Moonfleet - J. Meade Falkner - E-Book

Moonfleet E-Book

J. Meade Falkner

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Beschreibung

Der fünfzehnjährige Waisenjunge John Trenchard wächst in einem Schmugglernest namens Moonfleet auf. Die Leute im Dorf erzählen sich, dass der Kirchhof vom Geist des berüchtigten Colonel Mohune heimgesucht wird, der dort vor seinem Tod einen Schatz versteckt hat. Durch einen Zufall entdeckt John Trenchard die Familiengruft der Mohunes, die auch Schmugglern als Versteck dient. Im Sarg des Colonels findet er ein Amulett mit einem rätselhaften Pergament, von dem er sich Aufschluss über den Verbleib des Schatzes erhofft. Zusammen mit Elzevir Block, dem Anführer der Schmugglerbande, macht er sich auf, den Schatz zu heben. Aber ihr tollkühner Plan birgt manche Gefahr, und mehr als einmal setzen die beiden ihr Leben aufs Spiel …

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Seitenzahl: 428

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J. Meade Falkner

MOONFLEET

Roman

Aus dem Englischen übersetzt von Michael Kleeberg

liebeskind

Die Originalausgabe erschien 1898 unter dem Titel»Moonfleet« bei Edward Arnold Publishers Ltd. in London.

Alle Rechte an der Übertragung ins Deutsche bei Verlagsbuchhandlung Liebeskind GmbH &Co. KG, München 2016.

Covermotiv: akg-images Covergestaltung: Sieveking, München

ISBN 978-3-95438-063-3

Allen Mohunes gewidmet aus Fleet und Moonfleet in agro dorcestrensitot oder lebendig

1. Im Dorf von Moonfleet

So schlummert der Stolz früherer Tage.THOMAS MOORE

Das Dorf Moonfleet liegt eine halbe Meile von der See am rechten oder westlichen Ufer des Bächleins Fleet. Dieses Rinnsal fließt so schmal an den Häusern vorbei, dass ich von guten Weitspringern gehört habe, die es ohne die Hilfe eines Stabes überwunden haben, verbreitert sich unterhalb des Dorfes in die Salzmarschen hinein und verliert sich schließlich in einem Brackwasserteich. Der Teich ist zu nichts nütze außer für Meeresvögel, Reiher und Austern und hat eine Form, wie man sie in der Karibik als Lagune bezeichnet. Von der offenen See ist er durch einen riesigen, breiten Kieselstrand oder Damm getrennt, auf den ich später noch zurückkommen werde. Als ich noch ein Kind war, glaubte ich, dieser Ort werde Moonfleet genannt, weil in ruhigen Nächten, gleich ob im Sommer oder in der Winterkälte, der Mond so hell auf die Lagune schien. Später erfuhr ich dann, dass der Name nur eine Abkürzung für »Mohunefleet« war, von den Mohunes her, einer bedeutenden Familie, die früher einmal über die ganze Gegend herrschte.

Ich heiße John Trenchard, und ich war 15 Jahre alt, als diese Geschichte begann. Mein Vater und meine Mutter waren da schon seit Jahren tot, und ich lebte bei meiner Tante, Miss Arnold, die auf ihre Art gut zu mir war, jedoch zu streng und korrekt, als dass ich sie je hätte lieb haben können.

Zunächst will ich von einem Abend im Herbst des Jahres 1757 erzählen. Es muss spät im Oktober gewesen sein, obwohl ich das genaue Datum vergessen habe, und ich saß nach dem Tee in der kleinen vorderen Wohnstube und las. Meine Tante besaß wenige Bücher; eine Bibel, das Gebetbuch und einige Predigtbände sind alles, woran ich mich erinnere, aber Reverend Glennie, der uns Dorfkindern Unterricht gab, hatte mir ein Buch mit Erzählungen geborgt, voller spannender Abenteuer, das Tausendundeine Nacht hieß. Schließlich begann das Licht nachzulassen, und ich war überhaupt nicht unwillig, mit dem Lesen aufzuhören, und dies aus mehreren Gründen. Zuerst einmal war die Wohnstube ein kaltes Zimmer mit Sesseln und einem Sofa aus Rosshaar, in dessen Kamin lediglich ein farbiger Schirm aus Papier stand, denn meine Tante erlaubte kein Feuer vor dem 1. November. Zweitens herrschte im ganzen Haus ein ranziger Geruch nach geschmolzenem Unschlitt, denn meine Tante war in der hinteren Küche dabei, Winterkerzen zu ziehen. Und drittens war ich in Tausendundeiner Nacht an eine Stelle gekommen, bei der ich den Atem anhalten musste, und wollte daher gerne aufhören, um mir die Spannung zu bewahren. Es war genau der Punkt in der Geschichte von der »Wunderlampe«, an dem der falsche Onkel einen Felsen herabfallen lässt, der den Eingang zu der unterirdischen Kammer versperrt und den Jungen, Aladin, in der Dunkelheit gefangen hält, weil der die Lampe nicht aufgeben will, bis er sicher wieder an die Erdoberfläche gelangt. Diese Szene erinnerte mich an einen der fürchterlichen Albträume, in denen man träumt, man wäre in einer engen Kammer eingeschlossen, deren Wände auf einen zukommen, und beeindruckte mich derart, dass die Erinnerung daran mir in einem Abenteuer zur Warnung diente, in das ich späterhin geraten sollte.

Also hörte ich auf zu lesen und trat auf die Straße hinaus. Es war bestenfalls ein ärmliches Sträßchen, obwohl es gewiss früher einmal feiner gewesen war. Heute lebten keine zweihundert Seelen mehr in Moonfleet, aber dennoch zerstreuten sich die Häuser, in denen sie wohnten, trist über eine halbe Meile hin, in großen Abständen zu beiden Seiten der Straße. Nichts im Dorfe wurde jemals erneuert, benötigte eines der Häuser dringend Reparaturen, riss man es gleich ab, und so gab es entlang der Straße viele Zahnlücken und überwucherte Gärten mit verfallenen Mauern, und viele der Häuser, die noch standen, wirkten so, als würden sie nicht mehr allzu lange bestehen.

Die Sonne war untergegangen, ja es war bereits so düster, dass das untere Ende der Straße, das zum Meer hin, nicht mehr zu sehen war. Es hing ein wenig Nebel oder ein Rauchschleier in der Luft, dazu ein Geruch von kokelndem Unkraut und ein erster frostiger Herbsthauch, der einen an prasselnde Feuer und die Behaglichkeit der bevorstehenden langen Winterabende denken ließ. Alles war still, aber von der Straße weiter unten konnte ich Hammerschläge hören und ging ihnen entgegen, denn in Moonfleet gab es außer der Fischerei kein weiteres Gewerbe. Es war Ratsey, der Küster, der in einem Schuppen zugange war, der sich zur Straße hin öffnete. Er hämmerte mit dem Stichel einen Namen in einen Grabstein. Er war Maurer gewesen, bevor er Fischer wurde, und er verstand es, mit seinem Werkzeug umzugehen, also ging jeder, der auf dem Kirchhof einen Grabstein aufstellen wollte, zu Ratsey, damit die Sache erledigt wurde. Ich lehnte mich auf die Klöntür und sah ihm eine Minute zu, wie er mit dem Meißel im schlechten Licht einer Laterne den Stein bearbeitete. Schließlich blickte er auf, entdeckte mich und sagte:

»Hier, John, wenn du nichts zu schaffen hast, komm rein und halt mir die Laterne. Brauch’ nur eine halbe Stunde, um alles fertig zu kriegen.«

Ratsey war immer freundlich zu mir und hatte mir schon oft einen Beitel geborgt, um Schiffchen zu schnitzen, also trat ich ein und hielt die Laterne und sah zu, wie er mit dem Stichel Splitter des Portland-Steines wegschlug, und zwinkerte immer wieder, wenn sie zu dicht an meinen Augen vorbeiflogen. Die Inschrift war schon vollständig eingraviert, aber er legte noch letzte Hand an eine kleine Meeresszene, die oben in den Stein gehauen war und einen Schoner zeigte, der einen Kutter enterte. Damals fand ich das eine schöne Arbeit, seither weiß ich, dass sie recht grob ausgeführt war, im Übrigen kann man sie bis zum heutigen Tag auf dem Friedhof von Moonfleet betrachten und auch die Inschrift lesen, obwohl sie vor lauter Flechten ganz vergilbt ist und nicht mehr so klar und deutlich zu erkennen wie an jenem Abend. Sie lautet wie folgt:

ZUM HEILIGEN GEDENKEN AN DAVID BLOCK

15 Jahre alt, getötet von einem Schuss, der vom Schoner Elector abgefeuert wurdeam 21. Juni 1757.

Des Lebens beraubt durch grausame Tat, zurück zur Erde kehre ich.Berufe mich auf Gottes Rat, am Tag des Gerichts errette mich.

Da geht es, Grausamer, auch um dein Heil.Drum tue Buße vor deinem Tod, sonst fürchte ein schreckliches Urteil.Denn gewiss mein Schicksal rächen wird Gott.

Reverend Glennie hatte diese Verse geschrieben, und ich kannte sie auswendig, denn er hatte mir eine Abschrift gegeben. Tatsächlich hatte die Geschichte von Davids Tod im ganzen Dorf die Runde gemacht, und noch immer war sie in aller Munde. Er war das einzige Kind von Elzevir Block gewesen, dem das Gasthaus Why Not? unten im Dorf gehörte, und hatte sich unter den Schmugglern befunden, als ihre Ketsch in jener Juninacht vom Schoner der Regierung aufgebracht wurde. Die Leute sagten, es sei Friedensrichter Maskew aus Moonfleet Manor gewesen, der die Zöllner auf die Spur gebracht habe; jedenfalls befand er sich an Bord der Elector, als sie längsseits der Ketsch ging. Es gab eine bewaffnete Auseinandersetzung, als die Boote einander gegenüberlagen, und da zog Maskew eine Pistole und feuerte – nur die beiden Schandeckel trennten sie voneinander – dem jungen David mitten ins Gesicht. Am Nachmittag des Mittsommertags zog die Elector die Ketsch in den Hafen von Moonfleet, wo ein ganzer Trupp von Konstablern die Schmuggler in Empfang nahm und zum Zuchthaus von Dorchester eskortierte. Die Gefangenen stapften, jeweils paarweise in Eisen gelegt, die Dorfstraße hinauf, und die Leute standen vor ihren Türen oder folgten ihnen, und die Männer warfen ihnen tröstliche Worte zu, da wir die meisten von ihnen aus Ringstave und Monkbury kannten, während die Frauen das Schicksal ihrer Ehefrauen betrauerten. Aber Davids Leichnam ließen sie in der Ketsch, der Junge hatte teuer bezahlt für seine nächtlichen Eskapaden.

»Ach, das war eine grausame, grausame Sache, auf einen so jungen Burschen zu schießen«, sagte Ratsey und trat einen Schritt zurück, um den Effekt einer Flagge in Augenschein zu nehmen, die er auf den Schoner des Zolls gemeißelt hatte, »und auch den anderen armen Teufeln, die sie geschnappt haben, wird es übel ergehen, sagt Advokat Empson doch, dass drei von ihnen zum nächsten Gerichtstag gewiss hängen werden. Ich erinnere mich noch«, fuhr er fort, »vor dreißig Jahren, als es zu einem Scharmützel zwischen der Royal Sophy und der Marnhull gekommen war, da hängten sie vier der Schmuggler, und mein alter Vater holte sich dabei den Tod durch eine Erkältung, weil er mit dabei sein wollte, wie die armen Kerle in Dorchester abgeliefert wurden, und dabei knietief im River Frome stand, um sie sehen zu können, denn die ganze Gegend war dort, und es herrschte ein solches Gedränge, dass es an Land keinen Platz gab. So, das reicht jetzt«, sagte er und wandte sich wieder dem Grabstein zu. »Am Montag male ich die Backbordseiten schwarz und setze einen Tupfer Rot, um die Flagge herauszuheben, aber jetzt, mein Sohn, da du mir mit der Laterne geholfen hast, kommst du mit mir runter ins Why Not?. Ich muss ein paar Worte mit Elzevir reden, dem es bitter nottut, mit guten Freunden zu plaudern, um ihn etwas aufzuheitern, und da werden wir dann auch ein Glas Genever für dich auftreiben, damit die Herbstkälte dir nicht in die Knochen kriecht.«

Ich war nur ein Knabe und empfand es als große Ehre, ins Why Not? gebeten zu werden, denn hob mich eine solche Einladung nicht auf einen Schlag in die Würde des Mannesalters? Ach, traute Knabenzeit, wie begierig sind wir als Jungen darauf, dich hinter uns zu lassen, und mit wie viel Bedauern blicken wir dann auf dich zurück, bevor der Wettlauf unseres Lebens auch nur halb vorüber ist! Dennoch war meine Freude nicht ganz ungetrübt, denn allein der Gedanke, was Tante Jane sagen würde, wenn sie erfuhr, dass ich im Why Not? gewesen war, jagte mir Angst ein. Davon abgesehen fürchtete ich mich vor dem grimmigen alten Elzevir Block, der seit Davids Tod noch tausend Mal grimmiger und trauriger geworden war.

Why Not? war nicht der wirkliche Name des Gasthauses, eigentlich hieß es Mohune Arms. Den Mohunes hatte früher einmal, ich erwähnte es bereits, das ganze Dorf gehört, aber irgendwann ging ihr Vermögen verloren, und damit war der Niedergang von Moonfleet besiegelt. Die Ruinen ihres Herrenhauses schimmerten grau am Hang über dem Dorf, ihre Armenhäuser standen auf halbem Weg die Straße herunter, um einen verlassenen und überwucherten Innenhof herum. Das Wappen und die Inschrift der Mohunes prangten auf jedem Gebäude, von der Kirche bis zum Gasthaus, und alles, was dieses Zeichen trug, trug mit ihm auch das Siegel des Verfalls. An dieser Stelle muss ich etwas über dieses Familienwappen sagen, denn wie ihr noch sehen werdet, sollte ich es mein ganzes Leben lang tragen und werde seinen Abdruck auch mit ins Grab nehmen. Das Wappen der Mohunes war ganz in Weiß oder Silber gehalten und enthielt nichts außer einem großen schwarzen »Y«. Ich nenne es ein »Y«, obwohl Reverend Glennie mir einmal erklärt hat, dass es sich dabei gar nicht um ein Ypsilon handelt, sondern um das, was die Heraldik eine »Deichsel« nennt. Deichsel oder keine Deichsel, für jeden normalen Menschen sah es aus wie ein schwarzes Ypsilon, jeweils ein kräftiger Arm endete in den oberen Ecken des Wappens, und der Fuß unten in der Mitte. Man konnte das Zeichen auf den Mauern von Moonfleet Manor eingraviert sehen, auf den Stein- und Holzfriesen der Kirche sowie auf einer ganzen Reihe von Häusern im Dorf, und dann war es auch auf dem Schild abgebildet, das über der Tür des Gasthauses hing. Jedermann im Umkreis von Meilen kannte das »Y« der Mohunes, und seit ein früherer Pächter das Gasthaus im Scherz Why Not? getauft hatte, hing ihm dieser Name unveränderlich an.

An manchem Winterabend, wenn die Männer im Why Not? tranken, hatte ich draußen vor der Tür gestanden und zugehört, wie sie Ducky-stones sangen oder Kegs bobbing one, two, three oder eines der anderen Lieder, die Seeleute hier in der Gegend zum Besten geben. Diese Lieder hatten weder einen richtigen Anfang noch ein Ende, und auch alles, was dazwischen war, machte nur wenig Sinn. Einer der Männer grölte die Strophe, dann fielen die anderen ein und grölten feierlich den Refrain, aber kaum einmal wurde ausgiebig gezecht dabei, denn Elzevir Block betrank sich niemals und mochte auch nicht, dass seine Gäste sich betranken. An solchen Sangesabenden erhitzte sich der Schankraum, und die Fenster beschlugen von innen so heftig, dass man nicht mehr hineinblicken konnte, aber es gab auch andere Abende, wenn niemand zugegen war, und da habe ich zwischen den roten Vorhängen hindurchgespäht und zugesehen, wie Elzevir Block und Ratsey an dem aufgebockten Tisch vor dem Kamin saßen und Backgammon spielten. Genau auf diesem aufgebockten Tisch sollte Block später den Leichnam seines Sohn aufbahren, und es gab Leute, die sagten, sie hätten abends durchs Fenster geblickt und gesehen, wie der Vater versuchte, das klebrige Blut aus dem blonden Haar seines Sohnes zu waschen, und gehört, wie er stöhnte und auf den leblosen Körper einredete, als könne der verstehen, was er sagte. Wie auch immer, seit jenem Tag war wenig getrunken worden im Gasthaus, denn Block wurde immer schweigsamer und mürrischer. Er war nie jemand gewesen, der seine Kunden umgarnt, jetzt aber warf er jedem, der eintrat, finstere Blicke zu, sodass die Männer das Gefühl bekamen, das Why Not? sei ein verfluchter Ort, und lieber nach Ringstave ins Three Choughs gingen, um zu trinken.

Mir rutschte das Herz in die Hose, als Ratsey den Riegel anhob und mich in den Schankraum führte. Es war ein niedriger Raum mit abgezogenen Dielen, und das einzige Licht kam von einem Feuer aus Treibholz im Kamin, das hell züngelnd loderte und blaue Salzflämmchen spie. An beiden Enden des Raums standen Tische, und Holzstühle reihten sich vor den Wänden auf, und an dem aufgebockten Tisch vor dem Kamin saß Elzevir Block, schmauchte eine langstielige Pfeife und starrte ins Feuer. Er war ein Mann von fünfzig Jahren, mit dickem grauem Haar, einem breiten, aber nicht unfreundlichen Gesicht von ebenmäßigen Zügen, buschigen Brauen und der vornehmsten Stirn, die ich je gesehen habe. Seine Statur war untersetzt, strahlte aber immer noch ungeheure Kraft aus, und wirklich gingen in der ganzen Gegend Legenden über seine kaum glaublichen Kräfte und sein Durchhaltevermögen um. Die Blocks waren seit Jahren, vom Vater zum Sohn, Pächter des Why Not? gewesen, aber Elzevirs Mutter stammte aus den Niederlanden, daher hatte er seinen fremdartigen Namen und konnte Holländisch sprechen. Kaum jemand wusste etwas über ihn, und die Leute fragten sich häufig, wie er das Why Not? mit so wenig Kunden, wie zu ihm kamen, halten konnte. Aber irgendwie schien es ihm nie an Geld zu fehlen, und wenn die Menschen gerne Geschichten über seine Kraft erzählten, so redeten sie doch ebenso über Witwen, denen geholfen wurde, und Kranke, die mit Geschenken bedacht wurden, und ließen durchblicken, dass einiges davon von Elzevir Block stammte, mochte er auch noch so grimmig und schweigsam sein.

Er wandte sich um und stand auf, als wir eintraten, und vor lauter Angst hatte ich den Eindruck, dass sich sein Gesicht verdüsterte, als er mich erblickte.

»Was will der Junge hier?«, fragte er Ratsey scharf.

»Er will genau das Gleiche wie ich, und zwar ein Glas Ararat-Milch, damit ihm die Herbstkälte nicht in die Glieder kriecht«, antwortete der Küster und zog einen zweiten Stuhl an den aufgebockten Tisch.

»Kuhmilch tut Kindern wie ihm besser«, war Elzevirs Antwort, und er nahm zwei schimmernde Kerzenleuchter aus Messing vom Kaminsims, stellte sie auf den Tisch und entzündete die Kerzen mit einem brennenden Scheit aus dem Kamin.

»John ist kein Kind mehr, er ist im selben Alter wie David, und gerade hat er mitgeholfen, Davids Grabstein zu vollenden. Der ist jetzt bis auf die Farbe auf den Schiffen fertig, und mit Gottes Hilfe werden wir ihn Montagabend auf dem Friedhof aufgestellt haben, wie es sich gehört, und dann kann der arme Junge in Frieden ruhen, weil er wissen wird, dass er Master Ratseys beste Handarbeit über sich stehen hat und die Verse des Reverends, die bezeugen, wie schmählich er zu Tode gekommen ist.«

Ich hatte den Eindruck, dass Elzevir ein wenig milder wurde, als Ratsey von seinem Sohn sprach, und er sagte:

»Ja, David ruht in Frieden. Aber die, die ihn zu Tode gebracht haben, die werden nicht in Frieden ruhen, wenn ihre Zeit gekommen ist. Und die mag schneller kommen, als sie glauben«, fügte er hinzu, mehr zu sich selbst redend als zu uns. Ich wusste, dass er von Mr. Maskew redete, und erinnerte mich, dass der eine oder andere den Friedensrichter davor gewarnt hatte, in Elzevirs Nähe zu kommen, denn man könne nie wissen, wozu ein verzweifelter Mensch fähig sei. Und dennoch waren die beiden sich seither im Dorf über den Weg gelaufen, und dabei war nichts Schlimmeres passiert, als dass Block ihm finstere Blicke zugeworfen hatte.

»Pah!«, unterbrach ihn der Küster, »es war die niederträchtigste Tat, die je begangen worden ist, aber nimm dich zusammen und brüte nicht darüber und denk auch nicht darüber nach, wie du dich rächen könntest. Überlass dies der Vorsehung, denn er, dessen Weisheit solche Dinge geschehen lässt, wird gewiss auch darauf sehen, dass sie ihren rechten Lohn erhalten. Die Rache ist mein, spricht der Herr, ich will vergelten.« Und damit nahm er seinen Hut ab und hängte ihn an einen Haken.

Block antwortete nicht, stellte aber drei Gläser auf den Tisch und holte dann eine kleine runde, langhalsige Flasche aus einem Schrank, aus der er sich und Ratsey ein Glas voll eingoss. Danach füllte er das dritte zur Hälfte und schob es mir über den Tisch zu, wobei er sagte: »Hier, für dich, Bursche, wenn du denn möchtest. Wird dir nicht guttun, aber vielleicht tut’s dir auch nicht schlecht.«

Ratsey erhob sein Glas, kaum dass es voll war. Er schnüffelte an dem Schnaps und schmatzte. »O kostbare Milch von Ararat!«, sagte er. »So süß und so stark wie der Alkohol, dem Noah seine Schande verdankte. Und jetzt hol das Backgammon-Brett, John, und stell es für uns auf den Tisch.« Und als sie mit ihrem Spiel begannen, nahm ich einen heimlichen Schluck von dem Schnaps, aber da ich an starken Alkohol nicht gewohnt war, verschluckte ich mich, und er stieg mir sofort zu Kopf und brannte mir in der Kehle. Keiner der Männer sagte etwas, und abgesehen vom ständigen Geklacker der Würfel und dem Schaben, mit dem die Steine über das Brett wanderten, war es vollkommen still. Ab und zu hielt einer der beiden Spieler inne, um sich die Pfeife anzuzünden, und am Ende jedes Spiels vermerkten sie das Ergebnis mit einem Stück Kreide auf dem Tisch. So sah ich ihnen denn eine Stunde lang zu, ich beherrschte das Spiel ja auch, und außerdem interessierte ich mich für Elzevirs Backgammon-Brett, über das ich schon einiges gehört hatte.

Es gehörte seit Generationen von Pächtern zum Inventar des Why Not?, womöglich hatte es schon während des Bürgerkriegs den Soldaten die Zeit vertrieben. Es war ganz aus Eichenholz, schwarz und poliert, das Brett, der Würfelbecher, die Steine, aber rund um den Brettrand verlief eine lateinische Inschrift auf hellerem Holz, die ich an jenem ersten Abend las, aber nicht verstand, bis Mr. Glennie sie für mich übersetzte. Ich sollte später noch guten Grund haben, mich an sie zu erinnern, also schreibe ich sie hier auf Lateinisch für all diejenigen nieder, die diese Sprache beherrschen. Ita in vita ut in lusu alea pessima iactura arte corrigenda est. Übersetzt heißt das, wie Mr. Glennie erzählte: Wie im Leben so auch im Glücksspiel, kann manmit Geschick auch aus dem schlechtesten Wurf noch etwas machen.

Schließlich blickte Elzevir auf und sprach mich an, gar nicht unfreundlich: »Junge, es ist Zeit für dich, nach Hause zu gehen; es heißt, in den ersten Winternächten geht Schwarzbart um, und es gibt Leute, die ihm von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden sind zwischen diesem Haus hier und deinem.« Ich verstand, dass er mich los sein wollte, und wünschte daher beiden eine gute Nacht. Dann machte ich mich auf den Heimweg und rannte den ganzen Weg nach Hause, aber nicht etwa aus Furcht vor Schwarzbart, hatte Ratsey mir doch oft genug erzählt, dass keine Gefahr bestand, ihm über den Weg zu laufen, es sei denn, man überquerte nachts den Kirchhof.

Schwarzbart war ein Mohune gewesen und im letzten Jahrhundert gestorben. Er lag in der Gruft unter der Kirche begraben, zusammen mit anderen aus seiner Familie, aber er konnte dort keine Ruhe finden, sei es, wie einige meinten, weil er beständig nach einem verlorenen Schatz suchte, oder, wie andere sagten, aufgrund seiner grenzenlosen Verworfenheit zu Lebzeiten. Falls Letzteres der wahre Grund war, so musste er wirklich böse gewesen sein, denn vor ihm wie nach ihm hat es Mohunes gegeben, die verworfen genug waren, um wem auch immer Gesellschaft zu leisten, sei es in ihrer Gruft oder anderswo. Die Leute behaupteten, dass man Schwarzbart in dunklen Winternächten sehen könne, mit einer altmodischen Laterne, wie er auf dem Friedhof nach Schätzen grub, und diejenigen, die schworen, davon Kenntnis zu haben, sagten, er sei ein Mann von übermenschlicher Größe, mit einem schwarzen Vollbart, kupferfarbenem Gesicht und Augen von solcher Boshaftigkeit, dass ein jeder, der auch nur einmal ihrem Blick begegnete, noch im selben Jahr sterben musste. Es sei, wie es sei, jedenfalls gab es nur wenige Leute in Moonfleet, die nicht lieber einen Umweg von zehn Meilen gingen, als sich nach Einbruch der Dunkelheit in die Nähe des Kirchhofs zu wagen, und einmal, als man eines Sommermorgens dort Cracky Jones fand, ein altersschwaches Klappergestell, wie er tot im Gras lag, war die allgemeine Überzeugung jene, er sei des Nachts Schwarzbart über den Weg gelaufen.

2. Hochwasser

Dann versanken die Ufer in grausigem Brausen, dann flog die Gischt in wildem Sausen, dann stieg die mächtige Flut – ein Grausen, und die ganze Welt verschwand im Meer.JEAN INGELOW

Am 3. November, einige Tage nach dem Besuch im Why Not?, begann der Wind, der schon seit Tagen aus Südwesten blies, sich gegen vier Uhr nachmittags in plötzlichen, heftigen Böen zu erheben. Den ganzen Morgen über waren die Krähen wild von den Dächern heruntergeflattert, daher war uns klar, dass schlechtes Wetter ins Haus stand. Als wir dann aus der Schulstunde kamen, die Mr. Glennie uns im Saal des alten Armenhauses gab, flogen Strohbündel und sogar der eine oder andere Ziegel von den Dächern, und die Kinder begannen zu singen:

Blase Wind, Stürme schlagt,

Schiff auf Grund, bevor’s noch tagt.

Es ist ein heidnischer Vers, der aus anderen, schlechteren Zeiten bis zu uns gedrungen ist, obwohl ich nicht leugnen will, dass ein Wrack am Strand von Moonfleet manchmal fast wie ein Gottesgeschenk angesehen wurde. Allerdings hoffe ich doch, dass niemand von uns so niederträchtig war, geradezu auf einen Schiffbruch zu hoffen, damit wir uns das erplünderte Strandgut teilen konnten. Im Gegenteil, ich habe die Männer von Moonfleet gesehen, wie sie hundert Mal ihr eigenes Leben riskierten, um das von schiffbrüchigen Seeleuten zu retten, so als die , ein Ostindienfahrer, an Land getrieben wurde. Nein, nein, sogar arme namenlose Leichen, die an den Strand gespült wurden, konnten eines christlichen Begräbnisses sicher sein, manchmal sogar eines von Master Ratseys Grabsteinen, auf dem das Geschlecht und das Todesdatum eingraviert war, wie man bis zum heutigen Tag auf dem Friedhof sehen kann.

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