asbest, wo sie eine dicke Schicht auf der üppigen Vegetation hinterließen. Carlos Gonzàles, der selbsternannte Sprengmeister, schien sichtlich zufrieden mit seiner Arbeit. Jedenfalls hatte niemand der Höhlenarbeiter sein Leben verloren, oder war auch nur verletzt worden. Immerhin war die Höhle nicht abgesichert, seine Leute hatten weder die Erfahrung, noch die richtige Ausrüstung, um solchen Risiken vorzubeugen. Ein gutes Ergebnis also, stellte er mit Genugtuung fest. Seine Auftraggeber würden zufrieden sein. Wenn sie erst einmal das Gestein aus der Höhle geschafft hatten, konnte die eigentliche Arbeit weitergehen. Sie würden noch mehr Kristalle bergen und sich somit ein paar extra Dollar verdienen. Scheiß auf die Gefahr, das Geld konnten sie schließlich alle mehr als nur gut gebrauchen. Ihre Familien ließen sich nun mal nicht allein von Luft und Liebe ernähren, ihre Weiber nicht mit Wasser und Tortillas abspeisen. Sobald sich der Steinstaub gelegt haben würde, mussten sie die Höhle erneut betreten. Fünf Mann würden hineingehen, um nach vier Stunden von ebenso vielen Männern wieder abgelöst zu werden. Selbst in der Nacht würde sich das Prozedere fortsetzen, denn nur so kam man schneller voran. Genauso hatten sie es die letzten drei Male auch gehalten, ohne irgendwelche lästigen Zwischenfälle. Carlos sah sich nicht als Sklaventreiber, doch ohne eine harte Hand war die Sache automatisch zum Scheitern verurteilt. Sein Stellvertreter, Anthony Souza, würde die Nachtschicht, und somit auch die Führung, übernehmen. Wenigstens für ein paar Stunden würde man ihm dann eine große Last von den Schultern nehmen.

*

Doch diese Nacht sollte er so schnell nicht wieder vergessen. Er war gerade eben noch mit dem Leben davongekommen. Sie waren zu Tausenden hinter ihm und seiner Mannschaft her gewesen, hatten sie unerbittlich gejagt und die meisten von ihnen auf bestialische Weise getötet. Die Schreie der Sterbenden verfolgen ihn noch immer in seinen Albträumen, kurz bevor er schweißgebadet erwacht. Er war gerannt, als sei der Teufel persönlich hinter ihm her, ohne noch einmal zurückzublicken. Letztendlich hatte er es geschafft sich in einem Erdloch zu verkriechen und dort dem Angriff auszuharren, um sich dann, noch immer in Panik aufgelöst, davonzumachen. Noch immer fehlte ihm jegliche Erinnerung daran, wie er es aus diesem Höllenloch lebend heraus geschafft hatte. Die Ärzte sorgten sich offenkundig um den Verstand ihres Patienten. War Carlos Gonzàles etwa verrückt geworden?

*

Das flatternde Geräusch ließ die Köpfe, der bis eben noch dösenden Rinderherde, in die Höhe fahren. Es war ein unheilvolles Flügelschlagen, welches sich in einem rasenden Tempo auf sie zubewegte. Die Nacht war klar, der Himmel mit Sternen übersät und der Mond schien leuchtend hell, trotzdem hätte sie niemand, der die Herde beobachtete, für schön erklärt. Die Canchims spürten, dass etwas in der Luft lag. Sie witterten Gefahr, ohne genau zu wissen, woher diese letztendlich kommen würde. Die Kälber wurden zunehmend unruhiger, die Muttertiere waren aufgestanden, um sich schützend vor ihren Nachwuchs zu stellen, während der Bulle ein wütendes Schnauben aus seinen Nüstern blies. Mit einem Huf im staubigen Boden scharrend senkte er seinen massigen Schädel, um ihn einem unsichtbaren Feind entgegen zu strecken. Was würde ihn und seine Herde erwarten? Sie kamen im Schwarm, es waren hunderte. Jede der feindlichen Kreaturen wog gerade einmal dreiunddreißig Gramm.

Lucifer

Gegenwart

„Wir sollen also wieder einmal Babysitter spielen.“ Warum nannte man das nicht auch einfach genau so, sondern machte daraus so etwas wie eine Pseudo- Operation des Militärs? Lucifer Green lehnte sich, mit vor der Brust verschränkten Armen, in seinem Stuhl zurück, ohne den nötigen Respekt an den Tag zu legen, der einem Vorgesetzten gegenüber eigentlich angemessen gewesen wäre. „Setz dich gefälligst ordentlich hin, Lucifer!“, Lieutenant Marcus Green schien wütend. „Du bist nicht unbedingt ein Sergeant zum Vorzeigen, das ist dir hoffentlich klar!?“ Der Bursche war zum Verrückt werden, aber er machte einen verdammt guten Job. Und außerdem würde Milly ihn umbringen, sollte er ihrem Sohn auch nur ein Haar krümmen, obwohl er stark bezweifelte, dass ihm das auch nur annähernd gelingen würde. Lucifer verstand sich ausgezeichnet im Kampfsport und war einer der Besten Schützen der Army. „Ja, ich weiß, Dad“, war die lahme Antwort seines Sohnes. Seine kurzen dunkelblonden Haare standen wirr von seinem Kopf ab und seine braunen Augen funkelten diabolisch. „Du kannst dir sicher vorstellen, wie begeistert wir alle sind, in den feuchten, heißen Dschungel Venezuelas zu reisen.“ Lucifer war sich sicher, dass seine Jungs genauso über die Sache denken würden, wie er selbst. Sein Vater schien sich in diesem klimatisierten Büro jedenfalls sehr wohl zu fühlen, ganz weit entfernt von jedweder Unannehmlichkeit, wie schwüler Luft, Spinnen, giftigen Schlangen und einem unbequemen Schlafsack auf durchnässtem Boden. Das Büro war steril, schon beinahe unverschämt sauber, und die Wände waren mit unzähligen Auszeichnungen behangen. „Ihr werdet es überleben, es sind ja nur ein paar Wochen.“„Monate. Acht Wochen sind schon zwei ganze Monate.“ Auch Lucifer konnte kleinlich sein, wenn er wollte. „Du kannst froh sein, dass ich dich überhaupt für irgendeine Mission ausgewählt habe, immerhin bist du offiziell noch im Krankenstand, wie man deutlich sehen kann. Schließlich gammelst du auf diesem Stuhl herum, wie jemand der rein gar nichts zu tun hat. Zudem tauchst du hier in Jeans, anstelle einer Uniform, auf.“ „Meiner Schulter geht es gut.“ Er konnte sie tatsächlich schon beinahe wieder bewegen, ohne vor Schmerzen wahnsinnig zu werden. Ein Scharfschütze hatte ihn erwischt, trotzdem war es Glück im Unglück gewesen. Die Kugel hatte sein Schulterblatt durchschlagen, ohne dabei etwas zu verletzen, was nicht früher oder später wieder heilen würde. „Wie lange willst du noch darauf herumreiten? Das kann schließlich jedem mal passieren.“ Marcus Green knirschte mit den Zähnen, bemüht seinen Ärger hinunterzuschlucken. „Ich reite, verflucht noch mal, auf gar nichts herum! Aber, warum konntest du nicht, wie all die Anderen auch, einfach aus der Schusslinie verschwinden?“ Dieses Mal war es an Lucifer seine Wut im Zaum zu halten, sein Nacken verfärbte sich puterrot. „Zum tausendsten Mal ... da war ein Kind, Dad! Hätte ich es sterben lassen sollen?“ Wie oft hatte er sich jetzt schon dafür rechtfertigen müssen, es war zum Kotzen. Er hätte das Mädchen unter keinen Umständen dort zurückgelassen, allein, wie auf dem Präsentierteller. Es war schließlich sein Arsch gewesen, welchen er in Gefahr gebracht hatte, und nicht den eines anderen. Also sollten sie ihn endlich damit in Ruhe lassen. Es war an der Zeit diesem Büro und dessen Insasse den Rücken zu kehren. „Würdest du mir jetzt bitte die Unterlagen aushändigen?“

*

„Zivilisten bemuttern? Ernsthaft?“ Private Matt Douglas stöhnte laut auf. Er hatte die Nase voll von diesen wischiwaschi Missionen und wollte endlich einmal etwas Aufregendes erleben. Deswegen hatte man ihm auch ironischerweise den Spitznamen Adventure verpasst. Ein abenteuerlustiger Nichtabenteurer, das war er. Außerdem war er erst vor ein paar Monaten zum Team dazugestoßen und galt deshalb noch als Frischling unter ihnen. „Vielleicht bekommst du ja doch endlich deinen langersehnten Adrenalinkick. Immerhin gibt es im Dschungel so einiges an Getier.“ Private Dylan Ross schüttelte sich angeekelt. „Genau das Richtige für dich.“„Ach, halt doch die Klappe, Prince!“, benutzte Matt dessen Spitznamen mit einer gehörigen Portion Sarkasmus in der Stimme. Dylan Ross war eine Diva sondergleichen und würde im Dschungel ganz sicher keine besonders gute Figur abgeben. „Wo ist Mac?“, wollte Lucifer wissen, um das Geplänkel zu unterbrechen. Auch Corporal James MacMurphy hatte sich bei einer Besprechung wie dieser am Treffpunkt einzufinden. Wo also, war er abgeblieben? Bruder Tuck, dessen eigentlicher Name Robin Wood lautete, sprach zum ersten Mal an diesem Morgen. Er sah tatsächlich ein bisschen aus wie ein Mönch, doch seine Körperfülle täuschte. Was man unter seiner Kleidung womöglich als Fett interpretierte, war pure Muskelmasse. Sein bowlingkugelartiger Schädel war glattrasiert, was seinen freundlichen Gesichtsausdruck merkwürdigerweise nur noch mehr untermauerte, anstatt ihn gefährlicher aussehen zu lassen. „Mac hat ein kleines Problem“, er grinste breit. „Ein recht Flüssiges, wenn du verstehst, was ich meine.“ Lucifers Blick verriet Ungläubigkeit. „Er hat gestern Nacht gesoffen, obwohl er von dieser Besprechung wusste?“ In seiner Freizeit konnte Mac tun und lassen, was er wollte, solange er am nächsten Tag fit zum Dienst erschien. „Adventure, Prince … mir egal, wie ihr es anstellt, aber holt seinen Arsch gefälligst hierher!“ Bruder Tuck grinste noch immer. „Er hat nicht gesoffen, sondern sitzt schon seit Stunden in der Latrine fest. Mit Durchfall.“ Natürlich, gestern hatte es mal wieder ein extra scharfes Chili in der Kantine gegeben, wie hatte er das nur vergessen können!? Auch Lucifer selbst war einmal darauf hereingefallen und hatte daraufhin zwei Tage lang auf dem Klo verbracht. Es war die Hölle gewesen. Danach hatte er doch glatt ein paar Kilogramm weniger auf die Waage gebracht, als vorher. „Okay, dann brieft ihn, sobald er wieder in der Lage ist eure Aussagen gedanklich zu verarbeiten.“ Bruder Tuck nickte. „Was sind das für Leute, denen wir ihre Ärsche hinterhertragen sollen?“, fragte er dann. Lucifer wühlte in der dünnen Mappe mit den Unterlagen, welche ihm sein Vater ausgehändigt hatte, bis er endlich gefunden hatte, wonach er suchte. „Da hätten wir zwei Geologen namens Jeffrey Keaton und Mani Kumar, einen Botaniker mit dem Namen Ian Reed, zwei Tierschützer namens Melissa Hopkins und Miguel Espinoza, und zu guter Letzt eine Frau mit dem Namen Emma Heart. Sie ist Farmerin und hat Biologie studiert.“Adventure seufzte. „Und was wollen die dort genau?“, fragte er sichtlich gelangweilt. „Seitdem dort ständig irgendwelche Schwarzarbeiter illegale Sprengladungen in Höhlen hochgehen lassen, will diese Truppe dessen ökologische Auswirkungen auf die Natur untersuchen. Wir haben alle nötigen Berechtigungen, um ungehindert die Grenzen zu passieren, in Form von unzähligen Formularen in sämtlichen Größen und Farben. Das sollte uns also keine allzu großen Schwierigkeiten bereiten. Wir führen die Gruppe in den Dschungel, navigieren sie zu den richtigen Stellen und passen auf, dass sie nicht erschossen oder von wilden Tieren gefressen werden. Alles klar?“ Er verteilte ein paar Kopien und sprach dann weiter. „Es geht, wie ich bereits erwähnte, nach Venezuela in Südamerika, genauer gesagt ins Orinoco-Delta, wie ihr der Markierung auf der Karte entnehmen könnt. Das Terrain ist sumpfig und mit üppigem Regenwald bewuchert.“„Also ein richtiges Paradies“, kam es mürrisch von Prince. „Du wirst auf jeden Fall ordentlich ins Schwitzen kommen“, foppte ihn Adventure. Lucifer schnaubte verächtlich. „Das werden wir wohl alle.“ Schwülfeuchte Luft, war nicht gerade seine bevorzugte Wahl, wenn er Militärkleidung trug. Doch ohne schwere Stiefel und lange Hosen, würde er weder den Sumpf noch den Wald betreten. Immerhin lauerten dort nicht nur gefährliche Tiere in den Bäumen, sondern auch im Dickicht und am Boden. Der Weg zum Ziel würde nicht leicht werden, vor allem nicht mit Zivilisten im Schlepptau, die es nicht gewohnt waren außerhalb ihres Büros oder gewohnten Umfeldes zu agieren. Diese Menschen waren noch nie durch wild wuchernde Vegetation gestapft oder hatten von Angesicht zu Angesicht einem gefährlichen Tier gegenübergestanden. Zudem wussten die meisten von ihnen nicht, wie man ordentlich mit einer Waffe umging. Wenn es einmal hart auf hart kam, ballerten sie wie die Wahnsinnigen in der Gegend herum und trafen eher Unschuldige, als das eigentliche Ziel.

Emma

Die Farm lag ruhig da, die Sonne versank gemächlich am Horizont, während das Vieh zufrieden vor sich hin döste. Emma Heart ließ sich seufzend in einem Schaukelstuhl nieder, um ihren Feierabend einzuläuten. Sie genoss den letzten Abend, vor ihrer Abreise nach Venezuela, auf der großen hölzernen Veranda des ansehnlichen Farmhauses, welches sich schon seit ewigen Zeiten im Besitz ihrer Familie befand. Als Kind hatte sie die riesigen Ländereien erkundet und die Gegend schon sehr bald gekannt, wie ihre eigene Westentasche. Meistens war ihr jüngerer Bruder Ryan währenddessen an ihrer Seite gewesen, zusammen hatten sie jeden Hügel erklommen und jedes Loch ausgekundschaftet. Es war eine wundervolle Zeit gewesen. Die Erinnerungen weckten in ihr aber nicht nur angenehme Gefühle, sondern riefen auch eine gewisse Traurigkeit hervor. Sie hatte Venezuela nicht als Urlaubsziel gewählt, sondern diese Reise war schlichtweg notwendig, wenn sie Ryan jemals wiedersehen wollte. Davon war sie überzeugt. Von Anfang an war da dieses merkwürdige Gefühl in ihrem Inneren gewesen, dass sie beinahe dazu veranlasst hätte ihn von seinem Vorhaben abzubringen, doch das hatte sie ihm dann doch nicht antun wollen. Jetzt war es zu spät, um ihn zu warnen. Sie fühlte sich schuldig, obwohl sie wusste, dass das Blödsinnig war. Anhand eines bloßen Gefühls hätte er sich niemals davon abhalten lassen diese Forschungsreise anzutreten.

Aufbruch

„Auf was warten wir denn noch?“ Die Frage war von Ian Reed, dem Botaniker, gekommen. Sein Gepäck, sowie auch die Taschen seiner Mitreisenden, war bereits im Flugzeug verstaut, während sie selbst immer noch in der Wartehalle des Flughafens Däumchen drehten. Alle anderen Passagiere waren schon vor etlichen Minuten an ihnen vorbei, zum Check in Schalter, gezogen. „Auf wen warten wir.“ Corporal James MacMurphy grinste breit und widmete sich dann wieder seinem angefangenen Kreuzworträtsel. „Wie bitte?“ Ian Reed blickte verständnislos drein. „Die richtige Frage wäre, auf wen wir warten und nicht auf was.“ Geduld schien nicht gerade eine Stärke des Botanikers zu sein. Dieser rollte genervt mit den Augen und formulierte seine Frage dann noch einmal erneut und gemäß dem Wunsch des Soldaten entsprechend. „Na schön, dann eben anders. Auf wen warten wir noch?“, presste er gespielt freundlich hervor. „Auf den Big Boss.“ Tatsächlich waren Sie ohne Lucifer zum Flughafen aufgebrochen. „Und da kommt er auch schon.“ Mac deutete auf einen großen, muskulösen jungen Mann, der gemächlich auf sie zu schlenderte. „Der trägt aber einen verdammt großen Seesack.“, Melissa Hopkins leckte sich genüsslich über die Lippen, als hätte sie einen heiß begehrten Blaubeermuffin vor sich, dann stupste sie Emma kichernd in die Rippen. Die beiden Frauen hatten sich gleich zu Anfang ihrer kleinen Kennenlernrunde zusammengetan und leise miteinander gesprochen. Als Lucifer bei der Gruppe eintraf starrten ihn bereits alle an, während die Zivilisten ihn noch zusätzlich mit unverhohlener Neugier musterten. „Hi. Sergeant Green meldet sich zum Dienst.“ Er grinste und salutierte dann spielerisch. „Ich habe hier vorübergehend das Sagen.“ Melissa runzelte fragend ihre ansonsten faltenfreie Stirn. „Vorübergehend?“ Lucifer zuckte lässig mit den Schultern. „Wenn man mich, zum Beispiel, erschießen sollte, oder ich an einem Schlangenbiss sterbe, dann haben plötzlich MacMurphy und Wood das Sagen. Also passen Sie besser schön auf, dass ich am Leben bleibe, die beiden können nämlich ganz schön ungemütlich werden.“ „Emma Heart, schön Sie kennenzulernen.“ Em schmunzelte über die lockere Art des jungen Sergeant und streckte ihm - aufrichtig lächelnd - die Hand entgegen. „Miss Heart.“ Er nickte höflich und drückte dann so kräftig ihre dargebotene Hand, dass sie vor Überraschung und Schmerz beinahe laut aufgestöhnt hätte. Prince, dem das keineswegs entgangen war, verzog mitfühlend das Gesicht. „Wow, ich könnte schwören, dass da gerade ein paar Knochen geknackt haben.“ Dann wandte er sich an Lucifer. „Wann warst du denn das letzte Mal mit einer Lady zusammen, Mann? Die behandelt man behutsam, verstehst du!?“, sprach er so deutlich, als würde er versuchen einem Neandertaler den korrekten Umgang mit Frauen verständlich zu machen.Lucifers Blick wanderte irritiert von Emma zu seinem Private und wieder zurück, bis er Begriff, was er getan hatte. „Scheiße, tut mir leid! Ehrlich! Ich hoffe, ich habe Ihnen nicht zu sehr wehgetan“, entfuhr es ihm zerknirscht. Emma, die sich ein Lachen verkniff, beobachtete ihn ein paar Sekunden lang stumm, bevor sie gnädig Entwarnung gab. „Schon gut, es sei Ihnen verziehen. Ich werde es wohl gerade eben so überleben“, feixte sie amüsiert. Lucifer versuchte ebenfalls ernst zu bleiben. „Das freut mich. Es dürfte auch nicht allzu gut aussehen, wenn ich meinen ersten Schützling schon vor der eigentlichen Reise verlieren würde, und das auch noch durch Eigenverschulden.“ Die anderen der Gruppe, die er noch nicht kannte, stellten sich ebenfalls vor, wenn sie auch nur ihre Namen aus sicherer Entfernung brüllten und winkten. Bruder Tuck gesellte sich lautlos zu seinem Sergeant und nickte Weise. „Du bist so wahnsinnig gut darin neue Freundschaften zu schließen, es erstaunt mich immer wieder, wie du das so mühelos hinbekommst.“ „So bin ich eben. Immer der Beliebteste von allen, das war schon in der Schule so. Die Leute mögen mich einfach. Das ist wohl meinem netten Charakter geschuldet, und dann ist da ja auch noch mein wahnsinnig gutes Aussehen ...“ Das Lachen des Corporal hallte schallend durch den Wartebereich der Flughafenhalle, bis er sich langsam wieder beruhigte. „Was wollte Daddy denn noch in letzter Minute?“, fragte er dann. Allein, weil Lieutenant Green seinen Sohn noch einmal zu sich beordert hatte, waren sie ohne ihren Sergeant zum Flughafen aufgebrochen. Dieser winkte lässig ab. „Du weißt schon, predigen. Erschieß niemanden, sei höflich, stell dich nicht schon wieder in die Schusslinie … das Übliche eben.“ Er nahm Bruder Tuck ein stückweit beiseite und fragte dann etwas ernster geworden: „Wie sind diese Leute so?“ Er nickte mit dem Kopf in Richtung der Zivilisten. Bruder Tuck überlegte kurz, bevor er sich ein Urteil erlaubte. „Dieser Botaniker, Reed, könnte uns Ärger machen.“ Der Mann hatte von Anfang an leicht gestresst auf ihn gewirkt, obwohl sie sich zeitlich nicht hatten beeilen müssen, ganz im Gegenteil. Alles hatte in Ruhe erledigt werden können, ohne jegliche Eile. „Ich denke, der Typ ist leicht reizbar, wenn er unter Druck steht.“ Lucifer warf einen flüchtigen Blick zu Reed hinüber, welcher sichtlich genervt an einem kleinen Rucksack zerrte, den er als Handgepäck bei sich trug. „Und Miss Heart?“, fragte er dann, wie nebenbei. Der Corporal grinste wissend. „Fragst du aus besonderem Interesse?“ Er wackelte vielsagend mit den Augenbrauen. „Sie scheint nett zu sein.“ Seit dem Tod seiner Verlobten, hatte sein Boss sich mit keiner Frau mehr verabredet, soweit er wusste. Megan war, vor etwa drei Jahren, viel zu früh verstorben. Lucifer hatte sich danach eine Auszeit über ein paar Monate hinweg genommen, um den schweren Verlust erst einmal zu verarbeiten. Seitdem hatte er sich deutlich verändert, missachtete oftmals die Befehle seines alten Herrn und ging Risiken ein, ohne dabei auch nur annähernd an die Konsequenzen zu denken. Es schien ihm schlichtweg egal zu sein, ob er dabei drauf ging oder nicht. Ian Reed näherte sich ihnen mit unfreundlicher Miene und durchtränktem Hemd, seine Achselhöhlen schienen durchgehend Schweiß zu produzieren. „Könnten Sie ihr Geplänkel vielleicht auf später verschieben?“, fragte er süffisant. „Das Flugzeug wird sonst noch ohne uns starten.“ Sein Zeigefinger deutete schnurstracks nach draußen, auf eine Passagiermaschine des Typs Airbus A330-300. Lucifer betrachtete die Maschine durch die gläserne Front, welche ihnen einen Blick auf das Rollfeld, und somit auch auf das Flugzeug, gewährte. „Das da?“, er klang provozierend lässig. „Das kann losfliegen, wann immer der Pilot es für richtig hält.“ Er trat näher an das Fenster heran und zeigte dann steil nach unten. „Das dort unten ist unsere Maschine, und bevor ich nicht an Bord bin, fliegt die nirgendwo hin.“ Okay, das entsprach vielleicht nicht ganz der Wahrheit, denn auch der Pilot der kleinen Militärmaschine hatte seinen Flugplan einzuhalten, und wenn sie zu spät kamen, würden sie warten müssen, bis man ihnen erneut grünes Licht zum Starten gab. Lucifer hatte jedoch keine Lust das diesem Kerl auf die Nase zu binden. „Wenn Sie mir dann jetzt bitte folgen würden“, sagte er stattdessen und machte sich auf den Weg, ohne sich noch einmal nach seinen Schäfchen, wie er seine Schützlinge meist insgeheim taufte, umzuschauen. Es war in der Tat Zeit endlich aufzubrechen. Emma grinste schelmisch in sich hinein, sie hatte den Botaniker von Anfang an nicht besonders gut leiden können und empfand es als beruhigend zu wissen, dass es Green ganz offensichtlich nicht anders erging.

*

Das kleinere Flugzeug war, im Gegensatz zum Airbus, in verschiedenen Grüntönen lackiert worden. Das Tarnmuster zog sich von der Nase bis zum Heck, was es zwischen all den weißen Fliegern irgendwie fehl am Platze wirken ließ. Es sah zwar nicht sonderlich einladend aus, war dafür aber recht neu und solide. Lucifer und sein Team waren damit bereits zu verschiedenen Einsätzen transportiert worden, ohne dass es je Schwierigkeiten gegeben hätte. „Dieses Ding soll uns unversehrt ans Ziel bringen?“, hörte er den Botaniker eine Frage an den Piloten richten, ohne diesen überhaupt erst begrüßt zu haben. „Wir haben genug Fallschirme für alle dabei, keine Sorge. Nach dem Absprung sind Sie womöglich erst einmal auf sich allein gestellt, aber das packen Sie schon.“ Chester Mansfield, seit drei Jahren ausgebildeter Pilot, ließ den Mann unvermittelt stehen und stapfte zu Lucifer hinüber. Er salutierte standesgemäß und grüßte. „Einen wunderschönen guten Morgen, Sergeant Green.“ Sein jugendliches Aussehen ließ ihn immer etwas spitzbübisch wirken, egal was er tat. „Was ist denn das für einer?“, wollte er wissen, als er über seine Schulter hinweg auf Reed deutete. „Beachte ihn einfach nicht.“, riet Lucifer ihm abwinkend. Chester galt als einer der Besten mit denen er je geflogen war, der Bursche war kompetent und zuverlässig, mehr brauchten sein Team und er über ihn nicht zu wissen. „Was soll das heißen, nach dem Absprung?“, hörte er den Botaniker wettern. „Sie können uns doch nicht einfach so aus dem Ding herauswerfen!“, schrie er jetzt schon beinahe panisch geworden. Miguel Espinoza, der männliche Tierschützer, versuchte ihn, mit sanfter Stimme, zu beruhigen. „Niemand wird uns irgendwo rausschmeißen, Dr. Reed. Wir haben schließlich alle das Luxuspaket gebucht, welches auch eine sanfte Landung beinhaltet“, sagte er ruhig. „Nicht wahr, Private?“, wandte er sich mit ernster Miene an Prince, der ihm am nächsten stand. Es war das erste Mal, dass er nach ihrer kleinen Begrüßungsrunde überhaupt etwas von sich gab, aber es schien zu funktionieren. Reed wartete stumm auf eine Antwort des jungen Soldaten, sein Blick verriet Hoffnung.Prince hätte am liebsten laut losgelacht und sich dabei vor Vergnügen auf die Schenkel geklopft, doch auch er bemerkte den Ernst der Lage. Reed hatte Flugangst und war deswegen so erpicht darauf den Flug so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, glaubte er zu wissen. Die Zeichen sprachen schließlich alle dafür. Das übermäßige schwitzen, die Panik in seiner Stimme ... der Mann hatte eindeutig Angst. „Aye, wir werden alle beim Aussteigen brav die Treppe benutzen“, antwortete er deshalb, ohne zu scherzen. „Der kann ja richtig rücksichtsvoll sein“, flüsterte Adventure gespielt erstaunt über seinen Kameraden. „Warum glaubt der Typ, wir würden mit dem Fallschirm abspringen? Wir befinden uns schließlich nicht im Krieg.“ Er rollte genervt mit den Augen, bevor er kopfschüttelnd im Inneren der Maschine verschwand.

Der Flug

„Was tun Sie da?“ Melissa Hopkins hatte sich einen Platz direkt neben Lucifer gesichert, kaum dass dieser sich hingesetzt und ordnungsgemäß angeschnallt hatte. Die Blondine machte nicht den Eindruck, als würde sie ein Schweigen auf ihre Frage akzeptieren, also entschloss er sich dazu ihr zu antworten. Er legte seine Notizen beiseite und blickte sie nun direkt an. „Ich checke ein paar Informationen über unseren zukünftigen Aufenthaltsort. Es kann nie schaden vorbereitet zu sein, und wenigstens halbwegs zu wissen, was einen erwartet.“„Das hier ist mein erster Außeneinsatz, die erste Feldforschung sozusagen“, gab sie schwärmerisch Preis, ohne ihm richtig zuzuhören. „Diese wahnsinnige Artenvielfalt muss ich einfach mit eigenen Augen sehen, verstehen Sie das!? Miguel wollte mich gar nicht dabei haben, aber mein Dad ist ein ziemlich hohes Tier und kennt ein paar einflussreiche Leute.“ Sie seufzte zufrieden auf. „Ja, Daddy schafft es immer seine einzige Tochter glücklich zu machen.“ Miguel Espinoza dagegen wirkte weniger enthusiastisch, wie man ihm deutlich ansah.Lucifer nickte höflich, zum Glück konnte die junge Frau keine Gedanken lesen. Das konnte ja heiter werden. Wie lange würde Prinzessin Melissa es wohl ohne die Vorzüge, welche ihr alter Herr ihr bescherte, auskommen? Insgeheim gab er ihr wohlgesonnene zwei Tage, bevor sie merken würde, dass ihre Reise kein Urlaub war, sondern harte Arbeit. Laut der Akte war sie immerhin dreißig Jahre alt, also schon längst aus dem Alter heraus, wo Daddy sich noch in ihrem Leben einmischen durfte. Sie sollte also schleunigst Erwachsen werden, und zwar in ihrem Oberstübchen. Espinoza hatte sicher seine Gründe für die ablehnende Haltung gegenüber der verwöhnten jungen Frau. Lucifer sah sich unauffällig um, während er versuchte aus den Gesichtern der anderen Anwesenden zu lesen. Emma Heart hatte ihre Augen geschlossen, es wirkte beinahe so, als würde sie beten. Ihre Gestalt strahlte Ruhe und Frieden aus. Ian Reed betete ganz sicher zu irgendeinem Gott. Er saß völlig verkrampft in seinem Sitz, die Fingernägel ins Polster gekrallt, wie ein verängstigter Kater. Seine Augen starrten weit aufgerissen ins Leere. Espinozas Blick ruhte feindselig auf Melissa, der Typ schien unberechenbar. Noch vor einer halben Stunde hatte er es geschafft einen gestressten Mann zu beruhigen und jetzt sah es so aus, als würde er seine Reisegefährtin am liebsten erwürgen. Jeffrey Keaton und Mani Kumar, die beiden Geologen, unterhielten sich leise miteinander und machten sich abwechselnd irgendwelche Notizen. Sein Team dagegen vertrieb sich die Zeit mit einem Kartenspiel, solange bis jeder von ihnen bereit sein würde die restlichen Flugstunden für ein kleines Nickerchen zu nutzen. Als Einsatz des Spiels türmten sich, anstelle von Geld, ein paar Proteinriegel vor seinen Kameraden auf. Er war froh darüber, das gesamte Team an seiner Seite zu wissen, denn nur diesen Jungs brachte er vollstes Vertrauen entgegen, wie er sich selbst eingestand. Egal, wie sehr diese Männer sich auch manchmal wie Kinder benahmen, wenn es darauf ankam, konnte er immer auf sie zählen. Plötzlich überkam ihn das Gefühl beobachtet zu werden, sodass er sich erneut umblickte. Emma Heart hatte die Augen geöffnet und sah ihm neugierig entgegen. Ein leichtes Lächeln umspielte dabei ihre Lippen, als wenn sie sein Vorhaben, sich die Leute mal etwas genauer anzusehen, sofort durchschaut hätte. Er nickte ihr freundlich zu und lächelte ebenfalls. „Hören Sie mir eigentlich zu?“ Melissa warf Emma einen verächtlichen Blick zu und berührte dann, wie zufällig, Lucifers Arm. Die Frau hatte anscheinend einfach weiter geredet, ohne dass er es mitbekommen hatte. Scheiße.„Selbstverständlich!“, log er hastig.„Und?“, ließ Melissa nicht locker.Doppelt Scheiße. „Und was?“, fragte er unschuldig. Wovon mochte die Frau wohl gesprochen haben, nachdem er sich aus dem Gespräch ausgeklinkt und auf etwas anderes konzentriert hatte? Angestrengt dachte er nach, doch es waren nicht einmal ein paar Wortfetzen hängengeblieben, musste er überrascht feststellen. „Reed“, half sie ihm endlich auf die Sprünge. „Er wirkt ein wenig gestresst, oder!?“ Sie deutete, mit gerunzelter Stirn, zu dem Botaniker hinüber. Ein wenig war deutlich untertrieben. Es sah so aus, als würde er sich jeden Moment in die Hosen machen und sich gleichzeitig übergeben. „Das wird schon wieder“, beruhigte sie der junge Sergeant, sein Gesichtsausdruck verriet dabei allerdings eine gute Portion an Skepsis. Wäre Reed gezwungen seine letzte Mahlzeit Revue passieren zu lassen, würde Lucifer einen der Fallschirme benutzen und frühzeitig das Flugzeug verlassen. Seltsamerweise konnte er den Verwesungsgeruch eines Toten besser ertragen, als das süß saure Aroma, welches Erbrochenes so mit sich brachte. Und erst dieses penetrante Würgen, ein schreckliches Geräusch. Er schüttelte sich innerlich und schluckte schwer, er musste schnellstens auf andere Gedanken kommen, um nicht sein eigenes Essen wieder hochzuwürgen.

Venezuela

„Was hat er gesagt?“ Mac stand kopfschüttelnd vor einem Mann, welcher höchstens einen Meter und fünfzig an Körpergröße maß, einen riesigen Schnurrbart unter der Nase trug und wild mit seinen kurzen Ärmchen in der Luft herumfuchtelte. Dabei schoss ihm eine Salve spanischer Wörter aus dem Mund, als würde es kein Morgen mehr geben. Ratlos blickte der junge Soldat auf ihn herab, ohne auch nur ein Wort davon zu verstehen. Sie waren gerade erst angekommen und schon schien man ihnen feindselig entgegenzutreten.Espinoza verbiss sich ein Lachen und hob die Hand, um den Einheimischen endlich zum Schweigen zu bringen, dann wandte er sich an Mac. „Sie stehen auf seinem Fuß“, bemühte er sich ernst zu bleiben. „Was?“, Mac tat hastig einen Schritt zurück, seine Augen wurden so groß wie Untertassen. „Außerdem möchte er unsere Papiere sehen.“Auf dem Gesicht des Einheimischen breitete sich eine gewisse Erleichterung aus, sein riesiger Schnauzer erbebte, als er seufzend die Luft ausstieß. Sein Fuß würde ihm allerdings ein paar Tage lang kaum von Nutzen sein, jetzt, wo er platt war, wie eine Flunder. Er sah zu dem großen Mann empor, welchen er dieses Malheur zu verdanken hatte, und streckte fordernd die Hand aus. Doch dieser hob abwehrend beide Arme und nickte zu Lucifer hinüber. „Sorry Kumpel, die Papiere hat immer der Boss“, verkündete er gespielt bedauernd. Mac wusste, dass die paar Seiten und ein Stempel der Regierung nur zur Beruhigung höherer Mächte bestimmt waren. Dieser Mann hier wartete nur auf den Batzen Schmiergeld, den der Sergeant dazu gepackt hatte, damit die hiesigen Mühlen ein bisschen schneller mahlten. Kaum, dass Espinoza seine Worte übersetzt hatte, war der kleine Mann auch schon auf dem Weg zu Lucifer. Die Schmerzen in seinem Fuß schien er bereits wieder vergessen zu haben. „Hey, Lucifer!“, brüllte Mac, so dass sich alle Anwesenden neugierig nach ihm umdrehten. „Er will die Papiere, und du weißt schon was, sehen!“ Lucifer grinste. „Ach, du meinst die Sache, die wir nicht beim Namen nennen dürfen!?“ Jeder wusste, dass die Behörden hier bestochen werden wollten, und jeder, der nicht ewig auf das Abstempeln sämtlicher Papiere warten wollte, machte bei dem Spielchen mit. Also kramte er das Geld und die Papiere aus seinem Gepäck und hielt beides dem Fremden schweigend unter die Nase. Der Mestize studierte akribisch das Papier und tat so, als würde ihn das Geschriebene besonders interessieren, dabei befühlte er unauffällig den Umschlag darunter, bis er zufrieden nickte. Eigentlich ging es ihn nicht das Geringste an, aber er war schließlich kein Unmensch, nur weil ab und an ein paar Schmiergelder in seine Tasche flossen. Wie beiläufig fragte er, diesmal direkt an Espinoza gewandt, der als einziger seine Sprache zu sprechen schien: „Sicher, dass Sie dieses Gebiet aufsuchen wollen?“ Espinoza warf einen raschen Blick zu Lucifer hinüber, doch dieser war bereits dabei sein Gepäck zu schultern, ohne auf ihn zu achten. „Warum sollten wir dieses Gebiet nicht aufsuchen wollen?“, stellte er dem Mestize eine Gegenfrage. Die auffällig gelassene Tonlage hatte ihn skeptisch aufhorchen lassen. Wollte der Mann etwa noch mehr Geld? Die anderen schienen sich für seine Worte jedenfalls nicht zu interessieren, wohl hauptsächlich deshalb, weil ihn niemand verstand. „La sanguijuela“, bekam Espinoza flüsternd zur Antwort. Es war, als hätte der Mann Angst etwas heraufzubeschwören, wenn er die Stimme hob. „Der Blutsauger?“ Miguel fühlte Wut in sich aufsteigen, wollte man sich etwa über ihn lustig machen!? „Viele Menschen sind verschwunden, noch mehr sind tot“, sprach der Mann jedoch hastig weiter auf ihn ein. „Die Gegend ist gefährlich, ich habe euch gewarnt. Nur wenige kamen zurück, aber ohne ihren Verstand.“ Auf Espinozas überraschten Blick hin, nickte er und hielt sich einen Finger an die Schläfe. „Ja, ganz richtig gehört, sie sind schier verrückt geworden. Irgendetwas hat sie krank gemacht und in den Wahnsinn getrieben.“ Espinoza wusste nicht recht, was er darauf erwidern sollte, doch eine Antwort blieb ihm, zum Glück, erspart. Der Mestize hatte sich bereits von ihm abgewandt und freute sich über seinen neu erworbenen Reichtum, indem er genüsslich an den farbenfrohen Scheinchen roch.

*

Lucifer stand von seinem Barhocker auf und spähte in die Runde. Die kleine Bar, die direkt neben ihrem Hotel lag, war nur spärlich besucht. Ein paar Einheimische hatten sich in die dunkelsten Ecken verkrochen, von wo aus ihre Stimmen gedämpft bis zu ihnen an die Theke drangen. Zuerst hatten sie ihn und seine Gruppe interessiert gemustert, doch ihre Neugier hatte nicht lange angehalten. Sie wollten einfach nur in Ruhe gelassen werden und etwas Trinken, genau wie sie. Sie hatten sich alle ein bisschen frisch gemacht und sich danach direkt in der Bar eingefunden. Hier drin war es genauso heiß und feucht, wie draußen. Was wohl daran liegen mochte, dass diese nur Wände an den Seiten besaß. Dichter Dschungel grenzte quasi an den Hockern auf denen sie Platz genommen hatten. Gerade als er seine Schäfchen alle ins Bett schicken wollte, gesellte sich doch noch jemand zu ihnen an die Theke. Der Typ war etwa vierzig Jahre alt, trug Jeans und einen Cowboyhut. Er nahm direkt neben Emma Platz und starrte sie ungeniert von der Seite her an. „Hey“, sprach er sie an. „Wie wäre es mit uns beiden? Ich zahl dir hundert Dollar“, lallte er. Er schien ebenfalls Amerikaner zu sein. Lucifer sog zischend die Luft ein, während er bereits einen Schritt auf den Mann zu ging, um Emma zu beschützen. Doch zu seiner Überraschung bedeutete sie ihm sich vorerst nicht einzumischen, indem sie abwehrend eine Hand hob. „Nein, danke“, tat sie ihr Desinteresse, an den Fremden gewandt, kund. Dieser lachte rau auf. Er drehte seinen Kopf zwar zurück zur Bar, doch seine linke Hand wanderte, wie ganz selbstverständlich, zu Emmas rechtem Knie. Bevor er sie berührte, lachte er erneut. „Ihr wollt es doch alle, ihr Weibsbilder.“ Bevor auch nur einer der Soldaten reagieren konnte, schnellte Emmas Hand nach vorne, umfasste den Hinterkopf des Fremden und stieß ihn grob nach vorn. Stirn und Nase machten daraufhin eine nicht allzu nette Bekanntschaft mit dem klebrigen Holz der Theke. Es gab ein dumpfes Geräusch und der Cowboy sackte bewusstlos in sich zusammen. das Ganze hatte höchstens drei Sekunden gedauert. Emma stand auf und nickte zufrieden. „Gute Nacht, Sergeant Green“, sagte sie noch Augenzwinkernd, bevor sie die Bar verließ. „Nicht Übel“, brachte Lucifer gerade noch heraus, bevor sie auch schon außer Sichtweite war. „Na, die braucht schon mal keinen Babysitter“, staunte Mac nicht schlecht. „Die würde doch super zu dir passen“, stellte er amüsiert fest, während er die Reaktion seines Vorgesetzten dabei ganz genau beobachtete. „Oder stehst du eher auf die hilfsbedürftigen Frauen?“ Er warf Melissa heimlich einen Seitenblick zu und verzog das Gesicht. Auch er hatte schon mitbekommen, dass diese sich wohl am liebsten selbst reden hörte. Wenn sie über ihren Vater sprach, dann konnte man den Eindruck gewinnen, dass sie ihn, wie eine überteuerte Handelsware, an den Mann bringen wollte. So sehr schwärmte sie von ihrem einflussreichen Daddy. Adventure deutete auf den Bewusstlosen. „Was machen wir jetzt mit dem?“, wollte der junge Private wissen. Bevor Lucifer ihm eine Antwort geben konnte, mischte sich der Barkeeper ein. „Lasst ihn einfach liegen. Der kommt schon wieder zu sich.“ Der alte Knabe winkte lachend ab, wobei er mehr Zahnlücken als Zähne präsentierte. Er war ein Einheimischer, sprach aber auch ein gebrochenes Englisch. Es schien ihm jedenfalls nicht neu zu sein, dass bewusstlose Kerle in seiner Bar abhingen. Lucifer zuckte mit den Schultern. „Du hast es gehört, Adventure. Vielleicht wird der Typ morgen ein bisschen heftigere Kopfschmerzen haben, als sonst … aber mehr auch nicht.“ Prince klopfte seinem Kameraden auf die Schulter. „Was hattest du denn mit ihm vor? Wolltest du ihn mit ins Bett nehmen? Ich wusste gar nicht, dass du auf diese Art von Abenteuer abfährst.“ Er wackelte anzüglich mit den Augenbrauen und machte sich dann fix vom Acker. „Kommt, Kinder.“ Lucifer hatte genug für heute. „Wir sehen uns morgen früh in aller Frische. Um Punkt sieben Uhr geht es los. Wenn ihr etwas auf euren Zimmern vergesst, können wir nicht umkehren, um es zu holen.

---ENDE DER LESEPROBE---